Diabetes und Autoimmunerkrankungen - Diabetes aktuell - d-journal
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Diabetes aktuell Diabetes und Autoimmunerkrankungen Beim Diabetes mellitus Typ 1 kommt die Insulinpro- Schilddrüse: Über- und Unterfunktion duktion in der Bauchspeicheldrüse zum Erliegen. Dies ist die Folge eines Autoimmunprozesses. Das heisst, das Immunsystem des betroffenen Patienten beginnt, Inselzellen anzugreifen, und zerstört über Monate und Jahre Zelle um Zelle, bis nicht mehr genug da sind, um den Blutzuckerspiegel unter Kon- trolle zu halten und irgendwann alle Zellen zerstört sind. Solche Autoimmunkrankheiten sind aber nicht nur auf den Diabetes beschränkt. Falsche Reaktionen des Immunsystems auf körpereigenes Gewebe gibt es in vielen verschiedenen Organen. Wir haben im «d-journal» beispielsweise schon von Autoimmun- erkrankungen der Schilddrüse und der Nebenniere berichtet (Nr. 211/13). Ein überempfindliches Im- Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse kön - munsystem reagiert auch oft gegen mehr als nur ein nen zur Schilddrüsenunterfunktion (der soge- Organ. Das Risiko für eine weitere Autoimmun- nannten «Hashimoto-Krankheit») oder Schild erkrankung ist darum für Patienten, die von einer drüsenüberfunk tion (der «Basedow-Krankheit») entsprechenden Krankheit betroffen sind, grösser führen. Es handelt sich zwar hierbei um Schilddrü- als für Menschen, die keine solchen Krankheiten senentzündungen durch die Reaktion des Immun- haben. systems gegen Schilddrüsenzellen. Auf Grund des sehr langsamen, chronischen Verlaufs liegen aber 2014 wurde eine neue Studie aus Indien publiziert, nicht die klassischen Symptome einer herkömm- die untersucht hat, welche anderen Autoimmun- lichen Entzündung wie Schmerzen, Rötung und erkrankungen zusammen mit Diabetes mellitus Überwärmung des betroffenen Organes vor. Es Typ 1 besonders häufig vorkommen. Hierfür wur- handelt sich eher um eine Entzündung auf mik den die Daten von allen 100 Patienten ausgewertet, roskopischem Niveau, bei der jede Zelle einzeln bei denen an dieser Klinik zwischen 2007 bis 2010 von den Antikörpern angegriffen wird. Im Fall der die Diagnose eines Diabetes mellitus Typ 1 gestellt Schilddrüse kann man dabei unterschiedliche Ar- worden war. ten von Antikörpern unterscheiden, die auch zu Bei 52 von diesen 100 Patienten traten während der unterschiedlichen Krankheiten führen. Beobachtungszeit diese weiteren Autoimmuner- Die weitaus häufigste, klassische Form der Autoim- krankungen neben dem Typ-1-Diabetes auf: munerkrankung ist der «Morbus Hashimoto» (be- Platz 1 Schilddrüse (Über- und Unterfunktion) 29% nannt nach Dr. Hakaru Hashimoto, 1881 – 1934, Platz 2 Haut (Vitiligo) 6% Japan). Sie lag bei 25 % der untersuchten Diabetiker Platz 3 Vitamin B12-Mangel 5% vor, machte also bei weitem die Mehrheit der insge- Platz 4 Nebennierenunterfunktion 4% samt 29 % Schilddrüsenerkrankungen aus. 6 d-journal 242 l 2016
Diabetes aktuell Hierbei greifen die sogenannten Anti-TPO-Anti- TSH-Rezeptor an, die Stelle, an der die Aktivität körper die Schilddrüsenzellen an und zerstören sie. der Schilddrüsenzellen reguliert wird. Eine gesun- Wenn ein kritisches Mass an Schilddrüsengewebe de Schilddrüsenzelle arbeitet nur bei Bedarf. Dieser zerstört ist, reicht das Restgewebe nicht mehr aus, Bedarf wird beurteilt von der Hirnanhangdrüse, um den Bedarf an Schilddrüsenhormonen zu de- welche die Schilddrüsenhormone im Blut misst. cken, und es kommt zu einer Schilddrüsenunter- Fällt der Hormonspiegel, gibt die Hirnanhangdrü- funktion. Je nach Aktivität des Immunprozesses se der Schilddrüse das Kommando zum Arbeiten dauert dies unterschiedlich lange. Bei manchen über einen Botenstoff, das TSH oder «thyroidea- Patienten sind diese Anti-TPO-Antikörper auch stimulating-hormone». Wenn sich nun also ein nachweisbar, ohne dass sich je eine Schilddrüsen- TRAK an den TSH-Rezeptor bindet, entsteht für unterfunktion entwickelt. In diesem Fall ist die Zer- die Schilddrüsenzelle fälschlich der Eindruck, sie störung so langsam, dass das gleichzeitige Nach- müsse mehr arbeiten. Diese Dauerstimulation der wachsen neuer Schilddrüsenzellen das verlorene Schilddrüsenzellen führt, im Gegensatz zur Unter- Gewebe kompensieren kann. Meist aber erlischt funktion beim M. Hashimoto, beim M. Basedow die Schilddrüsenfunktion vollständig und muss le- zur Schilddrüsenüberfunktion. Da die Zellen bei benslänglich mittels Tabletten ersetzt werden. dieser Art der Entzündung nicht zerstört werden, Ein Schilddrüsenhormonmangel führt zu ty- kann sich die Schilddrüse auch wieder erholen, falls pischen, aber recht unspezifischen Beschwerden. im Verlauf die Antikörper wieder verschwinden. Leitsymptome sind Müdigkeit, Gewichtszunahme Dies ist bei etwa 50 % der Fälle innerhalb von ein und Verstopfung. Der gesamte Stoffwechsel wird bis zwei Jahren der Fall. träger, was sich auch in einem langsameren Puls, Antriebsarmut und vermehrtem Schlafbedürf- Haut (Vitiligo) nis äussert. Da auch das Nachwachsen der Zellen im ganzen Körper langsamer geschieht, führt eine schwere Schilddrüsenunterfunktion auch zu Ver- änderungen der Haut, der Haare und Nägel. Die Symptome verschwinden unter der Behand- lung der Schilddrüsenunterfunktion mit Schild- drüsenhormontabletten vollständig. Selbst wenn natürlich auch ein Patient unter Schilddrüsenhor- monbehandlung gelegentlich aus anderen Gründen müde oder verstopft sein kann. Die andere Form einer Autoimmunkrankheit der Schilddrüse ist der «Morbus Basedow» (nach Dr. Die häufigste Autoimmunerkrankung der Haut Carl von Basedow, 1799 – 1854, Deutschland) , im beim Diabetiker ist die sogenannte Vitiligo oder englischen Sprachraum auch «Morbus Graves» (Dr. Weissfleckenkrankheit. Sie tritt bei der Allgemein- Robert Graves, 1797 – 1853, Irland) genannt. Sie ist bevölkerung etwa bei 1 % auf und ist damit in der deutlich seltener und befiel nur 4 % der Typ-1-Di- eingangs erwähnten Studie bei Typ-1-Diabetikern abetiker. Auch hier kommt es zur Produktion von etwa sechsmal häufiger. Die Antikörper des Im- Autoantikörpern. Oft sind auch die vom M. Hashi- munsystems richten sich hier gegen die Farbzel- moto bekannten TPO-Antikörper nachweisbar. len in der Haut, die sogenannten Melanozyten. Sie Daneben ist aber eine Sonderform der Antikörper, dienen zum Schutz vor ultravioletter Strahlung im die sogenannten TRAK oder TSH-Rezeptor-Anti- Sonnenlicht. Durch ihre Zerstörung kommt es zu körper, für den Verlauf der Erkrankung entschei- einem fleckförmigen Farbverlust der Haut, welcher dend. Diese Antikörper zerstören die Schilddrü- besonders bei dunkler Haut gut sichtbar ist. Neben senzellen nicht. Stattdessen binden sie an den dem kosmetisch störenden Effekt führt ihr Verlust d-journal 242 l 2016 7
Diabetes aktuell auf Grund der erhöhten Lichtempfindlichkeit der Die Zellen, die intrinsic factor produzieren, sind Haut auch zu einem erhöhten Risiko für Hautkrebs. über die ganze Magenschleimhaut verteilt. Trotz- dem werden sie aber bei der entsprechenden Vitamin B12-Mangel Krankheit vom Immunsystem gezielt und selektiv zerstört, ohne daß die übrigen Magenzellen dabei angegriffen werden. Im Gegensatz zu einer norma- len Magenentzündung hat man darum bei dieser sogenannten Typ-A-Gastritis auch keine Magenbe- schwerden. Die einzigen Symptome kommen vom Mangel an Vitamin B12. Vitamin B12 wird benötigt zur Produktion der roten Blutkörperchen. Sein Man- gel führt deshalb zur Blutarmut, der sogenannten Anämie. Sie äussert sich in Müdigkeit, Blässe und Der Vitamin B12-Mangel ist die Folge einer Zer- tiefem Blutdruck. Ausserdem ist Vitamin B12 auch störung von spezifischen Zellen in der Magen- wichtig für die Nerven und kann deshalb bei einem schleimhaut. Sie bilden einen Stoff, der zur Auf- Mangel Symptome wie Gedächtnissstörungen, nahme des Vitamin B12 nötig ist, den «intrinsic Missempfindungen und Sensibilitätsstörungen factor». Er wird so genannt, weil er im Körperin- und Muskelschwäche hervorrufen. Daneben auch nern, also «intrinsisch» gebildet wird, und ist das Appetitlosigkeit, Durchfall, Veränderungen an der Gegenstück zum Vitamin B12, das von aussen zu- Zunge und der Mundschleimhaut und trockene geführt wird, weshalb man es auch als «extrinsic rissige Stellen in den Mundwinkeln (sogenannte factor» bezeichnet. Vitamin B12 oder Cobalamin Rhagaden). wird im Dünndarm über die Darmschleimhaut Da die Aufnahme im Darm ja gestört ist, kann die aufgenommen. Die Bindung an die Schleimhaut Behandlung nicht mit Vitamin B12 Tabletten erfol- geschieht über den intrinsic factor, der im Magen gen, sondern es sind intramuskuläre Spritzen nötig. produziert und freigesetzt wird. Wenn das Vitamin B12 bis zum Dünndarm nicht an intrinsic factor Nebennierenunterfunktion gebunden ist, wird es unverwertet wieder mit dem Stuhl ausgeschieden. Die Nebennierenunterfunktion, nach ihrem Entde- cker auch «Addisonkrankheit» genannt, trat bei 4 % der Typ-1-Diabetiker auf. In der Allgemeinbevöl- kerung ist sie etwa 100-mal seltener mit nur rund 0,04 %. Bei dieser Erkrankung richten sich die An- tikörper gegen die Hormon produzierenden Zellen der Nebennierenrinde. Das ebenfalls Hormon pro- 8 d-journal 242 l 2016
Diabetes aktuell duzierende Nebennierenmark wird hingegen nicht tungen stark an. Die Tablettendosis muss daher angegriffen. Es kommt daher nur zu einem Ausfall bei Krankheiten, Operationen oder auch grösseren der Produktion der beiden Rindenhormone Corti- körperlichen Anstrengungen richtig angepasst wer- sol und Aldosteron, während die Produktion von den, was spezielle Anforderungen an Patient und Adrenalin und Noradrenalin aus dem Mark erhal- Arzt stellt. ten bleibt. Cortisol, beziehungsweise sein synthetisches Ge- Und die Zöliakie? genstück Cortison, wird in der Medizin häufig ver- wendet zur Behandlung von Entzündungen. Vor allem in der Rheumatologie ist es ein wahrer Segen. In weit höheren Dosen, als von der Nebenniere selbst hergestellt, kann es auch schwere Entzün- dungen unterdrücken. Viele Diabetiker haben da- bei allerdings auch schlechte Erfahrungen gemacht, da Cortisol in hohen Dosen als Nebenwirkung auch eine starke blutzuckersteigernde Wirkung hat. Beim Cortisolmangel stehen allerdings weder seine Wirkung auf Entzündungen noch auf den Zucker- stoffwechsel im Vordergrund sondern seine Wir- In dieser indischen Studie gar nicht erwähnt wird kung auf den Kreislauf und den Stoffwechsel all- eine bei uns recht häufige Autoimmunerkrankung, gemein. Patienten mit Morbus Addison bemerken die Zöliakie. Über sie berichtet Dr. Scheidegger vor allem eine allgemeine Schwäche, Antriebslosig- eingehend in einem separaten Artikel «Zöliakie – keit und fehlende Kraft. Es kommt zu einem Abbau schon fast eine Volkskrankheit?» auf Seite 18. von Muskulatur, Gewichtsabnahme und erniedrig Tatsächlich wurde in dieser Studie kein einziger Fall tem Blutdruck mit Schwindelbeschwerden bis hin von Zöliakie beobachtet. Die Erklärung dafür ist zum Kollaps. die geographisch stark unterschiedliche Häufigkeit. Dies ist allerdings zum Teil auch Folge des Aldo- Die Zöliakie ist ja eine Unverträglichkeit auf den steronmangels, da die Steigerung des Blutdrucks Getreidekleber Gluten. Dementsprechend tritt sie auch die Hauptwirkung von Aldosteron – dem an- auch praktisch nur auf, wenn in der Nahrung grös- deren betroffenen Nebennierenhormon – ist. Beide sere Mengen glutenhaltiges Getreide wie Weizen, halten Natrium aus Kochsalz im Blut zurück und Roggen oder Gerste vorkommen. Reis hingegen scheiden dafür mehr Kalium aus. Natrium führt enthält kein Gluten, weshalb auch die Zöliakie in dann zusammen mit Wasser zu mehr Blutvolumen Asien sehr selten ist. Indien ist insofern ein Sonder- und einem höheren Blutdruck. Diese Wirkung ist fall, weil in Nordindien relativ viel glutenhaltiges bei Aldosteron viel stärker als bei Cortisol, dafür Getreide gegessen wird, während in Südindien Reis teilt es die anderen Wirkungen von Cortisol nicht, das Hauptnahrungsmittel darstellt. Dementspre- es ist also quasi auf den Salzhaushalt «spezialisiert». chend ist auch die Zöliakiehäufigkeit in Nordindien Aldosteron und seine Verwandten werden daher um 3 %, während sie in Südindien bei fast 0 % liegt. auch Mineralocorticoide genannt, während Corti- Dr. med. Dirk Kappeler sol auf Grund seiner Wirkung auf den Blutzucker als Glukocorticoid bezeichnet wird. Beide Hormone können mit Tabletten ersetzt wer- den. Der Aldosteronbedarf ist recht stabil und da- mit die Behandlung recht einfach. Cortisol hinge- gen ist ein Stresshormon und der Bedarf steigt bei psychischen und vor allem körperlichen Belas d-journal 242 l 2016 9
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