Diversität braucht Kontinuität - wie Blühflächen die Artenvielfalt fördern können - Bayern.de
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Artenschutz Abbildung 1 Fabian Bötzl, Jochen Krauss, Andrea Holzschuh und Ingolf Steffan-Dewenter Der Grauflüglige Erdbock Diversität braucht Kontinuität – wie (Iberodorcadion fuliginator [Linnaeus, 1758]) bewohnt die Kalkmagerrasen Blühflächen die Artenvielfalt fördern können Mainfrankens. Ausbrei- tungsschwache Arten wie der Grauflüglige Erdbock können nur sehr schlecht durch Agrar- Die Wirksamkeit von Blühflächen ist umstritten. In einer großen Feldstudie haben wir daher umweltmaßnahmen unterstützt werden – ihr die Effekte von Blühflächen auf die Artenvielfalt untersucht und sie mit Magerrasen verglichen. Überleben wird durch Verschiedene Artengruppen reagierten unterschiedlich auf steigende zeitliche Kontinuität den Erhalt von halbnatür- der Blühflächen. Bleiben die Habitate länger erhalten, ändert sich die Artenzusammensetzung, lichen Habitaten mit sehr insgesamt nimmt die Artenvielfalt aber zu. Die Artengemeinschaften näherten sich mit zunehmen- hoher zeitlicher Kontinuität der Kontinuität denen der Magerrasen an. Für eine hohe Artenvielfalt sollten Blühflächen mit sichergestellt (Foto: Fabian Bötzl). verschiedener zeitlicher Kontinuität mit halbnatürlichen Habitaten kombiniert werden. Die Artenvielfalt von Bestäubern und natürlichen mit halbnatürlichen Offenhabitaten vergleichbar Feinden von Agrarschädlingen bestimmt direkt sind. Durch ihren temporären Charakter ist anzu- den Umfang ihrer Ökosystemleistungen (Dainese et nehmen, dass gerade ausbreitungsschwache al. 2019). Jedoch ist die Artenvielfalt besonders Arten nicht von Blühflächen profitieren können in unseren Agrarlandschaften rückläufig (Seibold (Abbildung 1). et al. 2019). Durch Agrarumweltmaßnahmen (AUM) sollen (a) die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft Feldstudie in Unterfranken erhalten und (b) die Ökosystemdienstleistungen, In einer groß angelegten Feldstudie, die Teil des ohne die auch die moderne Landwirtschaft nicht europäischen BiodivERsA-Projektes ECODEAL war, funktionieren kann, gesichert werden (E kroos wurde die lokale Artenvielfalt in Blühflächen sowie et al. 2014). In Bayern werden dafür häufig Acker- in Kalkmagerrasen erfasst. Die Untersuchungs- flächen mit Blühmischungen als „Blühflächen“ flächen unterschieden sich in ihrer zeitlichen eingesät. Jedoch unterscheiden sich Blühflächen Kontinuität, die als umso größer gilt, je länger in vielen Faktoren, etwa ihrem Alter oder ihrer die Blühflächen bestehen, und geringer, wenn Nutzungsgeschichte, und es ist weitgehend mit Bewirtschaftungsmaßnahmen eingegriffen unbekannt, inwiefern eingesäte Blühflächen wurde (Tabelle 1). Dabei wurden auf insgesamt ANLIEGEN NATUR 43(1), 2021 1
B ötzl , K rauss, H olzschuh & Steffan -D ewenter: Artenschutz Wie Blühflächen die Artenvielfalt fördern können Alter (bei Letzte Zeitliche Management Vegetation Studienbeginn) Bodenbearbeitung Kontinuität (a) neue KULAP- Blühfläche B48-Blühmischung; 1 Jahr 1 Jahr niedrig - im Vorjahr gesät (b) erneuerte KULAP- Blühfläche B48-Blühmischung; 6 Jahre 1 Jahr niedrig–mittel - im Vorjahr gesät (c) kontinuierliche KULAP-Blühfläche Ab 6. Jahr überführt in B48-Blühmischung; „greening“ mit vor > 6 Jahren gesät einmal jährlich und stark von oberflächlichem natürlicher Suk- > 6 Jahre > 6 Jahre mittel Mulchen (ab Juni) zession geprägt (d) Halbnatürlicher Kalkmagerrasen Halbnatürliche Vege- Beweidung oder tation xerothermer >> 20 Jahre >> 20 Jahre hoch Mahd (ab Juni) Offenbiotope Tabelle 1 Übersicht über die 27 Studienflächen von 2016 bis 2018 insgesamt zierbare Taxa (in der Regel ein Synonym zu „Arten“). untersuchten 12 Pflanzen- und Tiergruppen erfasst (Gefäß- Pflanzen und Laufkäfer waren in neuen Blüh- Habitattypen. pflanzen, Heuschrecken & Grillen, Zikaden, Wild- flächen am artenreichsten (Abbildung 3a), Heu- bienen, Tagfalter, Nachtfalter, blütenbesuchen- schrecken, Tagfalter und parasitoide Wespen de Käfer, Schwebfliegen, parasitoide Wespen, profitierten von einer höheren Kontinuität und Laufkäfer, Kurzflügelkäfer und Vögel). Mit verschie- Nachtfalter und Vögel waren auf halbnatürlichen denen klassischen Methoden wurde die Arten- Magerrasen artenreicher als auf Blühflächen vielfalt erfasst (Bodenfallen, Farbschalen, Transekt- (Abbildung 3b). Andere Gruppen, wie etwa die gänge, Lichtfallen, Malaise-Fallen) und die ge- Wildbienen, waren in allen Blühflächen und in Abbildung 2 fangenen Individuen sowohl durch versierte den Magerrasen ähnlich artenreich (Abbildung 3c). Eine im Herbst 2015 neu eingesäte Taxonomen als auch mittels DNA-Meta-barco- Über alle Gruppen stieg der Anteil am gesamten KULAP-Blühfläche in ding bestimmt. Zusätzlich wurde die Flächen- Artenpool pro Studienfläche mit der zeitlichen voller Blüte im ersten größe der Habitate gemessen und der Anteil Kontinuität der Habitate im Mittel um 39 % von Studienjahr. Blühflächen halbnatürlicher Habitate in der Umgebung im neuen Blühflächen zu halbnatürlichen Kalkmager- bieten nicht nur Nah- 1 km-Radius erfasst. rasen (Abbildung 3d). Derselbe Trend war über rung für Wildbienen, sondern auch Lebens- alle Bestäuber, nicht jedoch über alle natürlichen raum für viele andere Insgesamt wurden 54.955 Individuen von 1.077 Feinde zu beobachten – letztere waren in allen Tiergruppen Arten gezählt. Das Metabarcoding der Tiere aus Habitaten ähnlich artenreich. (Foto: Fabian Bötzl). den Malaise-Fallen lieferte zusätzlich 2.110 differen- Die Flächengröße hatte lediglich Auswirkungen auf die Artenzahl der Kurzflügelkäfer (Abnahme mit steigender Flächengröße). Der Anteil halb- natürlicher Habitate in der Umgebung erhöhte die Artenzahl von Wildbienen auf den Studien- flächen. Neben der Artenzahl beeinflusste die zeitliche Kontinuität auch die Zusammensetzung von Artengemeinschaften. Mit Ausnahme von Nachtfaltern und Vögeln änderte sich in allen Gruppen die Artenzusammensetzung mit zu- nehmender zeitlicher Kontinuität der Habitate. Manche Arten der halbnatürlichen Kalkmager- rasen können nicht oder nur begrenzt durch Blühflächen unterstützt werden. Die Ergebnisse dieser Studie sind im Detail bei Boetzl et al. (2021) nachzulesen. 2 online preview ANLIEGEN NATUR 43(2), 2021
B ötzl , K rauss, H olzschuh & Steffan -D ewenter: Wie Blühflächen die Artenvielfalt fördern können Artenschutz Abbildung 3 (a) Artenzahlen der Laufkäfer (Carabi- dae; aus dem zwei- ten Studienjahr), (b) Tagfalter (Lepi- doptera partim; aus dem dritten Studien- jahr) und (c) Wildbienen (Apidae; aus dem zweiten Studien- jahr) sowie (d) Anteil der Arten in einer Fläche am Gesamtartenpool über die vier Habi- tate mit steigender zeitlicher Kontinui- tät (von links nach rechts). Verschiedene Buchstaben zeigen statistisch signifi- kante (P < 0.05) Un- Diversität braucht Kontinuität der Agrarlandschaft erhöhen und damit terschiede an. Die blaue Linie zeigt Unsere Studie zeigt, dass Blühflächen Lebens- Ökosystemdienstleistungen wie Bestäubung den Mittelwert raum für ein breites Spektrum an Arten in der oder natürliche Schädlingskontrolle fördern über alle Flächen. Agrarlandschaft bieten. Die zeitliche Kontinuität (M artin et al. 2019). Unsere Ergebnisse zeigen, der Blühflächen spielt eine wichtige, Flächen- dass halbnatürliche Habitate andere Artenge- größe und Anteil halbnatürlicher Habitate eine sellschaften beherbergen als Blühflächen. Vor- eher untergeordnete Rolle. Besonders wichtig handene halbnatürliche Habitate sollten daher war die zeitliche Kontinuität der Blühflächen für unter allen Umständen in der Agrarlandschaft artenreiche Gemeinschaften von Bestäubern, die erhalten werden, um die Artenvielfalt zu steigern. oft eine Zielgruppe von Agrarumweltmaßnahmen sind. Einzelne Gruppen reagieren aber unter- Fazit schiedlich auf zeitliche Kontinuität. Viele Arten Agrarumweltmaßnahmen sind ein wichtiger haben spezifische Habitatansprüche, so benötigen Beitrag, um die Artenvielfalt in der Agrarland- sie zum Beispiel spezielle Futterpflanzen, die in schaft zu erhalten beziehungsweise wiederher- den initial gesäten Saatmischungen nicht ent- zustellen. Sie allein können die Artenvielfalt je- halten sind. Oder die Arten sind relativ ausbrei- doch nicht retten – Blühflächen unterstützen tungsschwach und brauchen einige Zeit, um nur einen Teil des Gesamtartenpools in einer die neu angelegten Blühflächen zu besiedeln. Region. Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein Folglich ändert sich auch die Zusammensetzung Mosaik aus Blühflächen verschiedener zeitlicher der Artengemeinschaften mit steigender zeitlicher Kontinuität und halbnatürlichen Habitaten zu- Kontinuität – die Habitate gewinnen Arten mit sammen einen größeren Teil der Artenvielfalt speziellen Ansprüchen und verlieren gleichzeitig in der Agrarlandschaft erhalten könnte. Strategisch generalistische Arten sowie spezialisierte Pionier- platziert können diese Blühflächen wichtige arten, die ein charakteristischer Bestandteil der Ökosystemdienstleistungen wie Bestäubung Flora und Fauna in Agrarökosystemen sind. Die (A lbrecht et al. 2020) und natürliche Schädlings- Flächengröße der Blühflächen (im untersuchten kontrolle (B oetzl et al. 2019) in angrenzenden Rahmen von 0,3 bis 2,9 ha) und verfügbare halb- Feldfrüchten gewährleisten. Während jüngere natürliche Habitate in der Umgebung spielten Blühflächen vorwiegend als Habitate für natür- im Vergleich zur zeitlichen Kontinuität eine unter- liche Feinde dienen, sind Blühflächen mit höhe- geordnete Rolle. Bei gleicher Gesamtfläche rer zeitlicher Kontinuität nötig, um artenreiche wäre daher ein Netzwerk aus kleineren Blühflächen Bestäubergemeinschaften zu erhalten. Da Bestäu- potenziell förderlicher als wenige große Flächen. ber in der Regel mobiler sind, könnte ein Netz- Dieses Netzwerk würde zugleich die Komplexität werk einige wenige Flächen mit höherer zeitlicher ANLIEGEN NATUR 43(2), 2021 online preview 3
B ötzl , K rauss, H olzschuh & Steffan -D ewenter: Artenschutz Wie Blühflächen die Artenvielfalt fördern können Kontinuität zur Unterstützung von Bestäuber- Literatur populationen und eine größere Anzahl an jünge- Albrecht, M., Kleijn, D., Williams, N. et al. (2020): ren Blühflächen, die vorrangig natürliche Feinde Global synthesis of the effectiveness of flower strips in angrenzenden Feldern unterstützen, umfassen. and hedgerows on pest control, pollination services and crop yield. – Ecology Letters, 23: 1488–1498. Mit einer strategischen Planung und Platzierung können Agrarumweltmaßnahmen zusammen Boetzl, F. A., Krimmer, E., Krauss, J. et al. (2019): mit halbnatürlichen Habitaten helfen, die Arten- Agri-environmental schemes promote ground-dwel- ling predators in adjacent oilseed rape fields: Diversity, vielfalt zu erhalten und die Funktionalität in species traits and distance-decay functions. – modernen Agrarlandschaften zu sichern. Journal of Applied Ecology, 56: 10–20. Boetzl, F. A., Krauss, J., Heinze, J. et al. (2021): A multitaxa assessment of the effectiveness of agri- environmental schemes for biodiversity manage- ment. – Proceedings of the National Academy of Sciences 118(10): e2016038118. Autoren Dainese, M., Martin, E. A., Aizen, M. et al. (2019): A global synthesis reveals biodiversity-mediated Dr. Fabian Bötzl, benefits for crop production. – Science Advances, 5: Jahrgang 1990. eaax0121. Ekroos, J., Olsson, O., Rundlöf, M. et al. (2014): Studium der Biologie (Bachelor und Master) in Optimizing agri-environment schemes for biodi- Würzburg. Seit 2017 Doktorand am Lehrstuhl für versity, ecosystem services or both? – Biological Tierökologie und Tropenbiologie (Zoologie III) Conservation, 172: 65–71. der Universität Würzburg und gefördert durch die Martin, E. A., Dainese, M., Clough, Y. et al. (2019): Graduate School of Life Sciences der Universität The interplay of landscape composition and confi- Würzburg (gefördert durch die Deutsche Exzel- guration: new pathways to manage functional bio- lenzinitiative). diversity and agroecosystem services across Europe. – Ecology Letters, 22: 1083–1094. Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie Seibold, S., Gossner, M. M., Simons, N. K. et al. (2019): (Zoologie III) Biozentrum Arthropod decline in grasslands and forests is asso- 97074 Würzburg ciated with landscape-level drivers. – Nature, 574: +49 931 31-88795 671–674. fabian.boetzl@uni-wuerzburg.de Prof. Dr. Jochen Krauss, Jahrgang 1967. Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie (Zoologie III) +49 931 31-82382 j.krauss@uni-wuerzburg.de Prof. Dr. Andrea Holzschuh, Jahrgang 1976. Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie (Zoologie III) +49 931 31- 82380 andrea.holzschuh@uni-wuerzburg.de Prof. Dr. Ingolf Steffan-Dewenter, Jahrgang 1964. Zitiervorschlag Bötzl, F., Krauss, J., Holzschuh, A. & Steffan-Dewen- Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie ter, I. (2021): Diversität braucht Kontinuität – wie (Zoologie III) Blühflächen die Artenvielfalt fördern können. – +49 931 31-86947 ANLiegen Natur 43(2): online preview, 4 p., ingolf.steffan@uni-wuerzburg.de Laufen; www.anl.bayern.de/publikationen. 4 online preview ANLIEGEN NATUR 43(2), 2021
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