Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020

 
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Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee

          Grenzen im Mai 2020
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Der morgendliche Spaziergang im Mai beginnt um 8 Uhr. Es geht nach links in die Stubenrauchstraße,
vorbei an einem alten romantischen Waldidyll. Das alte Försterhaus ruft sich in Erinnerung –
mitten in der Stadt,
                                                        eingeklemmt auf 150 Metern zwischen der
                                                        Stubenrauchstraße und der Rudolf-
                                                        Breitscheid-Straße.

                                                      Nach fünf Minuten hat man u.a. das Haus
                                                      von Völker Schlöndorff unds eine kleine
                                                      ehemalige Filmschule passiert.
                                                      Rhododendren blühen in allen Farben,
                                                      ebenso der Blauregen und vor allem der
                                                      Rotdorn.
                                                      Der Rotdorn war der durchgängige Baum in
                                                      meiner Kindheitsstraße, ein warmes Rot.

Während die Stubenrauchstraße nach rechts schwenkt, um in die Rudolf-Breitscheid-Straße zu
münden, geht links in der Außenkurve der Weg runter zum Griebnitzsee.
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Der Weg geht zunächst direkt auf ein weißgetünchtes altes Stück Mauer (ohne den runden Abschluß
nach oben) zu, die weißen Stelen zeigen den Verlauf der Mauer an. Weiter nach links stand statt der
Mauer ein 3 Meter hoher Metallzaun. Vor dem Mauerstück wurde ein einfaches Holzkreuz errichtet.
Es dient nicht nur dem Gedenken an die Mauer, die den Blick auf den Griebnitzsee und damit auf das
gegenüberliegende Ufer versperrte, den dort war West-Berlin und damit die Freiheit - zum Greifen
nahe. Sie verhinderte zusammen mit den auf dem Streifenweg wachenden Grenzschützern der DDR
und den Wachbooten auf dem See die Republikflucht. Unterstützt wurden diese drei Sicherungs-
systeme noch von sog. „Stalinrasen“ – einer Art umgedrehter Egge mit Stahlspitzen nach oben, die
unsichtbar am Ufer im Wasser lagen. Ein Exemplar hängt in der ständigen Ausstellung in der Villa
Schöningen.
Und zusätzlich: in die Stubenrauchstraße und in den seenahen Teil er Rudolf-Breitscheid-Str. kam
man in der DDR nur mit Passierschein!
Die Mauer und das Kreuz sollen den Wanderer auch an die beim Fluchtversuch ums Leben
gekommenen drei jungen Männer erinnern. Ihre Gedenktafeln mit Bild stehen in der Linkskurve des
Weges. Links dahinter befand sich ein Wachturm, von dem nur noch das Fundament vorhanden ist.

Ein naturromantischer, nur noch gut zweihundert Meter kurzer Weg lädt morgens um 8 Uhr ebenso
wie abends um 22 Uhr mit Sonnenuntergang ein
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Es ist eine herrliche, im Wurzelansatz der
Stämme zusammengewachsene Gruppe von
fünf Pappeln – sie lebten schon, als das Lied
„Zogen einst fünf wilde Schwäne … “
komponiert wurde.
Zwei Bäume fühlen sich nicht so photogen
und verstecken sich hinter den anderen drei.
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Der Uferweg mündet nach einhundert Metern in den alten asphaltierten Streifenweg. Man sieht
zwar schon das nahe Ende des Weges, aber noch nicht seinen kulturellen Kern.

Aber nach zweimal 10 Metern gewinnt man schon einen Eindruck vom nächtlichen Leben am See.
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Die Biber waren heute, nachts wieder
                                                            aktiv. Sie wohnen aber nicht in der
                                                            von Uferindianern
                                                            zusammengestellten Hütte.

                                                            In dieser Tipi-Hütte liegt nachts im
                                                            Jahr der Corona vermutlich bisweilen
                                                            ein ruhiger Einsiedler, gezählt als
                                                            Wohnungsloser.

Das Ungewöhnliche an diesem Seeufer ist, dass es über
40 Jahre für die Bürger nicht nur nicht betretbar,
sondern nicht einmal infolge der Mauer einsehbar war.
Eine „Unternehmensgemeinschaft“, deren Grundstück
ging von der Stubenrauchstraße 10 bis zum alten
Grenzstreifenweg, zwischen dem und dem Seeufer die
Mauer stand, hat ein Betonelement der Mauer gekauft
und im Jahre 2013 von dem berühmten Mauerkünstler
Kiddy Citny (geb. 1957 Stuttgart) gestalten lassen.

Diese Planungsgesellschaft für Bauwesen (S&P
Sahlmann gmbH) ist stark in der planerischen
Gestaltung der Stadt Potsdam involviert.

Sie hat freizugänglich am Uferweg noch ein weiteres
Objekt (leider nur zeitlich befristet vom 6.6.2019 bis
zum 31.5. 2020) aufgestellt. Es ist ein stehendes
Triptychon, welches aufgeklappt einem „Prisma“
ähnelt. Die drei Wände sind mit 380 Tausend Holzeiern behängt, die von sehr verschiedenen
Menschen aus 42 Nationen bemalt worden sind. Wie ein normales Ei einen Extrakt verkörpert, sollen
es diese 380000 Eier auch.
Es stammt von der am 5.9.1969 in Tschornomorsk (Ukraine) geborenen Oksana Mas, die es zuvor
auch auf der 54. Biennale Venedig im Jahre 2011 ausgestellt hatte.
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Noch ein schneller Blick zum See. Die Enten sind geflüchtet und warten, daß der Unruhestifter wieder
geht.
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Aber es sind nur wenige
                           Schritte bis zum Ende des
                           Weges.

                           Und da steht „der“ Baum.

                           Es ist eine alte Pappel mit
                           einer wunderschönen Borke,
                           die mit Sicherheit nicht nur
                           schöne Tage in den letzten
                           einhundert Jahren hier am
                           Griebnitzsee gesehen hat.

                           Und
                           die alte Pappel steht nicht nur
                           so da, sondern
                           ganz ohne zu menscheln,
                           als der Charakter einer
zu greisen beginnenden Pappel in ihrer mit dem Alter gewachsenen Würde.
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Das ist der Endpunkt des kleinen Weges am Griebnitzsee unterhalb der Stubenrauchstraße.
Der Eigentümer des Grundstückes dahinter hat mit der Hecke den Weg und damit eine Einheit aus
alten Pappeln, Weiden, Ahorn und Erlen zerstört.
Es war ein Weg, der ganz um den See ging – bis einige (bestimmte) Besitzer ein Grundstück u.a. aus
früherem jüdischen Besitz erworben hatten, die alle bis an den See reichten. Die Stadt Potsdam und
ihre SPD-Oberbürgermeister versprachen den Bürgern vollmundig, einen um den See verlaufenden
Rundwanderweg auf dem ehemaligen Streifengang zu schaffen. Dieser teilweise fest asphaltierte
Streifengang für die NVA der DDR wurde von der Bevölkerung seit Öffnung der Grenze intensiv
genutzt wurde. Aber etliche einfluß–reiche Bürger hatten Grundstücke mit Seezugang und wollten
Bootshäuser und Anlegestege errichten. Die Stadt hatte keinen rechtskräftigen Flächennutzungs- /
Bebauungsplan zu Stande gebracht. Sie nahm über die Jahre dreimal Anlauf mit jeweils neuen
Plänen/Beschlüssen. Es wurde teuer für die Steuerzahler. Dagegen wurde dreimal von den
Seegrundstücksbesitzern geklagt. Es ging also dreimal vor Gericht. Die Potsdam-SPD scheiterte
dreimal und damit endgültig. Beim letzten Verfahren stand, m.W., die Rechtsanwältin der Stadt acht
Rechtsanwälten der Eigentümer gegenüber.
Dreihundert Meter Uferweg am Griebnitzsee Grenzen im Mai 2020
Doch jetzt geht es den Weg zurück und wieder durch die schöne Stubenrauchstraße nach Hause.
Schließlich wird man argwöhnisch von einer Katze auf unerwartetem Posten beobachtet. Hat sie es
sich von Grenzstreifen abgesehen?

Vielleicht sieht die Katze schon die Zukunft? Es scheint, daß dieses Stück Uferweg, das auch die
Entwicklung von der „Mauer“ und den Grenzsicherungssystemen des real existierenden Sozialismus
zu den „neuen“ Grenzzäunen heutzutage zeigt, noch mehr Geschichte und Teilung erfahren wird. Die
Gerüchte sprechen bereits von den nächsten Absperrungen, entgegen dem öffentlichen Interesse,
auf diesem kleinen Stück Uferweg.

Prof. Dr. Wilfried Fuhrmann , 21.Mai 2020, © aller Bilder W. Fuhrmann
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