Die Bedeutung von Corona für uns Frauen - als Hebammen und (werdende) Mütter - Hebammen Zeitung
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THEMA: Covid-19 und Hebammenarbeit Die Bedeutung von Corona für uns Frauen – als Hebammen und (werdende) Mütter Unsere täglichen Routinen sind nicht mehr selbstverständlich. Stefanie Winkler fordert mehr Wertschätzung für die Hebammenarbeit in der Krise ein. as Leben steht Kopf. Prioritäten D müssen gesetzt werden. Welche Tätigkeiten sind wirklich notwen- dig, welche können auf unbestimmte Zeit verschoben werden oder auch telemedi- zinisch durchgeführt werden? Wie gehen wir damit um? Wie können wir trotz der schwierigen Ausgangssituation mit einem guten Gefühl und ohne Qualitätseinbu- ßen die Familien betreuen? Fragen, die wir uns aktuell täglich stellen. Hebammenarbeit im Spannungsfeld Im Zentrum der Hebammenarbeit steht die Schwangere, die Gebärende, die Wöchnerin, das Neugeborene. Für uns Hebammen gibt es den Ethik-Kodex, der vom ICM formuliert wurde und dem sich jede Hebamme durch ihre Berufsaus- übung verschreibt. Dieser Kodex „erkennt die Frau als Person an, strebt nach Gerech- tigkeit für alle Menschen und setzt sich für eine allen zugängliche Gesundheitsversor- Die aktuelle Corona-Krise macht die Si- entlassen, um den Aufenthalt so kurz wie gung ein. Der Kodex beruht auf gegenseiti- tuation nicht besser und stellt uns vor möglich zu gestalten und somit die In- gem Respekt, Vertrauen und der Würde aller noch größere Herausforderungen. Die fektionsgefahr zu verringern. Immer wie- Mitglieder der Gesellschaft“. (1) medizinische Versorgung wurde in der der rufen verzweifelte Paare an, die Ein Grundsatz, der selbst in krisenfreien akuten Phase von Spitälern und Gynäko- kurzfristig auf der Suche nach einer Heb- Zeiten nur schwer einhaltbar ist. Wir Heb- log*innen weitgehend eingestellt und ammenbetreuung sind, weil ihnen auf ammen bewegen uns, was die Versor- konzentriert sich nur noch auf die Akut- Anfrage im Krankenhaus eine ambulante gung der Familien betrifft, seit langem in versorgung. Vorsorgeuntersuchungen, Geburt empfohlen wird, teils sogar eine einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Kas- Lagekontrollen, Mutter-Kind-Pass Unter- Hausgeburt, weil der Partner sonst nicht senstellen sind rar und reichen bei weitem suchungen und andere Kontrollen wur- dabei sein darf. nicht für alle Frauen aus, die Hebammen- den auf unbestimmte Zeit verschoben, Was bleibt ist Verunsicherung. Was hilft ist beistand benötigen. Viele Paare müssen um Frauen nicht zusätzlich zu gefährden. die Hebammenarbeit. aus Kostengründen letztendlich auf un- Wöchnerinnen und Neugeborene wer- Die Sachlage zeigt, dass Hebammen in sere Betreuung verzichten. den vorzeitig aus den Krankenhäusern Krisenzeiten stabil ihre Dienste anbieten 22 Österreichische Hebammenzeitung 02/2020
THEMA: Covid-19 und Hebammenarbeit ken und Schürzen betrifft, und warnt vor den weitreichenden Konsequenzen, falls dies nicht gelingt. Es hätte fatale Folgen für die maternale und fetale Gesundheit, wenn die Hebammenversorgung ausfällt, besonders in Entwicklungsländern. Kolleginnen, die wir verloren haben Wenn wir die Situation weltweit betrach- ten, müssen wir erkennen, dass auch Hebammen bereits am Corona Virus ge- storben sind. Das erste Todesopfer, das der ICM vermeldete, war Seyedeh Azamat Mousav, Hebamme aus dem Norden Irans. (3) (Siehe Screenshot der ICM-Website www.internationalmidwives.org unten.) Sie betreute zuvor mehrere Mütter, wel- che nachweislich an Covid-19 erkrankt waren. Besonders in ärmeren Ländern ist die Versorgung der Hebammen mit Schutzausrüstung nachrangig und wi- können, auch wenn das Gesundheitssys- davon ausgegangen werden, dass Heb- derspiegelt auch den geringeren Wert der tem im Notbetrieb ist. Wir sind für (wer- ammen ausschließlich mit gesunden Paa- Frauen in der Gesellschaft. dende) Eltern leicht zugänglich, Tag und ren arbeiten. Diese Fakten werden in der Doch der Iran ist nicht das einzige Land, Nacht erreichbar, an keine fixen Ordinati- öffentlichen Diskussion meist vernachläs- in dem Hebammen ihr Leben verloren onszeiten gebunden. sigt. haben. Linda Clarke, Lynsay Coventry (4) Vom ICM gibt es klare Empfehlungen be- und Rahima Bibi Sihanee (5) sind eben- Situation der Hebammen züglich der Versorgung von Schutzausrüs- falls Opfer des Virus. Alle drei wurden im in der Corona Krise tung für Hebammen.(2) Das ICM Paper Rahmen ihrer Arbeit in unterschiedlichen Wir Hebammen arbeiten fast ausschließ- zieht ganz klar den Staat in die Verant- Krankenhäusern in England infiziert. Die lich auf basaler Ebene, also direkt mit den wortung, was die Bereitstellung von Mas- 58-jährige Ivana Valoti starb im Kranken- Frauen. Bei vielen unserer Tätigkeiten – Leopold’sche Handgriffe, Stillhilfe u.v.m. – ist es sehr schwierig, einen Sicherheitsab- stand einzuhalten. Bei der Geburt selbst ist es kaum vermeidbar, dass wir mit Kör- perflüssigkeiten wie beispielsweise Spei- chel bei der Wehenatmung in Berührung kommen. Medial wird immer wieder kommuniziert, dass die Pflege geschützt werden muss, weil man es sich nicht leisten kann, dass diese ausfällt. Das betrifft auch uns Heb- ammen. Dennoch gehören wir, vor allem was die Schutzausrüstung angeht, zu den letzten Gliedern in der Kette. Masken und Schutzanzüge wurden zunächst der In- tensivpflege vorbehalten. Immer wieder wird diskutiert, welcher Umstand es ver- langt, eine der raren und wertvollen FFP3 Masken zu verwenden. Ist der Einsatz einer solchen Maske bei einer Wochen- bettvisite oder Geburt gerechtfertigt? Es gilt zu beachten, dass auch Hebam- men Risikogruppen angehören können oder in sozialen Strukturen leben, in denen sie ein vulnerables Familienmit- glied anstecken könnten. Es kann nicht Österreichische Hebammenzeitung 02/2020 23
THEMA: Covid-19 und Hebammenarbeit haus von Alzano Lombardo, in dem sie Frage, ob uns die Wertschätzung, die uns 4. The Guardian (5.4.2020). Coronavirus: Essex midwife auch gearbeitet hat. Sie hatte sich um ihre aktuell in Form von Applaus vom Balkon and Liverpool nurse who died are named. Mutter gekümmert, die zwei Wochen entgegen gebracht wird, genügt – oder https://www.theguardian.com/world/2020/apr/05/co- zuvor an COVID-19 verstorben war. Ivana ob die Zeit gekommen ist, öffentlich über ronavirus-midwife-who-died-in-essex-named-as-lynsay- hat bei der Entbindung der meisten Kin- eine Aufwertung unseres Berufs zu dis- coventry [5.5.2020] der geholfen; ihr vorzeitiger Tod war ein kutieren. 5. Gilroy, R (20.4.20). Tributes for 10 nurses and midwives harter Schlag für die schwer betroffene who have died in pandemic. https://www.nursingti- Gemeinde. (6) Was wir auf alle Fälle aus der Corona-Krise mes.net/news/coronavirus/tributes-for-10-nurses-and- mitnehmen sollten ist, dass es sich lohnt midwives-who-have-died-in-pandemic-20-04-2020/ Welche Problematik für unseren Berufsstand zu kämpfen. Die [30.4.2020] zeigt uns diese Krise? aktuelle Situation zeigt, dass wir Hebam- 6. Calabresi, M (27.03.2020). „Unsere Hausärzte waren die Es gibt unterschiedliche Bedürfnisse, die men so wertvolle Arbeit leisten, die nicht Ersten, die krank wurden“. SZ.de, https://www.sued- gestillt werden wollen. Aus Sicht der ersetzbar, aber krisensicher ist. deutsche.de/politik/corona-italien-nembro-1.4854246- Frauen braucht es, wie wir alle wissen, 2 [5.5.2020] mehr Hebammen und mehr Kassenver- Literatur: träge. Es müssen so viele Ressourcen ge- 1. ICM Council (2003). Ethik Kodex, Vancouver, 2003, schaffen werden, dass jede Frau Heb- Deutsche Übersetzung: SHV Zürich, 1994, Überarb.: ÖHG Stefanie Winkler, MSc______________ ammenbetreuung in Anspruch nehmen 2009 kann, wenn sie es benötigt. Hebammen- 2. ICM (27.03.2020). ICM urgently calls for governments ist Hebamme in Wien im dienstleistung darf zu keinem Luxuspro- to provide personal protective equipment to midwives. klinischen und außer- dukt werden, das nur eine bestimmte https://www.internationalmidwives.org/icm-news/icm- klinischen Bereich und soziale Schicht anspricht. urgently-calls-for-governments-to-provide-ppe-to-mid- Studentin der Bio- und Aus Sicht der Hebammen ist zu sagen, wives.html [5.5.2020] Medizinethik an der Jo- dass unsere Arbeit in der Gesellschaft 3. ICM (17.03.2020). ICM reports first known death of one hannes Kepler Universität häufig und auch jetzt als viel zu selbst- of ist members from COVID-19, 03/2020 Linz. verständlich angesehen wird. Es ist die https://bit.ly/3bSrIrg [5.5.2020] 24 Österreichische Hebammenzeitung 02/2020
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