DFP: Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsie - www.kup.at

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Journal für

 Neurologie, Neurochirurgie
 und Psychiatrie
             www.kup.at/
 JNeurolNeurochirPsychiatr   Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems

DFP: Aktuelles zur Diagnostik und
                                                                               Homepage:
Therapie der Epilepsie
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Baumgartner C, Pirker S                                          JNeurolNeurochirPsychiatr

Journal für Neurologie                                                 Online-Datenbank
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Neurochirurgie und Psychiatrie
                                                                      und Stichwortsuche
2012; 13 (2), 64-80

                                                                                            Indexed in
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 Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz
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Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien                      DFP
                       Aktuelles zur Diagnostik und Therapie
                                   der Epilepsie
                                                                   C. Baumgartner, S. Pirker

 Kurzfassung: Eine Epilepsie liegt dann vor,            individualisierte Therapie erfolgen, die auf die     achieved in approximately 65 % of patients with
 wenn mindestens 2 unprovozierte Anfälle aufge-         Bedürfnisse des jeweiligen Patienten abge-           antiepileptic drugs, the remaining 35 % suffer
 treten sind oder wenn nach einem Anfall durch          stimmt ist. Die Epilepsiechirurgie stellt eine ef-   from medically refractory epilepsy. While opti-
 einen entsprechenden EEG- oder MRT-Befund              fektive und sichere Behandlungsmethode für se-       mal seizure control and ideally seizure freedom
 eine erhöhte Epileptogenität als wahrscheinlich        lektierte Patienten mit therapieresistenten foka-    are of course essential, recently other important
 angenommen werden kann. Die Epilepsie ist              len Epilepsien dar. Die Vagus-Nerv-Stimulation       treatment goals including tolerability of anti-
 eine der häufigsten neurologischen Erkrankun-          (VNS) ist ein palliatives Verfahren für Patienten,   epileptic drugs, avoidance of chronic side ef-
 gen, die altersabhängige Inzidenz zeigt einen 2-       die für einen epilepsiechirurgischen Eingriff        fects, easy use of medications both for patients
 gipfeligen Verlauf mit einem ersten Maximum in         nicht infrage kommen bzw. bei denen eine Ope-        and physicians, positive effects on frequent
 der Kindheit und einem zweiten im höheren Le-          ration keinen Erfolg erbrachte.                      comorbidities, and the needs of special patient
 bensalter (1/3 der Epilepsien beginnt nach dem                                                              populations have emerged as equally important
 60. Lebensjahr). Bei ca. 65 % der Epilepsie-           Schlüsselwörter: Epilepsie, Epilepsietherapie,       for the patient’s optimal quality of life. Thus, epi-
 patienten kann durch eine antiepileptische The-        Antiepileptika, Epilepsiechirurgie, Vagus-Nerv-      lepsy treatment should be individualized in every
 rapie anhaltende Anfallsfreiheit erreicht wer-         Stimulation                                          patient. Epilepsy surgery represents an effective
 den, bei den übrigen 35 % entwickelt sich eine                                                              and safe treatment option in many patients with
 therapieresistente bzw. schwer behandelbare            Abstract: Recent Aspects in Epilepsy Diag-           medically refractory focal epilepsies. Vagal
 Epilepsie. Die wichtigsten Behandlungsziele sind       nosis and Treatment. Epilepsy is defined as a        nerve stimulation (VNS) is a palliative procedure
 neben der optimalen Anfallskontrolle (im Ideal-        condition with at least 2 unprovoked seizures or     for patients with medically refractory epilepsies
 fall Anfallsfreiheit) die gute Verträglichkeit der     one seizure associated with epileptiform dis-        who are not candidates for epilepsy surgery or in
 medikamentösen Therapie, die Vermeidung von            charges on EEG and/or an epileptogenic lesion        whom epilepsy surgery did not result in satisfac-
 chronischen Nebenwirkungen, die einfache Hand-         on MRI indicating an increased epileptogenicity.     tory seizure control. J Neurol Neurochir
 habung der Medikation für Arzt und Patient, die        Epilepsy represents one of the most frequent         Psychiatr 2012; 13 (2): 64–80.
 günstige Beeinflussung von mit der Epilepsie           neurological diseases. Age-specific incidence
 häufig assoziierten Begleiterkrankungen sowie          shows 2 peaks, one in early childhood and one at Key words: epilepsy, epilepsy treatment,
 die Berücksichtigung der Bedürfnisse spezieller        an older age 1/3 of epilepsies start after the age of antiepileptic drugs, epilepsy surgery, vagal nerve
 Patientengruppen. Generell sollte eine möglichst       60 years. While sustained seizure control can be stimulation

 Einleitung und Definitionen                                                      nen, Traumen, zerebrovaskuläre Erkrankungen etc.) oder im
                                                                                   Rahmen einer systemischen Erkrankung bzw. Störung (Alko-
Epileptische Anfälle stellen die klinische Manifestation von                       hol, Schlafentzug, Medikamente, metabolische Störungen
exzessiven hypersynchronen Entladungen von Nervenzellen                            etc.) auftreten, sind durch einen erkennbaren, unmittelbaren
des zerebralen Kortex dar. Die klinische Symptomatik der                           Auslöser und einen günstigen Verlauf gekennzeichnet, d. h.
Anfälle wird durch die Funktion der jeweils betroffenen                            bei Behebung, Wegfall oder Vermeidung der auslösenden Ur-
Nervenzellverbände bestimmt, wobei Störungen höherer                               sache treten im Allgemeinen keine weiteren Anfälle auf. Auf-
Hirnfunktionen, Bewusstseinseinschränkungen, abnorme                               grund dieses niedrigen Rezidivrisikos besteht deshalb im All-
sensorische oder psychische Empfindungen, motorische Ent-                          gemeinen auch keine Indikation zur Einleitung einer anti-
äußerungen und schließlich generalisierte Krämpfe auftreten                        epileptischen Therapie [3].
können [1, 2].
Epileptische Anfälle können auftreten als                                           Unprovozierte Anfälle
– provozierte oder akut symptomatische Anfälle
– unprovozierte Anfälle                                                            Die Wahrscheinlichkeit, nach einem ersten unprovozierten
                                                                                   Anfall einen weiteren Anfall zu erleiden, liegt für Erwachsene
 Provozierte oder akut symptomatische                                             bei 33 % [4] sowie für Kinder zwischen 42 und 54 % [4].
                                                                                   Risikofaktoren für das Auftreten weiterer Anfälle sind dabei
  Anfälle                                                                          das Vorhandensein von epilepsietypischen Veränderungen im
Provozierte oder akut symptomatische Anfälle, die aufgrund                         EEG und das Vorliegen einer – für die Anfälle ursächlichen –
einer akuten Erkrankung des Zentralnervensystems (Infektio-                        strukturellen Veränderung in der Magnetresonanztomo-
                                                                                   graphie (MRT) (EEG mit epilepsietypischen Veränderungen:
                                                                                   1,5–3-fach erhöhtes Risiko; MRT-Läsion: 2-fach erhöhtes Ri-
Eingelangt am 10. Jänner 2011; angenommen am 13. Mai 2011; Pre-Publishing
Online am 31. Jänner 2012                                                          siko) [5, 6]. Demgemäß hat die „Internationale Liga gegen
Aus dem Karl-Landsteiner-Institut für Klinische Epilepsieforschung und Kognitive   Epilepsie“ im Jahr 2005 eine neue Epilepsiedefinition vorge-
Neurologie, 2. Neurologische Abteilung, Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem    schlagen, wobei nunmehr für die Diagnose einer Epilepsie
Zentrum Rosenhügel, Wien                                                           nur noch ein Anfall nötig ist, wenn zusätzlich durch einen ent-
Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. DI Dr. med. Christoph Baumgartner, Karl-
                                                                                   sprechenden EEG-Befund (z. B. 3/s-Spike-Waves) oder einen
Landsteiner-Institut für Klinische Epilepsieforschung und Kognitive Neurologie,
2. Neurologische Abteilung, Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum        MRT-Befund (z. B. Ammonshornsklerose oder Tumor) eine
Rosenhügel, A-1130 Wien, Riedelgasse 5;                                            erhöhte Epileptogenität als wahrscheinlich angenommen
E-Mail: christoph.baumgartner@wienkav.at                                           werden kann [7].

64     J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)

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Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien

Abbildung 1: Altersabhängige Inzidenz der Epilepsie. Die altersabhängige Inzidenz der Epilepsie zeigt einen 2-gipfeligen Verlauf mit einem ersten Maximum in der Kindheit
und einem zweiten Maximum im höheren Lebensalter (rote Pfeile).

 Epidemiologie                                                                       – Vorhandensein und Art einer strukturellen Läsion: Patien-
                                                                                        ten mit kryptogenen fokalen Epilepsien haben eine etwas
Die Epilepsie ist mit einer Prävalenz von 7–8/1000 eine der                             bessere Prognose als Patienten mit symptomatischen foka-
häufigsten neurologischen Erkrankungen. Die Inzidenz (Neu-                              len Epilepsien; Patienten mit Hippokampusatrophie oder
erkrankungsrate) liegt bei 46/100.000 Einwohner pro Jahr.                               kortikalen Dysplasien leiden zu einem wesentlich höheren
Die altersabhängige Inzidenz zeigt einen 2-gipfeligen Verlauf                           Prozentsatz an therapieresistenten Epilepsien als Patienten
mit einem ersten Maximum in der Kindheit (1/3 der Epilepsien                            mit anderen strukturellen Läsionen [16] (Abb. 3).
beginnt in der Kindheit) und einem zweiten Maximum im                                 – Anfallsart: Sekundär generalisierte tonisch-klonische An-
höheren Lebensalter (1/3 der Epilepsien beginnt nach dem                                fälle sprechen besser auf die Therapie an als fokale Anfälle
60. Lebensjahr!), wobei im Alter von > 70 Jahren sogar eine                             [17].
höhere Inzidenz als in den ersten 10 Lebensjahren besteht                             – Alter zu Beginn der Epilepsie: Ein früher Beginn, ins-
(Abb. 1). Während sich bei Erwachsenen eine höhere                                      besondere im Alter von < 1 Jahr ist mit einer schlechteren
Inzidenz von fokalen Anfällen zeigt, treten bei Kindern häufi-                          Prognose assoziiert [13].
ger generalisierte Anfälle auf. Die Wahrscheinlichkeit, im
Laufe des Lebens an einer Epilepsie zu erkranken, liegt bei
> 5 %, die Wahrscheinlichkeit eines einmaligen epileptischen
Anfalls im Laufe des Lebens liegt bei > 10 % [8, 9].

 Verlauf und Prognose
Bei ca. 65 % der Epilepsiepatienten kann durch eine anti-
epileptische Therapie anhaltende Anfallsfreiheit erreicht wer-
den, wobei bei manchen dieser Patienten die Therapie lang-
fristig auch wieder abgesetzt werden kann. Bei den übrigen
35 % entwickelt sich eine schwer behandelbare oder
therapieresistente Epilepsie (Anfälle trotz maximaler Thera-
pie) [10–12]. Die Prognose hängt dabei entscheidend von den
folgenden Faktoren ab:
– Ätiologie: Symptomatische und kryptogene Epilepsien ha-
                                                                                      Abbildung 2: Anfallskontrolle in Abhängigkeit von der Ätiologie. Symptomatische
   ben eine schlechtere Prognose als idiopathische Epilepsien                         und kryptogenetische Epilepsien haben eine schlechtere Prognose als idiopathische
   [13, 14] (Abb. 2).                                                                 Epilepsien. Mod. nach [15].

                                                                                                                 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)           65
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Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien

                                                                                                                   Abbildung 3: Anfallskontrolle
                                                                                                                   in Abhängigkeit von der Art ei-
                                                                                                                   ner strukturellen Läsion. Pati-
                                                                                                                   enten mit Hippokampusatro-
                                                                                                                   phie oder kortikalen Dysplasien
                                                                                                                   leiden zu einem wesentlich hö-
                                                                                                                   heren Prozentsatz an therapie-
                                                                                                                   refraktären Epilepsien als Pati-
                                                                                                                   enten mit anderen strukturellen
                                                                                                                   Läsionen. Mod. nach [16].

– Zahl der Anfälle vor Therapiebeginn: Patienten mit > 10                      tenem Bewusstsein) sowie insbesondere die Außenanamnese
  Anfällen vor Therapiebeginn entwickeln doppelt so häufig                     (diese ist von entscheidender Bedeutung, da zumeist entwe-
  eine therapieresistente Epilepsie wie Patienten mit < 10                     der für die gesamte Dauer des Anfalls oder für Teile davon
  Anfällen vor Therapiebeginn [14, 18].                                        eine Amnesie seitens des Patienten besteht). Auch postiktale
– Kognitive Beeinträchtigungen bei Erkrankungsbeginn                           Symptome sind für die Differenzialdiagnose wichtig (Däm-
  (insbesondere Gedächtnisstörungen) sind mit einer                            merzustand bzw. anhaltende Amnesie, postiktale Verwirrung
  schlechteren Prognose assoziiert [19].                                       bzw. Agitation, Muskelkater, petechiale Blutungen etc.).
– Eine vorbestehende psychiatrische Komorbidität, insbe-                       Zudem sind allfällige auslösende Faktoren (Schlafmangel,
  sondere eine Depression, ist ebenfalls ein ungünstiger                       Fieber, Alkohol, Drogen, Medikamente, Hypoglykämie etc.)
  prognostischer Faktor für die langfristige Anfallskontrolle                  zu erheben. Weitere Eckpunkte der Anamnese beinhalten die
  [18].                                                                        Abklärung möglicher disponierender Faktoren (so genannter
                                                                               präzipitierender Ereignisse) für das Auftreten einer Epilepsie
 Diagnostik (Abb. 4)                                                          (Schwangerschafts- bzw. Geburtskomplikationen, Störung
                                                                               der frühkindlichen Entwicklung, Fieberkrämpfe, Schädel-
Anamnese                                                                       Hirn-Traumen, Meningitiden oder Enzephalitiden) sowie die
Eine sorgfältige Anamnese ist die entscheidende Vorausset-                     Familienanamnese hinsichtlich Anfallserkrankungen. Grund-
zung für eine richtige Diagnose. Letztlich erfolgt die Diagno-                 sätzlich sollte immer nach einer möglichen symptomatischen
se „Epilepsie“ aufgrund der Anamnese. An erster Stelle steht                   Ursache für den Anfall gesucht werden (anhaltende Bewusst-
hier die Anfallsbeschreibung einerseits durch den Patienten                    seinsstörung, anhaltende psychische Auffälligkeiten, fokale
selbst (Prodromi, Aura, motorische Entäußerungen bei erhal-                    neurologische Ausfallserscheinungen, Fieber, Meningismus
                                                                               etc.). In diesem Fall ist eine stationäre Aufnahme erforderlich
                                                                               [1, 2, 9, 20, 21].

                                                                               Allgemeinmedizinische und klinisch-neuro-
                                                                               logische Untersuchung
                                                                               Hier ist nach internistischen und neurologischen Auffäl-
                                                                               ligkeiten zu fahnden.

                                                                               Laborchemische Untersuchungen
                                                                               Nach dem ersten Anfall und vor Einleitung einer anti-
                                                                               epileptischen Therapie sollte eine Laboruntersuchung erfol-
                                                                               gen (Blutbild, Blutchemie inkl. Blutzucker, Elektrolyte, Le-
                                                                               ber- und Nierenparameter, CK [wichtig für die Differenzialdi-
                                                                               agnose!]), eine Prolaktinbestimmung ist hingegen nur in Aus-
                                                                               nahmefällen sinnvoll (beträchtliche inter- und intraindividu-
                                                                               elle Schwankungen, erhöhte Prolaktinwerte findet man auch
                                                                               nach Synkopen und psychogenen nicht-epileptischen Anfäl-
Abbildung 4: Diagnostische Schritte bei Epilepsie: Das EEG zeigt einen Spike   len). In Abhängigkeit von der Anamnese sind gegebenenfalls
rechts temporal, die MRT eine Hippokampusatrophie rechts.                      noch weitere Blutuntersuchungen notwendig [1, 2, 9, 20, 21].

66     J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)
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Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien

Elektroenzephalographie (EEG)                                     doch eine strukturelle Veränderung identifiziert werden kann,
Das EEG ist die einzige Methode, die durch den Nachweis           was die Perspektive in Hinblick auf eine chirurgische Thera-
von so genannten epilepsietypischen Veränderungen („spikes“       pie entscheidend verbessern kann [9].
oder Spitzen) einen direkten Hinweis auf pathologisch entla-
dende Neuronenverbände geben kann und somit für die Epi-           Differenzialdiagnose
lepsie spezifische Information liefert. Das EEG ist somit
einerseits wichtig für die Differenzialdiagnose epileptische      Die diagnostische Unsicherheit bei Epilepsie beträgt ca. 15–
vs. nicht-epileptische Anfälle, andererseits kann das EEG bei     20 %, d. h. bei diesen Patienten wird die Diagnose Epilepsie
einem Patienten mit epileptischen Anfällen bei der Zuord-         fälschlich gestellt. Differenzialdiagnostisch sind hier in erster
nung zu einer bestimmten Epilepsieform helfen. Während            Linie konvulsive Synkopen, psychogene nicht-epileptische
epilepsietypische Veränderungen im ersten EEG nur bei 30–         Anfälle und Parasomnien zu erwähnen.
50 % der Epilepsiepatienten abgeleitet werden können, kann
durch serielle EEGs die Sensitivität auf 80–90 % erhöht wer-       Klassifikation epileptischer Anfälle und
den (90 % der epilepsietypischen Veränderungen können
dabei in den ersten 4 EEGs abgeleitet werden, danach wird
                                                                    Epilepsieklassifikation
die Ausbeute verschwindend gering). Es ist jedoch zu beden-       Eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Epi-
ken, dass sich bei 10 % der Epilepsiepatienten keine epilep-      lepsiebehandlung ist die möglichst genaue Charakterisierung
sietypischen Veränderungen nachweisen lassen: Ein normales        der klinischen Anfallssymptomatologie und die Zuordnung
EEG schließt somit eine Epilepsie nicht aus! Das EEG sollte       zu einer bestimmten Epilepsieform. Hier ist es wichtig, sich
möglichst frühzeitig nach einem Anfall durchgeführt werden,       den Unterschied der Klassifikation nach epileptischen Anfäl-
da die Sensitivität innerhalb der ersten 12–24 Stunden am         len und nach Epilepsien zu vergegenwärtigen. Während epi-
höchsten ist. Bei negativem Wach-EEG sollten ein Schlaf-          leptische Anfälle prinzipiell anhand der klinischen Anfalls-
EEG (epilepsietypische Entladungen treten im Schlaf signifi-      charakteristik (teilweise unter Zuhilfenahme von EEG-Be-
kant häufiger auf als im Wachzustand) und/oder ein Schlaf-        funden) eingeteilt werden, gehen in die Diagnose einer Epi-
entzugs-EEG (z. B. bei Verdacht auf juvenile myoklonische         lepsie bzw. eines Epilepsiesyndroms neben der Art der Anfäl-
Epilepsie) durchgeführt werden. Das EEG besitzt eine hohe         le auch die Anamnese, der EEG-Befund, das Ergebnis der
Spezifität – 90 % der Patienten mit epilepsietypischen Verän-     bildgebenden Verfahren (MRT) und die Ätiologie des An-
derungen im EEG leiden auch tatsächlich an einer Epilepsie.       fallsleidens ein [1, 2].

In differenzialdiagnostisch unklaren Fällen sollte zur Diagno-    Bei den epileptischen Anfällen kann man grundsätzlich unter-
sesicherung die Aufzeichnung eines Anfalls und des korrespon-     scheiden zwischen fokalen Anfällen, die von einer umschrie-
dierenden EEGs mittels intensivem Video-EEG-Monitoring            benen Hirnregion ausgehen, und generalisierten Anfällen, die
unter stationären Bedingungen angestrebt werden. Im Vorfeld       primär beide Hirnhälften erfassen [28]. Grundsätzlich sollten
können hier Videoaufzeichnungen mit privaten Videokameras         die Anfallssymptome möglichst genau beschrieben werden,
oder Mobiltelefonen hilfreich sein, sie sind für die endgültige   da sich daraus wichtige diagnostische Hinweise ergeben.
Diagnostik jedoch zumeist nicht ausreichend [9, 22–25].           Durch die Ausbreitung epileptischer Entladungen ist auch ein
                                                                  Übergang von einem fokalen Anfall in einen (sekundär) gene-
Strukturelle Bildgebung                                           ralisierten tonisch-klonischen Anfall möglich. Im letzteren
Die Methode der Wahl ist hier die Magnetresonanztomo-             Fall ist die initiale fokale Phase dem Patienten zumeist nicht
graphie (MRT). Eine kraniale Computertomographie (CCT)            mehr erinnerlich, sodass das Symptom generalisierter to-
kann in der Akutsituation zum Ausschluss von akut bedrohli-       nisch-klonischer Anfall („Grand-mal-Anfall“) sowohl einem
chen Erkrankungen (Blutungen, Ischämien oder Raumfor-             sekundär generalisierten Anfall im Rahmen einer fokalen
derungen) durchgeführt werden, jedenfalls ist dann im Inter-      Epilepsie als auch einem primär generalisierten Anfall bei ei-
vall ergänzend eine MRT anzuschließen. Die Sensitivität der       ner generalisierten Epilepsie entsprechen kann und somit kei-
MRT für den Nachweis struktureller Läsionen (Tumoren, Ge-         ne definitive Zuordnung erlaubt.
fäßmalformationen, Hippokampusatrophien bzw. -sklerosen,
kortikale Dysplasien; Abb. 5) ist wesentlich höher als jene der   In die Klassifikation der Epilepsien bzw. der Epilepsie-
CCT. Eine CCT als alleinige Methode zur strukturellen Ab-         syndrome fließen die folgenden 3 Kriterien ein:
klärung ist somit nicht ausreichend! Die MRT-Untersuchung         1. Fokale vs. generalisierte Epilepsien,
hat nach einem speziellen Epilepsieprotokoll zu erfolgen, da      2. Ätiologie (idiopathische [genetische] vs. symptomatische
bei vielen Patienten mit unauffälligem Befund aus einer              vs. kryptogene [unbekannte Ursache] Epilepsien) und
routinemäßig durchgeführten Magnetresonanztomographie             3. Alter zu Beginn der Erkrankung [29].
erst bei entsprechend gezielter Untersuchung strukturelle Ver-
änderungen nachgewiesen werden können [26]. Von der               Grundsätzlich leiden ca. 2/3 der Patienten an fokalen Epilep-
„Österreichischen Sektion der Internationalen Liga gegen          sien und 1/3 an generalisierten Epilepsien. 60 % der Patienten
Epilepsie“ und der „Deutschen Gesellschaft für Neurologie“        mit einer fokalen Epilepsie leiden wiederum an einer
wurden deshalb Richtlinien für ein standardisiertes MRT-Pro-      Temporallappenepilepsie, die somit die häufigste Epilepsie-
tokoll bei Epilepsiepatienten publiziert [9, 27]. Bei therapie-   form darstellt.
resistenter Epilepsie mit unauffälliger MRT sollte die MRT in
mehrjährigen Abständen wiederholt werden, da durch die lau-       Kürzlich wurde durch die „Internationale Liga gegen Epilep-
fende Verbesserung der Technologie dann unter Umständen           sie“ eine neue Klassifikation von epileptischen Anfällen und

                                                                                       J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)   67
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien

Epilepsien vorgestellt [30], die auch bereits in einer deutschen   sen. Bei der Ätiologie wird nunmehr zwischen den folgenden
Übersetzung verfügbar ist (Tab. 1, 2) [31].                        Kategorien unterschieden:
                                                                   1. Genetisch (Epilepsien mit bekanntem Gendefekt oder Evi-
Klassifikation epileptischer Anfälle                                  denz für eine zentrale Bedeutung einer genetischen Kom-
In der Klassifikation der epileptischen Anfälle werden                ponente)
weiterhin generalisierte und fokale Anfälle unterschieden:         2. Strukturell/metabolisch (z. B. Schlaganfall, Trauma, Infek-
Während generalisierte Anfälle ihren Ausgang von bilateral            tion)
verteilten Netzwerken nehmen, entstehen fokale Anfälle in          3. Unbekannte Ursache (die Art der zugrunde liegenden Ur-
Netzwerken, die auf eine Hemisphäre beschränkt sind (ent-             sache konnte bislang nicht aufgeklärt werden).
weder umschrieben oder ausgedehnt). Neonatale Anfälle als
eigene Entität wurden gestrichen, da sie entsprechend der vor-     Die Klassifikation der Epilepsien erfolgt in:
liegenden Klassifikation ausreichend charakterisiert werden        1. elektroklinische Syndrome (klinische Entitäten, die durch
können. Epileptische Spasmen, deren Zuordnung zu generali-            Cluster elektroklinischer Merkmale verlässlich identifi-
sierten und fokalen Anfällen unklar ist, wurden als eigene            ziert werden können),
Gruppe in die Klassifikation aufgenommen. Die Klassifikati-        2. unverwechselbare Konstellationen (Krankheitsentitäten,
on der generalisierten Anfälle wurde überarbeitet: Die Sub-           die auf der Basis spezifischer Läsionen oder anderer Ursa-
klassifikation der Absencen wurde vereinfacht, myoklonisch-           chen klinisch unterscheidbare Konstellationen darstellen),
atonische Anfälle wurden neu als Kategorie aufgenommen.            3. strukturelle/metabolische Epilepsien (Epilepsien aufgrund
Bei den fokalen Anfällen erfolgt keine weitere Unterteilung,          spezifischer struktureller oder metabolischer Läsionen
insbesondere die Unterscheidung von fokalen Anfällen mit              oder Zustände; bisher wurden viele dieser Epilepsien als
einfacher und komplexer Symptomatik abhängig vom Auftre-              symptomatische fokale Epilepsien zusammengefasst; es
ten einer Bewusstseinsstörung wurde fallengelassen. Die An-           wird explizit empfohlen, weniger Gewicht auf die Lokali-
fälle sollten vielmehr entsprechend ihrem klinischen Erschei-         sation als auf die zugrunde liegenden strukturellen und
nungsbild beschrieben werden, wobei hier das Glossar der              metabolischen Ursachen zu legen) und
iktalen Semiologie zuhilfe genommen werden kann [32].              4. Epilepsien unbekannter Ursache (entsprechend den früher
                                                                      als kryptogen bezeichneten Epilepsien).
Epilepsieklassifikation
In der Klassifikation der Epilepsien wurde die Unterschei-         Zudem können in die Klassifikation eines Epilepsiesyndroms
dung von fokalen und generalisierten Epilepsien fallen gelas-      (und jedes individuellen Patienten) auch andere Merkmale

             Hippokampusatrophie                                               Fokale kortikale Dysplasie

                      Hirntumoren                                                Gefäßmissbildungen

Abbildung 5: Strukturelle Befunde bei symptomatischen Epilepsien

68     J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien

                                                                      Erkrankungen hinweggetäuscht wird. Stattdessen wird der
 Tabelle 1: Neue Klassifikation von epileptischen Anfällen*.
 Nach [30, 31].                                                       beschreibende Ausdruck „selbstlimitierend“ für die hohe
                                                                      Wahrscheinlichkeit einer spontanen Remission in einem be-
 Generalisierte Anfälle                                               stimmten Alter vorgeschlagen. Bei den bisher als idiopathisch
 Tonisch-klonisch (in jeder Kombination)                              bezeichneten Syndromen neigen die meisten Patienten dazu,
 Absence                                                              auf Medikamente anzusprechen, sodass diese als „pharma-
      Typisch                                                         koresponsiv“ bezeichnet werden könnten.
      Atypisch
      Mit speziellen Merkmalen                                        Festzuhalten bleibt, dass diese Klassifikation noch Gegen-
           Myoklonische Absence                                       stand intensiver Diskussion ist und derzeit noch keinen Ein-
           Lidmyoklonien                                              gang in die klinische Praxis gefunden hat [33–39].
 Myoklonisch
      Myoklonisch                                                      Behandlungsziele
      Myoklonisch-atonisch
      Myoklonisch-tonisch                                             In den vergangenen Jahren wurde zunehmend erkannt, dass
 Klonisch                                                             eine optimale Epilepsiebehandlung über die bloße Anfalls-
 Tonisch                                                              kontrolle hinausgeht. Die anderen, zumeist ebenso wichtigen
 Atonisch                                                             Behandlungsziele können wie folgt zusammengefasst wer-
                                                                      den: Gute Verträglichkeit der medikamentösen Therapie, Ver-
 Fokale Anfälle
                                                                      meidung von chronischen Nebenwirkungen der antiepi-
 Unbekannt                                                            leptischen Therapie, einfache Handhabung der Medikation
      Epileptische Spasmen
                                                                      für Patient und Arzt, günstige Beeinflussung von mit der Epi-
                                                                      lepsie häufig assoziierten Begleiterkrankungen (insbesondere
 *Ein Anfall, der nicht ohne Weiteres in eine der vorgestellten Ka-   psychiatrische Erkrankungen und neuropsychologische Stö-
 tegorien eingeordnet werden kann, sollte als „nicht klassifiziert“
 betrachtet werden, bis weitere Informationen seine genaue Diag-
                                                                      rungen) sowie Berücksichtigung der Bedürfnisse spezieller
 nose erlauben. Dies wird jedoch nicht als eine Klassifikations-      Patientengruppen (Kinder, Frauen im gebärfähigen Alter, äl-
 kategorie aufgefasst.                                                tere Patienten, retardierte Patienten) (Tab. 3) [21].

eingehen, die oft routinemäßiger Bestandteil der Abklärung            Optimale Anfallskontrolle
sind. Diese beinhalten die kognitive und entwicklungs-                Die optimale Anfallskontrolle ist sicherlich das wichtigste
bezogene Vorgeschichte und deren entsprechende Folgen, die            Ziel der Epilepsiebehandlung und bedeutet Anfallsfreiheit. So
Ergebnisse der neurologischen, neuropsychologischen und               bestehen bei anfallsfreien Patienten keine wesentliche Ein-
psychiatrischen Untersuchung, detaillierte Merkmale des               schränkung der Lebensqualität und eine der Allgemein-
iktalen und interiktalen EEGs, strukturelle Bildgebungs-              bevölkerung vergleichbare Beschäftigungsrate [40]. Anfalls-
befunde, provozierende oder Triggerfaktoren, zeitliche Mus-           freiheit muss deshalb bereits am Beginn der Behandlung kon-
ter des Auftretens von Anfällen in Bezug auf den Schlaf, das          sequent angestrebt werden, einer Bagatellisierung von so ge-
Manifestationsalter, die Assoziation mit spezifischen Fehl-           nannten „seltenen, lediglich leichten oder nächtlichen“ Anfäl-
bildungstypen der kortikalen Entwicklung sowie spezifische            len seitens des Patienten oder des Arztes ist deshalb entschie-
Ursachen, wie z. B. Ionenkanalkrankheiten, wobei innerhalb            den entgegenzutreten. Kann innerhalb von 3 Monaten keine
dieser Kategorie nach spezifischen Ionenkanalgenen klassifi-          Anfallsfreiheit erreicht werden, ist der Patient an eine
ziert werden könnte, wie es z. B. für das lange QT-Syndrom            Spezialambulanz zu überweisen [21].
erfolgt ist.
                                                                      Gute Verträglichkeit der medikamentösen
Natürlicher Verlauf bzw. natürliche                                   Therapie
Entwicklung                                                           Die gute Verträglichkeit der medikamentösen Therapie be-
Der natürliche Verlauf bzw. die natürliche Entwicklung der            deutet die Beseitigung oder Minimierung von Nebenwirkun-
Erkrankung erhält in der neuen Klassifikation einen zentralen         gen. Die Verträglichkeit der antiepileptischen Medikation ist
Stellenwert. Insbesondere wird das Konzept der „epilepti-             von entscheidender Bedeutung für die Lebensqualität von
schen Enzephalopathie“ wieder eingeführt. Darunter werden             Epilepsiepatienten. In einer europäischen Befragung von
kognitive und Verhaltensstörungen als Folgen epileptischer            > 5000 Epilepsiepatienten berichteten 88 % der Patienten
Aktivität verstanden, unabhängig davon bzw. zusätzlich zu             über zumindest eine Nebenwirkung der medikamentösen
dem, was man schon alleine wegen der zugrunde liegenden               Therapie, bei 1/3 musste die Medikation wegen Nebenwirkun-
Pathologie (z. B. kortikale Malformation) erwarten würde.             gen im vergangenen Jahr geändert werden. Die Häufigkeit
Dies beinhaltet auch die Vorstellung, dass eine Unterbindung          von medikamentösen Nebenwirkungen wird durch die behan-
der epileptischen Aktivität zu einer Verbesserung der Kogniti-        delnden Ärzte zumeist beträchtlich unterschätzt. Insbe-
on und des Verhaltens führen kann. Die Bezeichnung „kata-             sondere bei Patienten mit chronischen, schwer behandelbaren
strophal“ sollte aufgrund der damit verbundenen starken               Epilepsien kann auch mit umfangreichen medikamentösen
emotionalen Untertöne nicht mehr verwendet werden.                    Therapieversuchen nur selten Anfallsfreiheit erreicht werden.
Ebenso wird der Begriff „benigne“ nicht mehr empfohlen, da            Deshalb muss in dieser Situation das Behandlungsziel der An-
damit über eine Vielzahl von zerebralen Störungen ein-                fallsfreiheit modifiziert werden. Bei diesen (nicht-anfalls-
schließlich kognitiver, verhaltensmäßiger und psychiatrischer         freien) Patienten wird die Lebensqualität nämlich nicht durch

                                                                                          J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)   69
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien

 Tabelle 2: Neue Klassifikation elektroklinischer Syndrome und anderer Epilepsien. Nach [30, 31].
 Elektroklinische Syndrome nach Manifestationsalter geordnet*

 Neugeborenenzeit                                                      Autosomal-dominante fokale Epilepsie mit akustischen Merk-
 Benigne familiäre neonatale Epilepsie (BFNE)                          malen (ADFEAM)
 Frühe myoklonische Enzephalopathie (FME)                              Andere familiäre Temporallappenepilepsien
 Ohtahara-Syndrom (OS)                                                 Weniger spezifische Altersbeziehung
 Säuglingsalter                                                        Familiäre fokale Epilepsie mit variablen Foci (Kindheit bis
                                                                       Erwachsenenalter)
 Epilepsie der frühen Kindheit mit migratorischen fokalen An-
 fällen                                                                Reflexepilepsien
 West-Syndrom (WS)
                                                                       Unverwechselbare Konstellationen
 Myoklonische Epilepsie der frühen Kindheit (MEI)
 Benigne frühkindliche Epilepsie (BFE)                                 Mesiale Temporallappenepilepsie mit Hippokampussklerose
                                                                       (MTLE mit HS)
 Benigne familiäre frühkindliche Epilepsie (BFFE)
                                                                       Rasmussen-Syndrom
 Dravet-Syndrom (DS)
                                                                       Gelastische Anfälle bei hypothalamischen Hamartomen
 Myoklonische Enzephalopathie bei nicht-progredienten
 Störungen                                                             Hemikonvulsions-Hemiplegie-Epilepsie (-Syndrom)
                                                                       Epilepsien, die nicht in diese diagnostischen Kategorien passen,
 Kindheit                                                              können zunächst auf der Basis des Vorhandenseins oder Fehlens
 Fiebergebundene Anfälle plus (FA+; „Fieberkrämpfe“ plus;              einer bekannten strukturellen oder metabolischen Störung (ver-
 können im Kleinkindalter beginnen)                                    mutliche Ursache) und dann auf der Basis des primären Anfalls-
 Panayiotopoulos-Syndrom                                               beginns (generalisiert vs. fokal) unterschieden werden.
 Epilepsie mit myoklonisch-atonischen (früher astatischen)
                                                                       Epilepsien aufgrund von und eingeteilt nach strukturell-
 Anfällen
                                                                       metabolischen Ursachen
 Benigne Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes (BEZTS;
 Rolando-Epilepsie)                                                    Malformationen der kortikalen Entwicklung (Hemimegalenze-
                                                                       phalie, Heterotopien etc.)
 Autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie
 (ADNFLE)                                                              Neurokutane Syndrome (Tuberöse-Sklerose-Komplex, Sturge-
                                                                       Weber- Syndrom etc.)
 Spät beginnende kindliche Okzipitallappenepilepsie (Gastaut-
 Typ)                                                                  Tumoren
 Epilepsie mit myoklonischen Absencen                                  Infektionen
 Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS)                                          Traumen
 Epileptische Enzephalopathie mit kontinuierlichen Spike-und-          Angiome
 Wave-Entladungen im Schlaf (CSWS)**                                   Perinatale Insulte
 Landau-Kleffner-Syndrom (LKS)                                         Schlaganfälle
 Kindliche Absencenepilepsie (KAE)                                     etc.
 Adoleszenz bis Erwachsenenalter
                                                                       Epilepsien unbekannter Ursache
 Juvenile Absenzenepilepsie (JAE)
 Juvenile myoklonische Epilepsie (JME)                                 Zustände mit epileptischen Anfällen, die traditionell nicht
                                                                       als eine Form der Epilepsie per se betrachtet werden
 Epilepsie mit ausschließlichen generalisierten tonisch-klonischen
 Anfällen                                                              Benigne neonatale Anfälle (BNA)
 Progressive Myoklonusepilepsien (PME)                                 Fiebergebundene Anfälle (FA, „Fieberkrämpfe“)

 *Diese Einordnung erfolgt ohne Bezug zur Ätiologie.
 **Diese Epilepsieform wird manchmal auch als Epilepsie mit Status epileptici im Schlaf (ESES) bezeichnet.

die Anfallsfrequenz, sondern durch das Ausmaß der Neben-             forderlich sein, diese Medikamente sind aber nicht grundsätz-
wirkungen determiniert. Allfällige Nebenwirkungen sollten            lich kontraindiziert. Lediglich Valproinsäure sollte aufgrund
deshalb systematisch – am besten mit einem strukturierten            von möglichen Ammoniakerhöhungen vermieden werden.
Fragebogen – erfasst werden. Durch eine Anpassung der me-            Viele Antiepileptika führen zu einer asymptomatischen Erhö-
dikamentösen Therapie (z. B. Dosisreduktion oder Medika-
mentenwechsel) gelingt oft eine Beseitigung oder Minimie-
                                                                       Tabelle 3: Behandlungsziele in der Epilepsietherapie
rung der Nebenwirkungen ohne wesentliche Verschlech-
terung der Anfallskontrolle – „Weniger ist manchmal mehr“              – Optimale Anfallskontrolle = Anfallsfreiheit
[41]. Hier sei daraufhin gewiesen, dass Patienten auch bei so          – Gute Verträglichkeit der medikamentösen Therapie
genannten „niedrigen Dosierungen“ oder Serumkonzen-                    – Vermeidung von chronischen Nebenwirkungen
trationen im so genannten „Referenzbereich“ unter Neben-               – Einfache Handhabung der Medikation für Patient und Arzt
wirkungen leiden können, auf die reagiert werden muss.                 – Günstige Beeinflussung von mit der Epilepsie häufig assoziier-
                                                                         ten Begleiterkrankungen (insbesondere psychiatrische Erkran-
                                                                         kungen, neuropsychologische Störungen und Schlaf-
Vermeidung von chronischen Nebenwirkungen                                störungen)
der antiepileptischen Therapie                                         – Berücksichtigung der Bedürfnisse spezieller Patientengruppen
Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen können bei                     (Kinder, Frauen im gebärfähigen Alter, ältere Patienten, retar-
                                                                         dierte Patienten)
hepatal metabolisierten Medikamenten Dosisanpassungen er-

70   J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien

hung von Leberfunktionsparametern (insbesondere von GGT,         Einfache Handhabung der Medikation für Arzt
seltener von GOT und GPT). Stabile Erhöhungen der Trans-         und Patient
aminasen um das 2–3-Fache des oberen Grenzwerts können           Hier ist auf ein einfaches Dosierungsschema zu achten (die 2×
dabei toleriert werden, erschweren aber das Monitoring einer     tägliche Medikamentengabe ist zumeist ausreichend).
begleitenden Lebererkrankung [42]. Eine positive Anamnese        Antiepileptika mit fehlendem oder geringem Interaktions-
für Nierensteine stellt eine relative Kontraindikation für die   potenzial sind gegenüber enzyminduzierenden Antiepileptika
Verwendung von Topiramat und Zonisamid dar, da diese Sub-        (Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital und Primidon), die
stanzen die Bildung von Nierensteinen begünstigen [43].          den Abbau von oralen Antikoagulantien, Kortikosteroiden,
Carbamazepin und Oxcarbazepin können zu Hyponatriämien           Antihypertensiva, Antiarrhythmika und Lipidsenkern in der
führen und sollten deshalb bei bereits bestehender               Leber signifikant beschleunigen können, zu bevorzugen. Bei
Hyponatriämie oder bei bestehenden Risikofaktoren für            Lebererkrankungen sollten generell Antiepileptika mit feh-
Hyponatriämien vermieden werden (z. B. höheres Lebensal-         lender hepataler Metabolisierung verwendet werden. Bei Ein-
ter, Anamnese mit exzessiver Wasseraufnahme, Einschrän-          schränkungen der Nierenfunktion muss bei vorwiegend renal
kung der Nierenfunktion, Einnahme von andere Medikamen-          eliminierten Antiepileptika (Gabapentin, Levetiracetam und
ten, die eine Hyponatriämie induzieren können) [44].             Pregabalin) eine Dosisanpassung gemäß der Kreatinin-
Carbamazepin kann zu atrioventrikulären Blockierungen füh-       Clearance erfolgen [52].
ren und ein Sick-Sinus-Syndrom verschlechtern [42]. Diese
Nebenwirkung konnte allerdings in einer rezenten kontrol-        Günstige Beeinflussung von mit der Epilepsie
lierten Studie nicht bestätigt werden [45]. Zudem kann           häufig assoziierten Begleiterkrankungen
Carbamazepin eine Leukopenie verursachen und sollte des-
halb bei Patienten mit hämatologischen Erkrankungen ver-         Psychiatrische Erkrankungen
mieden werden [42]. Valproinsäure verursacht eine dosisab-       Psychiatrische Erkrankungen treten bei Epilepsiepatienten si-
hängige Thrombozytopenie bei bis zu 17 % der Patienten und       gnifikant häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung, aber
sollte deshalb bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko         auch als bei anderen chronischen Erkrankungen.
nicht eingesetzt werden [46].                                    Depression
                                                                 Die Depression stellt die häufigste psychiatrische Begleit-
Patienten mit Epilepsie leiden im Vergleich zur Allgemein-       erkrankung bei Epilepsie dar. Die Häufigkeit von Depressio-
bevölkerung signifikant häufiger an Osteoporose. So haben        nen korreliert mit der Anfallskontrolle: Sie liegt zwischen 3
nur 39 % der Epilepsiepatienten > 55 Jahre eine normale          und 9 % bei gut kontrollierter Epilepsie, jedoch zwischen 20
Knochenmineraldichte („bone mineral density“ [BMD]), bei         und 55 % bei Patienten mit schwer behandelbaren Epilepsien
35 % besteht eine Osteopenie und bei 26 % eine Osteoporose.      [53]. Zudem besteht bei Epilepsiepatienten eine im Vergleich
Die Vergleichswerte in der Allgemeinpopulation liegen bei        zur Allgemeinbevölkerung 10-fach erhöhte Suizidrate [54,
84 % für eine normale BMD, bei 15 % für eine Osteopenie          55]. Umgekehrt ist bei Patienten mit neu diagnostizierten
und bei 1 % für eine Osteoporose [47]. Folgende Mechanis-        Epilepsien anamnestisch signifikant häufiger eine Depression
men werden für diese antiepileptikainduzierte Osteopathie        zu erheben als in einem Vergleichskollektiv [56, 57]. Diese
verantwortlich gemacht:                                          bidirektionale Beziehung zwischen Epilepsie und Depression
                                                                 kann durch gemeinsame Pathomechanismen beider Erkran-
1. Störungen des Vitamin-D-Stoffwechsels (gesteigerter Ab-       kungen erklärt werden [58]. Obwohl das Vorliegen und der
   bau von Vitamin D in der Leber durch eine über Antiepi-       Schweregrad einer Depression die wichtigsten Prädiktoren
   leptika vermittelte Enzyminduktion)                           für die Lebensqualität bei Epilepsiepatienten darstellen [59–
2. Störung der intestinalen Kalziumresorption                    61], werden Depressionen bei Epilepsiepatienten unterdiag-
3. Störungen der renalen tubulären Funktion mit Verlust von      nostiziert und -behandelt [62]. Eine psychopharmakologische
   Kalzium und Phosphor                                          Behandlung sollte bei Vorliegen einer Begleitdepression des-
4. Störung des Sexualhormon-Stoffwechsels mit Erhöhung           halb unverzüglich initiiert werden, das epileptogene Potenzial
   des sexualhormonbindenden Globulins und konsekutivem          von Antidepressiva stellt dabei ein vernachlässigbares Risiko
   Östrogenmangel                                                dar [53, 63].
5. Störung des Knochenumbaus durch Osteoklastenstimu-
   lation und Aktivitätsminderung von Osteoblasten               Psychotische Störungen
                                                                 Die Prävalenz psychotischer Störungen bei Epilepsie-
Zur Prophylaxe der antiepileptikainduzierten Osteopathie         patienten liegt zwischen 2 und 8 %, wobei so genannte episo-
werden u. a. die folgenden Maßnahmen empfohlen: Körperli-        dische Psychosen (iktale, postiktale und Alternativpsy-
che Aktivität und Koordinationsübungen, kalziumreiche Kost       chosen), die in einem zeitlichen Bezug zum Anfallsgeschehen
und Vitamin-D-Substitution, ausgewogene Sonnenexposition         stehen, und chronische Psychosen (interiktale Psychosen)
und knochenbewusste Lebensweise (Rauchen einstellen,             ohne zeitlichen Bezug zu den Anfällen unterschieden werden
Alkoholkonsum reduzieren) [47–50].                               können [64–66].

Schließlich können durch Antiepileptika verursachte Ge-          Angststörungen
wichtsveränderungen oft ein gravierendes Problem in der          Die Prävalenz von Angststörungen bei Epilepsiepatienten
Therapieführung darstellen (Gewichtszunahme unter Val-           liegt zwischen 15 und 25 % [67, 68]. Man kann zwischen
proinsäure, Gabapentin und Pregabalin; Gewichtsabnahme           präiktaler, iktaler, postiktaler und interiktaler Angst unter-
unter Topiramat, Zonisamid und Felbamat) [51].                   scheiden [69–71].

                                                                                     J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)   71
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien

Neuropsychologische Beeinträchtigungen                            Von den klassischen Antiepileptika zeigen Carbamazepin,
Neuropsychologische Beeinträchtigungen, u. a. in den Berei-       Phenytoin und Valproinsäure geringe und vergleichbare kog-
chen Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit und Sprache, wer-        nitive Nebenwirkungen in den Bereichen psychomotorische
den von nahezu der Hälfte der Patienten berichtet und im          Geschwindigkeit, Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis.
Wesentlichen durch die 3 folgenden Faktoren verursacht und        Das kognitive Nebenwirkungsprofil von Phenobarbital ist et-
beeinflusst [72–79]:                                              was ungünstiger [80, 81].

1. Morphologische Faktoren: Hier sind die Effekte von um-         Von den neuen Antiepileptika haben insbesondere Lamo-
   schriebenen strukturellen Läsionen (so genannte                trigin, Levetiracetam, Gabapentin und Pregabalin ein günsti-
   epileptogene Läsion, d. h. die strukturelle Läsion, die für    ges kognitives Nebenwirkungsprofil und verursachen weni-
   die Anfallserkrankung ursächlich verantwortlich ist), von      ger kognitive Nebenwirkungen als die klassischen Anti-
   diffusen Hirnschädigungen und schließlich von epilepsie-       epileptika [82]. Topiramat hat von den neuen Antiepileptika
   chirurgischen Eingriffen zu unterscheiden. Das neuro-          das größte Risiko für kognitive Nebenwirkungen, wobei es
   psychologische Beeinträchtigungsprofil wird dabei so-          hier auch zu spezifischen Funktionsstörungen mit negativen
   wohl durch die Lokalisation als auch die Art der epi-          Auswirkungen auf die Sprachfunktionen (z. B. Wortflüssig-
   leptogenen Läsion (stationäre versus progressive Läsion)       keit) kommen kann [83, 84]. Dieses Risiko kann durch eine
   beeinflusst. Zudem können umschriebene Läsionen auch           langsame Titration und eine niedrige Dosierung signifikant
   zu funktionellen Beeinträchtigungen in von der Läsion ent-     vermindert werden. Auch für Zonisamid wurden negative ko-
   fernten Hirnregionen führen (z. B. frontale und laterale       gnitive Effekte beschrieben [85].
   temporale Funktionsstörungen bei Patienten mit mesialer
   Temporallappenepilepsie), was durch eine Störung von           Schlafstörungen
   funktionellen Netzwerken erklärt werden kann. Diffuse          Schlafstörungen treten bei Epilepsiepatienten signifikant häu-
   Hirnschädigungen können häufig zu Epilepsien und neuro-        figer auf als in der Allgemeinbevölkerung. Insbesondere
   psychologischen Störungen führen. Schließlich müssen           nächtliche Anfälle führen zu Schlafstörungen und einem ge-
   noch die neuropsychologischen Effekte von epilepsie-           störten Schlafprofil. Diese Schlafstörungen führen wiederum
   chirurgischen Eingriffen erwähnt werden, wobei ins-            zu einer signifikanten Beeinträchtigung der physischen und
   besondere auf postoperative Gedächtnis- und Sprach-            psychischen Lebensqualität [86].
   beeinträchtigungen verwiesen sei.
2. Klinische und demographische Faktoren: Hier sind das Al-       Berücksichtigung der Bedürfnisse spezieller
   ter zu Erkrankungsbeginn, die Erkrankungsdauer, die An-        Patientengruppen
   fallsfrequenz und -schwere und das Geschlecht zu erwäh-        Hier sind die speziellen Bedürfnisse von Kindern, Frauen im
   nen. Ein früher Erkrankungsbeginn, eine lange Epilepsie-       gebärfähigen Alter, älteren und retardierten Patienten (z. B.
   dauer, häufige, generalisierte tonisch-klonische Anfälle so-   paradoxe Nebenwirkungen, eingeschränkte Möglichkeit der
   wie rezidivierende Status epileptici sind dabei Risiko-        Patienten, allfällige Nebenwirkungen zu kommunizieren) zu
   faktoren für kognitive Beeinträchtigungen.                     berücksichtigen.
3. Funktionelle Faktoren: Dabei sind die Effekte der anti-
   epileptischen Medikation, einer allfälligen psychiatrischen    Zusammenfassend sollte somit eine möglichst individuali-
   Komorbidität sowie von Anfällen und interiktalen               sierte Pharmakotherapie erfolgen, die auf die Bedürfnisse des
   epileptiformen Entladungen zu nennen.                          jeweiligen Patienten abgestimmt wird – „individuelle Medi-
                                                                  kamente für individuelle Patienten“.
Bereits Patienten mit neu diagnostizierten Epilepsien ohne
Therapie, bei denen ein Medikamenteneffekt somit ausge-            Behandlungsstrategien (Abb. 6)
schlossen werden kann, zeigen im Vergleich zur Allgemein-
bevölkerung kognitive Einschränkungen [78]. Das Vor-              Initiale Monotherapie
handensein von kognitiven Beeinträchtigungen ist auch einer       Generell sollte aus mehreren Gründen (Effektivität, klare Be-
der wichtigsten prognostischen Faktoren für die zu erwarten-      urteilung von Effektivität und Nebenwirkungen, bessere Ver-
de Anfallskontrolle [19].                                         träglichkeit, Verminderung des teratogenen Potenzials, keine
                                                                  pharmakokinetischen und/oder -dynamischen Interaktionen,
Antiepileptika, die über eine Verminderung der bei der Epi-       bessere Compliance, geringere Kosten) zunächst immer eine
lepsie abnorm gesteigerten Exzitation wirken, können des-         Monotherapie mit dem für die jeweilige Epilepsieform am
halb auch zu einer Beeinträchtigung von physiologischen           besten geeigneten Medikament durchgeführt werden (initiale
Hirnfunktionen mit entsprechenden kognitiven Nebenwir-            Monotherapie) [1, 21]. Vor Beginn einer Pharmakotherapie
kungen führen. Die negativen kognitiven Effekte der               kommt der möglichst genauen Eingrenzung der Epilepsie-
Antiepileptika sind dabei im Allgemeinen wesentlich gerin-        form entscheidende Bedeutung zu. Hier ist insbesondere die
ger als die kognitiven Beeinträchtigungen im Rahmen der           Unterscheidung zwischen fokalen und generalisierten Epi-
Epilepsieerkrankung, können allerdings für die Patienten eine     lepsien wichtig. Bei den meisten Patienten kann bereits mit
zusätzliche kognitive Einschränkung bedeuten. Zumeist sind        einer relativ niedrigen Dosis das Therapieziel, nämlich An-
globale Funktionen, wie mentale und psychomotorische Ge-          fallsfreiheit ohne Nebenwirkungen, erreicht werden, weshalb
schwindigkeit, sowie Aufmerksamkeitsfunktionen betroffen.         die grundsätzliche Strategie als „start low, go slow“ zusam-
Generell erhöhen eine Polytherapie und hohe Dosen das Risi-       mengefasst werden kann [15, 87]. Zirka 40–50 % der Patien-
ko für kognitive Nebenwirkungen [80].                             ten werden und bleiben unter einer initialen Monotherapie

72   J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien

anfallsfrei [10]. Deshalb kommt insbesondere der Wahl des
ersten Medikaments entscheidende Bedeutung zu, da bei be-
stehender Anfallsfreiheit eine Therapieumstellung immer
schwer zu argumentieren ist.

Initiale Therapie fokaler Epilepsien im Erwachsenenalter
Für die initiale Therapie von fokalen Epilepsien im Er-
wachsenenalter sind mittlerweile (in alphabetischer Reihen-
folge) Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Levetirace-
tam, Oxcarbazepin, Phenytoin, Topiramat und Valproinsäure
zugelassen. In den Zulassungsstudien konnte kein signifikan-
ter Unterschied in der antiepileptischen Wirksamkeit zwi-
schen den neuen Antiepileptika und der jeweiligen Referenz-
substanz (zumeist Carbamazepin) gefunden werden (mit Aus-
nahme von Gabapentin, das weniger wirksam war). Hinsicht-
lich der Nebenwirkungsrate waren die neuen Antiepileptika
in den meisten Fällen besser verträglich als die Referenz-
substanz. Die kombinierte Studien-Abbruchrate aufgrund
von mangelnder Wirksamkeit und nicht-tolerierbaren Neben-        Abbildung 6: Behandlungsstrategien
wirkungen war also für die neuen Antiepileptika geringer,
was einer höheren Effektivität entsprach (Effektivität = Wirk-
                                                                  Tabelle 4: Gründe für unbefriedigende Anfallskontrolle
samkeit und Verträglichkeit) [88]. In einer großen, offenen,
randomisierten kontrollierten Studie wurden die Wirksamkeit       – Schwer behandelbare Epilepsie
und Verträglichkeit von Carbamazepin, Gabapentin, Lamo-           – Patient hat keine Epilepsie oder leidet neben epileptischen
trigin, Oxcarbazepin und Topiramat in der Behandlung foka-          auch an nicht-epileptischen psychogenen Anfällen
ler Epilepsien verglichen. Ziel der Studie war es, das Vorge-     – Falsche Klassifikation des Anfallsleidens
hen in der klinischen Praxis möglichst realistisch nachzu-        – Unzureichende Dosierung der Medikamente
                                                                  – Fehler bei der Kombination von mehreren Antiepileptika
vollziehen. Für die eine primäre Zielvariable, die Zeit bis
                                                                  – Mangelnde Compliance
zum Behandlungsabbruch (= Effektivität), war Lamotrigin si-
gnifikant besser als Carbamazepin, Gabapentin und To-
piramat, im Vergleich zu Oxcarbazepin ergab sich ein nicht-      sches Ovarsyndrom, teratogenes Potenzial, negative Auswir-
signifikanter Vorteil. Bei der anderen primären Zielvariable –   kungen auf die kognitive Entwicklung von Kindern, die wäh-
Zeit bis zu einer 12-monatigen Remission – war Carba-            rend der Schwangerschaft gegenüber Valproinsäure exponiert
mazepin signifikant wirksamer als Gabapentin und zeigte ei-      wurden) relativiert, sodass Valproinsäure insbesondere bei
nen nicht-signifikanten Vorteil gegenüber Lamotrigin, Topi-      Frauen im gebärfähigen Alter zurückhaltend eingesetzt wer-
ramat und Oxcarbazepin. Bei gleicher Effektivität war            den sollte.
Topiramat wirksamer als Gabapentin, Gabapentin jedoch bes-
ser verträglich als Topiramat. Als Einschränkungen dieser        Lamotrigin ist eine Alternative bei der Absence-Epilepsie des
Studie müssen das offene Studiendesign, die zumindest teil-      Schulalters und bei der juvenilen Absence-Epilepsie [90]. In
weise Verwendung von Carbamazepin in nicht-retardierter          einer rezenten doppelblinden Studie bei Patienten mit Ab-
Form und der fehlende Vergleich mit Levetiracetam genannt        sence-Epilepsie des Schulalters mit isolierten Absencen wa-
werden [89]. Entsprechend den Leitlinien der Österreichi-        ren Valproinsäure und Ethosuximid wirksamer als Lamo-
schen und Deutschen Gesellschaften für Neurologie sollten        trigin, zudem waren unter Ethosuximid signifikant weniger
deshalb aufgrund des günstigeren Nebenwirkungsprofils, der       Aufmerksamkeitsstörungen zu beobachten als unter Val-
Pharmakokinetik mit geringem bis fehlendem Interaktions-         proinsäure [91].
potenzial und fehlender Enzyminduktion, der günstigen Be-
einflussung von Komorbiditäten und des breiten Wirkungs-         Bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie und der Aufwach-
spektrums Lamotrigin und Levetiracetam für die initiale The-     Grand-mal-Epilepsie sind Lamotrigin, Topiramat, Levetirace-
rapie von fokalen Epilepsien im Erwachsenenalter bevorzugt       tam und Zonisamid mögliche Alternativen, wobei Lamotrigin
werden [9].                                                      myoklonische Anfälle verschlechtern kann [88, 92–95].

Generalisierte Epilepsien                                        In einer offenen, randomisierten kontrollierten Studie wurden
Bei den idiopathischen generalisierten Epilepsien richtet sich   Valproinsäure, Lamotrigin und Topiramat in der Behandlung
die Therapie nach den vorliegenden Anfallsformen und dem         von generalisierten bzw. unklassifizierbaren Epilepsien ver-
zugrunde liegenden Epilepsiesyndrom. Für die 4 wichtigsten       glichen [96]. Für eine primäre Zielvariable, die Zeit bis zum
idiopathischen generalisierten Epilepsiesyndrome (Absence-       Behandlungsabbruch (= Effektivität), war Valproinsäure signi-
Epilepsie des Schulalters, juvenile Absence-Epilepsie, juve-     fikant besser als Topiramat, im Vergleich zu Lamotrigin er-
nile myoklonische Epilepsie und Aufwach-Grand-mal-Epi-           gab sich ein nicht-signifikanter Vorteil. Bei der anderen pri-
lepsie) ist Valproinsäure nach wie vor das Mittel der ersten     mären Zielvariable, der Zeit bis zu einer 12-monatigen Re-
Wahl. Die hohe Effektivität der Substanz wird allerdings         mission, war Valproinsäure signifikant wirksamer als Lamo-
durch die Nebenwirkungen (Gewichtszunahme, polyzysti-            trigin, gegenüber Topiramat ergab sich kein signifikanter Un-

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