Diese Zürcher Genossenschaft feilt an der perfekten Welt
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Diese Zürcher Genossenschaft feilt an der perfekten Welt - News Zürich: Stadt Zürich - tagesanzeiger.ch 17.02.20, 09:31 Diese Zürcher Genossenschaft feilt an der perfekten Welt Indem sie die Bewohner nach Eigenschaften wie sexueller Orientierung auswählt, will eine Genossenschaft die Langstrasse retten. Nicht alles geht auf wie geplant. Marius Huber Redaktor Zürich @tagesanzeiger 06:25 Genossenschaft Kalkbreite Die Genossenschaft Kalkbreite ist eine junge Genossenschaft, die im Sommer 2007 von Leuten aus den Quartieren rund um die Zürcher Seebahnschlaufe gegründet worden ist. Damals mit dem konkreten Ziel, auf dem städtischen Areal des Tramdepots an der Kalkbreite eine innovative Siedlung zu bauen, die hohen ökologischen und sozialen Ansprüchen genügt und dabei neue Wege geht: Ein Fünftel der Bewohnerinnen und Bewohner teilt sich einen Grosshaushalt mit gemeinsamer Küche und Aufenthaltsraum. Das Experiment stösst seit der Realisierung 2014 auf viel Interesse, aber auch auf einige Skepsis. Das Zollhaus ist die Das Zollhaus an der Langstrasse: Ende Jahr ziehen hier 190 gezielt selektierte Menschen ein. Bild: zweite Siedlung der Genossenschaft. Sie hat Reto Oeschger das 5000 Quadratmeter grosse Areal 2014 von den SBB und der Stadt Zürich kaufen können. (hub) Noch verbindet die Langstrassenunterführung nur ein Zürcher Stadtquartier, aber schon bald wird sie die Direktverbindung zwischen zwei Welten sein. An ihren Ausgängen manifestieren sich auf ehemaligen Bahnarealen zwei Ideen von Stadt, die Artikel zum Thema unterschiedlicher kaum sein könnten. Wenn sie eine Gemeinsamkeit haben, dann diese: beide lösen kontroverse Reaktionen aus. Wie sich Zürich schönredet Auf der einen Seite ist da die Europaallee, von manchen verschrien als Gentrifizierungs-Supertanker, der sich mitten ins Quartier schiebt. Vollgeladen mit Wohnungen wie jener, die erst kürzlich ausgeschrieben war: 5 Zimmer, moderner Komfort in urbaner Umgebung, für fast 5700 Franken im Monat. So was richtet sich an eine Kundschaft, die früher nicht geschenkt in die Nähe des Rotlichtviertels https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/diese-zuercher-genossenschaft-feilt-an-der-perfekten-welt/story/21211129 Seite 1 von 4
Diese Zürcher Genossenschaft feilt an der perfekten Welt - News Zürich: Stadt Zürich - tagesanzeiger.ch 17.02.20, 09:31 gezogen wäre. Auf der anderen Seite hat eben erst das Zollhaus Richtfest gefeiert, eine Dépendance der Genossenschaft Kalkbreite, die sich ausdrücklich als Anti-Gentrifizierungs- Projekt versteht. Auch hier wird mit hippen Läden, mit Cafébar und Gelateria geworben, aber die Wohnungen kosten nicht mal die Hälfte. Dennoch wurde auch das Zollhaus im Voraus mit Kritik bedacht. Gut gemeint sei nicht das Gleiche wie gut gemacht, war noch einer der zivileren Kommentare. Grund dafür war der penible Kalkbreite und Europaallee? Finden alle Kriterienschlüssel für die Vergabe der Wohnungen. Ein paar Beispiele: super – das zumindest bekamen Münchner Stadtplaner auf einer Inspirationstour zu 33 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner im Zollhaus sollten Ausländer sein hören. Mehr... – und zwar möglichst so, dass dies auch «sicht-, les- und hörbar» ist. Charlotte Theile*. 22.09.2017 30 Prozent sollten einen «tiefen sozialen Status» haben und 5 Prozent arbeitslos sein. Hallenwohnen an der Altersmässig sollten 15 Prozent über 65 Jahre alt sein und 13 Prozent unter 16 Langstrasse Jahre. Im Kreis 5 ist ein aussergewöhnlicher Wohn- und Gewerbebau geplant. Im jüngsten 5 Prozent sollten Kinder mit alleinerziehenden Eltern sein. Projekt der Genossenschaft Kalkbreite wird 5 Prozent sollten eine Behinderung haben. es eine neue Wohnform geben. Mehr... 5 Prozent sollten lesbische und schwule Paare sein oder solche, die anderweitig Von Tina Fassbind 24.06.2015 von der Hetero-Norm abweichen. Der ideale Mieter: Ausländer, schwul, alleinerziehend Wie die Genossenschaft Kalkbreite entscheidet, wer bei ihr wohnen darf – ein Arbeitspapier gibt die ideale prozentuale Mischung vor. Mehr... ABO+ Marius Huber. 26.04.2018 Der Kriterienkatalog für die Erstvermietung. Bild: TA Damit verfolgt die Genossenschaft zwei erklärte Ziele: Einerseits will sie zum Erhalt der herkömmlichen sozialen Durchmischung des Quartiers beitragen. Andererseits will sie jenen Gruppen eine Chance geben, die auf dem freiem Wohnungsmarkt mit Diskriminierungen rechnen müssten – im Zollhaus werden sie bevorzugt oder «positiv diskriminiert», wie es im Fachjargon heisst. Umfrage Die Genossenschaft Kalkbreite wählt ihre Bewohner nach einem peniblen Kriterienschlüssel aus. Finden Sie das sinnvoll? Ja, so haben alle eine Chance auf eine Wohnung https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/diese-zuercher-genossenschaft-feilt-an-der-perfekten-welt/story/21211129 Seite 2 von 4
Diese Zürcher Genossenschaft feilt an der perfekten Welt - News Zürich: Stadt Zürich - tagesanzeiger.ch 17.02.20, 09:31 Nein, positive Diskriminierung bleibt Diskriminierung Abstimmen In der Praxis wirft dies die heikle Frage auf, wie man solche Kriterien abfragen kann, ohne die Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Die Siedlung Kulturpark in Zürich-West versuchte es vor fünf Jahren mit einem Fragebogen und wurde dafür vom Zürcher Mieterverband scharf kritisiert. Im Zollhaus machte sich eine Erstvermietungskommission an das komplexe Puzzle, aus rund 330 Bewerbungen jene auszuwählen, die in ihrer Gesamtheit den Prozentvorgaben am besten entsprechen. Dieser Prozess ist inzwischen abgeschlossen. Aus den abstrakten Zahlen sind 190 Namen und Gesichter geworden. Die Frage der sexuellen Orientierung wurde dabei nicht gestellt, wie Genossenschafts-Sprecherin Aline Diggelmann sagt – es war also niemand gezwungen, entsprechende Angaben zu machen. Oft habe sich dies aber aus den Vorstellungsschreiben der Leute herauslesen lassen. Lage der Siedlung Zollhaus Zollhaus Zollhaus Hauptbahnhof Hauptbahnhof N Zollhaus © OpenStreetMap contributors Zollhaus Es gab Punkte, in denen sich die Genossenschaft von ihren Idealvorstellungen lösen musste. Schwer tat sie sich etwa damit, das Zollhaus zu einer Bastion fürs Büezertum zu machen, das aus dem Quartier verdrängt wird. Leute mit wenig Geld und geringer Bildung stehen in Konkurrenz mit solchen, die zwar wenig verdienen, aber Hauptbahnhof einen Hauptbahnhof Hochschulabschluss haben. Obwohl erstere konsequent bevorzugt wurden, sind Akademiker im Zollhaus jetzt übervertreten – es meldeten sich einfach viel mehr, angezogen vom Image der Genossenschaft, die auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit setzt. Es ist ein Gentrifizierungseffekt, der nichts mit dem Portemonnaie zu tun hat, sondern mit sozialem Status. Fürs Zollhaus bewarben sich auch unerwartet viele junge Familien. Die Erstvermietungskommission entschied deshalb, den Kinderanteil in der Siedlung zu verdoppeln. Umgekehrt fehlt es an Über-65-Jährigen, weil viele von ihnen lieber in https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/diese-zuercher-genossenschaft-feilt-an-der-perfekten-welt/story/21211129 Seite 3 von 4
Diese Zürcher Genossenschaft feilt an der perfekten Welt - News Zürich: Stadt Zürich - tagesanzeiger.ch 17.02.20, 09:31 einer kleinen Wohnung leben wollten als in einer Alters-WG. Solche Kleinwohnungen waren aber nicht für diese Anspruchsgruppe reserviert, sondern sollten auch anderen zugänglich sein. Ein Stück weit schlägt hier auch die Realität des Quartiers aufs Zollhaus durch: Im 500-Meter-Umkreis der Langstrassenunterführung leben heute relativ wenige Menschen im Rentenalter. Der hohe Kinderanteil in der neuen Siedlung wird für diesen Ort hingegen aussergewöhnlich sein. 1 | 11 Das neue Forum: Der offene Innenraum erstreckt sich - . über drei Etagen und bildet das Herzstück der neuen Siedlung. Bild: Visualisierungen: Meyer Dudesek, Zürich (11 Bilder) Obwohl die Zielgrössen nicht punktgenau erreicht wurden, ist die Vermietungskommission der Genossenschaft zufrieden. Es habe zwar enttäuschte Telefonate gegeben von Bewerberinnen und Bewerbern, die nicht zum Zug kamen, sagt Aline Diggelmann, aber keine Grundsatzkritik. Walter Angst, Sprecher des Zürcher Mieterverbands, wertet es positiv, wenn Genossenschaften versuchen, mit der Vermietung einen Beitrag zum Erhalt eines vielfältigen Stadtquartiers zu leisten. «Es ist erfreulich, dass das Zollhaus gezielt Haushalte berücksichtigen will, die keine Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben.» Allerdings gebe es für ihn eine Grenze: Diese sei erreicht, wenn über die Vermietung Identität und Lebensweise der Bewohnerinnen und Bewohner gestaltet werden solle. Die Frage, ob eine kleine Siedlung wie das Zollhaus wirklich ein Labor für eine andere Quartierentwicklung sein kann, ist für Angst genauso offen wie für die Genossenschafter selbst. Das Experiment beginnt Ende Jahr, dann ziehen die 190 gezielt selektierten Menschen ins Zollhaus ein. Erstellt: 17.02.2020, 06:25 Uhr Ist dieser Artikel lesenswert? Ja Nein https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/diese-zuercher-genossenschaft-feilt-an-der-perfekten-welt/story/21211129 Seite 4 von 4
Sie können auch lesen