DIE LINKE IN EUROPA Sozialistische Parteien in der EU Von Dominic Heilig - Rosa Luxemburg Stiftung
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DIE LINKE IN EUROPA Sozialistische Parteien in der EU ROSA LUXEMBURG STIFTUNG NEW YORK OFFICE Von Dominic Heilig
Inhaltsverzeichnis Der Aufstieg der europäischen Linken 1 Die Linke in Europa Sozialistische Parteien in der EU 2 Von Dominic Heilig 1. Die Linke in Europa: Geschichte und Diversität 2 2. Syriza und der europäische linke Frühling 10 3. Der schwarze Herbst der Linken in Europa: Die Linke in Spanien 17 4. DIE LINKE: Stabilitätsfaktor in der Europäischen Linken 27 5. Strategische Aufgaben für die Linke in Europa 34 Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, April 2016 Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016 E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040 Gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amts Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für politische Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen, Alternativen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen. Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befassen und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Politik zusammenzuarbeiten. www.rosalux-nyc.org
Der Aufstieg der europäischen Linken Das europäische Parteiensystem befindet sich im Umbruch. In der Folge des neoliberalen Angriffs löst sich mit der Mittelschicht auch die jahrzehntelang stabile Bindung großer Wählergruppen an die Parteien der Mitte zunehmend auf. Von dieser Entwicklung profitieren nicht zuletzt die europäischen Rechtsparteien; in vielen Ländern haben rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien einen für die Nachkriegszeit beispiellosen Aufschwung erlebt, wie Thilo Janssens RLS-Studie über „Rechtsaußen- parteien in der Europäischen Union“ gezeigt hat. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hat der Wahlsieg der griechischen „Koalition der radikalen Linken“, besser bekannt als SYRIZA, im Januar 2015 die europäische Linke aus ihrem oppo- sitionellen Schlaf gerüttelt. Man rieb sich die Augen und stellte fest, dass die Linke bei Wahlen nicht länger nur „respektable“ Plätze erobern, sondern selbst als führende Kraft in die Regierung gewählt werden konnte. Die europäische und internationale Linke war begeistert. Der Wahlsieg alarmierte allerdings zugleich ihre Gegner, die, unter Führung der deutschen Bundesre- gierung, der griechischen Linksregierung das Leben schwer und mitunter zur Hölle machten. Die Aus- einandersetzung zwischen SYRIZA und der Troika (aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds) über die griechische Regierungspolitik beherrschte im Frühjahr und Sommer 2015 die Schlagzeilen. Im Zuge dieses Konflikts gelang es Merkel, Schäuble & Co, die Eckpfeiler ihres neoliberalen Austeritätsregimes gegen den Angriff aus Griechenland zu verteidigen und SYRIZA in Kernfragen zum Einlenken zu zwingen. Zugleich zeigte die Wiederwahl der Tsipras- Regierung im September 2015 aber auch, dass sie es nicht vermochten, die linken „Störenfriede“ aus dem Amt zu drängen. Seitdem hat die Linke in Spanien und Portugal im Herbst/Winter 2015 Wahlerfolge erzielt. In Spanien verlor die konservative Volkspartei durch den Aufstieg von Podemos ihre Mehrheit; in Portugal konnte der konservative Ministerpräsident gar von einer Mitte-links-Regierung abgelöst werden. In Großbri- tannien wählte die sozialdemokratische Labour Party mit Jeremy Corbyn den wohl am weitesten links stehenden Vorsitzenden ihrer Geschichte, während in anderen europäischen Ländern, darunter auch in Deutschland, eine reorganisierte Linke sich zu stabilisieren vermochte. Höchste Zeit also, die europäische Linke genauer in den Blick zu nehmen. Welche Parteien sind von besonderer Relevanz, und wofür stehen sie politisch? Wo überwiegen die programmatischen Paral- lelen und wo die Unterschiede zwischen den nationalen Formationen? Wie ist die Linke auf europäi- scher Ebene organisiert, und wohin geht die Reise? In dieser Studie untersucht der Journalist Dominic Heilig die gegenwärtige Lage. Ausgehend von einem Überblick und einer Kategorisierung der verschiedenen europäischen Linksparteien verdichtet Heilig die Analyse am Beispiel von drei Parteien: SYRIZA, Podemos und DIE LINKE. In seiner spannenden Darstellung der jüngeren Entwicklung vermag er zu zeigen, was durch den Aufstieg der Linken bereits gewonnen, aber auch, was noch nicht erreicht worden ist. Fest steht, dass die Linke noch viel zu tun hat, will sie mit ihrer Politik Einfluss auf die Zukunft des europäischen Kontinents nehmen. Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg Leiter des Büros New York, April 2016 1
Die Linke in Europa Sozialistische Parteien in der EU Von Dominic Heilig 1. Die Linke in Europa: Geschichte und Diversität Das Spektrum der Linken in Europa reicht von Beitrag nur Linksparteien betrachtet werden, sozialdemokratischen über linkslibertäre und die entweder über eine parlamentarische Ver- grün-alternative bis hin zu traditionellen kom- tretung im Europäischen Parlament verfügen munistischen Parteien. Nimmt man ihre Selbst- oder die – bei aller Kritik oder gar Ablehnung verortung als Linksparteien als Ausgangspunkt, der EU – die europäische Arena als politischen können allein für die Europäische Union (EU) Handlungsrahmen angenommen und sich der und ihre 28 Mitgliedstaaten bereits über 60 EL angeschlossen haben.2 Parteien dieses Spektrums identifiziert wer- den.1 Diese Selbstdefinitionen beruhen jedoch Diese Schwerpunktsetzung ist geboten, um auf unterschiedlichen historischen, strategi- Linksparteien in Europa überhaupt vergleichen schen und programmatischen Grundlagen. zu können. Allein in der EU sind wir in jedem Hinzu kommt, dass viele Parteien dieses Spek- der 28 Mitgliedstaaten mit 28 teilweise sehr trums zugleich einem ständigen Wandel durch spezifischen nationalen Rahmenbedingungen Abspaltungen, Neugründungen oder Samm- konfrontiert, das heißt mit unterschiedlichen lungsprozesse unterworfen sind. Wahlsystemen, Rechtsstellungen der Par- teien und historischen Voraussetzungen. Ein Bevor einige ausgewählte Beispiele – nämlich Beispiel: Während in Deutschland eine Partei Syriza (Griechenland), Vereinigte Linke und mindestens fünf Prozent der Stimmen bei nati- Podemos (Spanien) sowie DIE LINKE (Bundes- onalen Wahlen benötigt, um Sitze in Parlamen- republik) – im Rahmen dieser Studie näher ten einzunehmen, liegt diese Hürde in Portu- betrachtet werden, gilt es zunächst, zwei euro- gal und Griechenland bei nur drei Prozent; in päische Zusammenhänge, in denen Linkspar- Frankreich wiederum gilt das Mehrheits- und teien aktiv sind, zu analysieren. Da ist zum einen kein Verhältniswahlrecht. Auch die Möglichkeit, die 2004 gegründete Europäische Linkspartei Wahlbündnisse aus Parteien oder mit sozia- (EL), ein europaweiter Zusammenschluss nati- len Bewegungen für Wahlen zu bilden, wird onaler Linksparteien im Rahmen der EU. Zum äußerst unterschiedlich gehandhabt. Zugleich Zweiten werden Parteien, die Mitglieder der üben diese Faktoren großen Einfluss auf die Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/ konkrete Gestalt der Linksparteien aus. NGL) sind, der linken Parteienfamilie zugeord- net. Daraus folgt, dass in dem vorliegenden In einigen EU-Staaten existieren – wie etwa in Portugal – mehrere relevante Linksparteien, die 1 Vgl. Birgit Daiber, Cornelia Hildebrandt und Anna Striet- horst (Hg.): Von Revolution bis Koalition. Linke Partei- en in Europa, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro Brüssel, 2 Vgl. Jürgen Mittag und Janosch Steuwer: Politische Par- 2010, S. 7. teien in der EU, Wien 2010, S. 179. 2
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA Tabelle 1: Mitgliedsparteien der GUE/NGL im Europäischen Parlament seit 2014 Abgeord- Partei Land nete AKEL Zypern 2 Bloco de Esquerda Portugal 1 DIE LINKE Deutschland 7 Euskal Herria Bildu Spanien (Baskenland) 1 Volksbewegung gegen die EU – Rotgrüne Einheitsliste Dänemark 1 Front de Gauche (PCF; Parti de Gauche, u. a.) Frankreich 3 Izquierda Plural (Izquierda Unida u. a.) Spanien 5 Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSČM) Tschechische Republik 3 L’Altra Europa con Tsipras Italien 2 Kommunistische Partei Portugals (PCP) Portugal 3 Tierschutzpartei Niederlande 1 Podemos Spanien 4 Linke Volkseinheit Griechenland 1 Sinn Feín (SF) Irland/Nordirland (GB) 4 Sozialistische Partei (SP) Niederlande 2 Syriza Griechenland 4 Union pour les Outre-Mer Frankreich (Übersee) 1 Linkspartei (V) Schweden 1 Linksbund (VAS) Finnland 1 Unabhängige Deutschland, Irland, 4 Griechenland, Italien damit auch in Konkurrenz zueinander stehen. In Neugründungen und Sammlungsprozesse im den skandinavischen Ländern (mit Ausnahme linken Spektrum eine parlamentarische Ver- Dänemarks) ist die Linke nicht zersplittert und, tretung der Linken erreicht werden.3 Ein Kenn- wenn zuletzt auch auf niedrigem Niveau, beson- zeichen der Linksparteien in Europa ist folglich ders stabil. Hier existiert jeweils nur eine rele- ihre Heterogenität. vante Linkspartei, die in Finnland, Norwegen, Island und Schweden bis vor kurzem sogar Teil Alle Linksparteien in Europa sind klassische Mit- sozialdemokratisch geführter Regierungen war. gliederparteien. Auch Neugründungen wie die Parti de Gauche setzten weiterhin auf die Bin- In den meisten osteuropäischen Staaten ist dung von Mitgliedern; keine der Linksparteien die Linke dagegen nicht nur, wie im Südwes- ist ein personenorientierter Wahlverein. ten Europas, zersplittert, sondern auch völlig marginalisiert. Lediglich in Slowenien und Kro- 3 Vgl. Dominic Heilig: Ein weißer Fleck färbt sich rot, atien konnte in den letzten zwei Jahren durch 14.7.2014, www.die-linke.de. 3
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA Europäische Linksparteien binden besonders Zur zweiten Zäsur kam es angesichts des Prager vier Wählergruppen an sich. Zum einen klas- Frühlings 1968. Die Spaltung klassischer kom- sische Arbeiter- und alternative Milieus, die in munistischer Parteien in Westeuropa erfolgte Protest zu den herrschenden Verhältnissen hier entlang der Bewertung des Führungs- stehen. Neue Wählergruppen, die die Linke anspruches der KPdSU. Parteien des „Dritten in ihrem Widerstand gegen Neoliberalismus Weges“ oder eurokommunistische Parteien lös- und Austeritätspolitik an sich binden konnte, ten sich von jenen, die weiterhin auf eine revo- sind Menschen mit Prekaritätserfahrung und lutionäre Gesellschaftsentwicklung, auf das vom Abrutschen ins Prekariat bedrohte Mit- innere Führungsprinzip des „demokratischen telschichten. Keiner Partei aber gelingt es, alle Zentralismus“, auf den Marxismus-Leninismus vier Wählergruppen gleichermaßen für sich zu als verbindliches ideologisches Fundament und gewinnen. Kommunistische Parteien wie die auf den Führungsanspruch der KPdSU beharr- portugiesische PCP etwa werden in erster Linie ten. Die Ablehnung alternativer Entwicklungs- von klassischen, in ihrem Bestand bedrohten, wege zum Sozialismus und alternativer, demo- Arbeitermilieus gewählt; DIE LINKE in Deutsch- kratischer Sozialismusvorstellungen ging ein- land hingegen wird vornehmlich von Prekari- her mit einem unversöhnlichen ideologischen sierten unterstützt. Gleichzeitig sind Arbeiter Kampf gegen jede Abweichung vom sowjeti- und Prekarisierte unter den Mitgliedern aller schen Modell. In Westeuropa lösten sich einige Linksparteien in der Minderheit. In den skandi- kommunistische Parteien sich von der ideolo- navischen und mitteleuropäischen EU-Staaten gischen und organisatorischen Bindung an die treten überwiegend Angestellte und Angehö- KPdSU, andere spalteten sich. In Osteuropa rige der höher gebildeten Mittelschichten lin- ordneten sich die Staatsparteien dem Großen ken Parteien bei.4 Bruder in Moskau weiter unter. Die Entstehung und programmatische Veror- Ein Kennzeichen der Linksparteien in tung der Parteien links von der Sozialdemokratie Europa ist folglich ihre Heterogenität. sind stets auch Produkt gesellschaftlicher Ver- Der Konföderalen Fraktion der Vereinig- änderungen und Auseinandersetzungen inner- ten Europäischen Linken/Nordisch-Grüne halb der Linken gewesen. Diese Veränderungen Linke (GUE/NGL) gehören 52 Abgeordnete stellten für die Linke jeweils drastische Zäsuren von 19 Parteien oder Wahlbündnissen an. dar, die die Herausbildung unterschiedlichster Die Abgeordneten kommen aus 14 Mit- Formen von Linksparteien förderten. gliedstaaten der EU. Der Charakter der Fraktion ist, wie der Name bereits verrät, Die erste Zäsur, die zur Herausbildung von Links- konföderal, das heißt jede Partei behält parteien in Europa führte, war die Spaltung ihre Eigenständigkeit und entscheidet ent- der Sozialdemokratie in der Folge von Erstem sprechend innerhalb des weiten Rahmens Weltkrieg, Oktoberrevolution und Gründung der Fraktion individuell. der Sowjetunion. Auch wenn es bereits zuvor vereinzelt Parteien links der Sozialdemokratie gegeben hatte, die auf revolutionärem Wege Die zunehmende europäische Integration, die zum Kommunismus bzw. Sozialismus gelangen Herausbildung neuer gesellschaftlicher Kon- wollten, entwickelten sich diese erst mit der fliktlinien und neuer grün-alternativer Bewe- Spaltung der Sozialdemokratie zu Parteien mit gungen sowie das Wachstum der Friedensbe- gesellschaftlicher Relevanz. wegung für (atomare) Abrüstung in den 1970er und 80er Jahren markierten eine dritte Zäsur 4 Vgl. Anna Striethorst: Mitglieder und Elektorate von Linksparteien in Europa, in: Daiber u.a., a.a.O., S. 89ff. für die Linke. Erstmalig kam es zur Herausbil- 4
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA dung neuer linker Sammlungsparteien, die ihre und anderer moderner Linksparteien und die Wurzeln in den sozialen Bewegungen dieser gleichzeitig entstehenden sozial- und globalisie- Zeit hatten und über die klassische Vertretung rungskritischen Bewegungen Ende der 1990er von Arbeiterinteressen gegenüber dem Kapi- Jahre führten zur Formation neuer linker Samm- tal hinausreichende Forderungen stellten. Das lungsparteien. Diese fünfte Zäsur führte auch zu linke Parteienspektrum erweiterte sich damit einer Bündelung linker Kräfte und Parteien über um linkssozialistisch-ökologische Formationen. die Grenzen des Nationalstaates hinweg. Zwar Diese Parteien, die zunächst eher wie plurale hatten lose grenzüberschreitende Diskussions- Bewegungen und weniger wie klassische Par- zusammenhänge, wie das Forum der Neuen teien auftraten, setzten auf eine transformato- Europäischen Linken (NELF), seit 1990/91 exis- rische Strategie zur Überwindung des Kapitalis- tiert; einen verbindlichen Charakter der Koope- mus unter Berücksichtigung neuer gesellschaft- ration konnten diese aber nicht herstellen. 2004 licher Einstellungen und Werte. wurde ein europäischer Sammlungsprozess mit der Gründung der Europäischen Linkspartei Eine vierte Zäsur stellte – ganz besonders in den gewissermaßen nachgeholt. „realsozialistischen“ Ländern, aber auch in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft (EG), Die Entfesselung des Kapitalismus – genauer: dem Vorläufer der EU – der Fall der Berliner des sich ungezügelt bahnbrechenden Neolibe- Mauer und das Ende der Blockkonfrontation ralismus und der daraus entstehenden Domi- dar. Sozialistische bzw. kommunistische Staats- nanz der Finanzmärkte – führte ab 2007/2008 parteien verloren ihre Führungsrolle, lösten sich nicht nur zur bislang schwersten Wirtschafts- auf oder unterzogen sich inneren Reformpro- und Finanzkrise der Nachkriegszeit, sondern zessen, die durch äußere Umstände notwendig auch zur Entstehung neuer linker Anti-Auste- geworden waren. Viele dieser Parteien in Osteu- ritätsbewegungen. Diese sechste Zäsur mün- ropa wandelten sich in der Folge zu sozialdemo- dete teilweise in die Entstehung neuer politi- kratischen Parteien, wie in Polen oder Ungarn; scher Parteien oder bewirkte weitere Reformen andere unterzogen sich einem programmati- bereits bestehender Linksparteien wie in Spa- schen und demokratischen Wandlungsprozess, nien, Griechenland oder Frankreich. wie DIE LINKE in Deutschland, und gehören weiterhin dem Lager der Parteien links von der Sozialdemokratie an. Manche Parteien, die aus Die Europäische Linkspartei (EL) früheren Staatsparteien hervorgingen, wie etwa die tschechische KSČM, hielten an ihrer traditio- Nach der Überwindung der Blockkonfrontation nellen kommunistischen Orientierung fest. Aber geriet die Linke in Ost- und Westeuropa in die auch die bestehenden Linksparteien Westeuro- Defensive. Der Zusammenbruch des Staats- pas, wie jene des Eurokommunismus oder die sozialismus wurde zu einer Niederlage einer den neuen sozialen Bewegungen verbundenen, gesamten politischen Idee und damit zur Nie- gerieten in eine Legitimationskrise und unter- derlage linker Parteien insgesamt, unabhängig zogen sich inneren Reformprozessen. Dabei von ihrer ideologischen Ausrichtung. Um diese verschwanden manche von ihnen, wie beispiels- zu überwinden, wurden Koordination und weise die (Euro)Kommunistische Partei Italiens inhaltlicher Austausch auf europäischer Ebene (PCI), gänzlich von der Bildfläche. immer wichtiger. Im Forum der Neuen Europä- ischen Linken begann eine gemeinsame Suche Die sich nach der Auflösung der Blockkonfron- nach Reformvorstellungen, Aktionsmodellen tation rasant verstärkende europäische Inte und den erfolgreichsten Parteikonzepten für gration, die Krise klassischer kommunistischer eine reformierte Linke. 5
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA Tabelle 2: Zäsuren der Linken in Europa Sechs Zäsuren Zeitraum Linke Beispiele Oktoberrevolution und 1914-1923 Kommunistische Linke PCP, KKE, KPD, PCE, Erster Weltkrieg u. a. Prager Frühling 1968 Eurokommunistische PCF, PCI, PCE, KKE Linke reform Neue links-alternative 1970er bis Mitte Neugründung linksgrü- IU, Synaspismos, Linke, linksgrüne 1980er ne, linksalternative & Schwedische Linke, SP Neugründungen antiautoritäre Linke Niederlande, SYN Ende der Blockkon- 1989-1990 Plurale, demokra- PDS, PRC, Linksbund frontation tisch-sozialistische Finnland, Rot-grüne Linke & reformierte Einheitsliste Dänemark Staatsparteien Europäische Integra- Ende der 1990er Jahre Parteiallianzen unter Bloco de Esquerda, Dei tion & Antiglobalisie- bis Mitte der 2000er Einbindung der glo- Lénk Luxemburg, PRC, rungsbewegung Jahre balisierungskritischen SYN, IU Bewegungen Globale Wirtschafts- ab 2007/2008 Parteiallianzen unter Syriza, Podemos, Parti und Finanzkrise Einbindung der Anti- de Gauche Austeritätsbewegung Zur Jahrtausendwende gründete sich die Euro- kratie, soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung päische Antikapitalistische Linke (EAL), die stark der Geschlechter und Achtung vor der Natur“ durch trotzkistische und außerparlamentarische kämpfen.6 Insbesondere Themen wie die Ver- Linksparteien geprägt wurde. Ihr gelang es aber teidigung des Wohlfahrtsstaates, der Kampf kaum, politischen Einfluss zu generieren.5 Am gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse und 8. Mai 2004 wurde dann in Rom schließlich die Arbeitslosigkeit sowie kollektive Sicherheit und Europäische Linkspartei (EL) gegründet. Sie ver- Frieden stehen im Mittelpunkt. Ein weiteres sucht, eine gemeinsame politische Identität zwi- Thema, das 2004 noch nicht im Fokus stand, schen den Mitgliedsparteien herauszuarbeiten, aber heute die Politik der EL-Parteien beein- ohne dabei die Geschichte und die nationalen flusst, sind die Krise des Finanzmarktkapitalis- politischen Verhältnisse zu ignorieren. In der Par- mus und die Austeritätspolitik der EU. tei herrscht das Konsensprinzip. Zur EL gehören heute 31 Mitglieds- und offizielle Beobachter- Vorschläge der EL zur Überwindung der Krise parteien an, darunter auch solche aus Ländern, werden in erster Linie innerhalb des kapitalis- die nicht der EU angehören (Türkei, Moldawien, tischen Systems gedacht. Darin zeigt sich ein Weißrussland, Schweiz und Nordzypern). Nicht Dilemma: Die Notwendigkeit, konkrete und in der EL vertreten sind die wichtigen Linkspar- zeitnah umsetzbare Konzepte zum Vorteil teien aus Schweden und Norwegen. breiter Bevölkerungsschichten zu entwickeln, zwingt linke Parteien dazu, ein System zu stüt- Alle Mitgliedsparteien der EL weisen eine hohe zen, das sie eigentlich überwinden wollen. Dies Kohärenz in Bezug auf ihre Kernthemen auf; zeigt sich etwa in der Forderung nach einer sie wollen gemeinsam für „Frieden, Demo- stärkeren Regulierung des Finanzsektors. Die 5 Vgl. Martin Schirdewan: Links – kreuz und quer. Die Be- ziehungen innerhalb der europäischen Linken, Berlin 6 Vgl. Programm der EL, verabschiedet am 8. und 9.5.2004 2009, S. 69. in Rom, S. 1. 6
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA Tabelle 3: Mitgliedsparteien der EL (inkl. Beobachterstatus) Partei Land Bloco de Esquerda Portugal Izquierda Unida (IU) Spanien Partido comunista de España (PCE) Spanien Esquerra unida i alternativa (EuiA) Spanien (Katalonien) Partito dei Comunisti Italiani (PdCI) Italien Partito della rifondazione comunista (PRC) Italien Parti de Gauche (PG) Frankreich Gauche Unitaire (GU) Frankreich Parti Communiste Francais (PCF) Frankreich Syriza Griechenland Birleşik Kibris Partisi Zypern Yeni Kıbrıs Partisi Zypern Ανορθωτικό Κόμμα Εργαζόμενου Λαού (AKEL) Zypern Özgürlük ve Dayanışma Partisi (ÖDP) Türkei Българската левица (BL) Bulgarien Partidul Socialist Roman (PSR) Rumänien Partidul Comuniştilor din Republica Moldova (PCRM) Moldawien Magyarországi Munkáspárt 2006 Ungarn Komunistická strana Slovenska (KSS) Slowakei Komunisticka strana Čech a Moravy (KSČM) Tschechische Republik Strana demokratického socialismu (SDS) Tschechische Republik Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) Österreich Partei der Arbeit der Schweiz (PdA) Schweiz DIE LINKE Deutschland Communist Party Wallonie-Bruxelles (PC) Belgien Enhedslisten – De Rød-Grønne (EL) Dänemark Suomen kommunistinen puolue (SKP) Finnland Vasemmistoliitto (VAS) Finnland Eestimaa Ühendatud Vasakpartei (EÜVP) Estland Belarusian Рarty of the Left “Fair World“ (BSM) Weißrussland Linken wollen der Krise mit einer Umvertei- Unter den Mitgliedsparteien der EL gibt es acht lung des Reichtums von oben nach unten, die Parteien mit mehr als 30 000 Mitgliedern und Binnennachfrage und Konjunktur ankurbeln stabiler parlamentarischer Präsenz. Daneben soll, begegnen. Der Fokus liegt auf der Forde- versammelt die EL auch mittelgroße Linkspar- rung staatlicher Investitionen und der Kritik des teien mit 8000 bis 17 000 Mitgliedern, die in Par- Rückzug des Staates von wichtigen ökonomi- lamenten vertreten sind. Darüber hinaus gibt es schen und sozialen Aufgaben. eine Vielzahl außerparlamentarischer Kleinpar- 7
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA teien mit 5000 oder weniger Mitgliedern (wie Zuge der 6. Zäsur entstanden. Sie stellt im Unter- die Deutsche Kommunistische Partei oder die schied zur griechischen Schwesterpartei jedoch Kommunistische Partei Österreichs).7 Ingesamt keine linkssozialistische Parteienallianz, sondern vereint die EL über 500 000 Mitglieder. eine Bewegung mit Parteistatut dar. Nicht alle Linksparteien in Europa lassen sich, Linksparteien in Europa auch aufgrund von parteiinternen Debatten und Flügelauseinandersetzungen, eindeutig zuord- Die Linksparteien in Europa befinden sich gegen- nen. Die dänische rot-grüne Einheitsliste etwa wärtig in sehr unterschiedlichen Phasen ihrer ist aus einer linkssozialistischen Parteienallianz Entwicklung. Während die skandinavischen Par- heraus entstanden, weist programmatisch aber teien alle ein starkes ökologische Profil haben auch Eigenschaften einer linksgrünen Formation und bemüht sind, übergreifende sozial-ökologi- auf. Die nebenstehende Tabelle bietet einen sche transformatorische Prozesse anzustoßen Überblick über die Einordnung der Parteien vor und nur noch rudimentär die Bezeichnung „sozi- dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte. alistisch“ im Namen oder Programm verwenden, sind andere Parteien, wie die PCF in Frankreich Deutlich wird, dass die unterschiedlichen Zäsu- oder PdCI und PRC in Italien, noch immer stark ren zur Ausformung spezieller Typen von Links- eurokommunistisch (2. Zäsur) geprägt. Der parteien führten. Diese füllten eine Lücke der Bloco de Esquerda (BE) aus Portugal und die SP politischen Vertretung, die die jeweils existieren- der Niederlanden sind stark aktionsorientiert den Linksparteien nicht zu besetzen vermochten. und stellen demokratisch-sozialistische Parteien Das bedeutet zugleich, dass es gleichzeitig unter- dar, die in zwei unterschiedlichen Phasen (SP 3. schiedliche Formen von Linksparteien gegeben Zäsur, BE 5. Zäsur) als Sammlungsparteien der hat und gibt, die ihre politische Relevanz im Par- neuen Linken entstanden sind. DIE LINKE und teienwettbewerb nachweisen können. die KSČM hingegen haben sich im Zuge der vierten Zäsur (1989-1990) herausgebildet und Im Folgenden sollen vier unterschiedliche Partei- unterschiedliche Entwicklungspfade eingeschla- formationen vorgestellt werden, die es möglich gen. Während DIE LINKE den demokratisch-so- machen, die Geschichte der Linken in Europa zialistischen reformierten staatssozialistischen und ihre Vielschichtigkeit nachzuvollziehen. Parteien zugerechnet werden kann, gehört die KSČM zum Lager der Kommunistischen Par- Zunächst werden die griechische „Koalition teien. Während etwa die Kommunistische Partei der Radikalen Linken“ (Syriza) und ihre aktuel- Portugals (PCP) eine klassische kommunistische len Herausforderungen als Regierungspartei Partei ist (1. Zäsur), ist die französische Parti de beschrieben. Syriza ist ein klassisches Parteien- Gauche (5. Zäsur) eine links-sozialdemokratische bündnis, welches im Zuge der Anti-Austeritäts- Formation. Als linkssozialistische Parteiallian- bewegungen und -proteste entstanden ist. Den- zen klassifiziert werden können die spanische noch reicht die Geschichte des konstituierenden Izquierda Unida (3. Zäsur) oder die griechische Teils – Synaspismos (SYN) – bis zur Spaltung der Syriza (6. Zäsur), deren dominanter Kern, Syn- Kommunistischen Partei 1968/69 zurück. Syna- aspismos, in der 2. Zäsur (1968/69) entstand. spismos selbst hat ihren Charakter im Zuge der Auch die spanische Podemos ist, wie Syriza, im Herausbildung neuer sozialer Bewegungen in 7 Die Mitgliedszahlen müssen freilich immer in Relati- den 1980er Jahren und der Antiglobalisierungs- on zum Bevölkerungsaufkommen in den jeweiligen bewegung in den 2000er Jahren wiederholt ver- EU-Staaten gesehen werden; vgl. Anna Striethorst: Mit- glieder und Elektorate von Linksparteien in Europa, in: ändert. Mit Syriza gelang es schließlich die Ent- Daiber u.a., a.a.O., S. 90 wicklung von einem Splitterbündnis mehrerer 8
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA Tabelle 4: Untergruppen der Familie der Linksparteien in Europa (GUE/NGL & EL)8 Linksso- Linkssozi- Bewe- Refor- Reform- zialdemo- alistische Links-grü- gung mit mierte Kommu- kommu- kratische Parteialli- ne Partei- Parteista- Staatssoz. nisten nisten Parteien anzen en tut Partei Beispiele PCP, PCF, PdCI, SP, SDS, BE, Syriza, ÖDP, EL, Podemos DIE LINKE, KSČM, PRC, KPÖ, PdA, PG, IU, EuiA, VAS, SF, V KSČM, KSS SKP, DKP, PCE, AKEL SF, V GU, DIE PC, KSS, LINKE, EL, PCRM, PSR, BSM Alternati- Kommu- Kommu- Solidari- Demo Sozialöko- Basisde- Demo ve/Weg nistische nistische sche Ge- kratischer logische, mokrati- kratischer Gesell- Gesell- sellschaft Sozia- feminis- sche Ge- Sozialis- schaft, schaft, mit demo- lismus, tische sellschaft, mus vs. Revolution revolu- kratischen emanzipa- & nach- Volksde- komm. tionäre Beteili- torischer haltige Ge- mokra- Gesell- Transfor- gungs- Prozess sellschaft, tische schaft mation strukturen Transfor- Plebiszite mation Koopera- Avantgar- relativier- polit. breite ges. rot-grüne Bündnisse breite tionsfor- de te Avant- Bündnis- Bünd- Bündnisse der Bevöl- gesell. men garde se – Mit- nisse als und ge- kerungs- Bündnisse te-Links Vorausset- sellschaft- schichten vs. Avant- Koalitio- zung für liche gegen garde nen mit pol. Bünd- Bündnisse Oligarchi- (KSČM & Sozialde- nisse mit en KSS) mokratie Sozialde- mokratie Kleinstparteien zur größten Oppositions- und teritätsparteien. Diese Form der Linken wird in dann zur Regierungspartei. Spanien durch Podemos repräsentiert, welche in dieser Studie ebenfalls vorgestellt werden soll. Die spanische Izquierda Unida (Vereinigte Linke, Podemos gehört zu den jüngsten Linksparteien IU) hat ihre Wurzeln in den neuen sozialen, alter- in Europa, die keine direkten historischen Vor- nativen Bewegungen der 1980er Jahre. Einfluss läufer hat. Man kann Podemos als Bewegung auf ihre Politik übt dennoch in hohem Maße die mit Parteistatut beschreiben, da sie zwar offiziell Kommunistische Partei Spaniens (PCE) aus. Im als Partei registriert, aber in ihrer Organisation Unterschied zu Syriza ist die IU nach wie vor eine kaum mit klassischen Parteien zu vergleichen ist. Allianz verschiedener (und teilweise regionaler) Linksparteien. Auch wenn sie in den Anti-Auste- Schließlich soll mit der bundesdeutschen DIE ritätbewegungen der vergangenen Jahre aktiv LINKE eine Partei vorgestellt werden, deren Wur- war, gehört die IU nicht zu den neuen Anti-Aus- zeln in einer reformierten staatssozialistischen Partei des ehemaligen Ostblocks liegen. Zwar 8 Vgl. auch Cornelia Hildebrandt: Fragmentierung und Pluralismus von Linksparteien in Europa, in: Daiber u.a., agiert sie seit der Fusion mit der westdeutschen a.a.O., S. 18f. WASG als gesamtdeutsche Partei, dennoch wer- 9
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA den die programmatischen Inhalte noch immer samen Identität als Linkspartei arbeitet, setzt die stark von der Auseinandersetzung mit dem IU auf die Beibehaltung des Parteienbündnisses. gescheiterten Sozialismusversuch in Osteuropa Und während Podemos mehr Bewegung bleiben geprägt. DIE LINKE gehört zu den stabilsten und als Partei werden will, tritt DIE LINKE als klassi- größten Linksparteien in Europa und ist vor die- sche Parteiformation in den politischen Wett- sem Hintergrund eine tragende Säule der EL. bewerb um Mehrheiten. Allen vier Parteien ist gemein, dass sie dann erfolgreich sind, wenn sie Alle vier Parteien thematisieren vergleichbare Sammlungsprozesse anstoßen und die Pluralität programmatische Forderungen, begegnen den der Akteure miteinander verbinden. Im Unter- aktuellen politischen Herausforderungen aber schied zu klassischen kommunistischen Parteien mit unterschiedlichen strategischen und orga- proklamieren sie keine Avantgarderolle. Dabei nisatorischen Konzepten. Während Syriza nach zeigen diese Beispiele auch, dass die Linke in einem breiten gesellschaftlichen Sammlungs- Europa wieder eine Rolle beim Kampf um alter- prozess nun an der Herausbildung einer gemein- native Mehrheiten spielen kann. 2. Syriza und der europäische linke Frühling Das Wochenmagazin „Der Spiegel“ verglich rend der griechischen Militärdiktatur (1967-1974) ihn einst mit Elvis Presley. Wenn er die Bühne illegalisierten KP trennte sich 1968 ein später als betritt, brechen seine Anhänger in Jubel aus – eurokommunistisch bezeichneter Flügel. Nach wie Anfang 2015, als Alexis Tsipras vor tausen- dem Ende der Militärdiktatur entwickelte sich ein den Sympathisanten in Athen den Wahlkampf Teil der Eurokommunisten zur undogmatischen von Syriza einläutete. Während die regierende und den neuen sozialen Bewegungen nahe ste- konservative Nea Dimokratia (ND) in einem henden „Griechischen Linken“ (EAR) weiter. Ende Konferenzhotel in den Wahlkampf startete, für der 1980er Jahre, inmitten einer skandalbeding- die Sozialdemokratie (PASOK) gerade eine Cafe- ten Krise der sozialdemokratischen PASOK-Re- teria ausreichte und deren Ex-Chef Papandreou gierung, formte die EAR mit der marxistisch-leni- sein Spaltprojekt in einem Museum vorstellte, nistischen KKE die „Koalition der Linken und des kannte der Zustrom zu Syriza kaum Grenzen. Fortschritts – Synaspismos“ (SYN). Obwohl das Positiv beschrieben wurde Tsipras in den euro- Wahlbündnis von Anfang an ein fragiles Gebilde päischen Medien trotzdem selten. Kurz vor der war, erhielt es 1989 bei der Parlamentswahl 13 Parlamentswahl 2012 bezeichnete ihn das größte Prozent der Stimmen. Interne Auseinanderset- deutsche Boulevardblatt „Bild“ als Halbkriminel- zungen und der Kollaps der Sowjetunion führten len, der „mit gewalttätigen Anarchisten“ sympa- 1991 wieder zum Bruch, aber undogmatische thisiere. Auch zu Beginn des Jahres 2015 fielen Linke und sogenannte KKE-Reformer entschie- die medialen Beschreibungen für den charisma- den sich im Jahr darauf, das Bündnis Synaspis- tischen Parteichef wenig schmeichelhaft aus. mos in eine Partei umzuwandeln. 1996 gelang dieser neuen Formation der Einzug ins Parla- ment (Vouli). In den folgenden Jahren rang die Von Synaspismos zu Syriza Partei beständig darum, die geltende Dreipro- zenthürde zu überwinden. Die Gründungstage der griechischen Linkspar- tei beginnen mit der Spaltung der Kommunisti- Im Jahr 2000 erfolgte die erste große Spaltung schen Partei Griechenlands (KKE). Von der wäh- der Partei. Protagonisten des rechten Flügels 10
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA wanderten zur Sozialdemokratie ab, und Synas- aller linken Kräfte geworben hatte, den Auftrag pismos rückte weiter nach links. Dies ermög- zur Regierungsbildung. Seine Versuche scheiter- lichte es der Partei, weitere linke Gruppen und ten aber. Tsipras’ Weigerung, eine Koalition mit die gerade erst in Europa entstehenden globa- PASOK einzugehen und stattdessen weiterhin lisierungskritischen Bewegungen einzubinden. für eine Linksregierung zu werben, ließen die Kurz vor der Parlamentswahl 2004 wurde so Umfragewerte für Syriza indessen weiter stei- zum ersten Mal die „Koalition der radikalen Lin- gen. Diese sagten ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit ken – Syriza“ gebildet, welche aber nur etwa 3,3 ND für den nun notwendig gewordenen neuen Prozent der Stimmen errang. Das Wahlbündnis Wahlgang voraus. Größtes Hindernis für Syriza zerfiel daraufhin weitgehend. Erst 2007 konnte sollte aber nicht die ND, sondern eine Beson- Syriza wiederbelebt werden. Fundament der derheit des griechischen Wahlsystems sein. Die- teils weit auseinander stehenden Parteien und ses spricht der stärksten Partei 50 Bonussitze in Gruppierungen waren erneut der Kampf gegen dem gerade einmal 300 Sitze zählenden Parla- den neoliberalen Umbau Griechenlands und ment zu. Da nur Parteien und nicht Wahlbünd- die enge Bindung an neue soziale Bewegungen. nisse davon profitieren, ließ sich Syriza noch Trotz der Tatsache, dass auch maoistische und vor dem Urnengang am 17. Juni 2012 als Partei trotzkistische Gruppen in Syriza mitarbeiteten, registrieren. Syriza legte zehn Prozent zu und blieb Synaspismos stets die tragende Säule erzielte 26,9 Prozent, verfehlte aber knapp das des Bündnisses. Trotz einer tiefen EU-Skepsis Ziel, stärkste Partei zu werden. Die Steigerung innerhalb des Bündnisses gelang es, den Ver- des Wahlergebnisses von 4,6 (2009) auf 26,9 bleib Griechenlands in der EU programmatisch Prozent (2012) ist historisch beispiellos für die durchzusetzen. Linke in Europa. Dies wurde nur möglich, weil es der Linkspartei gelang, aus einem über zwei Nach dem mit fünf Prozent gestärkten Einzug Jahrzehnte fragilen Bündnis eine gemeinsame ins Parlament 2007 schlossen sich weitere linke, Partei zu formen, ohne den Charakter als brei- soziale und ökologische Gruppen dem Wahl- tes politisches Bündnis zu verlieren. bündnis an. Bei der Wahl 2009 ging der Stim- menanteil jedoch auf 4,6 Prozent zurück. Der Gemeinhin wird unter europäischen Linken immer wieder aufkommende Flügelstreit führte die Zeit nach dem Syriza-Wahlsieg vom Januar während der einsetzenden Finanzkrise beinahe 2015 als europäischer linker bzw. roter Frühling zur endgültigen Spaltung des Bündnisses. 2010 bezeichnet. Meiner Ansicht nach nahm dieser verließ dann ein großer Teil des rechten Flügels Frühling allerdings bereits Jahre vor der Regie- Synaspismos und gründete „als konstruktive, rungsübernahme seinen Anfang. Das seit vier linke Opposition“ zu PASOK die „Demokratische Jahren von einer verheerenden Wirtschafts- und Linke“ (DimAr). Der Parteiführung um Alexis Finanzkrise erfasste Griechenland hatte mit den Tsipras gelang es in der Folge, die neuen Spiel- Parlamentswahlen vom Mai und Juni 2012 Auf- räume zu nutzen, Synaspismos weiter zu öffnen merksamkeit in Europa erregt. Der Grund hier- und enttäuschte Mitglieder von PASOK, aber für lag, neben dem Abschneiden der Linken, in auch von der KKE, für eine Mitarbeit in Syriza der zunehmenden Fragmentierung des politi- zu gewinnen. schen Systems und der Unfähigkeit, in Athen zu stabilen Mehrheiten zu gelangen. Neu daran Bei der Wahl am 6. Mai 2012 erhielt Syriza dann war, dass sich nicht länger die Lager um ND und mit knapp 17 Prozent den zweitgrößten Stim- PASOK gegenüberstanden, sondern die Befür- menanteil. Nachdem Koalitionsversuche der worter und Gegner der Austeritätspolitk. Die bei- erstplatzierten ND gescheitert waren, erhielt den „Volksparteien“ sahen sich mit erstarkenden Tsipras, der immer für ein gemeinsames Bündnis politischen Rändern konfrontiert, die zuvor ledig- 11
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA lich als Legitimationsgehilfen der Demokratie stand turnusmäßig zwei Monaten später an. Die fungiert hatten. Nie waren die kleinen Parteien Regierungskoalition, die nach dem Ausschei- an Koalitionsregierungen beteiligt gewesen, nun den von DimAr aus dem Regierungsbündnis aber brauchte man sie plötzlich. Die Zeiten des nur noch über eine knappe Mehrheit verfügte, bloßen Mehrheitenwechsels zwischen ND und ergriff die Flucht nach vorn und zog die Wahl des PASOK waren vorüber.9 neuen Staatspräsidenten vor. Damit wollte man Druck auf die eigenen Abgeordneten auszuüben Dass die beiden herrschenden Parteien den- und gleichzeitig die über den Haushaltsplan ver- noch zunächst an den Hebeln der Macht blieben, ankerte Sparpolitik durchzusetzen. Die Ankün- lag nicht nur an dem ungeheuren (medialen) digung, die Präsidentenwahl vorzuziehen, stand Druck aus Europa, sondern auch an der Linken zudem im Zusammenhang mit der Erklärung der in Griechenland. Die Linke – die in die drei Par- Euro-Gruppe, das „Rettungsprogramm“ verlän- lamentsparteien Syriza, KKE und DimAr gespal- gern zu wollen – sprich: das Land weiter unter ten war – sah sich nicht in der Lage zu gemeinsa- dem Diktat der Troika zu belassen. Dabei hatte mem Handeln. Vielmehr kultivierten DimAr und Samaras noch wenige Wochen zuvor in Aussicht KKE ihre Abneigung gegenüber Alexis Tsipras gestellt, dass die Spardiktate der Troika dem- und lehnten jede prä- sowie post-elektorale nächst ein Ende haben würden. Kooperation ab. Dass es im Juni 2012 schließ- lich doch noch für eine Koalitionsregierung aus Im den ersten beiden Wahlgängen verfehlte die ND und PASOK reichte, lag allerdings primär am Koalition mit nur 160 bzw. 168 Stimmen die not- Wahlsystem mit den 50 Bonussitzen für die ND. wendige Zweidrittelmehrheit für die Wahl des Zugleich aber hatte die Wahl gezeigt, dass Syriza Präsidenten. Für den dritten und letzten Wahl- nicht nur Protestwähler erreichte, sondern 27 gang, bei dem nur noch 180 Stimmen erforder- Prozent der Wähler hinter einer Anti-Austeritäts- lich waren, rechnete Samaras mit einer Zustim- politik versammeln konnte, die auf Gegenwehr mung von Abgeordneten der Parteien DimAr und auf gestalterischer Verantwortung fußte. and ANEL, die laut Umfragen bei vorgezogenen Dies illustriert zugleich, dass eine neue gesell- Neuwahlen nur schlechte Aussichten hatten, schaftliche Konfliktlinie ins Zentrum der Ausein- erneut ins Parlament einzuziehen. andersetzung in Griechenland gerückt war: die Austeritäts- und Troikapolitik. Syriza machte zwischen den Wahlgängen deut- lich, dass die Partei auf vorgezogene Neuwahlen bestand. Das griechische Volk müsse zunächst Syrizas Wahlsieg die Möglichkeit haben, über die Zukunft des Landes – den Haushaltsplan – abzustimmen. Die Abstimmung über eine neue Kürzungsrunde Nachdem auch der dritten Wahlgang am 29. im Haushaltsplan der konservativ-sozialdemo- Dezember 2014 der Koalition nicht die notwen- kratischen Koalition am 7. Dezember 2014 offen- dige Stimmenmehrheit von 180 Abgeordneten barte, dass die Regierung von Antonis Samaras erbracht hatte, rief Samaras Neuwahlen für den (ND) die Unterstützung von 180 Abgeordneten 25. Januar 2015 aus. im Parlament nicht mehr sicher hatte. Diese Stimmenanzahl ist laut Verfassung notwendig, Der Wahlkampf 2015 dauerte weniger als einen um einen neuen Staatspräsidenten (im dritten Monat, war aber ausgesprochen intensiv. Wer Wahlgang) zu wählen, und diese Abstimmung geglaubt hatte, die europaweite mediale und 9 Vgl. Dominic Heilig: Griechenland: Europa streitet wie- politische Kommentierung des Wahlkampfes der über Alternativen, 2012, sowie ders.: Die Parla- mentswahlen in Griechenland, 2012, beide www.rosa- 2012 sei intensiv gewesen, der wurde 2015 eines lux.de. Besseren belehrt. Man muss lange suchen, um 12
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA eine Wahl in einem EU-Mitgliedstaat zu finden, Stichwortgeber für die konservative europa- die europaweit derart aufmerksam verfolgt weite Kampagne waren die konservative Nea wurde. Positiv gesehen hatte diese Wahl damit Dimokratia und ihr Regierungschef Samaras. – weit mehr als die im Jahr zuvor abgehaltene Sollte Tsipras die Wahl für sich entscheiden, Europawahl – eine europäische Dimension. werde das Land sich isolieren und ohne starke Nüchtern betrachtet muss man allerdings kon- Währung dastehen, warnte Samaras. Er betonte statieren, dass noch nie zuvor ein derart offen- immer wieder, dass das Land bereits eine siver Versuch unternommen wurde, von außen „weite und schmerzhafte Strecke an Einsparun- Einfluss auf das Wahlverhalten in einem EU-Land gen und Konsolidierungen hinter sich gebracht“ zu nehmen. Dies war vor allem dem Umstand habe, was sich nun als vergeblich erweisen geschuldet, dass Syriza in den Umfragen führte, könnte. Ähnlich formulierte es der deutsche was den konservativen und sozialdemokrati- Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Er schen Eliten in Europa einen gehörigen Schre- warnte Athen davor, den von der Troika verord- cken in die Glieder jagte. Sie befürchteten, damit neten „Reformkurs“ zu verlassen, und verwies eine symbolische Niederlage für ihre neoliberale auf die milliardenschweren Anleihekäufe der Kürzungspolitik zu kassieren, die zudem eine Europäischen Zentralbank (EZB), die direkt vor Sogwirkung auf die folgenden Wahlen in den dem Wahlsonntag in Athen begonnen hatten. Krisenstaaten Spanien, Portugal und Irland aus- Die Kampagne der politischen Rechten basierte üben könnte. Besonders in Deutschland, dem für also auf Angstmache und „Weiter so“. die aktuelle europäische Politik maßgeblichen EU-Staat, fühlten sich viele Politiker berufen, das „Syriza bringt die Hoffnung zurück“, war hinge- Wahlprogramm von Syriza zu kritisieren. Flan- gen das Motto der Linkspartei. Die Syriza-Kam- kiert von auflagenstarken Medien drohten Regie- pagne fußte auf zwei Säulen: dem Kampf um rungsmitglieder für den Fall eines Erfolges der Demokratie, das heißt die Rückgewinnung der Linkspartei mit einem Euroaustritt bzw. einem Souveränität der Griechen, und einem detail- Eurorausschmiss Griechenlands („Grexit“). liert ausgearbeiteten, aber allgemeinverständ- lich formulierten Wirtschaftsprogramm zur Diese Angriffe erzeugten auch Gegenwehr. Überwindung der Krise. Syriza hatte seit der Europaweit entwickelte sich ein Kampf zwi- Parlamentswahl 2012 zahlreiche namhafte schen den politischen Lagern – Troikabefür- Wirtschaftswissenschaftler um sich gescharrt worter vs. Linke – um die Hegemonie im grie- und ein eigenes Programm für die zukünftige chischen Parlament. Delegationen prominenter Regierungsarbeit ausarbeiten lassen.10 Kernfor- Linkspolitiker reisten zur Unterstützung nach derung war die Ablehnung des Memorandums Athen, organisierten Solidaritätsaktionen und (Troikaverträge) und dessen Ersetzung durch versuchten, die nationalen Regierungen unter ein alternatives Wirtschafts- und Sozialpro- Druck zu setzen, ihre Politik gegenüber Athen gramm. Dieses Programm basierte auf: zu korrigieren. Im Zuge dieser Auseinanderset- zung entwickelte sich erstmals ein europäisches ⇒⇒ Beendigung der Austeritätspolitik und Wie- linkes Bewusstsein. Nachdem die EL Alexis Tsi- dereinsetzung der Kollektivverträge so- pras bereits 2014 als ihren Spitzenkandidaten wie Abschaffung arbeitsrechtlicher Vor- für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten in schriften, die durch die Memoranden den Wahlkampf geschickt hatte, wurde er nun eingeführt wurden; erneut zu ihrem europäischen Kandidaten. Nie ⇒⇒ Bekenntnis zur Wiederbelebung der Wirt- zuvor hat der Wahlkampf einer Linkspartei über schaft, Ankurbelung des Arbeitsmarktes Ländergrenzen hinweg eine solch große Mobili- 10 Vgl. das Interview mit John Milios, in: „Neues Deutsch- sierung auch ihrer Partnerparteien bewirkt. land“, 22.1.2015. 13
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA und Einführung eines fairen Steuersys- Ernüchternd hingegen war das Ergebnis der tems sowie eine demokratische Umge- ND-Abspaltung ANEL, die, ebenfalls knapp vor staltung des verkrusteten politischen Sys- PASOK, mit drei Prozent Verlust ins Parlament tems; einzog. Die aus Protest gegen die Troikapolitik ⇒⇒ Streichung des größeren Teils des nomi- hervorgegangene wirtschaftsliberale Partei To nellen Werts öffentlicher Schulden auf Potami blieb hinter den Erwartungen zurück einer Schuldenkonferenz; und erzielte sechs Prozent der Stimmen, etwas ⇒⇒ Einbeziehung einer Wachstumsklausel in weniger sogar als die Faschisten der „Goldenen die Rückzahlung der verbleibenden Morgenröte“. Klarer Wahlverlierer war – neben Schulden, so dass sie entsprechend der DimAr, die aus dem Parlament flog – die bishe- Wachstumsrate anstatt mit Haushaltsmit- rige konservative Regierungspartei unter Minis- teln getilgt werden; terpräsident Samaras. ⇒⇒ Europäischer New Deal für öffentli- che Investitionen, finanziert von der Syriza aber erzielte 36,3 Prozent und wurde zur Europäischen Investitionsbank.11 stärksten Partei. Damit hatte Alexis Tsipras den Wählerauftrag, die erste linksgeführte Regie- Dem Athener Parlament gehörten seit der Juni- rung in der Geschichte der EU zu bilden. wahl 2012 sieben Parteien an. Mit Ausnahme von DimAr konnten sich alle Hoffnungen auf einen Wiedereinzug machen. 2015 traten Der europäische linke Frühling ver- nun insgesamt 22 Parteien an. An der Grenze liert seine Blüten der Parlamentshürde bewegten sich in den Die ersten Wochen nach dem Syriza-Wahlerfolg Umfragen die sozialdemokratische PASOK, war die europäische Linke in euphorischer Stim- deren – vom ehemaligen PASOK-Vorsitzenden mung. „Wir sind in Athen gestartet, als nächstes und Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou nehmen wir Madrid“, hieß es. Zum ersten Mal gegründete – Abspaltung KIDISO sowie die demonstrierten in den Hauptstädten Europas Unabhängigen Griechen (ANEL). Die erst 2014 Linke für und nicht gegen eine Regierung. gegründete Partei To Potami (Der Fluss) wurde in allen Umfragen sicher im Parlament gesehen. Doch die erste Bewährungsprobe für die neue griechische Regierung stand bereits im Februar Am Wahlabend des 25. Januar 2015 war früh- 2015 an, als weitere Zahlungen, noch mit der zeitig klar, dass Syriza stärkste Partei werden Vorgängerregierung in einem zweiten Hilfs würde. Auch zeichnete sich rasch ab, dass es paket ausgehandelt, durch Athen angewiesen Papandreou mit seiner Abspaltung KIDISO werden mussten, wofür wiederum frische Kre- nicht ins Parlament schaffen und seine ehe- dite der Eurozone nötig waren. malige Partei, die PASOK, mit 4,7 Prozent der Stimmen ein ganz schwaches Ergebnis einfah- Tsipras überstand diese Bewährungsprobe ren würde. Dies ist gerade noch ein Zehntel ebenso wie die linke Kritik in Europa, die sich der Stimmen, die die einstige Volkspartei nach gegen die Auswahl seines Koalitionspartners dem Sturz der Militärdiktatur in den 1980er ANEL sowie dagegen richtete, dass seiner Jahren sammeln konnte. Selbst die KKE lief mit Regierung keine einzige Frau in Ministerrang 5,5 Prozent noch vor PASOK ins Parlament ein. angehörte. Mit Blick auf seinen Koalitionspart- ner hatte Tsipras allerdings – nachdem die KKE 11 Vgl. das Regierungsprogramm: www.transform-net- noch am Wahlabend erklärt hatte, als Koaliti- work.net/de/fokus/griechenland-entscheidet/news/ detail/Programm/what-the-syriza-government-will-do. onspartner nicht zur Verfügung zu stehen – nur html. wenig Handlungsspielraum. Wollte er nicht sein 14
DOMINIC HEILIG DIE LINKE IN EUROPA Wahlversprechen brechen, mit keiner der tra- die Geister, die Verhandlungen nahmen eine genden Parteien des alten Systems zu koalieren, zunehmend personalisierte Form an. Wochen- blieb nur die Zusammenarbeit mit ANEL, einer lang wurde zwischen Syriza und den Vertretern rechtspopulistischen, klerikalen und chauvinis- von Internationalem Währungsfonds, Europäi- tischen Formation. Sie war von Ex-ND-Mitglie- scher Zentralbank und EU über eine Verlänge- dern gegründet worden, die aus Gegenwehr zu rung des Kreditprogramms für Griechenland den Sozialkürzungen der Regierung ihre Partei verhandelt. Auf dem ultimativen Treffen der verlassen hatten. Hier lag denn auch der Mini- Eurofinanzminister am 25. Juni konnte letzt- malkonsens der ungleichen Partner: die Auste- lich keine Einigung erzielt werden. EU-Ratsprä- ritätspolitik zu beenden. sident Donald Tusk sagte auf dem Treffen der Regierungschefs mit Blick auf Athen: „The game Im Frühjahr versuchte die Regierung Tsipras, is over“ – Das Spiel ist aus. Tsipras packte seine neue Bedingungen für einen Schuldenschnitt Koffer. Am folgenden Tag trat Tsipras mit der mit den Mitgliedern der Eurozone auszuhan- Erklärung an die Öffentlichkeit, dass er sich ent- deln. Viele Linke hegten große Hoffnungen auf schieden habe, den Griechen die letzten Bedin- einen Kurswechsel in Europa, auf eine Alterna- gungen der Gläubiger zur Fortsetzung des seit tive zu Austeritätsdiktat und deutscher Krisen- 2012 laufenden Kreditprogramms zur Volks- politik. Angesichts der realen Kräfteverhältnisse abstimmung vorzulegen. Gleichzeitg bat er die begann man allerdings schon zu ahnen, dass Bevölkerung um ihre Ablehnung, da das vorge- es zunächst um „Kompromisse des Zeitge- legte Papier „schlimmer als das ursprüngliche winns und des Offenhaltens von Spielräumen“ Memorandum von 2010“ sei. Das europäische gehen würde.12 Man habe „mehr verhandelt Establishment war entsetzt. als regiert“, sollte Alexis Tsipras später im Euro- paparlament erklären. „Unter Umständen des Dieses Vorgehen lag aus der Sicht von Syriza finanziellen Erstickens waren unsere Fürsorge, nahe – schließlich ging es der Partei, neben der unsere Sorge, unsere Überlegung mehr, wie wir Bewältigung der Krise im Land, auch um eine es schaffen werden, die griechische Wirtschaft Demokratisierung des europäischen Währungs- am Leben zu erhalten.“13 systems. Dennoch konnte sich der Ministerprä- sident alles andere als sicher sein, ob er eine Ende Juni jedoch war klar, dass es zu keiner Eini- Mehrheit für sein OXI (Nein) bekommen würde. gung zwischen Athen und der Eurogruppe kom- Weil sich in den Verhandlungen nichts bewegte, men würde. Tsipras war den Gläubigern in den war die Kritik im eigenen Lager in den Wochen unzähligen Verhandlungsrunden weit entgegen- zuvor lauter geworden. Während einige mehr gekommen, doch suchten diese gar keinen Kom- Zugeständnisse forderten, verlangten andere promiss. Sie wollten diese Regierung so rasch einen härteren Kurs gegenüber Brüssel und wie möglich wieder loswerden – aus prinzipiellen brachten einen Grexit ins Spiel. Viele Menschen Gründen, aber auch als Signal an andere Krisen- in Griechenland vermissten angekündigte staaten, in denen ebenfalls Wahlen anstanden Reformen – diese aber waren für die Regierung und die Linke immer stärker wurde. nur machbar, wenn dafür auch die Grundlagen bestünden, sprich: die Gläubigerbedingungen Besonders an der Person des griechischen geändert würden. Auch innerhalb der EL wuchs Finanzministers, Yanis Varoufakis, schieden sich die Kritik an Tsipras. Alternativen aber formu- lierten seine Kritiker nicht. 12 Tom Strohschneider, Nach dem Frühling, in: ND-Dos- sier: Deutsch-Europa gegen Syriza. #ThisIsACoup, 2015, S. 3. Was auf die Ankündigung Tsipras’ folgte, glich 13 Zit. nach ebd. dem Januar-Wahlkampf: Europäische Politiker, 15
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