Die Digitalisierung der Live-Kommunikation - Fast-forward: 3/2020 - 2bdifferent

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Die Digitalisierung der Live-Kommunikation - Fast-forward: 3/2020 - 2bdifferent
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 3/2020

                       Fast-forward:
Die Digitalisierung der
 Live-Kommunikation
      Hygiene & Arbeitsschutz I Digitalisierung = Nachhaltigkeit?
Streaming-Tipps I Digitale Versammlungen I Technikangebote verstehen
Die Digitalisierung der Live-Kommunikation - Fast-forward: 3/2020 - 2bdifferent
Immersive Erlebnisse      ● Nachhaltigkeit vs. Digitalisierung

    Digitale Veranstaltungen im Nachhaltigkeits-Check

           Sind virtuelle Events
              wirklich grün?
                  Die meisten Menschen gehen ungeprüft davon aus,
     dass ein virtuelles Event immer nachhaltiger ist als ein physisches. Doch ist
        dem wirklich so? 33 Millionen Tonnen CO2 jährlich verursachte allein
      Deutschland in 2018 durch den Betrieb des Internets und internetfähiger
               Geräte – und das bereits vor Ausbruch des Coronavirus.
                                                                                                                        Fotos: cueconcept, Jürgen May, Katrin Taepke

                                                     Martina Courth

    I
          st auch die Digitalbranche mit ihren Servern und   Digitalisierung eines Events, eines Seminares oder eines
          Rechenzentren, energieintensiven Herstellung       Kongresses sollte am Ende des Tages mindestens so viel
          von Endgeräten und dem enormen Stromver-           CO2-Emissionen vermeiden, wie sie verursacht, so die
          brauch, zu einem Umweltproblem geworden? Die       Ansicht von Jürgen May, Geschäftsführer von 2bdiffer-

2   Event partner 3/2020
Die Digitalisierung der Live-Kommunikation - Fast-forward: 3/2020 - 2bdifferent
ImmersIve erlebnIsse                          Faktencheck
                              ● naChhaltigKeit vS. DigitaliSierung
                                                  Deutsche Rechenzentren verbrauchten         Der Anteil der IT-bedingten
                                                  14 Mrd kWh Strom (2018),                    Treibhausgasemissionen wird
                                                  gut 6% mehr als im Vorjahr –                bis 2025 auf 8% steigen –
                                                  und 40% mehr als im Jahr 2010.              Datenzentren werden das
                                                                                              15-fache des heutigen Strom-

                                                     1          Suchanfrage bei Google =
                                                                                              bedarfs benötigen.

                                                                etwa 0,2 Gramm CO2.           Mit unserer Google-Jahres-
                                                  3,45          Milliarden Google-            nutzung produzieren wir
                                                                Suchanfragen pro Tag =        so viel CO2, als würden
                                                                690 Tonnen CO2 pro Tag
                                                                                              wir 155 Kilometer mit
                                                  Das Ansehen von YouTube-Videos              einem Fernbus fahren.
                                                  durch alle Nutzer verbraucht jährlich
                                                  ungefähr so viel Strom wie die              20     Google-Suchanfragen
                                                  600.000 Einwohner der gesamten              verbrauchen so viel Energie,
                                                  schottischen Stadt Glasgow.                 dass eine LED-Lampe 2 Stunden
                                                                                              lang brennen könnte.
                                                  1 Stunde Video-Streaming                    Das gesamte Bitcoin-System ver-
                                                  produziert so viel CO2 wie                  ursacht rund 20    Megatonnen
                                                                                              CO2 pro Jahr. Das entspricht dem
                                                  1 Kilometer Autofahren.                     CO2-Fußabdruck von Städten wie

                                                  1
                                                                                              Hamburg, Wien oder Las Vegas.
                                                       Bitcoin-Transaktion =
                                                       rund 819 kWh Strom
                                                                                              1 E-Mail = 1 Gramm CO          2

                                                  Ein Kühlschrank mit 150 Watt                1 Milliarde E-Mails pro
                  Digital Twin des Siemens-       könnte damit etwa 8 Monate                     Tag in Deutschland =
          Messestandes zur Hannover Messe         lang betrieben werden.                         1.000 Tonnen CO2

    ent, Beratungsagentur für nachhaltige Events. Noch bes-      aber die Abgrenzbarkeit einer digitalen Veranstaltung
    ser wäre es natürlich, würde diese Bilanz positiv im Sin-    sehen sie als ungemein schwierig an: Für die Berech-
    ne der Nachhaltigkeit ausfallen.                             nung der Nachhaltigkeit eines virtuellen Events müsse
                                                                 ja nicht nur der Anbieter dessen auf seine Stromrech-
         Offenlegung von Zahlen nicht                            nung gucken, sondern auch der Auftraggeber sowie wie-
                                                                 derum dessen Kunden, die Besucher der Veranstaltung.
           möglich oder gewünscht                                Und hier sind die Energiebilanz der benötigten Geräte
    Doch an valide Zahlen bei der Digitalisierung von Ver-       und Software auf allen Seiten wie auch die Entwicklung
    anstaltungen zu kommen, gestaltet sich schwierig. Die        und der Lebenszyklus noch gar nicht berücksichtigt.
    meisten Anbieter virtueller Events können oder wollen        „Geschweige denn der restliche Teil der Wertschöpfungs-
    hierzu keine Daten liefern oder sich mit Jürgen May aus-     kette eines digitalen Events“, fügt Jürgen May hinzu,
    führlich unterhalten. „Wo fängt man an, wo hört man          „von den sozialen Faktoren (Einhaltung von Arbeits-
    auf?“, fragt auch Katrin Taepke von cueconcept, Digital-     rechten, Sozialstandards und Gesundheitsschutz, Ge-
    agentur für Kommunikation im Raum. Cueconcept ste-           schlechtergleichstellung, geregelte Arbeitsbedingungen,
    hen einem Vergleich der Nachhaltigkeit von virtuellen        Diskriminierung) bis hin zu den Ökonomischen (Ein-
    und physischen Events grundsätzlich positiv gegenüber,       kommen, Vergütungen etc.).“

3   EvEnt partner 3/2020
Die Digitalisierung der Live-Kommunikation - Fast-forward: 3/2020 - 2bdifferent
Immersive Erlebnisse      ● Nachhaltigkeit vs. Digitalisierung

     Siemens spart 20% seit Einführung                         lungs- und Testphase. Genauso wie später auch durch
              des Digital Twin                                 die Übermittlung von Dokumentationsmitteln oder
                                                               ­deren Angebot als Download Ressourcen verbraucht
    Eine Zahl kann Taepke aber dann doch nennen: Für            werden.
    ihren Kunden Siemens bauen cueconcept seit 2016               In allen Stufen geht es dabei nicht nur um den Be-
    ­einen Digital Twin des Standes für u.a. die Hannover       trieb aller technischen Geräte mittels Ökostroms, son-
     Messe oder die SPS in Nürnberg in einer Game En­           dern auch um deren Produktdesign, also die techni-
     gine. Diesen digitalen Zwilling nutzt Siemens vorab        sche Haltbarkeit, Wiederverwertbarkeit und Kreislauf-
     zuallererst für die Feinjustierung des Messestandes        fähigkeit. Die meisten Endgeräte entstehen durch eine
     selbst, dann für Mitarbeiterschulungen im Vorfeld der      ausbeuterische und umweltschädliche Produktion,
     Messe sowie später als Marketingplattform: Innerhalb       und weisen zudem eine viel zu kurze Lebensdauer auf,
     von Webinaren setzen Presenter den Digital Twin für        was zu großen Mengen Elektroschrott führt. Laut dem
     die Demonstration der Siemens-Produkte ein. Zudem          Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenar-
     ist eine abgespeckte Version auf der Website einge-        beit und Entwicklung (BMZ) sind im Jahr 2019 welt-
     bettet und der digitale Zwilling ist auch per VR-Brille    weit schätzungsweise über 50 Millionen Tonnen Elek-
     einsehbar. Eine direkte „Begehung“ des virtuellen          troschrott angefallen. Tendenz steigend. Deutschland
     Messestandes durch den Endkunden sei momentan              trägt dazu jedes Jahr etwa 1,7 Millionen Tonnen bei –
     noch nicht möglich, da die Rechenkapazitäten der           Tendenz ebenfalls steigend.
     meisten Endverbraucher-PCs aktuell zu gering sind.           Die Folgen für Mensch und Umwelt sind fatal. Mehr als
       Siemens sagt, dass sich der Aufwand für die Messe-       die Hälfte dieses riesigen Müllbergs wird kostengünstig
     planung seit der Einführung des Digital Twin um 20%        in Länder des globalen Südens verschifft. Dort werden
     reduziert hat. Natürlich muss man hier, sollte man
     selbst über einen digitalen Zwilling nachdenken, die
     immense Größe des Siemens-Standes auf der Hanno-
     ver Messe in Betracht ziehen, und sich fragen, ab
     wann sich eine virtuelle Umsetzung lohnt. Plus: Ob
     im Sinne der Nachhaltigkeit so tatsächlich Einsparun-
     gen realisierbar sind. Denn auch Siemens hat – vor
     der Coronakrise – den Messestand trotzdem physisch
     und faktisch bauen lassen.

      Verschiedene Event-Phasen, ver-
     schiedene Nachhaltigkeitsaspekte
    Doch welche Faktoren für mehr Nachhaltigkeit müs-
    sen bei virtuellen Events konkret abgewägt werden?
    Ein Event lässt sich hierfür aufteilen: in die Planungs-
    bzw. Pre-Event-Phase, das Main-Event selbst und die
    After-Event-Phase. Bereits beim Entwurf hybrider
    oder virtueller Messen, von Messeständen, Kongres-
    sen, Tagungen oder Webinaren – sprich dem Require-
    ments Engineering oder Anforderungsmanagement –
    sollten Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden.
    Denn Server-, Netzwerk- und Speichersysteme werden
    nicht erst in der Main-Event-Phase eines virtuellen                      Jürgen May, Geschäftsführer
    Events beansprucht, sondern schon in der Entwick-                     der Beratungsagentur 2bdifferent

4   Event partner 3/2020
Die Digitalisierung der Live-Kommunikation - Fast-forward: 3/2020 - 2bdifferent
die wertvollen Rohstoffe unter oft inhumanen Arbeits-
                                      bedingungen und erheblichen Umweltbelastungen
                                      rückgewonnen, die Arbeiter*innen sind dabei enormen
                                      Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Gleichzeitig stammen
                                      die mineralischen Rohstoffe, die in unseren smarten
                                      ­Geräten verbaut sind, zu einem Großteil aus Ländern, in
                                       denen oft nicht nur Arbeitsrechte, sondern auch Um-
                                       weltstandards missachtet werden. Gleiches gilt für den
                                       gesamten Herstellungsprozess.

                                               Digitalisierungsboom vs.
                                                    ­Nachhaltigkeit?
                                      Für Jürgen May stellt sich damit die Frage: Kann die Di-
                                      gitalisierung in der Eventbranche schlussendlich zu ei-
                                      ner nachhaltigeren, grüneren und gerechteren Welt bei-
                                      tragen oder feuert der Digitalisierungsboom den Klima-
                                      wandel weiter an? Ein Thema, über das sich jeder Planer
Katrin Taepke, Business Development   von digitalen Events grundlegende Gedanken machen
           bei cueconcept             sollte. ●                                         [12637]
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