DIE PANDEMIE HAT GEZEIGT: WIR MÜSSEN ÜBER PSYCHISCHE GESUNDHEIT REDEN
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CH-D Wirtschaft 2/2021 52 «DIE PANDEMIE HAT GEZEIGT: WIR MÜSSEN ÜBER PSYCHISCHE GESUNDHEIT REDEN» Die Covid-Krise hat Unternehmen und Mitarbeitende besonders gefordert: wirt- schaftlich, organisatorisch und gesund- heitlich. Die Bedeutung eines wirksamen Gesundheitsmanagements nimmt zu. Insbesondere die psychische Gesundheit muss in den Unternehmen vermehrt zum Thema werden, sagt Stefan Büchi, Ärztli- cher Direktor der Privatklinik Hohenegg. Eine Kultur der Offenheit, Transparenz und des Vertrauens ist unerlässlich. Sie stärkt die Resilienz der Mitarbeitenden und zahlt sich auch wirtschaftlich aus. Die Covid-Krise hat Gesellschaft und Wirtschaft stark betroffen. Mit welchen Folgen waren aus Ihrer Sicht Unter- nehmen und ihre Mitarbeitenden konfrontiert? Die Folgen waren je nach Unternehmen unterschiedlich. Gewisse Branchen waren wenig betroffen, mussten allenfalls auf Prof. Dr. med. Stefan Büchi, Ärztlicher Direktor der Privatklinik Hohenegg in Meilen bei Zürich Homeoffice umstellen. Einige Branchen, www.hohenegg.ch zum Beispiel Kultur oder Gastronomie, durften von einem Tag auf den anderen nicht mehr arbeiten. Das führte bei vie- meines Erachtens vorteilhaft, weil wir folgreiche Unternehmen heute aus – und len Menschen trotz Notfall-Krediten und Entscheidungen multiperspektivisch an- ist ja auch ein Trend in der Arbeitswelt 4.0. Kurzarbeit zu existenziellen Ängsten und gehen konnten: unternehmerisch, pfle- Gleichzeitig müssen Firmen in der Lage war mit viel Unsicherheit verbunden. Die gespezifisch bzw. hygienisch und medi- sein, schnell Entscheide zu fällen. Wichtig sich laufend verändernden Massnahmen zinisch-therapeutisch. So fällten wir breit ist, dass diese von allen getragen werden. zwangen die Betriebe zudem, immer wie- abgestützte Entscheidungen. In einem der umzustellen. Unternehmen und ihre stark hierarchisch aufgestellten Betrieb, Wenn Sie an Ihre Patientinnen und Mitarbeitenden hatten eine hohe Anpas- in dem eine Person allein über Entschei- Patienten denken: Wie hat sich die Covid- sungsleistung zu erbringen, und es gab dungskompetenz verfügt, wäre das wohl Krise auf die Menschen ausgewirkt? keine Planungssicherheit. Das zehrte schwieriger gewesen. Zudem können an den Kräften. Zudem mussten in kur- Entscheidungen, die nur auf einer Per- Wer in stabilen Verhältnissen lebt, kommt zer Abfolge einschneidende Entscheide son lasten, in einem komplexen Umfeld mit Krisen wie einer Pandemie besser zu- gefällt werden. Das Krisenmanagement zu Überforderung führen. Ich denke, Un- recht. Das System, in dem jemand lebt, wurde auf die Probe gestellt. ternehmen, in denen Verantwortung breit und die Unterstützung durch das Umfeld abgestützt ist, kommen besser durch sol- sind bedeutsam. Während der Pande- Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem che Krisen. mie kamen Patientinnen und Patienten Betrieb, der Privatklinik Hohenegg, zu uns, die erschöpft waren durch eine gemacht? Funktioniert ein multiperspektivischer Corona-bedingte Lebenssituation. Ein- Ansatz generell für Krisen? drücklich waren für mich beispielsweise Wir leiten die Klinik zu dritt: der Ver- alleinerziehende Mütter, die ihre Primar- waltungsdirektor, die Pflegedirektorin Ich denke schon. Und es braucht flache schulkinder im Homeschooling betreuen und ich als Ärztlicher Direktor. Das war Hierarchien, das zeichnet moderne, er- mussten, gleichzeitig eine neue Stelle an-
CH-D Wirtschaft 2/2021 53 traten und einen Partner hatten, der sich von 2005 bis 2015 markant verschlechtert zusammen, die sie im Umgang mit psy- bei der Kinderbetreuung als unzuverlässig hat: Depressionen und Angstzustände chischen Problemen von Mitarbeitenden erwies. In diesen Fällen hatten sich Belas- haben zugenommen. Die Digitalisierung unterstützen. Die psychische Gesundheit tungen kumuliert, welche die psychischen hat wohl zu diesem Ergebnis beigetra- muss Thema sein. Sinnvoll ist auch, Raum Widerstandskräfte überstiegen und über gen. 25 Prozent der Jugendlichen wiesen für gemeinsames Erleben, soziale Inter- Schlafstörungen sowie Ängste zu einem schon vor der Pandemie einen eigentli- aktion zu schaffen: Anlässe, Ausflüge, psychischen Zusammenbruch führten. chen Smartphone-Abusus auf. Dieser hat Austauschmöglichkeiten. Es geht darum, sich während der Krise mit Sicherheit ver- die Zusammengehörigkeit unter den Mit- Krisen können auch stärken. stärkt. Besonders besorgniserregend ist: arbeitenden zu stärken, denn gute Bezie- Suizidgedanken von Jugendlichen haben hungen tragen zur Resilienz bei. Auf jeden Fall. Andere rückten durch die in der westlichen Welt epidemisch zuge- Krise zusammen. Covid stärkte die Bin- nommen. Wir sehen das auch bei uns – Es ist nicht einfach, über psychische dungssicherheit. Generell gilt: Je nach die jugendpsychiatrischen Abteilungen Probleme zu reden. Gibt es Tabus? psychischer Veranlagung kann Unsicher- sind in der Schweiz sehr ausgelastet. heit Angststörungen auslösen, einem Weniger als früher, weil die meisten Men- gleichsam den Boden unter den Füssen Was sollten Unternehmen in Anbetracht schen mindestens einmal in ihrem Leben wegziehen. Das hat sich während der Pan- der ambivalenten Homeoffice-Erfahrung mit psychischen Schwierigkeiten konfron- demie deutlich gezeigt. Wir sahen das zu aus gesundheitlicher Sicht tun? tiert sind und sich die Haltung gegenüber Beginn der Krise auch bei unseren Mitar- psychischen Krankheiten verändert hat. beitenden; einzelne waren kaum arbeits- Viele Menschen sind mit Homeoffice gut Die Gesellschaft ist offener geworden. fähig. Später hat sich das beruhigt – wohl zurechtgekommen. Sie genossen die Frei- Dennoch ist es für viele verständlicher- auch dank unserer Unternehmenskultur. heit und schätzten das überaus konzen- weise schwierig, über ihre Probleme zu Wir versuchen Sicherheit zu vermitteln, trierte Arbeiten, weil sie zuhause weniger sprechen, auch weil sie das nicht gelernt indem wir bei unseren Entscheiden trans- abgelenkt waren als im Büro. Aber es gibt haben. Es fehlt ihnen die Sprache dazu. parent sind. eben auch eine beträchtliche Anzahl von Daher wären Schulungen wichtig, in de- Mitarbeitenden, denen zu viel Homeoffice nen man lernt, wie man über die eigene Viele Menschen arbeiteten über Monate schadet, die krank werden, was Unter- Befindlichkeit redet und, andererseits, im Homeoffice. Was geschieht, wenn nehmen im Übrigen teuer zu stehen wie man Menschen mit psychischen Krisen zu lange andauern? kommt. Diese Menschen fühlen sich iso- Problemen anspricht. Initiativen wie die liert. Wir dürfen den sozialen Aspekt von «Erste-Hilfe-Kurse für psychische Ge- Wenn Unsicherheit chronisch wird, ver- Arbeit, die alltägliche Interaktion im Be- sundheit» von Pro Mente Sana sind da be- bunden mit einem Gefühl der Isoliertheit, trieb nicht unterschätzen. Ich rate davon stimmt hilfreich und sinnvoll. Diese Kurse wie das bei monatelangem Homeoffice ab, Homeoffice zu übertreiben, ein Mix entsprechen offenbar auch einem Bedürf- auftreten kann, ist das für die psychische von remote work und Arbeiten im Büro ist nis, wie die hohen Absolventenzahlen zei- Gesundheit problematisch. Lange hat sinnvoll. Dies wünschen sich ja auch vie- gen. Arbeitgeber sind meines Erachtens man das während der Pandemie zu we- le Angestellte, wie Umfragen gezeigt ha- auf jeden Fall in der Pflicht – auch wenn nig wahrgenommen, mit der Zeit rückten ben. Die meisten Menschen brauchen die man als Arbeitgeber bei persönlichen Be- psychische Erkrankungen zum Glück in Kommunikation im Team sowie Alltags- langen und allzu Privatem gerne Zurück- den Fokus. Vor allem junge Menschen ta- rituale wie das Pendeln, das gemeinsame haltung übt –, die psychische Gesundheit ten sich mit der Situation schwer. Es ist Mittagessen oder das Feierabendbier. der Mitarbeitenden prioritär auf die Agen- auffallend, dass viele Frauen und Männer da zu setzen. zwischen 20 und 30 unsere Klinik aufsu- Welche Rolle spielen eigentlich Vor- chen. Das ist neu. Aber auch Jugendliche gesetzte beim Thema Gesundheit am Weshalb ist es so wichtig, dass Menschen waren von der Krise besonders betroffen. Arbeitsplatz? über ihre Gefühle reden, einander zuhören und Interesse zeigen für die Weshalb? Studien haben gezeigt: Der wichtigste Nöte des Gegenübers? psychiatrisch protektive Faktor im Unter- Die ganze Freizeit- und Jugendkultur war nehmen ist ein verständnisvoller Vorge- Die Wahrnehmung der eigenen Befind- eine Zeit lang eingestellt. Kaum Sport, setzter. Er oder sie sollte Verständnis ha- lichkeit und die Fähigkeit, diese Wahr- keine Treffen in Gruppen. Das fehlte den ben für die psychische Befindlichkeit der nehmung zu verbalisieren, ist zentral für Jungen und schadete ihrer psychischen Mitarbeitenden. Deshalb ist es wichtig, die psychische Gesundheit und trägt zur Gesundheit. Man konnte das nicht ein- dass Unternehmen entsprechende Kom- Prävention bei. Diese Art von Achtsam- fach digital ersetzen. Hinzu kam die Sorge petenzen entwickeln. Eine Chefin oder ein keit und Kommunikation wird in unserer um die berufliche Zukunft: Wie viel Wert Chef muss verstehen, dass psychische Gesellschaft und in der Schule leider viel wird mein «Corona»-Berufsabschluss, Probleme relativ unvermittelt auftauchen zu wenig eingeübt. Vorurteile und Tabu- mein «Corona»-Maturitätszeugnis sein? können, und wissen, wie damit umge- isierung verstellen nach wie vor den Blick Das Wohlbefinden von Jugendlichen hat hen. Dass auch Vorgesetzte von psychi- auf die psychische Befindlichkeit. Zudem sich aber schon vor der Pandemie ver- schen Krisen betroffen und überfordert würde das Reden der bisweilen fatalen schlechtert. Eine Longitudinalstudie aus sind, ist hilfreich. Solche Erfahrungen Einsamkeit der Menschen entgegenwir- England hat gezeigt, dass sich die psy- stärken das Verständnis. Unternehmen ken. Einsamkeit gehört zu den relevan- chische Gesundheit junger Menschen arbeiten sinnvollerweise mit Fachleuten testen negativen Faktoren, die Gesundheit
CH-D Wirtschaft 2/2021 54 beeinflussen. Sie hat einen grösseren Im- SERO (Suizidprävention: Einheitlich Regional Organisiert): Dieses Pilotprojekt pact als Rauchen, Alkohol oder Diabetes. in der Region Luzern setzt vier zentrale Massnahmen zur Suizidprävention um: Man muss die Menschen zusammenbrin- PRISM-S Methode, Sicherheitsplan, ensa – Kurs für Angehörige sowie Selbstma- gen, denn Beziehung und Austausch sind nagement-App. Diese Massnahmen optimieren das Selbstmanagement bei Suizid- gesund und stärken das Immunsystem. gefährdung, erhöhen die Selbstwirksamkeit suizidgefährdeter Menschen sowie Es war erstaunlich, dass dies, wenn wir ihrer Angehörigen und fördern die koordinierte und vernetzte Versorgung durch uns die Covid-Massnahmen und unseren Professionelle in der Region. Umgang mit der Pandemie vor Augen hal- www.gesundheitsfoerderung.ch ten, so wenig thematisiert wurde. «ensa – Erste Hilfe für psychische Gesundheit» ist ein gemeinsames Programm Auch bei Suizidgefährdung ist das Ver- der Stiftung Pro Mente Sana und der Beisheim Stiftung – unter Lizenz von Mental balisieren der eigenen Befindlichkeit Health First Aid (MHFA), Melbourne. von entscheidender Bedeutung. Der ensa-Erste-Hilfe-Kurs soll Laien – Verwandte, Freunde, Bekannte, Arbeitskol- leg*innen – befähigen, nahestehende Personen mit psychischen Schwierigkeiten zu Unbedingt. In der Privatklinik Hohenegg unterstützen und Erste-Hilfe-Massnahmen anzuwenden. arbeiten wir bei suizidgefährdeten Men- www.ensa.swiss schen mit dem Tool PRISM-S, einem Tool, mit dem ein Arzt, eine Ärztin gemeinsam mit dem Betroffenen Lebenssituationen bildlich und einfach veranschaulichen tischen Verlauf Entwicklungen auf und troffene bei der Genesung. Arbeitgeber kann. Dadurch erkennen wir eine mög- schafft ein gemeinsames Verständnis. und Arbeitnehmer sollten gemeinsam liche Suizid-Gefährdung. Die Arbeit mit Ich habe PRISM vor langer Zeit gemein- besprechen, welche Aufgaben der Ange- PRISM-S erleichtert die Kommunikation sam mit Prof. Tom Sensky vom Imperial schlagene im Moment zu bewältigen ver- über Suizidgedanken, zeigt im therapeu- College in London entwickelt, arbeite seit mag, welche Aufgaben er wie schnell er- vielen Jahren damit, und wir haben es in füllen kann. Man spricht von Pacing. Auch der Hohenegg in Zusammenarbeit mit hier ist das Gespräch wichtig: «Was traust Gregor Harbauer und Sebastian Haas du dir zu? Was ist möglich? Was nicht?» Long Covid – eine schwer fassbare für die Suizidprävention adaptiert. Nun Überforderung ist schädlich, eine totale Krankheit setzen wir von der Privatklinik Hohenegg Krankschreibung wenig hilfreich. Das als Long Covid beschriebene das Werkzeug im Rahmen von «SERO», Krankheitsbild besteht aus vielfältigen einem von Gesundheitsförderung Schweiz Welche Rolle spielen Teams? Symptomen, die sich über mehrere mit 1.5 Millionen Franken unterstützten Monate nach einer Covid-19-Infektion Projekt zur Suizidprävention, im Kanton Long Covid ist für Betroffene und Teams hinziehen können. Betroffene leiden Luzern ein. anspruchsvoll. Ein Betroffener erkennt, unter anderem an neuropsychia- dass er nicht mehr gleich viel zu leisten trischen Folgen wie Depressionen, Die Pandemie haben wir teilweise hin- vermag, hat möglicherweise gegenüber Angsterkrankungen, Schlafstörun- ter uns. Long Covid bleibt aber Thema. Kolleginnen und Kollegen ein schlech- gen, Geruchsverlust und Fatigue. Die Was müssen Unternehmen wissen? tes Gewissen und setzt sich unter Druck. Ursachen sind weiterhin unklar, eine Teams wiederum wissen nicht, wie es dem einheitliche Definition besteht nicht, Long Covid ist eine komplexe und unbere- Mitarbeitenden wirklich geht. Auch hier zudem gibt es keine klaren therapeu- chenbare Krankheit; vieles ist noch uner- hilft nur: eine Kultur des Vertrauens und tischen Richtlinien. forscht. Sie betrifft Körper und Psyche, die darüber reden. Ein Long-Covid-Kranker Symptome sind mannigfaltig und verun- sollte genau schildern, wie es ihm geht, Die Klinik Hohenegg versucht, den sichern Betroffene: Müdigkeit, Antriebs- seine Sorgen und Bedenken aussprechen. Betroffenen, die an Long-Covid-Symp- losigkeit, Ängste, Schwindel, Konzentra- Die Teammitglieder wiederum müssen tomen leiden, ein therapeutisches und tionsschwierigkeiten. Ganz wichtig für die Verständnis zeigen, alle müssen flexibler diagnostisches Angebot zu bieten. Das Kranken ist hier das Vertrauen des Vor- sein bei der Übernahme von Aufgaben, Ziel besteht vor allem darin, einen gesetzten. Ein Betroffener muss spüren, und es braucht mehr Feinabstimmung. Es Umgang mit den Krankheitssymp- dass man ihm glaubt. Denn die Symptome ist offensichtlich, dass hier Teamgeist und tomen, eine seelische Stabilisierung sind für andere ja unsichtbar. Die Beein- Kultur entscheidend sind. sowie die Rückkehr in den Alltag zu trächtigungen sind da, aber sie sind kaum ermöglichen. objektivierbar. Vertrauen unterstützt Be- Interview: Rolf Murbach
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