Die Glücksritter von Palermo - Dr. Mark Benecke

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Die Glücksritter von Palermo - Dr. Mark Benecke
Die Glücksritter
von Palermo
Interview mit dem berühmten Kriminalbiologen Mark Benecke,
der mit seiner Mitarbeiterin Insekten auf den Mumien der Kapuzinergruft
in Palermo untersucht hat.

                                                                                                           rüber, wie die Mönche sie früher gela-
                                                                                                           gert haben, was sie über Mumifizierung
                                                                                                           wussten.

                                                                                                           bestattungskultur: Welche Über­
                                                                                                           raschungen gab es?
                                                                                                           Mark Benecke: Wir fanden sehr wenig
                                                                                                           Schmeißfliegen. Die sind normalerweise
                                                                                                           immer früh auf Leichen. Wahrscheinlich
                                                                                                           haben die Mönche die Toten schnell aus-
                                                                                                           trocknen lassen. In diesem Fall legen die
                                                                                                           Schmeißfliegen auch Eier ab, aber die
                                                                                    Foto: © Mark Benecke

                                                                                                           vertrocknen dann mit. Danach haben
                                                                                                           die Mönche vermutlich nicht mehr so
                                                                                                           gut aufgepasst. So sind teilweise die Un-
                                                                                                           terkiefer der Verstorbenen herausgefal-
Auf Spurensuche bei den Mumien von Palermo:                                                                len. Vielleicht haben sie diese zu früh
der Kriminalbiologe Mark Benecke                                                                           aufgestellt, sodass das Gewebe noch
                                                                                                           mal erweichen und sich faulend langzie-

S
                                                                                                           hen konnte. Dafür spricht auch, dass wir
     ie ist eine „skurrile“ Touristenat-    Vor einiger Zeit begab sich der Kriminal­                      Reste vom Rotbeinigen Schinkenkäfer
     traktion: die Kapuzinergruft in        biologe Mark Benecke mit seiner Mitar­                         fanden, die nur an gerade noch feuchte
der sizilianischen Hauptstadt. Mehr         beiterin Kristina Baumjohann dort auf                          Leichen gehen. Man kann Tote in die-
als 2000 Mumien warten dort auf den         Spurensuche. Nun haben die beiden                              sem Zustand manchmal auch noch er-
Jüngsten Tag. Viele stehen in Nischen       forensischen Insektenkundler ihre Er-                          halten – das sieht dann mit Bekleidung
gekleidet wie zu Lebzeiten, in Anzügen,     gebnisse in einer wissenschaftlichen                           vielleicht sogar lebensecht aus – doch
Rüschenkleidern oder Uniformen. Der         Studie veröffentlicht. Wir sprachen mit                        dafür braucht man keimhemmende Sub-
Älteste ist Silvestro da Gubbio, der 1599   Mark Benecke in seinem Labor.                                  stanzen. Und die kannten die Mönche
verschied und den Auftakt machte. Da-                                                                      zumindest in den ersten Jahrhunderten
mals entdeckten die Mönche nach dem         bestattungskultur: Was können                                  noch nicht.
Bau einer neuen Gruft, dass einige ih-      Käfer & Co. auf uralten Mumien noch
rer verstorbenen Brüder kaum verwest        erzählen?                                                      bestattungskultur: In welchem
waren – und stellten sie als Memento        Mark Benecke: Durch ihre Reste finden                          Zustand sind die Mumien?
Mori an den Wänden auf. Später wurde        wir heraus, wann welche Besiedelung                            Mark Benecke: Überwiegend schlecht.
diese Art der Bestattung auch bei den       stattgefunden hat. Denn auch wenn                              Die meisten sind streng genommen gar
höheren Kreisen en vogue, bis sie 1837      eine Leiche komplett vertrocknet oder                          keine Mumien, sondern skelettiert. Vieles
verboten wurde. Die kleine Rosalia, die     zerfallen ist, verraten die Überbleibsel                       ist nur verdeckt, etwa durch Handschuhe
vor 100 Jahren an der Spanischen Grip-      von Insekten, die zum Beispiel noch in                         und Hüte. Teilweise wurden sie unter der
pe verstarb, wurde hier trotzdem noch       den Augenhöhlen liegen, welche Fäul-                           Kleidung mit Strohsäcken ausgestopft.
zur ewigen Ruhe gebettet – und sieht bis    nisstadien der Leichnam durchlief. Und                         Andere sind wiederum ganz gut in Schuss,
heute aus, als würde sie nur schlafen.      das wiederum erzählt uns etwas da­                             wie einige Jungfrauen.

42   bestattungskultur 10. 2020
Die Glücksritter von Palermo - Dr. Mark Benecke
INTERVIEW BESTATTUNGSBRANCHE

                                                                                          Foto: © Mark Benecke
Mode von anno dazumal: Durch die echte, alte
Kleidung wirken die Skelette lebensechter.

                                                                                          Foto: © Mark Benecke

Im Colatoio wurden die Leichen vorbereitet.
Bis heute sieht der Raum aus wie auf alten Fotos

                                                            bestattungskultur 10. 2020   43
Die Glücksritter von Palermo - Dr. Mark Benecke
BESTATTUNGSBRANCHE INTERVIEW

                   bestattungskultur: Warum sind sie          einbalsamierte, war natürlich schon viel      bestattungskultur: Warum haben
                   so unterschiedlich erhalten?               weiter. Ich glaube, dass die Mönche ein-      die Sizilianer ihre Toten überhaupt so
                   Mark Benecke: Da waren einfach vie-        fach nur Glücksritter waren. Zudem ist        zur Schau gestellt?
                   le Leute zu verschiedenen Zeiten am        im Keller immer genügend Luft durch-          Mark Benecke: Dass die Körper nicht
                   Werk. Ich denke, irgendwie haben die       gezogen. Dort stehen die Fenster ja im-       verwest sind, galt als Zeichen für göttli-
                   Mönche gemerkt, wenn du die Leiche         mer noch offen, wie in jeder normalen         che Zuwendung, erzeugte Ehre und eine
                   da und da hinlegst, dann erhält sie sich   Wohnung.                                      hohe soziale Stellung. Wie bei den Heili-
                   halt manchmal. Trotzdem können man-           Vielleicht ist hinterher einiges schief-   gen, die angeblich auch nicht zerfallen.
                   che ihr Handwerk beherrscht haben,         gegangen. Es hat auch mal gebrannt,           In Palermo ruhen in erster Linie Priester,
                   ohne zu wissen warum. Das war im al-       sie mussten löschen und danach die            Mönche, Rechtsanwälte und Jungfrau-
                   ten Ägypten auch schon so. Der Mecha-      Leichen umkleiden, wobei vieles ka-           en reicher Familien. Bei Rosalia kommt
                   nismus ist immer nur Vertrocknung. Der     puttgegangen sein kann. Es sind auch          hinzu: Wenn ein kleines unschuldiges
                   ganze Rest ist nicht so geheimnisvoll,     Haken durchgerostet, weil die Wände           Kind stirbt, das auch noch nach dem Na-
                   wie man meint. So sollen die Mönche        feucht wurden und dann sind die Mu-           men der Stadtpatronin getauft ist, war
                   die Leichen mit Essig abgewaschen ha-      mien runtergefallen. Außerdem gab es          das für die Katholiken ein ganz schlech-
                   ben. Das mache ich heute noch mit mei-     nach dem Krieg Souvenirjäger. So ha-          tes Zeichen. Und so konnte das wieder
                   nen Regalen. Ein Spezialist wie Alfredo    ben Soldaten fast alle Glasaugen mit-         ein bisschen wettgemacht werden. Die
                   Salafia, der Rosalia erst vor 100 Jahren   genommen.                                     Mönche wiederum könnten auch gesagt
                                                                                                            haben, das ist für unser Kloster gut, das
                                                                                                            ist für den Zusammenhalt in der Stadt
                                                                                                            gut, alle profitieren davon, niemandem
                                                                                                            schadet es. Eine Tipptopp-Sache, die
                                                                                                            bieten wir jetzt einfach an, gegen eine
                                                                                                            Spende natürlich. Und wenn‘s mit der
                                                                                                            Erhaltung nicht so gut klappt, sorgen wir
                                                                                                            durch Kleidung und alles Mögliche da-
                                                                                                            für, dass wir das hinkriegen. Die Leute
                                                                                                            sehen sowieso immer nur das, was sie
                                                                                                            sehen wollen.

                                                                                                            bestattungskultur: Erzähl doch
                                                                                                            mal von besonders spannenden
                                                                                                            Momenten…
                                                                                                            Mark Benecke: Einer war die Entde-
                                                                                                            ckung des „Colatoio“, eine Kammer, in
                                                                                                            der die frischen Leichen früher wohl auf
                                                                                                            Röhren „abtropfen“ sollten. Ein Kollege
                                                                                                            von uns, der vor Ort alles organisierte,
                                                                                                            hat mit den Jungs vom Ticketverkauf
                                                                                                            geschwatzt und plötzlich war dieser
                                                                                                            sonst abgesperrte Raum offen. Da fiel
                                                                                                            wie bei Indiana Jones ein Sonnenstrahl
                                                                                                            rein, auch die Wände leuchteten grün-
                                                                                                            lich. Auf alten Fotos haben wir gese-
                                                                                                            hen, dass sich alles noch genauso an

                                                                                                            Solche Käfer beziehungsweise deren
Foto: © Mark Benecke

                                                                                                            Überreste fand der britische Chirurg
                                                                                                            Thomas Pettigrew im 19. Jahrhundert
                                                                                                            in Mumien. Das Foto stammt aus
                                                                                                            seinem Buch „A History of Egyptian
                                                                                                            mummies“ (1834).

                  44    bestattungskultur 10. 2020
Die Glücksritter von Palermo - Dr. Mark Benecke
Die Jungfrauen haben
               Krönchen auf. Diese Sitte
               gab es früher in mehreren
                          Teilen Europas.

 Ort und Stelle befand, inklusive zweier
„liegen gebliebener“ Mumien. Vielleicht
 hat man den Laden schlichtweg dicht-
 gemacht, weil das Wissen ausgestorben
 war. Die Überlebenszeit von Wissen be-
 trägt oft nur 25 Jahre und wir reden hier
 über mehrere Jahrhunderte. Da muss
 nur mal einer krank geworden sein und
 schon sind die Kenntnisse verloren ge-
                                             Foto: © Mark Benecke

 gangen.
    Es war auch spannend, dass wir
 wahrscheinlich als erste Särge öffnen
 durften. Darin fanden wir die vertrock-
 neten Reste von Pseudoskorpionen. In
 der Gruft können sich also verschiedene
 Zonen gebildet haben. So wie in einem                              angebunden. Es nutzt nichts im Alters-       zulegen. Der Mann vom Eintritt sagte,
 wilden Garten mit unterschiedlichen                                heim nur einen perfekten Bingo-Abend         dass ich der erste Mensch bin, der das
 Pflanzen und Lebewesen. Dabei sind die                             zu machen. Menschen brauchen auch            je getan hat. Für die Touristen scheint
 Pseudoskorpione eher ein Zeichen für                               eine Aufgabe.                                das eher eine Art Geisterbahn zu sein.
 Stillstand, wie eine alte Bibliothek, die                                                                       Wir haben sogar gehört, wie die Eltern
 sich sehr langsam zersetzt – gerechnet                       bestattungskultur: Wie lange wird es               zu den Kindern sagen, das sind nur Pup-
 auf 50, nicht auf 300 Jahre – und damit                      diesen Ort wohl so noch geben?                     pen... Ich finde aber: Man darf nie den
 an einem guten Punkt angekommen ist.                         Mark Benecke: Meiner Meinung nach                  Respekt verlieren.
 Somit haben die Mönche es im Rahmen                          ist das ohne Restaurierung komplett                           Das Interview führte Gerti Keller.
 ihrer Möglichkeiten eigentlich ganz gut                      dem Untergang geweiht. Man sollte nur
 gemacht.                                                     den Teil öffnen, der schon mit EU-Gel-             Buchtipp
                                                                                                                 Mark Benecke:
                                                              dern mit Glasböden und Geländern aus-
                                                                                                                 Mumien in Palermo: Als Kriminalbiologe
bestattungskultur: Welche Erkennt-                            gestattet wurde. Der sieht super aus, ist          an den dunkelsten Orten der Welt,
nisse gab es noch?                                            zeitlos und könnte die nächsten 500                Lübbe, 3. Aufl. (2019)
Mark Benecke: Nebenbei schauten wir                           Jahre so bleiben. Und den Rest nur für             ISBN-10: 9783785725726,
uns auch die Zähne an und entdeckten,                         Forschungszwecke öffnen und basta.                 19,90 Euro
dass die Mönche die gesündesten von
allen waren. Die haben die Regeln für                               bestattungskultur: Fandest Du
ein glückliches langes Leben befolgt, die                           diesen Ort traurig?
auch uns seit mindestens 150 Jahren                                 Mark Benecke: Das ist jenseits von
bekannt sind: pflanzliche Ernährung, so                             traurig. Es ist ein Friedhof und ich finde
wenig tierische Produkte wie möglich                                Friedhöfe auch nicht traurig. Ich denke,
und kaum Zucker. Deswegen hatten sie                                die Toten hatten früher viel Besuch und
keine Karies. Sie besaßen auch einen                                wahrscheinlich ging es recht fröhlich
Garten und sogar ein Krankenhaus. Die                               und entspannt zu. Auch weil die Fami-
Kapuziner sind ja der Orden, der sich                               lien in Italien groß und munter waren.
wirklich um Menschen in Not kümmert,                                Da kann ein Namenstag schon gereicht
auch um Lepra- oder heute um Aids-                                  haben, um den Laden voll zu machen.
und Drogen-Kranke. Heißt: Sie hatten                                Das ist aber nur meine Meinung. Aller-
nicht nur einen hochgradig geregelten                               dings habe ich Blumen gekauft, um sie
Arbeitsablauf, sondern waren sozial                                 vor den zerfallenden Kleinkindern ab-

                                                                                                                         bestattungskultur 10. 2020       45
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