DIE RICHTIGE BALANCE FINDEN - BUB " FORUM BIBLIOTHEK UND INFORMATION

 
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EDITORIAL

Die richtige Balance finden
WLAN, gemütliche Möbel, 3-D-Drucker – und fertig ist die Biblio-
thek! Zugegeben, das ist überspitzt formuliert, zeigt aber eine un-
aufhaltsame Entwicklung auf: Medien, vor allem Bücher, verlieren
in Bibliotheken rasant an Bedeutung. Stattdessen rücken Aufent-
haltsqualität, aktive Mitmachangebote für Besucher sowie Lern-,
Arbeits- und Unterhaltungsmöglichkeiten in den Vordergrund. Vor-
träge über moderne Bibliothekskonzepte auf dem diesjährigen Bi-
bliothekartag in Frankfurt am Main haben diesen Trend eindrück-
lich bestätigt. Die Ideen gingen so weit, dass Bibliothekare mit ih-
rer Einrichtung künftig nur noch den organisatorischen Rahmen
und Ort stellen, der dann von den Besuchern selbst bespielt wird.
Das hat zu kontroversen Diskussionen und der Frage geführt: Was
sind Bibliotheken heutzutage überhaupt?
   Genau dieser Frage gehen wir im aktuellen BuB-Schwerpunkt
»Identität der Bibliothek« ab Seite 380 nach. Dazu haben wir Ex-
perten aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen um Einschät-
zungen gebeten. Darunter sind eine Zukunftsforscherin, ein Jour-
nalist, ein Architekt, eine Politikerin, ein Philosoph, aber auch
engagierte Kollegen aus Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bi-
bliotheken. Sie alle bescheinigen den Bibliotheken eine wichtige
Rolle in unserer Gesellschaft, weisen aber mit Nachdruck darauf
hin, dass sich in Zeiten des digitalen Wandels auch Bibliotheken
verändern müssen – durch die Bereitstellung neuer Angebote und
Erledigung neuer Aufgaben.
   Einig waren sich die Fachleute darin, dass es nicht das Kon-
zept gibt, das für alle Bibliotheken passt. Jede Einrichtung muss
abhängig von ihren Möglichkeiten vor Ort und ihrem Umfeld ihre
eigene Identität finden. Henning Bleyl schreibt in seinem Beitrag
auf Seite 388 von der »richtigen Balance zwischen digital und
analog, zwischen körperlichen und geistigen Bedürfnissen, zwi-
schen Lärm- und Lernraum, individuellen und kollektiven Bedürf-
nissen«.
   Einen Faktor gibt es freilich, dem künftig alle Bibliotheken
mehr Aufmerksamkeit schenken müssen: der Mitbestimmung
durch den Nutzer. Das fängt bereits beim Bau einer Bibliothek an
und geht über die Ausstattung bis hin zu den Angeboten. Diese
Demokratisierung des bibliothekarischen Selbstverständnisses
mag ein schmerzhafter Lernprozess sein, für das Überleben der
Bibliothek ist er unerlässlich.

                                    Bernd Schleh, BuB-Redakteur

BuB 69 07/2017                                                         361
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BuB
                                  Forum Bibliothek
                                  und Information

                                  07 / 2017

                                                 FOYER                                           ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

                                                                                            375 Qualitätszertifikat für Bibliotheken
                                                      POLITIK                                   in Schleswig Holstein
                                                                                                Stadtbücherei Wedel und Zentral-
                                                 365 Bibliothekspolitische Wahlprüfsteine       bücherei Apenrade (DK) erhalten
                                                     für die Bundestagswahl 2017                Auszeichnung
                                                     dbv konfrontiert Parteien mit
                                                     bibliothekspolitischen Themen /
                                                     Instrument zur Lobbyarbeit             376 NACHRICHTEN
   SCHWERPUNKT                                       (Natascha Reip)

   IDENTITÄT DER                                      AUSLAND
                                                                                            379 MARKT

   BIBLIOTHEK                                    366 Drastische Kürzungen in allen
                                                     Bereichen
   Medien gibt es in Bibliothe-                      Die Öffentlichen Bibliotheken          LESESAAL
   ken natürlich auch noch, aber                     Großbritanniens leiden – und
                                                     fürchten weitere Einschnitte durch
   ihre Bedeutung schwindet.                         den Brexit (Gernot Gabel)                   SCHWERPUNKT:
   Stattdessen treten Angebote                                                                   IDENTITÄT DER BIBLIOTHEK
   wie Makerspaces, Co-Wor-                                                                 380 Jenseits der Gutenberg-Galaxis
   kingspaces und Mitmachan-                                                                    Zukunftsszenarien für (Öffentliche)
   gebote für Besucher sowie                                                                    Bibliotheken (Nora S. Stampfl)

   generell die Aufenthaltsqua-
   lität in den Vordergrund. Was                                                            384 Open Science: (Wissenschaftliche)
   macht heute eigentlich eine                                                                  Bibliotheken spielen eine zentrale
   Bibliothek aus?                                                                              Rolle
                                                                                                Zahlreiche Möglichkeiten zur Part-
   Im Schwerpunkt dieser Aus-                                                                   nerschaft zwischen Bibliotheken
                                                      AUSBILDUNG                                und Wissenschaft (Klaus
   gabe haben wir Experten aus
                                                 369 Elektronische Berichtshefte und            Tochtermann, Willi Scholz)
   ganz unterschiedlichen Fach-
                                                     Prüfungen
   richtungen nach der Identität                     FaMI-Ausbildung: 19. Tagung der
   der Bibliothek gefragt. Die                       Zuständigen Stellen                    388 Ich bin eine Bibliothek, verändert
   Antworten einer Zukunfts-                         (Karin Holste-Flinspach)                   mich!
                                                                                                Gedanken zur wechselnden
   forscherin, eines Journalis-                                                                 Identität einer uralten Institution
   ten, eines Architekten, einer                      LESE- UND SPRACHFÖRDERUNG                 (Henning Bleyl)
   Politikerin, eines Philosophen,
                                                 370 »100 Tage« Deutsche Digitale
   aber auch engagierter Kolle-                      Kinderuniversität in Russland          392 Der Bücherbus und das Mädchen
   gen aus Öffentlichen und Wis-                     Mehr als 4 700 Kinder nehmen an            aus der Zechensiedlung
   senschaftlichen Bibliotheken                      Bildungs- und Sprachprojekt des            Publizistenpreisträgerin Hatice
   lesen Sie ab Seite 380.                           Goethe-Instituts teil                      Akyün über die Bedeutung von
                                                     (Markus Kedziora)                          Sprache für die Integration
   Foto: ©fotomek – stock.adobe.com

                                                      WISSEN FRAGT ... ?                    394 Denkraum und Wissensordnung:
                                                 372 Idee – Ideal – Identität                   Die Bibliothek
                                                     Auf einen Espresso mit dem                 Orte des Medientransfers: Das
Foto Titelseite: Andrey Popov / Fotolia              Schriftsteller Martin Walser zur           Plädoyer eines Philosophen
Fotos Inhaltsverzeichnis: psdesign1 / Fotolia,       »Atmosphäre von Bibliotheken«              (Andreas Speer)
Presse- und Informationsamt der Bundesre-            (Dirk Wissen)
gierung / Steffen Kugler, dbv KomkiJu

362
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MAGAZIN
397 Bibliotheken sind zentrale           416 Digitale Bibliotheksstrategien –
    Akteure der Digitalisierung              notwendiges Übel oder                         FACHLITERATUR
    In ihrem BuB-Gastbeitrag                 Erfolgsrezept?
    beschreibt Bildungs- und For-            Podiumsdiskussion mit Bibliotheks-       432 Noch ein Handbuch?
    schungsministerin Johanna Wanka          direktoren aus Deutschland, den              – Nein, eher nicht (Gerhard Hacker)
    Bibliotheken als Symbol für ein          Niederlanden und den USA (Maiken         433 NEUE FACHLITERATUR
    aufklärerisches Ideal der                Hagemeister, Esther Israel, Theresa
    Gesellschaft                             Joest)

                                         418 Musikbibliotheken müssen lauter
                                             werden!
                                             Eine kontroverse Diskussion über
                                             die Zukunft der Musik in Öffentli-       AUS DEM
                                             chen Bibliotheken (Cortina Wuthe)        BERUFSVERBAND

                                               KINDER- UND JUGENDBIBLIOTHEK           435 Ich war dann mal weg
                                                                                          Usbekistan-Reise und Konferenz
                                         420 Der Schlüssel zur Welt                       »Central Asia 2017« / Teil 2
400 New Librarianship                        Vielfältige Medien- und Veran-
    Warum wir eine Wissensperspektive        staltungsangebote für Kinder und         437 Couleurs, Kunst und Couscous
    brauchen (R. David Lankes)               Jugendliche in der Stadtbibliothek           Landesgruppe Saarland zu Besuch
                                             Duisburg (Jan-Pieter Barbian)                in der Médiathèque de Forbach

                                         426 Die Welt verändert sich –
404 Inhalt und Architektur sollen
                                             Bibliotheken auch!
    faszinieren
                                             Zweite Fachkonferenz Kinder- und
    Die Bibliothek als »Vierter Ort«
                                             Jugendbibliotheken in Remscheid
    (Falk Jäger)
                                             / Integration, Inklusion, Partizipati-
                                             on: Miteinander voneinander lernen
                                             (Benjamin Scheffler)                     361 EDITORIAL
408 Bessere Orientierung nach innen
    und Stärkung des Profils nach                                                     438 SUMMARY / RESUME
    außen                                                                             440 STELLENANZEIGEN / IMPRESSUM
    In der Münchner Stadtbibliothek
    stiftet die Vision 2020 Identität
    (Arne Ackermann)

     BIBLIOTHEKARTAG FRANKFURT

412 Bibliothekartag 2017: Urheber-
                                         428 Kernkompetenz im Wandel
    recht und Arbeit 4.0 sind die
    bestimmenden Themen
                                             Kinder- und Jugendbibliothekarin-                  AB IN DIE APP!
                                             nen brauchen vielfältige Fähigkei-
    Veranstalter verzeichnen 3 825
                                             ten (Ulrike Schönherr)
    Teilnehmer und Teilnehmerinnen                                                    413 Der 106. Deutsche Bibliothekartag
    in Frankfurt am Main / Interesse     431   Nukleus der lernenden Organisation         Nur in der App: Fotogalerie, Gewin-
    an bibliothekarischer Großver-             Zur Bedeutung der Kinder- und              nerposter und prämierter Clip
    anstaltung weiter ungebrochen              Jugendbibliotheken (Stephanie
    (Steffen Heizereder)                       Jentgens)                              418 Wir müssen lauter werden!
                                                                                          Mitschnitt der Podiumsdiskussion
414 Wie man junge Menschen für die                                                        zur Zukunft der Musikbibliotheken
    Lektoratskooperation begeistert
    Lektoren und Rezensenten des                                                      422 Bunte Räume, farbiges Programm
    bibliothekarischen Solidarprojekts                                                    Fotogalerie zu den Angeboten für
    diskutieren in Frankfurt am Main                                                      Kinder und Jugendliche in Duisburg
    (Bernd Schleh)

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ALEXIS-DE-TOCQUEVILLE-BIBLIOTHEK IN CAEN-LA-MER, FRANKREICH

                                 „Dies ist eine der schönsten Bibliotheken in Frankreich“.
                                 Die neue Bibliothek Alexis de Toqueville in Caen-la-Mer/Frankreich wurde von dem preisgekrönten Architekten
                                 Rem Koolhaas aus dem international bekannten Architekturbüro OMA geplant. Die offizielle Eröffnung der
                                 Bibliothek nahm die französische Kultusministerin Audrey Azoulay am 13. Januar 2017 vor. Sie war sprachlos
                                 beim Anblick dieser großartigen Bibliothek und begann ihre Rede mit den Worten: „Dies ist eine der schönsten
                                 Bibliotheken in Frankreich“.
                                 Sie hat eine Gesamtfläche von 12.000 m², verteilt über 4 Ebenen. In der kreuzförmigen Bibliothek sind 4 Abtei-
                                 lungen untergebracht: Kunst im Ostflügel, Sozialwissenschaften im Süden, Literatur im Westen und Wissen-
                                 schaft und Technik im Norden. Darüber hinaus bietet sie neue Leistungen an wie einen Hörsaal, Ausstellungs-
                                 flächen, ein Café/Restaurant und vieles mehr.
                                 Sie wurde mit dem klassische Metall-Regal 60/30 ausgestattet. Des weiteren kamen Spezialmöbel wie Tröge,
                                 Vitrinen, Displays und Infopoints zum Einsatz.

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FOYER POLITIK

Bibliothekspolitische Wahlprüfsteine für die
Bundestagswahl 2017

dbv konfrontiert Parteien mit bibliothekspolitischen Themen / Instrument zur Lobbyarbeit

Der Deutsche Bibliotheksverband             kann wichtige Impulse für eine moderne           Wir alle sind Multiplikatoren: der
(dbv) hat – wie bereits 2013 – auch für     Bibliotheksentwicklung setzen.               Bundesvorstand, die Bundesgeschäfts-
die Bundestagswahl 2017 bibliotheks-             Zu den bibliothekspolitischen The-      stelle, die Ehrenamtlichen auf der Landes-
politische Forderungen, sogenannte          men zählen für den dbv im Jahr 2017          verbandsebene und die hauptamtlichen
»Wahlprüfsteine«, veröffentlicht1 und       die Gestaltung einer zukunftsfähigen Bi-     wie ehrenamtlichen Mitarbeitenden in
befragt die Parteien, was sie in der Re-    bliothekslandschaft im digitalen Zeital-     den Bibliotheken. Auch die ehrenamtlich
gierungsverantwortung oder als parla-       ter, Bibliotheken als Bildungseinrichtung    in Arbeitsgruppen, Kommissionen und
mentarische Opposition für die Förde-       in der digitalen Welt, nachhaltige Finan-    Sektionen des dbv engagierten Personen
rung kultur- und bildungspolitischer        zierung für digitale Informationsinfra-      gehören selbstverständlich dazu.
Belange der Bibliotheken tun wollen.        strukturen der Forschung, Bewahrung              Die dbv-Wahlprüfsteine sind ein Inst-
Diese Antworten geben eine Stim-            des schriftlichen Kulturerbes, Rechtssi-     rument der Lobbyarbeit für Bibliotheken
mungslage wieder, auf die sich der          cherheit und Teilhabe bei digitalen An-      und Bibliotheksmitarbeitende. Alle sind
dbv nach der Bundestagswahl am 24.          geboten sowie Nachhaltigkeit durch Bib-      aufgerufen, die Bedarfe und Forderun-
September 2017 in seiner politischen        liotheken im Rahmen der Umsetzung der        gen der Bibliotheken aktiv zu befördern:
Lobby- und Kontaktarbeit in den kom-        Agenda 2030 der Vereinten Nationen.              •      Nutzen Sie die Wahlprüf-
menden vier Jahren beziehen kann.                                                        steine für die Ansprache Ihrer
                                            Wir müssen viel häufiger und                 Wahlkreiskandidaten/innen.2
Das Erstellen von Wahlprüfsteinen ist       viel deutlicher über die                         •      Laden Sie die Kandidaten/in-
eine Methode, mit der Verbände auf die      gesellschaftliche Bedeutung                  nen in Ihre Bibliothek ein und veran-
Interessen ihrer Mitglieder aufmerksam                                                   schaulichen Sie dabei, was Ihre Biblio-
                                            von Bibliotheken reden.
machen, an politischen Entscheidungs-                                                    thek als Bildungs- und Kultureinrich-
prozessen beteiligt sein können und ih-                                                  tung für die Kommune bedeutet. Denn
ren Mitgliedern eine bessere Orientie-      Nach der Wahl wird der dbv seine Positi-     Kenngrößen für Politiker/innen sind vor
rung vor der Wahl ermöglichen. Mit          onen in die Koalitionsgespräche einbrin-     allem Wählerstimmen, der Wahlkreis
dem Versenden von Wahlprüfsteinen           gen und den Koalitionsvertrag bewerten.      und die mediale Aufmerksamkeit.
versuchen die unterschiedlichen Inte-       Im Anschluss an die Regierungsbildung            •      Oder geben Sie Neu-Parlamen-
ressen- und Lobbyverbände im Vorfeld        wird sich der dbv an die neuen Minister/     tariern/innen ein Thema an die Hand,
von Wahlen herauszufinden, was die          innen, Staatssekretär/innen, Abteilungs-     zum Beispiel Bibliotheken.
Parteien zu ihren spezifischen Fragen       leiter/innen sowie an die fachpolitischen        Wir müssen viel häufiger und viel
denken, welche Positionen sie beziehen      Sprecher/innen und Berichterstatter/         deutlicher über die gesellschaftliche Be-
und was sich folglich vom Ergebnis einer    innen wenden. Denn nur Verbände, die         deutung von Bibliotheken reden. Wir
Wahl erhoffen lässt.                        professionelles Lobbying betreiben, be-      sollten das politische Feld nicht den an-
    Das zentrale Anliegen des dbv ist es,   gleiten die Prozesse vor und nach der        deren allein überlassen, schließlich lohnt
dass Bibliotheken den Bürgerinnen und       Bundestagswahl fortlaufend aktiv.            es sich, für Bibliotheken zu streiten – egal
Bürgern den bestmöglichen Zugang zu              Da Politik ein ständiger Kommunika-     ob im Gemeinderat, im Stadtrat, im Kreis-
ihren Dienstleistungen ermöglichen          tionsprozess und Lobbying ein integraler     tag, auf Landes- oder Bundesebene.
können. Dies kann nur gelingen, wenn        Bestandteil davon ist, muss eine bundes-
der rechtliche und finanzielle Rahmen       weite Vermittlung von bibliothekspoliti-                            Natascha Reip, dbv
für die Arbeit von Bibliotheken gesichert   schen Themen erfolgen, um schlagkräf-
und optimiert wird. Auch wenn Biblio-       tig aufzutreten. Es geht darum, politische   1 Die Wahlprüfsteine des Deutschen Bib-
theken aufgrund des föderalen Prinzips      Mehrheiten in Sachen Bibliothek zu ge-         liotheksverbandes (dbv) sind zu finden
in die unmittelbare politische Zuständig-   winnen. Dafür brauchen wir die öffent-         unter: http://www.bibliotheksverband.
                                                                                           de/dbv/themen/bundestagswahl-
keit der Länder und Kommunen fallen,        liche Debatte – auch die über Unzuläng-
                                                                                           wahlpruefsteine.html
wirkt die Bundespolitik durch Gesetzge-     lichkeiten und Missstände – und müssen
                                                                                         2 Die Kontaktdaten Ihres/Ihrer Bundes-
bung und nationale Rahmenbedingun-          sie selber immer wieder anstoßen. Eben-        tagsabgeordneten unter Nutzung der
gen sowie bundesweite Projektförderung      falls erfordert es intensive Gespräche mit     Wahlkreissuche: http://www.bundestag.
auf die Arbeit der Bibliotheken ein und     möglichst vielen Entscheidungsträgern.         de/abgeordnete18/

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Drastische Kürzungen in
allen
     Bereichen
Die Öffentlichen Bibliotheken Großbritanniens leiden – und fürchten weitere Einschnitte durch
den Brexit

Als Premierministerin Theresa May              Wahlfieber. Mit diesem taktischen        Schon in den Wochen vor dem Bre-
Ende März 2017 der EU-Zentrale in              Manöver – die oppositionelle La-         xit-Antrag hatte Martyn Wade, Vorsit-
Brüssel das Austrittsschreiben ihrer           bour-Partei steckt derzeit in einer      zender des britischen Bibliothekarver-
Regierung übermittelte und damit of-           Führungskrise – stellte May die Moda-    bands CILIP (Chartered Institute of Li-
fiziell den »Brexit« genannten Prozess         litäten wie das anzustrebende Ergeb-     brary and Information Professionals),
in Gang setzte, deutete alles darauf           nis des Austrittsprozesses in den Mit-   seine Organisation öffentlich wirksam
hin, dass beide Seiten sich auf zielge-        telpunkt der öffentlichen Debatten.      zu profilieren versucht. Am 14. Februar
richtete und zugleich zeitlich eng ter-                                                 richtete er einen Offenen Brief an Ro-
minierte Verhandlungen einstellen.             Das hat zur Folge, dass im Wahlkampf     bert Wilson, den für Bibliotheken zu-
Doch Mitte April kündigte die Regie-           einzig die großen politischen, wirt-     ständigen Minister, mit der Aufforde-
rungschefin, völlig überraschend für           schaftlichen und finanziellen Fragen     rung, sich für eine bessere Finanzierung
das britische Parlament wie für die            eine Rolle spielen, aber Detailfragen    der Public Libraries einzusetzen. Es rei-
Wähler, vorgezogene Neuwahlen für              des Staatshaushalts, die zugleich kul-   che wirklich nicht, kritisierte er, nur ein
den 8. Juni an – zuvor hatte sie diese         turelle und bildungspolitische Ent-      Strategiepapier zu erstellen mit zahl-
Option strikt abgelehnt – und stürzte          scheidungen berühren, völlig an den      reichen, wenngleich folgenlosen For-
damit die Parteien in hektisches               Rand gedrängt werden.                    derungen, wo doch überall im Lande

       Jahr                     Anzahl ÖBB              Bestand: Bücher          AV-Medien          Gesamtbestand
       2003/04                  4.622                   110,4 Mio                9,0 Mio            119,4 Mio
       2008/09                  4.517                   99,7 Mio                 8,4 Mio            108,1 Mio
       2013/14                  4.145                   88,0 Mio                 7,7 Mio            95,7 Mio
      Tabelle 1: Entwicklung des Medienbestands

       Jahr                           Ausgaben                     Bücher                     AV-Medien
       2003/04                        135,8 Mio ₤                  11,9 Mio                   1,7 Mio
       2008/09                        129,1 Mio ₤                  12,6 Mio                   1,2 Mio
       2013/14                        102,4 Mio ₤                  10,1 Mio                   1,0 Mio
      Tabelle 2: Entwicklung der Erwerbungen

       Jahr                Ausgaben               Bibliothekare      Andere Mitarbeiter         Personal gesamt
       2003/04             569,1 Mio ₤            6.001              20.275                     26.276
       2008/09             639,7 Mio ₤            4.966              20.682                     25.648
       2013/14             525,8 Mio ₤            3.106              16.202                     19.308
      Tabelle 3: Entwicklung des Personals

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                                                                                                           Öffentliche Biblio-
                                                                                                           theken in Großbritan-
                                                                                                           nien mussten in den
                                                                                                           vergangenen Jahren
                                                                                                           kräftig Federn lassen
                                                                                                           – durch den Brexit
                                                                                                           dürfte sich das noch
                                                                                                           verschärfen. Foto:
                                                                                                           psdesign1 / Fotolia

die Bibliotheksbudgets reduziert und       vielen Risiken behafteten Brexit-Prozes-    Gemäß der vom Centre for Informa-
Schließungen von Einrichtungen vor-        ses einen ausgewogenen Staatshaushalt       tion Management der Universität
genommen würden. Das Bibliotheksge-        vorzulegen, der sowohl die steigenden       Loughborough publizierten Statistik
setz (Public Library and Museums Act)      Sozialkosten berücksichtigt als auch die    (sie liegt allerdings nur bis zum Haus-
aus dem Jahre 1964 lege verbindlich        hohen Belastungen der Wirtschaft, und       haltsjahr 2013/14 vor) hat sich die
fest, dass den Bürgern ein umfassender     das ohne die Steuerquote zu erhöhen.        Zahl der britischen Öffentlichen Biblio-
und effizienter Library Service zusteht.   Doch der Chancellor sollte sich nicht der   theken (ÖBB) in einem Jahrzehnt um
Doch der heutigen Generation werde         Einsicht verschließen, dass Bibliotheka-    477 verringert (siehe Tabelle 1), was
der schlechteste Bibliotheksdienst seit    ren eine einzigartige Vermittlerrolle in    einem Rückgang um mehr als 10 Pro-
Kriegsende geboten, und daher sei es       der sich entwickelnden Medien- und In-      zent entspricht.
nötig, noch in dieser Legislaturperiode    formationsgesellschaft zukomme und              Damit einher ging eine Reduzie-
ein Investitionsprogramm für das öffent-   es ein Mangel an Weitsicht wäre, diesen     rung des von den ÖBB bereitgestellten
liche Bibliothekswesen zu beschließen.     Sektor zu vernachlässigen. Aber genau       Medienangebots um 24 Millionen Me-
                                           dies sei in den letzten sechs Jahren pas-   dieneinheiten, was sogar eine Vermin-
                                           siert, denn die staatliche Bibliotheks-     derung um 20 Prozent bedeutet, womit
Bibliotheksförderung gekürzt               förderung habe man deutlich gekürzt.        zugleich ersichtlich wird, dass selbst die
                                           Jetzt aber müsste man Investitionen in      noch bestehenden Bibliotheken erheb-
Nur eine Woche später richtete Nick        das noch immer großartige Bibliotheks-      liche Bestandsverluste verzeichneten.
Poole, Generaldirektor des CILIP, ei-      netz vornehmen, damit sich das von der      Wenn man die operativen Zahlen ge-
nen Offenen Brief an den Schatzkanzler     Premierministerin avisierte »global Bri-    nauer betrachtet, zeigt sich die Misere
Philip Hammond. In seinem Schreiben        tain« realisieren ließe.                    gerade bei den Erwerbungsausgaben,
vom 22. Februar räumt Poole ein, dass          Die angesprochenen Kürzungen im         die sich im Jahrzehnt 2004 bis 2014 um
er durchaus die Schwierigkeiten des Fi-    Bibliothekssektor sind leider allzu of-     33,4 Millionen Pfund (= 24 Prozent)
nanzministers sehe, angesichts des mit     fensichtlich und detailliert zu belegen.    verringerten (siehe Tabelle 2).

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        Jahr                          Zahl Entleiher                 Ausleihen: Bücher            AV-Medien
        2003/04                       14,8 Mio                       340,9 Mio                    40,8 Mio
        2008/09                       12,2 Mio                       310,7 Mio                    28,4 Mio
        2013/14                       9,8 Mio                        247,2 Mio                    19,4 Mio
      Tabelle 4: Entwicklung der Ausleihen

Abbau von Arbeitsplätzen                        nur eines Jahrzehnts ging die Zahl der      und die Brexit-Verhandlungen haben
                                                eingeschriebenen Entleiher um 5 Milli-      sogar mit einem finanzpolitischen Pau-
Mit den Bibliotheksschließungen einher          onen zurück (siehe Tabelle 4), was ei-      kenschlag begonnen. Der Presse wur-
ging natürlich ein Abbau von Arbeits-           nen Schwund von 33 Prozent bedeutet.        den Berichte zugeleitet, nach denen die
plätzen. Hier fällt besonders ins Auge,         Das hat natürlich Folgen für die Zahl der   Brüsseler Kommission den Briten eine
dass gerade die bibliothekarischen Fach-        Ausleihen, die bei Büchern um 33 Pro-       Abschlussrechnung, angeblich entstan-
kräfte ihren Job in erheblichem Umfang          zent und bei den AV-Medien um 52 Pro-       den aus Verpflichtungen des Königreichs
verloren (siehe Tabelle 3). In einem            zent zurückgingen.                          während der EU-Mitgliedschaft, in Höhe
Jahrzehnt wurden fast 3 000 Stellen                 Wo das Serviceangebot abnimmt,          von 60 bis 100 Milliarden Euro präsen-
für Bibliothekare abgebaut, was einem           bleiben auch die Benutzer aus. Bislang      tieren werde.
wahren Aderlass von 48 Prozent gleich-          wies die Profession mit Stolz auf die           Diese Zahlen gelten zwar als inoffi-
                                                                    hohe Nutzungsin-        ziell, aber sie machen deutlich, in wel-
         Jahr                  Gezählte Benutzer                    tensität der Pub-       chem Umfang die Austrittsverhandlun-
                                                                    lic Libraries im Kö-    gen wohl auch von Finanzfragen ge-
         2003/04               336,9 Mio                            nigreich hin, aber      prägt sein werden. Angesichts solcher
         2008/09               324,9 Mio                            inzwischen macht        Dimensionen und der Tatsache, dass
         2013/14               282,3 Mio                            man sich über den       auch andere Bereiche wie das staatliche
                                                                    Mangel an Zuspruch      Schulsystem und der nationale Gesund-
       Tabelle 5: Entwicklung der Bibliotheksbesucher               ernsthaft Gedan-        heitsdienst über eine unzureichende
                                                                    ken. Im Verlauf ei-     Finanzausstattung klagen, wird der
kommt. Stattdessen wurden angelernte            nes Jahrzehnt wurden 54 Millionen Be-       Schatzkanzler wohl kaum höhere Unter-
Kräfte eingestellt, sodass die Gesamtbi-        sucher weniger pro Jahr gezählt (siehe      haltszahlungen für die Public Libraries
lanz für den Personalsektor nicht ganz          Tabelle 5), und bei einer Bevölkerung       bereitstellen wollen oder können.
so drastisch ausfällt (ein Minus von 26         von derzeit 64 Millionen Einwohnern
Prozent). Bezogen auf die Gesamtzahl            sucht heute nicht einmal jeder sechste      In Anbetracht des aufgezeig-
der ÖBB im Lande (4 145) lässt sich also        eine britische ÖBB auf, wahrscheinlich      ten Negativtrends benötigen
feststellen, dass inzwischen in mehr als        mit abnehmender Tendenz, wie auch           die Public Libraries jede Art
jeder vierten Public Library kein ausge-        neuere Zahlen belegen, die das Bran-
                                                                                            von Unterstützung.
bildeter Bibliothekar mehr anzutreffen          chenblatt »Bookseller« mehrfach (7. De-
ist, eine qualitätvolle fachliche Bera-         zember 2016 und 24. Februar 2017) un-
tung also kaum noch stattfinden kann.           ter Berufung auf Statistiken des CIPFA      Die Bibliotheken Großbritanniens gal-
CILIP hatte sich bereits 2015 gegen eine        (Chartered Institute of Public Finance      ten jahrzehntelang in Ausstattung wie
»Amateurisierung« des Bibliothekswe-            and Accountancy) berichtete. Allein         im Serviceangebot als vorbildlich, und
sens ausgesprochen, stieß aber bei amt-         2016 sollen 67 weitere ÖBB geschlossen      sie sollten einer Regierungschefin, die
lichen Stellen auf wenig Resonanz.              worden sein.                                sich in ihrer politischen Agenda gezielt
                                                    Dieser Faktor wird auch in den Ver-     an den Sorgen und Wünschen der unte-
Wo das Serviceangebot                           handlungen mit den Kommunen und             ren Mittelschicht (in Mays eigenen Wor-
abnimmt, bleiben auch die                       der Regierung zu Buche schlagen, wenn       ten »people who just manage«) orientie-
Benutzer aus.                                   die jährlichen Budgetkonsultationen an-     ren will, mehr als nur einen flüchtigen
                                                stehen. Die Bibliotheken können daher       Gedanken wert sein. In Anbetracht des
                                                nicht länger nur auf Ausleihzahlen ver-     aufgezeigten Negativtrends benötigen
Wenn nicht nur Bibliotheken geschlos-           weisen, sondern müssten andere Ange-        die Public Libraries jede Art von Unter-
sen werden, sondern auch Bestände von           bote erarbeiten, die für die Öffentlich-    stützung, aber für den unvoreingenom-
den Regalen verschwinden und Perso-             keit wie für die Geldgeber überzeugend      menen Beobachter stellt sich die Frage,
nal abgebaut wird, dann leidet auch die         wirken.                                     ob derartige Erwägungen die politi-
Attraktivität des gesamten Bibliotheks-             Sicherlich wird in den Wochen des       schen Entscheidungsträger tatsächlich
netzes, was sich in rückläufigen Benut-         Wahlkampfs die Bibliotheksprofession        erreichen.
zungszahlen niederschlägt. Innerhalb            kaum Gehör bei den Politikern finden,                                   Gernot Gabel

368
DIE RICHTIGE BALANCE FINDEN - BUB " FORUM BIBLIOTHEK UND INFORMATION
FOYER AUSBILDUNG

Elektronische Berichtshefte                                                                 Bei den Sachstandsberichten und
                                                                                       Neuigkeiten aus den Ländern schauten

und Prüfungen                                                                          die Teilnehmer dann ein wenig neidvoll


                                                                                       auf Bayern, besonders auf die dortige
                                                                                       Organisation der Betreuung der Ausbil-
FaMI-Ausbildung: 19. Tagung der Zuständigen Stellen                                    dungsstellen, die für die Bibliotheken in
                                                                                       speziellen Ausbildungsordnern zusam-
                                                                                       mengestellten Unterlagen sowie die neu
                                                                                       entwickelten Werbeplakate und Flyer.
Zu ihrer Jahrestagung trafen sich          hier, abgesehen von den entstehenden             Die ausbildungsstärksten Bundes-
Vertreter der Zuständigen Stellen aus      Kosten, vor allem die Möglichkeiten         länder sind (Bundeseinrichtungen aus-
Bayern, Berlin, Brandenburg, Nieder-       einer gleichzeitigen Erst- und Zweit-       genommen) weiterhin Nordrhein-West-
sachsen, Hessen, Nordrhein-Westfa-         bewertung und einer platzsparenden          falen, Baden-Württemberg und Bayern.
len, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Hol-        Speicherung.                                     Nachqualifizierungslehrgänge lau-
stein, Mecklenburg-Vorpommern                  Anke Wittig stellte das berufsbeglei-   fen derzeit in Berlin und Frankfurt, 2018
und des Bundes im April in der Ver-        tende Studium an der Hochschule Han-        ist in Potsdam ein entsprechender Kurs
waltungsakademie Bordesholm in             nover für FaMIs2 inklusive der Curricu-     für die Fachrichtung Archiv geplant. 39
Lübeck.                                    lumreform 2017 vor. Derzeit kommt die       Personen begannen von 2014 bis 2016
                                           Mehrzahl der Studierenden aus Wissen-       Umschulungsverhältnisse.
Die Tagung begann mit einem verglei-       schaftlichen Bibliotheken (60 Prozent),          Von den Fachrichtungen her sind
chenden Überblick über die dem FaMI        von der Vorbildung her verfügen 43 Pro-     in absteigender Anzahl eigentlich nur
ähnlichen dualen Ausbildungen im Bib-      zent über das Abitur. Belastungen für die   noch drei vertreten: Bibliothek, Archiv
liothekssektor in den Alpenländern, vor-   Teilnehmer entstehen durch eine nicht       und IuD – mit einem überwältigendem
gestellt von der Autorin. Auf besonderes   verpflichtende Übernahme von Kosten         Bibliotheksanteil.
Interesse stießen dabei die bei den Aus-   durch Arbeitgeber oder Freistellung für          Zusammengefasst bot die ausge-
bildungen zum ABI-Assistenten und zur      Präsenzphasen, aber vor allem durch         sprochen informative Tagung wie im-
Fachfrau IuD erfolgten beziehungsweise     die wöchentliche Stundenbelastung von       mer eine Kombination aus Informati-
angedachten Aktualisierungen der je-       rund 20 Stunden; verständlich, dass 35      onsaustausch und Fortbildung und auf-
weiligen Verordnungen.                     Prozent der Studierenden ihre Wochen-       schlussreiche Statistiken. So ergaben
    Eine Möglichkeit der Ablösung pa-      arbeitszeit verringern.                     freiwillige, nicht repräsentative Befra-
piergebundener Ausbildungsnach-                In diesem Zusammenhang wurde            gungen zur weiteren Beschäftigung,
weise durch digitale Berichtshefte prä-    auch auf die Fachwirtfortbildung einge-     dass im Durchschnitt der letzten drei
sentierte Sven Morgner mit BloK1 vom       gangen, Nordrhein-Westfalen will dieses     Jahre jeweils knapp 11 Prozent unbe-
Bildungsportal Sachsen. Eingegangen        Angebot mittels einer neuen Broschüre       fristet, 30 Prozent für 6 beziehungsweise
wurde auf die entstehenden Kosten für      nochmals bewerben. Zudem gab es aus         12 Monate von ihren Ausbildungsein-
Registrierung, die angebotenen For-        dem Kreis der Teilnehmer Überlegungen       richtungen befristet übernommen wur-
mate, spezielle Funktionen auch für        zu einer möglichen Fernweiterbildung        den – 9 Prozent hatten demnach keine
Kammern und Prüfer sowie die Vorteile      zum Fachwirt, um Weiterbildungsbestre-      Beschäftigung.
wie einem möglichen Abgleich zwischen      bungen nicht an regional nicht vorhan-           Zahlreiche weitere Themen wurden
Lernzielen und Lernvermittlung. Und        denen Angeboten scheitern zu lassen.        angesprochen, unter anderem Überle-
nicht nur Berichtshefte können elektro-        Die Verdi »Prüf-Mit-Plattform« 3        gungen zu Prüfungen in einfacher Spra-
nisch geführt werden, in Berlin werden     für Prüfer und Aufgabenersteller            che, mögliche Befreiungen vom Be-
auch Prüfungen in elektronischer Form      wurde von Gunther Steffens vorge-           rufsschulunterricht, Auslandspraktika,
(mit gebundenen und Freitext-Antwort-      stellt, auch wies er auf die angebo-        Kostenübernahme bei Studienfahren,
möglichkeiten) erprobt. Positiv sind       tenen für alle als Arbeitnehmer be-         Differenzierung des Berufsschulunter-
                                           rufenen Ausschussmitglieder kosten-         richts nach Fachrichtungen nach der
                                           freien, offenen Fortbildungen und das       Zwischenprüfung.
1 https://www.online-ausbildungsnach
  weis.de - hier auch Testzugang           Prüferhandbuch 4 hin. Der Referent               Das zwanzigjährige Jubiläum der
2 http://f3.hs-hannover.de/studium/ba
                                           ging zudem auf die laufende Novel-          Treffen der Zuständigen Stellen wird
  chelor/informationsmanagement-berufs     lierung des Berufsbildungsgesetzes          2018 in Köln stattfinden – mit einem
  begleitend/index.html                    ein. Und wie bereits bei der Darstel-       Themenschwerpunkt Ausbildungsord-
3 https://www.pruef-mit.de                 lung der österreichischen und schwei-       nung, dazu soll auch ein Vertreter des
4 Das Prüferhandbuch: Eine Handreichung    zerischen Ausbildung kam in diesem          Bundesinstituts für Berufsbildung ein-
  zur Prüfungspraxis in der beruflichen    Zusammenhang nochmals die Forde-            geladen werden.
  Bildung. Berlin: ver.di ISBN 978-3-      rung nach einer Aktualisierung der
  935815-87-1
                                           Ausbildungsordnung auf.                                       Karin Holste-Flinspach

BuB 69 07/2017                                                                                                              369
DIE RICHTIGE BALANCE FINDEN - BUB " FORUM BIBLIOTHEK UND INFORMATION
FOYER LESE- UND SPRACHFÖRDERUNG

»100 Tage« Deutsche Digitale                                                                Motivation und Selbstdisziplin beim Ler-
                                                                                            nen. Passive und aktive Sequenzen wech-

Kinderuniversität in Russland                                                               seln sich ab: Nach jeder Unterrichtsein-


                                                                                            heit öffnet sich ein Bereich mit Aufgaben,
                                                                                            die das Kind ermuntern, selbst erforder-
Mehr als 4 700 Kinder nehmen an Bildungs- und Sprachprojekt                                 liche Verbindungen herzustellen, Paralle-
                                                                                            len zu ziehen und kreativ zu denken. Die
des Goethe-Instituts teil
                                                                                            Aufgaben sind in zwei Kategorien geglie-
                                                                                            dert: inhaltliche und sprachliche.

 Die »Deutsche Digitale Kinderuniver-      vom Aufbau her einer normalen Univer-
sität« ist ein regionales Digitalprojekt   sität mit den drei Fakultäten »Mensch«,          Fremdsprache
des Goethe-Instituts Moskau und der        »Natur« und »Technik«. Die Video-
Goethe-Institute in der Region Osteu-      sequenzen wurden vom WDR zur Verfü-              Je früher ein Kind eine Fremdsprache
ropa-Zentralasien. Sie wurde im No-        gung gestellt und auf der Lernplattform          lernt, desto wahrscheinlicher ist es, dass
vember 2016 auf der gesamtrussi-           des Goethe-Instituts umgesetzt. Mit da-          es sie ohne größere Schwierigkeiten be-
schen Bildungskonferenz und im De-         bei: Christoph Biemann – der Erfinder            herrscht. Deshalb wird das Lernen in der
zember der vergangenen Jahres in der       der »Sendung mit der Maus« – sowie               Digitalen Kinderuni vom Kennenlernen
Russischen Staatlichen Kinderbiblio-       Professor Einstein und seine Assistentin         der deutschen Sprache begleitet. Metho-
thek in Moskau allen Interessierten        Sophie Schlau.                                   den wie »CLIL« oder »Sprachbad« ma-
vorgestellt.                                   Die Kinderuniversität wurde für Kin-         chen den Spracherwerb für die Kinder
                                           der im Alter von acht bis zwölf Jahren           spannend und generieren Motivation.
Inzwischen sind über 4 700 Kinder an       entwickelt. Die Altersangabe ist eine            Mit den jungen Studierenden, die noch
der Deutschen Digitalen Kinderuniversi-    Empfehlung, da die Kinderuni auch für            kein Wort Deutsch verstehen, sprechen
tät eingeschrieben und durchlaufen die
Vorlesungen, die wahlweise auf Deutsch
und/oder Russisch angesehen werden
können und auf der »Sendung mit der
Maus« des WDR basieren. Das Projekt
wird dieses Jahr auf die Länder Geor-
gien, Usbekistan und Ukraine sprach-
lich ausgeweitet.
    2014/15 fand in Russland das »Jahr
der deutschen Sprache und Literatur«
statt. Beim Eröffnungsfestival wurden
bereits erfolgreich Open-Air-Präsenz-
veranstaltungen mit wissenschaftlichen
Fragestellungen für Kinder im »Eremit-
age-Garten« angeboten. Ausgangspunkt
war die Entwicklung einer digitalen
Komponente, die es in einem Flächen-
staat wie Russland allen Kindern ermög-    Mobil und digital lernen: In Russland ermöglicht die Deutsche Digitale Kinderuniversität
lichen sollte, ihr Wissen zu erweitern     neue Möglichkeiten zur flächendeckenden Bildung. Foto: Goethe-Institut Moskau
und darüber hinaus eine (neue) Fremd-
sprache – Deutsch – zu erlernen.           ältere Kinder interessant sein kann. Sie         Professor Einstein und Sophie Schlau
    Mit spannenden Bildungsinhalten        vereint mehrere pädagogische Ansätze             russisch, bauen aber ab und zu deutsche
möchte die Deutsche Digitale Kinderuni-    und Methoden, die aktuell mit zu den             Wörter in ihre Sätze ein. Im Laufe einer
versität daher die Neugier von Kindern     progressivsten zählen.                           Unterrichtseinheit lernt das Kind mithilfe
auf die Welt des Wissens wecken und ihr                                                     von Roboter JOWO zehn neue Wörter, an-
kreatives Denken fördern. Die jungen                                                        hand derer es weitere Aufgaben löst. Hat
Studierenden können in acht- bis zehn-     Kindgerechtes lernen                             das Kind bereits angefangen, Deutsch zu
minütigen Vorlesungen wissenschaft-                                                         lernen, sprechen Professor Einstein und
liche Themenbereiche kennenlernen,         Die Moskauer Kinderuniversität zwingt            Sophie Deutsch auf Anfängerniveau; rus-
Antworten auf ihre Fragen finden und       das Kind nicht zum Lernen, sondern               sische oder deutsche Untertitel können
dabei erste Wörter auf Deutsch lernen.     weckt sein Interesse auf kindgerechte,           zum besseren Verständnis eingeblendet
Die Deutsche Digitale Kinderuni ähnelt     spielerische Weise. So stärkt sie seine          werden. Wie in der russischen Version

370
FOYER LESE- UND SPRACHFÖRDERUNG

lernt das Kind auch hier zehn Wörter –       Veranstaltungsformat für Bibliotheken       mit didaktischen Materialien für Schü-
doch entstammen sie bereits dem Niveau                                                   ler erarbeitet, die über keine oder über
A2. Es folgen weitere Aufgaben, die das      Das Projekt der Digitalen Kinderuni bie-    Grundkenntnisse in Deutsch verfügen.
Erlernte festigen.                           tet andererseits auch für die Goethe-In-         In den sozialen Netzwerken wurden
                                             stitute die Möglichkeit, vor Ort oder mit   Kinder im Herbst 2016 aufgefordert, 1 000
                                             Netzwerkpartnern diverse Präsenzfor-        Fragen zu formulieren, die sie im Rahmen
Medienkompetenz                              mate zum Thema zu organisieren. In          der Deutschen Digitalen Kinderuniversi-
                                             Russland wurden beispielsweise alle 16      tät beantwortet haben wollten. Die inte-
Das digitale Format vermittelt den Kin-      Deutschen Lesesäle in das Projekt invol-    ressantesten wurden bei der Präsenzver-
dern auch Grundlagen der Medienkom-          viert, sodass die Deutsche Digitale Kin-    anstaltung in der Russischen Kinderbib-
petenz, die in modernen Gesellschaften       deruni jetzt von Wladiwostok bis Smo-       liothek prämiert. Die Digitale Kinderuni
unumgänglich sind. In der Regel können       lensk, von Archangelsk bis Rostow am        wird in Zukunft bei vielen Events – dem
Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren    Don bekannt ist. Von der Schauspiele-       alljährlichen Sommerfest des Goethe-Ins-
bereits gut mit mobilen Endgeräten um-       rin Simone Mutschler aus Deutschland        tituts Moskau oder Kinder-Wissenschafts-
gehen, die sie in erster Linie zum Spielen   wurde sogar eigens ein Theaterstück ge-     festivals in Russland und anderen Ländern
nutzen. Die Online-Universität erfordert     schrieben, das in Moskau und in den Re-     der Region OEZA – vertreten sein.
aber ein komplexeres Handling compu-         gionen Russlands aufgeführt wurde.               Noch im laufenden Jahr soll, basie-
tergestützter Technologien, was deren                                                    rend auf der Kinderuni, ein weiteres Bil-
weitere Nutzung in der Zukunft erleich-                                                  dungsprojekt in Kooperation mit Radio
tert. Gaming – der Einsatz von spieleri-     Zuhause, in der Schule, im Koffer           Berlin Brandenburg (RBB) und der Kin-
schen Elementen in eigentlich nicht spie-                                                der- und Jugendzeitschrift GEOlino an-
lerischen Situationen – hilft den Kindern    Im Bereich Sprache werden des Wei-          geboten werden, mit dem Ziel, auch die
zu lernen, ohne sich dabei zu überan-        teren Multiplikatoren ausgebildet, die      Altersgruppe der 12- bis 14-Jährigen zu
strengen. Deshalb ist die Deutsche Digi-     die Experimente aus dem »Erfinder-Kof-      erreichen.
tale Kinderuni wie ein Spiel aufgebaut:      fer« den jungen Zielgruppen spielerisch          Weitere Informationen unter:
Die Kinder sammeln Abzeichen und er-         oder als Quiz vorführen können. Für         www.goethe.de/kinderuni
reichen damit die nächsthöhere Stufe –       Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Deut-
vom Studierenden über den Bachelor,          schunterricht interessanter und wissens-                          Markus Kedziora ,
Master und Doktor bis hin zum Professor.     werter gestalten möchten, wurden Sets                        Goethe-Institut Moskau

                                                                                                                        ANZEIGE

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                                 info@missing-link.de | www.missing-link.de

BuB 69 07/2017                                                                                                                371
FOYER WISSEN FRAGT ...?

                                                                                        Wi
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Idee – Ideal – Identität                                                                ?            en          ?
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Auf einen Espresso mit dem Schriftsteller Martin Walser zur
»Atmosphäre von Bibliotheken«
                                                                                                ?          ? ? ...?
                                                                                       Die heutige Sächsische Landesbibliothek –
                                                                                       Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

Martin Walser ist einer der großen         von Edwin Erich Dwinger und klassische      war für mich die lebendigste Bibliothek
Schriftsteller seiner Zeit. Er wurde in    Naziliteratur in die Regale gebracht. Aus   überhaupt, die ich allerdings zu früh
diesem Jahr 90 Jahre alt. Walser ist       dieser Bibliothek konnte man keine Bü-      verlassen musste. Das Geld zum Leben
jemand, der sich einmischt und mit-        cher mehr gebrauchen. Und dann gab es       ging mir aus und ich musste beginnen
mischt: Er hat sich schon immer ak-        eine zweite Bibliothek, vom Kaplan un-      zu arbeiten.
tiv am gesellschaftlichen, kulturellem     serer Gemeinde, der eine katholische Bi-
und politischen Geschehen beteiligt        bliothek hatte. Da waren die Bücher alle    Sie haben nicht nur in Tübingen, son-
und scheint auch dadurch »ewig aktu-       gleichförmig eingebunden, das weiß ich      dern auch in Regensburg studiert.
ell« zu sein. Wie sehr ihn Bibliotheken    noch sehr genau. Da gab es zum Beispiel     Gab es dort eine Bibliothek, die sie
in seinem Leben bewegten, erzählt er       den »Waldbauernbub« von Peter Roseg-        geprägt hat?
Dirk Wissen im BuB-Interview. 1957         ger und dergleichen – sehr langweilige          In Regensburg nannte sich die Uni-
erschien Walsers erster Roman »Ehen        katholische Literatur. Und dann gab es      versität »Philosophisch-Theologische
in Philippsburg«. 1987 erhält er »Das      ein paar Kilometer entfernt, in Nonnen-     Hochschule« und das Vorleseprogramm
Großes Verdienstkreuz der Bundesre-        horn, einen weiteren Kaplan, der eben-      gab der Direktor, ein sympathischer
publik Deutschland«. 2007 übergibt er      falls eine Bibliothek hatte. Die enthielt   Geistlicher. Der hat Thomas von Aquin
seinen Vorlass an das »Deutsche Lite-      alle Titel von Karl May. Zu dem bin ich     Band 1 und Band 2 vorgelesen. Das
raturarchiv Marbach«. Im Januar die-       immer zu Fuß rausgepilgert und habe         konnte man hektographiert erwerben.
ses Jahres erschien sein Alterswerk        zuerst Winnetou 1 und dann Winnetou         Und das war´s. Hauptsächlich haben wir
»Statt etwas oder Der letzte Rank« und     2 und so weiter gelesen.                    uns in Regensburg um die sogenannte
im März »Ewig aktuell«, vielleicht auch                                                Studentenbühne gekümmert und kaum
ein Motto für die Identitätsfindung von    In Ihrem aktuellen Buch vom Rank            eine Bibliothek besucht.
Bibliotheken?                              schreiben Sie unter anderem »dieser
                                           Kafka mit seinem Ungeziefer«. Wel-          Sie waren Mitglied der Gruppe 47, ha-
                                           che Bibliotheken nutzten Sie nach           ben auch den »Preis der Gruppe 47« er-
                                           1937 in der Schulzeit, im Studium und       halten. Welche Bedeutung hat für Sie in
                                           für Ihre Promotion über Kafka?              diesem Zusammenhang das Literatur-
                                               Wenn wir so miteinander über Bib-       archiv in Sulzbach Rosenberg?
                                           liotheken reden, wird mir nichts so le-         Die Gruppe 47 ist ja so was wie eine
                                           bendig, wie die Seminarbibliothek des       Inszenierung gewesen. Das fand ich be-
                                           Germanistischen Instituts in Tübingen,      eindruckend und sympathisch, weil es
                                           die droben am Berg liegt. Die Universi-     immer eine groteske, gesteigerte Selbst-
                                           tätsbibliothek musste ich gar nicht besu-   darstellung war. Und was im Literaturar-
                                           chen, weil ich mich ideal in der Seminar-   chiv in Sulzbach Rosenberg dazu zu se-
Auf einen Espresso mit Martin Walser.
                                           bibliothek mit dem Nötigsten versorgen      hen war, das war einfach alles schön. Ich
                                           konnte. Das war wirklich ein Lesepara-      habe da zum Beispiel eine Weltkugel in
Dirk Wissen: Sie wurden 1927, vor 90       dies. Da konnte man aus dem Regal al-       Erinnerung, die alles Mögliche darstellte.
Jahren, am Bodensee geboren, gibt es       les nehmen was man wollte und konnte        Es ist eigentlich das einzige Literaturmu-
eine Bibliothek Ihrer Kindheit, die Ih-    lesen, lesen und lesen. So kam es, dass     seum, das ich je in meinem Leben be-
nen prägend in Erinnerung blieb?           ich der Erste war, der überhaupt über       wusst und sehr gerne besucht habe.
    Martin Walser: Na ja, negativ ist      Kafka promovierte. Da gab es damals
mir die Bibliothek meiner Schule, der      noch keine Sekundärliteratur. Die hatte     In Ihrem ersten Roman »Ehen in Phil-
Wasserburger Volksschule, in Erinne-       ich zum Glück auch nicht nötig, da ich      ippsburg«, 1957 erschienen, wird eine
rung geblieben. Der Lehrer war ein fa-     nur die Form von Kafkas Texten genom-       Landesbibliothek erwähnt ...
natischer Nazi. Er hat sofort die Schul-   men hatte und nur beschreiben musste,           Ja, das ist die Stuttgarter Landes-
bibliothek gesäubert und hat dann Ti-      was ich in den Texten Kafkas erlebt und     bibliothek. Dessen Direktor Wilhelm
tel wie »Die Armee hinter Stacheldraht«    gesehen habe. Diese Tübinger Bibliothek     Hoffmann war mir damals persönlich

372
FOYER WISSEN FRAGT ...?

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar: Der Schriftsteller Martin Walser, der unter anderem den Roman »Ein liebender Mann«
geschrieben hat, in dem es um Goethe geht, hatte hier gelesen.

bekannt. Ich wusste die Landesbib-             Können Sie sich bei der Betrachtung            gibt. Ich habe damals nach dem Mauer-
liothek zu schätzen und war damals             Ihres Gesamtwerks als Nationalschrift-         bau gesagt, Karl May und Nietzsche sind
auch mehrmals zu Besuch. Anderer-              steller identifizieren?                        jetzt Ausländer und das geht nicht mit
seits habe ich damals natürlich auch               In der Nationalbibliothek in Frank-        meiner Leseerfahrung zusammen. Des-
in Amerika Bibliotheken besucht. Der           furt hat man mich bei einer Veranstal-         wegen ist es gut, dass die beiden Teile
Zutritt in die Bibliotheken in den USA         tung mal so eingeleitet. Das war die fei-      Deutschlands wieder eins wurden. Das
war damals nicht so problemlos. Da             erlichste Lesung, die ich je hatte. Das        ist das glücklichste geschichtliche Ereig-
musste man durch Schleusen, fast so,           lag auch am Verleger Siegfried Unseld,         nis in meinem Leben geworden. Aber ich
wie wenn man heute bei einer Flugli-           der das so wollte, dass ich ein National-      finde schon, dass Europa aus Nationen
nie eincheckt. Man musste sich auswei-         schriftsteller bin. Mir wurde schon ein        besteht, so wie Deutschland aus deut-
sen und seine Würde beweisen, dass             wenig schummrig in dieser Bücherwelt,          schen Ländern besteht. Die deutschen
man diese Bibliothek auch benutzten            in der ich mit meinem neuen Roman auf-         Dialekte machen den deutschen Födera-
durfte.                                        treten sollte. Da bekam ich ein erhöhtes       lismus kulturell betrachtet überhaupt
                                               Lampenfieber.                                  erst möglich und so ist es mit den Natio-
1977 erschien Ihr Roman »Ein fliehen-                                                         nen Europas auch. Das ermöglichen die
des Pferd«. Dort wird keine Bibliothek         In dieser Zeit hat sich bei Ihnen einiges      verschiedenen Sprachen.
erwähnt, aber der Protagonist heißt            erhöht, so erhielten sie unter anderem
»Klaus Buch« – bei Wortspielliebhabern         1987 auch das »Große Verdienstkreuz            Von sehr unterschiedlicher Identität
weckt das Assoziationen.                       der Bundesrepublik Deutschland«?               sind auch Bibliotheken und manch
   Das ist die wunderbare Mitarbeit des             Sie meinen, ich bin somit doch ein        einer fragt sich »Was ist eine Biblio-
Lesers, der aus »Klaus Buch« ein »klau‘s       Nationalschriftsteller? Nein, das ist          thek?« Eine weitere Bibliothek wird
Buch« herausliest. Das war von mir             kein bezauberndes Wort. »Schriftstel-          in »Die Verteidigung der Kindheit« ge-
nicht so gemeint, aber ich sage immer,         ler« reicht völlig aus. Das Einzige das        nannt, namentlich die FU-Bibliothek
jeder liest sein Buch und nicht mein           mich mit »Nation« wirklich verbindet           in Berlin. Die sieht heute ganz anders
Buch. Da habe ich beim Schreiben viel          ist, dass ich immer gegen die deutsche         aus als damals ...
weniger nachgedacht, als die meisten es        Teilung war. Weil ich das nicht ertra-             Stimmt, dieses Buch habe ich nach
beim Lesen tun.                                gen wollte, dass es da zwei Deutschland        einem wirklichen Leben geschrieben.

BuB 69 07/2017                                                                                                                      373
FOYER WISSEN FRAGT ...?

                                                                                             wichtigste Bibliothekserfahrung. Als
                                                                                             ich mit einem anderen Text, nämlich
                                                                                             mit »Die Verteidigung der Kindheit«
                                                                                             beschäftigt war, habe ich mich in alles
                                                                                             Dresdnerische eingearbeitet, was es
                                                                                             gab. Mein Held stammte ursprünglich
                                                                                             aus Dresden. Er hat dort diese furcht-
                                                                                             bare Nacht der Bombardierung miter-
                                                                                             lebt. Ich bin in diese Landesbibliothek
                                                                                             und da war eine Bibliothekarin, die
                                                                                             zur wichtigsten Bibliothekarin meines
                                                                                             Lebens wurde. Sie hatte den fantasti-
                                                                                             schen Namen »Nitschke«, ein bisschen
                                                                                             anders als der Philosoph. Ich wollte
                                                                                             also in diesem Roman darstellen, wie
                                                                                             meine Figur den Krieg erlebt hat und
                                                                                             dann stieß ich in der Bibliothek durch
                                                                                             Frau Nitschke auf den Namen »Vic-
                                                                                             tor Klemperer«. Von Klemperer gab
                                                                                             es bereits »LTI - Notizbuch eines Phi-
                                                                                             lologen«. Frau Nitschke sagte zu mir:
                                                                                             »Wissen Sie Herr Walser, wir haben die
                                                                                             Originale von Klemperer. Die sind alle
                                                                                             hier in der Bibliothek zu sehen.« Dann
                                                                                             durfte ich diese Originale von Klempe-
                                                                                             rer täglich studieren und auch exzer-
                                                                                             pieren. Dadurch erhielt ich Ideen für
Das Grab Hölderlins in Tübingen: Das Werk des Lyrikers begleitete Walser während seines      meinen Roman und habe Szenen dar-
Studiums in Tübingen – auch während einer Beinahe-Romanze in der Seminarbibliothek.          aus gemacht. So produktiv wie die Lan-
                                                                                             desbibliothek in Dresden wurde keine
Der junge Mann, der darin vorkommt,            dabei Hölderlin und so etwas gelesen. Ich     andere Bibliothek für mich.
konnte wegen der dortigen politischen          habe sie immerzu angeschaut. Das war
Verhältnisse in Leipzig nicht glücklich        typisch für mich, sie nur anzuschauen.        Ihnen ist Sprache wichtig, was assozi-
studieren. Er ist dann nach West-Ber-          Ein Kommilitone aus dem Rheinland war         ieren Sie bei den beiden Begriffen »Bü-
lin und hat dort Jura studiert. Er musste      mutiger. Er hat sie in der Bibliothek an-     cherei« bzw. »Bibliothek«?
deshalb natürlich an die Freie Univer-         gesprochen, obwohl man das eigentlich             Ich halte »Bücherei« für kein schönes
sität und dort in der Bibliothek arbei-        nicht sollte – ich meine das Sprechen in      deutsches Wort. Das ist wie so eine Trach-
ten. Ich selber musste, um dieses Buch         der Bibliothek. Er ist dann mit ihr aus der   tenausführung des Wortes »Bibliothek«.
zu schreiben, nicht in die Bibliothek der      Bibliothek weggegangen und ich habe
FU-Berlin gehen, aber ich habe mich in-        den beiden nachgeschaut, neidvoll, weil       Herr Walser, ich danke Ihnen.
tensiv über die Bibliothek informiert.         ich das nicht geschafft hatte, was dieser        Ich danke Ihnen. Dass wir auf die
                                               Kerl geschafft hat.                           Bibliotheken in Dresden und Tübingen
Und gab es vielleicht mal in Ihrem Le-                                                       gekommen sind, war mir für heute das
ben den Moment den »Augenblick der             In »Ein liebender Mann« geht es um            Wichtigste.
Liebe« in einer Bibliothek?                    Goethe ...
    Oh ja, in Tübingen in der Seminarbi-          Da fällt mir natürlich die Anna                          Und was sagen Sie als Profes-
                                                                                                          sorin Frau Hartmann: Lässt sich
bliothek gab es eine Studentin, die hatte      Amalia Bibliothek in Weimar ein, da
                                                                                                           noch über die »Bücherei« bzw.
eine Frisur wie ein »Gretchen«. Sie hatte      habe ich auch einmal lesen dürfen.                           die »Bibliothek« sprechen?
geflochtene Zöpfe um den Kopf gebun-           Außerdem denke ich bei »Goethe« als
den. Dieses Mädchen war sehr schön. Sie        Ideal auch an die Landesbibliothek in
stammte aus der Pfalz und saß immer in         Dresden. Die Bibliothekarinnen ha-
der Bibliothek und studierte. Ich habe         ben mir damals für ein Buch alles an
                                               Informationen beschafft, ohne die ich
Ihre Meinung: Kann man heute noch von          dieses Buch hätte gar nicht schrei-
»Bücherei« und »Bibliothek« sprechen?          ben können. Mit der Landesbibliothek                Mehr dazu in der nächsten Folge von
Schreiben Sie an: bub@bib-info.de                                                                »Wissen fragt …?«. Selfies: Dirk Wissen
                                               in Dresden verbinde ich die für mich

374
FOYER ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

      Qualitätszertifikat für Bibliotheken in Schleswig-Holstein
      
      Stadtbücherei Wedel und Deutsche Zentralbücherei Apenrade (DK) erhalten Auszeichnung

      Büchereien in Schleswig-Holstein                           Um gute Bibliotheksarbeit sicht-         umfassenden Katalogs, der von einer
      können sich jetzt hinsichtlich der                     bar zu machen, wurde unter der Regie         bibliothekarischen Arbeitsgruppe ent-
      Qualität ihrer Arbeit prüfen und zer-                  des Büchereivereins Schleswig-Holstein       wickelt wurde. Die Kriterien decken
      tifizieren lassen, das teilte die Büche-               auf Initiative Öffentlicher Bibliotheken     die Bereiche Strategische Ausrichtung,
      reizentrale Schleswig-Holstein in fol-                 ein Qualitätssicherungs- und Zertifizie-     Personal und Organisation, Erreich-
      gender Pressemeldung mit:                              rungsverfahren entwickelt. Mit ihm wird      barkeit, Medien- und Informationsan-
                                                             ein verbindlicher Rahmen geschaffen,         gebote, Kundenkommunikation und
      Das Verfahren stellt hohe Ansprüche,                   der Standards für Öffentliche Büchereien     Marketing, Infrastruktur sowie Inno-
      die derzeit nur wenige Einrichtungen im                unterschiedlicher Größe festlegt und sie     vationen ab.
      Land erfüllen. 107 Kriterien werden im                 vergleichbar macht. Der Büchereiverein           Im Zentrum des Qualitätsmanage-
      Detail bewertet. Erst bei Erreichen von                Schleswig-Holstein verleiht das Quali-       mentprozesses steht ein sogenann-
      mindestens 75 Prozent aller möglichen                  tätssiegel »Ausgezeichnete Bibliothek in     tes Audit durch externe, unabhängige
      Punkte erfolgt eine Zertifizierung. Im                 Schleswig-Holstein« erstmals 2017 für        und speziell geschulte Auditoren, bei
      ersten Durchgang ausgezeichnet wurden                  eine Dauer von drei Jahren. Künftig kön-     dem die Einhaltung der festgelegten
      die Stadtbücherei Wedel und die Deut-                  nen Bibliotheken jährlich eine Teilnahme     Standards in den Bibliotheken über-
      sche Zentralbücherei in Apenrade (DK).                 an dem Verfahren beantragen.                 prüft wird. Ziel ist es, herausragende
      Das Ministerium für Justiz, Kultur und                     Die Qualitätsprüfung erfolgt             Beispiele bibliothekarischer Arbeit in
      Europa des Landes fördert das Vorhaben.                auf Grundlage eines 107 Kriterien            Schleswig-Holstein sichtbar zu machen.
               DABIS_A5_quer_cl_ohne_Termin.pdf   1   15.11.2016   14:54:44

                                                                                                                                             ANZEIGE

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                                                                                                   Gesellschaft für Datenbank-InformationsSysteme
            Archiv- und Bibliotheks-InformationsSystem

                DABIS.eu - alle Aufgaben - ein Team                                        Archiv Bibliothek Dokumentation
                                                                                               Archiv / Bibliothek
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                                                                                           Normdaten GND RVK redundanzfrei
                                                                                           multiMedia       JSon      Integration
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                Stabilität   Partner   Verläßlichkeit                                  http://OeNDV.org            http://VThK.eu
                Service     Erfahrenheit     Support                                   http://VolksLiedWerk.org   http://bmwfw.at
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                                                                                       Tel. +43-1-318 9777-10 * Fax +43-1-318 9777-15
                                                                                       eMail: support@dabis.eu * http://www.dabis.eu
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      BuB 69 07/2017                                                                                                                                375
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