Diagnostik im Dialog der Roche Diagnostics Deutschland GmbH - Aktuelle Herausforderungen der Transfusionsmedizin

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Diagnostik im Dialog der Roche Diagnostics Deutschland GmbH - Aktuelle Herausforderungen der Transfusionsmedizin
Diagnostik im Dialog
Ausgabe 60 • 06/2019

                          der Roche Diagnostics Deutschland GmbH

                                               Aktuelle
                                 Herausforderungen der
                                   Transfusionsmedizin
Diagnostik im Dialog der Roche Diagnostics Deutschland GmbH - Aktuelle Herausforderungen der Transfusionsmedizin
Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

                                                 Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

                                                 die Urlaubszeit beginnt und damit begeben       sondern aus patientenzentrierten Gründen.
                                                 sich auch wieder diverse Krankheitserreger      „Patient Blood Management“ heißt dieses
                                                 auf Reisen. Als blinde Passagiere können sie    Konzept mit dem Ziel, die patienteneigenen
                                                 neue Lebensräume erreichen und besiedeln.       Blutressourcen zu stärken.
                                                 Das hohe globale Migrationsaufkommen för-       Vernetzt wie wir sind, haben wir zuneh-
                                                 dert zusätzlich die „Umsiedelung“ von Keimen    mend mit vormals exotischen Krankheitser-
                                                 und darüber hinaus von ethnisch bedingten       regen zu kämpfen, schaffen es andererseits
                                                 Blutgruppenantigenen. Globalisierung stellt     aber nicht, heimische Infektionskrankheiten
                                                 die Transfusionsmedizin vor erhebliche Her-     durch konsequentes Impfverhalten zu elimi-
                                                 ausforderungen und bedarf regulatorischer       nieren. Mangelnde Impfbereitschaft ist eine
                                                 Konsequenzen im Blutspendewesen. Ein wei-       ebenfalls globale Herausforderung - für
  Ute Reimann                                    terer aktueller Fokus der Transfusionsmedizin   Medizin und Gesundheitspolitik.
  Chefredakteurin „Diagnostik im Dialog“         liegt auf dem sparsamen Umgang mit Fremd-       Ich wünsche Ihnen beim Lesen dieser Aus-
                                                 blut – vornehmlich nicht aus ökonomischen       gabe viel Spaß und Erkenntnisgewinn.

Inhalt

   3 [Medizin] Patient Blood Management
   7 [Medizin] Globalisierung – Herausforderungen für die Transfusionsmedizin
  11 [Gesundheitspolitik] Hepatitis E und Transfusionsmedizin – Bundesoberbehörde ordnet Blutspenderscreening ab 2020 an
  14 [Gesundheitspolitik] Mangelnde Impfbereitschaft – Globale Bedrohung unserer Gesundheit
  18 [Medizin] Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen – Neue Leitlinie für Diagnose und Therapie
  20 [Medizin – Für Sie gelesen] Erweiterte Aussage des sFlt-1/PlGF-Quotienten
  21 [Produkte & Services] Launch cobas® pro integrated solutions

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Impressum

Herausgeber                                                                                      V.i.S.d.P. (Chefredaktion)
Roche Diagnostics Deutschland GmbH               Telefon +49 621 759 0                           Ute Reimann
Geschäftsführer Christian Paetzke                Telefax +49 621 759 2890                        Kommunikation
Sandhofer Straße 116                             Registergericht AG Mannheim HRB 708167
68305 Mannheim                                   USt.Nr. DE268638091

Die dargestellten Inhalte der Gastautoren geben die subjektive Einschätzung der Autoren wieder. Die Roche Diagnostics Deutschland GmbH
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Medizin | Patient Blood Management | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

Patient Blood Management
Prof. Dr. Patrick Meybohm, Anahita Regaei, Mona Jung-König, Sandra Ohm, Prof. Dr. Dr. Kai Zacharowski,
Klinik für Anästhesiologie, Schmerztherapie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt

                                                                                                                         Vorschnellen Griff zum
                                                                                                                         Blutbeutel vermeiden.
                                                                                          shutterstock/Komsan Loonprom

Es steht außer Frage, die Bluttransfusion       Bei Massivblutungen oder chirurgischen                                   Ebenso wenig überrascht es, dass die Anzahl
kann eine essentielle und lebensrettende        Risikoeingriffen mit akuter Blutung und kri-                             transfundierter Blutkonserven deutschland-,
Maßnahme sein. Vielfach jedoch erfolgt der      tischem Hämoglobin-Abfall ist die Verabrei-                              europa- und weltweit stark divergiert. Wer-
Griff zum Blutbeutel vorschnell oder gar pro-   chung allogener* Erythrozytenkonzentrate                                 den bei uns durchschnittlich 50 Einheiten
phylaktisch. "Patient Blood Management"         (EK) oft eine essentielle Maßnahme. Getreu
(PBM) macht sich als multidimensiona-           des kaum hinterfragten Dogmas eines
                                                                                                                          O	Übertragungen von Bakterien, Viren,
les klinisches Konzept für einen rationalen     durchweg positiven Effekts von Bluttrans-                                    Parasiten oder Prionen
Umgang mit Blutprodukten stark und ver-         fusionen wird jedoch vielfach vorschnell,                                 O	Transfusionsassoziierte Volumenüberladung
bessert so die Sicherheit der Patienten. Ziel   teils sogar prophylaktisch, zum Blutbeutel                                O	Zitrat-Überladung
ist, die patienteneigenen Blutressourcen prä-   gegriffen. Tatsächlich jedoch stellt die EK-                              O	Allergische Transfusionsreaktion
operativ zu stärken und intra- sowie postope-   Transfusion eine „Mini-Transplantation des                                O	Febrile nicht-hämolytische Transfusions-
                                                                                                                             reaktion
rativ durch den Einsatz fremdblutsparender      flüssigen Organs Blut“ mit immunologi-
                                                                                                                          O	Transfusionsassoziierte akute Lungen-
Maßnahmen zu schonen. Die Transfusion           schen und nicht-immunologischen Risiken                                      insuffizienz
von Fremdblut erfolgt nur noch bei geprüf-      dar (Tab. 1).                                                             O	Hämolytische Transfusionsreaktion
ter Indikation. So werden weniger Patienten                                                                               O	Transfusionsassoziierte Graft-versus-Host-
den potentiellen Risiken einer Bluttransfu-     Aufgrund der gängigen Praxis überrascht                                      Erkrankung
sion ausgesetzt. Zunehmend mehr Kliniken        es wenig, dass die Fremdbluttransfusion in                                O	Transfusionsassoziierte Immunmodulation

in Deutschland und Europa setzen das von        vielen Ländern auf den Spitzenplätzen der
                                                                                                                         Tab. 1: Risiken einer Transfusion mit Erythro-
der WHO seit 2010 geforderte Konzept um.1       zu häufig genutzten Therapien vertreten ist.2                            zytenkonzentraten

                                                                                                                                                                          3
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   Präoperative Anämie –
       stärkster Prädiktor
      einer perioperativen

                                                                                                                                                 shutterstock/Olena Yakobchuk
    Fremdbluttransfusion.

pro 1000 Einwohner (und damit mehr als         unterstützen. Im Rahmen eines Pilotpro-           O	Reduktion des EK-Verbrauchs um 39 %
in jedem anderen europäischen Land) trans-     jektes nutzen beispielsweise seit dem Jahr        O	Verkürzung der mittleren Krankenhaus-
fundiert, sind es in den Niederlanden nur 34   2013 die Universitätsklinika Frankfurt,              verweildauer um einen halben Tag
Einheiten pro 1000 Einwohner.                  Bonn, Münster und Kiel dieses Konzept             O	Reduktion postoperativer Komplikatio-
                                               und haben gleichzeitig den Grundstein für            nen um 20 %
PBM – sicher und rationell                     das deutsche „Patient-Blood-Management-           O	Reduktion der Sterblichkeit im Kranken-
PBM ist ein mehrdimensionales, evidenz-        Netzwerk“ gelegt.                                    haus um 11 %
basiertes klinisches Konzept mit großem
Potential, den medizinischen und ökono-        Belegt durch eine wissenschaftliche Begleit-      Dem im Jahr 2014 am Universitätsklinikum
mischen Herausforderungen gerecht zu           evaluation des Pilotprojekts und die Daten-       Frankfurt gegründeten deutschen „Patient-
werden. Das hat die WHO bereits im Jahr        analyse von knapp 130 000 stationären Pati-       Blood-Management-Netzwerk“ gehören
2010 anerkannt.1 PBM unterstützt das medi-     enten, erwies sich die Implementierung von        mittlerweile mehr als 100 Kliniken an. Sie
zinische Personal bei einer korrekten Indi-    PBM als gleichzeitig sicher und mit bis zu        werden durch das Frankfurter PBM-Team
kationsstellung von Fremdblutpräparaten,       50 % weniger EK-Transfusionen als äußerst         bei der Umsetzung der erforderlichen Maß-
hält Alternativtherapien bereit und fördert    rationell.3 Vor kurzem wurde erstmalig eine       nahmen unterstützt. Darüber hinaus ent-
die interdisziplinäre Zusammenarbeit.          Metaanalyse von 17 PBM-Studien mit mehr           standen 2016 das „European PBM Network“
                                               als 200 000 Patienten publiziert.4 Die Ergeb-     und 2017 das „World PBM Network“. Um
Die Anwendung von PBM im klinischen            nisse sind eindrucksvoll:                         möglichst jedes Krankenhaus in die Lage
Alltag beruht vor allem bei chirurgischen
Patienten auf drei Säulen (Abb. 1):
O	Präoperatives Anämiemanagement
O	Minimierung der perioperativen Blut-
                                                                                          Patient
   verluste und mehr Nutzung fremdblut-                                                   Blood
   sparender Maßnahmen                                                                Management
                                                                                   Das Drei-Säulen-Konzept
O	Rationaler Einsatz von Blutkonserven
   auf Basis einer adäquaten Beurteilung
   und Ausschöpfung der patienteneigenen
                                                       Frühe Detektion und              Minimierung des           Rationaler Einsatz von Blut-
   Anämietoleranz.                                 Behandlung einer ggf. vor-           Blutverlustes und                  konserven
                                                   handenen Anämie vor elek-          vermehrte Nutzung
                                                   tiven Eingriffen mit hohem         fremdblutsparender
Trotz des stetig zunehmenden wissenschaft-              Transfusionsrisiko                Maßnahmen
lichen und öffentlichen Interesses verläuft
die Umsetzung der PBM-Maßnahmen bis-
her schleppend. Neue Studienerkenntnisse       Abb. 1: Die drei Säulen des Patient-Blood-Management-Konzepts (Quelle: Universitätsklinikum
werden die Implementierung jedoch weiter       Frankfurt, modifiziert)

                                                                                                                                                              4
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zu versetzen, das PBM-Konzept zu imple-          Blutentnahmen weiter verloren. Häufig             Diese Herangehensweise hat v. a. bei stark
mentieren, wurden auf Basis der drei PBM-        führt dies zu einer im Krankenhaus erwor-         blutenden Patienten großes Potential und
Säulen mehr als 100 Einzelmaßnahmen              benen Anämie. Dies ist insbesondere bei           sollte am besten durch ein standardisier-
formuliert, deren Anwendung den finan-           Intensivpatienten relevant, bei denen ein         tes Massivblutungs-Protokoll koordiniert
ziellen, personellen und strukturellen Vor-      wöchentlicher Blutverlust von bis zu 500 ml       sein.
aussetzungen jeweils individuell angepasst       beobachtet werden kann (≈ Volumen zweier
werden kann.5                                    EKs)! Es überrascht demnach nicht, dass           Zu Behandlungsbeginn muss die adäquate
                                                 die auf Intensivstation ohnehin hohe Anä-         chirurgische Blutstillung stehen. Vor einer
Präoperatives Anämiemanagement                   mieprävalenz innerhalb einer Woche nach           nachfolgenden Algorithmus-basierten
Im Vorfeld einer Operation leiden etwa 30 %      Aufnahme auf über 90 % steigt. Durch              Therapie der Hämorrhagie und Koagulo-
der Patienten an einer Anämie (WHO-Defi-         kleinere Blutentnahmeröhrchen, eine opti-         pathie, sollten die physiologischen Rah-
nition: Hämoglobinwert (Hb) = ♀ < 12 g/dl,       mierte Entnahmefrequenz sowie eine stren-         menbedingungen einer optimalen Hämo-
♂ < 13 g/dl). Anämie ist ein eigenständi-        gere Indikationsstellung zur Blutentnahme,        stase sichergestellt sein (u. a. pH > 7,2;
ger und unabhängiger Risikofaktor für            lassen sich iatrogene Blutverluste relativ        ionisiertes Calcium > 1,0 mmol/mol;
postoperative Komplikationen und höhere          leicht reduzieren – bei gleichbleibender          Körperkerntemperatur > 36°C). Die Gerin-
postoperative Sterblichkeit. Zusätzlich stellt   diagnostischer Qualität.                          nungsdiagnostik kann durch den Einsatz
die Anämie den stärksten Prädiktor für eine                                                        aggregometrischer oder viskoelastischer
perioperative Fremdbluttransfusion dar –         Minimierung perioperativer Blutverluste           Methoden, die eine detaillierte Überwa-
wobei diese häufig nur Resultat einer unzu-      Perioperative Blutverluste müssen mög-            chung des Gerinnungsprozesses in nahezu
reichenden präoperativen Vorbereitung des        lichst gering und patienteneigene Blutre-         Echtzeit ermöglichen, unterstützt werden.
Patienten ist.                                   serven möglichst groß gehalten werden.            Sie registrieren abfallende Gerinnungsfak-

In ca. 30 % aller Fälle ist Eisenmangel Ursa-
che der Blutarmut. Dieser lässt sich präope-
rativ einfach und kurzfristig korrigieren                  Notfall                            Geplanter Eingriff (> 24 h Zeit)

– beispielswiese durch intravenöse Eisen-
supplementation. Sind die Ursachen der                                                Transfusions-                       Transfusions-
Anämie anderer Genese, kann die Gabe von                                        wahrscheinlichkeit < 10 %           wahrscheinlichkeit > 10 %
Vitamin B12, Folsäure oder Erythropoetin
indiziert sein. Für einen optimalen Behand-
                                                                                          ♀ ♂ Hb ≥13 g/dl                     ♀ ♂ Hb  10 %
                                                                                                                Eisenstatus
sowie einem erwarteten Blutverlust > 500 ml
im Fokus von Diagnostik und Therapie ste-
hen. Wenn indiziert, erfolgt eine Algorith-                                               Kein              Eisenmangel                 Kein
                                                                                      Eisenmangel       Transferrinsättigung        Eisenmangel
mus-basierte präoperative Anämiekorrektur                                                optimal               < 20 %               Anämie anderer
(Abb. 2).                                                                              vorbereitet               oder                  Genese
                                                                                                        Ferritin < 100 ng/ml
                                                                                                             (< 300 ng/ml
Auf diese Weise lassen sich die patienten-                Operation                                      bei Herzinsuffizienz/
eigenen Ressourcen optimieren und der                                                                    chron. Niereninsuff.)

spätere Fremdblutbedarf automatisch und
einfach reduzieren. Die Einrichtung einer                                                                   Eisen (intravenös)
                                                                                                                                     Ggf. internis-
                                                                                                                                     tisches Konsil
Anämie-Ambulanz kann das präoperative
                                                                                                                                      für spezielle
Anämiemanagement maßgeblich fördern.                                                                                                   Diagnostik/
                                                                                                                                        Therapie

Prävention vor erworbener Anämie
Im perioperativen Verlauf geht das Blutvo-
                                                 Abb. 2: Algorithmus zum präoperativen Anämiemanagement (Quelle: Universitätsklinikum Frankfurt,
lumen des Patienten durch diagnostische          modifiziert)

                                                                                                                                                      5
Diagnostik im Dialog der Roche Diagnostics Deutschland GmbH - Aktuelle Herausforderungen der Transfusionsmedizin
Medizin | Patient Blood Management | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

                                              shutterstock/ wk1003mike
                                                                                                         Häufige diagnostische
                                                                                                         Blutentnahmen –
shutterstock/ Sherry Yates Young

                                                                                                         eine Ursache iatrogener
                                                                                                         Anämien.

toren und eignen sich auch zur Steuerung                 Tatsächlich können Patienten mit normaler       cen zu schonen. Denn auch für die Zukunft
der Gerinnungstherapie.                                  Herz-Kreislauf-Funktion niedrigere Hb-          müssen dann, wenn eine adäquate Patien-
                                                         Werte (6–8 g/dl) sehr gut kompensieren und      tenversorgung nur mittels Bluttransfusion
Maschinelle Autotransfusion                              tolerieren. Die Indikation einer Bluttransfu-   realisierbar ist, genügend Blutkonserven
In vielen Fällen lassen sich durch maschi-               sion ist dann nicht gegeben und Patienten       vorhanden sein.
nelle Autotransfusion unnötige irreversible              werden nicht unnötigerweise vermeidbaren
                                                                                                         * Allogen: Fremdspende (ggü. autolog –
Blutverluste reduzieren. Darunter ist das                Risiken ausgesetzt. Folglich sollte vor jeder
                                                                                                         Eigenspende)
intraoperative Auffangen, Reinigen und                   Transfusion eine umfassende Risiko-Nut-
Zurückführen von Wundblut als autologe                   zen-Analyse stehen und mit Hinblick auf         Literatur
Transfusion zu verstehen, was unnötige                   transfusionsassoziierte Risiken eine ratio-      1	WHO Global Forum for Blood Safety: Patient Blood
                                                                                                             Management (2011);
Fremdbluttransfusionen vermieden hilft.                  nale Transfusionsstrategie anvisiert werden.        https://www.who.int/bloodsafety/events/gfbs_01_pbm_
                                                                                                             concept_paper.pdf
Der Einsatz dieser effektiven Methode ist                Bisher ließ sich kein Vorteil einer liberalen    2	Callum JL et al: Transfusion (2014); 54:2344–2352
bereits ab einem geschätzten intraopera-                 (Ziel-Hb-Wert 9–11 g/dl) gegenüber einer         3	Meybohm P et al: Ann Surg. (2016); 264(2):203–211.
                                                                                                             doi: 10.1097/SLA.0000000000001747
tiven Blutverlust von 500 ml medizinisch                 restriktiven Transfusionsstrategie (Ziel-Hb-     4	Althoff FC et al: Ann Surg. (2018); Nov 9.
                                                                                                             doi: 10.1097/SLA.0000000000003095. [Epub ahead of print]
und ökonomisch sinnvoll. Kontraindika-                   Wert 7–9 g/dl) zeigen. Interessanterweise        5	Meybohm P et al: Transfusion Medicine Reviews (2017);
                                                                                                             31:62–71
toren, wie Infektion oder Kontamination                  sinkt die Anzahl transfundierter EKs bereits     6	Bundesärztekammer (2017): https://www.bundesaerzte-
des Eigenblutes, müssen vor Rückfüh-                     durch die Einführung (elektronischer)               kammer.de/aerzte/medizinethik/wissenschaftlicher-beirat/
                                                                                                             veroeffentlichungen/haemotherapie-transfusionsmedizin/
rung sicher ausgeschlossen werden. Bei                   Anforderungsformulare mit integrierter              richtlinie/

Tumorpatienten wäre eine Aufbereitung                    Entscheidungshilfe. Die verpflichtende
des Wundblutes durch Bestrahlung oder                    Angabe des Transfusionsgrundes auf diesen       Korrespondenzadresse
zukünftig durch leukozytendepletierende                  Formularen kann den Umgang mit Fremd-
Filter denkbar. Dies sollte bereits aktuell              blut weiter vereinfachen.
bei Patienten mit schwieriger Antikörper-/
Blutgruppenkonstellation erfolgen.                       Fazit
                                                         Das primäre Ziel des PBM ist die Steigerung
Rationale Transfusionstrigger                            der Patientensicherheit. Dies wird erreicht,
Therapeutisches Ziel einer Bluttransfu-                  indem patienteneigene Blutressourcen prä-
sion ist die Vermeidung einer anämischen                 operativ gestärkt und inter- sowie postope-
Hypoxie und nicht ausschließlich die                     rativ geschont werden. Gleichzeitig werden
                                                                                                         Prof. Dr. med. Patrick Meybohm
Korrektur des Hb-Wertes. Entsprechend                    perioperative Bluttransfusionen reduziert       Stellv. Direktor der Klinik für
empfiehlt die Bundesärztekammer eine                     und weniger Patienten den potentiellen          Anästhesiologie, Intensivmedizin
multifaktorielle Indikationsstellung. 6 Sie              Gefahren einer Fremdbluttransfusion aus-        und Schmerztherapie
                                                                                                         Universitätsklinikum Frankfurt
berücksichtigt die individuelle Anämie-                  gesetzt. Ein sensiblerer Umgang mit Blut-       Theodor-Stern-Kai 7
toleranz, den akuten klinischen Zustand                  präparaten kann darüber hinaus helfen, die      60590 Frankfurt am Main
des Patienten sowie den physiologischen                  als Folge des demographischen Wandels           patientbloodmanagement@kgu.de
Transfusionstrigger.                                     knapper werdenden wertvollen Blutressour-       www.patientbloodmanagement.de

                                                                                                                                                                   6
Diagnostik im Dialog der Roche Diagnostics Deutschland GmbH - Aktuelle Herausforderungen der Transfusionsmedizin
Medizin | Globalisierung und Transfusionsmedizin | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

Globalisierung
Herausforderungen für die Transfusionsmedizin
Dr. Volkmar Schottstedt, Schottstedt Lab-Consulting, Iserlohn

                                                                                          shutterstock/Lumella+adike

In 80 Tagen um die Welt? Mit modernen           tische Grippe 1957, die Hongkong-Grippe                                ECDC (European Center for Disease Pre-
Transportmitteln geht es heute schneller. Die   1968, SARS 2003 und die Schweinegrippe                                 vention and Control) hat elf Pathogene mit
WHO hat seit 1990 eine Versiebenfachung         2009 sind weitere Beispiele.                                           einem potenziellen Risiko für die Bevöl-
des Reiseverkehrs und eine Versechsfachung                                                                             kerung und die Blutversorgung in Europa
des Welthandels mit steigender Tendenz fest-    Nach dem 2. Weltkrieg wuchs die Zuver-                                 definiert (Tab 1).4
gestellt.1 Als blinde Passagiere können z. B.   sicht, Infektionskrankheiten mehr und
Insekten und Krankheitserreger mitreisen        mehr besiegen zu können, etwa durch bes-                               Ausschlaggebend für die Renaissance „alter“
und sich bei günstigen Voraussetzungen in       sere Hygiene, Antibiotika oder Impfungen.2                             und das Auftreten „neuer“ humaner Infekti-
neuen Lebensräumen ansiedeln. Auch mit          Spätestens jedoch mit der HIV-Pandemie                                 onen und deren Verbreitung sind Faktoren
den aktuellen Flüchtlingsströmen migrieren      setzte Anfang der 80iger Jahre ein Umden-                              wie Tourismus, Migration und Welthandel
Viren, Bakterien, Parasiten sowie ethnisch      ken ein. Weitere bisher unbekannte Erreger
basierte Blutgruppenantigenkonstellatio-        (z. B. HTLV I/II, FMSE-Virus, HCV-Virus)
nen. Unter diesen sich schnell verändernden     wurden entdeckt.                                                        O West-Nil-Virus
Bedingungen ist die sichere und zeitgerechte                                                                            O Dengue-Virus
Versorgung mit Blutprodukten eine Heraus-       1999 traf das zu den Arboviren* gehörende                               O Leishmania
forderung für die Transfusionsmedizin.          West-Nil-Virus (WNV), ausgehend von der                                   (intrazelluläre protozoische Parasiten)
                                                Ostküste Amerikas, auf eine immunologisch                               O Chikungunya-Virus
Globalisierung von Infektionen                  naive Vogel- und Menschenpopulation und                                 O Plasmodien (Auslöser Malaria)
Die Ausbreitung von Infektionskrankheiten       konnte sich schnell auf dem nordamerika-                                O Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus
ist kein Phänomen der Neuzeit. Die Cholera      nischen Kontinent nach Westen ausbreiten.3                              O Borrelien
verbreitete sich Anfang des 19. Jahrhunderts    In den letzten Jahren hat sich das WNV in                               O Krim-Kongo-Virus
durch russische Truppen vom indischen           Teilen Südeuropas etabliert. 2018 wurde es                              O Usutu-Virus
Subkontinent aus über Asien, Ostafrika,         erstmals auch im Osten Deutschlands bei                                 O Babesien
Europa über fast die ganze Welt. Die spa-       wenigen Wild- und Zoovögeln sowie Pfer-                                 O Trypanosoma cruzi (einzelliger Parasit;
                                                                                                                          Auslöser der Chagas-Krankheit)
nische Grippe fegte Ende des 1. Weltkriegs      den nachgewiesen. Auch andere Arboviren
über den europäischen Kontinent und for-        wie Chikungunya, Dengue und Zika haben
                                                                                                                       Tab. 1: Erreger mit Risikopotenzial für die
derte rund 50 Mio. Todesopfer. Die Asia-        in letzter Zeit für Schlagzeilen gesorgt. Die                          Bevölkerung/Blutversorgung in Europa

                                                                                                                                                                     7
Diagnostik im Dialog der Roche Diagnostics Deutschland GmbH - Aktuelle Herausforderungen der Transfusionsmedizin
Medizin | Globalisierung und Transfusionsmedizin | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

in Verbindung mit einer empfänglichen               lands oder die autochthonen Dengue-Fälle
                                                                                                    O	Erreger im Blut nachweisbar?
humanen ggf. auch immunsupprimier-                  z. B. in Spanien und Frankreich unterstrei-
                                                                                                    O	Prävalenz/Inzidenz?
ten Population. Mit dem internationalen             chen die Notwendigkeit eines Risikoma-
                                                                                                    O	Prophylaxe möglich?
Luftverkehr kann sich ein hochkontagiöses           nagements. Tab. 2 zeigt wesentliche Krite-      O	Symptomlose Träger?
Pathogen innerhalb weniger Tage weltweit            rien für die Bewertung von Erregern in der      O	Labordiagnostik möglich?
verbreiten, wie die SARS-Epidemie ein-              Transfusionsmedizin.10                          O	Erreger überlebt in Blutkomponenten?
drucksvoll gezeigt hat. Durch Umwelt-                                                               O	Erreger ist intravenös übertragbar?
und Klimaveränderungen entstehen neue               Entscheidend ist das Wechselspiel aus öko-      O	Immunstatus der Empfänger?
Lebensräume für herkömmliche Vektoren**             logischen, klimatischen Veränderungen und       O	Schwere der Erkrankung/Komplikationen?
(z. B. Asiatische Tigermücke, Abb. 1),3,5,6 aber    weiteren Faktoren sowie deren Einfluss auf      O	Therapierbarkeit/Prognose?

auch die Adaptation von Pathogenen an               Vektoren von Infektionen und Erregern          Tab. 2: Bewertungskriterien der transfusions-
neue Vektoren (z. B. an bei uns heimische           exakt zu erfassen.11 Dies geschieht z. B.      medizinischen Relevanz von Infektionen
Mückenarten) kann ihre Verbreitung för-             durch saisonale Surveillance-Maßnahmen
dern. Antigendrifts oder -shifts*** können          und eine Meldepflicht von Erkrankungen.12      übergreifende Zusammenarbeit. 16–19 Aus
zu gesteigerter Pathogenität und Überwin-           Bereits 2012 hat die ECDC z. B. Empfehlun-     den Ergebnissen lassen sich gezielte prä-
dung von Speziesbarrieren führen. Beispiele         gen zur Surveillance von und zum Vorgehen      ventive Maßnahmen ableiten (s. unten).4,20
sind die Vogel- und Schweinegrippe.                 beim Auftreten von WNV-Infektionen in          Auch die rechtzeitige (Weiter-)Entwicklung,
                                                    Zusammenhang mit der Blutsicherheit gege-      Zulassung und Produktion bisher nicht in
Risiken für die Transfusionsmedizin                 ben.13 Weiterhin hat sie das E3-Netzwerk für   der Transfusionsmedizin eingesetzter Labor-
Nicht jede Infektion hat für die Transfusions-      die EU-weite Erfassung, Forschung und den      tests und des ggf. erforderlichen Equipments
sicherheit die gleiche Bedeutung. Coxiellen         Informationsaustausch über Umweltein-          sollte berücksichtigt werden. In der seit
(Q-Fieber) oder Influenzaviren beispiels-           flüsse und deren Auswirkungen auf Infekti-     26.05.17 EU-weit gültigen IVD-Verordnung
weise spielen hier kaum eine Rolle.7,8 Ande-        onskrankheiten geschaffen. Ziel ist die Ent-   sind alle infektiologischen Tests, die für den
rerseits zeigte der Chikungunya-Ausbruch            wicklung eines Frühwarnsystems.14,15           Freigabeentscheid von Blut, Blutbestand-
2017 in Rom die gravierenden Auswirkun-                                                            teilen, Zellen, Geweben oder Organen zum
gen transfusionsmedizinisch relevanter              Zur Abschätzung eines Erreger-bedingten        Einsatz kommen, in der höchsten Risiko-
Infektionen auf die Blutversorgung.9 Auch           Risikos für die Transfusionsmedizin exis-      klasse D eingestuft. Bei der Konformitäts-
die o. g. WNV-Infektion im Osten Deutsch-           tieren verschiedene Modelle für die länder-    bewertung sind daher die höchsten Anfor-
                                                                                                   derungen mit entsprechendem Zeitbedarf
                                                                                                   zu erfüllen.
                                                                              etabliert
                                                                              eingeführt           Risikomindernde Maßnahmen
                                                                              nicht vorkommend
                                                                              keine Daten          Es gibt verschiedene Maßnahmen zur
                                                                                                   Verbesserung des Sicherheitsprofils von
                                                                                                   Blutkomponenten. Die Spenderauswahl-
                                                                                                   kriterien und die verpflichtend durch-
                                                                                                   zuführenden Laboruntersuchungen zum
                                                                                                   Erkennen (potenziell) infektiöser Spenden
                                                                                                   sind in Deutschland auf der Basis von EU-
                                                                                                   Direktiven durch das Transfusionsgesetz,
                                                                                                   die Hämotherapierichtlinien sowie Stu-
                                                                                                   fenpläne des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI)
                                                                                                   festgelegt. Bei sich ändernden und beson-
                                                                                                   deren epidemiologischen Situationen müs-
                                                                                                   sen weitere, dem Risiko angepasste Maß-
                                                                                                   nahmen ergriffen werden.21 Seit 1.10.2018
                                                                                                   sind die Blutspendedienste in Deutschland
                                                                                                   verpflichtet, Aufenthalte von Spendern in
Abb. 1: Verbreitung der Asiatischen Tigermücke (Aedes albopictus) in Europa;                       vom PEI regelmäßig aktualisierten Aus-
Quelle: ECDC und EFSA, die dargestellten Daten wurden durch das VectorNet-Projekt gesammelt.
© EuroGeographics; © UN-FAO; © Turkstat. Stand 1. Juni 2018 ECDC (mod aus 6).                      breitungsgebieten bestimmter Infektionen

                                                                                                                                                   8
Diagnostik im Dialog der Roche Diagnostics Deutschland GmbH - Aktuelle Herausforderungen der Transfusionsmedizin
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                                                                                                      erhebliche Unterschiede in den
shutterstock/Max Topchii

                                                                                                      Blutgruppenantigenmustern.
                                                shutterstock/

bei der Spendertauglichkeitsbeurteilung zu               schem Plasma und tiefgefrorenen Erythro-     tete und Asylsuchende, die nach Deutsch-
berücksichtigen (Datenbank Spenderrück-                  zytenkonzentraten ist erst nach mindestens   land kommen, häufig und z. T. erhebliche
stellung). Flankierend veröffentlicht der                vier Monaten und aktuell bestimmten,         Unterschiede zu Europäern. Beispielsweise
Arbeitskreis Blut beim Bundesministerium                 unauffälligen Untersuchungsergebnissen       sind variante Allele im ohnehin komple-
für Gesundheit regelmäßig Stellungnahmen                 des Spenders vorgesehen.                     xen Rhesus-Faktor-System als sog. DAU
zu Infektionserregern und deren Bedeutung             O	Pathogenreduktion: Entsprechende Ver-        („D afrikanischen Ursprungs“) bekannt. 26
für die Transfusionsmedizin.22                           fahren könnten der Königsweg werden.         Nach Gabe von Erythrozyten europäischer
                                                         Für Thrombozytenkonzentrate wird die         Spender können Afrikaner gegen die für sie
Risikomindernde Maßnahmen sind:                          Pathogenreduktion z. B. flächendeckend       fremden, jedoch hochfrequent in Europa
O	Spenderausschluss (temporär/                          in der Schweiz eingesetzt. Für Erythro-      vorkommenden Antigene irreguläre Anti-
   permanent): Der Spenderausschluss                     zytenkonzentrate und für Vollblut sind       körper bilden. Diese Antikörper sind oft
   bei Krankheits-/Expositionsverdacht                   Verfahren in der Entwicklung. Nachteile      nur in Speziallaboratorien mit limitiert zur
   ist unter Versorgungsgesichtspunkten                  der zur Zeit noch kostenintensiven Maß-      Verfügung stehenden Reagenzien und Test-
   natürlich nur möglich, wenn der Anteil                nahme sind u. a. eine teilweise erreger-     erythrozyten zu differenzieren. Bei weite-
   betroffener Blutspender klein ist.                    spezifisch unterschiedliche Effizienz der    ren Transfusionen muss antigenkompatibles
O	Labortestung: Eine Alternative zum Spen-              Abreicherung bzw. mögliche Schäden           Blut verabreicht werden, um antikörperver-
   derausschluss ist die Testung auf Anwesen-            der therapeutisch wirksamen Bestand-         mittelte Transfusionsreaktionen zu vermei-
   heit der Krankheitserreger im Blut.7,23               teile, über deren klinische Relevanz kon-    den. Blutspender aus unseren Breiten besit-
   Dieser Tatsache Rechnung tragend wurde                trovers diskutiert wird.24,25                zen allerdings kaum die dafür benötigten
   z. B. im WNV-Stufenplan des PEI nach                  Therapeutische Plasmen, die mittels          Antigenkonstellationen. 27 Hinzu kommt,
   Aufenthalt in Endemiegebieten alternativ              SD (Solvent-Detergent)-Verfahren             dass unter Migranten chronisch transfusi-
   eine Spenderrückstellung von 28 Tagen                 pathogenreduziert wurden, lassen sich        onsbedürftige Patienten z. B. wegen ausge-
   oder eine Testung des Spenderblutes mit               alternativ zu quarantänegelagerten           prägter Thalassämie oder Sichelzellanämie
   der WNV-PCR (definierte Mindest-                      Produkten einsetzen. In die indus-           sind.28 Zur Vermeidung von Alloimmuni-
   empfindlichkeit von 250 Kopien WNV-                   trielle Herstellung plasmabasierter          sierungen sollte bei diesen Patienten, soweit
   RNA/ml) vorgeschrieben.21 Der beliebigen              Blutprodukte (z. B. Gerinnungsfakto-         möglich, antigenkompatibel transfundiert
   Ausweitung des zu testenden Erregerspek-              renkonzentrate, Immunglobuline) sind         werden. Das erschwert die Blutbereitstel-
   trums sind allerdings aus technischen und             Virusabreicherungsverfahren seit Jah-        lung zusätzlich.
   ökonomischen Gründen Grenzen gesetzt.                 ren integriert.7 Die Erfahrungen bele-
O	Leukozytendepletion: Sie wurde 2001 für               gen ein hohes Sicherheitsprofil bei der      Um die Versorgung von Angehörigen
   Erythrozyten- und Thrombozytenkon-                    Verhinderung transfusionsassoziierter        anderer Ethnizitäten mit erythrozytä-
   zentrate eingeführt und reduziert als                 Infektionen.                                 ren Blutkomponenten sicher zu stellen,
   Nebeneffekt intrazellulär in Leukozyten                                                            sind regelmäßig spendende Personen aus
   enthaltene Pathogene (z. B. CMV).                  Seltene Blutgruppenantigenmuster                entsprechenden Herkunftsgebieten uner-
O	Quarantänelagerung: Die Freigabe von               Blutgruppenantigenmuster spiegeln die           lässlich. Das gilt analog für die hier nicht
   nicht pathogeninaktiviertem therapeuti-            Ethnizität wider. Insofern zeigen Geflüch-      betrachtete Stammzelltransplantation.

                                                                                                                                                 9
Diagnostik im Dialog der Roche Diagnostics Deutschland GmbH - Aktuelle Herausforderungen der Transfusionsmedizin
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Erfolgskritische Voraussetzungen sind eine
kultursensible Werbung und die Ansprache
potenzieller Spender in einer ihnen vertrau-
ten Sprache. Nachgedacht werden muss auch
über die laut Hämotherapierichtlinien beste-
hende Rückstellungsfrist von vier Jahren bei                                                                    Regelmäßige Blutspender
Geburt bzw. Aufwachsen in einem Malaria-
Endemiegebiet bzw. einem Aufenthalt dort                                                                        außereuropäischer
über sechs Monate.                                                                                              Ethnizitäten sind
                                                                                                                unerlässlich.
                                               shutterstock/Pressmaster

Bei Spendern anderer Ethnizitäten ist die
Phänotypisierung möglichst vieler Blut-
gruppensysteme empfehlenswert. Damit
lassen sich für Patienten mit irregulären
Antikörpern auch gegen hochfrequent in
Europa vorkommende Antigene zeitnah
ausreichend kompatible Spender finden.29,30    Ausblick                                                         15	Semenza JC: Int J Environ Res Public Health (2015);
                                                                                                                    12:6333–6351
                                               Die Globalisierung stellt auch die Transfu-                      16	Oei W et al: Transfusion (2013); 53:1421–1428
                                                                                                                17	Oei W et al: Transfusion (2016); 56:2108–2114
Um diese und andere Herausforderungen          sionsmedizin vor anspruchsvolle Aufgaben.                        18	Mapako T et al: BMC Infectious Diseases (2016); 16:
                                                                                                                    https://doi.org/10.1186/s12879-016-1452-z
zu bewältigen, wurde z. B. das Projekt         Neue Ideen und Lösungsansätze sowie die                          19	Kiely P et al: Transf Med Rev (2017); 31:54–164
"BluStar.NRW" gegründet. Es engagiert          notwendige Flexibilität sind vorhanden –                         20	Semenza JC et al: Env Health (2016); 15:125–136
                                                                                                                21	https://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit-vigilanz/
sich für die Gewinnung und Typisie-            gute Voraussetzungen, um auch diese Her-                             haemovigilanz/abgeschlossene-verfahren-bescheide/
                                                                                                                    abgeschlossene-verfahren-haemovigilanz-node.
rung von Flüchtlingen und Migranten als        ausforderungen zu meistern.                                          html#doc8077436bodyText31
                                                                                                                22	https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/AK_Blut/
potenzielle Blut- und Stammzellspender.                                                                             Stellungnahmen/stellungnahmen_node.html
                                                                                                                23	Seed CR: ISBT Science Series (2014); 9:6–13
Gefördert mit Mitteln des Europäischen         * Arboviren (arthropod-borne viruses): Viren, die                24	Seifried E et al: Blood Transfus (2011); 9:371–376
Fonds für regionale Entwicklung konnten        durch Arthropoden (Gliederfüßer wie Moskitos,                    25	Schlenke P: Transfus Med Hemoth (2014); 41:309–325
                                                                                                                26	Ahrens N: Trillium Diagnostik (2017);
bis in die Sommermonate 2018 ca. 1300          Sandfliegen und Zecken) übertragen werden.                           https://www.trillium.de/zeitschriften/trillium-diagnostik/
                                                                                                                    trillium-diagnostik-ausgaben-2017/td-12017/schwer-
Blutspender und mehr als 500 Stammzell-        ** Vektor: Organismus, der einen Erreger von einem                   punkt-migration-und-medizin/ethnische-unterschiede-in-
                                                                                                                    der-immunhaematologie.html
spender aus 30 Ländern registriert und         Wirtsorganismus zu einem anderen transportiert.
                                                                                                                27	Wagner FF: hämotherapie (2016); 26:25–31
untersucht werden. Darunter befinden           ***Antigendrift: langsame, kontinuierliche und
                                                                                                                28	Kunz BJ et al: Pediatric Blood & Cancer (2017); 64:
                                                                                                                    https://doi.org/10.1002/pbc.26550
sich auch Personen mit bei uns sehr sel-       zufällige Veränderung (Punktmutationen) von immu-                29	Wagner FF et al: Transf Med Hemoth (2018); 45:225–237
                                               nitätsbildenden Oberflächenstrukturen von Viren.                 30	Khan J et al: Transf Med Hemoth (2018); 45:271–276
tenen Phänotypen.31,32                                                                                          31	Reimer T et al: hämotherapie (2018); 31:38–40
                                               Antigenshift: genomischer Segmentaustausch                       32	Lenz V et al: Poster PS-2A-3: 51. Jahrestagung der DGTI
                                               zwischen Virusstämmen.                                               September 2018
                                                                                                                33	Seltsam A: hämotherapie (2016); 26:19–24
In den letzten Jahren wird die Differenzie-                                                                     34	Chou ST: Transfusion (2018); 58: 2469–2471
rung von Antikörpern gegen hochfrequente
Blutgruppenmerkmale durch zunehmend
verfügbare, lösliche rekombinante Blut-        Literatur
                                                 1	European Commission (2013: Specific contract
                                                                                                                Korrespondenzadresse
gruppenproteine (rBGP) erleichtert. Nach            No. EAHC/2013/Health/24
                                                 2	Kurth R: hämotherapie (2003); 1:6–12
Zusatz des spezifischen rBGPs werden die         3	Zappa A et al: Blood Transf (2009); 7:167–171
Antigenbindungsstellen des Antikörpers im        4	Pajares Herraiz AL: Biomed J Sci&Tech Res (2017); 1(2):
                                                    https://biomedres.us/pdfs/BJSTR.MS.ID.000167.pdf
Patientenplasma blockiert und der Anti-          5	Semenza JC et al: FEMS Microbiol Letters (2018); 365(2):
                                                    https://doi.org/10.1093/femsle/fnx244
körper kann nicht mehr an die entspre-           6	https://ecdc.europa.eu/en/publications-data/aedes-
                                                    albopictus-current-known-distribution-june-2018
chenden Testerythrozytenantigene binden.         7	van Kraaij MG et al: Transfusion (2013); 53:716–721
                                                 8	AK Blut Stellungnahme Influenzaviren: Bgbl (2007);
Durch die fehlende Agglutination ist der            50:1184–1191
Antikörper entsprechend der Spezifität des       9	Pirelli L et al: Transfusion (2018); 59:
                                                    https://doi.org/10.1111/trf.14892
rBGPs nachgewiesen.33 Weiterhin sind erste      10	Dodd RY: Br J Hem (2012); 159:135–142
                                                11	Lindgren E et al: Science (2012); 336:418-419               Dr. med. Volkmar Schottstedt
Versuche mit immortalisierten erythroiden       12	Gossner CM et al: Eurosurveill (2017); 22(18):              Schottstedt Lab-Consulting
                                                    https://doi.org/10.2807/1560-7917.ES.2017.22.18.30526
Progenitorzellen zur Produktion von Test-       13	https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/blood_tis-   Brieger Str. 15
erythrozyten mit seltenen Antigenmustern            sues_organs/docs/wnv_preparedness_plan_2012.pdf             58640 Iserlohn
                                                14	Semenza JC et al: PLOS Negl Trop Dis (2013):
                                                                                                                schoconsultant@t-online.de
vielversprechend.34                                 https://doi.org/10.1371/journal.pntd.0002323

                                                                                                                                                                          10
Gesundheitspolitik | Hepatitis E und Transfusionsmedizin | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

Hepatitis E und Transfusionsmedizin
Bundesoberbehörde ordnet Blutspenderscreening ab 2020 an
Prof. Dr. Michael Schmidt, Deutsches Rotes Kreuz, Blutspendedienst Institut Frankfurt
shutterstock/smolaw

Transfusionsbedingte Infektionen mit dem        Publizierte Beispiele                           der. In einem Fall trat bei einem 47-jähri-
Hepatitis-E-Virus (HEV) sind phylogene-         Im Jahr 2004 erschien ein erster Bericht über   gen immunsupprimierten Mann nach sechs
tisch belegt. Hohe HEV-Inzidenzraten bei        eine transfusionsbedingte Infektion mit HEV.1   Monaten eine HEV-Infektion auf. Die HEV-
Blutspendern und Beschreibungen klinisch        Ein 67 Jahre alter Patient erhielt bei einer    Konzentration im Thrombozytapherese-
gravierender Infektionen bekräftigen einen      Herzoperation 14 FFPs, 8 EKs und 1 TK*.         produkt betrug hier lediglich 120 IU/ml. Im
dringenden Handlungsbedarf für die Trans-       Vor der Operation war der Patient negativ für   anderen Fall, einem 71-jährigen, ebenfalls
fusionsmedizin. Ab dem 1. Januar 2020 ist       HEV. 40 Tage postoperativ ließen sich sowohl    immunsupprimierten Mann, kam es dagegen
für alle zellulären Blutprodukte und ein Jahr   das Virus selbst als auch Antikörper (IgM und   trotz höherer HEV-Konzentration (490 IU/
später auch für therapeutisches Plasma das      IgG) gegen HEV nachweisen. Phylogenetische      ml) nicht zur Infektion. Dieses Beispiel zeigt
Screening auf HEV bei Blutspendern gesetz-      Untersuchungen belegten den transfusions-       deutlich, dass es in der Risikobetrachtung für
lich vorgeschrieben.                            medizinischen Zusammenhang.                     eine minimale Infektionsdosis sowohl auf die
                                                                                                Viruskonzentration im Blutprodukt als auch
Damit ein Virus transfusionsmedizinische        Die eindrucksvolle Arbeit von Hewitt et al.     auf den Immunstatus des Patienten ankommt.
Relevanz besitzt, müssen folgende Bedin-        aus dem Jahr 20142 belegte über Rückverfol-
gungen vorliegen:                               gungsuntersuchungen bei 79 HEV-positiven        In diesem Zusammenhang haben Kamps et
O	Die Infektion muss mit einer asympto-        Mehrfachspendern die große Bedeutung des        al. von der Bundesoberbehörde eine risikoba-
   matischen Periode beginnen, da klinisch      HEV für die Transfusionsmedizin. Bei 18         sierte Analyse durchgeführt.4 Danach lassen
   symptomatische Spender nicht zur             von insgesamt 43 untersuchten transfun-         sich bei einem Spenderscreening mit einer
   Spende zugelassen werden.                    dierten Patienten (42 %) konnte HEV nach-       analytischen Sensitivität von 2000 ­IU­/­ml
O	In der asymptomatischen Periode              gewiesen und der transfusionsmedizinische       80 % aller HEV-Infektionen nachweisen. Die
   muss eine Virämie vorliegen.                 Zusammenhang hergestellt werden.                Simulationsstudie der Arbeitsgruppe zeigt,
O	Die Infektion muss mit einem                                                                 dass jede Teststrategie zu einer Risikomin-
   schwerwiegenden Krankheitsbild               Huzly et al.3 beschrieben zwei HEV-positive     derung nicht jedoch zu einer vollständigen
   verbunden sein.                              Thrombozytapheresen** von einem Spen-           Risikoeliminierung führt.

                                                                                                                                           11
Gesundheitspolitik | Hepatitis E und Transfusionsmedizin | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

Aktuelle Screeningmaßnahmen                    Zunächst wird eine analytische Sensitivi-           Dokument der Bundesoberbehörde, dass
Der Blutspendedienst Baden-Wuerttem-           tät von maximal 2000 IU/ml (95 % level of           bei einem Spenderscreening in Minipools
berg/Hessen hat bereits im Oktober 2018        detection (LOD)) festgesetzt. Da der Stufen-        von mehr als 48 Spenden pro Pool zusätz-
eine selektive Spendertestung auf HEV          plan jedoch die verlässliche Detektion von          lich zu den Assaykontrollen eine externe
eingeführt und untersucht darüber hinaus       2000 IU/ml vorsieht, fordert ein zusätzliches       Laufkontrolle mit einer Konzentration von
seit 2014 alle Spenden des Österreichi-
schen Roten Kreuzes auf HEV. Die maxi-
male Poolgröße beträgt 96 Spenden pro
                                                                         2000
Minipool. Abb. 1 zeigt die vergleichbare
                                                                         1800
Inzidenzrate vom Blutspendedienst Baden-
Wuerttemberg/Hessen bzw. vom Österrei-                                   1600

chischen Roten Kreuz bei identischen Scree-
                                                    Inzidenzrate (1/N)

                                                                         1400
ningbedingungen (96er-Poolverfahren und                                  1200
Verwendung des cobas HEV Assays von
                                                                         1000
Roche Diagnostics). Dies lässt auch auf
                                                                          800
vergleichbare Infektionsrisiken in beiden
Ländern schließen.                                                        600

                                                                          400
Die sehr hohe Inzidenzrate von ca. 1:1700                                 200
belegt zum einen die dringende Notwen-
                                                                            0
digkeit eines HEV-Spenderscreenings.
                                                                                           DRK                            ÖRK
Verglichen damit liegen die Inzidenzraten                                                  1717                           1784
etablierter Screeningparameter, wie z. B.
HIV-1 (ca. 1:100 000 in Deutschland) oder      Abb. 1: Inzidenzrate HEV in Deutschland und Österreich. Untersucht wurden von 2014 bis 2016 im
HCV (1:15 000) signifikant niedriger. Zum      Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) 157 070 Spenden auf HEV im 96er-Minipool-Verfahren. 88 dieser
                                               Proben waren positiv. Bei entsprechenden Untersuchungen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Baden-
anderen bedeutet die hohe Inzidenzrate,
                                               Württemberg/Hessen von Oktober bis Dezember 2018 wurden aus 5150 Spenden drei HEV-positive Pro-
dass es neben Blutprodukten weitere Quel-      ben identifiziert. (Quelle: M. Schmidt)
len für HEV-Infektionen geben muss. Das
größte Infektionsrisiko liegt im Verzehr von
unzureichend erhitztem Schweinefleisch.
                                                     Viruslast (IU/ml)

Abb. 2 zeigt eine Untersuchung von 34
HEV-NAT-positiven Spenden auf HEV-
IgM- und IgG-Antikörper im Blutspende-
dienst Baden-Wuerttemberg/Hessen. In 25
dieser 34 Spenden (73,5 %) wurden keine
entsprechenden Antikörper nachgewiesen
– ein Hinweis darauf, dass es sich in der
Regel um akute HEV-Infektionen handelt.
                                                                         IgG/IgM negativ

Gesetzliche Regelungen                                                   IgG reaktiv

Mit dem Stufenplanbescheid der Bun-                                      IgG/IgM reaktiv
desoberbehörde vom 05.02.2019 wird für                                   IgM reaktiv
alle zellulären Blutprodukte das Spender-
screening auf HEV ab dem 01.01.2020            Abb. 2: Nachweis von HEV-Antikörpern bei HEV-NAT-positiven Spenden. In einer ersten Evaluati-
                                               onsstudie (2012 bis 2014) wurden 34 HEV-NAT-positive Spenden auf HEV-IgM- und IgG-Antikörper unter-
und für das therapeutische Plasma ab dem       sucht. Bei Spenden mit einem blauen Balken (25/34; 73,5 %) konnten keine Antikörper nachgewiesen wer-
01.01.2021 verbindlich vorgeschrieben.         den. (Quelle: M. Schmidt)

                                                                                                                                                 12
Gesundheitspolitik | Hepatitis E und Transfusionsmedizin | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

                                                                                                   Hohe Inzidenzraten
                                                                                                   des HEV belegen die
                                                                                                   Dringlichkeit eines
                                                  shutterstock/Kateryna Kon

                                                                                                   Spenderscreenings.
shutterstock/Byjeng

6000 ­IU­/­ml mitgeführt werden muss (Anfor-      Infektionen eine asymptomatische Periode        * FFP: Fresh Frozen Plasma;
                                                                                                    EK: Erythrozytenkonzentrat;
derungen an die Validierung bzw. den Rou-         von ca. 40 Tagen besteht und Infizierte nach
                                                                                                    TK: Thrombozytenkonzentrat
tinebetrieb von Nukleinsäure-Amplifika-           ca. zehn Tagen virämisch sind. Ferner gibt es
tions-Techniken (NATs) zum Nachweis von           zahlreiche Fallberichte von klinisch schwer-    ** Thrombozytapherese: Entfernung der
Virusnukleinsäuren in Spenderblut).               wiegenden HEV-Infektionen. 5 Deutsch-              Thrombozyten aus einer Blutspende, die
                                                                                                     restlichen Blutbestandteile werden transfundiert.
                                                  land folgt mit der gesetzlichen Anordnung
Parallel zur gesetzlichen Einführung von          des HEV-Spenderscreenings Ländern wie
HEV in das Spenderscreening wird es zum           Großbritannien oder Japan und auch in
01.01.2020 auch eine Neuregelung der              vielen anderen Ländern steht diese Rege-
Voten des Arbeitskreises Blut zum Rück-           lung unmittelbar bevor. Somit ist mit einer
verfolgungsverfahren geben. Gegenwärtig ist       globalen Einführung von HEV in das Spen-
                                                                                                  Literatur
geplant, HEV-positive Spender für mindes-         derscreening zu rechnen. Die Ergänzung des       1	Matsubayashi K et al: Transfusion (2004); 44(6):934–940
                                                                                                   2	Hewitt PE et al: Lancet (2014); 384(9956):1766–1773
tens vier Wochen zu sperren und bei einer         Blutspenderscreenings durch einen weiteren       3	Huzly D et al: Euro Surveill (2014); 19(21)
erneuten Spende danach mit einer analyti-         NAT-Parameter stellt auch die Bedeutung          4	Kamp C et al: Vox Sang (2018); 113(8):811–813
                                                                                                   5	Ahmad BS et al: J Pak Med Assoc (2018); 68(9):
schen Sensitivität von 50 IU/ml (95 % LOD)        dieser Nachweismethode für die Sicherheit           1397–1399
                                                                                                   6	Ziegler U et al: Antiviral Res (2019); 162:39–43
zu untersuchen.                                   von Blutprodukten in den Vordergrund.

Bei HEV-positiven Mehrfachspendern ist            Weitere Kandidaten
zu prüfen, ob in den vier Wochen vor der          Im Sommer 2018 wurde das West-Nil-Virus
auffälligen Probe weitere Spenden geleistet       (WNV) in Deutschland bei einem Bart-
wurden. Diese Vorspenden sind ebenfalls           kauz nachgewiesen,6 in Europa, vor allem
mit einer erhöhten Sensitivität von 50 ­IU­/­ml   der Türkei, Griechenland und Norditalien
zu untersuchen. Da das Infektionsrisiko für       war eine starke Ausbreitung zu verzeich-
HEV durch die Nahrungskette unabhängig            nen. Somit könnte in naher Zukunft auch
vom Blutspenderscreening bestehen bleibt,         WNV zu einer Infektionsgefahr durch Blut-       Korrespondenzadresse
rechnet der Blutspendedienst Baden-Wuert-         spenden und Blutprodukte in Deutschland
temberg/Hessen nach dem 01.01.2020 mit            werden. Weitere Gefahren drohen durch           Prof. Dr. med. Michael Schmidt
                                                                                                  Bereichsleiter Spenderscreening
jährlich ca. 300 bis 400 Rückverfolgungs-         Infektionen mit Chikungunya, Dengue             Bereichsleiter Qualitätsmanagement
verfahren.                                        oder Zika Viren. All diese Risiken lassen       Deutsches Rotes Kreuz
                                                  sich durch ein erweitertes Spenderscreening     Blutspendedienst Institut Frankfurt
                                                                                                  Sandhofstraße 1
Im Hinblick auf die oben postulierte Trias        mit zusätzlichen NAT-Methoden reduzie-
                                                                                                  60528 Frankfurt
für transfusionsmedizinisch relevante Viren,      ren. Höchste Priorität ist die Sicherheit von   m.schmidt@blutspende.de
ist eindeutig nachgewiesen, dass bei HEV-         Blutprodukten heute und in der Zukunft.

                                                                                                                                                           13
Gesundheitspolitik | Mangelnde Impfbereitschaft | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

Mangelnde Impfbereitschaft
Globale Bedrohung unserer Gesundheit
Prof. Dr. Dr. Sabine Wicker, Universitätsklinikum Frankfurt

                                                                                                   Immunisierungen
                                                                                                   gehören zu den
                                                                                                   erfolgreichsten
                                                                                                   Präventionsmaßnahmen
                                                                                                   der Medizin.
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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)          Die aktuellen Masernausbrüche der vergange-         und weitere 1,5 Millionen ließen sich durch
hat vor wenigen Monaten die Vermeidung         nen Monate zeigen deutlich, dass Maßnahmen          eine höhere Impfbereitschaft vermeiden. Als
oder Verzögerung von Impfungen in die Liste    zur Erhöhung der Impfquoten erforderlich            unrühmliches Beispiel verweist die WHO
der zehn wichtigsten globalen Gesundheits-     sind. Wer sich nicht impfen lässt, riskiert nicht   auf den weltweiten Anstieg (ca. 30 %) der
bedrohungen aufgenommen. 1 Damit geht          nur seine eigene, sondern auch die Gesundheit       Maserninfektionen. Die Erkrankung ist zwi-
aus WHO-Sicht von Impfgegnern ein ähn-         seines Umfeldes. Gefährdet sind insbeson-           schenzeitlich auch in jene Länder zurückge-
lich dramatisches Risiko für die weltweite     dere Menschen, die sich aufgrund ihres Alters       kehrt, die kurz davor standen, diese Infek-
Gesundheit aus wie von Antibiotikaresis-       (Neugeborene), einer Grunderkrankung (z. B.         tion zu eliminieren.1
tenzen, Viren wie Ebola, HIV und Dengue,       Immunsuppression) oder Schwangerschaft
dem Klimawandel und der Luftverschmut-         (hier: Lebendimpfstoffe) nicht impfen lassen        Tab. 1 dokumentiert nach Zahlen des Robert
zung. Wie konnte es dazu kommen, gehören       können sowie Menschen, bei denen die Impf-          Koch-Institutes (RKI) die Häufigkeit impf-
Immunisierungen doch seit langer Zeit zu       effektivität aufgrund ihres Alters (Immunsenes-     präventabler Infektionen in Deutschland seit
den erfolgreichsten Präventionsmaßnah-         zenz bei Senioren) oder einer Grunderkran-          der Jahrtausendwende. Die Daten des Cen-
men der Medizin. Warum reagieren Men-          kung (z. B. Immunsuppression) verringert ist.       ters for Disease Control and Prevention aus
schen auf Impfangebote heutzutage oftmals                                                          den USA belegen die beeindruckend hohe
zurückhaltend, gar ablehnend – so ganz         Impfen ist somit eine medizinische und              Effektivität von Impfungen (Tab. 2) – diese
anders als z. B. bei der Verfügbarkeit eines   soziale Entscheidung. Man lässt sich imp-           kann jedoch nur durch konsequente Umset-
neuen Hoffnungsträgers in der Onkologie?       fen, um sich selbst und verantwortungsvoll          zung von Impfempfehlungen überhaupt zum
Die Gründe dafür liegen in den „5 C“. Ein      auch andere zu schützen. Impfen ist sozusa-         Tragen kommen.
Modell zur Gegensteuerung bedient sich         gen gelebte Sozialkompetenz.
der „5 A“. Eines steht fest: Der Kampf gegen                                                       Gemäß Infektionsschutzgesetz hat in
impfpräventable Infektionen lässt sich nur     Impfschutz: Ungenutzte Potenziale                   Deutschland die Ständige Impfkommission
gewinnen, wenn alle an einem Strang ziehen.    Impfungen verhindern laut WHO jedes Jahr            (STIKO) beim RKI die Aufgabe, Empfeh-
Impfen ist gelebte Sozialkompetenz.            weltweit zwei bis drei Millionen Todesfälle         lungen zur Durchführung von Schutzimp-

                                                                                                                                            14
Gesundheitspolitik | Mangelnde Impfbereitschaft | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

                                                                                                                                           Impfen ist eine
                                                                                                                                           medizinische und eine
                                                                              shutterstock/Oksana Shufrych
shutterstock/Africa Studio

                                                                                                                                           soziale Entscheidung.

fungen zu geben und den diesbezüglichen                                           „zu selten, zu spät und mit regionalen                      z. B. durch strukturelle, organisatorische
medizinischen Standard zu definieren. Die                                         Unterschieden“. Im Zeitraum 2007 bis                        oder psychologische Hürden.
STIKO bewertet kontinuierlich Daten zu                                            2017 sind als Folge davon etwa 190 000                   O	Calculation (Bewertung): Bedürfnis,
Impfstoffen und zur Epidemiologie impfprä-                                        Menschen an impfpräventablen Infektio-                      nach ausgiebiger eigener Informations-
ventabler Infektionen. Für die Erarbeitung                                        nen gestorben.3                                             suche, z. B. im Internet kann zu Falsch-
von Impfempfehlungen wertet sie im Sinne                                                                                                      wissen führen. Impfskeptiker haben zwar
der Evidenz-basierten Medizin (EbM) wis-                                          Die „5 C“                                                   oftmals ein insgesamt höheres Bildungs-
senschaftliche Daten aus und bedient sich                                         Es gibt fünf typische Gründe für nicht                      niveau, allerdings meist keine spezifisch
des Ansatzes der GRADE Working Group                                              realisierte Impfungen (Vaccine Hesitancy).                  wissenschaftlich-medizinischen Vor-
(Grading of Recommendations, Assessment,                                          Sie werden in der Wissenschaft als „5 C“                    kenntnisse im Kontext impfpräventabler
Development and Evaluation). Die STIKO-                                           beschrieben:4                                               Infektionen, um die wissenschaftliche
Empfehlungen werden regelmäßig aktuali-                                           O	Confidence (Vertrauen): Oftmals fehlt                    Evidenz der recherchierten Informatio-
siert und sind online verfügbar.2                                                    schlichtweg das Vertrauen in die Sicher-                 nen bewerten zu können.
                                                                                     heit und Effektivität von Impfungen.                  O	Collective responsibility (Verantwortlich-
Es ist eine wichtige ärztliche Aufgabe, für                                       O	Complacency (Gleichgültigkeit): Das                      keit für das Kollektiv): Beschreibt die
einen adäquaten Impfschutz der betreuten                                             Infektions- und Krankheitsrisiko wird                    Motivation, sich auch für andere impfen
Patienten zu sorgen. Arztbesuche sollten                                             nicht (mehr) als Bedrohung wahrge-                       zu lassen, also „Impfen als soziale Ent-
regelmäßig genutzt werden, um den Impf-                                              nommen, weil viele Erkrankungen dank                     scheidung“. Diese Verantwortlichkeit ist
ausweis zu überprüfen und gegebenenfalls                                             vorangegangener Impfungen nur noch                       nicht immer vorhanden, es herrscht ein
fehlende Immunisierungen durchzufüh-                                                 selten auftreten.                                        gewisser Egoismus, wonach man selbst
ren.2 Nach Einschätzung des RKI erfolgen                                          O	Constraints (Hemmnisse): Der niedrig-                    geschützt ist, wenn genügend andere
Schutzimpfungen in Deutschland jedoch                                                schwellige Zugang zur Impfung fehlt,                     geimpft sind.

                             Infektion        2001          2006       2011                                  2012     2013     2014     2015         2016         2017         2018
                             Masern           6198          2368       1640                                   186     1845      510     2604          361         1037         677
                             Mumps             39            73         34                                    43       671      987      876          908          869          703
                             Röteln            86           111          7                                    35       193      207      166          200          195          164
                             Varizellen    Keine Daten      5840       1606                                  1794     10 385   24 118   24 324       25 450       22 274      20 453
                             Diphtherie    Keine Daten   Keine Daten     6                                     9        4        8       15           14           10           27
                             Pertussis        116           4626       4004                                  5364     12 584   16 681   13 976       22 161       26 035      20 208
                             Hepatitis A      2692          1535       1012                                   988      990      859     1144         1070         1645         1 485
                             Hepatitis B      3875          2537       1931                                  1686     1947     2403     3923         3497         3596         4 516
                             Influenza        2655          3915       46 261                                12 032   74 860   8458     89 319       80 939      119 642      348 247
                             FSME             278           557         440                                   204      442      282      226          359          505          607

Tab. 1: Anzahl impfpräventabler Infektionen in Deutschland pro Jahr. Meldepflicht gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) §7, Meldeweg über Gesundheits-
amt und Landesstelle. Robert Koch-Institut, Stand 25.2.2019, https://survstat.rki.de/

                                                                                                                                                                                        15
Gesundheitspolitik | Mangelnde Impfbereitschaft | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 60 • 06/2019

                                                                                                                       Es ist eine wichtige ärztliche
                                                                                                                       Aufgabe, für den adäquaten
                                                                                                                       Impfschutz der betreuten
                                                                                                                       Patienten zu sorgen.
shutterstock/Alexander Raths

Die „5 A“                                                                nen Impfungen von den Krankenkassen              Nutzen von Impfungen sowie die Kennt-
Um Impfquoten nachhaltig steigern zu kön-                                bezahlt werden,6 ist es hinsichtlich finan-      nis etwaiger Risiken des Impfens und
nen, bedarf es unterschiedlicher Maßnah-                                 zieller Kosten in Deutschland unproble-          des Nicht-Impfens.5 Gemäß einer Studie
men und Ansätze. Ein Modell dafür sind die                               matisch, sich impfen zu lassen. Bezüglich        der Bundeszentrale für gesundheitliche
„5 A“, als mögliche Stellschrauben:                                      der nicht-finanziellen Aufwendungen gilt         Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2016
O	Access (Zugang): Um den Aufwand zur                                   es wiederum, für die verschiedenen Ziel-         kennen beispielsweise nur 25 % der
   Impfung möglichst klein zu gestalten,                                 gruppen praxistauglich und flexibel Impf-        befragten Erwachsenen die seit 2010
   böte sich das sog. „fachübergreifende                                 gelegenheiten zu schaffen. Hier bieten           bestehende Masern-Impfempfehlung der
   Impfen“ an. So könnte beispielsweise                                  sich beispielsweise die Arbeitsmedizin an,       STIKO für alle nach 1970 Geborenen,
   der Kinderarzt auch die Eltern oder der                               die oftmals Kollektive betreut, die ansons-      die als Kind nur eine oder keine Masern-
   Gynäkologe die männlichen Partner                                     ten keine regelmäßigen Arztkontakte              impfung erhalten haben bzw. deren
   impfen.5                                                              haben, oder Aktionen der öffentlichen            Impfstatus unklar ist.7
O	Affordability (Erschwinglichkeit): Dabei                              Gesundheitsdienste.                              Die BZgA-Studie unterstreicht auch die
   geht es um die Möglichkeit des Indivi-                             O	Awareness (Bewusstsein, Wahrneh-                 Schlüsselrolle der Ärzteschaft bei der
   duums, sich die Impfung „leisten“ zu kön-                             mung): Damit gemeint ist das Wissen              Aufklärung zu gesundheitsrelevanten
   nen – ökonomisch, aber auch im Hinblick                               des Einzelnen über empfohlene Imp-               Themen. Denn nahezu alle Befrag-
   auf nicht-finanzielle Aspekte, wie z. B.                              fungen und deren Verfügbarkeit, das              ten (97 %) nennen ein persönliches
   Zeit.5 Da die von der STIKO empfohle-                                 Wissen um evidenzbasierte Fakten zum             Gespräch mit dem Arzt als wichtigste
                                                                                                                          Informationsquelle beim Thema Imp-
                                                                                                                          fung. Mit etwas Abstand folgen Infor-
                                                  Geschätzte
                                                                         Aktuell geschätzte
                                                                                                                          mationen von der Krankenkasse (84 %)
                               Infektion     Morbiditätszahlen/Jahr                                   Abnahme
                                              in der Vor-Impfära
                                                                         Morbiditätszahlen                                bzw. dem Gesundheitsamt (75 %).7 Es
                               Masern               530 217                      120                    > 99 %            gilt, die verschiedenen Informations-
                               Mumps                162 344                     6109                     96 %             quellen abgestimmt miteinander zu
                               Röteln                47 745                       7                     > 99 %            vernetzten. Über fachlich kompetente
                               Varizellen           4 085 120                  102 128                   98 %             Aufklärungskampagnen bietet sich
                               Diphtherie            21 053                       0                     100 %
                                                                                                                          darüber hinaus die Gelegenheit, Falsch-
                               Pertussis            200 752                     18 975                  91 %
                                                                                                                          informationen und Vorurteile aus dem
                               Hepatitis A          117 333                     4000                    95 %
                               Hepatitis B                                                                                Weg zu räumen.
                                                     66 232                     20 900                  68 %
                               (akute)                                                                                 O	Acceptance (Befürwortung): In der
Tab. 2: Anzahl impfpräventabler Infektionen in den USA vor und nach Einführung flächen-                                   BZgA-Studie bezeichneten sich 77 %
deckender Impfprogramme. Mod. nach „Vaccines Work“, http://www.immunize.org/catg.d/p4037.pdf                              der Befragten als Impfbefürworter.

                                                                                                                                                               16
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