DU SOLLST NICHT FALSCH ZEUGNIS REDEN WIDER DEINEN NÄCHSTEN - von Sofiya Sobkowiak - Theater Koblenz

 
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&
         Gänseblümchen
         pflücken
        von Sofiya Sobkowiak

                                       The Screaming
                                       Impossibility
                                       of Death
                                       von Katharina Kern

DU SOLLST NICHT
FALSCH ZEUGNIS REDEN
WIDER DEINEN NÄCHSTEN
Szenen zu Wahrheit, Lüge und Fiktion
DU SOLLST NICHT FALSCH ZEUGNIS                                         An der Berliner Universität der Künste (UdK) studiert mittlerweile der 15.
                                                                         Jahrgang angehender Autor*innen im Studiengang „Szenisches Schreiben“

  REDEN WIDER DEINEN NÄCHSTEN                                            unter der Leitung des Autors und Dramaturgen John von Düffel. Inzwischen
                                                                         gehen über zehn Koblenzer Theaterarbeiten auf die nunmehr sechsjährige
                  Szenen zu Wahrheit, Lüge und Fiktion                   Kooperation zwischen dem Studiengang und dem Theater Koblenz zurück,
In Kooperation mit dem Studiengang Szenisches Schreiben der UdK Berlin   darunter „The Magic Roundabout – Fiktives über einen wahren Fall“ (2015)
                                                                         und „Das Grundgesetz – Szenen einer vorläufigen Verfassung“ (2017).
           „Gänseblümchen pflücken“ von Sofiya Sobkowiak
                                                                         Für diese Spielzeit haben sich nun die Student*innen Sarah Amanda Dulge-
                           Mutter   Raphaela Crossey
                                                                         ris, Patty Kim Hamilton, Katharina Kern, Elisabeth Pape, Lena Reißner, Rosa
                          Tochter   Esther Hilsemer
                                                                         Rieck, Sofiya Sobkowiak, Ivana Sokola, Jona Spreter und Lisa Wentz in eine
                                                                         sprachlich-theatralische Auseinandersetzung mit dem 8. Gebot des Deka-
      „The Screaming Impossibility of Death“ von Elisabeth Pape          logs begeben: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“.
                      Dana First    Jana Gwosdek, Magdalena Pircher      Eine Forderung, die in Zeiten zunehmender Fake News und boomender Ver-
                  Gerald Limbus     Marcel Hoffmann                      schwörungstheorien aktueller ist denn je.

                    Inszenierung    Markus Dietze                        Es geht also in den insgesamt neun Stücken, die in den vergangenen Mona-
                        Kostüme     Claudia Rüll Calame-Rosset           ten entstanden sind, um: die Lüge. Deshalb aber eben auch um: die Wahrheit.
                           Musik    Søren Nils Eichberg                  Wer lügt? Und warum? Weshalb empfinden manche Menschen ihre Lüge
                     Dramaturgie    Margot Weber                         trotzdem als Wahrheit? Und wie richtet man sich mit einer Lüge das Leben ein
                                                                         – und was für Folgen hat das für andere?
                         Kamera     Leo Eßbach
                                    David Finn                           Die Autor*innen schauen auf Geschwisterbeziehungen und toxische Mut-
                                                                         ter-Tochter-Konflikte, auf schreckliche Ereignisse mit tödlichem Ausgang,
                          Schnitt   Thiemo Hehl                          aber auch auf solche, die lediglich bei einer Tasse Tee im Garten zur Sprache
                                                                         kommen. Sie betrachten große Lebenslügen, aber auch kleine Alltagsflun-
                                                                         kereien. Sie sezieren willentlich Verdrängtes, aber auch Unbewusstes und
                  Regieassistenz    Marie-Theres Schmitt
                                                                         Unterbewusstes. Sie blicken auf Hilflosigkeit und Überforderung. Und den
                 Schnittassistenz   Britta Bischof
                                                                         Horror, der daraus erwachsen, und die Rache, die damit einhergehen kann.
                       Inspizienz   Thomas Gruber
                        Soufflage   Sabine Jungk
                                                                         In der Mehrzahl handelt es sich um Zwei-Personen-Stücke, es gibt aber auch
                                                                         zwei Monologe („Rabenmutter“, „Gethsemane“) sowie ein Werk, „beretta
         Alle Mitwirkenden finden Sie im Abspann des Films.              kaliber 22“, das sich, als Textfläche, einer offeneren Form bedient.

    Erstsendung am 16. Mai 2021 auf stream.theater-koblenz.de            Die Uraufführung hatten wir für dieses Frühjahr im Theater geplant. Pan-
                                                                         demiebedingt können wir die Werke aber nun leider nicht vor einem Live-
                                                                         Publikum spielen. Deshalb haben wir beschlossen, sie zu verfilmen. Dabei
                                                                         haben wir jeweils zwei Stücke zu einem Film zusammengefasst. Er wird als
                                                                         fünfteilige Serie im Wochenrhythmus auf unserem hauseigenen Stream-
                                                                         ing-Portal stream.theater-koblenz.de zu sehen sein. Jeder Film wird von
                                                                         einem eigenen Programmheft begleitet.
Sofiya Sobkowiak, 22, ist aufgewachsen in Bonn. Seit vier
Jahren lebt und schreibt sie in Berlin. Ihr Stück „Erstaun-
liche Gnade“ wurde im Rahmen des DRAMA! Festivals 2020 in
Hamburg inszeniert. Außerdem lief ihr Stück „Unter den Bir-
ken“ in diesem Jahr beim Wildwuchs Autorinnenfestival im
Theaterdiscounter Berlin.

Worum geht’s in Ihrem Stück?
Um das Weitervererben von Traumata, aber auch um die
Selbstwahrnehmung als Frau in unserer Gesellschaft.

Ruhm oder Geld ?
Beides.

Wieso ein Mutterdrama ?
Ich finde es interessant, wie Mütter ihren Kindern Gefühle
und Lebenseinstellungen weitergeben können, sodass die
nächsten Generationen weiter mit ihnen im Konflikt stehen.
Wenn eine Mutter ein Mantra oft wiederholt, wird es die Toch-
ter auch auswendig aufsagen können, aber vielleicht kann sie
am Ende des Tages doch anders damit umgehen.

Ist es für Sie in Ordnung, zu lügen?
Lügen sind für mich okay, wenn man jemanden vor etwas
beschützen muss. Ich selber war aber noch nicht in so einer
Situation. Andere Arten des Lügens finde ich belastend.
Außerdem gibt es, wenn man ehrlich ist, kein schlechtes
Gewissen, das einen nachts wachhalten kann.

Ihre Lieblingsschriftstellerinnen?
Lieblingsautorinnen wechseln sich bei mir phasenweise ab,
es kommt immer auf meine Stimmung an. Stimmung im
Moment: Sally Rooney – weil ihre Bücher zu lesen sich an-
fühlt, als wäre sie eine gute Freundin. Sibylle Berg – weil sie

                                                                  Gänseblümchen pflücken
halt brutal ehrlich ist. Und Lisa Taddeo hat das Buch „Three
Women“ geschrieben, das mich sehr beeindruckt hat.
Feine Leute
feine leute schwitzen nie
fahr‘n auch nie zur arbeit
feine leute lügen nie
sagen nur die wahrheit
feine leute pinkeln nie in die blumenvase
fallen niemals aus der rolle oder auf die feine nase
o, sie sind geboren unter einem feinen stern
ach, ich hab feine leute einfach gern

feine leute trinken tee
essen dazu kuchen
sitzen auf dem kanapee
man hört sie niemals fluchen
feine leute sind gepflegt, ehrlich, nett und offen
sind von höherem erbaut und von fremdem leid betroffen
alles allzumenschliche liegt ihnen fern
ach, ich hab feine leute einfach gern

feine leute sind loyal
aber nur zu ihresgleichen
und sie sind so liberal
sie sind so nett, die reichen
feine leute danken gott, denn die sind so froh
daß sie feine leute sind, na, das ist halt einfach so
ja, ich liebe sie, meine damen meine herrn
ach, ich hab feine leute einfach gern

Georg Danzer

                                                         Jona Mues
Die Mutterwunde
                          Ein Interview mit der amerikanischen Psychologin Susan Forward

                          SZ-Magazin: Sie schreiben in Ihren Büchern von der „klaffenden Mutterwunde“,
                          die viele von uns tragen. Was meinen Sie damit?
                          Susan Forward: Wenn wir nicht richtig bemuttert werden, lässt das in uns eine
                          große Leere zurück. Es gibt schrecklich viele Mädchen, die nicht die Zärtlichkeit
                          erfahren haben, die uns allen zustehen. Oft ist das den Frauen nicht bewusst. Ih-
                          nen ist klar, dass sie deprimiert sind oder zu viel essen, die Symptome können sich
                          in vielem ausdrücken, aber wenn man dahinter schaut, erkennt man, dass es die
                          Mutterwunde ist, die sie kitten wollen. Ganz egal wie wir versuchen, diese Lücke
                          zu füllen, ob mit Drogen, flüchtigem Sex oder Essen: Diese Wunde wird nicht ge-
                          heilt, solange wir nicht direkt daran arbeiten und die Wut und die Trauer anpacken.

                          Was ist zwischen Müttern und Töchtern anders als zwischen Müttern und Söh-
                          nen?
                          Die Mutter ist das Rollenvorbild der Tochter, wohingegen die Söhne irgendwann
                          die Mutter wegschubsen, weil sie nicht mehr Mamas Liebling sein wollen. Söhne
                          wollen nicht verweiblicht werden, aber Mädchen werden ermutigt, es ihren Müt-
                          tern gleichzutun. Die Verschmelzung mit der Mutter ist für eine Tochter etwas
                          Besonderes, und sie muss sich keine Sorgen machen, dass sie deshalb als Mem-
                          me angesehen wird. Eine alte Maxime lautet: Ein Sohn ist ein Sohn, bis er eine
                          Frau findet, aber eine Tochter bleibt ihr Leben lang Tochter.

                          Es heißt, dass Töchter Männer heiraten, die ihren Vätern ähneln. Sie dagegen
                          meinen, dass Töchter ihre Mütter heiraten.
                          Wenn die Beziehung zur Mutter von Kritik oder Konkurrenzdenken geprägt ist,
                          laden Frauen oft einen Mann in ihr Leben ein, der dieses Verhalten spiegelt. Die
                          Worte mögen sich unterscheiden, aber die Musik ist die gleiche. Vielleicht war die
                          Mutter sehr dominant, und dann kann sich eine Frau – natürlich unbewusst – zu
                          einem Mann hingezogen fühlen, der ihr erlaubt, dieses Drama nachzuspielen.

                          Wann ist es besser, die Beziehung zur Mutter aufrechtzuerhalten, und wann ist
                          es besser, die Beziehung abzubrechen?
                          Oder, und das ist der Weg, den die meisten gehen, man führt eine Kaffeekränz-
                          chenbeziehung: Man bricht den Kontakt nicht ganz ab, aber man öffnet sich nicht
                          und zeigt sich nicht verwundbar, sondern plaudert über das Wetter.

                          Michaela Haas

Jona Mues, Jana Gwosdek
Hiermit bestätige ich,
       Es ist nicht das,             dass ich die AGB‘s                          Das habe ich mir
      wonach es aussieht                    aufmerksam und                    schon immer gewünscht!
                                       sorgfältig gelesen habe.

   ALLES
                                                                                      Das sieht cool aus!

                                                                                   Mir sind da
                                                                                die Hände gebunden

     LÜGE!
Das mache ich
  doch gern für dich!

        Das war schon
          kaputt!

                                                            Ich hol mir nur schnell
                                                                                                      Lecker!

                                                                                           Ich fand Ihre Kritik
                            Das Kleid                         etwas zu trinken,                  total gut!
Ich beeil mich!            steht dir super!               ich bin gleich wieder da!
Elisabeth Pape wurde 1995 in Potsdam geboren und studier-
te zunächst Theater- und Literaturwissenschaften an der
Freien Universität Berlin. Seit 2018 studiert sie Szenisches
Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Für die Ins-
zenierung „Born Digital“ des Jungen Deutschen Theaters
Berlin hat sie 2016 erstmals Texte für die Bühne geschrie-
ben. Im Februar 2020 lief ihr Stück „400g VERANTWOR-
TUNG“ im Rahmen des Wildwuchs-Festivals an der Berliner
Volksbühne. Im Herbst 2020 war sie Artist-in-Residence-Sti-
pendiatin des index-FREIRAUM-Stipendiums.

Worum geht’s in Ihrem Stück?
Dana First vs. Gerald Limbus und dazwischen eine Skulptur.

Womit haben Sie als Kind Ihre freie Zeit verbracht?
Ich habe sehr viel gelesen. Wir hatten ja keinen Fernseher
zu Hause. Ich habe mit meiner Freundin Annika Sims
gespielt, oder mich mit meiner Mutter gestritten. Ich war
ständig verliebt, habe deshalb früh angefangen Liebesbriefe
zu schreiben. Oh, und Bibi-Blocksberg-Kassetten habe ich
rauf und runter gehört.

Wie viel hat das, was Sie schreiben, mit Ihrem eigenen
Leben zu tun?
Eine Menge. Vor allem, wenn Mütter eine entscheidende
Rolle spielen.

Ruhm oder Geld?
Uff.

Haben Lügen kurze Beine?
Ach, ich denke nicht, dass jede Lüge immer ans Tageslicht
kommt. Die Frage ist ja immer eher: Was möchte ich mit
dieser Lüge bezwecken? Erscheint es mir sinnvoll, zu lügen?
Grundsätzlich macht man sich aber schon das Leben leich-
                                                               The Screaming Impossibility
                                                                        of Death
ter, wenn man versucht, nicht zu lügen.
Was ist „Geistiges Eigentum“?
Als geistiges Eigentum werden die verschiedenen Rechte bezeichnet, die zum Schutz von geis-
tigen Schöpfungen dienen. Der Begriff ist also sehr weitreichend. Es geht dabei um immateri-
elle Güter, weshalb auch der Begriff des Immaterialgüterrechts Anwendung findet.

Die Rechte an geistigem Eigentum gelten für Immaterialgüter, also Erzeugnisse, die nicht greif-
bar sind und sich dennoch im Besitz von deren Entwicklern und Schöpfern befinden, beispiels-
weise um Bilder, Wörter, Melodien, Ideen, Programme, Erfindungen und Marken.

Grob lässt sich geistiges Eigentum in literarisches und künstlerisches Eigentum (Urheberrecht)
sowie gewerbliches Eigentum (Patent- und Markenrecht) einteilen. Eine weitere Möglichkeit
zur Unterscheidung bietet zudem die Entstehung des rechtlichen Schutzes: Während der ge-
werbliche Rechtsschutz einer Registrierung bedarf – weshalb sie auch als Registerrechte be-
zeichnet werden –, damit ein Schutz wirksam wird, gilt das Urheberrecht automatisch ab dem
Zeitpunkt der Entstehung des Werkes.

Das Urheberrecht schützt geistiges Eigentum, wenn es sich dabei um persönliche geistige
Schöpfungen handelt, die die nötige Schöpfungshöhe erreichen. Dies ist laut Gesetzgeber nur
dann möglich, wenn sich das Werk durch Individualität und Kreativität auszeichnet. Den Schutz
für geistiges Eigentum gewährt das Urheberrecht allerdings nur bei Werken aus den Bereichen
der Literatur, Wissenschaft und Kunst. In § 2 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) werden fol-
gende Werkarten aufgeführt, die durch das Urheberrecht geschützt werden:

· Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme
· Werke der Musik
· pantomimische Werke einschließlich der Werke der Tanzkunst
· Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst
   und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke
· Lichtbildwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden
· Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden
· Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen,
   Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen

Für diese verschiedenen Werkarten räumt das Urheberrecht dem Schöpfer geistige Eigen-
tumsrechte ein. Als Urheber ist er somit alleinig im Besitz der Urheberpersönlichkeits- und
der Verwertungsrechte. Er darf somit als einzige Person darüber entscheiden, wann und in
welcher Form sein Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Zudem kann der Urheber
bestimmen, inwieweit er mit seinem Werk in Verbindung gebracht werden will und die Kenn-
zeichnung dafür aussehen soll.

                                                                                                  Arne von Schilling, Markus Dietze, Cynthia Thurat
Copyismus
                 Ist alles so wie es ist? Und hat alles so auch eine Bedeutung – einen Wert, und wenn ja, welchen? Im Mittel-
                 punkt meiner Überlegungen steht das Verhältnis von Archetyp zu seiner Gefolgschaft. Klärend spricht dies
                 beispielsweise den Zusammenhang einer vorbereiteten Wachsform zum darin gegossenen Objekt an. All-
                 gemeiner ausgedrückt, wie sich Original und Kopie – wäre das Ergebnis gegebenenfalls eine solche – zuei-
                 nander verhalten. Oder welche Bedeutung möglicherweise einer Nachahmung zukommt, oder welchen mi-
                 metischen Zusammenhang Dinge haben, die in gewisser Weise kaum voneinander zu unterscheiden sind. Der
                 gewählte Rahmenbegriff „Copyismus“ subsumiert für den Leser die Vielfalt der Aspekte eines Begriffspaares,
                 das sich in der Geschichte geistig-kreativer Schöpfungen immer wieder findet und doch in völlig verschie-
                 denen Formen ihren Ausdruck hat.

                 Ein Beispiel aus der bildenden Kunst: Camille Corot schuf als Maler etwa dreitausend Bilder. Erstaunlich nur,
                 dass circa 10.000 davon in Amerika verkauft wurden. Ist, wo Corot signiert ist, Corot auch auf der Leinwand?
                 Sprechen wir nun von Fälschern, von Verbrechern etwa, sprechen wir von unsichtbaren Händen, die – ja was
                 – Fälschungen, Kopien oder ähnliches produzieren? Und in der Architektur? Wie viel griechische Baufor-
                 men zierten und zieren römische Städte, dienen der Renaissance als Beispiel, prägen den Klassizismus?
                 Wie viel Palladianisches steht in der Welt? Oder was macht unser zeitgenössisches Bauen frei von Bindungen
                 an Ort und Funktion weltweit so austauschbar – ja, monoton und verwechselbar? Selbst Literatur, Musik,
                 Mode und Design sind nicht verschont – Drucktechniken und digitale Möglichkeiten machen heute die Frage
                 nach Original und „Kopie“ obsolet. Wirklich?

                 Ein Original? Ist es das: eine Signatur vielleicht, eine ureigene Handschrift? Und ist eine Kopie, die beides
                 übernimmt, insofern auch ein Original – zumindest die Perzeption verspricht es. Angenommen, es gäbe nur
                 ein Original – den Archetyp – was zeigte dann die Perzeption? Ein bloßes Abbild des Originals? Kann diese
                 erste Wahrnehmung überhaupt zwischen Original und Kopie unterscheiden? Beansprucht nur das Original
                 das Recht auf geistige Schöpfung – das Urheberrecht? Ist also eine Kopie, ein Abbild, eine Rekonstruktion
                 immer eine „Kopie“, wenn eine Initiation fehlt bzw. nicht erkennbar ist? Wann greift das mimetische Bild –
                 die Nachahmung?

                 Ein Original setzt selbstbestimmtes Handeln einer individuell gebildeten Persönlichkeit voraus. Eines Malers,
                 eines Komponisten, eines Schriftstellers, eines Architekten. Wenn Handeln nicht beliebig, sondern das aus
                 gefestigter Haltung heraus selbstinitiierte Tun ist, dann sprechen wir von einem Vorgang, in dem jemand aus
                 dem Arsenal seiner ureigenen Fähigkeiten schöpft und die für den jeweiligen Einzelfall nötigen Möglichkei-
                 ten nutzt. Das bedeutet, wenn jemand eine Fähigkeit beherrscht und dieses Können uneingeschränkt anwen-
                 det, sein Handeln als die Verwirklichung zu verstehen ist. Dies setzt den Besitz bestimmter Handlungspo-
                 tenzen voraus, die man in sich ausgebildet hat und über die schon vor der jeweils einzelnen Handlung verfügt
                 wird. Originärer Schöpfergeist als Eindruck und ureigener Ausdruck prägt eine nicht austauschbare Identität.

                 Erwien Wachter

Cynthia Thurat
Textnachweise
Georg Danzer, feine leute, aus dem Album „Feine Leute“, 1979
Michaela Haas, Die Mutterwunde, ist die gekürzte Fassung eines Interviews mit Susan
Forward, in: SZ-Magazin 10/2017, 13. März 2017
Was ist „Geistiges Eigentum“?, ist die gekürzte Fassung eines Textes
auf https://www.urheberrecht.de/geistiges-eigentum/
Erwien Wachter, Copyismus, in: BDA-Informationen 2.20, Hrsg. vom Bund Deutscher
Architekten (BDA) 2020

Bildnachweise
Autorinnenfotos: Daniel Nartschick
Szenenfotos: Matthias Baus, Arek Głębocki

Intendant:   Markus Dietze (V.i.S.d.P.)
Redaktion:   Margot Weber
Grafik:      Anja Merfeld
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