DFP/CME: Update: Primäre progrediente Multiple Sklerose (PPMS) // Primary progressive multiple sclerosis (PPMS) - an update - Krause und ...
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems DFP/CME: Update: Primäre Homepage: progrediente Multiple Sklerose www.kup.at/ (PPMS) // Primary progressive JNeurolNeurochirPsychiatr multiple sclerosis (PPMS) – an Online-Datenbank mit Autoren- update und Stichwortsuche Berger T, Bsteh G Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2017; 18 (4), 129-135 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
DGfE 2022 60. Jahrestagung der DGfE 27.–30. APRIL 2022 l Leipzig © Jakob Fischer l shutterstock www.epilepsie-tagung.de AbstrAct DEADlinE 09. DEzEmbEr 2021 73. Jahrestagung Deutsche gesellschaft für neurochirurgie abstract Deadline: 04. Januar 2022 Joint Meeting mit der griechischen gesellschaft für neurochirurgie www.dgnc-kongress.de
For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH. Update: Primäre progrediente Multiple Sklerose (PPMS) G. Bsteh, T. Berger Kurzfassung: Die primäre progrediente Multiple ckelt sich erfreulicherweise in diese Richtung und miology, immunopathogenesis, neuropathology, Sklerose (PPMS) ist eine chronisch-entzündliche liegt vor allem auf der Entwicklung neuroprotekti- clinical course, diagnosis, differential diagnosis Erkrankung des ZNS, die etwa 10–15 % aller MS- ver und neuroreparativer Ansätze. and treatment of PPMS. Patienten betrifft und durch eine schleichende While the approval of ocrelizumab as the first Verschlechterung neurologischer Symptome ohne Schlüsselwörter: Primär-progrediente Multi drug effective in reducing disability progression Auftreten von Krankheitsschüben gekennzeichnet ple Sklerose, Epidemiologie, Immunpathogenese, in PPMS presents a significant step forward in ist. In diesem Review wird eine Übersicht über Neuropathologie, Klinik, Verlauf, Diagnostik, Dif- research, the progress made is continuing to lag den aktuellen Wissenstand in Epidemiologie, Im- ferentialdiagnose, Therapie behind compared to relapsing MS. Encouragingly, munpathogenese, Neuropathologie, Klinik, Ver- the focus of research has begun to shift in the lauf, Diagnostik, Differentialdiagnose und Thera- Abstract: Primary progressive multiple scle- direction of neuroprotective and neuroreparative pie der PPMS gegeben. rosis (PPMS) – an update. Primary progressive approaches. J Neurol Neurochir Psychiatr Obwohl die Zulassung von Ocrelizumab als multiple sclerosis (PPMS) is a chronic inflamma- 2017; 18 (4): 129–35. erste signifikant wirksame Behandlung zur Re- tory CNS disease affecting 10–15 % of MS pa- duktion der Krankheitsprogression bei PPMS eine tients. It is characterized by a gradual progressive Keywords: Primary progressive multiple sclero- sehr positive Entwicklung darstellt, so hinken die worsening of neurological symptoms – typically sis, epidemiology, immunopathogenesis, neuro- Fortschritte im Vergleich zur schubhaften MS in absence of relapses. This review provides an pathology, clinical course, diagnosis, differential doch hinterher. Der Fokus der Forschung entwi- overview on the state-of-the-art regarding epide- diagnosis, treatment Lehrziel: Kenntnis über Epidemiologie, Immunpathogenese, Neuropathologie, Klinik, Verlauf, Diagnostik, Differentialdia gnose und Therapie der primären progredienten Multiplen Sklerose Epidemiologie Charakteristika bei allen MS-Verlaufstypen vorkommen, liegt bei PPMS nach derzeit vorherrschender Ansicht ein überwie- Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche gend neurodegenerativer Prozess vor, der im Vergleich zur Erkrankung des ZNS. Sie zeigt einen klinisch stark variablen RRMS eine geringere entzündliche Komponente aufweist. Verlauf und man unterscheidet neben der häufigeren schub- haft-remittierenden MS (RRMS) eine primäre und eine se- Die Inflammation läuft in einer sogenannten Mikrokomparti kundäre progrediente MS. Die primäre progrediente Multi mentalisierung ab, bei der die Blut-Hirnschranke meist intakt ple Sklerose (PPMS) betrifft etwa 10–15 % aller MS-Patien- bleibt und ein langsamer progredienter Axonverlust infolge ten, in Österreich somit ca. 1.300–2.000 Personen. Während einer Schädigung durch Sauerstoffradikale, mitochondrialer bei RRMS Frauen etwa 3–4x häufiger als Männer betroffen Schädigung, Mikrogliaaktivierung, Eisenakkumulation und sind, besteht bei PPMS kein Überwiegen eines Geschlechts. chronischen Energiemangel als Korrelat der schleichenden Die Mehrzahl der PPMS-Patienten erkrankt in der 3. oder 4. klinischen Verschlechterung angenommen wird. Dies betrifft Lebensdekade und somit etwas später als bei RRMS. Die Le- nicht nur – wie lange angenommen – die weiße Substanz, son- benserwartung ist bei PPMS gegenüber der gesunden Normal- dern auch den Kortex. Diese kortikale Demyelinisierung, die bevölkerung reduziert, viel schwerer wiegt jedoch die indivi- auch durch ektope, leptomeningeale Lymphfollikel mediiert duelle und gesellschaftliche sozioökonomische Belastung. wird, ist zwar bei allen MS-Formen nachweisbar, erscheint je- doch als ein vorherrschendes Merkmal der progredienten MS Neuropathologie und Immunpathogenese und spiegelt sich auch im verminderten Hirnvolumen wider. Die typischen neuropathologischen Befunde, die bereits 1880 Klinik und Verlauf von Charcot beschrieben wurden und auch heute noch mehr- heitlich gültig sind, umfassen ein komplexes Mischbild aus Das Charakteristikum der PPMS liegt in der langsamen, inflammatorischen Herden in der weißen Substanz mit selek- schleichenden, irreversiblen Verschlechterung neurologi- tiver Demyelinisierung („Plaques“), konsekutiver (oft inkom- scher Symptome ohne Auftreten von für die RRMS typischen pletter) Remyelinisierung, Verlust von Axonen und schließ- Krankheitsschüben (obwohl solche vereinzelt auf die schlei- lich Ausbildung glialer Narbenformationen. Während diese chende Verschlechterung aufgesetzt vorkommen können) (Tab. 1). Diese Verschlechterung entwickelt sich üblicherwei- se über Monate oder Jahre, sodass die Patienten oft erst mit Eingelangt am 22.08.2017, angenommen nach Review am 27.09.2017 deutlicher Verzögerung nach Symptombeginn zur diagnosti- Aus der Arbeitsgruppe Neuroimmunologie & Multiple Sklerose, Universitätsklinik für schen Abklärung vorstellig werden. Der Krankheitsverlauf ist Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, MSc, Universitätsklinik für nicht von einer linear kontinuierlichen, sondern plateauartigen Neurologie, Medizinische Universität Innsbruck, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck, Verschlechterung (mit oft jahrelangem Verbleiben auf einem E-mail: thomas.berger@i-med.ac.at „Plateau“) gekennzeichnet. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2017; 18 (4) 129
Update Primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS) Tabelle 1: Unterschiede RRMS vs. PPMS Tabelle 3: Diagnostische Kriterien einer PPMS (nach McDonald 2010) RRMS PPMS Krankheitsprogression über zumindest 1 Jahr (retrospek UND Prävalenz 85–90 % 10–15 % tiv/prospektiv determiniert) Mittleres Erkran 30. Lebensjahr 40. Lebensjahr 2 der folgenden 3 Kriterien (a–c) erfüllt UND kungsalter a) Zerebraler Nachweis der räumlichen Dissemination Geschlechter 3–4:1 1:1 (> 1 T2-hyperintense2 Läsion periventrikulär, juxtakortikal verhältnis oder infratentoriell)1 Erstsymptome Spinal: sensibel Spinal: motorisch b) Spinaler Nachweis der räumlichen Dissemination > motorisch (45 %) >> sensibel (80 %) (> 2 T22-hyperintense Läsionen intramedullär)1 Optikusneuritis (25 %) Cerebellär (15 %) c) Nachweis einer intrathekalen IgG-Synthese (oligoklonale Hirnstamm (20 %) Hirnstamm Banden und/oder pathologisch erhöhter IgG-Index) Cerebellär (10 %) Läsionslast im Moderat bis ausge Gering Ausschluss relevanter Differentialdiagnosen zerebralen MRT prägt 1 Klinisch symptomatische spinale oder Hirnstammläsionen können Gadolinium- Häufig Selten nicht zur Erfüllung dieses Kriteriums herangezogen werden. aufnehmende 2 Der Nachweis einer Kontrastmittelaufnahme (Gadolinium) in der Läsionen im MRT T1-Gewichtung ist nicht gefordert. Kortikale Mild Ausgeprägt Demyelinisierung Spinale Läsionen Häufig Sehr häufig durch verschiedene neuropsychologische Tests (wie z. B. die im MRT „Brief repeatable battery of neuropsychological tests“ oder Spinale Atrophie Spät und gering Früh und ausge der „Symbol digit modalities test“) ergänzt werden kann. prägt Oligoklonale > 95 % > 80 % Im Jahr 2013 wurde die Definition der Phänotypen einer pro- Banden im Liquor gredienten MS aktualisiert. Zuvor wurde rein retrospektiv an- hand der Anamnese und der Klinik in eine primär-progredien- te (PPMS), eine sekundär-progrediente (definiert durch eine Tabelle 2: Häufige Symptome der PPMS zuvor bestehende schubhafte Phase) mit oder ohne superpo- Symptome der PPMS nierte Schübe (SPMS bzw. SPRMS) und eine progredient- Einschränkung der Mobilität 80 % schubhafte (PRMS; definiert durch Progression von Krank- Fatigue 80 % heitsbeginn mit superponierten Schüben) eingeteilt. In der ak- Ataxie 80 % tualisierten Version wird zusätzlich der aktuelle Verlauf der Paresen 70 % Erkrankung berücksichtigt, indem neben der grundsätzlichen Spastizität 60–90 % Unterscheidung zwischen primär und sekundär progredienter MS auch zwischen aktiver und inaktiver bzw. zwischen aktu- Neurogene Blasenstörung 58–75 % ell progredienter und nicht progredienter MS unterschieden Kognitive Dysfunktion 60–70 % wird (siehe Abbildung 1). Schmerzen 55–70 % Depression 25–50 % Dabei wird Aktivität als Auftreten von zumindest einem Schub bzw. zumindest einer Gadolinium-aufnehmenden Lä- Das häufigste Erstsymptom (80 %) ist eine asymmetrische, sion oder einer Zunahme der T2-Läsionslast im MRT inner- spastische Paraparese, die zu Beginn oft nur belastungs halb des letzten Jahres definiert. Progression wird als kli- abhängig manifest wird (Tab. 2). Diese spinale Symptoma- nisch (mittels EDSS, MSFC oder neurokognitiver Parame- tik wird nicht selten von einer neurogenen Blasenstörung ter) objektivierbare Verschlechterung innerhalb des letzten (Dranginkontinenz) begleitet. Ein progredientes c erebelläres Jahres definiert. Durch diese Unterscheidung soll der aktuel- Syndrom (meist mit dem Leitsymptom einer Stand- und le Krankheitsverlauf in Bezug auf entzündliche Aktivität und Gangataxie) stellt die zweithäufigste Erstpräsentation einer Neurodegeneration besser widergespiegelt und eine Subklas- PPMS dar (15 %). sifizierung getroffen werden, die sowohl für die Einschätzung der Prognose als auch für Therapieentscheidungen relevant Die Geschwindigkeit der Progression ist individuell unter- ist. schiedlich und im Verlauf variabel, sodass sich Phasen einer klinischen Stabilität mit Phasen eines rascheren Fortschrei- Diagnostik und Differentialdiagnosen tens abwechseln können. Ein Drittel der PPMS-Patienten be- nötigt bereits nach 10 Jahren zumindest einen Stock zum Ge- Die Diagnose einer PPMS beruht nach wie vor primär auf dem hen, während 25 % auch nach 25 Jahren noch selbstständig klinischen Syndrom mit dem Nachweis einer Dissemination ohne Hilfsmittel mobil sind. in Raum und Zeit. Die zuletzt 2010 revidierten und derzeit gültigen diagnostischen Kriterien nach McDonald fordern für Zur Quantifizierung des Ausmaßes der neurologischen Defi- den Nachweis der zeitlichen Dissemination eine über zumin- zite und damit der Behinderung wird in der klinischen Rou- dest ein Jahr dokumentierte und objektivierbare Verschlechte- tine die „Expanded Disability Status Scale“ (EDSS) nach rung neurologischer Symptome. Zusätzlich wird die Erfüllung Kurtzke verwendet, die – meist in Studien – durch den „Mul- von zumindest zwei aus drei paraklinischen Kriterien (MRT tiple S clerosis Functional Composite Score“ (MSFC) und und Liquordiagnostik) gefordert (Tab. 3). 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Update Primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS) Abbildung 1: Phänotypen der progredienten MS 1996 und 2013 MRT Lumbalpunktion Die MRT zeigt bei PPMS meist nur eine geringe, vor allem Neben dem MRT ist die Lumbalpunktion von entscheiden- spinal und infratentoriell betonte Last an T2-hyperintensen der Bedeutung in der Diagnose der PPMS. Der typische Li- Läsionen, mit im Vergleich zur RRMS geringer ausgeprägten, quorbefund umfasst eine normale bis gering erhöhte Zellzahl periventrikulär und juxtakortikal lokalisierten Läsionen. Die mit einigen, teilweise aktivierten Lymphozyten und Monozy- typischen spinalen Läsionen sind multifokal, T2-hyperintens ten, einen erhöhten Immunglobulin G-Index (= Wert des re- und nehmen weniger als die Höhe eines Wirbelkörpers und lativen Anteils des intrathekal produzierten IgG) und oligo- nicht den gesamten medullären Querschnitt ein. klonale Banden in der isoelektrischen Fokussierung. Während sich bei RRMS in mehr als 95 % der Fälle oligoklonale Ban- Gadolinium-aufnehmende Läsionen kommen bei PPMS ins- den nachweisen lassen, wird dies bei PPMS in nur 80 % der gesamt deutlich seltener vor als bei RRMS und treten eher Fälle angegeben. in frühen Krankheitsstadien auf. PPMS-Patienten, bei denen sich Gadolinium-aufnehmende Läsionen finden, zeigen einer- Der Nachweis einer intrathekalen Immunglobulin-G-Synthe- seits eine raschere Behinderungsprogression, andererseits je- se (oligoklonale Banden und/oder pathologisch erhöhter IgG- doch auch ein besseres Ansprechen auf antiinflammatorische Index) ist zwar keineswegs spezifisch für MS, das Fehlen von Therapien mit Kortikosteroiden oder immunmodulierenden/- oligoklonalen Banden sollte jedoch in jedem Fall eine noch suppressiven Medikamenten. detailliertere differentialdiagnostische Abklärung nach sich ziehen. Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, da weder Diverse MRT-Studien mit nicht-konventionellen Sequenzen die klinische Präsentation noch das MRT eine hohe diagnos- zeigten, dass die in den konventionellen Sequenzen unauffäl- tische Spezifität aufweisen und die Gefahr einer Fehldiagno- lig imponierende weiße Substanz („normal appearing white se bergen. matter“) bei PPMS in einem höheren Ausmaß pathologische Veränderungen aufweist als bei schubhafter oder sekundär- OCT progredienter MS. Das Ausmaß dieser Pathologien korre- In den letzten Jahren hat sich eine neue Untersuchungsmo- liert mit dem Ausmaß der klinischen Behinderung. Auch die dalität, die optische Kohärenztomographie (OCT), zur Mes- Quantifizierung der Volumensänderungen von grauer und sung verschiedener Schichtdicken der Retina, im Speziellen weißer Substanz sowie mittels diffusionsgewichteter MRT- der „peripapillären retinalen Nervenfaserschichtdicke“ (pRN- Sequenzen fassbare Veränderungen der grauen Substanz zei- FL) und der „Ganglionzell- und inneren plexiformen Schicht“ gen Korrelationen zum Ausmaß der klinischen Behinderung (GCIP) entwickelt und steht am Sprung zur Anwendung in der und der Progressionsgeschwindigkeit. Diese MRT-Techni- klinischen Routine. Die OCT kann einerseits in der Differen ken benötigen jedoch noch einiges an wissenschaftlicher tialdiagnose angewandt werden, andererseits wird die OCT (und klinischer Umsetzungs-) Arbeit zur Validierung und zukünftig mehr noch in der Quantifizierung des Ausmaßes Standardisierung und sind noch nicht für die Routine geeig- axonaler ZNS-Schädigung eine größere Rolle spielen und so- net. mit als Verlaufsparameter verwendet werden können. 132 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2017; 18 (4)
Update Primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS) Tabelle 4: Differentialdiagnosen der PPMS in Abhängigkeit des klinischen Syndroms Spastische Paraparese Autoimmune/parainfektiöse Ursachen Strukturelle Ursachen Neurosarkoidose Zervikale Myelopathie ZNS-Vaskulitis Spinale Ischämie Parainfektiöse Cerebellitis Tumor Degenerative Ursachen Durale arterio-venöse Fistel oder Malformation Multisystematrophie vom cerebellären Typ (MSA-C) Metabolische Ursachen Hereditäre spinocerebelläre Ataxien (SCA) Vitamin-B12-Defizienz (funikuläre Myelose) Friedreich-Ataxie Kupfermangel Ataxia teleangiectasia (ATM) Infektiöse Ursachen Paraneoplastisch Humanes Immunodefizienzvirus (HIV) Subakute cerebelläre Degeneration Progressive multifokale Leukencephalopathie (PML) Visusverlust Neuroborreliose Humanes T-Zell-lymphotropes Virus Typ I (HTLV1, tropische spasti Strukturelle Ursachen sche Paralyse) Anteriore/posterior ischämische Optikusneuropathie (AION/PION) Lues Tumor Pseudotumor cerebri Autoimmune/parainfektiöse Ursachen Akute transverse Myelitis Metabolische Ursachen Neuromyelitis optica (NMO) Makuladegeneration Neurosarkoidose Diabetische Retinopathie ZNS-Vaskulitis Kupferintoxikation Schwermetallintoxikation (Quecksilber, Kobalt) Degenerative Ursachen Primäre Lateralsklerose Infektiöse Ursachen Adrenoleukomyelodystrophien Optikusneuritis (HSV, CMV, EBV, Brucellen, Listerien etc.) Hereditäre spastische Paraplegie (HSP) Humanes Immunodefizienzvirus (HIV) Neuroborreliose Paraneoplastisch Lues Paraneoplastische Myelopathie Autoimmune/parainfektiöse Ursachen Cerebelläres Syndrom Neuromyelitis optica (NMO) Strukturelle Ursachen Neurosarkoidose Cerebelläre Ischämie ZNS-Vaskulitis Tumor Parainfektiöse Optikusneuritis Durale arterio-venöse Fistel oder Malformation Degenerative Ursachen Arnold-Chiari-Malformation Leber’sche hereditäre Optikusneuropathie (LHON) Metabolische Ursachen Paraneoplastisch Kupfermangel Paraneoplastische Optikusatrophie Vitamin-E-Mangel Infektiöse Ursachen Humanes Immunodefizienzvirus (HIV) Cerebellitis durch Viren aus der Herpesgruppe Neuroborreliose Lues Differentialdiagnose nes Infekts und unter Magenschutz werden standardmäßig Aus dem klinischen Spektrum der PPMS, das keineswegs spe- 1.000 mg Methylprednisolon über 3–5 Tage i.v. verabreicht. zifische oder gar pathognomonische Charakteristika aufweist, Eine Ausschleichphase mit oralem Methylprednisolon ist ergibt sich ein sehr breites Spektrum an Differentialdiagno- hiernach nicht notwendig. Eine kurzfristige Wiederholung ei- sen. Dieses wird vom klinischen Syndrom bedingt und lässt nes Steroidstoßes bei Nicht-Ansprechen – wie sie bei RRMS sich anhand häufiger Präsentationsformen einordnen (Tab. 4). empfohlen wird – sollte bei PPMS nur in Ausnahmefällen er- Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Diagnose einer PPMS folgen. Aufgrund der Datenlage besteht definitiv keine Indika- nach den gültigen Kriterien erst nach Ausschluss sämtlicher tion für eine Dauertherapie mit Kortikosteroiden. relevanter Differentialdiagnosen zu stellen ist. Über viele Jahre verliefen Studien mit etlichen immunmodu- Therapie lierenden / -suppressiven Substanzen bei PPMS frustran ohne Nachweis einer signifikanten Modulation des Krankheitsver- In der Therapie der PPMS sind einerseits die kausale (immun- laufs. Daher gibt es bis dato keine in der EU zugelassene kau- modulierende / -suppressive) und andererseits die symptoma- sale Behandlung bei PPMS. tische bzw. begleitende Therapie zu unterscheiden. Obwohl PPMS durch die Abwesenheit von Schüben definiert wird, Rezent wurde aber in einer placebokontrollierten, doppelblin- kann zu Beginn der Erkrankung, bei Beschleunigung der Pro- den Phase-III-Studie mit dem B-Zell-depletierenden, gegen gression oder zur Evaluation des Ansprechens auf eine mög- CD20 gerichteten, humanisierten monoklonalen Antikörper liche immunmodulierende / -suppressive Therapie die An- Ocrelizumab (OZM) eine relative Reduktion des Risikos für wendung einer Kortisonstoßtherapie sinnvoll sein. Diese soll eine Behinderungsprogression um 24–25 % gezeigt. OZM analog zur Schubbehandlung bei RRMS möglichst kurz und wird i.v. in einer Dosierung von 600 mg (jeweils 300 mg im hochdosiert sein, um bei maximaler Wirkung die Nebenwir- Abstand von 2 Wochen) im 6-monatigen Intervall verabreicht. kungsrate möglichst gering zu halten. Nach Ausschluss ei- Zur Prophylaxe von potenziellen Infusions- bzw. allergischen J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2017; 18 (4) 133
Update Primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS) Reaktionen wird eine i.v.-Prämedikation mit Paracetamol, ei- Therapie (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, neuro nem Antihistaminikum (z. B. Diphenhydramin) und einem kognitives Training, psychologische Betreuung, Copingbera Glukokortikoid (z. B. Soludacortin 100 mg) empfohlen. tung etc.) begleitet werden. Von essentieller Bedeutung ist hier die individuelle Betreuung und Anpassung an die jeweili- Das Verträglichkeits- und Sicherheitsprofil von OZM ist sehr gen Probleme der Patienten. günstig, relevant erscheint lediglich das genannte Risiko ei- ner Infusionsreaktion. Es wurde eine gering erhöhte Neigung Zur Behandlung von Gangstörungen kann neben der neurore- zu Infekten der oberen Atemwege und zu labialen Herpes-In- habilitativen Therapie eine Behandlung mit der retardierten fektionen gezeigt, jedoch insgesamt keine erhöhte Rate von Form des Kalium-Kanal-Blockers 4-Aminopyridin (Dalfam- schweren oder lebensbedrohlichen Infektionen. Vor Therapie- pridin) sinnvoll sein. In zwei randomisierten Phase-III-Studi- beginn soll jedoch eine latente Hepatitis- oder Tuberkulose en konnte eine signifikante Verbesserung der Gangleistung im infektion ausgeschlossen werden. Analog zu allen immun- „25-foot-walk“-Test bei ca. 40 % der Patienten nachgewiesen modulierenden oder -suppressiven Therapien werden alle 3 werden, weshalb Dalfampridin zur Verbesserung einer MS- Monate Laborbefunde (Blutbild, Differenzialblutbild, Tran- bedingten Gangstörung bei Patienten mit einem EDSS zwi- saminasen) kontrolliert werden müssen. Zusätzlich soll die schen 4 und 7 durch die europäische Arzneimittelbehörde zu- Vollständigkeit der B-Zell-Depletion mittels Durchflusszy- gelassen wurde. Eine moderate/schwere Einschränkung der tometrie im 3-Monatsintervall kontrolliert werden. Es wird Nierenfunktion (Creatinin-Clearance < 50 ml/min) oder eine empfohlen, notwendige Impfungen bis spätestens 6 Wochen individuelle Vorgeschichte epileptischer Anfälle stellen mög- vor Therapiebeginn zu komplettieren. Unter B-Zell-Deple- liche Kontraindikationen für eine Therapie mit Dalfampridin tion sollen Impfungen mit lebenden oder attenuierten Viren dar. vermieden werden, bei Totimpfungen kann ein insuffizien- ter Impfschutz nicht ausgeschlossen werden. Für gebärfähige Zusammenfassung Frauen wird eine suffiziente Verhütung während der Therapie mit OZM und 6 Monate darüber hinaus empfohlen werden. Während in den letzten beiden Jahrzehnten zahlreiche Subs- tanzen zur Behandlung der RRMS entwickelt und zugelassen Nachdem OZM bislang u.a. in den USA zur Therapie der wurden, hinken die Fortschritte im Bereich der progredienten PPMS zugelassen wurde, wird auch die europäische Zulas- MS hinterher. Die Zulassung von OZM als erste signifikant sung demnächst erwartet. wirksame Behandlung zur Reduktion der Krankheitsprogres- sion ist zwar eine sehr positive Entwicklung, soll und darf je- Festzuhalten ist, dass die OZM-Zulassungsstudie an Patienten doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in diesem Feld noch unter 55 Jahren mit einem moderaten EDSS (Median 4,5) und viele therapeutische Probleme einer Lösung bedürfen. Der Fo- oligoklonalen Banden im Liquor durchgeführt wurde. Wie in kus der Forschung entwickelt sich erfreulicherweise in diese einer früheren Phase-II-Studie mit einem ähnlichen, aber nicht Richtung und liegt vor allem auf der Entwicklung neuropro- identen, monoklonalen anti-CD20-Antikörper (Rituximab) tektiver und neuroreparativer Ansätze. zeigte sich auch bei OZM ein stärkerer Effekt bei jüngeren Pa- tienten und Patienten mit Gadolinium-aufnehmenden Läsio Interessenkonflikt nen im MRT, so dass diese sicher als die primäre Zielgruppe einer Therapie mit OZM anzusehen sein werden. Es wird in Gabriel Bsteh: has participated in meetings sponsored by, diesem Zusammenhang auch abzuwarten sein, ob sich diese received speaker honoraria or travel funding from Biogen, Sichtweise im Zulassungstext der europäischen Zulassungs- Merck, Novartis, Roche, Genzyme and Teva Ratiopharm, behörde widerspiegelt. Wenngleich OZM nur eine geringe ab- and received honoraria for acting as consultant for TevaPhar- solute Reduktion der Behinderungsprogression aufweist, steht maceuticals Europe. nun erstmals eine kausale Therapie zur Behandlung der PPMS zur Verfügung. Thomas Berger: has participated in meetings sponsored by and received honoraria (lectures, advisory boards, consulta- Die Behandlung einer PPMS bedarf seit jeher des besonde- tions) from pharmaceutical companies marketing treatments ren Augenmerks auf die symptomatische Therapie und darf for MS: Almirall, Bayer, Biogen, Celgene, Genzyme, Merck, keinesfalls auf immunmodulierende / -suppressive Therapien Novartis, Octapharma, Ratiopharm, Roche, Sanofi Aventis, beschränkt werden. Patienten mit PPMS weisen häufig kom- TEVA. His institution has received financial support in the plexe – physische und psychische – Symptomkonstellationen past 12 months by unrestricted research grants (Biogen, Bay- auf, die idealerweise in einem multidisziplinären Team gema- er, Merck, Novartis, Ratiopharm, Roche, Sanofi Aventis) and nagt werden. Die medikamentöse Therapie von Symptomen for participation in clinical trials in multiple sclerosis sponso- der PPMS wie Spastizität, Ataxie, Fatigue, Depression, neu- red by Alexion, Bayer, Biogen, Merck, Novartis, Octapharma, rogene Blasen- und Mastdarmentleerungsstörungen, kogni- Roche, Sanofi Aventis, TEVA. tive Defizite, visuelle Einschränkungen etc. soll anhand der Leitlinien der symptomatischen Therapie erfolgen und von einer ambulanten und/oder stationären neurorehabilitativen Literatur: bei den Verfassern 134 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2017; 18 (4)
Update Primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS) Dr. Gabriel Bsteh Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger Mitarbeiter der Neuroimmunologischen Ar- Facharzt für Neurologie & Psychiatrie und beitsgruppe und Assistenzarzt an der Univer- Stv. Klinikdirektor und Leiter der AG Neu- sitätsklinik für Neurologie an der Medizini- roimmunologie & Multiple Sklerose an der schen Universität Innsbruck. Seine klinischen Univ. Klinik für Neurologie der Medizinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte lie- Universität Innsbruck. Sein klinischer und gen insbesondere in der Individualisierung wissenschaftlicher Schwerpunkt sind natür- und Personalisierung der Prognose und The- lich neuroimmunologische Erkrankungen, im rapie der Multiplen Sklerose. besonderen Multiple Sklerose. Akkreditierter ärztlicher Herausgeber: DFP online Literaturstudium Universitätsklinik für Neurologie M edizinische Universi- Entsprechend dem Fortbildungsgedan- tät Innsbruck ken des Journals für Neurologie, Neu- rochirurgie und Psychiatrie sollen auch Lecture Board: in Zukunft approbierte Fachartikel zur Erlangung von DFP- Univ.-Prof. Dr. Fritz Leutmezer, Wien (Diplom-Fortbildungs-Programm-) Punkten (Österreich) OA Dr. Peter Sommer, Wien der „Akademie der Ärzte“ publiziert werden. Update: Primäre progrediente Multiple Autor Univ.-Prof. Dr. Thomas Sklerose (PPMS) Berger 1) Welche Aussage zur Verlaufsform der primären chronisch progre- dienten multiplen Sklerose (PPMS) ist korrekt? a) Die PPMS betrifft überwiegend Frauen. b) Die PPMS betrifft 10–15 % aller MS-Fälle. c) Die PPMS macht die Hälfte aller MS Fälle mit Krankheitsbeginn vor dem 30. Lebensjahr aus. d) Das häufigste klinische Erstsymptom bei PPMS ist eine Optikusneuritis. 2) Die diagnostischen Kriterien zur primären chronisch progredienten multiplen Sklerose (PPMS) erfordern: a) Nachweis einer Krankheitsprogression über zumindest 12 Monate b) Nachweis von zeitlicher und örtlicher Dissemination in der zerebralen und/ oder spinalen Magnetresonanztomographie c) Nachweis der Krankheitsprogression über 12 Monate oder Nachweis der zeitlichen und örtlichen Dissemination in der Magnetresonanztomographie d) Nachweis von oligoklonalen Banden in der Liquordiagnostik, wenn entweder die zerebrale oder spinale Magnetresonanztomographie unauffällig ist 3) Die Verlaufsuntersuchungen bei primärer chronisch progredienter multipler Sklerose (PPMS) bestehen aus: a) Aktuelle Anamnese und neurologischer Untersuchungsstatus b) Quantifizierung des Ausmaßes und der eventuellen Progression der Behinde- rung anhand der „Expanded Disability Status Scale“ c) Obligate Kontrolle der Magnetresonanztomographie einmal jährlich d) Obligate Laborkontrollen alle 6–12 Monate 4) Bei primärer chronisch progredienter multipler Sklerose (PPMS) bestehen derzeit folgende Therapieoptionen: a) Stoßtherapie mit hochdosiertem Methylprednisolon ein- bis zweimal jährlich b) Prinzipiell jede für MS zugelassene immunsuppressive oder immunmodulie- rende Intervalltherapie c) Prinzipiell jede für MS zugelassene neuroprotektive/-reparative Therapie d) Bei Bestehen oder Neuauftreten von neurologischen Symptomen frühzeitige medikamentöse und nicht-medikamentöse symptomatische Therapie(n) Den Test zur Erlangung der DFP-Punkte finden Sie unter http://www.meindfp.at Bitte halten Sie Ihr „meindfp“-Passwort bereit. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2017; 18 (4) 135
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