Digitale Zwillinge für Verteilnetze - IED Gruppe

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Digitale Zwillinge für Verteilnetze - IED Gruppe
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                                                                                                            Rendering eines Mittel-
                                                                                                            spannungsraums.

           Digitale Zwillinge
           für Verteilnetze
           BIM-Lösungen für Anlagen und Stationen | Die Vorteile von produktunabhän-
           gigen BIM-Lösungen für grosse Infrastrukturprojekte sind weltweit mit Referenz-
           projekten belegt. Verfahrenstechnik, Maschinenbau und Autohersteller sind nur
           einige Industrien, die mit Digitalen Zwillingen ihre Produkte und Anlagen opti-
           mieren. Aber welchen Nutzen kann BIM heute Energieversorgern bringen?

           TEXT ANDREA HEUBEL , OLIVER FUNK

           D
                    er Treiber für Building Infor-   zen wie für andere Grossprojekte: Ver-   eines planerischen Paradigmenwech-
                    mation Modelling (BIM) ist die   meidung von Planungsfehlern, Verkür-     sels noch nachvollziehbar sind, ist der
                    volkswirtschaftliche Bedeu-      zung der Planungs- und Bauzeiten,        Nutzen von BIM im Verteilnetz längst
           tung von Infrastrukturprojekten.          Senkung der Kosten. National Grid        nicht so offensichtlich. Um die mögli-
           Regelmässige Termin- und Kosten-          (UK), Duke Energy (USA), State Grid      chen Vorteile erkennen zu können,
                                                                                                                                         Bilder: Salzmann AG IED Engineering

           überschreitungen belasten nicht nur die   Comp. (China), Diamond Power (Kam-       braucht es einen näheren Blick auf das
           öffentlichen Haushalte, sie bremsen das   bodscha) sind nur einige Beispiele für   Vorgehen.
           Wirtschaftswachstum.[1] In England,       Utilities, die in ihren Unterwerkspro-
           Finnland, Russland, China und weite-      jekten mittlerweile auf BIM als Stan-    Modellieren vs. 3D-Zeichnen
           ren Ländern ist daher BIM für öffentli-   dard setzen.                             Mit BIM zu arbeiten heisst, Modelle zu
           che Bauprojekte zwingend vorgeschrie-        Während in Infrastrukturprojekten     entwickeln bis hin zu einer digitalen
           ben.[2] Für den Bau grosser Unterwerke    mit Investitionsvolumina im mehrstel-    Kopie des realen Objekts. Anhand
           stiftet BIM einen vergleichbaren Nut-     ligen Millionenbereich die Vorteile      eines Quaders lässt sich dies illustrie-

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              ren: Beim «Zeichnen» werden neun
              Striche miteinander verbunden; wenn
              die Höhe verändert wird, werden sie-
              ben davon angepasst – in jeder einzel-
              nen Perspektive. Beim «Modellieren»
              wird mit einer objektorientierten Soft-
              ware ein Quader mittels Attributen
              definiert. Wird das Attribut «Höhe»
              verändert, passt sich der Quader in
              allen Perspektiven, Schnitten und
              Schnittstellen zu anderen Objekten
              automatisch an. Mit Modellen zu
              arbeiten heisst daher auch, im Pla-
              nungstool zu berechnen, zu simulie-
              ren und modelleigene Plausibilitäts-                                                                   Transformatorenstation
              checks zu nutzen. Anpassungen                                                                          modelliert mit Revit.
              werden automatisiert über alle Inhalte
              des Modells übernommen, seien es
              Pläne, Kalkulationen, Komponenten-
              listen oder Montageabläufe. In
              Cloud-Lösungen arbeiten Planer
              unterschiedlicher Gewerke zeitgleich
              im selben Modell mit Real-Time-Über-
              prüfung der Schnittstellen. Ihr Projekt
              in Virtual Reality zu begehen, ist quasi
              ein Nebenprodukt.

              BIM-Lösungen
              für Anlagen und Stationen
              In der Anlagen- und Netzplanung wer-
              den Komponenten als Objekte model-
              liert und in der Datenbank hinterlegt.
              Das sind unter anderem Schaltanlagen
              und Transformatoren mit Schutzkom-
              ponenten, Verteilkabinen, Leitungs-
              trassen, Schächte, Kabelverbindungen
              und Kundenanschlüsse. Zu den Objek-
              ten werden Informationen hinterlegt,        Mitarbeitender der Salzmann AG: Das Modellieren ersetzt das klassische CAD-Zeichnen.
              wie z. B. technische Spezifikationen
              und Funktionalitäten, Anleitungen,
              Ersatzteillisten, Bilder. Mittlerweile      änderungen, werden von den damit              Der Effizienzgewinn setzt sich aus
              stellen immer mehr Lieferanten für          verbundenen Objekten automatisch            mehreren Komponenten zusammen:
              ihre Komponenten die BIM-Daten zur          übernommen. Mit einer eindeutigen           Der Aufbau und die Nutzung von
              Verfügung.                                  Zuordnung der realen Anlagenkompo-          BIM-Lösungen ist ein Hebel zur Stan-
                 Im weiteren Planungsprozess wer-         nenten vor Ort zum Modell stehen            dardisierung der technischen Doku-
              den die einzelnen Anlagenteile plat-        Anlagen- und Betriebsdaten jederzeit        mentationen und Planungsprozesse.
              ziert und miteinander funktional ver-       online zur Verfügung.                       Die Ablage aller Arten von Dokumen-
              knüpft. So sind z. B. diverse Verbraucher                                               ten erfolgt an einem Ort, d. h. in einem
              mit ihrer elektrischen Leistung einer       Der Nutzen von der Planung                  Modell, das stets abruf- und bearbeit-
              Elektroverteilung zugeordnet. Die           bis zum Rückbau                             bar ist. Ausführungspläne, Schemata,
              Software erkennt dabei fehlende und         Im Kern geht es darum, Anlage- und          Stücklisten und Kabellängen, Verbrau-
              fehlerhafte Verknüpfungen und rech-         Netzdaten nachhaltiger für das EVU zu       cherlisten und Kostenaufstellungen
              net die Gesamtlast aufgrund der Pla-        dokumentieren und zu nutzen. BIM-           werden zentral erstellt. Nach Abschluss
              nungsdaten. Alle Komponenten kön-           Tools sind technische Hilfestellungen.      der Planung sind alle Informationen
              nen in 3D hinsichtlich Zugänglichkeit,      Sich immer wiederholende Arbeiten,          für Bau, Betrieb und Instandhaltung
              Beleuchtung, Erdung, Entwässerung,          wie sie z. B. in der Planerstellung vor-    im Modell abgelegt, verfügbar und
              usw. geprüft werden. Automatische           kommen, werden automatisiert. Die           aktualisierbar.
              Plausibilisierungschecks stellen sicher,    bisher zeichnerischen Tätigkeiten wer-      Während der Bauphase stellt die kon-
              dass alles korrekt zusammenspielt.          den aufgewertet. Das schafft Kapazitä-      sequente Nachführung eines Modells
Bilder: XYZ

              Anpassungen an einzelnen Kompo-             ten für wesentliche Beiträge zu Ausbau      statt einer Vielzahl von Plänen und Lis-
              nenten, beispielsweise Bezeichnungs-        und Qualität der Netze.                     ten sicher, dass mit Abschluss des Baus

                                                                                                                             bulletin.ch 8 / 2018    3
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           die «as built»-Unterlagen sofort vor-        Daten werden anschliessend mit wenig       gemeinsam herausfinden, in welche
           handen sind. Bei der Inbetriebnahme          Aufwand ins Netzmodell übernom-            weiteren Anwendungen Netzbetreiber,
           ergänzen Einstellwerte und Prüfproto-        men.                                       Planungsbüros und Softwareentwick-
           kolle die Anlagedaten. Für die In-                                                      ler zum Nutzen der Energiebranche
           standhaltung stehen die Informatio-          Wie starten?                               investieren sollen.
           nen zu Wartungsintervallen und               Egal in welche Richtung man zum               BIM, Revit, Digitalisierung ... das
           -anleitungen sowie frühere Wartungs-         Thema Innovation recherchiert, die         alles steht nicht in Konkurrenz zum
           und Prüfprotokolle zur Verfügung.            einhellige Meinung lautet: «Machen!»       technischen Sachverstand und wertvol-
           Für Umbauten und Erweiterungen               Der grosse Vorteil von Verteilnetzen       len Erfahrungswissen der Netz-Fach-
           werden neue Anlagenkomponenten in            ist, dass sie die Möglichkeit zu über-     leute. Vernünftige und durchdachte
           das bestehende Netzmodell eingefügt.         schaubaren Pilotprojekten und einer        Lösungen – egal wie neu und exotisch
           Die Aktualisierung der daraus resul-         schrittweisen Einführung bieten. Es ist    sie auf den ersten Blick erscheinen
           tierenden Anpassungen, wie Bezeich-          nicht notwendig, auf einen Schlag die      mögen – werden akzeptiert, umgesetzt
           nungen, Mengengerüste und Über-              gesamte Planung umzustellen, alle          und in der Anwendung kontinuierlich
           sichtsschemata, erfolgt zentral. Beim        Mitarbeitenden auszubilden und das         verbessert.
           Rückbau sind Produkt- und Entsor-            komplette Datenmanagement anzu-
           gungsinformationen im Modell abruf-          passen. In einem Piloten lässt sich mit    Ein Ausblick
           bar.                                         vertretbarem Aufwand austesten, was        Die «Digitalisierung» der Energiever-
              Bestehende Anlagen können mittels         genau die Vorteile sind und welche         sorgung betrifft heute fast alle Prozesse:
           Laser-Scan detailliert erfasst und aus-      Funktionalitäten und Schnittstellen        Smart Metering, Billing, Instandhal-
           gemessen werden. Die aufbereiteten           auszubauen sind. Nur so lässt sich         tung. Deshalb sind entsprechende

             Interview
             Norbert Bäckert, Mitglied der Geschäftsleitung                  Welche Vorteile haben Sie positiv überrascht?
             der EBL (Genossenschaft Elektra Baselland),                     BIM erzeugt innerhalb der Planung einen gewissen Druck zur
             Sparte Netz, erläutert seine Erfahrungen mit der                Standardisierung der Lösungen. In der Vergangenheit waren
             Einführung von BIM im Verteilnetz.                              die äusseren Umstände stets verlockend genug, um indivi­
                                                                             duelle Lösungsansätze zu generieren. Skaleneffekte in der
             Was war für EBL der Anlass, BIM-Lösungen im Be­                 Beschaffung der Komponenten und Ausführung der Arbei­
             reich Netze einzuführen?                                        ten gingen dadurch oft verloren. Durch die Einführung der
             Eine hohe Verfügbarkeit gepaart mit tiefen Instandhaltungs­     BIM-Lösungen hat sich dies zum Positiven verändert.
             kosten der installierten Anlagen ist der Weg zum Erfolg für
             ein modernes Stromversorgungsunternehmen. Nur so kann           Wo sehen Sie heute für den Einsatz von BIM-
             es seinen Kundenauftrag einer qualitativ hochwertigen aber      Lösungen Hemmnisse und Grenzen?
             dennoch kostengünstigen Dienstleistung erfüllen. Ein Pfad       Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Wenn die Daten­
             auf diesem Weg sind moderne und nachhaltig geplante Anla­       grundlage, auf der die Planung erzeugt wird, nicht zuverläs­
             gen. EBL hat im vergangenen Geschäftsjahr rund 12  Mio.  CHF    sig ist, kann auch kein fehlerfreier Output erwartet werden.
             in seine Stromnetzinfrastruktur investiert. Das sind rund       In Zukunft sollen die Planungstools direkt auf die Datenban­
             50 % mehr als in den Jahren zuvor. Im folgenden Jahr ist        ken unseres ERP-Systems, des Instandhaltungs-Tools und
             eine weitere Steigerung um ca. 30 % geplant. Dies ist mit den   des Geo-Informationssystems zugreifen können. Dies heisst
             vorhandenen Ressourcen nur möglich, wenn die Prozesse           aber, dass die darin gepflegten Stammdaten vollständig
             sowohl in der Planung als auch in der Ausführung optimiert      und korrekt sein müssen. Insbesondere redundante Daten
             und zu einem guten Teil auch standardisiert werden.             müssen zuerst abgeglichen und validiert sein. Solange dies
                                                                             nicht automatisiert geschehen kann, wird in den Initialisie­
             Wie setzen Sie BIM-Lösungen bereits heute ein?                  rungsphasen der Projekte immer noch sehr viel Handarbeit
             Den grössten Wiederholungseffekt für unsere Netzinfrastruk­     notwendig sein.
             tur sehen wir heute in der Planung und dem Bau von Trafo­
             stationen. Für die wesentlichen Anlagenteile konnten wir in     Welche weiteren Anwendungen planen Sie
             Autodesk Revit-Standardmodule anlegen, die vom Planer           für EBL?
             abgerufen werden können. Im nächsten Schritt werden nun         Ziel ist es auch bei der EBL, die komplette Projektdokumen­
             standardisierte Leistungsverzeichnisse erstellt. Das vermei­    tation inklusive Bauzeiten- und Ressourcenplan für alle Pro­
             det Missverständnisse zwischen EBL und seinen beauftragten      jekte automatisiert zu erstellen und nachzuführen. Aufgrund
             Unternehmern, Dienstleistern und Lieferanten schon weitge­      der beschriebenen Gründe haben wir hier mit Trafostations­
             hend im Vorfeld. Ebenso unterstützen die nun verbesserten       projekten begonnen. Das kann und darf aber nicht das Ende
             Projektkalkulationen die beauftragten Projektierer in der       der Fahnenstange sein. In einer zweiten Phase müssen selbst­
             Initialisierungsphase der Projekte. Heute kann eine höhere      verständlich alle Netzbauprojekte (Kabelbau, Freileitungsbau
             Genauigkeit bei der Ausarbeitung der Kreditanträge erreicht     und öffentliche Beleuchtung) auf die gleiche Art und Weise
             werden und damit auch im gesamten Investitionsbudget.           geführt werden.

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Schnittstellen zwischen BIM-Lösungen        gen, Anzahl Schaltungen gesammelt.
                                                                                       Referenzen
und den bestehenden Datenbanken             Bei Störungen und Stromausfällen wer-      [1]	Ilka May, Bauwirtschaft im Wandel – Chancen und
zwingend. Nimmt man z. B. GIS als füh-      den die betroffenen Kunden identifi-            Herausforderungen aus internationaler Sicht, Vortrag
                                                                                            am Schweizer BIM-Kongress, 26. Oktober 2017.
rendes System, ist es eine Option, über     ziert. Dies wiederum liefert Daten für     [2]	Barry McAuley, Alan Hore, Roger West, Global BIM
die GIS-Oberfläche auf die BIM-Mo-          Ausfallstatistiken und Saidi/Saifi-Be-          Study: Lessons for Ireland’s BIM Programme, Revision
                                                                                            2, February 2017, Construction IT Alliance Limited.
delle der Anlagen zuzugreifen.              rechnungen. Ein vollständiges Netz-
   Diverse Plug-ins, teils spezifisch für   modell mit relevanten Betriebsdaten ist    Autoren
                                                                                       Dr. Andrea Heubel ist CEO der IED Gruppe AG.
die Energiewirtschaft entwickelt,           dann die Basis für Simulationen zu         JJIED Gruppe AG, 4614 Hägendorf
erweitern die Funktionalitäten konti-       Betriebsoptimierung und Netzausbau.        JJandrea.heubel@ied.swiss

nuierlich. Blickt man in die weitere          BIM-Lösungen ersetzen damit nicht        Oliver Funk ist Fachbereichsleiter Energieversorgung und
Zukunft, steht eine vollständige Model-     per se die bestehenden Systemlösun-        BIM-Manager bei der Salzmann AG.
lierung des Netzes an. Im Betrieb wer-      gen; sie liefern aus der Planung heraus    JJSalzmann AG IED Engineering, 3930 Visp
                                                                                       JJoliver.funk@salzmannag.ch
den Kennwerte wie Strombelastung,           den Input für die weitere Digitalisie-
Trafo-Temperaturen, Schutzauslösun-         rung der Energiebranche.                   Wir danken Christoph Umbricht für seinen Input.

 RÉSUMÉ
               Des jumeaux numériques pour les réseaux de distribution
               Solutions BIM pour installations et stations

Des projets de référence réalisés dans le monde entier           registrés dans la banque de données. Les objets sont sauve-
montrent les avantages des solutions BIM (Building Infor-        gardés avec des informations comme, par exemple, les spé-
mation Modelling) indépendantes du produit pour les              cifications techniques et les fonctionnalités, les instructions
grands projets d’infrastructure. Technique des procédés,         d’utilisation, les listes de pièces de rechange et des images.
génie mécanique et constructeur automobile ne sont que           Les pièces de l’installation sont ensuite mises en place et re-
quelques-unes des industries qui optimisent leurs produits       liées entre elles de manière fonctionnelle. Divers consom-
et installations avec des jumeaux numériques. Le BIM est         mateurs peuvent ainsi être attribués avec leur puissance à un
toutefois également utile dans les installations et les          dispositif de distribution électrique. Le logiciel détecte alors
sous-stations : lors de la planification d’installations et de   les liaisons manquantes ou incorrectes et calcule la charge
réseaux, des composants (transformateurs avec éléments de        globale sur la base des données de planification. L’accessibi-
protection, cabines de distribution, lignes, conduits, jonc-     lité, l’éclairage, la mise à la terre et le drainage de tous les
tions de câbles, etc.) sont modélisés en tant qu’objets et en-   composants peuvent de plus être contrôlés en 3D.             NO

                                                                                                                       bulletin.ch 8 / 2018        5
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