DIE SPRACHE DER BILDER IN DER WISSENSCHAFT

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DIE SPRACHE DER BILDER IN DER WISSENSCHAFT
philoSCIENCE

 DIE SPRACHE DER BILDER
 IN DER WISSENSCHAFT
                                                                           Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.
                                                                           In der Wissenschaft können Bilder
                                                                           oder Graphiken sogar die Weltsicht
                                                                           revolutionieren. Bilder und
                                                                           Grafiken sind heute – mehr noch
                                                                           als je in der Vergangenheit – in
                                                                           wissenschaftlichen Abhandlungen
                                                                           unverzichtbar. Wir können heute
                                                                           jene genialen Bilder identifizieren,
                                                                           die in der Vergangenheit die
                                                                           Weltsicht revolutionieren konnten.
                                                                           Es gab damals aber natürlich auch
                                                                           Bilder, welche die – wie wir heute
                                                                           wissen – falschen Vorstellungen
 Abb. 1: Rückläufigkeit des Mars                              Foto: NASA im Bewusstsein fixierten.

                                                                           Im ersten Teil des Artikels
 werden zwei der wichtigsten wissenschaftlichen Weichenstellungen der letzten Jahrhunderte behandelt.
 Aber wichtiger als der Blick in die Vergangenheit ist natürlich jener in die Zukunft. So wie es in der
 Vergangenheit Bilder gab, die falsche, aber damals natürlich noch „moderne“ Vorstellungsbilder im
 Bewusstsein fixierten, so muss es auch heute Bilder geben, die falsche Vorstellungen fixieren. Es ist fatal, wenn
 falsche Bilder in der Lehre eingesetzt werden und damit falsche Vorstellungen über Generationen festigen.

 Es ist aber herausfordernder und auch wesentlich schwieriger, jene Bilder zu identifizieren, die momentan
 die Weiterentwicklung der Weltsicht behindern. Noch viel größer sind die Schwierigkeiten, einen
 leicht verständlichen Nachweis zu führen, dass das besprochene Bild tatsächlich die Weiterentwicklung
 der Weltsicht behindert. Dies soll im 2. Teil des Artikels anhand eines Bildes versucht werden.

 Von Wigbert Winkler

14   Abenteuer Philosophie / Nr. 123
DIE SPRACHE DER BILDER IN DER WISSENSCHAFT
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Bilder, die die Welt veränderten1
Wie Kopernikus mit einem                            nicht einfach ein allgemein anerkanntes             dies ebenfalls mit einem Bild, einer Grafik.
Bild die Welt veränderte.                           Paradigma als falsch zu entlarven. Es gelang        Der Wandel im Weltbild ist gewaltig, denn
                                                    ihm schließlich mit einer Grafik, welche die        er hat damit dem Begriff der Schöpfung
   Eines der größten Rätsel der antiken Ast-        Rückläufigkeit der Planeten in einem helio-         eine neue Idee entgegengestellt, die Idee
ronomie war die so genannte Rückläufigkeit          zentrischen Weltbild sehr logisch erklären          der Entwicklung der Arten, die Idee der
der Planeten.                                       konnte.                                             Evolution.
   In dem nebenstehenden Foto aus dem                                                                      Das Bild, mit dem er dies schaffte,
Jahre 2003 ist die Rückläufigkeit des Mars                                                              tauchte schon 1837 in seinem Notizbuch
genial dargestellt. Es entstand, indem man                                                              auf. Die ersten beiden Worte, „I think“,
die obige Himmelsregion während des                                                                     sind bezeichnend. Es zeigt einen Stamm-
Durchgangs des Mars täglich fotografierte.                                                              baum, eine zunehmende Spezialisierung
Die Fixsterne veränderten ihren Platz logi-                                                             der Arten, es zeigt auch die Möglichkeit
scherweise nicht, der Mars aber war jeden                                                               einer Sackgasse der Entwicklung und damit
Tag weitergewandert und schließlich – für                                                               das Aussterben eines Spezialisierungsastes.
die Antike unerklärlich – umgekehrt, um
sich dann schließlich wieder in die gewohnte
Richtung zu bewegen. In der Antike gab es
hier einige Erklärungen. Ptolemäus, ein
Bibliothekar in Alexandria, entwickelte
ein komplexes System aus übereinander
gelegten Kreisbahnen, um die seltsamen
Rückläufigkeiten zu erklären.                       Abb. 3: Erklärung der Rückläufigkeit durch
                                                    Kopernikus

                                                       Diese augenscheinliche Erklärung ent-
                                                    larvte die Rückläufigkeit als ein optisches
                                                    Phänomen, das sich aus den Bahnbewegun-
                                                    gen von Erde und dem jeweiligen Planeten            Abb. 4: Blatt aus Darwins Notizbuch mit der
                                                    ganz einfach erklären lässt. Diese Augen-           Idee des „Stammbaumes“ der Arten
                                                    scheinlichkeit setzte sich schließlich durch.
                                                    Diese moderne Erklärung hatte nun einen                Diese inzwischen allem zugrunde
Abb. 2: Erklärung der Rückläufigkeit im             weiteren gewichtigen Vorteil. Man hatte             liegende Idee der Entwicklung hat das
ptolemäischen Weltbild durch die Epizykel           nun erstmals auch einen Ansatz für eine             Bewusstsein der Welt nachhaltig beein-
                                                    physikalische Deutung des Phänomens, die            flusst.
   Die Erde konnte bei diesem Erklärungs-           Gravitation. Mit ihr konnten sehr viele bis            Hier muss man allerdings anmerken,
system im Mittelpunkt bleiben. Die Planeten         dahin unabhängige Phänomene, die Fall-              dass die Idee der Evolution nicht ganz so
bewegten sich auf Kreisbahnen um die Erde,          gesetze, die Planetenbewegungen wie dann            siegreich war wie jene des Heliozentrismus
wobei zur Erklärung der Rückläufigkeit dar-         später auch die Entstehung von Himmels-             des Kopernikus. Der Kampf zwischen dem
auf noch eine zweite Kreisbahn angeordnet           körpern, Galaxien und sogar des gesamten            Kreationismus und der Evolutionstheorie
wurde, so genannte Epizykel. Damit konn-            Universums erklärt werden.                          ist noch immer nicht vollständig entschie-
ten die scheinbaren Bahnen am Himmel                                                                    den. Dies ist auch logisch, denn, auch wenn
sehr gut berechnet werden. Was fehlte, war          Wie Darwin die Entstehung                           die Evolutionstheorie weite Strecken der
allerdings eine physikalische Erklärung für         der Arten erklärte                                  Entwicklung von Pflanzen, Tieren und
die komplexe Bewegung.                                                                                  auch dem Menschen verständlich machen
   Gegen diese allgemein anerkannte Erklä-            Darwin hat das Bewusstsein der Welt               kann, so ist doch die Frage des (letzten)
rung musste Kopernikus antreten. Es war             ähnlich stark verändert wie Kopernikus und          Ursprungs von allem damit nicht erklärt.

1 Die Beispiele dieses ersten Teiles hat der US-amerikanische Universitätsprofessor Alan Gross im Sommersemester bei einem Vortrag an der Alpe-Adria-Uni-
  versität in Klagenfurt erwähnt. Dieser Vortrag hat mich auch zu dem vorliegenden Artikel inspiriert.
DIE SPRACHE DER BILDER IN DER WISSENSCHAFT
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 Ein Bild, das die Weiterentwicklung des                                                       Strömung. Der andere Schwimmer muss
                                                                                               eine Boje, die sich normal zur Fließrich-

 Weltbildes behindert                                                                          tung befindet, erreichen. Damit er nicht
                                                                                               abdriftet, muss er etwas gegen die Fließrich-
                                                                                               tung schwimmen, sowohl beim Hinweg als
                                                     Um das Bild (Abb. 5) zu verstehen, müs-   auch beim Rückweg. Dies bedeutet, dass er
    Es muss zu jeder Zeit immer eine Fülle        sen wir ein wenig in der Zeit zurückgehen    einen weiteren Weg zurücklegen muss als
 von Vorstellungen geben, die sich in der         und uns klar werden, vor welchem Problem     der andere Schwimmer und es ist somit
 Zukunft als falsch erweisen werden. Natür-       man am Ende des 19. Jahrhunderts stand.      zu erwarten, dass er für diesen Weg länger
 lich ist es da interessant, sich VOR dem         Im 19. Jh. zählte der Lichtäther zum Para-   braucht.
 Wandel Gedanken zu machen, was an der            digma der Physik. Man erklärte damit die
 gängigen Weltsicht falsch sein könnte.           Wellen-eigenschaften des Lichts. Da Licht
    Man kann für jede Zeit Visualisierungen       nachgewiesenermaßen als Welle erkannt                                Fließweg
 oder zumindest Vorstellungsbilder iden-          war, brauchte es auch ein Transportme-
 tifizieren, die eine zum damaligen Zeit-         dium, so wie der Schall die Luft oder das
 punkt zwar moderne, aber dennoch falsche,        Wasser als Transportmedium braucht. So
 Vorstellung unterstützen. Es müssen somit        wie der Schall ein Erregungszustand im
 derartige „falsche“ Bilder natürlich auch        jeweiligen Transportmedium ist, so wäre
 heute existieren.                                Licht als Welle ein Erregungszustand in
    Wenn man ein derartiges Bild identifi-        seinem Transportmedium, dem Lichtäther.
 zieren und seine Fehler nachweisen kann,         Dieser Erregungszustand pflanzt sich mit
 dann könnte dies den (sicher kommenden)          der jeweiligen für das Transportmedium
 Wandel von morgen schon heute beginnen           charakteristischen Geschwindigkeit fort.                             Fließweg
 lassen.                                             Um diesen Lichtäther zu beweisen, hatte
    Hier möchte ich eines dieser den Wandel       der amerikanische Physiker Albert Abra-      Abb. 7. Das Prinzip des Michelson-Morley-
 behindernden Bilder vorstellen:                  ham Michelson ein geniales Experiment        Versuches. Die Zeitdifferenz ergibt sich aus
                                                                                               dem längeren Weg, wenn man sich normal zur
                                                  entwickelt, das er 1881 alleine und 1887
                                                                                               Flussrichtung bewegen muss.
                                                  mit dem amerikanischen Chemiker Edward
 Das Bild vom Ätherwind
                                                  Morley durchführte. Bei dem Experiment
   Es sei voraus geschickt, dass es sich bei      wurde Licht in zwei Strahlen aufgespaltet        Dies nun umgelegt auf das Licht, ist die
 diesem Bild nicht um eine der gängigen           und in zwei Richtungen geführt und dann       Idee des Michelson-Morley-Versuches.
 Vorstellungen handelt, sondern um ein Bild,      wieder in Interferenz gebracht.               Allerdings wusste man vom - unsichtbaren
 das einen so genannten „Irrtum“ der Wis-                                                      - Äther keine Richtung, aus der er kommen
 senschaft illustriert und „erklärt“. Die sich                                                  könnte. Wenn es gelänge, eine Zeitdifferenz
 daraus ergebende falsche Interpretation                                                        für die beiden normal zueinander stehen-
 hat zu einer wichtigen Weichenstellung in                                                      den Lichtwege zu messen, dann hätte man
 der Physik geführt, die deren Entwicklung                                                      nur eine beliebige Differenzkomponente in
 noch heute behindert.                                                                          einem Ätherwind gemessen. Bei dem Expe-
                                                                                                riment konnte man aber die Vorrichtung
                                                                                                horizontal drehen und so den Winkel mit
                                                  Abb. 6: Aufbau des Michelson-Morley-          der größten Differenz für die beiden Licht-
                                                  Versuches                                     wege bestimmen. Da sich die Erde um die
                                                                                                eigene Achse dreht und so im Laufe eines
                                                     Um zu verdeutlichen, wie man damit         Tages doch sehr unterschiedliche Stellungen
                                                  einen Ätherwind messen wollte, denken         zu einem angenommenen Ätherwind ein-
                                                  wir uns zwei vollkommen gleich schnelle       nimmt, sollte die Richtung des Ätherwindes
                                                  Schwimmer, die in einem Fluss von einer       auch gut eruierbar sein.
                                                  Plattform aus jeweils eine vollkommen            Das von uns besprochene Bild (Abb. 5)
                                                  gleich weit entfernte Boje anschwimmen        vom Ätherwind zeigt nun noch, dass man
 Abb. 5: Grafik zu den Vorstellungen des Äthers   und wieder zur Plattform zurückkehren         innerhalb eines Jahres doch sehr unter-
 bzw. des Ätherwinds, das zur Erklärung           sollen (Abb. 7). Der eine Schwimmer ist       schiedliche Positionen zu dem angenom-
 des „Misserfolges“ des Michelson-Morley-
                                                  in Flussrichtung unterwegs, zuerst mit der    men Ätherwind einnehmen kann. Da die
 Versuches verwendet wird
                                                  Strömung und dann am Rückweg gegen die        Erde sich mit einer Geschwindigkeit von

16   Abenteuer Philosophie / Nr. 123
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etwa 30 km/sec um die Sonne bewegt, soll-      Äther als für seine Überlegungen nicht not-           Aber wir wollen nun das obige Bild
ten doch ziemlich große Differenzwerte         wendig und erstaunlicherweise genügte dies,        genauer untersuchen, um die dadurch sug-
messbar sein.                                  um den Äther zunächst aus der Physik zu            gerierten falschen Vorstellungen zu entde-
  Obwohl man damals fast nichts über den       verbannen.                                         cken. Bei dieser Untersuchung geht es vor
Äther wusste, erwartete man Werte in der          So gab es dann gute Voraussetzungen für         allem um die mögliche Ausrichtung des
Größenordnung von 30 km/sec. Als dann          die Durchsetzung der Speziellen Relativi-          Ätherwindes und die dabei zu erwartenden
aber nur erheblich geringere Werte von 5       tätstheorie und auch für die Quantentheorie,       Ergebnisse.
km/sec (1881) und 7,5 km/sec (1887 in          die von einer körnigen Struktur der Materie           In der Abb. 8 wird ein hypothetischer
größerer Höhe) gemessen wurden, erklärte       ausging, mit nichts, also vollkommenem             Ätherwind genau in der Ebene der Eklip-
man den Versuch für gescheitert. Damit         Vakuum, zwischen den Teilchen. (Es sei             tik, also der Bahnebene der Erde um die
                                               noch vermerkt, dass man sich damit einige          Sonne, dargestellt. In einem so ausgerich-
                                               bis heute ungelöste Probleme einhandelte.          teten Ätherwind ist in der Nähe der Posi-
                                               Sehr augenscheinlich ist die Schwierigkeit,        tionen A und A’ ein großer Messwert zu
           Fließrichtung                       die Übertragung von Kräften insbesondere           erwarten, weil sich die Erde einmal gegen
                                               im zunächst als leer gedachten Vakuum zu           den Ätherwind bewegen muss. Wenn man
                                               erklären, seien es magnetische oder Gra-           allerdings, wie dies Michelson und Morley
                                               vitationskräfte und auch die Kernkräfte.)          gemacht haben, nur an 3 aufeinander fol-

                                                                                                A
                                                                                                                           Ätherwind

                                                            B                                                             D

war der Äther diskreditiert, ein Weltbild                                                       C
war angekratzt.
   Einen Ausweg suchte Hendrik Antoon
Lorentz, ein holländischer Mathematiker
und Physiker, der nun annahm, dass sich        Abb. 8: Ätherwind in der Ekliptikebene
einer der beiden Arme der Versuchseinrich-
tung durch den anströmenden Ätherwind
verkürzt hätte. Er entwickelte dafür mit dem
phytagoräischen Lehrsatz die als Lorentz-
Transformation bekannt gewordene Formel.                                                       A
Ein zweiter Erklärungsversuch Lorentzs war                                                                                 Ätherwind
auch, einen völlig ruhenden Äther zu postu-
lieren, wo man keine Differenz messen kann.
Da die Erde auf ihrem Weg um die Sonne
doch ihre Richtung verändert, erschien                      B                                                              D
auch der zweite Erklärungsversuch ziem-
lich unlogisch. Seine Vorschläge wurden
zwar beachtet, aber schließlich verworfen.
   Ein junger Physiker in Bern nahm die                                                         C
Formel von Lorentz und setzte (statt der
Länge) die Zeit relativ. Dieser Physiker war
Einstein, der damit die Relativitätstheorie
begründete, die dann alsbald sehr ernst        Abb. 9: Bei der Richtung des Ätherwindes senkrecht zur Ekliptik wirkt sich die
genommen wurde. Einstein erklärte den          Bahngeschwindigkeit der Erde nicht aus.

                                                                                                          Nr. 123 / Abenteuer Philosophie   17
DIE SPRACHE DER BILDER IN DER WISSENSCHAFT
philoSCIENCE

                                                                                                chen Versuchen von Dayton Miller auch
                                                                                                saisonale Maxima. All dies war erwartet
                                                 A                         Äthermitnahme
                                                                                                worden, ist eingetreten und deutet somit
                                                                                                keineswegs auf einen Messfehler.
                                                                     durch die Erddrehung

               B
                                                                     D

                                 C                                  Ätherwirbel
                                                                    im Sonnensystem

 Abb. 10: Der Effekt der Äthermitnahme führt zu geringen Messwerten für den
 Ätherwind                                                                                      Abb 11: Darstellung der Veränderungen der
                                                                                                Messwerte von Dayton Miller (1925 - 1926) im
                                                                                                Tagesverlauf = Erddrehung im Raum
 genden Tagen misst, dann kann man auch         disqualifizieren, weil auch ein Nullergebnis       Dayton Miller hat 1926 seine umfangrei-
 das Pech haben, in der Nähe der Potionen B     das Vorhandensein eines Äthers nicht hätte      chen Daten benutzt, um die Richtung des
 kaum unterschiedliche Messwerte zu erhal-      ausschließen können. Dann wäre man bei          Ätherwindes abzuschätzen. Er ist zu einem
 ten, weil sich die Erde mit dem Ätherwind      der Abschätzung der Lichtgeschwindig-           interessanten Ergebnis gekommen und hat
 mitbewegt.                                     keitsdifferenzen zu viel geringeren Werten      sogar einen Ätherwind von ca. 208 km/sec
    Da die Richtung des Ätherwinds aber         gekommen.                                       ermittelt. Dies wird bis heute vollkommen
 völlig unbekannt war, dürfen auch andere          Für diese Annahme spricht auch, dass         ignoriert.
 Richtungen keineswegs ausgeschlossen wer-      sich eine Abhängigkeit der gemessenen              Interessant ist in diesem Zusammenhang
 den. Wenn wir ein anderes Extrem anneh-        Werte von der Meereshöhe ergeben hat –          auch der Umstand, dass das Ergebnis des
 men, nämlich die Richtung senkrecht auf        je höher der Versuchsstandort, desto höher      Michelson-Morley-Versuches heute von
 die Bahnebene der Erde um die Sonne, dann      die Messwerte.
 sind keinerlei jahreszeitliche Unterschiede       Es ist allerdings auch eine Ätherbewe-
 zu erwarten (Abb. 9). Es gibt keine Auswir-    gung um die Sonne denkmöglich. In all
 kung der Bahngeschwindigkeit der Erde          diesen Fällen, sind nur kleine Messwerte
 um die Sonne. Damit zeigt sich der mit         zu erwarten (Abb. 10).
 30 km/sec angenommene Erwartungswert              Es gibt aber noch einige wichtige Aspekte,
 als willkürlich und wissenschaftlich nicht     die über das Bild hinausgehen, aber deutlich
 gerechtfertigt.                                zeigen, dass es unwissenschaftlich war, den
    Ein wesentlicher, aber damals schon         Äther zu verwerfen und den Michelson-
 experimentell ermittelter Aspekt wurde         Morley-Versuch als Nullergebnis auszu-
 völlig vernachlässigt – die Äthermitführung.   weisen.
 Der Fizeau-Versuch mit fließendem Wasser          Der Fizeau-Versuch hat sehr geringe
 hatte schon einige Jahrzehnte vorher erge-     Geschwindigkeitsdifferenzen im Bereich
 ben, dass die Lichtgeschwindigkeit von strö-   von m/sec nachweisen können. Ein Mes-
 mendem Wasser erheblich beeinflusst wird.      sergebnis in der Größenordnung von km/
 Schon eine geringe Wassergeschwindigkeit       sec als Messfehler abzutun, erscheint danach
 im Bereich von m/sec hatte zu messbaren        völlig unverständlich.
 Lichtgeschwindigkeitsdifferenzen geführt.         Die Ergebnisse der verschiedenen Ver-
    Hätte man die berücksichtigt, wäre zu       suche zeigen auch eine deutliche Struktur.
 erwarten gewesen, dass ein Äther sich mit      Die Ergebnisse jeder Versuchsreihe ergeben
 der Erdoberfläche einigermaßen mitbewegt,      eine klare Messrichtung, in der die Licht-
 so wie sich auch die Atmosphäre mit der        geschwindigkeitsdifferenz ein klares Maxi-      Abb. 12: Die als falsch identifizierten
 Erdoberfläche mitbewegt. Im Extremfall         mum ergibt. Ebenso gibt es klare Tagesma-       Bilder sollten an geeigneter Stelle als
 könnte dies sogar die Versuchsanordnung        xima und es gibt bei den sehr umfangrei-        falsch gekennzeichnet werden.

18   Abenteuer Philosophie / Nr. 123
DIE SPRACHE DER BILDER IN DER WISSENSCHAFT
philoSCIENCE

 anerkannten Physikern als Nullergebnis             Das dargestellte Beispiel zeigt nun wie
 dargestellt wird, obwohl alle Originalar-       sehr ein Bild die Vorstellungen beeinflus-
 beiten von Michelson, Morley und Miller         sen kann. Das Bild vom Äther (Abb. 5) ist
 von erheblichen gemessenen Geschwin-            grob irreführend. Die Annahme eines in
 digkeiten zwischen 5 und 15 km/sec (bzw.        Richtung der Ekliptik „wehenden“ Äthers
 sogar 208 km/sec) angeben. Wahrscheinlich       ist und war voreilig und, wie die Analyse
 wird hier eine einmal oberflächliche Beur-      zeigt, sogar naiv. Es ist Zeit für klare und
 teilung des Michelson-Morley-Versuches          vor allem bessere Analysen.
 immer wieder zitiert. Diese Beurteilung
 hat sich inzwischen vom ursprünglichen          Wie wichtig ist das Bild
 falschen Zitat getrennt und ist zu einem
 Paradigma geworden. Problematisch ist,          vom Ätherwind?
 dass damit jede angemessene Diskussion              Das Bild stützt die Vorstellung, dass
 der Ergebnisse verhindert wird. Sehr             es keinen Äther gibt. Die Vorstellung der
 bedenklich ist, dass der falsche Begriff         Existenz eines Äthers, einer sehr feinen
„Nullergebnis“ auch in Schulbüchern auf-          und trotzdem sehr dichten Materienart,
 taucht und somit falsche Vorstellungen in        würde unser Weltbild grundlegend revo-
 Generationen von Schülern und Studenten          lutionieren, weil es alle Lebensbereiche
 verankert.                                       betrifft. In der Physik fallen dann die
    Aus all dem kann nun klar geschlos-           Relativitätstheorien, die Urknalltheorie
 sen werden, dass das Vorhandensein des           und die Quantenphysik. Es würde zu einer
 Lichtäthers durch den Michelson-Morley-          neuen Gravitationstheorie und zu neuen
 Versuch als erwiesen gelten sollte. Natürlich    Theorien in vielen anderen Bereichen der
 könnte man dies durch moderne Versuche           Wissenschaft führen. Es wäre zu erwarten,
 untermauern. So wäre ein Michelson-Mor-          dass es damit für die in nächster Zeit zu
 ley-Versuch in der Stratosphäre hochinter-       erwartenden Energieengpässe neue Lösun-
 essant, denn er könnte, über den Beweis des      gen geben würde (Stichwort: freie Energie).
 Äthers hinaus, noch viel über die Struktur       Die Medizin würde ihre Vorstellungen
 und Dynamik des Ätherwinds zeigen.               von Krankheit und Heilung modifizieren,
                                                  denn man hätte nun eine Möglichkeit die
                                                  Grenzbereiche der Medizin genauer zu
                                                  untersuchen. Die Religionen würde lang-
                                                  fristig bestätigt werden, denn die feinstoff-
                                                  lichen Ebenen ermöglichen es, viele Glau-
                                                  bensgrundsätze, wie das Weiterleben nach
                                                  dem Tod, das Thema der Reinkarnation,
                                                  in einem neuen Licht zu betrachten. Die
                                                  ewigen Fragen des Menschen nach dem
                                                 „Woher komme ich“, „Wer bin ich?“, „Wohin
                                                  gehe ich?“ würde zu neuen Sichtweisen
                                                  über Leben und Existenz führen.

                                                 Wie kann man die Macht der
                                                 falschen Bilder brechen?
                                                    In unserer heutigen Zeit sind Bilder
                                                 wichtiger denn je. Es gibt noch viele andere
                                                 in den Wissenschaften oft benutzte Bilder
                                                 und Grafiken, die einer genauen Analyse
                                                 nicht standhalten. Wenn wir wirklich „fort-
                                                 schreiten“ wollen, sollten wir diese iden-
                                                 tifizieren und da wir sie nicht eliminieren
                                                 können, als falsch identifizieren. ☐

                                                                                                  Nr. 123 / Abenteuer Philosophie   19
DIE SPRACHE DER BILDER IN DER WISSENSCHAFT
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