Doppelt relevant: Kritische Infrastrukturen der Daseinsvorsorge Doubly relevant: Critical infrastructures of Daseinsvorsorge
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Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning, 2020; 78(6): 575–593 Beitrag / Article Open Access Susanne Krings* Doppelt relevant: Kritische Infrastrukturen der Daseinsvorsorge Doubly relevant: Critical infrastructures of Daseinsvorsorge https://doi.org/10.2478/rara-2020-0034 Eingegangen: 19. April 2020, Angenommen: 17. November 2020 Kurzfassung: Die räumliche Planung ist aufgerufen, sich im Rahmen des Schutzes kritischer Infrastrukturen am Umgang mit dem Risiko von Ausfällen als besonders wichtig geltender Infrastrukturleistungen zu beteiligen. In diesem Beitrag werden Hinweise auf Überschneidungen zwischen den Sektoren kritischer Infrastrukturen und Bereichen der Daseinsvorsorge untersucht, denen in der fachöffentlichen Diskussion bislang wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Den Sektoren kritischer Infrastrukturen werden dazu unterschiedliche Auffassungen von Bereichen der Daseinsvorsorge gegenübergestellt. Auch wenn sich die Überschneidungsbereiche nicht genau bestimmen lassen, ist davon auszugehen, dass ein Großteil der als kritisch betrachteten Infrastrukturen an der Bereitstellung von Dienstleistungen beteiligt ist, die der Daseinsvorsorge zugerechnet werden. Die betreffenden Infrastrukturen und Dienstleistungen sind demnach Gegenstand unterschiedlicher politischer Gestaltungsbereiche und darauf bezo- gener Maßnahmen. Diese Folgerung lädt zur Befassung mit den Implikationen der räumlichen Organisation der Bereitstellung von Daseinsvorsorgeleistungen für den Schutz kritischer Infrastrukturen ein. Ein Perspektivwech- sel, die Betrachtung von Zielen und Ansätzen der Daseinsvorsorgeplanung aus der Sicht des Schutzes kritischer Infrastrukturen, kann deren mögliche ‚Nebenwirkungen‘ sichtbar machen. Da das Konzept „kritische Infrastruktur“ Schutzwürdigkeit und Gefahrenpotenzial auf sich vereinigt, eröffnet ein solcher Perspektivwechsel mitunter unge- wohnte Ansichten auf die Daseinsvorsorgeplanung und wirft Fragen für Forschung und Praxis auf. Schlüsselwörter: Daseinsvorsorge, Deutschland, kritische Infrastruktur, räumliche Planung, Risikomanagement Abstract: Spatial planning is called on to contribute to managing risks associated with outages of infrastructure ser- vices deemed particularly important in the context of critical infrastructure protection. This paper explores indications of overlaps between critical infrastructure sectors and the fields of Daseinsvorsorge (services of general interests) which have not yet received much attention in expert discussions. It provides a comparison of critical infrastructure sectors and variants of lists of the fields of Daseinsvorsorge. Although the extent of the overlaps cannot be determi- ned exactly, it can be assumed that most of the infrastructures considered to be critical are involved in the provision of services associated with the concept of Daseinsvorsorge. Hence the infrastructures and services in question are subject to different policy areas and interventions carried out in accordance with them. This inference calls for consideration of the implications of the spatial organization of the provision of Daseinsvorsorge services for critical infrastructure protection. A change of perspective, i.e. looking at the aims and means of Daseinsvorsorge planning from the point of view of critical infrastructure protection, enhances the visibility of their potential ‘side effects’. As the *Corresponding author: Susanne Krings, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Geographisches Institut, Geographische Entwicklungsforschung, Meckenheimer Allee 166, 53115 Bonn, Deutschland, E-Mail: susanne.krings@uni-bonn.de Die Autorin ist Mitarbeiterin des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, vertritt hier aber ausschließlich ihre persönliche Auffassung. Open Access. © 2020 Susanne Krings, published by Sciendo. This work is licensed under the Creative Commons Attribution- ShareAlike 3.0 Germany License.
576 Susanne Krings concept of critical infrastructure incorporates both worthiness of protection and a certain hazard potential, a change of perspective leads to unfamiliar perceptions of the spatial planning of Daseinsvorsorge and raises academic and practical questions. Keywords: Services of general interest, Germany, Critical infrastructure, Spatial planning, Risk management 1 Einleitung 53)? Werden womöglich dieselben Infrastrukturen, die als kritische Infrastrukturen gelten, auch als Infrastruktu- Im Rahmen des Schutzes kritischer Infrastrukturen ren der Daseinsvorsorge betrachtet und als solche zum werden Risiken im Zusammenhang mit „gravierende[n] Gegenstand (raumordnungs)politischer Entscheidungen Störungen und Ausfälle[n] von wichtigen Infrastruktur- und (raum)planerischer Maßnahmen? Und, sollte dem leistungen“ (BMI 2009: 10) adressiert.1 Entsprechende so sein, wie kann davon ausgehend über den Umgang Ereignisse sollen einer Risikomanagement-Logik mit kritischen Infrastrukturen in der räumlichen Planung folgend möglichst vermieden und deren Folgen im nachgedacht werden? Bedarfsfall minimiert werden (vgl. BMI 2009: 10). Spä- Um sich diesen Fragen zu nähern, stellt Kapitel 2 testens seit im Jahr 2008 der Passus „dem Schutz kriti- zunächst auf der Basis zentraler Politikinstrumente scher Infrastrukturen ist Rechnung zu tragen“ (§ 2 Abs. Kernaspekte des Schutzes kritischer Infrastrukturen in 2 Nr. 3 ROG)2 in die Grundsätze der Raumordnung auf- Deutschland vor, gefolgt von einem Überblick über die genommen wurde, stellt sich die Frage, wie die räum- in behördlichen und fachwissenschaftlichen Veröffentli- liche Planung zum Risikomanagement beitragen kann. chungen bereits thematisierter Ansätze, die Interessen In der Auseinandersetzung mit dieser Frage wurde eine des Schutzes kritischer Infrastrukturen in der räumli- Aussage aus dem Raumordnungsbericht 2011 bislang chen Planung zu berücksichtigen (Kapitel 3). Kapitel wenig beachtet: „Die meisten Bereiche der öffentlichen 4 führt Daseinsvorsorge als politisches Konzept ein, Daseinsvorsorge“, so heißt es dort (BBSR 2012: 53), bevor Kapitel 5 die Aussage zu Überschneidungen „lassen sich einem Sektor oder Teilsektor der Kritischen zwischen Bereichen der Daseinsvorsorge und Sekto- Infrastrukturen zuordnen.“ Der vorliegende Beitrag ren oder Teilsektoren kritischer Infrastrukturen zu über- geht diesem Hinweis (und ähnlichen, vgl. BBK 2019b: prüfen versucht. Dazu werden den Sektoren kritischer 17) nach und bietet damit der fachöffentlichen Diskus- Infrastrukturen unterschiedliche Auffassungen von den sion um die Berücksichtigung kritischer Infrastrukturen Bereichen der Daseinsvorsorge gegenübergestellt und in der räumlichen Planung einen weiteren Ansatzpunkt die so gewonnenen Befunde diskutiert. Kapitel 6 lädt auf an. Lassen sich also „die meisten Bereiche der öffentli- dieser Grundlage zu einem Perspektivwechsel ein: Es chen Daseinsvorsorge […] einem Sektor oder Teilsektor wird die Frage aufgeworfen, wie sich die Sicht auf die der Kritischen Infrastrukturen zuordnen“ (BBSR 2012: vorgefundene oder angestrebte Struktur der räumlichen Organisation von Versorgung ändert, wenn deren mögli- 1 Der Begriff „Risiko” ist vielfach definiert worden und es haben cher Ausfall zum Ausgangspunkt gemacht wird. Anhand sich spezifische Varianten eines Risikomanagement-Fachvokabu- von Beispielen wird der Blick auf mögliche Implikationen lars herausgebildet. Die Verwendung der Begriffe im vorliegenden der räumlichen Daseinsvorsorgeplanung für den Schutz Beitrag orientiert sich an der im behördlichen Umfeld üblichen Ter- kritischer Infrastrukturen gelenkt und Ansätze zu deren minologie (vgl. BBK 2019a). Risiken erwachsen danach aus der Möglichkeit, dass eine abstrakte „Gefahr“ die Form eines konkreten weiterer Untersuchung aufgezeigt. Kapitel 7 schließt mit „Ereignisses“ annimmt, wodurch Schäden an „Schutzgütern“ ent- einem Resümee ab. stehen können. „Risiko“ wird verstanden als „Kombination aus der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und dessen negati- ven Folgen“ (BBK 2019a: 45). „Risikomanagement“ bezeichnet den systematischen Umgang mit Risiken von der Analyse und Bewer- 2 Schutz kritischer Infrastrukturen: vom Risiko des tung bis zur Umsetzung von Maßnahmen. Maßnahmen zur Risiko- minderung können an der Absenkung der Eintrittswahrscheinlich- keit eines Ereignisses oder der Reduzierung des zu erwartenden Schadensausmaßes ansetzen, z. B. indem sie die Exposition oder Versorgungsausfalls die Verwundbarkeit von Schutzgütern herabsetzen. 2 Raumordnungsgesetz (ROG) vom 22. Dezember 2008, zuletzt Seit seinen Anfängen Ende der 1990er-Jahre hat sich geändert durch Artikel 2 Absatz 15 des Gesetzes vom 20. Juli 2017. der Schutz kritischer Infrastrukturen in Deutschland aus-
Doppelt relevant: Kritische Infrastrukturen der Daseinsvorsorge 577 gehend von der Bundesebene als Politikfeld etabliert tiert sich allerdings in den Folgen ihres Ausfalls für die (vgl. Schulze 2006: 155-159, 205-219; BBK 2020: 17-19). „Versorgungssicherheit der Gesellschaft“ (BMI 2009: 5) Die ressortübergreifende Koordinierung dieser „Kernauf- und verweist damit auf ein über die Infrastruktur hinaus- gabe staatlicher Sicherheitsvorsorge“ (BMI 2009: 3) liegt weisendes Beziehungsgefüge. Die kritische Infrastruktur beim Bundesinnenministerium (BMI), unterstützt durch ist demnach Schutzobjekt und Gefahrenquelle, wobei Behörden in seinem Geschäftsbereich, insbesondere sich beides aus ihrer Position in einem größeren Versor- das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastro- gungszusammenhang ergibt. phenhilfe (BBK) und das Bundesamt für Sicherheit in der Für jene „wichtigen Infrastrukturleistungen“, deren Informationstechnik (BSI). Politisch-strategische Arbeits- Störung oder Ausfall problematisiert werden, hat sich in grundlage ist die 2009 vom Bundeskabinett beschlos- den letzten Jahren der Begriff „kritische Dienstleistung“ sene „Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Inf- durchgesetzt. Er bezeichnet eine „Dienstleistung, die rastrukturen“ (BMI 2009). Sie wird von Instrumenten von Betreibern Kritischer Infrastrukturen zur Versorgung flankiert, die sich einem ebenen- und akteursübergrei- der Allgemeinheit erbracht wird und deren Ausfall oder fenden Aufgabenverständnis folgend an unterschied- Beeinträchtigung zu erheblichen Versorgungsengpäs- liche Zielgruppen richten, vor allem an Infrastrukturbe- sen, zu Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit oder treiber und Behörden in Bund, Ländern und Kommunen zu vergleichbaren Folgen führen würde“ (BBK 2019a: 34) (z. B. BMI 2005; BMI 2011; BBK 2012; BBK 2019b).3 oder schlicht eine Dienstleistung, die „essentiell für die Als „kritische Infrastrukturen“4 werden „Organisa- Versorgung der Bevölkerung“ ist (BBK 2019b: 36). Die tionen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für Verwendung des Begriffs dokumentiere, so BBK (2020: das staatliche Gemeinwesen“ bezeichnet, „bei deren 25), „eine gewisse Akzentverschiebung – vom Schutz Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Ver- der Infrastruktur zur Aufrechterhaltung der Dienstleis- sorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffent- tung“. Kritischen Infrastrukturen wird eine zentrale Rolle lichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen ein- bei der Bereitstellung kritischer Dienstleistungen beige- treten würden“ (BMI 2009: 3). Als spezifisches Merkmal messen und der Schutz der Infrastruktur als Mittel zur kritischer Infrastrukturen gilt ihre hohe „Kritikalität“5, Aufrechterhaltung der Dienstleistung aufgefasst. Eine verstanden als „relatives Maß für die Bedeutsamkeit Übersicht zum „derzeitigen Diskussionsstand“ (BBK einer Infrastruktur in Bezug auf die Konsequenzen, die 2020: 25) hinsichtlich dessen, welche Dienstleistungen eine Störung oder ein Funktionsausfall für die Versor- zu den kritischen Dienstleistungen zu zählen sind, ist gungssicherheit der Gesellschaft mit wichtigen Gütern Tabelle 1 zu entnehmen. und Dienstleistungen hat“ (BMI 2009: 5). Die Verknüp- Bevor das Konzept der kritischen Dienstleistungen fung von Bedeutsamkeit und Konsequenzen bei Ausfall seine inzwischen sehr zentrale Stellung innerhalb der macht Kritikalität zu einem vielschichtigen Konzept: Begriffssystematik einnahm, wurde der Gegenstands- Einerseits kommt darin Schutzwürdigkeit zum Ausdruck, bereich des Schutzes kritischer Infrastrukturen bereits andererseits Gefahrenpotenzial. Zudem wird Kritikalität über die Nennung von Infrastrukturbereichen, den „Sek- als Merkmal einer Infrastruktur6 verstanden, sie manifes- toren“, konkretisiert. Die mehrfache Überarbeitung der Sektorenliste in den letzten zwei Jahrzehnten zeugt von fortlaufenden Diskussionen um die Ausrichtung des Poli- 3 Vgl. auch BSI-KritisV – BSI-Kritisverordnung vom 22. April 2016, zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 21. Juni 2017, tikfeldes (BBK 2020: 22-23; vgl. Krings 2018: 107-108). und IT-SiG – IT-Sicherheitsgesetz vom 17. Juli 2015. In der aktuellen, seit 2011 zwischen Bund und Ländern 4 Der Begriffsbestandteil „kritisch“ wird in Quellen und der Fach- abgestimmten Fassung werden insgesamt neun Sekto- literatur uneinheitlich groß- oder kleingeschrieben. Im Folgenden ren unterschieden, die auf der Bundesebene zusätzlich wird die Kleinschreibung bevorzugt und in Zitaten die im Original in 29 Branchen untergliedert sind. Inzwischen werden verwendete Schreibweise beibehalten. die kritischen Dienstleistungen, wie in Tabelle 1 darge- 5 Zum Begriff „Kritikalität“ vgl. Engels (2018), Folkers (2018b) und Lukitsch/Müller/Stahlhut (2018). stellt, den Sektoren zugeordnet (vgl. BBK 2019b: 38; 6 Der Begriff „Infrastruktur“ bleibt in den Quellen zuweilen un- BBK 2020: 24). scharf. Da der Begriff „kritische Infrastrukturen“ im Plural definiert Die Unterteilung in Sektoren und Branchen impli- wird, ist unklar, ob er sich im Singular auf ein Infrastrukturelement ziert nicht, dass es sich um separate Systeme handelt. (z. B. ein Umspannwerk) oder einen Infrastrukturbereich (z. B. die Vielmehr wird beim Schutz kritischer Infrastrukturen Gesamtheit der Infrastrukturelemente zur Stromversorgung) be- zieht. Die ausgewerteten Quellen lassen beide Interpretationen zu. von „hohen Interdependenzen zwischen einzelnen Inf- Auch „Kritikalität“ wird mitunter auf ganze Infrastrukturbereiche und weitere Kategorien wie Dienstleistungen oder einzelne Prozesse angewendet.
578 Susanne Krings Tabelle 1: Sektoren und Branchen kritischer Infrastrukturen sowie kritische Dienstleistungen (BBK 2020: 24) Sektoren Branchen Kritische Dienstleistungen (Bund und Länder) (Bund) (Diskussionsstand) Energie Elektrizität, Mineralöl, Gas Stromversorgung, Gasversorgung, Kraftstoff- und Heizölversorgung, Fernwärmeversorgung Ernährung Ernährungswirtschaft, Lebensmittelhandel Lebensmittelversorgung Finanz- und Banken, Börsen, Versicherungen, Zahlungsverkehr, Bargeldversorgung, Versicherungswesen Finanzdienstleister Kreditvergabe, Wertpapier- und Derivatehandel, Versicherungsdienstleistungen Gesundheit Medizinische Versorgung, Arzneimittel und Medizinische Versorgung, Versorgung mit Impfstoffe, Labore Arzneimitteln (einschließlich Impfstoffen und Schutzwirkstoffen nach Strahlenschutzrecht), Versorgung mit Medizinprodukten, Laboratoriumsdiagnostik Informationstechnik und Telekommunikation, Informationstechnik Leitungsgebundene und ungebundene (auch Telekommunikation weltraumbasierte) Sprach- und Datenübertragung, Datenspeicherung und -verarbeitung Medien und Kultur Rundfunk (Fernsehen und Radio), gedruckte Warnung und Alarmierung, Versorgung mit und elektronische Presse, Kulturgut, Informationen, Herstellen von Öffentlichkeit, symbolträchtige Bauwerke Aufbewahrung identitätsstiftender Kulturgegenstände und Dokumente, Vermittlung kultureller Identität, Langzeitsicherung und ‑lagerung von mikroverfilmten Dokumenten der deutschen Geschichte gemäß Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut Staat und Verwaltung Regierung und Verwaltung, Parlament, Umsetzung von Recht im Rahmen der Eingriffs- Justizeinrichtungen, Notfall- und Rettungswesen und Leistungsverwaltung, (polizeiliche und einschließlich Katastrophenschutz nichtpolizeiliche) Gefahrenabwehr, Verteidigung, Gesetzgebung, Kontrolle der Regierung, Rechtsprechung und deren Vollzug Transport und Verkehr Luftfahrt, Seeschifffahrt, Binnenschifffahrt, Leistungen zum Transport von Personen, Schienenverkehr, Straßenverkehr, Logistik Leistungen zum Transport von Gütern, Satellitennavigationssysteme und satellitengestützte Positions-, Navigations- und Zeit- sowie meteorologische Dienste Wasser Öffentliche Wasserversorgung und öffentliche Trinkwasserversorgung, Abwasserbeseitigung Abwasserbeseitigung rastruktursystemen“ (BMI 2009: 7) ausgegangen, durch denzen stellen eine Art „endogenes Störungspotenzial“ die sich die Auswirkungen von Ausfällen in Form von (Folkers 2018a: 162) in den vernetzten Infrastruktursys- „Domino- und Kaskadeneffekten“ ausbreiten können. temen dar. Sie wirken als Ausbreitungspfade für die Der Begriff „Interdependenz“ wird uneinheitlich verwen- Folgen von Störungen (vgl. Folkers 2012: 157-158) und det – meist für Abhängigkeiten über die Branchen- und gelten dementsprechend als zentraler Verwundbarkeits- Sektorengrenzen hinweg, zuweilen auch als Sammelbe- faktor (BMI 2009: 7; vgl. Folkers 2018a: 161-164). griff für diverse Formen von Abhängigkeitsbeziehungen Die Konstellation aus kritischen Infrastrukturen und auf unterschiedlichen Ebenen (z. B. BMI 2005: 51; BMI kritischen Dienstleistungen spiegelt sich in der Konstruk- 2009: 5, 7; BMI 2011: 10; BBK 2012: 25).7 Interdepen- tion von Gefahren und Schutzgütern auf unterschiedli- chen Ebenen wider. Dem in der Strategie beschriebe- 7 Zu unterschiedlichen Formen von Interdependenz und ihrer nen „All-Gefahren-Ansatz“ (BMI 2009: 7) nach reicht Operationalisierung vgl. Rinaldi/Peerenboom/Kelly (2001), Hempel/ das Gefahrenspektrum für kritische Infrastrukturen von Kraff/Pelzer (2018), inter3 (2019) und Schmitt (2019). Naturereignissen bis zu kriegerischen Auseinanderset-
Doppelt relevant: Kritische Infrastrukturen der Daseinsvorsorge 579 zungen. Der Schutz der kritischen Infrastrukturen vor Betreibern wird der „institutionalisierten, organisierten „allen“ Gefahren dient der unterbrechungsfreien Bereit- Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft in etablierten stellung der kritischen Dienstleistungen, deren Ausfall Sicherheitspartnerschaften“ (BMI 2009: 6) besondere wiederum als Gefahr für die Bevölkerung sowie weite- Bedeutung beigemessen (vgl. auch BMI 2005: 6; BBK rer abstrakter Werte, wie „unsere[r] Lebensweise“ (BBK 2012: 24). Freiwilligen Maßnahmen wird Vorrang einge- 2012: 13) oder der „öffentlichen Sicherheit“ (BMI 2009: räumt, gesetzgeberische Mittel aber ausdrücklich nicht 3), gilt. Die Parallelität von Auslöser und Ausfall auf der ausgeschlossen (vgl. BMI 2009: 12-13).9 Der Staat, so Gefahrenseite korrespondiert mit den jeweils adressier- heißt es im Leitbild der Strategie, steuere „primär mode- ten Schutzgütern, sodass sich der Schutz kritischer Inf- rierend, nötigenfalls normierend“ (BMI 2009: 2; vgl. BBK rastrukturen als Risikomanagementprozess auf mehre- 2020: 22). ren, miteinander verbundenen Ebenen darstellt. Welche Infrastrukturelemente als kritisch zu betrach- Neben der Verwundbarkeit der betreffenden Infra- ten sind, wie also Kritikalität zu Zwecken der Identifi- strukturen wird dementsprechend auch eine hohe gesell- zierung operationalisiert werden kann, blieb zunächst schaftliche Verwundbarkeit gegenüber Ausfällen kriti- offen, wenn auch nicht unbearbeitet (vgl. Fekete 2011). scher Dienstleistungen als Problem bewertet: Gewohnt Das 2015 verabschiedete IT-Sicherheitsgesetz (IT-SiG) an die zuverlässige Versorgung habe sich ein „durchaus enthält allerdings Vorgaben für die Betreiber kritischer trügerisches Gefühl von Sicherheit“ eingestellt, weswe- Infrastrukturen ‚im Sinne des Gesetzes‘ und zog daher gen „die Auswirkungen eines ‚Dennoch-Störfalls‘ über- die Etablierung eines rechtsverbindlichen, in der BSI-Kri- proportional hoch“ (BMI 2009: 8) ausfallen würden. Der tisverordnung (BSI-KritisV) geregelten Identifizierungs- Zusammenhang zwischen immer selteneren Ausfällen verfahrens auf Bundesebene nach sich.10 Da Kritikalität und immer schwerwiegenderen Folgen wird als „Verletz- als „relatives Maß“ (BMI 2009: 5) aufgefasst wird, gilt lichkeitsparadoxon“ (BMI 2009: 8) bezeichnet. Das Risi- auch die Identifizierung als kontextabhängiges Unterfan- komanagement steckt dadurch in einem Dilemma: Die gen, das heißt, ein Infrastrukturelement gilt nicht per se, Zuverlässigkeit der Versorgung, die es einerseits weiter sondern innerhalb eines abgesteckten Analyserahmens zu erhöhen gilt, ist andererseits auch Teil des Problems als kritisch (BBK 2020: 32-33). Um „Bedarfsträgern ins- (vgl. Krings 2018: 110-111). besondere in Ländern und Kommunen eine Anleitung Hinsichtlich der Umsetzung von Maßnahmen zum für ihre eigene Identifizierung [zu] bieten“ (BBK 2019b: Schutz der kritischen Infrastrukturen werden deren 11), beschreibt die Arbeitshilfe „Identifizierung in sieben Betreiber in einer zentralen Rolle gesehen (vgl. BMI Schritten“ (BBK 2019b) eine generische Version des in 2005: 6; BBK 2012: 24; BBK 2020: 22). Da es sich dabei der BSI-Kritisverordnung implementierten Verfahrens. mehrheitlich und in weiter steigendem Maße um private Die sowohl der BSI-Kritisverordnung als auch der bzw. privatrechtliche Akteure handele, gehe die „Ver- Arbeitshilfe zugrunde liegende Methode kombiniert ein antwortung für die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Ver- qualitatives Kriterium, das die grundsätzliche Beteili- fügbarkeit dieser Infrastrukturen zunehmend in private, gung eines Infrastrukturelements an der Bereitstellung zumindest aber geteilte Verantwortung über“ (BMI einer kritischen Dienstleistung abbildet, mit einem quan- 2009: 6). Aufgaben der öffentlichen Hand bewegten titativen Kriterium, das sich auf den Beitrag eines Infra- sich unter diesen Bedingungen „vorrangig im Rahmen strukturelements an der Bereitstellung einer kritischen einer Gewährleistung, allenfalls in der Sicherstellung der Dienstleistung bezieht. Das qualitative Kriterium wird Versorgung in Krisenzeiten“ (BMI 2009: 6).8 Die Wettbe- in der Verordnung abgedeckt, indem innerhalb der vom werbssituation, in der sich Infrastrukturbetreiber zuneh- mend befinden, wird insofern problematisiert, als der 9 Zur Rolle gesetzgeberischer Mittel beim Schutz kritischer Infra- damit verbundene Preisdruck Investitionen in „sicher- strukturen vgl. Wiater (2013) und Wiater (2017); einen Überblick über die einschlägige Gesetzgebung des Bundes gibt BBK (2020: 41-43). heitsrelevante Vorkehrungen“ (BMI 2011: 9) entgegen- 10 Eine 2008 verabschiedete EU-Richtlinie hatte bereits die Iden- stehen könne (vgl. Folkers 2018a: 253). In der Konstel- tifizierung europäischer kritischer Infrastrukturen, „deren Störung lation aus staatlichen Stellen und vorwiegend privaten oder Zerstörung erhebliche Auswirkungen in mindestens zwei Mitgliedstaaten hätte“ (Art. 2b RL 2008/114/EG), im Energie- und Verkehrssektor auf den Weg gebracht (vgl. § 12g EnWG; EnWG – 8 Seit den 1960er-Jahren wurden Maßnahmen zur Aufrechterhal- Energiewirtschaftsgesetz vom 7. Juli 2005, zuletzt geändert durch tung der Versorgung im Spannungs- oder Verteidigungsfall in Si- Artikel 1 des Gesetzes vom 5. Dezember 2019; vgl. RL 2008/114/EG cherstellungsgesetzen geregelt, die später durch Vorsorgegesetze – Richtlinie des Rates über die Ermittlung und Ausweisung europä- für friedenszeitliche Versorgungskrisen ergänzt wurden (vgl. Klo- ischer kritischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendig- epfer 2015: 196-210; BBK 2020: 45-47). keit, ihren Schutz zu verbessern vom 8. Dezember 2008).
580 Susanne Krings IT-Sicherheitsgesetz adressierten Sektoren11 kritische dadurch längerfristig die formelle Identifizierung voran- Dienstleistungen sowie Kategorien zu ihrer Bereitstel- getrieben wird, bleibt abzuwarten. lung erforderlicher Anlagen vorgegeben werden.12 Die Arbeitshilfe führt über mehrere Schritte zu einer kon- textspezifischen Auswahl kritischer Dienstleistungen, 3 Dem Schutz kritischer aus der sich die an ihrer Bereitstellung beteiligten Infra- strukturelemente ableiten lassen (BBK 2019b: 31-41). Mit Infrastrukturen Rechnung tragen dem quantitativen Kriterium wird die Folgenschwere des – Stand der Diskussion Ausfalls eines Infrastrukturelements für die Verfügbarkeit einer kritischen Dienstleistung in den Blick genommen, Wie dem Schutz kritischer Infrastrukturen bei raumbe- genauer gesagt, die Anzahl der Menschen, die infolge deutsamen Planungen und Maßnahmen Rechnung dessen „direkt oder indirekt von einem Ausfall der kriti- getragen werden kann, ist zunächst ausgehend von schen Dienstleistung betroffen wäre“ (BBK 2019b: 43). einer Erläuterung in der Begründung zur Novellierung Die BSI-Kritisverordnung legt zu diesem Zweck einen des Raumordnungsgesetzes thematisiert worden:16 Regelschwellenwert in der Höhe von 500.000 tatsäch- „Eine parallele Trassenführung von verschiedenen Inf- lich – oder rechnerisch von einem Infrastrukturelement rastrukturen“, so heißt es dort (Deutscher Bundestag – versorgten Personen zugrunde.13 Die Arbeitshilfe leitet 2008: 21), sei „unter dem Aspekt des Schutzes kriti- dazu an, einen an der Einwohnerzahl des betrachteten scher Infrastrukturen sorgfältig zu prüfen“. Hintergrund Gebiets ausgerichteten Schwellenwert zu wählen: „Je ist der von Rinaldi, Peerenboom und Kelly (2001: 15) als größer die Region, desto höher sind im Allgemeinen die „geographische Interdependenz“ bezeichnete Umstand, Schwellenwerte“ (BBK 2019b: 44). dass mehrere unmittelbar nebeneinanderliegende Infra- Wie verbreitet das in BBK (2019b) beschriebene strukturen demselben gefährlichen Ereignis ausgesetzt Verfahren zur Identifizierung bereits angewendet wird, sein können (vgl. auch BBSR 2012: 54; Riegel 2014: ist schwer zu sagen. Laut BBK (2020: 32) begleite man 23-25). Die Trassenbündelung dient allerdings dazu, die „derzeit einige Anwender bei der Umsetzung“. In der „weitere Zerschneidung der freien Landschaft und von Praxis dürften teils individuell bedarfsangepasste Wege Waldflächen“ zu vermeiden und die „Flächeninanspruch- beschritten worden sein, um sich der Frage zu nähern, nahme im Freiland“ (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG) zu begrenzen welche Infrastrukturelemente im konkreten Fall als kri- (vgl. Riegel 2015a: 60-62). tisch zu betrachten sind, z. B. in der Einsatzplanung (vgl. Stehen sich unterschiedliche Belange in den Grund- Lange/Henke/Kariger 2015). Mit dem Landeskatastro- sätzen konflikthaft gegenüber, wie in der beschriebenen phenschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern formuliert Konstellation, kommt es zu einem Abwägungsproblem seit 2016 eine landesrechtliche Regelung explizit Vor- (vgl. Runkel 2018: 2998). Es gilt zu entscheiden, in gaben für die Betreiber kritischer Infrastrukturen (§ 13a welchen Fällen die Interessen des Schutzes kritischer LKatSG M-V14), ein Identifizierungsverfahren wird dort Infrastrukturen so hoch zu gewichten sind, dass ein allerdings nicht konkretisiert. Bisweilen ist nicht davon Abweichen vom Bündelungsgebot gerechtfertigt wäre. auszugehen, dass kritische Infrastrukturen außerhalb Riegel (2015a: 127) nähert sich dem Problem von der Inf- des vom IT-Sicherheitsgesetz definierten Rahmens rastrukturseite aus und schlägt einen Ansatz zur Ermitt- bereits flächendeckend in einem formellen Verfahren lung von Schwerpunkten „räumlicher Kritikalität“ als identifiziert wurden. Allerdings verwenden viele der Entscheidungsgrundlage vor. Dort, wo sich durch Bün- ab März 2020 im Zusammenhang mit der SARS-CoV- delung oder Kreuzung von Infrastrukturtrassen Schwer- 2-Pandemie auf Länderebene erlassenen Regelungen punkte gebildet haben, könne mit Mitteln der Regional- den Begriff „kritische Infrastrukturen“ und treffen, darauf planung eine weitere Konzentration vermieden werden Bezug nehmend, Festlegungen.15 Ob und inwiefern (Riegel 2015a: 121-167; Riegel 2015b: 268-276). Eine zu hohe Bündelung von Infrastrukturtrassen kann auch aus 11 Vgl. Tabelle 1 mit Ausnahme der Sektoren „Kultur und Medien“ anderen Gründen, z. B. wegen des Immissionsschutzes sowie „Staat und Verwaltung“. 12 Vgl. Teil 1 Abs. 1 Anhänge 1-7 BSI-KritisV. 13 Vgl. „Berechnungsformeln zur Ermittlung der Schwellenwerte“ BBK/DE/Sonstiges/Covid-19_Kritis_Schulen_Kitas.pdf?__ in Teil 2 der Anhänge 1-7 BSI-KritisV. blob=publicationFile (13.10.2020). 14 Landeskatastrophenschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern 16 Einblicke in den Umgang mit dem zum Untersuchungszeit- vom 15. Juli 2016, zuletzt geändert am 7. September 2016. punkt recht neuen Abwägungsbelang in der Praxis gibt Riegel 15 Vgl. https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/ (2014) sowie Riegel (2015a: 79-119).
Doppelt relevant: Kritische Infrastrukturen der Daseinsvorsorge 581 sowie des Natur- und Landschaftsschutzes oder auf- und technische Störfälle betrachtete (vgl. Hartz/Saad/ grund kumulativer Effekte als Überlastung des Raums, Greiving et al. 2015; Greiving/Hartz/Hurth et al. 2016). Im als Überbündelung (vgl. Pleiner 2016: 132; Pleiner 2018: Kontext der Störfallvorsorge – im engeren Sinne, dem 54; Scholles 2018: 39), abgelehnt werden. Es ist also Umgang mit Risiken im Umfeld von Anlagen, die der Stör- durchaus denkbar, dass sich die Belange des Schut- fall-Verordnung (12. BImSchV)17 unterliegen – könnten zes kritischer Infrastrukturen in Bezug auf die Trassen- einige Infrastrukturelemente zudem eine Doppelrolle bündelung im konkreten Fall synergetisch zu weiteren einnehmen: Es wird auf Konstellationen hingewiesen, Belangen verhalten – womit das oben genannte Abwä- in denen dieselbe Anlage sowohl im Kontext des Schut- gungsproblem komplexer ausfallen würde. zes kritischer Infrastrukturen als auch im Kontext der Unter der Annahme, dass sich die mit der Bünde- Störfallvorsorge als relevant betrachtet und damit zum lung in Verbindung gebrachten Probleme dort verschär- Gegenstand unterschiedlicher Risikomanagementan- fen, wo das Auftreten bestimmter Ereignisse besonders sätze (mit spezifischen räumlichen Handlungslogiken) wahrscheinlich ist, wird das Abwägungsproblem auch werden könnte (vgl. Krings 2018: 109-118). Auch jenseits von der Gefahrenseite aus angegangen: Laut Hand- des Geltungsbereichs der 12. BImSchV werden einige buch zur Ausgestaltung der Hochwasservorsorge in der Infrastrukturen mit einem anlagenbezogenen Gefahren- Raumordnung kann es im Interesse des Schutzes kri- potenzial in Verbindung gebracht und nicht immer wurde tischer Infrastrukturen geboten sein, vom grundsätzlich und wird hinsichtlich dessen, was eine Infrastruktur zu geltenden Bündelungsprinzip abzuweichen, wenn „über- einer kritischen Infrastruktur macht, klar zwischen „Ver- schwemmungsgefährdete Bereiche tangiert sind“ (BMVI sorgungswichtigkeit“ und diversen Formen von „Gefähr- 2017a: 39). Dass bestimmte Ereignisse in manchen lichkeit“ unterschieden (vgl. Neisser 2016: 12-19; Krings Gebieten besonders wahrscheinlich auftreten, ist grund- 2018: 107-109). legend für Ansätze der raumplanerischen Risikovor- Ausfälle kritischer Infrastrukturen werden nicht als sorge. Eine räumlich differenzierte Eintrittswahrschein- raum- oder raumplanungsrelevante Gefahrenkatego- lichkeit von Gefahrenereignissen und, damit verbunden, rie aufgefasst. Es sei zu erwarten, dass sich Ausfälle in die Möglichkeit besonders gefährdete Gebiete abzu- Form von Domino- bzw. Kaskadeneffekten (vgl. Kapitel grenzen, gelten als Merkmale ‚raumrelevanter Risiken’ 2) ausbreiten, die, so BMVI (2017a: 39), „immer nur in (in Abgrenzung zu mehr oder weniger ubiquitären szenariohaften Betrachtungen für umfassend definierte Risiken; vgl. Greiving 2011: 22). Sofern die Eintrittswahr- Einzelfälle ermittelt werden [können]“. Diese Szenarien scheinlichkeit der fraglichen Ereignisse und/oder deren zu analysieren sei nicht Aufgabe der Raumordnung, Folgen mit Instrumenten der räumlichen Planung beein- sondern des Katastrophenschutzes (BMVI 2017a: 39). flusst werden können, werden sie zudem als „raumpla- Da sich entsprechende Ereignisse über große Distanzen nungsrelevant“ gesehen (Greiving 2011: 23). Diesem und administrative Grenzen hinweg erstrecken können, Ansatz folgend können kritische Infrastrukturen als komme es zudem zu einem Auseinanderklaffen von „Pro- „schutzwürdige Raumnutzung“ betrachtet werden (Grei- blemraum und Aufgabenwahrnehmungsraum“ (BMVI ving/Hartz/Hurth et al. 2016: 94; Greiving 2018: 418). So 2017a: 38). Ausfallereignisse entziehen sich also gewis- verfährt das oben genannte Handbuch nicht nur, indem sermaßen zweifach dem Zugriff der raumplanerischen es auf mögliche Ausnahmen vom Bündelungsgebot hin- Risikovorsorge. „Im Ergebnis“, so BMVI (2017a: 39), sei weist, sondern auch, indem es dazu aufruft, Errichtung „der primäre Zugang der Raumordnung im Umgang mit und Ausbau kritischer Infrastrukturen in überschwem- kritischen Infrastrukturen der räumlich bestimmbare phy- mungsgefährdeten Bereichen möglichst zu vermeiden sische Standort der Infrastrukturen.“ Ein sachgerechter oder, falls unvermeidlich, Objektschutzmaßnahmen vor- Umgang setze allerdings voraus, „dass dem Planungs- zuschreiben (BMVI 2017a: 39; vgl. auch Greiving 2018: träger bekannt ist, welche Infrastrukturen als kritisch 418). Exposition oder Verwundbarkeit des Schutzguts einzuordnen […] sind“ (BMVI 2017a: 38; vgl. auch BBK sollen also reduziert werden, um das Risiko zu mindern. 2020: 38) – eine Bedingung, die derzeit vielerorts nicht Als schutzwürdige Raumnutzung können kritische Inf- erfüllt sein dürfte (vgl. Kapitel 2). Sollte die formelle rastrukturen nicht nur im Hochwasserrisikomanagement, Identifizierung kritischer Infrastrukturen vorangetrieben sondern generell in Verfahren zum Umgang mit raumpla- nungsrelevanten Risiken berücksichtigt werden. Diese 17 12. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions- Vorgehensweise wurde in einem Modellvorhaben zum schutzgesetzes (Störfall-Verordnung) in der Fassung der Bekannt- vorsorgenden Risikomanagement in der Regionalpla- machung vom 15. März 2017, zuletzt geändert durch Artikel 1a der nung erprobt, das auch Risiken durch Erdbeben, Hitze Verordnung vom 8. Dezember 2017.
582 Susanne Krings werden, könnte die Berücksichtigung der Belange des individueller Freiheit und einer prinzipiell begrenzten Schutzes kritischer Infrastrukturen für die räumliche Sphäre staatlichen Handelns“ (Forsthoff 1938: 42). Aus- Planung zukünftig erleichtert werden. gestattet mit grundrechtlich gesicherten Freiheiten habe Der Raumordnungsbericht 2011 weist nicht nur auf jeder „für sein eigenes Wohl zu sorgen“, wobei voraus- Überschneidungen zwischen den Sektoren kritischer gesetzt werde, die „Zustände gestatten es ihm auch, Infrastrukturen und Daseinsvorsorgebereichen hin, dafür sorgen zu können“ (Forsthoff 1938: 44). Tatsäch- sondern bewertet unter der Überschrift „zentrale versus lich sei der Mensch aber „nicht mehr im Besitze der dezentrale Wasserversorgung“ (BBSR 2012: 54) auch elementarsten Lebensgüter, ohne die sein physisches Varianten der räumlichen Organisation der Bereitstel- Dasein auch nicht einen Tag denkbar ist“ (Forsthoff lung einer Daseinsvorsorgeleistung aus der Sicht des 1938: 7). Die Verwaltung trete daher mit der „Darbrin- Schutzes kritischer Infrastrukturen. Ein Diskussions- gung von Leistungen, auf welche der in die modernen strang, der an etwaigen Überschneidungen zwischen massentümlichen Lebensformen verwiesene Mensch Infrastrukturen, die als Mittel zur Bereitstellung von lebensnotwendig angewiesen ist“ (Forsthoff 1938: 7), in Daseinsvorsorgeleistungen Gegenstand politischer Ent- einer existenziellen, aber rechtlich nicht vorgesehenen scheidungen und planerischer Praxis sind, und den als Funktion in Erscheinung. Diesem Missstand solle mit kritisch betrachteten Infrastrukturen ansetzt, hat sich Schaffung einer Rechtsgrundlage für die von ihm als allerdings bislang nicht herausgebildet. Entsprechende „Daseinsvorsorge“ bezeichneten Verwaltungstätigkeiten Überschneidungsbereiche werden in der Literatur ver- abgeholfen werden.19 schiedentlich benannt (vgl. Engels/Nordmann 2018: Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde 7; Krings 2018: 110) oder impliziert (vgl. Lauwe/Riegel Daseinsvorsorge zu einem prägenden politischen und 2008: 121), aber nicht zum Untersuchungsgegenstand verwaltungspraktischen Konzept. Dazu musste aller- gemacht. In rechts- und sozialwissenschaftlichen Arbei- dings insbesondere sein Verhältnis zu den Grundrechten ten, die sich mit dem Beziehungsgefüge von „Daseins- überdacht werden: Um im neuen Umfeld anschlussfähig vorsorge“ und „kritische Infrastruktur“ sowie den darauf zu sein, konnte die Daseinsvorsorge – anders als nach bezogenen Politikbereichen befassen, werden räumli- Forsthoffs (1938: 46) ursprünglicher Auffassung – nicht che oder raumordnungspolitische Aspekte nicht behan- als Ersatz der Grundrechte verstanden werden. Liberale delt (Sonntag 2005: 116-136; Wiater 2013: 28-31) oder Werte und Wohlfahrtsstaatlichkeit mussten miteinander nur gestreift (Folkers 2017: 866-868; Folkers 2018a: versöhnt werden (vgl. Folkers 2017: 866). „Wohlfahrts- 245-247; Folkers 2018b: 132). Diese Leerstelle soll der staat“ bedeute, mit den Worten Baduras (1966: 625), vorliegende Beitrag zu füllen beginnen. Anlass dazu gibt „nicht Wohlfahrt statt Freiheit, sondern Freiheit durch inzwischen auch die bereits genannte Arbeitshilfe zur Wohlfahrt“ und es bestehe „die Chance der individuellen Identifizierung: Kritische Dienstleistungen, so heißt es Selbstverwirklichung auf Grund der Wahrnehmung einer dort, seien „zumeist essentielle Leistungen der Daseins- sozialen Verantwortung durch den Staat“ (Hervorhebung vorsorge“ (BBK 2019b: 17). im Original). Die Daseinsvorsorge soll die Grundrechte nicht länger ersetzen, sondern die Wahrnehmung grund- rechtlich abgesicherter Freiheiten ermöglichen (vgl. 4 Daseinsvorsorge: Knauff 2004: 48). Zudem widerspreche es, so Forsthoff (1959: 12) Gewährleistung von später entgegen seiner ursprünglichen Konzeption, Versorgungsleistungen „allen Anforderungen an den modernen Sozial- und Verteilungsstaat“, wolle man den Begriff „auf den der Der Begriff „Daseinsvorsorge“ geht auf den Juristen Vitalsphäre entnommenen Mindeststandard individueller Ernst Forsthoff zurück, der in den 1930er-Jahren eine Daseinsbehauptung beschränken“. Die „Versorgungs- Diskrepanz zwischen Verwaltungsrecht und Verwal- bedürfnisse des modernen Menschen“ seien „nicht von tungswirklichkeit beobachtete.18 Das am Modell des libe- ralen Rechtsstaats orientierte Verwaltungsrecht basiere auf der Annahme einer „prinzipiell unbegrenzten Sphäre 19 Forsthoff (1938: 7) nennt an gleicher Stelle auch „die Gewähr- leistung eines angemessenen Verhältnisses von Lohn und Preis“ und „die Lenkung des Bedarfs, der Erzeugung und des Umsatzes“ 18 Zur Entwicklung, theoretischen und geschichtlichen Einord- als Aspekte der Daseinsvorsorge, führt allerdings nicht dazu aus. nung und Rezeption des Konzepts sowie zur Rolle Forsthoffs vgl. Sie spielen in späteren Diskussionen um die Daseinsvorsorge Scheidemann (1991) und Kersten (2005). keine Rolle.
Doppelt relevant: Kritische Infrastrukturen der Daseinsvorsorge 583 dem allgemeinen Lebensstandard zu lösen und damit Hand verzichtet bei der Leistungserbringung vielfach nicht konstant“ (Forsthoff 1959: 12). Es ist also konzep- auf ihre „bevorzugte Stellung und wird zum ‚normalen‘ tionell gedeckt, die Bandbreite der Daseinsvorsorge Marktteilnehmer“ (Knauff 2004: 67) neben privaten, pri- zugerechneter Leistungen im Zuge der wohlfahrts- vatisierten oder öffentlich-privaten Akteuren. staatlichen Entwicklung der folgenden Jahrzehnte zu Vor diesem Hintergrund entwickelt sich ab Mitte der erweitern. Daseinsvorsorge soll nicht länger das ‚nackte 1990er-Jahre eine Debatte um „das nach juristischen Leben‘ ermöglichen, sondern ein ‚gutes Leben‘ (Folkers und politischen Maßstäben richtige Maß der Staatsin- 2018b: 132). Im Umfeld eines „allgemeinen Ausbaus tervention“, die zu einer „Rückbesinnung auf die Bedeu- des Sozialstaats“ kommt es zu einer „Ausweitung des tung öffentlicher Versorgung“ (Milstein 2018: 364) führt daseinsvorsorgerischen Leistungsspektrums“, was sich und den Begriff „Daseinsvorsorge“ in den akademischen mit zunehmender Anerkennung von „Daseinsvorsorge und politischen Diskurs zurückbringt (Krajewski 2011: als Staatsaufgabe“ in einem „starken Anstieg der leis- 29). Die seit den 2000er-Jahren in einigen Bereichen der tenden Staatstätigkeit“ (Knauff 2004: 54) niederschlägt. Daseinsvorsorge zu beobachtenden Rekommunalisie- Diese Entwicklungen bedingen einen erheblichen rungen (vgl. Libbe 2012; Cumbers/Becker 2018) bilden Ausbau jener Arrangements, für die sich zeitgleich eine Art Gegentrend im Bereich der Erfüllung, die hier der Begriff „Infrastruktur“ etablierte. Im Kontext eines skizzierte Verantwortungsteilung stellen sie aber nicht „ständig steigenden und von gleichsam unsichtba- automatisch infrage. „Der Begriff Daseinsvorsorge“, so ren ‚öffentlichen Händen‘ bereitgestellten, sozial- und lässt sich bisweilen definieren, „umfasst gemeinwohl- interventionsstaatlichen Betreuungsniveaus“ (van Laak dienliche Leistungen im weiteren Sinn, die der Einzelne 1999: 299) tritt der in den 1950er-Jahren aus dem NATO- zu einer angemessenen Lebensführung benötigt und Vokabular in den deutschen Sprachgebrauch übernom- deren grundsätzlich marktförmige Darbietung daher mene Begriff seine Karriere an. Er erfreut sich schnell regelmäßig staatlichem Einfluss unterliegt“ (Milstein großer Beliebtheit und entwickelt sich zu einer „handli- 2018: 361). Um welche Leistungen es sich dabei im Ein- chen, weil scheinbar unpolitisch-technischen Kategorie zelnen handelt, „ist grundsätzlich zeitbezogen politisch für staatliche Vorleistungen im Wirtschaftlichen wie im zu beantworten“ (Knauff 2004: 49).20 Sozialen“ (van Laak 1999: 285). „Infrastruktur“ wird zum technokratisch-neutral anmutenden Pendant des Kon- zepts „Daseinsvorsorge“, wobei deren Abgrenzung bis heute zuweilen schwammig ausfällt und die Präferenz 5 Sektoren kritischer für den einen oder anderen Begriff auch konjunkturel- Infrastrukturen und Bereiche der len Schwankungen unterliegt (vgl. Schmidt 2013: 15-28; Steinführer 2015: 7). Daseinsvorsorge In den 1990er-Jahren wird mit der Konturierung In den Konzepten „Daseinsvorsorge“ und „kritische Inf- des Gewährleistungsstaates die Frage nach der Reich- rastruktur“ kommt auf jeweils unterschiedliche Weise die weite staatlicher Verantwortung für die Daseinsvorsorge Anerkennung gesellschaftlicher Relevanz und staatlicher gestellt. Dem vorangegangen war seit den 1970er-Jah- Verantwortung für bestimmte Versorgungsleistungen ren ein erst schleichend und überlagert von einem par- zum Ausdruck (vgl. Kapitel 2 und Kapitel 4). Dabei nimmt allel weitergehenden Ausbau öffentlichen Engagements die Bedeutung von Versorgung und den Einrichtungen vollzogener ‚faktischer Paradigmenwechsel‘ (Knauff des Versorgens eine jeweils spezifische Form an: Ihre 2004: 58): von der ganz überwiegenden Leistungser- Verfügbarkeit wird im Kontext der Daseinsvorsorge als bringung durch öffentliche hin zur vielfältigen Einbindung Grundvoraussetzung der individuellen Lebensführung privater Akteure. Eingebettet in eine Programmatik zur und des sozialen Gefüges konzeptualisiert, ihre Nicht- Verschlankung des Staats (z. B. Deutscher Bundestag Verfügbarkeit tritt beim Schutz kritischer Infrastrukturen 1998) und flankiert von europarechtlichen Impulsen (z. B. als existenzielle Gefahr in Erscheinung. Dabei kommt KOM 1996) wird hinsichtlich der staatlichen Verantwor- in der Idee der kritischen Infrastrukturen eine ambiva- tung für die Daseinsvorsorge nun verstärkt zwischen der Gewährleistung (ob) und den Modalitäten ihrer Erfüllung 20 Die Interpretation des Leistungsspektrums der Daseinsvor- (wie) unterschieden (vgl. Knauff 2004: 66): Beschränkt sorge ist damit ein prinzipiell unabgeschlossener Prozess, dessen sich die staatliche Verantwortung für eine Aufgabe auf Fortgang sich jüngst anhand der Bereitstellung von (Breitband-)In- die Gewährleistung, so kann die eigentliche Erfüllung ternetanbindung beobachten lässt (z. B. WD 2012; Beirat für Raum- durch unterschiedliche Akteure erfolgen. Die öffentliche entwicklung 2015).
584 Susanne Krings lente Haltung gegenüber einem mit Werten wie „soziale strukturen, wobei man die Branchen hinzuziehen muss, Sicherheit, staatliche Verantwortung und wirtschaftliche um das Notfall- und Rettungswesen im Sektor „Staat und Prosperität“ (van Laak 2001: 367) konnotierten und mit Verwaltung“ ausfindig zu machen. Nicht in allen Fällen ist „gesellschaftliche[r] Kohäsion“ (Kaufmann 2011: 107) klar, ob partielle Überschneidungen bestehen könnten assoziierten Begriff zum Ausdruck: „Nicht mehr nur der (z.B. zwischen Pflegebereich und Gesundheitssektor). Mangel an Infrastruktur“, sondern auch deren Verdich- Einige soziale Dienstleistungen wie Kinderbetreuung tung, Vernetzung und „gar der reibungslose Normalbe- und Bildung, aber auch der eher technische Bereich der trieb der Systeme“ (Kaufmann 2011: 107) gelten nun als Abfallentsorgung werden einhellig zur Daseinsvorsorge Problem. Während im Kontext der Daseinsvorsorge das gezählt, haben allerdings keine noch so grobe Entspre- ermöglichende Element mittels Infrastrukturen bereitge- chung unter den Sektoren kritischer Infrastrukturen. stellter Versorgungsleistungen im Mittelpunkt steht, rückt Umgekehrt hat der Sektor „Ernährung“ kein Gegenüber mit dem Schutz kritischer Infrastrukturen der Aspekt der in den Spalten 2-4. Ein Blick auf die Branchen verrät, Gefahrenabwehr in den Vordergrund. dass auch andere Teilsektoren kritischer Infrastrukturen Überschneidungen der Gegenstandsbereiche von nicht in den hier genannten Daseinsvorsorgebereichen Daseinsvorsorge und Schutz kritischer Infrastrukturen repräsentiert sind. erscheinen intuitiv naheliegend. Mangels einer verbindli- Den für Tabelle 2 herangezogenen Quellen nach chen Liste von Bereichen der Daseinsvorsorge entzieht sind weder die Sektoren kritischer Infrastrukturen sämt- sich die Aussage, diese könnten mehrheitlich einem lich eine Teilmenge der Bereiche der Daseinsvorsorge, Sektor oder Teilsektor kritischer Infrastrukturen zuge- noch sind alle Daseinsvorsorgebereiche in den Sektoren ordnet werden (BBSR 2012: 53), allerdings der unmittel- wiederzufinden. Für viele Bereiche der Daseinsvorsorge baren Überprüfung. In behördlichen Veröffentlichungen kann aber zumindest von einer gewissen Vergleich- werden, sofern sie denn eine Liste von Bereichen der barkeit mit einem Sektor gesprochen werden. Ob das Daseinsvorsorge enthalten, regelmäßig Formulierungen auf die meisten Bereiche zutrifft (vgl. BBSR 2012: 53), gewählt, die einen Anspruch auf Vollständigkeit zer- hängt davon ab, welcher Auffassung vom Spektrum der streuen. So mutet die in Tabelle 2 in Spalte 2 enthaltene Daseinsvorsorge man folgt. Umgekehrt lassen viele Liste von „Infrastrukturen der Daseinsvorsorge“ (BMVBS Sektoren kritischer Infrastrukturen Parallelen zu einem 2010: 36) zwar umfänglich an, wird im begleitenden Text Daseinsvorsorgebereich erkennen. aber als nicht abschließend bezeichnet. Die juristische Bei einem genaueren Blick in die Arbeitshilfe zur Konkretisierung des Leistungsumfangs der Daseins- Identifizierung kritischer Infrastrukturen (BBK 2019b) vorsorge erfolgt sukzessive durch die Rechtsprechung. zeigt sich allerdings, dass die Sektoreneinteilung zumin- Spalte 3 enthält die von Krajewski (2011: 32-35) und dest unterhalb der Bundesebene keine Ausschlusswir- Milstein (2018: 365-367) vorgestellte Kasuistik. Der kung entfaltet: Die Arbeitshilfe leitet explizit dazu an, Fachliteratur sind darüber hinaus auf der Basis unter- auch Infrastrukturelemente aus Daseinsvorsorgeberei- schiedlicher Kriterien erstellte, mehr oder weniger stark chen, die keine Überschneidungen auf der Ebene der voneinander abweichende Auflistungen zu entnehmen, Sektoren aufweisen, bei der Identifizierung zu berück- etwa die von Einig (2008: 18) vorgeschlagene Variante sichtigen. So sei es beim Schritt „Erhebung der Dienst- (vgl. Spalte 4). Oft werden – wie in Tabelle 2 – mehrere leistungen“ besonders für Kommunen sinnvoll, „Leistun- Versionen vergleichend gegenübergestellt, um der Viel- gen aus dem Bereich der Daseinsvorsorge zu ergänzen, falt unterschiedlicher Auffassungen Rechnung zu tragen welche noch nicht über die Sektoren und Branchen (vgl. Steinführer 2015: 7; BMVI 2017b: 17-19). KRITIS [kritischer Infrastrukturen] erfasst werden“ (BBK Die Einträge in den Spalten 2-4 weichen hinsichtlich 2019b: 32; meine Hervorhebung). Folglich können die ihres Abstraktionsgrades voneinander ab, bezeichnen auf diesem Weg identifizierten kritischen Infrastruktu- zum Teil Einrichtungstypen, zum Teil Dienstleistungen ren auch aus Daseinsvorsorgebereichen ohne Pendant und repräsentieren erwartungsgemäß unterschiedliche unter den Sektoren kritischer Infrastrukturen stammen. Auffassungen davon, was zur Daseinsvorsorge zählt. Die Gegenstandsbereiche von Daseinsvorsorge und Einige Bereiche tauchen in vergleichbarer Weise in allen Schutz kritischer Infrastrukturen könnten sich demnach drei Spalten auf (z. B. Kinderbetreuung), es scheint vor allem in der kommunalen Praxis noch weiter über- also eine Art gemeinsamen Nenner zu geben, andere schneiden, als Tabelle 2 vermuten lässt. kommen nur einmal vor (z. B. Deichbau). Tatsächlich Dass die Bandbreite der Dienstleistungen, die unter- haben einige der übereinstimmend genannten Bereiche halb der Bundesebene als kritisch betrachtet werden, auch ein Pendant unter den Sektoren kritischer Infra- deutlich über die Sektoreneinteilung hinausgehen kann,
Doppelt relevant: Kritische Infrastrukturen der Daseinsvorsorge 585 Tabelle 2: Sektoren und Branchen kritischer Infrastrukturen und Bereiche der Daseinsvorsorgea Sektoren und Branchen „Infrastrukturen der „Umfang der „Aufgabenfelder kritischer Infrastrukturen Daseinsvorsorge“ Daseinsvorsorge“ öffentlicher (BBK 2020: 24) (BMVBS 2010: 36) (Krajewski 2011: 32-35; Daseinsvorsorge“ Milstein 2018: 365-367) (Einig 2008: 18) Energie Gasversorgung, Energieversorgung (Gas, Energieversorgung Elektrizität, Mineralöl, Gas Fernwärmeversorgung, Elektrizität, Fernwärme) Stromversorgung Ernährung Ernährungswirtschaft, Lebensmittelhandel Finanz- und Versicherungswesen öffentlich-rechtliche Finanz- und Versicherungs- Banken, Börsen, Versicherungen, Finanzinstitutionen (z. B. dienstleistungen Finanzdienstleister Sparkassen, Landesbanken) Gesundheit Hausärztliche Versorgung, Gesundheitsleistungen Gesundheitswesen medizinische Versorgung, Krankenhäuser (Krankenhäuser, Arzneimittel und Impfstoffe, Labore Krankenkassen, Vertragsärzte) Informationstechnik und Informations- und Telekommunikation Kommunikationsdienstlei- Telekommunikation Kommunikationssysteme stungen Telekommunikation und (Grundversorgung, höhere Informationstechnik Leistungsbandbreiten) Medien und Kultur Kunst- und Kulturpflege, Rundfunk, Kultureinrichtungen Kulturelle Versorgung Rundfunk (Fernsehen, Radio), Bibliotheken (Stadthallen, Theaterbetriebe) b gedruckte und elektronische Presse, Kulturgut, symbolträchtige Bauwerke Staat und Verwaltung Polizei, Brandschutz, Notfalltransporte Katastrophenschutz, Regierung und Verwaltung, Katastrophenschutz, Feuerwehr und Parlament, Justizeinrichtungen, Rettungsdienst Rettungswesen Notfall- und Rettungswesen einschließlich Katastrophenschutz Transport und Verkehr Straßen (vornehmlich Verkehr (Verkehrsinfrastruktur, Verkehrsinfrastruktur, Luftfahrt, Seeschifffahrt, Binnen Erschließungsfunktion und Verkehrsdienstleistungen, Verkehrsdienste (wie schifffahrt, Schienenverkehr, übergeordnetes Netz), ÖPNV insbesondere ÖPNV), Post Schülertransport und Straßenverkehr, Logistik und Schülertransport öffentlicher Verkehr) Wasser Trinkwasserversorgung, Trinkwasser, Wasserwirtschaft öffentliche Wasserversorgung und Schmutz- und Abwasserbeseitigung (einschließlich Ver- und öffentliche Abwasserbeseitigung Regenwasserkanalisation Entsorgung) Mobile und stationäre Alten- und Pflegeheime Altenpflege Pflegeeinrichtungen, Begegnungsstätten für ältere Menschen Jugendzentren, Kindergärten Kinderbetreuung Kindertageseinrichtungen Grundschulen, allgemein- Öffentliche Schulen Schule und Bildungswesen und berufsbildende Schulen, Volkshochschulen Abfallentsorgung Abfallbeseitigung Abfallwirtschaft Sportstätten Sporteinrichtungen (Sportplätze, Sportstätten Schwimmbäder) Friedhöfe Friedhöfe
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