Den Blick für die Frauen schärfen

 
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Den Blick für die Frauen schärfen
Auf der Münsterlandweiten Fachtagung des Kompetenzzentrums
Frau & Beruf Münsterland ‚Neue Ideen für das Münsterland – Berufli-
che Perspektiven von Frauen im SGB II Bezug wurde das Positionspa-
pier des Deutschen Städtetages mit Blick auf die Situation der Frauen diskutiert. Im Ideennetzwerk
Münsterland arbeiten seit 2013 Expertinnen und Experten aus der Region an Ideen und Projekten, die
die berufliche Situation von Frauen im SGB II verbessern sollen. Die Ergebnisse dieser Diskussion wer-
den in Form einer ergänzenden Stellungnahme weiteren Interessierten und Verantwortlichen zur Dis-
kussion zur Verfügung gestellt.

Ergänzende fachliche Stellungnahme zur Situation und beruflichen Perspektive
von Frauen im SGB II Bezug als Ergänzung zum Positionspapier des Deutschen
Städtetages ‚Soziale Teilhabe sichern - Langzeitleistungsbezug wirkungsvoll ab-
bauen

Ausgangslage
Die Optionskommunen haben in den letzten Jahren vermehrt festgestellt, dass Menschen trotz kurz-
fristiger oder geringfügiger Arbeit weiterhin jahrelang im Leistungsbezug bleiben. Außerdem gibt es
eine wachsende Zahl von Menschen, die immer wieder an arbeitsmarktpolitische Maßnahmen teilneh-
men, dadurch aus der Langzeitarbeitslosigkeit herausfallen, aber nicht dauerhaft in den Arbeitsmarkt
integriert werden. Aus sozialpolitischer Sicht ist der Begriff des Langzeitleistungsbezugs besser als der
Begriff der Langzeitarbeitslosigkeit geeignet, soziale Problemlagen und Hilfebedürftigkeit abzubilden.
Der Blick auf den Langzeitleistungsbezug zeigt, dass Frauen hiervon mehr betroffen sind als Männer.
Im Dezember 2013 waren von den erwerbsfähigen Leistungsbezieher/innen Frauen 51,7 % 4 Jahre und
länger im Leistungsbezug, bei den Männern 46,6 %.

Für Frauen ist allgemein der Zugang zu existenzsichernder Beschäftigung schwerer als für Männer. Dies
trifft auch auf die Frauen im SGB II Leistungsbezug zu. Umso wichtiger ist es, bei den arbeitsmarktpo-
litische Zielen und Aktivitäten die Frauen besonders in den Blick zu nehmen.

Punkt 1 des Positionspapiers:

           Die sozialpolitische Dimension anerkennen
           Die Jobcenter haben eine sozialpolitische Verantwortung für fast 6,2 Millionen Erwachsene
           und Kinder in Deutschland. Diese muss sich widerspiegeln – in den Zielen, aber auch in den
           Mitteln und Instrumenten, die den Jobcentern an die Hand gegeben werden. Dabei geht es
           neben der Integration in Arbeit auch und gerade darum, soziale Teilhabe sicherzustellen.
           Es bedarf der Möglichkeiten, auch präventiv handeln zu können, um eine Verfestigung der
           Hilfebedürftigkeit zu vermeiden.

Ergänzungen aus frauenpolitischer Sicht

Berufliche Integration ist auch bei langzeitleistungsbeziehenden Frauen ein längerer Prozess. Daher
sind Elemente wie die soziale Teilhabe ein wichtiger Teil der beruflichen Integration. Allerdings sollte
dies mit Blick auf eine eigene existenzsichernde Berufstätigkeit bei den Frauen nicht in einer Auswei-
tung des ehrenamtlichen Engagements allgemein liegt, da Frauen hier schon besonders aktiv sind.

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Vielmehr sollten bei öffentlich geförderten Maßnahmen auch die so-
ziale Teilhabe und die Schaffung eines sozialen Arbeitsmarktes im-
mer mit dem Ziel der Kompetenzentwicklung für den Arbeitsmarkt
und letztlich mit dem Ziel der beruflichen Integration erfolgen.

Punkt 2 des Positionspapiers:

           Realistische Ziele ausgeben
           Die Realitäten im SGB II müssen anerkannt werden. Das bedeutet, realistische Erwartungen
           an die Jobcenter zu richten. Eine offene und ehrliche Betrachtung bedeutet auch, die Gren-
           zen und Möglichkeiten anzuerkennen. Sie bedeutet aber nicht, Menschen vom Fördern
           und Fordern auszugrenzen.

Die Optionskommunen fordern, dass die prozesshafte langfristige Eingliederung in den Arbeitsmarkt
Vorrang vor kurzfristigen Maßnahmen zur beruflichen Integration haben soll, die sich oftmals als nicht
nachhaltig erwiesen haben.

Aus Sicht der Frauen: Einen schrittweisen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu fördern.

Dazu gehören:

    1. Frauen sollten gemäß ihrem Anteil an den ALG II BezieherInnen am Qualifizierungsangebot
       partizipieren, insbesondere durch abschlussorientierte Qualifizierungen. Bei fehlender beruf-
       licher Qualifikation sollte der Qualifizierung und damit einer nachhaltigen Integration der Vor-
       rang vor kurzfristigen Vermittlungserfolgen gegeben werden.

    2. Aktive Ansprache von Frauen mit Kindern unter 3 Jahren, um mit Hilfe von Angeboten zur be-
       ruflichen Orientierung eine frühe berufliche Perspektiventwicklung sowie erste Integrations-
       und Qualifizierungsschritte zu unterstützen.

    3. Weitere Förderung und Ausweitung von verlässlichen Unterstützungsstrukturen bei der Ent-
       wicklung eines persönlichen Vereinbarkeitsmodells, z. B. Beratung zur Kinderbetreuung u. a.
       durch die Familienzentren.

    4. Passende Ansprachekonzepte und individuelle Einstiegsmöglichkeiten mit jungen Frauen mit
       Kindern entwickeln und ggf. durch begleitende Beratung und Qualifizierung u. B. Teilzeitbe-
       rufsausbildung fördern.

Punkt 3 des Positionspapiers:

           Nachhaltigkeit fördern
           Bund, Länder und Kommunen müssen nachhaltiges, langfristiges Handeln der Jobcenter
           stärker honorieren als kurzfristige Erfolge. Nur so kann dem Langzeitleistungsbezug nach-
           haltig begegnet und die Chancen gesteigert werden, dass eine Integration in den Ersten
           Arbeitsmarkt gleichbedeutend ist mit der Aufnahme einer existenzsichernden Erwerbstä-
           tigkeit.

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Aus Sicht der Frauen: Gezielte Förderung für einen gleichberechtig-
ten Zugang zum Arbeitsmarkt:

   1. Beim Prinzip Fördern und Fordern müssen Frauen in Bedarfsgemeinschaften als gleichberech-
      tigte Partnerinnen in der Bedarfsgemeinschaft angesehen werden. Sie müssen so qualifiziert
      und gefördert werden, dass sie einen gleichwertigen Beitrag zum Familieneinkommen leisten
      können und nach der Familienphase eine berufliche Perspektive haben, die die eigene Existenz
      sichern kann. Gleichzeitig muss die Sorge der Frauen, insbesondere vieler allein erziehender
      Frauen, um ihre Kinder ernst genommen werden und gemeinsam mit den Frauen nach Lösun-
      gen gesucht werden.

   2. Die Lebenssituationen von Frauen im SGB II Bezug sind sehr heterogen und oftmals von Mehr-
      fachbelastungen geprägt. Deshalb bedarf es insbesondere für Frauen nicht nur langfristiger
      Strategien bzgl. der beruflichen Integration, sondern auch einer gezielten Schnittstellenbewirt-
      schaftung mit Blick auf die Einsteuerung von kommunalen Leistungen im Sinne des § 16 SGB
      II.

       Beispiele:
       a) Der überwiegende Anteil von Alleinerziehenden im SGB II Bezug sind Frauen, die für eine
       erfolgreiche Integration in eine existenzsichernde Beschäftigung einen guten Zugang zu einer
       ausreichende Betreuungsinfrastruktur benötigen.
       b) Die psychische und gesundheitliche Beeinträchtigungen von Frauen im SGB II Bezug (z. B.
       ü50) nehmen zu. Begleitend zu nachhaltigen Integrationsstrategien bedarf es hier psycho-so-
       zialer Unterstützungsangebote.

       Ebenso wäre ein neu zu schaffendes Instrument zur beruflichen Begleitung nach dem Berufs-
       einstieg von mind. 6 Monaten für die nachhaltige Integration sinnvoll.

   3. Die Erwerbsbiographien von Frauen weisen auch im SGB II Bezug frauenspezifische Unterbre-
      chungszeiten auf, deshalb ist für eine existenzsichernde Erwerbsintegration von Frauen Quali-
      fizierung und berufliche Weiterbildung mit Zugang zu Abschlüssen von entscheidender Bedeu-
      tung.

   4. Der Minijob pur als nachgewiesen berufliche Sackgasse für Frauen muss abgeschafft werden.
      Gemeinsam mit ArbeitgeberInnen müssen neue Wege flexibler Arbeitszeitgestaltung entwi-
      ckelt werden.

Punkt 5 des Positionspapiers:

           Bedarfsgerechte Budgets bereitstellen
           Die vom Bund zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel müssen ausreichend und aufga-
           benadäquat bemessen sein. Im Rahmen der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslo-
           senhilfe waren ca. 3.200 € pro erwerbsfähigem Leistungsberechtigten und Jahr für Aktivie-
           rung, Eingliederung und Leistungsgewährung veranschlagt, im Jahr 2012 standen dagegen
           nur ca. 1.700 € zur Verfügung. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwiefern die

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Veränderungen in der „Struktur“ der Leistungsbezie-
           henden – v. a. der kontinuierlich steigende Anteil „ar-
           beitsmarktferner“ Personen – höhere Budgets zur Akti-
           vierung und Qualifizierung erforderlich machen.

Aus Sicht der Frauen: Finanzielle Ressourcen sicherstellen

   1. Bei fehlender Qualifikation müssen den Jobcentern ausreichende Mittel / Personalressourcen
      zur beruflichen Beratung und Qualifizierung von Frauen zur Verfügung stehen.

   2. Um es Jobcentern zu ermöglichen, eine langfristige und nachhaltige Erwerbsintegration von
      Frauen zu verfolgen, müssen die Eingliederungsbudgets so ausgestattet sein, dass sie den Job-
      center mehr Ressourcen bieten für eine personelle Ausstattung, die intensive Beratungs- und
      Begleitungsprozesse umsetzen kann.

Punkt 7 des Positionspapiers

           Instrumente flexibilisieren
           Gerade für Langzeitleistungsbeziehende ist es in vielen Fällen geboten, flexible Lösungen
           zu finden, um die erforderlichen Fortschritte zu erzielen. Der Handlungsspielraum zum Ein-
           satz und zur Ausgestaltung von Instrumenten muss vergrößert, der Einsatz individueller
           Maßnahmen erleichtert werden. Und die Möglichkeiten zum Einsatz langjähriger Instru-
           mente müssen verbessert werden. Drei weitere konkrete Anpassungen für Langzeitleis-
           tungsbeziehende sind zudem geboten:

           1. Eine individuelle Nachbetreuung nach der Integration muss möglich sein, um diese zu
           stabilisieren. Dabei muss Dauer und Intensität bedarfsgerecht gestaltet werden können.

           2. Die Möglichkeiten und Förderansätze zur beruflichen Fort- und Weiterbildung für die
           zahlreichen Langzeitleistungsbeziehenden mit Bedarfen in diesem Bereich muss verbessert
           werden.

           3. Die modellhafte Erprobung des „Passiv-Aktiv-Tausch/Transfer“ muss im SGB II rechtlich
           verankert werden.

Aus Sicht der Frauen: Zielgruppenspezifische Angebote und Begleitung fördern

   1. Individuelle Qualifizierungs- und Integrationswege müssen die besondere Situation von
      Frauen berücksichtigen. Dabei sind eine enge Zusammenarbeit und der Austausch mit den vor-
      handenen Einrichtungen für Frauen sinnvoll (z. B. mit den Frauenhäusern, mit Frauenbera-
      tungsstellen, auch mit den Beratungsstellen zur beruflichen Entwicklung) für Kooperation und
      kurze Wege.

   2. Bei der Ausschreibung / Vergabe von Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sollten die be-
      sonderen Bedarfe der Frauen berücksichtigt werden (wohnortnahe Angebote, Kinderbetreu-
      ung inklusive, Teilzeitangebote, Urlaubszeiten an den Schulferien orientiert)

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3. Alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sollten in Teilzeit (25 – 30 Stunden) durchgeführt
   werden, um Frauen den Zugang zu allen Qualifizierungsmaßnahmen zu erleichtern und Män-
   nern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern.

4. Bei beruflicher Qualifizierung oder Integration von langzeitarbeitslosen Frauen sollte eine Be-
   gleitung durch Träger oder Organisationen, die Erfahrung in frauenspezifischer Beratung und
   Begleitung haben, durch die Jobcenter finanziert werden können.

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