Die Erde in 3D Greifbarmachung der mathematischen Formeln erdbezogener Koordinatensysteme
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Die Erde in 3D Greifbarmachung der mathematischen Formeln erdbezogener Koordinatensysteme PROF. DR. GERHARD JOOS Hochschule München - Fakultät für Geoinformation Autor: Prof. Dr. Gerhard Joos Studentische Hilfskraft: Sven Ruckriegel Version 1.0 Stand: 2021-07-15
Motivation Alle Messungen, Auswertung und Kartendarstellungen geographischer Phänomene beziehen sich auf Koordinaten, mit denen Positionen relativ zur Erde mit höchster Genauigkeit beschrieben werden können. Je nach Anwendung und Anforderung werden unterschiedliche Koordinatensysteme verwendet, die in Bezug auf die Erde unterschiedlich gelagert sein können und durch die Dynamik der Erde auch einer zeitlichen Variabilität unterliegen (Joos, 2020). Viele Anwendungen erfordern, dass die im Raum gekrümmte Erdoberfläche in einer ebenen Karte (oder einem flachen Bildschirm) abgebildet wird. Die 3-dimensionalen Zusammenhänge sind in der Lehre oft schwierig zu vermitteln. Während man sich im Präsenzunterricht noch mit Globen helfen kann, ist die Anschaulichkeit bei einer online-Lehre umso schwieriger. Die mathematischen Zusammenhänge werden analytisch abgeleitet, aber wie sich die einzelnen Parameter auf das Ergebnis auswirken, ist auch für Experten nicht immer anschaulich. Im Rahmen einer Innovationsidee wurde nach Möglichkeiten geschaut, wie Studierende die Eingangsgrößen in einer online-Anwendung interaktiv verändern können, um dann die Auswirkungen auf das Ergebnis anschaulich zu verfolgen. Gleichzeitig können sie die Formeln verändern und direkt jede Auswirkung einer Änderung sehen. Mit GeoGebra wurde ein System gefunden, das diese Anforderung in idealer Weise und ohne Lizenzkosten unterstützt (GeoGebra, 2021). Einziges Problem, wie sich erst mit zunehmender Komplexität der Anforderungen herausgestellt hat, ist, dass bei größeren Datenmengen und bei komplexen Formeln die Performanz leidet. Festlegung eines raumfesten Koordinatensystems über astronomische Größen Die Zusammenhänge zwischen der Ebene der revolutionären Erdbahn um die Sonne und der Rotationsachse der Erde und der senkrecht dazu liegenden Äquatorebene kann in Zeitraffer über die funktionalen Zusammenhänge in dieser online-Anwendung erkundet werden. Die Zeit als Eingangsgröße wird dabei animiert. Durch Änderung der DaysPerYear, kann die Animation schneller oder langsamer ablaufen. URL: https://www.geogebra.org/classic/jebgcnur Die Schnittgerade zwischen Ekliptikebene und Äquatorebene zeigt immer zum Sternbild Widder ϒ und wird auch Widderpunkt oder, weil die Erde diese Achse von der Sonne aus gesehen genau zur Tag- und Nachtgleiche durchläuft, auch Äquinoktium oder Frühlingspunkt genannt. Der Mond ist zur Veranschaulichung der Mondbahn eingetragen und ist für geodätische Anwendungen primär durch seine Gezeitenkräfte von Bedeutung. Abbildung 1: System Sonne, Erde und Mond, wie es zur Festlegung von raumfesten Achsen eines inertialen Rahmens verwendet wird. G. Joos (FK08) Hochschule München - Projekt Lehrinnovation 2020/2021 1
Ähnlichkeitstransformationen (2D,3D, Rotation, Translation, Maßstab) Eine der Grundlagen zur Überführung von verschiedenen kartesischen Koordinatensystemen ist das Verständnis von Ähnlichkeitstransformationen sowohl in 2 Dimensionen als auch in 3D. Hierbei werden Rotation, Translation und Skalierung definiert durch einen Maßstab miteinander verknüpft. URL: https://www.geogebra.org/classic/a8ytejwq Abbildung 2: Verkettete 3D Ähnlichkeitstransformationen Ähnlichkeitstransformationen auf erdfeste kartesische Koordinaten Die Transformationen werden in der Geodäsie sowohl in lokalen Koordinatensystem wie auch regionalen und globalen Koordinatensystemen benötigt. Zur Veranschaulichung einer Datumstransformation, bei der von einem Ellipsoid als Approximationskörper für die Äquipotentialfläche der Erde auf ein anderes Ellipsoid mit anderer Lagerung umgerechnet wird, werden diese Transformationen auf die Erde angewandt. Zur besseren Orientierung wurden Küstenlinien in grober Auflösung eingefügt. URL: https://www.geogebra.org/classic/qa6b7ftj Abbildung 3: Verwendung der Ähnlichkeitstransformation zur Datumstransformation G. Joos (FK08) Hochschule München - Projekt Lehrinnovation 2020/2021 2
Satellitenbahnen im raumfesten 3D-Koordinatensystem Die Bahnen von Erdsatelliten werden über Keplerelemente beschrieben. Diese und ihre 1. zeitliche Ableitung werden in den Ephemeridendaten der GNSS Satelliten permanent upgedatet und den Anwendern zur Verfügung gestellt. In dem Modell werden die Elemente zur Darstellung der Umlaufbahnen von der ISS (International Space Station), dem Erdbeobachtungssatelliten SUOMI NPP auf einer sonnensynchronen Bahn und dem geostationären Wettersatelliten Meteosat exemplarisch modelliert. Die Ephemeridendaten wurden aus einer Two-Line Kodierung entnommen. Aktuelle Werte werden unter https://www.celestrak.com/NORAD/elements/ zum Download angeboten. Die verwendeten Daten beziehen sich auf das Entstehungsdatum 2021 Mar 12 14:06:05 UTC (Day 071). URL: https://www.geogebra.org/classic/fvtjydkk Abbildung 4: Satellitenbahnen berechnet aus Ephemeriden für die ISS, SUOMI NPP und Meteosat Abbildung 5: Die Bahnen aller 26 Galileo Satelliten G. Joos (FK08) Hochschule München - Projekt Lehrinnovation 2020/2021 3
Tangentialebene an ein Rotationsellipsoid Die Parametrisierung eines Rotationsellipsoids erfolgt über geographische (auch geodätische oder ellipsoidische) Koordinaten: Länge L, Breite B und ellipsoidische Höhe h. Wie damit die Tangentialvektoren an die Ellipsoidoberfläche durch einen Grenzübergang aus je 2 benachbarten Punkten (Sekanten) erzeugt werden können, zeigt das nächste Modell. Ein dritter Vektor steht senkrecht auf den Tangentialvektoren und bildet die Richtung der Höhe. Die beiden Tangentenvektoren spannen eine Tangentialebene auf. Die Tangentenvektoren werden zur Bestimmung von Bogenelementen auf der gekrümmten Oberfläche verwendet und bilden die Grundlage zur Berechnung der Fundamentalformen der Differentialgeometrie. URL: https://www.geogebra.org/classic/spnzrekj Abbildung 6: Je 2 Punkte auf einem Meridianbogen und einem Parallelkreis nähern sich an und bilden im Grenzfall die Tangentenvektoren an das Rotationsellipsoid Bestimmung der Bogenlänge eines Meridianbogenstücks Zur Abbildung der Ellipsoidoberfläche in die Ebene bildet der Abstand vom Äquator gemessen auf dem Ellipsoid entlang des kürzesten Wegs eine wichtige Rolle. Die Länge ergibt sich aus einem elliptischen Integral, welches nur numerisch oder über eine Reihenentwicklung ausgewertet werden kann. Die Lösung der Reihenentwicklung ist im nächsten Modell in GeoGebra umgesetzt. Die Ellipsoidparameter können interaktiv vom Anwender eingegeben werden. URL: https://www.geogebra.org/classic/spnzrekj G. Joos (FK08) Hochschule München - Projekt Lehrinnovation 2020/2021 4
Abbildung 7: Der Meridianbogen verläuft senkrecht zum Äquator auf der Ellipsoidoberfläche Konforme Abbildung in die Ebene Eine Oberfläche mit Gaußscher Krümmung ungleich null lässt sich nicht verzerrungsfrei in die Ebene abbilden. Es ist aber möglich bestimmte Größen wie Schnittwinkel von Kurven auf der Oberfläche oder Flächeninhalte oder Längen von ausgewählten Kurven verzerrungsfrei zu erhalten. Die winkeltreue Abbildung wird auch konforme Abbildung genannt. Die berühmteste konforme Abbildung ist die Mercatorabbildung, welche als Abbildung auf einen Zylinder interpretierbar ist. Während sich Gerhard Mercator nur mit der Abbildung der Kugel beschäftigt hat, hat C. F. Gauß diese auf beliebige Flächen verallgemeinert, man spricht von Gaußschen konformen Koordinaten. Fällt die Zylinderachse mit der Rotationsachse der Erde zusammen, spricht man von einer normalen Lage. Die Abbildung von Meridianen und Parallelkreisen mit immer gleichen Abständen ∆L und ∆B führt zu dem Modell mit folgender URL. URL: https://www.geogebra.org/classic/kc69rgac Abbildung 8: Konforme Abbildung des Ellipsoids in normaler Lage G. Joos (FK08) Hochschule München - Projekt Lehrinnovation 2020/2021 5
Eine zweite Möglichkeit der konformen Abbildung in die Ebene ist durch Verkippung der Zylinderachse um 90° gegeben, der sogenannten transversalen Lage. Dann nennt man diese Koordinaten konforme Gaußsche Koordinaten in transversaler Lage, welche für amtliche Landeskoordinatensysteme, sogenannte Gebrauchskoordinaten wie GK oder UTM, verwendet werden. Das Modell für konforme Gaußsche Koordinaten in transversaler Lage ist unter der folgenden URL zu finden. Die Lösung beruht auch auf Reihenentwicklungen und ist deshalb rechenintensiv. Aus diesem Grund ist die Performanz eher langsam. Man kann erkennen, dass die Längenverzerrungen mit zunehmendem Abstand von dem Zentralmeridian stark zunehmen. URL: https://www.geogebra.org/classic/qjwwaxdh Abbildung 9: Konforme Gaußsche Koordinaten in transversaler Lage Konforme Gaußsche Koordinaten angewandt auf schmale Streifen (Zonen) Aufgrund der starken Zunahme der Längenverzerrung je weiter ein Punkt vom Zentralmeridian entfernt liegt, führt dazu, dass die konformen Gaußschen Koordinaten in transversaler Lage nur in schmalen Streifen benutzt werden. Die Aufteilung des Erdellipsoids in Streifensysteme wird verwendet, um ebene konforme Koordinaten mit möglichst kleinen Verzerrungen zu generieren. Dieser Ansatz kommt bei dem seit 2019 in Bayern eingeführten amtlichen Koordinatensystem UTM (Universal Transverse Mercator) zum Tragen. URL: https://www.geogebra.org/classic/ngdhyzpk G. Joos (FK08) Hochschule München - Projekt Lehrinnovation 2020/2021 6
Abbildung 10: Aufteilung der Ellipsoidoberfläche in schmale Keile Abbildung auf einen Kegel Kegel gehören neben den Zylindern zu den abwickelbaren Flächen, d.h. sie können verzerrungsfrei in die Ebene abgebildet (abgerollt) werden. Die Abbildung vom Ellipsoid auf den Kegel als Zwischenfläche ist trotzdem noch mit Verzerrungen verbunden. Das folgende Modell verdeutlicht die Abbildungsvorschrift. In diesem Fall werden die Meridiane längentreu auf den Kegel und damit auch in die Ebene abgebildet. Neben dem Berührkreis und den Meridianen stimmen trotzdem alle Entfernungen entnommen aus der Ebene nicht mit den tatsächlichen Entfernungen auf der Ellipsoidoberfläche überein. URL: https://www.geogebra.org/classic/khq2kxe5 Abbildung 11: Ein Kegel schmiegt sich dem Ellipsoid am besten auf mittleren Breiten an und wird oft für flächentreue Abbildungen verwendet G. Joos (FK08) Hochschule München - Projekt Lehrinnovation 2020/2021 7
Fazit Die online-Anwendungen wurden für das Modul geodätische Bezugssysteme entwickelt und eingesetzt. Aufgrund der Verzögerung mit der Einstellung der studentischen Hilfskraft konnten einige Teile erst nach der Vorlesungszeit entwickelt werden und kommen dann ab dem WiSe 2021/2022 zum Einsatz. Der Plan ist diese auch noch auszubauen. Einige der Anwendungen wurden aber vorlesungsbegleitend entwickelt und konnten in der Pandemie hervorragend als digitales Anschauungsmaterial eingesetzt werden. Die Studierenden waren begeistert. Dieses Modul wurde ausnahmsweise über eine mündliche Befragung abgeprüft. Im Prüfungsgespräch haben einige Studierende direkt auf diese Modelle in Ihrer Argumentation Bezug genommen. Die Anwendungen wurden auch den Kollegen Prof. Dr. Tiede, Prof. Dr. Klauer, Prof. Dr. A. Schmitt und Prof. Dr. Czaja zur Verfügung gestellt und in deren Lehrmodule einbezogen. Damit kommen die Anwendungen in allen 3 Bachelorstudiengängen zum Einsatz. Auch von den Kollegen gab es positives Feedback, schwierig ist allerdings die schwache Performanz bei komplexen Modellen. Die Modelle stehen online zur Verfügung und können dort modifiziert werden und von Studierenden zum Experimentieren an Geobezugssystemen genutzt werden. Der große Vorteil ist die Transparenz zwischen mathematischen Beziehungen und deren geometrischen Auswirkungen. Außerdem ist damit möglich, dass Studierende den Bezugsrahmen von Geoinformationssystemen anfassen - wenn auch „nur“ digital. Das Projekt hat allen Beteiligten großen Spaß gemacht und ich bedanke mich für die Möglichkeit der Realisierung. Literatur Joos, G. (2020) Geodätische Informationssysteme, Skript zum gleichnamigen Modul im Studiengang Angewandte Geodäsie und Geoinformatik an der Fakultät Geoinformation, Hochschule München GeoGebra Group (2021) Nutzungsbedingungen – GeoGebra (Website Terms of Service and Use); https://www.geogebra.org/tos (letzter Besuch 2021-07-15) G. Joos (FK08) Hochschule München - Projekt Lehrinnovation 2020/2021 8
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