DFP: Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsie - www.kup.at
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems DFP: Aktuelles zur Diagnostik und Homepage: Therapie der Epilepsie www.kup.at/ Baumgartner C, Pirker S JNeurolNeurochirPsychiatr Journal für Neurologie Online-Datenbank mit Autoren- Neurochirurgie und Psychiatrie und Stichwortsuche 2012; 13 (2), 64-80 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien DFP Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsie C. Baumgartner, S. Pirker Kurzfassung: Eine Epilepsie liegt dann vor, individualisierte Therapie erfolgen, die auf die achieved in approximately 65 % of patients with wenn mindestens 2 unprovozierte Anfälle aufge- Bedürfnisse des jeweiligen Patienten abge- antiepileptic drugs, the remaining 35 % suffer treten sind oder wenn nach einem Anfall durch stimmt ist. Die Epilepsiechirurgie stellt eine ef- from medically refractory epilepsy. While opti- einen entsprechenden EEG- oder MRT-Befund fektive und sichere Behandlungsmethode für se- mal seizure control and ideally seizure freedom eine erhöhte Epileptogenität als wahrscheinlich lektierte Patienten mit therapieresistenten foka- are of course essential, recently other important angenommen werden kann. Die Epilepsie ist len Epilepsien dar. Die Vagus-Nerv-Stimulation treatment goals including tolerability of anti- eine der häufigsten neurologischen Erkrankun- (VNS) ist ein palliatives Verfahren für Patienten, epileptic drugs, avoidance of chronic side ef- gen, die altersabhängige Inzidenz zeigt einen 2- die für einen epilepsiechirurgischen Eingriff fects, easy use of medications both for patients gipfeligen Verlauf mit einem ersten Maximum in nicht infrage kommen bzw. bei denen eine Ope- and physicians, positive effects on frequent der Kindheit und einem zweiten im höheren Le- ration keinen Erfolg erbrachte. comorbidities, and the needs of special patient bensalter (1/3 der Epilepsien beginnt nach dem populations have emerged as equally important 60. Lebensjahr). Bei ca. 65 % der Epilepsie- Schlüsselwörter: Epilepsie, Epilepsietherapie, for the patient’s optimal quality of life. Thus, epi- patienten kann durch eine antiepileptische The- Antiepileptika, Epilepsiechirurgie, Vagus-Nerv- lepsy treatment should be individualized in every rapie anhaltende Anfallsfreiheit erreicht wer- Stimulation patient. Epilepsy surgery represents an effective den, bei den übrigen 35 % entwickelt sich eine and safe treatment option in many patients with therapieresistente bzw. schwer behandelbare Abstract: Recent Aspects in Epilepsy Diag- medically refractory focal epilepsies. Vagal Epilepsie. Die wichtigsten Behandlungsziele sind nosis and Treatment. Epilepsy is defined as a nerve stimulation (VNS) is a palliative procedure neben der optimalen Anfallskontrolle (im Ideal- condition with at least 2 unprovoked seizures or for patients with medically refractory epilepsies fall Anfallsfreiheit) die gute Verträglichkeit der one seizure associated with epileptiform dis- who are not candidates for epilepsy surgery or in medikamentösen Therapie, die Vermeidung von charges on EEG and/or an epileptogenic lesion whom epilepsy surgery did not result in satisfac- chronischen Nebenwirkungen, die einfache Hand- on MRI indicating an increased epileptogenicity. tory seizure control. J Neurol Neurochir habung der Medikation für Arzt und Patient, die Epilepsy represents one of the most frequent Psychiatr 2012; 13 (2): 64–80. günstige Beeinflussung von mit der Epilepsie neurological diseases. Age-specific incidence häufig assoziierten Begleiterkrankungen sowie shows 2 peaks, one in early childhood and one at Key words: epilepsy, epilepsy treatment, die Berücksichtigung der Bedürfnisse spezieller an older age 1/3 of epilepsies start after the age of antiepileptic drugs, epilepsy surgery, vagal nerve Patientengruppen. Generell sollte eine möglichst 60 years. While sustained seizure control can be stimulation Einleitung und Definitionen nen, Traumen, zerebrovaskuläre Erkrankungen etc.) oder im Rahmen einer systemischen Erkrankung bzw. Störung (Alko- Epileptische Anfälle stellen die klinische Manifestation von hol, Schlafentzug, Medikamente, metabolische Störungen exzessiven hypersynchronen Entladungen von Nervenzellen etc.) auftreten, sind durch einen erkennbaren, unmittelbaren des zerebralen Kortex dar. Die klinische Symptomatik der Auslöser und einen günstigen Verlauf gekennzeichnet, d. h. Anfälle wird durch die Funktion der jeweils betroffenen bei Behebung, Wegfall oder Vermeidung der auslösenden Ur- Nervenzellverbände bestimmt, wobei Störungen höherer sache treten im Allgemeinen keine weiteren Anfälle auf. Auf- Hirnfunktionen, Bewusstseinseinschränkungen, abnorme grund dieses niedrigen Rezidivrisikos besteht deshalb im All- sensorische oder psychische Empfindungen, motorische Ent- gemeinen auch keine Indikation zur Einleitung einer anti- äußerungen und schließlich generalisierte Krämpfe auftreten epileptischen Therapie [3]. können [1, 2]. Epileptische Anfälle können auftreten als Unprovozierte Anfälle – provozierte oder akut symptomatische Anfälle – unprovozierte Anfälle Die Wahrscheinlichkeit, nach einem ersten unprovozierten Anfall einen weiteren Anfall zu erleiden, liegt für Erwachsene Provozierte oder akut symptomatische bei 33 % [4] sowie für Kinder zwischen 42 und 54 % [4]. Risikofaktoren für das Auftreten weiterer Anfälle sind dabei Anfälle das Vorhandensein von epilepsietypischen Veränderungen im Provozierte oder akut symptomatische Anfälle, die aufgrund EEG und das Vorliegen einer – für die Anfälle ursächlichen – einer akuten Erkrankung des Zentralnervensystems (Infektio- strukturellen Veränderung in der Magnetresonanztomo- graphie (MRT) (EEG mit epilepsietypischen Veränderungen: 1,5–3-fach erhöhtes Risiko; MRT-Läsion: 2-fach erhöhtes Ri- Eingelangt am 10. Jänner 2011; angenommen am 13. Mai 2011; Pre-Publishing Online am 31. Jänner 2012 siko) [5, 6]. Demgemäß hat die „Internationale Liga gegen Aus dem Karl-Landsteiner-Institut für Klinische Epilepsieforschung und Kognitive Epilepsie“ im Jahr 2005 eine neue Epilepsiedefinition vorge- Neurologie, 2. Neurologische Abteilung, Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem schlagen, wobei nunmehr für die Diagnose einer Epilepsie Zentrum Rosenhügel, Wien nur noch ein Anfall nötig ist, wenn zusätzlich durch einen ent- Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. DI Dr. med. Christoph Baumgartner, Karl- sprechenden EEG-Befund (z. B. 3/s-Spike-Waves) oder einen Landsteiner-Institut für Klinische Epilepsieforschung und Kognitive Neurologie, 2. Neurologische Abteilung, Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum MRT-Befund (z. B. Ammonshornsklerose oder Tumor) eine Rosenhügel, A-1130 Wien, Riedelgasse 5; erhöhte Epileptogenität als wahrscheinlich angenommen E-Mail: christoph.baumgartner@wienkav.at werden kann [7]. 64 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien Abbildung 1: Altersabhängige Inzidenz der Epilepsie. Die altersabhängige Inzidenz der Epilepsie zeigt einen 2-gipfeligen Verlauf mit einem ersten Maximum in der Kindheit und einem zweiten Maximum im höheren Lebensalter (rote Pfeile). Epidemiologie – Vorhandensein und Art einer strukturellen Läsion: Patien- ten mit kryptogenen fokalen Epilepsien haben eine etwas Die Epilepsie ist mit einer Prävalenz von 7–8/1000 eine der bessere Prognose als Patienten mit symptomatischen foka- häufigsten neurologischen Erkrankungen. Die Inzidenz (Neu- len Epilepsien; Patienten mit Hippokampusatrophie oder erkrankungsrate) liegt bei 46/100.000 Einwohner pro Jahr. kortikalen Dysplasien leiden zu einem wesentlich höheren Die altersabhängige Inzidenz zeigt einen 2-gipfeligen Verlauf Prozentsatz an therapieresistenten Epilepsien als Patienten mit einem ersten Maximum in der Kindheit (1/3 der Epilepsien mit anderen strukturellen Läsionen [16] (Abb. 3). beginnt in der Kindheit) und einem zweiten Maximum im – Anfallsart: Sekundär generalisierte tonisch-klonische An- höheren Lebensalter (1/3 der Epilepsien beginnt nach dem fälle sprechen besser auf die Therapie an als fokale Anfälle 60. Lebensjahr!), wobei im Alter von > 70 Jahren sogar eine [17]. höhere Inzidenz als in den ersten 10 Lebensjahren besteht – Alter zu Beginn der Epilepsie: Ein früher Beginn, ins- (Abb. 1). Während sich bei Erwachsenen eine höhere besondere im Alter von < 1 Jahr ist mit einer schlechteren Inzidenz von fokalen Anfällen zeigt, treten bei Kindern häufi- Prognose assoziiert [13]. ger generalisierte Anfälle auf. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an einer Epilepsie zu erkranken, liegt bei > 5 %, die Wahrscheinlichkeit eines einmaligen epileptischen Anfalls im Laufe des Lebens liegt bei > 10 % [8, 9]. Verlauf und Prognose Bei ca. 65 % der Epilepsiepatienten kann durch eine anti- epileptische Therapie anhaltende Anfallsfreiheit erreicht wer- den, wobei bei manchen dieser Patienten die Therapie lang- fristig auch wieder abgesetzt werden kann. Bei den übrigen 35 % entwickelt sich eine schwer behandelbare oder therapieresistente Epilepsie (Anfälle trotz maximaler Thera- pie) [10–12]. Die Prognose hängt dabei entscheidend von den folgenden Faktoren ab: – Ätiologie: Symptomatische und kryptogene Epilepsien ha- Abbildung 2: Anfallskontrolle in Abhängigkeit von der Ätiologie. Symptomatische ben eine schlechtere Prognose als idiopathische Epilepsien und kryptogenetische Epilepsien haben eine schlechtere Prognose als idiopathische [13, 14] (Abb. 2). Epilepsien. Mod. nach [15]. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2) 65
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien Abbildung 3: Anfallskontrolle in Abhängigkeit von der Art ei- ner strukturellen Läsion. Pati- enten mit Hippokampusatro- phie oder kortikalen Dysplasien leiden zu einem wesentlich hö- heren Prozentsatz an therapie- refraktären Epilepsien als Pati- enten mit anderen strukturellen Läsionen. Mod. nach [16]. – Zahl der Anfälle vor Therapiebeginn: Patienten mit > 10 tenem Bewusstsein) sowie insbesondere die Außenanamnese Anfällen vor Therapiebeginn entwickeln doppelt so häufig (diese ist von entscheidender Bedeutung, da zumeist entwe- eine therapieresistente Epilepsie wie Patienten mit < 10 der für die gesamte Dauer des Anfalls oder für Teile davon Anfällen vor Therapiebeginn [14, 18]. eine Amnesie seitens des Patienten besteht). Auch postiktale – Kognitive Beeinträchtigungen bei Erkrankungsbeginn Symptome sind für die Differenzialdiagnose wichtig (Däm- (insbesondere Gedächtnisstörungen) sind mit einer merzustand bzw. anhaltende Amnesie, postiktale Verwirrung schlechteren Prognose assoziiert [19]. bzw. Agitation, Muskelkater, petechiale Blutungen etc.). – Eine vorbestehende psychiatrische Komorbidität, insbe- Zudem sind allfällige auslösende Faktoren (Schlafmangel, sondere eine Depression, ist ebenfalls ein ungünstiger Fieber, Alkohol, Drogen, Medikamente, Hypoglykämie etc.) prognostischer Faktor für die langfristige Anfallskontrolle zu erheben. Weitere Eckpunkte der Anamnese beinhalten die [18]. Abklärung möglicher disponierender Faktoren (so genannter präzipitierender Ereignisse) für das Auftreten einer Epilepsie Diagnostik (Abb. 4) (Schwangerschafts- bzw. Geburtskomplikationen, Störung der frühkindlichen Entwicklung, Fieberkrämpfe, Schädel- Anamnese Hirn-Traumen, Meningitiden oder Enzephalitiden) sowie die Eine sorgfältige Anamnese ist die entscheidende Vorausset- Familienanamnese hinsichtlich Anfallserkrankungen. Grund- zung für eine richtige Diagnose. Letztlich erfolgt die Diagno- sätzlich sollte immer nach einer möglichen symptomatischen se „Epilepsie“ aufgrund der Anamnese. An erster Stelle steht Ursache für den Anfall gesucht werden (anhaltende Bewusst- hier die Anfallsbeschreibung einerseits durch den Patienten seinsstörung, anhaltende psychische Auffälligkeiten, fokale selbst (Prodromi, Aura, motorische Entäußerungen bei erhal- neurologische Ausfallserscheinungen, Fieber, Meningismus etc.). In diesem Fall ist eine stationäre Aufnahme erforderlich [1, 2, 9, 20, 21]. Allgemeinmedizinische und klinisch-neuro- logische Untersuchung Hier ist nach internistischen und neurologischen Auffäl- ligkeiten zu fahnden. Laborchemische Untersuchungen Nach dem ersten Anfall und vor Einleitung einer anti- epileptischen Therapie sollte eine Laboruntersuchung erfol- gen (Blutbild, Blutchemie inkl. Blutzucker, Elektrolyte, Le- ber- und Nierenparameter, CK [wichtig für die Differenzialdi- agnose!]), eine Prolaktinbestimmung ist hingegen nur in Aus- nahmefällen sinnvoll (beträchtliche inter- und intraindividu- elle Schwankungen, erhöhte Prolaktinwerte findet man auch nach Synkopen und psychogenen nicht-epileptischen Anfäl- Abbildung 4: Diagnostische Schritte bei Epilepsie: Das EEG zeigt einen Spike len). In Abhängigkeit von der Anamnese sind gegebenenfalls rechts temporal, die MRT eine Hippokampusatrophie rechts. noch weitere Blutuntersuchungen notwendig [1, 2, 9, 20, 21]. 66 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien Elektroenzephalographie (EEG) doch eine strukturelle Veränderung identifiziert werden kann, Das EEG ist die einzige Methode, die durch den Nachweis was die Perspektive in Hinblick auf eine chirurgische Thera- von so genannten epilepsietypischen Veränderungen („spikes“ pie entscheidend verbessern kann [9]. oder Spitzen) einen direkten Hinweis auf pathologisch entla- dende Neuronenverbände geben kann und somit für die Epi- Differenzialdiagnose lepsie spezifische Information liefert. Das EEG ist somit einerseits wichtig für die Differenzialdiagnose epileptische Die diagnostische Unsicherheit bei Epilepsie beträgt ca. 15– vs. nicht-epileptische Anfälle, andererseits kann das EEG bei 20 %, d. h. bei diesen Patienten wird die Diagnose Epilepsie einem Patienten mit epileptischen Anfällen bei der Zuord- fälschlich gestellt. Differenzialdiagnostisch sind hier in erster nung zu einer bestimmten Epilepsieform helfen. Während Linie konvulsive Synkopen, psychogene nicht-epileptische epilepsietypische Veränderungen im ersten EEG nur bei 30– Anfälle und Parasomnien zu erwähnen. 50 % der Epilepsiepatienten abgeleitet werden können, kann durch serielle EEGs die Sensitivität auf 80–90 % erhöht wer- Klassifikation epileptischer Anfälle und den (90 % der epilepsietypischen Veränderungen können dabei in den ersten 4 EEGs abgeleitet werden, danach wird Epilepsieklassifikation die Ausbeute verschwindend gering). Es ist jedoch zu beden- Eine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Epi- ken, dass sich bei 10 % der Epilepsiepatienten keine epilep- lepsiebehandlung ist die möglichst genaue Charakterisierung sietypischen Veränderungen nachweisen lassen: Ein normales der klinischen Anfallssymptomatologie und die Zuordnung EEG schließt somit eine Epilepsie nicht aus! Das EEG sollte zu einer bestimmten Epilepsieform. Hier ist es wichtig, sich möglichst frühzeitig nach einem Anfall durchgeführt werden, den Unterschied der Klassifikation nach epileptischen Anfäl- da die Sensitivität innerhalb der ersten 12–24 Stunden am len und nach Epilepsien zu vergegenwärtigen. Während epi- höchsten ist. Bei negativem Wach-EEG sollten ein Schlaf- leptische Anfälle prinzipiell anhand der klinischen Anfalls- EEG (epilepsietypische Entladungen treten im Schlaf signifi- charakteristik (teilweise unter Zuhilfenahme von EEG-Be- kant häufiger auf als im Wachzustand) und/oder ein Schlaf- funden) eingeteilt werden, gehen in die Diagnose einer Epi- entzugs-EEG (z. B. bei Verdacht auf juvenile myoklonische lepsie bzw. eines Epilepsiesyndroms neben der Art der Anfäl- Epilepsie) durchgeführt werden. Das EEG besitzt eine hohe le auch die Anamnese, der EEG-Befund, das Ergebnis der Spezifität – 90 % der Patienten mit epilepsietypischen Verän- bildgebenden Verfahren (MRT) und die Ätiologie des An- derungen im EEG leiden auch tatsächlich an einer Epilepsie. fallsleidens ein [1, 2]. In differenzialdiagnostisch unklaren Fällen sollte zur Diagno- Bei den epileptischen Anfällen kann man grundsätzlich unter- sesicherung die Aufzeichnung eines Anfalls und des korrespon- scheiden zwischen fokalen Anfällen, die von einer umschrie- dierenden EEGs mittels intensivem Video-EEG-Monitoring benen Hirnregion ausgehen, und generalisierten Anfällen, die unter stationären Bedingungen angestrebt werden. Im Vorfeld primär beide Hirnhälften erfassen [28]. Grundsätzlich sollten können hier Videoaufzeichnungen mit privaten Videokameras die Anfallssymptome möglichst genau beschrieben werden, oder Mobiltelefonen hilfreich sein, sie sind für die endgültige da sich daraus wichtige diagnostische Hinweise ergeben. Diagnostik jedoch zumeist nicht ausreichend [9, 22–25]. Durch die Ausbreitung epileptischer Entladungen ist auch ein Übergang von einem fokalen Anfall in einen (sekundär) gene- Strukturelle Bildgebung ralisierten tonisch-klonischen Anfall möglich. Im letzteren Die Methode der Wahl ist hier die Magnetresonanztomo- Fall ist die initiale fokale Phase dem Patienten zumeist nicht graphie (MRT). Eine kraniale Computertomographie (CCT) mehr erinnerlich, sodass das Symptom generalisierter to- kann in der Akutsituation zum Ausschluss von akut bedrohli- nisch-klonischer Anfall („Grand-mal-Anfall“) sowohl einem chen Erkrankungen (Blutungen, Ischämien oder Raumfor- sekundär generalisierten Anfall im Rahmen einer fokalen derungen) durchgeführt werden, jedenfalls ist dann im Inter- Epilepsie als auch einem primär generalisierten Anfall bei ei- vall ergänzend eine MRT anzuschließen. Die Sensitivität der ner generalisierten Epilepsie entsprechen kann und somit kei- MRT für den Nachweis struktureller Läsionen (Tumoren, Ge- ne definitive Zuordnung erlaubt. fäßmalformationen, Hippokampusatrophien bzw. -sklerosen, kortikale Dysplasien; Abb. 5) ist wesentlich höher als jene der In die Klassifikation der Epilepsien bzw. der Epilepsie- CCT. Eine CCT als alleinige Methode zur strukturellen Ab- syndrome fließen die folgenden 3 Kriterien ein: klärung ist somit nicht ausreichend! Die MRT-Untersuchung 1. Fokale vs. generalisierte Epilepsien, hat nach einem speziellen Epilepsieprotokoll zu erfolgen, da 2. Ätiologie (idiopathische [genetische] vs. symptomatische bei vielen Patienten mit unauffälligem Befund aus einer vs. kryptogene [unbekannte Ursache] Epilepsien) und routinemäßig durchgeführten Magnetresonanztomographie 3. Alter zu Beginn der Erkrankung [29]. erst bei entsprechend gezielter Untersuchung strukturelle Ver- änderungen nachgewiesen werden können [26]. Von der Grundsätzlich leiden ca. 2/3 der Patienten an fokalen Epilep- „Österreichischen Sektion der Internationalen Liga gegen sien und 1/3 an generalisierten Epilepsien. 60 % der Patienten Epilepsie“ und der „Deutschen Gesellschaft für Neurologie“ mit einer fokalen Epilepsie leiden wiederum an einer wurden deshalb Richtlinien für ein standardisiertes MRT-Pro- Temporallappenepilepsie, die somit die häufigste Epilepsie- tokoll bei Epilepsiepatienten publiziert [9, 27]. Bei therapie- form darstellt. resistenter Epilepsie mit unauffälliger MRT sollte die MRT in mehrjährigen Abständen wiederholt werden, da durch die lau- Kürzlich wurde durch die „Internationale Liga gegen Epilep- fende Verbesserung der Technologie dann unter Umständen sie“ eine neue Klassifikation von epileptischen Anfällen und J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2) 67
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien Epilepsien vorgestellt [30], die auch bereits in einer deutschen sen. Bei der Ätiologie wird nunmehr zwischen den folgenden Übersetzung verfügbar ist (Tab. 1, 2) [31]. Kategorien unterschieden: 1. Genetisch (Epilepsien mit bekanntem Gendefekt oder Evi- Klassifikation epileptischer Anfälle denz für eine zentrale Bedeutung einer genetischen Kom- In der Klassifikation der epileptischen Anfälle werden ponente) weiterhin generalisierte und fokale Anfälle unterschieden: 2. Strukturell/metabolisch (z. B. Schlaganfall, Trauma, Infek- Während generalisierte Anfälle ihren Ausgang von bilateral tion) verteilten Netzwerken nehmen, entstehen fokale Anfälle in 3. Unbekannte Ursache (die Art der zugrunde liegenden Ur- Netzwerken, die auf eine Hemisphäre beschränkt sind (ent- sache konnte bislang nicht aufgeklärt werden). weder umschrieben oder ausgedehnt). Neonatale Anfälle als eigene Entität wurden gestrichen, da sie entsprechend der vor- Die Klassifikation der Epilepsien erfolgt in: liegenden Klassifikation ausreichend charakterisiert werden 1. elektroklinische Syndrome (klinische Entitäten, die durch können. Epileptische Spasmen, deren Zuordnung zu generali- Cluster elektroklinischer Merkmale verlässlich identifi- sierten und fokalen Anfällen unklar ist, wurden als eigene ziert werden können), Gruppe in die Klassifikation aufgenommen. Die Klassifikati- 2. unverwechselbare Konstellationen (Krankheitsentitäten, on der generalisierten Anfälle wurde überarbeitet: Die Sub- die auf der Basis spezifischer Läsionen oder anderer Ursa- klassifikation der Absencen wurde vereinfacht, myoklonisch- chen klinisch unterscheidbare Konstellationen darstellen), atonische Anfälle wurden neu als Kategorie aufgenommen. 3. strukturelle/metabolische Epilepsien (Epilepsien aufgrund Bei den fokalen Anfällen erfolgt keine weitere Unterteilung, spezifischer struktureller oder metabolischer Läsionen insbesondere die Unterscheidung von fokalen Anfällen mit oder Zustände; bisher wurden viele dieser Epilepsien als einfacher und komplexer Symptomatik abhängig vom Auftre- symptomatische fokale Epilepsien zusammengefasst; es ten einer Bewusstseinsstörung wurde fallengelassen. Die An- wird explizit empfohlen, weniger Gewicht auf die Lokali- fälle sollten vielmehr entsprechend ihrem klinischen Erschei- sation als auf die zugrunde liegenden strukturellen und nungsbild beschrieben werden, wobei hier das Glossar der metabolischen Ursachen zu legen) und iktalen Semiologie zuhilfe genommen werden kann [32]. 4. Epilepsien unbekannter Ursache (entsprechend den früher als kryptogen bezeichneten Epilepsien). Epilepsieklassifikation In der Klassifikation der Epilepsien wurde die Unterschei- Zudem können in die Klassifikation eines Epilepsiesyndroms dung von fokalen und generalisierten Epilepsien fallen gelas- (und jedes individuellen Patienten) auch andere Merkmale Hippokampusatrophie Fokale kortikale Dysplasie Hirntumoren Gefäßmissbildungen Abbildung 5: Strukturelle Befunde bei symptomatischen Epilepsien 68 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien Erkrankungen hinweggetäuscht wird. Stattdessen wird der Tabelle 1: Neue Klassifikation von epileptischen Anfällen*. Nach [30, 31]. beschreibende Ausdruck „selbstlimitierend“ für die hohe Wahrscheinlichkeit einer spontanen Remission in einem be- Generalisierte Anfälle stimmten Alter vorgeschlagen. Bei den bisher als idiopathisch Tonisch-klonisch (in jeder Kombination) bezeichneten Syndromen neigen die meisten Patienten dazu, Absence auf Medikamente anzusprechen, sodass diese als „pharma- Typisch koresponsiv“ bezeichnet werden könnten. Atypisch Mit speziellen Merkmalen Festzuhalten bleibt, dass diese Klassifikation noch Gegen- Myoklonische Absence stand intensiver Diskussion ist und derzeit noch keinen Ein- Lidmyoklonien gang in die klinische Praxis gefunden hat [33–39]. Myoklonisch Myoklonisch Behandlungsziele Myoklonisch-atonisch Myoklonisch-tonisch In den vergangenen Jahren wurde zunehmend erkannt, dass Klonisch eine optimale Epilepsiebehandlung über die bloße Anfalls- Tonisch kontrolle hinausgeht. Die anderen, zumeist ebenso wichtigen Atonisch Behandlungsziele können wie folgt zusammengefasst wer- den: Gute Verträglichkeit der medikamentösen Therapie, Ver- Fokale Anfälle meidung von chronischen Nebenwirkungen der antiepi- Unbekannt leptischen Therapie, einfache Handhabung der Medikation Epileptische Spasmen für Patient und Arzt, günstige Beeinflussung von mit der Epi- lepsie häufig assoziierten Begleiterkrankungen (insbesondere *Ein Anfall, der nicht ohne Weiteres in eine der vorgestellten Ka- psychiatrische Erkrankungen und neuropsychologische Stö- tegorien eingeordnet werden kann, sollte als „nicht klassifiziert“ betrachtet werden, bis weitere Informationen seine genaue Diag- rungen) sowie Berücksichtigung der Bedürfnisse spezieller nose erlauben. Dies wird jedoch nicht als eine Klassifikations- Patientengruppen (Kinder, Frauen im gebärfähigen Alter, äl- kategorie aufgefasst. tere Patienten, retardierte Patienten) (Tab. 3) [21]. eingehen, die oft routinemäßiger Bestandteil der Abklärung Optimale Anfallskontrolle sind. Diese beinhalten die kognitive und entwicklungs- Die optimale Anfallskontrolle ist sicherlich das wichtigste bezogene Vorgeschichte und deren entsprechende Folgen, die Ziel der Epilepsiebehandlung und bedeutet Anfallsfreiheit. So Ergebnisse der neurologischen, neuropsychologischen und bestehen bei anfallsfreien Patienten keine wesentliche Ein- psychiatrischen Untersuchung, detaillierte Merkmale des schränkung der Lebensqualität und eine der Allgemein- iktalen und interiktalen EEGs, strukturelle Bildgebungs- bevölkerung vergleichbare Beschäftigungsrate [40]. Anfalls- befunde, provozierende oder Triggerfaktoren, zeitliche Mus- freiheit muss deshalb bereits am Beginn der Behandlung kon- ter des Auftretens von Anfällen in Bezug auf den Schlaf, das sequent angestrebt werden, einer Bagatellisierung von so ge- Manifestationsalter, die Assoziation mit spezifischen Fehl- nannten „seltenen, lediglich leichten oder nächtlichen“ Anfäl- bildungstypen der kortikalen Entwicklung sowie spezifische len seitens des Patienten oder des Arztes ist deshalb entschie- Ursachen, wie z. B. Ionenkanalkrankheiten, wobei innerhalb den entgegenzutreten. Kann innerhalb von 3 Monaten keine dieser Kategorie nach spezifischen Ionenkanalgenen klassifi- Anfallsfreiheit erreicht werden, ist der Patient an eine ziert werden könnte, wie es z. B. für das lange QT-Syndrom Spezialambulanz zu überweisen [21]. erfolgt ist. Gute Verträglichkeit der medikamentösen Natürlicher Verlauf bzw. natürliche Therapie Entwicklung Die gute Verträglichkeit der medikamentösen Therapie be- Der natürliche Verlauf bzw. die natürliche Entwicklung der deutet die Beseitigung oder Minimierung von Nebenwirkun- Erkrankung erhält in der neuen Klassifikation einen zentralen gen. Die Verträglichkeit der antiepileptischen Medikation ist Stellenwert. Insbesondere wird das Konzept der „epilepti- von entscheidender Bedeutung für die Lebensqualität von schen Enzephalopathie“ wieder eingeführt. Darunter werden Epilepsiepatienten. In einer europäischen Befragung von kognitive und Verhaltensstörungen als Folgen epileptischer > 5000 Epilepsiepatienten berichteten 88 % der Patienten Aktivität verstanden, unabhängig davon bzw. zusätzlich zu über zumindest eine Nebenwirkung der medikamentösen dem, was man schon alleine wegen der zugrunde liegenden Therapie, bei 1/3 musste die Medikation wegen Nebenwirkun- Pathologie (z. B. kortikale Malformation) erwarten würde. gen im vergangenen Jahr geändert werden. Die Häufigkeit Dies beinhaltet auch die Vorstellung, dass eine Unterbindung von medikamentösen Nebenwirkungen wird durch die behan- der epileptischen Aktivität zu einer Verbesserung der Kogniti- delnden Ärzte zumeist beträchtlich unterschätzt. Insbe- on und des Verhaltens führen kann. Die Bezeichnung „kata- sondere bei Patienten mit chronischen, schwer behandelbaren strophal“ sollte aufgrund der damit verbundenen starken Epilepsien kann auch mit umfangreichen medikamentösen emotionalen Untertöne nicht mehr verwendet werden. Therapieversuchen nur selten Anfallsfreiheit erreicht werden. Ebenso wird der Begriff „benigne“ nicht mehr empfohlen, da Deshalb muss in dieser Situation das Behandlungsziel der An- damit über eine Vielzahl von zerebralen Störungen ein- fallsfreiheit modifiziert werden. Bei diesen (nicht-anfalls- schließlich kognitiver, verhaltensmäßiger und psychiatrischer freien) Patienten wird die Lebensqualität nämlich nicht durch J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2) 69
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien Tabelle 2: Neue Klassifikation elektroklinischer Syndrome und anderer Epilepsien. Nach [30, 31]. Elektroklinische Syndrome nach Manifestationsalter geordnet* Neugeborenenzeit Autosomal-dominante fokale Epilepsie mit akustischen Merk- Benigne familiäre neonatale Epilepsie (BFNE) malen (ADFEAM) Frühe myoklonische Enzephalopathie (FME) Andere familiäre Temporallappenepilepsien Ohtahara-Syndrom (OS) Weniger spezifische Altersbeziehung Säuglingsalter Familiäre fokale Epilepsie mit variablen Foci (Kindheit bis Erwachsenenalter) Epilepsie der frühen Kindheit mit migratorischen fokalen An- fällen Reflexepilepsien West-Syndrom (WS) Unverwechselbare Konstellationen Myoklonische Epilepsie der frühen Kindheit (MEI) Benigne frühkindliche Epilepsie (BFE) Mesiale Temporallappenepilepsie mit Hippokampussklerose (MTLE mit HS) Benigne familiäre frühkindliche Epilepsie (BFFE) Rasmussen-Syndrom Dravet-Syndrom (DS) Gelastische Anfälle bei hypothalamischen Hamartomen Myoklonische Enzephalopathie bei nicht-progredienten Störungen Hemikonvulsions-Hemiplegie-Epilepsie (-Syndrom) Epilepsien, die nicht in diese diagnostischen Kategorien passen, Kindheit können zunächst auf der Basis des Vorhandenseins oder Fehlens Fiebergebundene Anfälle plus (FA+; „Fieberkrämpfe“ plus; einer bekannten strukturellen oder metabolischen Störung (ver- können im Kleinkindalter beginnen) mutliche Ursache) und dann auf der Basis des primären Anfalls- Panayiotopoulos-Syndrom beginns (generalisiert vs. fokal) unterschieden werden. Epilepsie mit myoklonisch-atonischen (früher astatischen) Epilepsien aufgrund von und eingeteilt nach strukturell- Anfällen metabolischen Ursachen Benigne Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes (BEZTS; Rolando-Epilepsie) Malformationen der kortikalen Entwicklung (Hemimegalenze- phalie, Heterotopien etc.) Autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE) Neurokutane Syndrome (Tuberöse-Sklerose-Komplex, Sturge- Weber- Syndrom etc.) Spät beginnende kindliche Okzipitallappenepilepsie (Gastaut- Typ) Tumoren Epilepsie mit myoklonischen Absencen Infektionen Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) Traumen Epileptische Enzephalopathie mit kontinuierlichen Spike-und- Angiome Wave-Entladungen im Schlaf (CSWS)** Perinatale Insulte Landau-Kleffner-Syndrom (LKS) Schlaganfälle Kindliche Absencenepilepsie (KAE) etc. Adoleszenz bis Erwachsenenalter Epilepsien unbekannter Ursache Juvenile Absenzenepilepsie (JAE) Juvenile myoklonische Epilepsie (JME) Zustände mit epileptischen Anfällen, die traditionell nicht als eine Form der Epilepsie per se betrachtet werden Epilepsie mit ausschließlichen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen Benigne neonatale Anfälle (BNA) Progressive Myoklonusepilepsien (PME) Fiebergebundene Anfälle (FA, „Fieberkrämpfe“) *Diese Einordnung erfolgt ohne Bezug zur Ätiologie. **Diese Epilepsieform wird manchmal auch als Epilepsie mit Status epileptici im Schlaf (ESES) bezeichnet. die Anfallsfrequenz, sondern durch das Ausmaß der Neben- forderlich sein, diese Medikamente sind aber nicht grundsätz- wirkungen determiniert. Allfällige Nebenwirkungen sollten lich kontraindiziert. Lediglich Valproinsäure sollte aufgrund deshalb systematisch – am besten mit einem strukturierten von möglichen Ammoniakerhöhungen vermieden werden. Fragebogen – erfasst werden. Durch eine Anpassung der me- Viele Antiepileptika führen zu einer asymptomatischen Erhö- dikamentösen Therapie (z. B. Dosisreduktion oder Medika- mentenwechsel) gelingt oft eine Beseitigung oder Minimie- Tabelle 3: Behandlungsziele in der Epilepsietherapie rung der Nebenwirkungen ohne wesentliche Verschlech- terung der Anfallskontrolle – „Weniger ist manchmal mehr“ – Optimale Anfallskontrolle = Anfallsfreiheit [41]. Hier sei daraufhin gewiesen, dass Patienten auch bei so – Gute Verträglichkeit der medikamentösen Therapie genannten „niedrigen Dosierungen“ oder Serumkonzen- – Vermeidung von chronischen Nebenwirkungen trationen im so genannten „Referenzbereich“ unter Neben- – Einfache Handhabung der Medikation für Patient und Arzt wirkungen leiden können, auf die reagiert werden muss. – Günstige Beeinflussung von mit der Epilepsie häufig assoziier- ten Begleiterkrankungen (insbesondere psychiatrische Erkran- kungen, neuropsychologische Störungen und Schlaf- Vermeidung von chronischen Nebenwirkungen störungen) der antiepileptischen Therapie – Berücksichtigung der Bedürfnisse spezieller Patientengruppen Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen können bei (Kinder, Frauen im gebärfähigen Alter, ältere Patienten, retar- dierte Patienten) hepatal metabolisierten Medikamenten Dosisanpassungen er- 70 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien hung von Leberfunktionsparametern (insbesondere von GGT, Einfache Handhabung der Medikation für Arzt seltener von GOT und GPT). Stabile Erhöhungen der Trans- und Patient aminasen um das 2–3-Fache des oberen Grenzwerts können Hier ist auf ein einfaches Dosierungsschema zu achten (die 2× dabei toleriert werden, erschweren aber das Monitoring einer tägliche Medikamentengabe ist zumeist ausreichend). begleitenden Lebererkrankung [42]. Eine positive Anamnese Antiepileptika mit fehlendem oder geringem Interaktions- für Nierensteine stellt eine relative Kontraindikation für die potenzial sind gegenüber enzyminduzierenden Antiepileptika Verwendung von Topiramat und Zonisamid dar, da diese Sub- (Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital und Primidon), die stanzen die Bildung von Nierensteinen begünstigen [43]. den Abbau von oralen Antikoagulantien, Kortikosteroiden, Carbamazepin und Oxcarbazepin können zu Hyponatriämien Antihypertensiva, Antiarrhythmika und Lipidsenkern in der führen und sollten deshalb bei bereits bestehender Leber signifikant beschleunigen können, zu bevorzugen. Bei Hyponatriämie oder bei bestehenden Risikofaktoren für Lebererkrankungen sollten generell Antiepileptika mit feh- Hyponatriämien vermieden werden (z. B. höheres Lebensal- lender hepataler Metabolisierung verwendet werden. Bei Ein- ter, Anamnese mit exzessiver Wasseraufnahme, Einschrän- schränkungen der Nierenfunktion muss bei vorwiegend renal kung der Nierenfunktion, Einnahme von andere Medikamen- eliminierten Antiepileptika (Gabapentin, Levetiracetam und ten, die eine Hyponatriämie induzieren können) [44]. Pregabalin) eine Dosisanpassung gemäß der Kreatinin- Carbamazepin kann zu atrioventrikulären Blockierungen füh- Clearance erfolgen [52]. ren und ein Sick-Sinus-Syndrom verschlechtern [42]. Diese Nebenwirkung konnte allerdings in einer rezenten kontrol- Günstige Beeinflussung von mit der Epilepsie lierten Studie nicht bestätigt werden [45]. Zudem kann häufig assoziierten Begleiterkrankungen Carbamazepin eine Leukopenie verursachen und sollte des- halb bei Patienten mit hämatologischen Erkrankungen ver- Psychiatrische Erkrankungen mieden werden [42]. Valproinsäure verursacht eine dosisab- Psychiatrische Erkrankungen treten bei Epilepsiepatienten si- hängige Thrombozytopenie bei bis zu 17 % der Patienten und gnifikant häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung, aber sollte deshalb bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko auch als bei anderen chronischen Erkrankungen. nicht eingesetzt werden [46]. Depression Die Depression stellt die häufigste psychiatrische Begleit- Patienten mit Epilepsie leiden im Vergleich zur Allgemein- erkrankung bei Epilepsie dar. Die Häufigkeit von Depressio- bevölkerung signifikant häufiger an Osteoporose. So haben nen korreliert mit der Anfallskontrolle: Sie liegt zwischen 3 nur 39 % der Epilepsiepatienten > 55 Jahre eine normale und 9 % bei gut kontrollierter Epilepsie, jedoch zwischen 20 Knochenmineraldichte („bone mineral density“ [BMD]), bei und 55 % bei Patienten mit schwer behandelbaren Epilepsien 35 % besteht eine Osteopenie und bei 26 % eine Osteoporose. [53]. Zudem besteht bei Epilepsiepatienten eine im Vergleich Die Vergleichswerte in der Allgemeinpopulation liegen bei zur Allgemeinbevölkerung 10-fach erhöhte Suizidrate [54, 84 % für eine normale BMD, bei 15 % für eine Osteopenie 55]. Umgekehrt ist bei Patienten mit neu diagnostizierten und bei 1 % für eine Osteoporose [47]. Folgende Mechanis- Epilepsien anamnestisch signifikant häufiger eine Depression men werden für diese antiepileptikainduzierte Osteopathie zu erheben als in einem Vergleichskollektiv [56, 57]. Diese verantwortlich gemacht: bidirektionale Beziehung zwischen Epilepsie und Depression kann durch gemeinsame Pathomechanismen beider Erkran- 1. Störungen des Vitamin-D-Stoffwechsels (gesteigerter Ab- kungen erklärt werden [58]. Obwohl das Vorliegen und der bau von Vitamin D in der Leber durch eine über Antiepi- Schweregrad einer Depression die wichtigsten Prädiktoren leptika vermittelte Enzyminduktion) für die Lebensqualität bei Epilepsiepatienten darstellen [59– 2. Störung der intestinalen Kalziumresorption 61], werden Depressionen bei Epilepsiepatienten unterdiag- 3. Störungen der renalen tubulären Funktion mit Verlust von nostiziert und -behandelt [62]. Eine psychopharmakologische Kalzium und Phosphor Behandlung sollte bei Vorliegen einer Begleitdepression des- 4. Störung des Sexualhormon-Stoffwechsels mit Erhöhung halb unverzüglich initiiert werden, das epileptogene Potenzial des sexualhormonbindenden Globulins und konsekutivem von Antidepressiva stellt dabei ein vernachlässigbares Risiko Östrogenmangel dar [53, 63]. 5. Störung des Knochenumbaus durch Osteoklastenstimu- lation und Aktivitätsminderung von Osteoblasten Psychotische Störungen Die Prävalenz psychotischer Störungen bei Epilepsie- Zur Prophylaxe der antiepileptikainduzierten Osteopathie patienten liegt zwischen 2 und 8 %, wobei so genannte episo- werden u. a. die folgenden Maßnahmen empfohlen: Körperli- dische Psychosen (iktale, postiktale und Alternativpsy- che Aktivität und Koordinationsübungen, kalziumreiche Kost chosen), die in einem zeitlichen Bezug zum Anfallsgeschehen und Vitamin-D-Substitution, ausgewogene Sonnenexposition stehen, und chronische Psychosen (interiktale Psychosen) und knochenbewusste Lebensweise (Rauchen einstellen, ohne zeitlichen Bezug zu den Anfällen unterschieden werden Alkoholkonsum reduzieren) [47–50]. können [64–66]. Schließlich können durch Antiepileptika verursachte Ge- Angststörungen wichtsveränderungen oft ein gravierendes Problem in der Die Prävalenz von Angststörungen bei Epilepsiepatienten Therapieführung darstellen (Gewichtszunahme unter Val- liegt zwischen 15 und 25 % [67, 68]. Man kann zwischen proinsäure, Gabapentin und Pregabalin; Gewichtsabnahme präiktaler, iktaler, postiktaler und interiktaler Angst unter- unter Topiramat, Zonisamid und Felbamat) [51]. scheiden [69–71]. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2) 71
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien Neuropsychologische Beeinträchtigungen Von den klassischen Antiepileptika zeigen Carbamazepin, Neuropsychologische Beeinträchtigungen, u. a. in den Berei- Phenytoin und Valproinsäure geringe und vergleichbare kog- chen Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit und Sprache, wer- nitive Nebenwirkungen in den Bereichen psychomotorische den von nahezu der Hälfte der Patienten berichtet und im Geschwindigkeit, Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis. Wesentlichen durch die 3 folgenden Faktoren verursacht und Das kognitive Nebenwirkungsprofil von Phenobarbital ist et- beeinflusst [72–79]: was ungünstiger [80, 81]. 1. Morphologische Faktoren: Hier sind die Effekte von um- Von den neuen Antiepileptika haben insbesondere Lamo- schriebenen strukturellen Läsionen (so genannte trigin, Levetiracetam, Gabapentin und Pregabalin ein günsti- epileptogene Läsion, d. h. die strukturelle Läsion, die für ges kognitives Nebenwirkungsprofil und verursachen weni- die Anfallserkrankung ursächlich verantwortlich ist), von ger kognitive Nebenwirkungen als die klassischen Anti- diffusen Hirnschädigungen und schließlich von epilepsie- epileptika [82]. Topiramat hat von den neuen Antiepileptika chirurgischen Eingriffen zu unterscheiden. Das neuro- das größte Risiko für kognitive Nebenwirkungen, wobei es psychologische Beeinträchtigungsprofil wird dabei so- hier auch zu spezifischen Funktionsstörungen mit negativen wohl durch die Lokalisation als auch die Art der epi- Auswirkungen auf die Sprachfunktionen (z. B. Wortflüssig- leptogenen Läsion (stationäre versus progressive Läsion) keit) kommen kann [83, 84]. Dieses Risiko kann durch eine beeinflusst. Zudem können umschriebene Läsionen auch langsame Titration und eine niedrige Dosierung signifikant zu funktionellen Beeinträchtigungen in von der Läsion ent- vermindert werden. Auch für Zonisamid wurden negative ko- fernten Hirnregionen führen (z. B. frontale und laterale gnitive Effekte beschrieben [85]. temporale Funktionsstörungen bei Patienten mit mesialer Temporallappenepilepsie), was durch eine Störung von Schlafstörungen funktionellen Netzwerken erklärt werden kann. Diffuse Schlafstörungen treten bei Epilepsiepatienten signifikant häu- Hirnschädigungen können häufig zu Epilepsien und neuro- figer auf als in der Allgemeinbevölkerung. Insbesondere psychologischen Störungen führen. Schließlich müssen nächtliche Anfälle führen zu Schlafstörungen und einem ge- noch die neuropsychologischen Effekte von epilepsie- störten Schlafprofil. Diese Schlafstörungen führen wiederum chirurgischen Eingriffen erwähnt werden, wobei ins- zu einer signifikanten Beeinträchtigung der physischen und besondere auf postoperative Gedächtnis- und Sprach- psychischen Lebensqualität [86]. beeinträchtigungen verwiesen sei. 2. Klinische und demographische Faktoren: Hier sind das Al- Berücksichtigung der Bedürfnisse spezieller ter zu Erkrankungsbeginn, die Erkrankungsdauer, die An- Patientengruppen fallsfrequenz und -schwere und das Geschlecht zu erwäh- Hier sind die speziellen Bedürfnisse von Kindern, Frauen im nen. Ein früher Erkrankungsbeginn, eine lange Epilepsie- gebärfähigen Alter, älteren und retardierten Patienten (z. B. dauer, häufige, generalisierte tonisch-klonische Anfälle so- paradoxe Nebenwirkungen, eingeschränkte Möglichkeit der wie rezidivierende Status epileptici sind dabei Risiko- Patienten, allfällige Nebenwirkungen zu kommunizieren) zu faktoren für kognitive Beeinträchtigungen. berücksichtigen. 3. Funktionelle Faktoren: Dabei sind die Effekte der anti- epileptischen Medikation, einer allfälligen psychiatrischen Zusammenfassend sollte somit eine möglichst individuali- Komorbidität sowie von Anfällen und interiktalen sierte Pharmakotherapie erfolgen, die auf die Bedürfnisse des epileptiformen Entladungen zu nennen. jeweiligen Patienten abgestimmt wird – „individuelle Medi- kamente für individuelle Patienten“. Bereits Patienten mit neu diagnostizierten Epilepsien ohne Therapie, bei denen ein Medikamenteneffekt somit ausge- Behandlungsstrategien (Abb. 6) schlossen werden kann, zeigen im Vergleich zur Allgemein- bevölkerung kognitive Einschränkungen [78]. Das Vor- Initiale Monotherapie handensein von kognitiven Beeinträchtigungen ist auch einer Generell sollte aus mehreren Gründen (Effektivität, klare Be- der wichtigsten prognostischen Faktoren für die zu erwarten- urteilung von Effektivität und Nebenwirkungen, bessere Ver- de Anfallskontrolle [19]. träglichkeit, Verminderung des teratogenen Potenzials, keine pharmakokinetischen und/oder -dynamischen Interaktionen, Antiepileptika, die über eine Verminderung der bei der Epi- bessere Compliance, geringere Kosten) zunächst immer eine lepsie abnorm gesteigerten Exzitation wirken, können des- Monotherapie mit dem für die jeweilige Epilepsieform am halb auch zu einer Beeinträchtigung von physiologischen besten geeigneten Medikament durchgeführt werden (initiale Hirnfunktionen mit entsprechenden kognitiven Nebenwir- Monotherapie) [1, 21]. Vor Beginn einer Pharmakotherapie kungen führen. Die negativen kognitiven Effekte der kommt der möglichst genauen Eingrenzung der Epilepsie- Antiepileptika sind dabei im Allgemeinen wesentlich gerin- form entscheidende Bedeutung zu. Hier ist insbesondere die ger als die kognitiven Beeinträchtigungen im Rahmen der Unterscheidung zwischen fokalen und generalisierten Epi- Epilepsieerkrankung, können allerdings für die Patienten eine lepsien wichtig. Bei den meisten Patienten kann bereits mit zusätzliche kognitive Einschränkung bedeuten. Zumeist sind einer relativ niedrigen Dosis das Therapieziel, nämlich An- globale Funktionen, wie mentale und psychomotorische Ge- fallsfreiheit ohne Nebenwirkungen, erreicht werden, weshalb schwindigkeit, sowie Aufmerksamkeitsfunktionen betroffen. die grundsätzliche Strategie als „start low, go slow“ zusam- Generell erhöhen eine Polytherapie und hohe Dosen das Risi- mengefasst werden kann [15, 87]. Zirka 40–50 % der Patien- ko für kognitive Nebenwirkungen [80]. ten werden und bleiben unter einer initialen Monotherapie 72 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2)
Aktuelles zur Diagnostik und Therapie der Epilepsien anfallsfrei [10]. Deshalb kommt insbesondere der Wahl des ersten Medikaments entscheidende Bedeutung zu, da bei be- stehender Anfallsfreiheit eine Therapieumstellung immer schwer zu argumentieren ist. Initiale Therapie fokaler Epilepsien im Erwachsenenalter Für die initiale Therapie von fokalen Epilepsien im Er- wachsenenalter sind mittlerweile (in alphabetischer Reihen- folge) Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Levetirace- tam, Oxcarbazepin, Phenytoin, Topiramat und Valproinsäure zugelassen. In den Zulassungsstudien konnte kein signifikan- ter Unterschied in der antiepileptischen Wirksamkeit zwi- schen den neuen Antiepileptika und der jeweiligen Referenz- substanz (zumeist Carbamazepin) gefunden werden (mit Aus- nahme von Gabapentin, das weniger wirksam war). Hinsicht- lich der Nebenwirkungsrate waren die neuen Antiepileptika in den meisten Fällen besser verträglich als die Referenz- substanz. Die kombinierte Studien-Abbruchrate aufgrund von mangelnder Wirksamkeit und nicht-tolerierbaren Neben- Abbildung 6: Behandlungsstrategien wirkungen war also für die neuen Antiepileptika geringer, was einer höheren Effektivität entsprach (Effektivität = Wirk- Tabelle 4: Gründe für unbefriedigende Anfallskontrolle samkeit und Verträglichkeit) [88]. In einer großen, offenen, randomisierten kontrollierten Studie wurden die Wirksamkeit – Schwer behandelbare Epilepsie und Verträglichkeit von Carbamazepin, Gabapentin, Lamo- – Patient hat keine Epilepsie oder leidet neben epileptischen trigin, Oxcarbazepin und Topiramat in der Behandlung foka- auch an nicht-epileptischen psychogenen Anfällen ler Epilepsien verglichen. Ziel der Studie war es, das Vorge- – Falsche Klassifikation des Anfallsleidens hen in der klinischen Praxis möglichst realistisch nachzu- – Unzureichende Dosierung der Medikamente – Fehler bei der Kombination von mehreren Antiepileptika vollziehen. Für die eine primäre Zielvariable, die Zeit bis – Mangelnde Compliance zum Behandlungsabbruch (= Effektivität), war Lamotrigin si- gnifikant besser als Carbamazepin, Gabapentin und To- piramat, im Vergleich zu Oxcarbazepin ergab sich ein nicht- sches Ovarsyndrom, teratogenes Potenzial, negative Auswir- signifikanter Vorteil. Bei der anderen primären Zielvariable – kungen auf die kognitive Entwicklung von Kindern, die wäh- Zeit bis zu einer 12-monatigen Remission – war Carba- rend der Schwangerschaft gegenüber Valproinsäure exponiert mazepin signifikant wirksamer als Gabapentin und zeigte ei- wurden) relativiert, sodass Valproinsäure insbesondere bei nen nicht-signifikanten Vorteil gegenüber Lamotrigin, Topi- Frauen im gebärfähigen Alter zurückhaltend eingesetzt wer- ramat und Oxcarbazepin. Bei gleicher Effektivität war den sollte. Topiramat wirksamer als Gabapentin, Gabapentin jedoch bes- ser verträglich als Topiramat. Als Einschränkungen dieser Lamotrigin ist eine Alternative bei der Absence-Epilepsie des Studie müssen das offene Studiendesign, die zumindest teil- Schulalters und bei der juvenilen Absence-Epilepsie [90]. In weise Verwendung von Carbamazepin in nicht-retardierter einer rezenten doppelblinden Studie bei Patienten mit Ab- Form und der fehlende Vergleich mit Levetiracetam genannt sence-Epilepsie des Schulalters mit isolierten Absencen wa- werden [89]. Entsprechend den Leitlinien der Österreichi- ren Valproinsäure und Ethosuximid wirksamer als Lamo- schen und Deutschen Gesellschaften für Neurologie sollten trigin, zudem waren unter Ethosuximid signifikant weniger deshalb aufgrund des günstigeren Nebenwirkungsprofils, der Aufmerksamkeitsstörungen zu beobachten als unter Val- Pharmakokinetik mit geringem bis fehlendem Interaktions- proinsäure [91]. potenzial und fehlender Enzyminduktion, der günstigen Be- einflussung von Komorbiditäten und des breiten Wirkungs- Bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie und der Aufwach- spektrums Lamotrigin und Levetiracetam für die initiale The- Grand-mal-Epilepsie sind Lamotrigin, Topiramat, Levetirace- rapie von fokalen Epilepsien im Erwachsenenalter bevorzugt tam und Zonisamid mögliche Alternativen, wobei Lamotrigin werden [9]. myoklonische Anfälle verschlechtern kann [88, 92–95]. Generalisierte Epilepsien In einer offenen, randomisierten kontrollierten Studie wurden Bei den idiopathischen generalisierten Epilepsien richtet sich Valproinsäure, Lamotrigin und Topiramat in der Behandlung die Therapie nach den vorliegenden Anfallsformen und dem von generalisierten bzw. unklassifizierbaren Epilepsien ver- zugrunde liegenden Epilepsiesyndrom. Für die 4 wichtigsten glichen [96]. Für eine primäre Zielvariable, die Zeit bis zum idiopathischen generalisierten Epilepsiesyndrome (Absence- Behandlungsabbruch (= Effektivität), war Valproinsäure signi- Epilepsie des Schulalters, juvenile Absence-Epilepsie, juve- fikant besser als Topiramat, im Vergleich zu Lamotrigin er- nile myoklonische Epilepsie und Aufwach-Grand-mal-Epi- gab sich ein nicht-signifikanter Vorteil. Bei der anderen pri- lepsie) ist Valproinsäure nach wie vor das Mittel der ersten mären Zielvariable, der Zeit bis zu einer 12-monatigen Re- Wahl. Die hohe Effektivität der Substanz wird allerdings mission, war Valproinsäure signifikant wirksamer als Lamo- durch die Nebenwirkungen (Gewichtszunahme, polyzysti- trigin, gegenüber Topiramat ergab sich kein signifikanter Un- J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (2) 73
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