A Study of Storytelling - Visuelle Darstellungsformen des Denkens in der BBC-Serie Sherlock'
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A Study of Storytelling – Visuelle Darstellungsformen des Denkens in der BBC-Serie ‚Sherlock‘ Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Bachelor of Arts“ an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Eingereicht von: Kathrin Rühl Theater- und Medienwissenschaften 6. Semester Betreuer: Dr. Sven Grampp Erlangen, den 11. Juli 2014 3
Inhaltsverzeichnis 1. Das Denken verbildlichen – Storytelling durch Zeichensysteme ………………………………………. 3 1.1. Das Genie Sherlock Holmes ………………………………………………………………………………. 4 1.2. Die Fragestellungen ………………………………………………………………………………………….. 7 2. Einblendungen als Visualisierung von Gedanken …………………………………………………………..… 8 2.1 Exkurs: Bildschirme – Textnachrichten und Blogeinträge ……………………………….… 10 2.2. Die Gedanken des Sherlock …………………………………………………………………………….. 13 2.2.1. Ermittlungen …………………………………………………………………………………..… 14 2.2.2. Betrachtung von Personen ……………………………………………………………….. 17 2.2.3. Nachdenken …………………………………………………………………………………….. 18 2.3. Die Gedanken anderer Figuren im Vergleich zu Sherlock ………………………………… 19 3. Sherlocks „mind palace“ als Ort des Wissens ………………………………………………………………… 21 3.1. Kognitive Karten nach Roger M. Downs und David Stea ……………………..………….. 22 3.2. Kognitive Karten in Bezug auf Wissensspeicherung ………………………………..………. 24 3.3. Die mental map von Sherlock ………………………………………………………………..……….. 25 3.3.1. Stadtpläne als mentale Karten ………………………………………………..……….. 27 3.3.2. Konstruktion des „mind palace“ ………………………………………………..……… 29 3.3.3. Eintauchen in die Gedankenwelt ……………………………………………….……… 31 4. Die Grenzen des Films – Verwendung der Diagramme als narratives Mittel ……………..…… 35 5. Resümee ………………………………………………………………………………………………………….……………. 39 6. Episoden- und Literaturverzeichnis ………………………………………………………………………..……… 41 4
1. Das Denken verbildlichen – Storytelling durch Zeichensysteme Der Film ist ein komplexes Zeichensystem. Dieses Zeichensystem operiert mit schon bestehenden, primären Zeichensystemen und erzeugt Bedeutung.1 Das heißt, Film oder auch andere audiovisuellen Medien setzen sich aus visuellen und akustischen Zeichen zusammen. Zu den visuellen Zeichen gehören Bild und Schrift, zu den akustischen Zeichen Sprache, Geräusche und Musik.2 „Each of these signs communicates highly specific messages which relate to the story-world in diverse ways.“3 Die Zeichen sind also Träger von unterschiedlichen Informationen, mit denen eine Geschichte erzählt werden kann. Storytelling definiert sich zum einen durch den Inhalt einer Geschichte (story) und die Mittel und die Art und Weise wie diese Geschichte erzählt wird (telling).4 Die Zeichensysteme sind vor allem im Hinblick auf die Erzählweise und die Regulation der Informationen für den Zuschauer, das heißt für die Narration5, ein wichtiges Mittel. Eine außergewöhnliche Art des Storytellings findet sich in Sherlock. Die von der BBC seit 2010 produzierte Serie umfasst aktuell drei Staffeln mit je drei 90-minütigen Folgen. Die Showrunner Mark Gatiss und Steven Moffat6 hatten die Idee, die im viktorianischen Zeitalter spielenden Geschichten rund um Sir Arthur Conan Doyles Helden Sherlock Holmes in das London des 21. Jahrhunderts zu versetzen und sie modern zu interpretieren. Gerade die Figur des Meisterdetektivs und Genies erfordere eine besondere Art der Narration, so erklärt Moffat in Sherlock Uncovered: „“[…] Sherlock Holmes sees the world in an extraordinary way. So in a way it’s incumbent on us to visualize the world in an extraordinary way like Sherlock Holmes is behind the camera as well.”7 So ist allen voran die ausgiebige Verwendung des Zeichensystems der Schrift in Sherlock im Vergleich zu anderen Kriminalserien auffällig. Peter Wollen stellt fest: „Words enter into discourse of another order either to fix an ambiguous meaning, like a label or a title, or to contribute to the meaning that cannot otherwise be communicated, like the words in the bubbles in a strip- cartoon. Words either anchor meaning or convey it.”8 Übertragen auf Sherlock ist 1 Vgl. Decker / Krah 2008, S. 225f. 2 Vgl. Gräf u.a. 2011, S. 32. 3 Stam / Burgoyne / Flitterman-Lewis 1992, S. 69. 4 Vgl. Bordwell / Thompson 2013, S. 87. 5 Vgl. ebd., S. 93. 6 Vgl. Taylor 2012, S. 131. 7 Sherlock Uncovered 2012. 8 Wollen 2013, S. 99. 5
hauptsächlich die zweite Funktion von Bedeutung, denn das Medium der Schrift wird hier genutzt, um Denkvorgänge für den Zuschauer sichtbar zu machen. Neben der Schrift werden auch Diagramme und Bilder zur Hilfe genommen, aber der Zuschauer ist zunächst besonders durch die ungewöhnliche Verwendung der Schrift irritiert, weil dies vertraute Sehgewohnheiten bricht. Hat sie normalerweise andere Funktionen, wie zum Beispiel Start- und Endtitel oder Untertitel, wird die Schrift in Sherlock als tragendes Element der Narration behandelt. Bevor genauer erläutert wird, welche Zielsetzung diese Bachelorarbeit hat, soll eine kurze und einleitende Betrachtung der Figur des Sherlock Holmes erfolgen, auf deren Grundlage Arbeitshypothesen und Fragestellungen ausgearbeitet wurden und die für die spätere Analyse der Serie wichtig sein wird. 1.1. Das Genie Sherlock Holmes Der Brite Sir Arthur Conan Doyle erschuf seinen Helden Sherlock Holmes im ausgehenden 19. Jahrhundert9. Holmes ist ein „consulting detective“10 und bekannt für sein unglaublich umfangreiches Wissen und seine sehr ausgeprägte Auffassungsgabe. Durch sein rationales Denken und seine hohe Intelligenz gelingt es ihm selbst die schwersten oder als unlösbar geltende Kriminalfälle aufzuklären und alle Fragen zu beantworten11. Doyle lässt Sherlock Holmes seine Methode des Schlussfolgerns, in seinem ersten Holmes-Roman A Study in Scarlet selbst erklären: „Most people, if you describe a train of events to them, will tell you what the result would be. They can put those events together in their minds, and argue from them that something will come to pass. There are few people, however, who, if you told them a result, would be able to evolve from their own inner consciousness what steps were which led up to that result. This power is what I mean when I talk of reasoning backwards, or analytically.”12 In der Wissenschaft taucht im Zusammenhang mit dem Thema ‚Schlussfolgerungen‘ ein Name immer wieder auf: Charles Sanders Peirce. Peirces Theorie folgt der Vorstellung von drei verschiedenen Arten des Schlussfolgerns, die da heißen Induktion, Deduktion und Abduktion. 9 Vgl. La Paz 2012, S. 82. 10 Doyle 1892, S. 40. 11 Vgl. La Paz 2012, S. 85 und 91. 12 Doyle 1982, S. 268f. 6
Bei der Induktion wird nach wiederholten Tests eine wahrscheinliche Regel aufgestellt. Es wird von einer einzelnen Gegebenheit auf das Ganze geschlossen (bottom up).13 Die Deduktion funktioniert genau umgekehrt. Hier wird das Ganze auf das Einzelne bezogen, das heißt, aus einem Fall und einem Gesetz wird ein Resultat prognostiziert (top down).14 Die dritte Schlussfolgerungsart beschreibt Peirce folgendermaßen: ‚ […] to give the name of abduction to the process of selecting a hypothesis to be tested.’15 Vergleicht man nun die oben zitierte Aussage von Sherlock Holmes bei Doyle mit diesen Definitionen, so schließen die meisten Personen deduktiv, während nur wenige, besondere Personen Abduktionen durchführen können. Es ist also die letztere der drei genannten Schlussfolgerungsarten, die bei Sherlock Holmes Anwendung findet, auch wenn Doyle – fälschlicherweise, wie Umberto Eco feststellt16– in seinen Büchern von der Wissenschaft der Deduktion17 spricht. Dies könnte daran liegen, dass Peirce erst im 20. Jahrhundert mit den Forschungen zur Abduktion begonnen hatte, also sehr viel später nach der Veröffentlichung von Doyles Romanen. Jedoch nennen sowohl Doyle als auch Peirce die Schlussart von Sherlock Holmes ‚reasoning backward‘ beziehungsweise ‚retro-duction‘ – eine frühe Bezeichnung der Abduktion.18 Bei der Abduktion wird demnach nach einem Gesetz gesucht, dass den vorliegenden Fall und sein Resultat erklärt.19 Dazu werden verschiedene Hypothesen, also Vorannahmen oder Unterstellungen, aufgestellt und nacheinander getestet, bis sie sowohl den Indizien, aber auch dem Resultat entsprechen. Peirce erklärt dieses Vorgehen folgendermaßen: „Wir drehen unsere Erinnerungen an die beobachteten Fakten um; wir versuchen die Erinnerungen an die beobachteten Tatsachen so zu rearrangieren [rearrange], sie aus solch einer neuen Perspektive zu betrachten, daß uns die unerwartete Erfahrung nicht länger überraschend erscheint.“20 Damit Holmes eine Hypothese aufstellen kann, muss er Indizien wahrnehmen und objektive Tatsachen sammeln. Diese werden dann mit seinem schon angelernten Wissen in 13 Vgl. Eco 1990, S. 207. 14 Vgl. ebd., S. 206. 15 Richter 1995, S. 53., dort nach: Burks, A.W. (Hrsg.): Collected Papers of Charles Sanders Peirce. Bd. VII-VIII. Amsterdam, Philadelphia 1983, Bd. 7, Abschnitt 245. 16 Vgl. Eco 1990, S. 208. 17 Vgl. Doyle 1892, S. 38. 18 Vgl. Seboek / Umiker-Seboek 1980, S. 64f. 19 Vgl. Eco 1990, S. 207. 20 Peirce 2008, S. 268. 7
Verbindung gebracht21. Hypothesen werden oft auch durch Instinkt22, also durch reines Raten, erstellt und sind somit Mutmaßungen23. Bei der Abduktion aufgestellte Hypothesen sind aus diesem Grund nie endgültig, sondern nur vorläufig und können verändert und korrigiert werden, das bedeutet gleichzeitig, dass Hypothesen auch falsch sein können. Die Abduktion steht nach Peirce an erster Stelle, darauf folgt zum Überprüfen der Hypothese die Induktion oder die Deduktion.24 Die möglichen Hypothesen werden also per Ausschlussverfahren25 eingegrenzt. Dafür nutzt Holmes sein abgespeichertes Wissen, das unendlich erscheint. Falls sich Holmes in einem Fachgebiet nicht genau auskennt, befragt er auch häufig Experten, zum Beispiel seinen Freund Dr. John Watson26. Außerdem benutzt der moderne Sherlock Holmes in der Serie sehr oft sein Smartphone, um aktuelle Daten zu sammeln, zum Beispiel Wetterberichte.27 Eine weitere Besonderheit stellt das sogenannte homeless network dar, eine Gruppe von Obdachlosen, die Holmes mit Informationen versorgt.28 Ob die übriggebliebenen Hypothesen richtig sind, ist damit aber noch nicht geklärt.29 Eine Bestätigung ist notwendig. Dies kann nicht nur durch Experimente30 geschehen, sondern beispielsweise auch durch die Zustimmung umstehender Personen oder ihren Reaktionen. „Der Detektiv erfindet die Lösung in seinem Geist und ‚sagt‘ sie, als ob sie die Wahrheit wäre – und prompt wird die Hypothese von Watson, vom anwesenden Mörder oder von jemand anderem verifiziert.“31 „As the Master Detective, Sherlock Holmes is also the master of information and its use.“32, fasst Rhonda Harris Taylor zusammen und ebendiese außergewöhnliche Gabe erfordert eine besondere Darstellungsweise in der Serie. Holmes‘ faszinierende Beobachtungs- und Ermittlungsgabe wird für den Zuschauer deutlich ausgestellt, damit dieser die Denkweise des Genies versteht. 21 Vgl. Peirce 2008, S. 269. 22 Vgl. Richter 1995, S. 156. 23 Vgl. Peirce 2008, S. 269f. 24 Vgl. Richter 1995, S. 124f. 25 Vgl. Doyle 1982, S. 271. 26 Vgl. La Paz 2012, S. 87. 27 Vgl. Taylor 2012, S. 133. 28 Vgl. Stiefel 2013, S. 93. 29 Vgl. Eco 1990, S. 209. 30 Vgl. Richter 1995, S. 16. 31 Eco 1990, S. 211. 32 Taylor 2012, S. 128. 8
1.2. Die Fragestellungen Karoline Stiefel lieferte mit ihrer Magisterarbeit „Geistesblitze und Genialität – Bilder aus dem Gehirn des Detektivs. Die Visualisierung von Imagination in den TV-Serien Sherlock und House“33 schon entscheidende Beobachtungen zur Darstellung des Blickes und des Denkens in Sherlock. Sie behandelte nur die ersten zwei Staffeln, da die Dritte erst Anfang 2014 im britischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Aus diesem Grund soll sich diese Bachelorarbeit vor allem auf die neuerschienene dritte Sherlock-Staffel beziehen. Sie wird aber auch auf die ersten beiden Staffeln zurückgreifen, um Thesen zu unterstützen und Entwicklungen innerhalb der Serie aufzuzeigen. Des Weiteren werden Aspekte aus Stiefels Dissertation aufgegriffen und vertieft. Stiefel stellte verschiedene Kategorien des Blicks auf, wovon gerade eine dieser Blickkategorien für diese Arbeit wichtig ist. Dieser Blick benötigt nämlich zusätzlich das Zeichensystem der Schrift. „Es wird also nicht nur ein Wahrnehmungsbild aus Sherlocks Sicht gezeigt […], sondern was genau Sherlock wiederum in diesem Wahrnehmungsbild sieht […].“34, definiert Stiefel. In dieser Bachelorarbeit wird es eine Konzentration auf Denkvorgänge geben, die sich aber dennoch nicht ganz vom Sehen/Blicken abspalten lassen, denn Sherlock muss Spuren erst beobachten und erfassen, bevor er Hypothesen aufstellen und schließlich den Fall lösen kann. Des Weiteren findet Sherlocks Speicherung des Wissens bei Stiefel nur kurz Erwähnung. Eine „Art kognitive Landkarte“35 beschreibt Stiefel, ohne eine genauere Erklärung hinzuzufügen. Genau an diesem Punkt setzt diese Bachelorarbeit an und versucht eine Definition von Sherlocks Wissensspeicherung und ihrer Funktion zu finden. Das Kapitel „Einblendungen als Visualisierung von Gedanken“ wird sich mit den Einblendungen von Diagrammen beschäftigen, während das Kapitel „Sherlocks „mind palace“ als Ort des Wissens“ die kognitive Wissensspeicherung zum Thema hat. Darauffolgend versucht das Kapitel „Die Grenzen des Films – Verwendung der Diagramme als narratives Mittel“ Antworten auf die zentralen Fragen dieser Analyse zu finden: Wie werden die Denkvorgänge mit Hilfe der der Diagramme visualisiert und welchen Zweck hat der Rückgriff auf das Zeichensystem der Schrift im Kontext des filmischen Zeichensystems? Stößt das filmische Medium bei der Darstellung von Gedanken an seine Grenzen? 33 Vgl. Stiefel 2013. 34 Ebd., S. 82. 35 Ebd., S. 94. 9
2. Einblendungen als Visualisierung von Gedanken Ein Begriff der einen Zusammenhang zwischen Gedanken und dem Zeichensystem der Schrift beschreibt ist Diagrammatik. Sie umfasst „einerseits die mentalen Operationen, die sich vor dem geistigen Auge abspielen, und andererseits prinzipiell alle Medien, die diesen Operationen einen Anschauungs- und Spielraum zur Verfügung stellen.“36 Aber die Diagrammatik lässt sich auch in den Semiotik-Theorien von Charles Sanders Peirce wiederfinden. Dort ist sie ein „allgemeines Entwurfs- und Erkenntnisverfahren, das in Diagrammen (und noch anderen Zeichenkonfigurationen) zur Anwendung kommt.“37 Das Verfahren basiert auf der grundlegenden Annahme, dass in Diagrammen zwischen dem Zeichen und seinem realen Objekt eine Ähnlichkeitsbeziehung besteht.38 Das heißt wiederrum, die visuelle Darstellungsform des Diagramms gehört in Peirces Zeichenkategorie des Ikons, das sich durch seine Ähnlichkeit definiert.39 Diagramme sind aber nicht nur Visualisierungsformen, sondern auch Erkenntnisinstrumente. Anhand ihrer ist es möglich Hypothesen durchzuspielen, was Peirce auch diagrammatisches Schließen nennt und auf die Schlussfolgerungsart der Abduktion zurückgeht.40 In der Einleitung dieser Arbeit wurde schon erwähnt, dass in der Serie Sherlock Einblendungen von Schrift, aber auch anderen Zeichen wie Graphen oder Bildern, verwendet werden, um mentale Prozesse darzustellen. In diesem Fall kann also von Diagrammatik gesprochen werden, zumal dem Zuschauer dadurch Elemente geliefert werden, anhand derer Sherlock seine Hypothesen aufstellt und durchspielt und der Zuschauer mit Hilfe der Einblendungen genau das gleiche tun kann. Die Einblendungen machen sich verschiedene Zeichensysteme zu Eigen und werden in für das filmische Medium ungewöhnlicher Art und Weise für die Handlung genutzt. Aber was sind die „normalen“ Funktionen des Zeichensystems der Schrift (Diagramme/Graphen und Bilder miteingefasst) im Film oder anderen audiovisuellen Medien? „Schrift (im Sinne von Buchstabenschrift) kommt im Film vor: als Start-und Endtitel, im Stummfilm zusätzlich als Zwischentitel; als Insert; als Untertitel; als abstrakter Zeichencode oder als einzelnes Zeichen; als eigenständiges Thema; als Bild oder Kalligraphie; 36 Bauer / Ernst 2010, S. 10. 37 Ebd., S. 17. 38 Vgl. ebd., S. 19. 39 Vgl. Schade / Wenk 2011, S. 95. 40 Vgl. Bauer / Ernst 2010, S. 66. 10
als Ornament.“41 Ihre Funktion ist zum einen ein „institutionalisierter Verweis“42, zum Beispiel durch die Credits, und zum anderen ein Hilfsmittel der Narration, dazu zählen unter anderem Orts- und Zeitangaben. Als dritte und letzte Funktion kann die Schrift als Bild erwähnt werden.43 Michael Schaudig liefert Kategorien in Bezug auf Gestalt der Schrift, die da sind: Typogramm, Typokinetogramm, Ikonogramm und Ikonokinetogramm.44 Zur Kategorie des Typogramms zählen Schrifttafeln und Inserts, die sich auf einer zwei- dimensionalen Fläche befinden. Das Typokinetogramm ist eine Erweiterung des Typogramms, denn die Schrift ist in diesem Fall animiert, aber immer noch auf einer planen Fläche angeordnet.45 Das Ikonogramm ist in einen drei-dimensionalen Raum eingebettet und das Ikonokinetogramm ist dementsprechend in einem Schriftraum animiert.46 Diese Kategorien werden vor allem im Hinblick auf die Entwicklung des Zeichensystems Schrift innerhalb der Serie eine Rolle spielen. Die Serie Sherlock beginnt in der ersten Folge A Study in Pink zunächst mit der eher klassischen Funktion von Schrift als Zeitangabe. „October 12th“ in weißer Schrift ohne Serifen wird am unteren Bildrand mittig eingeblendet47. Ortsangaben werden in gleicher Gestaltung dem Zuschauer präsentiert, zum Beispiel „Minsk, Belarus“ in The Great Game48. Das Selbe gilt für die Kombinationen von Ort und Uhrzeit (unter anderen „Tower of London 11:00“) in The Reichenbach Fall49. Zwei besondere Beispiele finden sich zum einen in The Great Game und zum anderen in The Sign of Three. In letzterer Folge wird die Zeitangabe zwar genauso gestaltet wie in anderen Folgen, jedoch verändert sich die Position der Texteinblendung mehrfach50. So wird beispielsweise die Schrifteinblendung oft nach rechts verschoben, befindet sich aber immer noch am unteren Bildrand. Durchaus interessanter ist die Zeitdarstellung in The Great Game, wo Sherlock verschiedene Fälle innerhalb eines gegebenen Zeitrahmens lösen muss. Damit der Zuschauer einen Überblick über den Zeitverlauf behält, werden immer wieder Zahlen eingeblendet, die die verbleibenden Stunden anzeigen. Diese Zahlen nehmen fast die komplette Bildhöhe ein und werden 41 Friedrich /Jung 2002, S. 10. 42 Ebd., S. 10. 43 Vgl. ebd., S. 11. 44 Vgl. Schaudig 2002, S. 173f. 45 Vgl. ebd., S. 177f. 46 Vgl. ebd., S. 180f. 47 Vgl. 1x01 A Study in Pink. 48 Vgl. 1x03 The Great Game. 49 Vgl. 2x03 The Reichenbach Fall. 50 Vgl. 3x02 The Sign of Three. 11
langsam kleiner. Sie sind weißlich-transparent und entweder in der linken Bildhälfte oder mittig platziert. Bei jeder Einblendung ist außerdem ein Ticken zu hören, was die Funktion der Einblendungen als Zeitangabe nochmals verdeutlicht.51 Betrachtet man alle Folgen der Serie, so ist auffällig, dass die narrative Funktion als Orts- und Zeitangabe nur selten genutzt wird. Die Hauptaufgabe der Schrift ist nämlich die Darstellung von den Gedanken der Hauptfigur Sherlock. Sie hat also eine ganz andere und sehr ungewöhnliche Funktion im Vergleich zu anderen audiovisuellen Medien. ‚We don’t have any direct access to another’s thoughts. Our ideas of the working of another person’s mind may be derived from what the person says or does […].’52 Gedanken sind für den Menschen nicht sichtbar, das heißt sie können als solche auch nicht dargestellt werden. Eine neue Form der Darstellung muss also gefunden werden, die sich nur auf Aussagen und eigene Vorstellungen von der Gestalt der Gedanken stützen kann. Bei der Umsetzung bleibt aber immer ein unbestimmbarer und nicht darstellbarer Restgehalt übrig, der zum einen damit zusammenhängt, dass Menschen Gedanken nicht sinnlich fassen können. Zum anderen beruhen Diagramme aus Schrift und Bild nur auf einer Ähnlichkeit zum dargestellten Objekt, das heißt sie können Gedanken nie darstellen, sondern nur eine Vorstellung von Gedanken durch ein bestimmtes Zeichensystem. In Sherlock wird das Zeichensystem der Schrift sozusagen von seinen eigentlichen Funktionen entliehen und dafür eingesetzt, etwas an sich Unsichtbares dem Zuschauer vermitteln zu können. Außerdem wird die Schrift auch für die Darstellung von Textnachrichten und Blogeinträgen benutzt. Auf diese Funktion soll nun kurz in einem Exkurs eingegangen werden, bevor eine ausführliche Betrachtung der Visualisierung von den Gedanken Sherlocks folgen wird. 2.1 Exkurs: Bildschirme – Textnachrichten und Blogeinträge Gleich nach den Zeitangaben in A Study in Pink wird eine neue Funktion der Schrift eingeführt. Während einer von Scotland Yard gehaltenen Pressekonferenz klingeln plötzlich die Handys aller Anwesenden im Raum. Während die Personen ihr Handy hervorholen, werden Schriftzüge eingeblendet. „Wrong!“ schwebt in weißer Schrift ohne Serifen über 51 Vgl. 1x03 The Great Game. 52 Stiefel 2013, S. 7, nach John T. Irving: Mysteries We Reread, Mysteries of Rereading: Poe, Borges, and the Analytical Detective Story. In: Merivale, Patricia / Sweeney, Susan: Detecting Texts. The Metaphysical Detective Story from Poe to Postmodernism. Philadelphia 1999, S. 36. 12
jedem Handy und wird Sekunden später wieder abgeblendet. Es folgt eine Detailaufnahme des Handydisplays von Inspector Donovan, auf dem die Nachricht „Wrong!“ zu sehen ist. Durch diese Information kann der Zuschauer sehr schnell verstehen, dass es sich bei den eingeblendeten Schriftelementen um Textnachrichten handelt. Dies wird außerdem durch einen kurzen Dialog bekräftigt: „If you all got texts, please ignore them“, bittet Donovan, worauf ein Reporter antwortet: „It just says ‚Wrong!‘“53. Damit ist die Funktion der Texte, die neben Handys angeordnet ist, fest etabliert und wird im weiteren Verlauf der Folge auch ausgiebig genutzt. Beispielsweise werden sehr abstrahierte Handymenüs aus einfachen weißen Schriftzügen eingeblendet, wenn John nach seinen gesendeten Nachrichten schaut oder Sherlock im Internet nach dem Wetterbericht sucht54. Nach Schaudigs Kategorisierung kann in der ersten Staffel nur von Typogrammen und Typokinetogramm gesprochen werden. Die Einblendungen der Textnachrichten und Blogeinträge sind auf einer planen Fläche angeordnet und teilweise auch animiert. In der zweiten Staffel wird die Gestalt der Einblendungen weiterentwickelt. Während die Texteinblendungen in der ersten Staffel immer an einer horizontalen Achse ausgerichtet waren, sind die Texte in der zweiten Staffel teilweise auch schräg angeordnet. John geht in der Folge The Reichenbach Fall zu einem Bankautomaten, um Geld zu holen. Der Text auf dem Bildschirm des Automaten wird hinter John in der rechten Bildhälfte gezeigt. Er ist nach links gedreht, also diagonal angeordnet und außerdem leicht nach hinten gekippt und schattiert.55 Des Weiteren wurde auch das Handymenü neu visualisiert. Die Einblendung von Irene Adlers Handymenü wird durch einen grünen Hintergrund bestimmt, auf dem sich die Menüpunkte in weißer Schrift anordnen. Zusätzlich ist jedem Menüpunkt ein passendes Symbol zugeordnet.56 John Watson schreibt in der Serie einen Weblog, dessen Blogeinträge in der zweiten Staffel häufig dem Zuschauer eingeblendet werden. Jedoch kann der Zuschauer meistens nur die Titelzeile deutlich erkennen, während der Rest des Eintrags größtenteils unleserlich ist.57 Noch aufwendiger gestaltet werden die Einblendungen von Textnachrichten in der dritten Staffel. Die weiße Schrift ist nun in einen schwarz-schattierten Kasten eingebettet, 53 1x01 A Study in Pink. 54 Vgl. ebd. 55 Vgl. 2x03 The Reichenbach Fall. 56 Vgl. 2x01 A Scandal in Belgravia. 57 Vgl. ebd. 13
der an die Darstellung von Nachrichten in einem Smartphone-Chat erinnert. Der Ähnlichkeitsbezug zwischen Einblendung (Diagramm) und Chat (realem Objekt) wird nochmals vertieft. Durch den Kasten wird die sonst plane Schrift zum Ikonogramm. Interessant ist auch, dass bei Ankunft einer weiteren Nachricht, die Ältere sich zunächst nach oben verschiebt, dann wegrollt und somit verschwindet58, was der Definition eines Ikonokinetogramm entspricht, dass in einem dreidimensionalen Schriftraum animiert ist. Eine weitere Besonderheit ist das Verändern der Schriftfarbe. In den ersten beiden Staffeln ist die Schrift immer weiß. Die einzige Ausnahme bildet eine Schrifteinblendung in der Weihnachtsszene in A Scandal in Belgravia, die Molly Hoopers rote, geschwungene Handschrift auf einem Geschenk repräsentiert.59 In der dritten Staffel fahren Sherlock und Johns Freundin Mary Morstan auf einem Motorrad durch die Stadt, um den entführte John zu retten. Diese Sequenz wird in einem späteren Kapitel und in einem anderen Zusammenhang von besonderer Wichtigkeit sein, jedoch ist sie schon an dieser Stelle erwähnenswert, da hier zum ersten Mal die Schriftfarbe bei Textnachrichten verändert wird. Mary bekommt mehrere Textnachrichten von dem Entführer, die die verbleibende Zeit bis zu Johns Tod anzeigen. Begonnen wird mit einer weißen Schrift und je näher John an seinem Tod ist, desto röter wird die Schrift. Von einem anfänglichen Orange bis zu einem Knallrot.60 Aber nicht nur die Darstellung von Textnachrichten wird in der dritten Staffel weiterentwickelt. Während des Junggesellenabschieds von John testet Sherlock den Einfluss von Alkohol und gibt die Werte in sein Smartphone ein. Dabei erscheinen mehrfach Einblendungen von animierten Graphen in der Nähe des Handys. Dem Zuschauer wird also in vereinfachter Form das Entscheidende auf dem Display gezeigt. Zum Schluss der Betrachtung von Bildschirmen, Textnachrichten und Blogeinträgen ist noch zu erwähnen, dass die Einblendungen extra-diegetisch sind. Sie sind nicht Teil der „fiktionalen Welt“61, die Figuren können die Einblendungen also nicht sehen und deshalb reagieren sie nicht darauf. Jedoch wird mit dem Verhältnis von Diegese und Nicht-Diegese auch gespielt. In der letzten Folge der ersten Staffel bekommt John eine SMS, die neben ihm eingeblendet wird. Da John direkt vor einer Wand steht und die SMS neben John angeordnet 58 Vgl. 3x01 The Empty Hearse. 59 Vgl. 2x01 A Scandal in Belgravia. 60 Vgl. 3x01 The Empty Hearse. 61 Decker / Krah 2008, S. 227. 14
ist, erscheint es fast, als sei die SMS direkt auf die Wand geschrieben.62 Die Grenze zwischen Diegese und Nicht-Diegese scheint zu verschwimmen. In The Hounds of Baskerville besuchen Sherlock und John den Militärstützpunkt Baskerville. Ein Computer überprüft ihre Identität. Zunächst wird ein Computerbildschirm mit der Sicherheitsanfrage gezeigt, in der nächsten Einstellung ist der gleiche Text der Sicherheitsanfrage auf die weiße Wand projiziert, an der Sherlock und John zusammen mit einem Soldaten vorbeilaufen.63 Auch hier wirkt die Schrift wieder wie eine Malerei auf der Wand, also eher diegetisch als extradiegetisch. Ein weiteres Beispiel ist ein Blogeintrag in der zweiten Staffel. John sitzt an seinem Laptop und schreibt einen Blogeintrag, der dem Zuschauer Buchstabe für Buchstabe eingeblendet wird. Die Einblendung ist oberhalb Johns angeordnet und scheint sich dem Raum, in dem Sherlock und John sich bewegen, bewusst zu sein. So befindet sich genau dort im Text eine Lücke, wo an der Wand ein Deko-Tierschädel hängt, und die Zeilen enden kurz vor Sherlock, der gegenüber von John steht.64 Bei den bisherigen Beispielen wird die Grenze zwischen diegetischer und extradiegetischer Welt thematisiert, aber nicht durchbrochen. Den Bruch mit der Grenze zwischen Diegese und Nicht-Diegese, die auch vierte Wand genannt wird, bringt eine Szene in A Scandal in Belgravia, die bisher einzigartig ist. Sherlocks Erzfeind Jim Moriarty bekommt eine Textnachricht auf die er mit „Jumbo Jet. Dear me, Mr. Holmes, dear me.“65 antwortet. Während Moriarty tippt erscheint die Nachricht am unteren Bildrand unterhalb Moriartys Arm. Die Einblendung fliegt dann langsam nach oben zu Moriartys Gesicht und schließlich in Richtung der rechten oberen Bildecke, wobei sie sich parallel verkleinert. Moriarty bläst dann in Richtung des Textes, woraufhin die Buchstaben, die die SMS gebildet haben, auseinander fliegen und abgeblendet werden. Moriarty als Figur der diegetischen Welt reagiert also auf die extradiegetische Texteinblendung. Die vierte Wand zwischen ihm und den Texten wird zerbrochen. 2.2. Die Gedanken des Sherlock Die Hauptaufgabe der Einblendungen in Sherlock ist die Visualisierung von Sherlocks Gedanken. Dass Sherlock etwas wahrnimmt wird zumeist durch Nahaufnahme von Sherlocks Gesicht und eine darauffolgende Detailaufnahme aus Sherlocks Sicht inszeniert. Zudem 62 Vgl. 1x03 The Great Game. 63 Vgl. 2x02 The Hounds of Baskerville. 64 Vgl. 2x01 A Scandal in Belgravia. 65 2x01 ebd. 15
werden in diese Detailaufnahmen häufig Diagramme (Schrift, Bilder oder Graphen) eingeblendet, die erklären, was Sherlock genau sieht66 und somit seine Gedanken repräsentieren. Anders formuliert, die Schrift steuert die Konzentration des Zuschauers67 und zeigt dem Zuschauer, was er genau sehen soll. An das Thema der Diegese aus dem vorherigen Kapitel anschließend, gilt auch für diese Einblendungen, dass sie nicht Teil der Diegese sondern extradiegetisch sind. In The Sign of Three läuft Sherlock sogar zwischen Einblendungen hindurch, auch er scheint sie nicht zu sehen68. An anderer Stelle verschwinden auf Sherlocks Zusammenkneifen der Augen oder durch leichtes Kopfschütteln die Texte.69 Die Grenze zwischen Diegese und Nicht- Diegese ist auch hier variabel. Die Gedanken Sherlocks bleiben jedoch allen anderen Figuren innerhalb der Serie verborgen, wenn Sherlock sie ihnen nicht mitteilt. Mrs. Hudson stellt in A Scandal of Belgravia passenderweise fest: „He’s Sherlock. How will we ever know what goes on in that funny odd head.”70 Der Zuschauer erhält dagegen Einblick in Sherlocks Kopf. Ihm wird sozusagen eine besondere Rolle zugewiesen, denn durch die Einblendungen weiß er mehr als die Personen in Sherlocks Umwelt. Da die Einblendungen aber zumeist fertige Schlussfolgerungen sind, braucht der Zuschauer dennoch eine Erklärung von Sherlock selbst, wie er Indizien entdeckt und was er daraus vermutet hat. Im Folgenden soll die Darstellung von Gedanken durch Zeichensysteme bei Sherlocks Ermittlungen, bei der Betrachtung von Personen durch Sherlock und beim Nachdenken analysiert werden. 2.2.1. Ermittlungen Sherlock untersucht in A Study in Pink eine weibliche Leiche, die von Kopf bis Fuß in Pink gekleidet ist.71 In dieser Sequenz werden zum ersten Mal die Einblendungen von Sherlocks Gedanken bei einer Ermittlung eingesetzt. Die Schriftgestaltung unterscheidet sich in ihrer Art und Farbe nicht von den Textnachrichten, jedoch ist sie deutlich animierter. So hat beispielsweise das Todesopfer mit ihren Fingernägeln das Wort ‚Rache‘ in den Boden gekratzt. Da sich Sherlock aber sicher ist, dass die Frau nicht das deutsche Wort meinte, 66 Vgl. Stiefel 2013, S. 81f. 67 Vgl. Schaudig 2002, S. 172. 68 Vgl. 3x02 The Sign of Three. 69 Vgl. 1x01 A Study in Pink. 70 2x01 A Scandal of Belgravia. 71 Vgl. 1x01 A Study in Pink. 16
versucht er die vorhandenen Buchstaben zu ergänzen. Eine Reihe von Buchstaben blättert am Wortende auf und wieder ab, bis zuletzt der Buchstabe L stehen bleibt. Danach fährt Sherlock mit einem Gummihandschuh an verschiedenen Stellen des Mantels entlang. Eine Detailaufnahme von Sherlocks Hand wird jeweils durch einen Schriftzug ergänzt, der anzeigt, dass der Handschuh nass („wet“) oder trocken („dry“) ist. Gleiches gilt für die Schmuckstücke, die Sherlock mit der Lupe untersucht. Die Detailaufnahmen werden entweder durch „clean“ oder „dirty“ ergänzt. Der als schmutzig bezeichnete Ring wird nochmals in einer Detailaufnahme gezeigt. Aus einer Mischung aus Aufblättern und Einblenden kommt folgender Text hervor: „unhappily married 10+ years“. Als Sherlock den Ring der Frau abzieht, erkennt der Zuschauer, dass der Ring innen noch glänzt, während er außen matt ist. Dies wird auch durch zwei passende Texteinblendungen hervorgehoben. Die Buchstaben der Wörter beginnen zu rotieren und werden zu zwei neuen Wörter „regularly removed“. Es folgt eine Nahaufnahme des Gesichts der Toten und die Schlussfolgerung Sherlocks („serial adulter“) wird vergleichsweise groß eingeblendet. Obwohl dem Zuschauer alle möglichen Indizien und teilweise auch schon daraus erfolgte Schlussfolgerungen durch die Texte präsentiert bekommt, muss Sherlock dennoch sowohl den anwesenden Personen, als auch dem Zuschauer selbst eine Erklärung über die Verknüpfungen der Tatsachen liefern. Nach Schaudigs Kategorisierung kann bei den Einblendungen in A Study in Pink von Typogrammen und Typokinetogrammen gesprochen werden. In der dritten Staffel wird Sherlock zu einem Tatort gerufen, an dem Scotland Yard ein auf einem Stuhl sitzendes Skelett gefunden hat72, das mit einem Anzug bekleidet ist. Die Sequenz setzt sich aus alternierender Blickdarstellung, zum Beispiel durch eine Lupe, und Detailansichten zusammen. Im Hintergrund sind häufig ratternde Computergeräusche zu hören, was Karoline Stiefels These unterstützt, dass Sherlocks Gedankenwelt genauso wie ein Computer funktioniert.73 Sherlock beugt sich zur Jacke des Skeletts herunter und riecht an ihr. Aus seiner Nase kommend erscheint der Text „PINE?“ in weißer Schrift. Darauf folgen „SPUNCE?“ und „CEDAR“ – letzteres Wort in leicht gelblicher Schrift – , die den jeweils vorherigen Text nach oben schubsten, worauf dieser dann abgeblendet wird. „NEW MOTHBALLS“ in gelblicher Schrift drängt „CEDAR“ nach rechts, bevor die Buchstaben selbst in kleine Bälle zerspringen und verschwinden. In einer Detailaufnahme des Kiefers des 72 Vgl. 3x01 The Empty Hearse. 73 Vgl. Stiefel 2013, S. 98. 17
Skeletts setzt sich das Wort „carbon particertate“ aus vielen kleinen Buchstaben zusammen und verschwindet in Sekundenschnelle wieder, während im Hintergrund erneut ein Computergeräusch zu hören ist. „Fire Damage“ ist die letzte Texteinblendung bei Sherlocks Untersuchung des Skeletts. Die Schrift ist rötlich-gelb und erinnert in ihrer Farbigkeit an flackernde Flammen, was durch das Geräusch von Flammen unterstützt wird. Kleine Buchstaben gehen von dem Schriftzug wie Funken ab. Die Buchstaben ändern nach und nach ihre Farbe in ein dunkles Rot und verschwinden schließlich. Des Weiteren wird ein Kompass über einem Gitternetz neben dem Schädel eingeblendet, der sich leicht dreht. Diese Art der Einblendung kann als Diagramm bezeichnet werden und kommt auch in anderen Zusammenhängen häufiger in der Serie vor. Die Sequenz ist nicht nur eine Neuerung im Hinblick auf die Animation und Gestaltung der Einblendungen, die vorher durch die weiße Farbe recht simpel gestaltet waren, interessant, sondern zum ersten Mal wird ein innerer Monolog zwischen Sherlock und John verbildlicht. Während Sherlock das Skelett weiter betrachtet, hört man plötzlich Johns Stimme und parallel wird die Aussage durch einen flackernden rot-weißen Text begleitet von einem „buzz“-Sound eingeblendet. Sherlock antwortet laut auf die vorgestellte Stimme und reagiert auch auf die Texte. „JEALOUS?“ wird vor Sherlocks Mund eingeblendet und als Sherlock „Shut up!“ sagt, werden die Buchstaben zusammengeschoben und verschwinden. Den Text „SHOW OFF“ wehrt Sherlock mit einer Armbewegung ab und auch „SMART ARSE“ wird durch ein Kopfschütteln und das Heben einer Hand verscheucht. Wie schon erwähnt, thematisiert die Reaktion auf die eigentlich extradiegetischen Texte die Grenze zwischen Diegese und Nicht-Diegese. Eine weitere nennenswerte Szene spielt sich in der zweiten Folge der dritten Staffel ab74. Sherlock und John kommen völlig betrunken von Johns Junggesellenabschied nach Hause, als plötzlich eine Klientin vorbeikommt und die beiden um Hilfe bittet. Sherlock und John fahren mit ihr zu einer Wohnung, die untersucht werden soll. Durch den Alkohol ist Sherlocks Wahrnehmung merklich gestört, was auch in der Gestaltung der Einblendungen, aber auch auf Ebene der Kamera, umgesetzt wird. Sherlock läuft durch die Wohnung und es werden Detailaufnahmen von den Gegenständen, die er für wichtig hält, gezeigt. Diese Detailaufnahmen aus Sherlocks Sicht sind eher verschwommen, die Gegenstände sind manchmal doppelt zu sehen. Insgesamt ist die Kameraführung eher schwankend, genau wie Sherlocks Gang. Statt einem einzigen präzisen Wort zu jedem Gegenstand, werden gleich 74 Vgl. 3x02 The Sign of Three. 18
mehrere Wörter eingeblendet, die eine unterschiedliche Schriftgröße haben. Der Text ist verschwommen und wird nur für einen kurzen Moment klar. Beispielsweise assoziiert mit einem Sessel „chair“, „leather“, „seat“, „sleeeeep“. Ein Deko-Tierschädel wird mit „death?“, „skull?“ und „deaded?“ beschrieben und als Sherlock seine Klientin betrachtet werden die Wörter „nurse“, „client?“, „victim??“ und „cardigan“ eingeblendet. Sherlock ist in diesem Zustand nicht zu zielführenden Schlussfolgerungen fähig, deshalb spiegeln die Einblendungen nur einfache und unbedeutende Beobachtungen wider, die oft mit vielen Fragezeichensymbolen begleitet werden. 2.2.2. Betrachtung von Personen Schon bei den Textnachrichten fiel eine Entwicklung von der ersten Staffel zur zweiten Staffel auf. Die Einblendungen waren nicht mehr an einer horizontalen Achse ausgerichtet, sondern konnten beliebig angeordnet werden. Dies gilt auch für die Einblendungen, die bei der Betrachtung von Personen durch Sherlock, zum Einsatz kommen. Eine beispielhafte Szene findet sich in A Scandal in Belgravia75. Dort trifft Sherlock zum ersten Mal auf seine Gegenspielerin Irene Adler. Diese kommt völlig nackt in den Raum und es werden Fragezeichen neben ihren Körper eingeblendet. Sherlock kann also nichts über sie „lesen“, da er auf dem nackten Körper keine Hinweise sehen kann. Seine Wahrnehmung wird auch hier gestört. Irritiert schaut Sherlock zu John herüber und sofort werden dem Zuschauer Detailaufnahmen mit Texteinblendungen gezeigt. Bei John scheint der Blick also zu funktionieren76. Alternierend werden Nahaufnahmen von Sherlock und Detailaufnahmen von John gezeigt. „Two Day Shirt“ steht schräg am Revers Johns Hemd, „Electric not Blade“ wird oberhalb der Oberlippe eingeblendet. Der Schriftzug „Date tonight“ ist neben Johns Schuhen parallel zum Fußboden gekippt. „Hasn’t phoned sister“ empfindet die Augenbrauenform Johns nach und wird oberhalb der Augenbraue eingeblendet, das gleiche gilt für die Einblendung „New toothbrush“, die entlang Johns Unterlippe angeordnet ist. Die Texte „Night out“ und „with Stamford“ sind jeweils unter einem Auge platziert. Die Schriftzüge sind nicht starr auf einer planen Fläche angehaftet, sondern können sowohl beliebig angeordnet als auch geformt werden. Eine völlig neue Darstellung der Betrachtung von Personen wird in der dritten Staffel 75 Vgl. 2x01 A Scandal in Belgravia. 76 Vgl. Stiefel 2013, S. 87. 19
eingeführt. Als Sherlock zum ersten Mal Johns Freundin Mary trifft, werden ebenfalls Detailaufnahmen mit Texteinblendungen kombiniert. Die Texte sind jedoch nicht einzeln zu sehen, sondern gleich mehrere, sich außerdem wiederholende Wörter werden in verschiedenen Schriftgrößen eingeblendet. Dies spiegelt die Tatsache, dass der Mensch beim Denken gleich mehrere Ideen zu einem gleichen Zeitpunkt hat. Die Texte wirbeln durcheinander, drehen sich und bewegen sich nach vorne und hinten. Sie gehören somit also in die Kategorie des Ikonokinetogramm. Das Rezeptionsverhalten des Zuschauers wird in diesem Beispiel durch die „Verweildauer“77 der Einblendungen beeinflusst, denn die Bewegungen geschehen in einer solchen Geschwindigkeit, dass es dem Zuschauer nicht möglich ist, alle Wörter zu lesen. Die Einblendungen sollen nun vielmehr der reinen Demonstration Sherlocks Fähigkeiten dienen. Selbst beim Anhalten der Filmspur ist es immer noch schwierig alle Wörter zu erfassen. Dennoch lernt der Zuschauer etliche Dinge über Mary: „clever“, „only child“, „short-sighted“, „secret“, „guardian“, „linguist“, „part time“, „tattoo“, „nurse“, „disillusioned“, „scar“, „romantic“, „lib“, „cat lover“, „bakes own bread“, „size 12“ und „liar” werden über Details von Marys Gesicht, Ohrring, Haar und Tasche eingeblendet. Manche Beobachtungen, die Sherlock zu diesem Zeitpunkt macht, sind bedeutend für den weiteren Staffelverlauf. Es stellt sich später in der dritten Folge nämlich heraus, dass Mary über ihre Identität gelogen hat, was Sherlock schon bei der ersten Begegnung durch die Einblendung von „liar“ vermutet haben muss. 2.2.3. Nachdenken Eine letzte Situation bei der die Visualisierung von Gedanken durch Zeichenelemente eine Rolle spielt ist das Nachdenken von Sherlock. In The Blind Banker versucht Sherlock die ganze Folge hindurch Schriftzeichen der Schmugglerbande zu entziffern. In einer Einstellung hat Sherlock sein Kinn auf seine zusammengelegten Hände gestützt. Vor ihm blitzen verschiedene Schriftzeichen schnell auf. Er scheint sich also über die Entzifferung Gedanken zu machen.78 Sherlock arbeitet in The Empty Hearse79 an einem Fall, bei dem ein Mann als Einziger in einen leeren Zug der Londoner Underground eingestiegen ist. An der nächsten Station war der Zug jedoch völlig leer und der Mann verschwunden. Sherlock denkt darüber nach, wie es 77 Schaudig 2002, S. 172. 78 Vgl. 1x02 The Blind Banker. 79 Vgl. 3x01 The Empty Hearse. 20
dem Mann gelingen konnte, aus dem fahrenden Zug zu steigen. Die Kamera zoomt auf Sherlocks Auge, dem Zuschauer wird so signalisiert, dass die folgenden Bilder sich innerhalb Sherlocks Kopf abspielen. Sherlock versetzt sich mental in eine U-Bahn, er sitzt in einem Wagon. Es wird der Blick aus der Fahrerkabine auf die Gleise gezeigt. Ein U-Bahn-Plan rauscht an seinem Auge vorbei, während der Zug durch Tunnel fährt. In der nächsten Einstellung wird Sherlock in der linken Bildhälfte stehend gezeigt, sein dunkel gekleideter Körper verschmilzt mit dem sonst dunkel gestalteten Bildfeld. Die rechte Bildseite ist heller, in ihr werden erneut ein U-Bahn-Plan und auch ein vorbeifahrender Zug gezeigt. Auf Sherlocks Körper wird ein blauer fluoreszierender Plan geblendet. Der Körper wird zur Karte. Nach einigen Nah- und Halbnah-Aufnahmen von Sherlocks Oberkörper, folgt eine Einstellung, in der Sherlock am Ende einer Treppe steht. Er muss während dem Nachdenken wohl das Zimmer, in dem er sich vorher befunden hat, verlassen haben. Erneut kneift er die Augen zusammen und Züge rasen an seinem Gesicht vorbei. Sherlock läuft eine Rolltreppe hinunter, auf deren Seiten erneut Pläne projiziert werden. Während an der Decke ein auf dem Kopf stehender Zug anhält. Gegen Ende der Sequenz werden erneut Stationsnamen eingeblendet, bevor abrupt auf John in einen völlig anderen Kontext umgeschnitten wird. Noch zu erwähnen sind die Geräusche, die während Sherlocks Nachdenken zu hören sind. Ein Mix aus Upbeat-Musik, verschiedenen Computerverarbeitungsgeräuschen, Piepen, einer tickenden Uhr und der „swoosh-Sound“80, mit dem Texteinblendungen in der Serie eingeleitet werden. Die Aufklärung über Sherlocks möglichen Erkenntnisgewinn wird erst später geliefert, als er die Augen öffnet und Molly langsam die Treppe zu ihm hochsteigt. Der Zuschauer erhält hier einen sehr bildlichen Eindruck davon, was in Sherlocks Kopf vorgeht. Durch die Schnelligkeit der Schnitte und die Überlagerungen wird die Geschwindigkeit Sherlocks Denkens verdeutlicht. 2.3. Die Gedanken anderer Figuren im Vergleich zu Sherlock Obwohl die Einblendungen dafür das sind, Sherlocks Gedanken zu visualisieren, werden sie in Einzelfällen auch dafür genutzt, Gedanken anderen Figuren darzustellen. Diese Figuren sind die Gegenspieler Sherlocks Irene Adler und Charles Augustus Magnussen, die sich ebenso wie Sherlock durch ihre Genialität auszeichnen. Die Gedanken der Personen in Sherlocks direktem Umfeld, zum Beispiel John, die Vermieterin Mrs. Hudson oder Scotland 80 Stiefel 2013, S. 82. 21
Yard-Inspector Lestrade, werden nie dargestellt. Sherlock liefert in der ersten Staffel eine Erklärung dafür: „Dear God, what is it like in your funny little brains? It must be so boring.“81 Ihre Gedanken sind nicht „zeigenswert“, da sie ganz normal und einfach denken und nicht in einer besonderen – analytischen und komplexen – Art wie beispielsweise Sherlock. Irene Adlers Gedanken werden nur in einer Szene sichtbar gemacht. Dies geschieht jedoch nicht durch Einblendungen, sondern sie taucht zusammen mit Sherlock in eine gemeinsame Imagination ein82. Sie versetzen sich zusammen an den Tatort am Fluss, der als Standbild gezeigt wird, in dem sowohl Sherlock als auch Irene sich bewegen können. Gemeinsam lösen sie den Fall um den Wanderer und liefern dem Zuschauer eine Erklärung für den am Anfang der Folge thematisierten Todesfall.83 Im Hinblick auf die Nutzung von Einblendungen ist Magnussen sehr viel interessanter. Er wird zu Beginn der ersten Folge der dritten Staffel eingeführt. Die Blickinszenierung gleicht der von Sherlock: auf eine Nah- oder Großaufnahme von Magnussen folgt eine Aufnahme von dem betrachteten Objekt, zumeist eine Person. Neben dieser Person wird dann eine Art Steckbrief eingeblendet. In weißer Schrift mit Serifen stehen dort etliche Informationen über die Person, zum Beispiel Job oder Finanzlage. Unter diesen wird in rot- blinkender Schrift der „pressure point“ der jeweiligen Person eingeblendet. Begleitet wird die Einblendung der Steckbriefe von Computerverarbeitungsgeräuschen. Oft wird der Steckbrief nur für Sekunden eingeblendet, sodass der Zuschauer ihn nicht komplett lesen kann. Diese Inszenierung unterstützt Magnussens Darstellung als mächtiger, undurchschaubarer Mensch, der alles über jeden Menschen weiß. Sherlock und John vermuten schnell, dass Magnussen diese Daten analog gespeichert haben muss. Am Ende der Episode konfrontieren sie Magnussen damit und verlangen, den Speicherraum zu sehen: John: Okay, where are the vaults then? Magnussen: Vaults? What vaults? There’re no vaults beneath this building. They’re all in here. The Appledore Vaults are my mind palace. You know about mind palaces, don’t you, Sherlock? How to store information, so you never forget it, by pitching it. I just sit here, close my eyes and down I go to my vaults. I can go anywhere inside my vaults. My memories. 84 81 1x01 A Study in Pink. 82 Vgl. Stiefel 2013, S. 99. 83 Vgl. 2x01 A Scandal in Belgravia. 84 3x03 His Last Vow. 22
Es stellt sich also heraus, dass die Daten nicht analog, sondern nur in Magnusses Kopf gespeichert sind. Auf bildlicher Ebene wird während Magnusses Erklärung aber gezeigt, wie Magnussen eine Treppe in die Kellergewölbe hinabsteigt und durch hohe Regalreihen voller Bücher und Akten läuft. Diese Regalreihen wurden in Ausschnitten in früheren Folgen der dritten Staffel schon gezeigt, sodass auch der Zuschauer, ebenso wie Sherlock und John, getäuscht wird und zunächst davon ausgeht, dass es sich um einen realen Ort handelt. Auch Sherlock macht – wie Magnussen sagt – sich diese Gedächtnis-Technik zur Nutze. Eine genauere Betrachtung von Sherlocks „mind palace“ erfolgt im nächsten Kapitel, jedoch muss vorher an dieser Stelle noch der letzte Gegenspieler Sherlocks erwähnt werden. Jim Moriarty ist bereits seit der ersten Staffel bekannt und bleibt in bisher allen Staffeln der Erzfeind, den Sherlock nicht übertrumpfen kann. Moriarty ist – ähnlich wie Sherlock – ein „consulting criminal“85. Auffällig ist jedoch, dass dem Zuschauer nie die Gedanken von Moriarty gezeigt werden, der ebenso wie Sherlock und alle anderen Gegenspieler ein Genie ist und vermutlich auf gleichem Wege wie Sherlock denkt. Genau diese Leerstelle an Informationen über ihn, macht Moriarty für den Zuschauer – und vielleicht auch für Sherlock – unberechenbar und damit zu einer geheimnisvollen Figur und interessantem Gegenspieler für mehrere Staffeln. 3. Sherlocks „mind palace“ als Ort des Wissens Bei der Abduktion werden Hypothesen aufgestellt, die alle Indizien des Falls erklären. Charles Sanders Peirce schreibt: „Wir können beim Bilden unserer Hypothesen […] Hilfe von unserem Vorwissen erhalten.“86 Unser Vorwissen besteht aus Kenntnissen und Fähigkeiten, die in unserem Kopf gespeichert sind. Auch Sherlock hat dieses Wissen gespeichert, jedoch erfordert es bei ihm eine besondere Technik, da er solch ein umfangreiches Wissen besitzt. Diese Technik wird zum ersten Mal in der zweiten Folge der zweiten Staffel dem Zuschauer erklärt. Sherlock ermittelt an einem Fall in Dartmoor und soll eine Verbindung zwischen den Wörtern „Hound”, „Liberty“ und „In“ finden. “There must be something. Something … something … something buried deep. Get out. […] I need to go to my mind palace.” 87, fordert Sherlock John und die Laborantin Dr. Stapelton auf. Als die beiden das Labor verlassen, wendet sich Dr. Stapelton fragend an John, der erklärt: 85 2x03 The Reichenbach Fall. 86 Peirce 2008, S. 269. 87 2x02 The Hounds of Baskerville. 23
Dr. Stapelton: His what? John: Oh his mind palace. It’s a memory technique. A sort of mental map. You plot a map with a location. It doesn’t have to be a real place. And then you deposit memories there. Theoretically, you can never forget anything. All you have to do is find your way back. Dr. Stapelton: So this imaginary location could be anything, a house or a street? John: Yeah. Dr. Stapelton: But he said palace. He said it was a palace. John: Yeah, well, why wouldn’t he?88 Sherlock hat also von seinem Wissen eine „mental map“, eine kognitive (Land-)Karte, erschaffen. Diese nutzt er bei Ermittlungen, in dem er das in ihr geordnete Wissen wieder hervorholt. Aber was genau ist eine kognitive Karte? Und wie wird diese Speicherungstechnik in Sherlock visualisiert? 3.1. Kognitive Karten nach Roger M. Downs und David Stea Kognitive Karten sind Bestandteil der Theorien aus dem Wissenschaftsbereich der Geographie. Die Theorien gehen auf E.C. Tolman zurück, der 1948 kognitive Karten als geistige „Repräsentation der Umwelt“89 definierte und den Grundsatz aufstellte, dass Menschen mithilfe dieser Karte in ihrer Umwelt agieren. Diese Theorie wurde über die Jahrzehnte weiterentwickelt, zum Beispiel von Kevin Lynch, der in seinem Buch „Das Bild der Stadt“90 die kognitiven Karten als wichtigen Bestandteil der Stadtplanung und -wahrnehmung festlegte. Eine weitere Theorie zu den kognitiven Karten liefern Roger M. Downs und David Stea91, auf deren Grundlage und unter Bezug auf weitere Theorien92 im Folgenden eine Definition von kognitiven Karten erarbeitet werden soll. „Kognitives Kartieren ist ein abstrakter Begriff, welcher jene kognitiven oder geistigen Fähigkeiten umfaßt, die es uns ermöglichen, Informationen über die räumliche Umwelt zu sammeln, zu ordnen, zu speichern, abzurufen und zu verarbeiten.“93 Das Produkt dieser unterbewussten Fähigkeit ist die sogenannte kognitive Karte oder auch mental map genannt. In der mentalen Karte speichern die Menschen Informationen über ihre Umwelt, 88 2x02 The Hounds of Baskerville. 89 Redtenbacher 1996, S. 15. 90 Vgl. Lynch 1975. 91 Vgl. Downs / Stea 1982. 92 Vgl. Gould / White 1974 und Lynch 1975. 93 Downs / Stea 1982, S. 23. 24
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