Ein blick - German Cancer Research Center
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ein 2 | 2021 #02 | 2021 blick Die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums Die Rolle der Blutgefäße Tolerant oder nicht? Mehr als nur Versorgungspipelines: Bestimmte Stoffwechselprodukte Blutgefäßen kommt bei einer Krebs spielen Tumoren in die Hände: erkrankung eine entscheidende Rolle zu Sie machen das Immunsystem toleranter
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, kein Mensch soll mehr an Krebs sterben. Bei den meisten Krebsarten ist das im Moment noch eine küh- ne Vision. Doch es gibt auch Tumoren, die sich schon heute weitgehend vermeiden ließen. Für Gebärmutter- halskrebs gilt das insbesondere. Die Prävention hält hier zwei Trümpfe bereit, die gemeinsam die Zahl der Neuerkrankungen und Todesfälle auf ein Minimum reduzieren könnten: regelmäßige Vorsorgeuntersu- chungen und eine HPV-Impfung. Doch auch die besten Trümpfe nutzen nichts, wenn man sie nicht ausspielt. Bei der Impfung gegen die krebsauslösenden humanen Papillomviren ist das derzeit noch der Fall: Nicht ein- mal jedes zweite 15-jährige Mädchen in Deutschland ist vollständig gegen HPV geimpft. Hier gibt es also viel ungenutztes Potenzial. Das DKFZ, die Deutsche Krebs- hilfe und die Deutsche Krebsgesellschaft haben des- halb die diesjährige Nationale Krebspräventionswoche unter das Motto „Pikst kurz, schützt lang – Mach dich stark gegen Krebs!“ gestellt. Sie möchten damit vor allem Eltern dazu motivieren, ihre Kinder gegen HPV impfen zu lassen – Mädchen und Jungen. Warum die Impfung auch Männern Schutz bietet? Das ist nur eine der Fragen rund um das Thema HPV, die wir in dieser 29 Ausgabe beantworten. HPV hat viele Gesichter Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen Frank Bernard, Redakteur des einblick.
Inhalt 24 2 Editorial Wie Blutgefäße beim Krebs mitreden 4 News 6 Die Trainerin des Immunsystems Die Medizinerin und Molekularbiologin Angelika Riemer forscht an therapeutischen Impfstoffen gegen HPV- assoziierte Tumoren 10 Die Publikation 12 Keine Toleranz für Tumoren Unter den unzähligen Molekülen, die der Körper tagtäglich herstellt oder umwandelt, gibt es auch einige, die besonders den Krebszellen nutzen 17 Gebärmutterhalskrebs in Afrika 18 Das Protein L1 Wie Papillomviren das Immunsystem austricksen 19 Für eine Welt ohne Krebs 20 „Die HPV-Impfung ist sicher und wirksam“ Interview mit Nobila Ouédraogo 12 Keine Toleranz für Tumoren 21 Testen Sie Ihr Wissen zu HPV! 24 Wie Blutgefäße beim Krebs mitreden Blutgefäßen kommt bei einer Krebserkrankung eine entschei- dende Rolle zu: Sie geben dem Tumor die Richtung vor und zäh- len auch bei der Metastasierung zu den wichtigsten Akteuren 29 HPV hat viele Gesichter Eine Wanderausstellung porträtiert Menschen mit HPV-bedingten Krebserkrankungen 30 Kooperationen & Netzwerke 32 Krebsinformationsdienst Diagnose Krebs: Wie spreche ich mit meinen Kindern darüber? 34 Preise & Auszeichnungen 35 Impressum
4 News Impfung gegen erblichen Darmkrebs Mäuse mit einer erblichen Veranlagung für Darmkrebs überlebten nach einer Schutzimpfung signifikant länger als ungeimpfte Artgenossen. Menschen mit dem sogenannten Lynch-Syndrom haben ein deut- eignen sich deshalb prinzipiell für eine Impfung. Bei Mäusen mit lich erhöhtes Risiko für Tumoren im Magen-Darm-Trakt. Aufgrund einer erblichen Veranlagung für Darmkrebs gelang es den For- einer erblichen Veranlagung ist bei den Betroffenen die Reparatur schern jetzt, die körpereigene Abwehr der Tiere gegen die Krebs- von Fehlern im Erbgut beeinträchtigt. Wissenschaftler des Uni- zellen zu aktivieren. Durch eine Schutzimpfung ließ sich die Ent- versitätsklinikums Heidelberg und des DKFZ möchten das Immun- stehung der Tumoren deutlich hinauszögern. Geimpfte Mäuse system nun mit einer Schutzimpfung gegen die Tumorzellen ak- überlebten im Durchschnitt 31 Tage, ungeimpfte Tiere dagegen tivieren. Das Team um Magnus von Knebel Doeberitz hatte bereits nur 263 Tage. Eine Kombination der Impfung mit einem entzün- herausgefunden, dass bei vielen Patienten mit Lynch-Syndrom dungshemmenden Medikament steigerte den Schutzeffekt noch. identische Mutationen im Erbgut auftreten, wodurch in der Folge Klinische Studien sollen nun zeigen, ob diese Impfung auch beim auch die gleichen veränderten Proteinstrukturen entstehen. Menschen Tumoren verhindern und das Überleben der Patienten Diese können vom Immunsystem als fremd erkannt werden und verlängern kann. Darmkrebsfälle 59.000 Etwa 26.600 Frauen und 32.300 Männer erkrankten im Jahr 2017 an Darmkrebs. Circa drei Prozent der in Deutschland Fälle sind auf das LynchSyndrom zurückzuführen. Neue Broschüre des Krebsinformationsdienstes rigen Rückkehr in den Alltag. Mit der neuen • Die kostenlose Broschüre finden Sie Broschüre „Ihr Weg durch die Krebserkran- als PDF auf der Internetseite des Krebs kung“ bietet der Krebsinformationsdienst informationsdienstes. Sie kann aber auch des Deutschen Krebsforschungszentrums telefonisch (06221/422890), per EMail Antworten auf Fragen, die fast alle (sekretariatkid@dkfz.de) oder online Menschen mit Krebs und auch ihre Ange- bestellt werden. hörigen beschäftigen. Neben medizinischen Themen, wie Untersuchungsverfahren, Jede Phase einer Krebserkrankung ist von Therapieoptionen und die Vorbeugung von ihren eigenen Herausforderungen geprägt: Langzeitfolgen, geht es auch um Aspekte vom Schock der Diagnose und der teilweise der Krankheitsverarbeitung, wie etwa belastenden Behandlung, von der Rehabi- psychoonkologische Hilfen und Anlauf- litation, der Nachsorge und der oft schwie- stellen für eine Unterstützung.
News 5 Gute Lebens- Vorsorge qualität mit Programm In Ländern, die früh ein umfassendes Programm zur Darmkrebsvorsorge Krebs-Langzeitüberlebende bewerteten eingeführt haben, sanken die Erkrankungsraten und auch ihre gesundheitsbedingte Lebensqualität die Darmkrebssterblichkeit erheblich. sogar etwas besser als gleichaltrige Menschen, die nie an Krebs erkrankt waren. Wissenschaftler des DKFZ haben unter- allen Ländern, die bereits früh ein um- sucht, wie sich die Neuerkrankungs- fassendes Vorsorgeprogramm mit Stuhl- Personen, deren Krebsdiagnose länger als fünf und Sterberaten in einzelnen europä tests und Darmspiegelung eingeführt Jahre zurückliegt, werden nach gängiger ge- ischen Ländern in Abhängigkeit von den hatten, sank die altersstandardisierte sundheitspolitischer Definition als Langzeit- jeweiligen Screening-Programmen ent- Darmkrebs-Inzidenz erheblich – in überlebende bezeichnet – unabhängig davon, wickelten. Die Angebote unterscheiden Deutschland beispielsweise pro Jahr um ob die Krankheit noch aktiv ist oder nicht. Wis- sich von Land zu Land teils erheblich: 1,8 Prozentpunkte bei Männern und um senschaftler um Volker Arndt vom DKFZ haben Wird nur der Stuhltest angeboten oder 2,2 Prozentpunkte bei Frauen. Die Vor- nun in einer Studie untersucht, wie diese Men- auch die Darmspiegelung? Erhalten die sorge-Darmspiegelung ist hierzulande schen ihre Lebensqualität einschätzen. Dazu Berechtigten Einladungen oder müssen seit 2002 Bestandteil des Früherken- werteten die Epidemiologen Daten von 2.700 sie sich selbst um einen Termin bemü- nungsprogramms. Wo hingegen keine Personen aus, die an Brust-, Darm- oder Prosta- hen? Es gibt zudem auch Länder, die gar Vorsorgeprogramme angeboten wur- takrebs erkrankt waren und deren Diagnosen keine bevölkerungsweiten Screening- den, stieg die Inzidenz um bis zu 1,9 Pro- 14 bis 24 Jahre zurücklagen. Um krebsbedingte Programme anbieten. zentpunkte pro Jahr bei Männern und Beeinträchtigungen von reinen Alterserschei- Das Team um Hermann Brenner wer- um bis zu 1,1 Prozentpunkte bei Frauen. nungen abgrenzen zu können, zogen die For- tete Krebsregisterdaten sowie Sterblich- Eine ähnliche Tendenz zeigten die Daten scher zum Vergleich eine Kontrollgruppe von keitsdaten der WHO aus dem Zeitraum zur Darmkrebssterblichkeit: Am deut- 1.700 Personen vergleichbaren Alters heran, die zwischen 2000 und 2016 aus. Insgesamt lichsten sank sie in Ländern, die bereits nie an Krebs erkrankt waren. Obwohl sie durch- flossen Daten von 3,1 Millionen Patien- vor längerer Zeit Screening-Programme schnittlich mehr gesundheitliche Beeinträch- ten aus 21 Ländern ein. Es zeigte sich: In eingeführt hatten. tigungen zu Protokoll gaben – etwa Verdau- ungsprobleme, Fatigue oder Schlaflosigkeit – bewerteten die Langzeitüberlebenden ihre ge- sundheitsbezogene Lebensqualität insgesamt sogar geringfügig besser als die Kontrollgruppe. Ein genauerer Blick auf einzelne Untergruppen zeigte, dass diese positivere Einschätzung der eigenen Gesundheit vor allem von männlichen Studienteilnehmern, von über 70-Jährigen und von Personen, deren Krebserkrankung nicht aktiv war, geteilt wurde. Daten aus 21 europäischen Ländern belegen: Je höher die Teilnahmeraten an den Darmkrebs-Screeningprogrammen, desto deutlicher sinken Inzidenz und Sterblichkeit.
6 Porträt Die Trainerin des Immunsystems Die Medizinerin und Molekularbiologin Angelika Riemer leitet am DKFZ die Abteilung „Immuntherapie und -prävention“. Gemeinsam mit ihrem Team sucht die 44-jährige Österreicherin nach therapeutischen Impfstoffen, mit denen sich Gebärmutterhalskrebs oder andere HPV-assoziierte Krebsarten in einem frühen Stadium bekämpfen lassen. Text: Janosch Deeg Fotos: Tobias Schwerdt
Porträt 7 Angelika Riemer und ihr Team möchten das Immunsystem auf die Fährte HPV-infizierter Zellen führen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Bruchstücke von Virusproteinen auf der Oberfläche befallener Zellen.
8 Porträt M Manchmal sind es Kleinigkeiten, die das hat mich auch Australien als Land gereizt“, Leben in eine entscheidende Richtung erinnert sich Riemer. Doch vielmehr brannte lenken. Bei Angelika Riemer zählt dazu wohl sie bereits damals für die Immunologie – und eine Begegnung mit dem Nobelpreisträger Melbourne war bekannt für diese Disziplin. Harald zur Hausen im Jahr 2009. Riemer war In ihrer anschließenden Doktorarbeit fokus zu der Zeit gerade als Postdoc in Boston und sierte sie sich folgerichtig auf das Immun traf den langjährigen Vorstandsvorsitzenden system und besonders auf die Frage, wie es des DKFZ auf einer Tagung. Zur Hausen war sich gegen Krebs aktivieren lässt. es, der mit seiner Forschung die Grundlagen für eine Schutzimpfung gegen humane Papil D I E I M M U N A BW E H R U N T E R ST Ü T Z E N lomviren (HPV) gelegt hatte. Einige Hoch Eine therapeutische Impfung ist eine der risiko-HPV-Typen sind die Hauptauslöser von Optionen. „Alle Projekte in meiner Gruppe Gebärmutterhalskrebs und weiteren Krebs sind auf dieses Ziel ausgerichtet“, sagt sie. arten. Riemer und zur Hausen fachsimpelten Das Vakzin soll Abwehrzellen des Körpers darüber, wie sich die Viren wieder beseitigen dazu bringen, Zellen zu erkennen und zu be ließen, wenn sie sich bereits im Körper fest kämpfen, die mit HPV infiziert sind oder sich gesetzt hatten: Könnte eine therapeutische infolgedessen bereits zu Krebszellen entwi Impfung die Lösung sein? Wenig später ckelt haben. „So gut wie jeder sexuell Aktive kreuzten sich die Wege der beiden erneut: kommt mit krebsauslösenden HPV-Typen in Aus Freude über die Verleihung des Nobel Kontakt. Bei den allermeisten Betroffenen preises an zur Hausen im Jahr 2008 hatte der schafft es das Immunsystem allein, HPV wie Mäzen Manfred Lautenschläger Mittel zur der loszuwerden“, erklärt Riemer „aber eben Verfügung gestellt, die es einem Nachwuchs nicht bei allen.“ Dann dauert es allerdings wissenschaftler ermöglichen sollten, am in der Regel viele Jahre, bis sich aus einer DKFZ eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen. anhaltenden Infektion eine Krebserkrankung Riemer erhielt eine Einladung nach Heidel entwickeln kann. Genau diese Zeitspanne berg und überzeugte die Auswahlkommis will Riemer nutzen, um dem Immunsystem sion. Seither forscht die junge Wissenschaft unter die Arme zu greifen. lerin und Fachärztin für Immunologie und Gelingen soll das, indem natürliche Ab Dermatologie gemeinsam mit ihrem mittler wehrmechanismen stimuliert werden. Infi weile zwölfköpfigen Team an den besagten zierte Zellen präsentieren auf ihrer Oberfläche therapeutischen Impfstoffen. Bruchstücke aus Virusproteinen. So werden „Bereits in der Schule war mir klar, dass Immunzellen alarmiert, nach dem Motto: ich Wissenschaftlerin werden möchte“, „Ich bin befallen, beseitige mich.“ Diese Pro erinnert sich Riemer. Sie dachte zunächst teinbruchstücke bezeichnen die Forscher als an Genetik, entschied sich dann aber für ein Epitope. Für Riemer und ihr Team gilt es nun, Medizinstudium an der Universität Wien. Epitope zu identifizieren, die von den HPV- Insbesondere von der Vielfalt der vermit infizierten Zellen präsentiert werden. Eine telten wissenschaftlichen Grundlagen war Impfung mit diesen Proteinbruchstücken die junge Studentin angetan. Das Studium soll das Immunsystem dann auf die Fährte führte sie jeweils für ein Semester an die der befallenen Zellen führen. Eine wichtige University of Bristol in England und an die Rolle spielen dabei Moleküle namens „Human Monash University in Melbourne. „Natürlich Leukocyte Antigen“, kurz HLA. Sie dienen als
Porträt 9 eine Art „Präsentierteller“. Um dem Immun können die Forscher untersuchen, wie das system ein bestimmtes Epitop zeigen zu Immunsystem am besten stimuliert wird können, muss die Zelle über ein HLA-Molekül und wie effizient sich die Abwehrzellen an verfügen, das genau diesen Proteinschnip die richtige Stelle im Körper leiten lassen. sel binden kann. Das Problem dabei: Es gibt Denn das Modell ermöglicht es, Tumoren an Tausende verschiedener HLA-Moleküle und den Körperstellen zu untersuchen, an denen nicht jeder Mensch hat die gleichen. Bei der beim Menschen HPV-Tumoren entstehen Auswahl geeigneter Epitope spielen die HLA- können, wenn dort eine dauerhafte Infektion Moleküle deshalb eine wichtige Rolle. „Bei den allermeisten besteht. Die bisherigen Ergebnisse sind viel Menschen schafft es das versprechend: Man bereite momentan alles AU F D I E F O R S C H U N G F O K U S S I E R T Immunsystem allein, die dafür vor, um einen ersten Impfstoff in die humanen Papillomviren Mit Impfungen gegen Krebs beschäftigte sich klinische Testphase am Menschen zu brin wieder loszuwerden – aber Riemer bereits in den Jahren 2002 bis 2005, gen, erzählt Riemer voller Hoffnung. eben nicht bei allen. Dann als sie in Molekularbiologie mit Schwerpunkt soll die therapeutische Trotz ihrer herausfordernden Tätigkeit Immunologie promovierte. Die naturwis Impfung dem Immunsystem schafft sich die Wissenschaftlerin Freiräume, senschaftliche Doktorarbeit gab ihr die unter die Arme greifen.“ um genügend Zeit mit ihrer dreijährigen Möglichkeit, ihren Fokus noch mehr auf die Tochter zu verbringen. Früher habe sie gerne Forschung zu richten. „Ich wollte als Forsche und viel gesungen, dazu kommt sie derzeit rin ernst genommen werden“, erzählt sie. Wie jedoch nicht mehr. Der momentane Fokus schon in der Medizin schloss Riemer Studium auf die eigenen wissenschaftlichen Ziele und Promotion mit Bestnoten ab und wurde ist für Riemer jedoch alles andere als reine für beide Studiengänge mit dem Ehrenring Pflichterfüllung. Vielmehr ist sie heute genau des österreichischen Bundespräsidenten das, was sie schon als Jugendliche vor Augen ausgezeichnet. hatte: Wissenschaftlerin mit Leib und Seele. Wissenschaftlich dreht sich bei Angelika Als sie mit jungen 30 Jahren an der Medizini Riemer inzwischen alles um die Suche nach schen Universität Wien habilitierte, zweifelte einem geeigneten therapeutischen Impfstoff. sie noch, ob sie die „richtige“ Forschung be Um passende Epitope für häufig vorkommen reits erlebt hatte. Diese wollte sie in Amerika de HLA-Moleküle zu identifizieren, nutzt die kennenlernen. 2008 ging sie daher ans Gruppe ein ultrasensitives Massenspektro Cancer Vaccine Center des Dana-Farber Can meter. Mit dem hochmodernen Gerät lassen cer Institute und der Harvard Medical School sich die Moleküle sehr effizient und präzise in Boston. „In einem so renommierten Zent analysieren. „Es gibt fünf HLA-Supertypen, rum arbeiten zu können, war eine großartige die bei 95 Prozent der Weltbevölkerung Erfahrung. Es war aber gut zu sehen, dass vorkommen“, erklärt Riemer. Ein aussichts man auch dort nur mit Wasser kocht“, reicher Impfstoff enthält also Epitope für resümiert die Wissenschaftlerin. Rück jede dieser fünf Varianten. Am Ende stellt blickend war die Zeit in Boston in mehrerlei sich dann aber noch eine ganz entscheidende Hinsicht wegweisend: Hier begann Riemer Frage: Lösen die ausgewählten Epitope auch an humanen Papillomviren zu forschen, tatsächlich eine Immunantwort aus? sie arbeitete erstmals mit dem oben genann Um Vakzin-Kandidaten zu testen, hat ten Massenspektrometrie-Ansatz – und das Team ein „HPV-Maustumormodell“ ent sie lernte dort Harald zur Hausen kennen. wickelt. An genetisch veränderten Mäusen Den Rest der Geschichte kennen Sie.
10 Die Publikation π Titel „Tumor-associated hematopoietic stem and progenitor cells positively linked to glioblastoma progression“ π Erstautorinnen I-Na Lu (Postdoc)* und Celia Dobersalske (Doktorandin)* π Leiter der Studie Björn Scheffler (Abteilungsleiter)* und Igor Cima (Senior Scientist)* * DKFZ-Abteilung „Translationale Onkologie mit Schwerpunkt Neuroonkologie“ am West deutschen Tumorzentrum (WTZ) in Essen, Partnerstandort Essen/Düsseldorf des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK). Die Publikation π Veröffentlicht in Nature Communications am 23. Juni 2021 π Gefördert durch Wilhelm Sander-Stiftung, DFG, DKTK DIE AUSGANGSFR AGE Wie gelingt es Glioblastomen, sich den Angriffen des Immunsystems zu entziehen? DER HINTERGRUND Glioblastome sind Hirntumoren mit einem besonders schweren und trotz bestmöglicher Behandlung zumeist tödlichen Verlauf. Auch moderne Im muntherapien, die bei anderen Krebsarten teilweise gute Erfolge erzielen, schlagen nicht an. Die Ursachen dafür sind noch nicht eindeutig geklärt. Offenbar manipulieren die aggressiven Hirntumoren ihre Umgebung, um dadurch die Immunabwehr gezielt zu unterdrücken: Bekannt ist bei spielsweise, dass die Krebszellen immunhemmende Botenstoffe abgeben. Außerdem finden sich in der Nähe der Tumoren bestimmte Arten von Immunzellen, die Angriffe des Immunsystems gegen den Tumor gezielt unterbinden.
Die Publikation 11 DIE EXPERIMENTE Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Die Blutstammzellen haben in unmittelbarer nahmen an, dass in unterschiedlichen Arealen Nähe des Tumors offenbar fatale Eigenschaften: eines Hirntumors unterschiedliche Zelltypen vor In der Kulturschale teilten sich Glioblastomzellen kommen können, insbesondere auch verschie häufiger, wenn dort auch die tumorassoziierten dene Typen von Immunzellen. Solche Vertei Blutstammzellen vorhanden waren. Gleichzeitig lungsmuster könnten charakteristisch für produzierten die Krebszellen große Mengen des als bestimmte Patientengruppen sein und „Immunbremse“ bekannten Moleküls PD-L1. Die bei der Wahl der jeweils am besten Forscher fanden außerdem größere Mengen tumor geeigneten Therapie helfen. fördernder Botenstoffe, wenn sie Krebszellen und Die Forscher untersuchten Blutstammzellen gemeinsam kultivierten. deshalb, welche Zelltypen sich in mehr als 300 Gewebeproben von Glioblastomen 3. Patienten lebten durchschnittlich und anderen bösartigen Hirntumoren befanden, länger, wenn die Tumoren wenige und verglichen die Ergebnisse mit 17 Proben von Blutstammzellen enthielten. gesundem Gehirngewebe. In jeder Zelle ist nur eine Auswahl von Genen Von 159 Glioblastom-Patienten lagen den Forschern aktiv. Sie stellt also nur diejenigen Proteine her, Daten zum klinischen Verlauf der Erkrankung vor. die sie für ihre spezielle Aufgabe benötigt. Somit Es zeigte sich durchgehend: Je mehr Blutstamm weist jeder Zelltyp ein charakteristisches Muster zellen ein Tumor enthielt, desto stärker waren aktiver Gene auf. Aufwendige computergestützte bestimmte immunbremsende Eigenschaften aus Analysen der Genaktivität und ein neu entwickel geprägt – und desto geringer war das Gesamtüber ter Algorithmus ermöglichten es den Forschern zu leben der Patienten. ermitteln, welche Art von Zellen, insbesondere des Immunsystems, in der jeweiligen Probe vorkamen. DA S FA ZIT Besonderes Interesse weckten bei den For Die Beobachtungen der Wissenschaftlerinnen schern die nachgewiesenen Zelltypen des blutbil und Wissenschaftler legen die Vermutung nahe, denden Systems, weshalb sie diese anschließend in dass die in Glioblastomen vorkommenden Blut Experimenten mit Gewebeproben aus Operationen, stammzellen den Verlauf der Erkrankung negativ Zellkulturen und anhand von klinischen Daten beeinflussen. Es war bereits bekannt, dass sich Blut näher charakterisierten. stammzellen, die im Knochenmark ausreifen, im Verlauf von Krebserkrankungen eher zu solchen DIE ERGEBNISSE Zelltypen entwickeln, die die Aktivität des 1. In allen Proben von bösartigen Tumoren Immunsystems bremsen. Offenbar werden des Gehirns fanden sich Blutstammzellen. sie vom Tumor entsprechend programmiert. Ein ähnliches Phänomen liegt möglicherwei In den Glioblastomen konnten die Forscher immer se auch bei der Art von Blutstammzellen vor, auch Stammzellen und Vorläuferzellen des blut die das Team in Glioblastomen nachgewiesen bildenden Systems nachweisen. In Proben aus hat. Dadurch könnten sich neue Optionen gesundem Gewebe kamen solche Zellen hingegen für die Behandlung der bösartigen Hirntumoren nicht vor. Blutstammzellen sind eigentlich im ergeben: Mit geeigneten Botenstoffen ließe sich Knochenmark angesiedelt und versorgen von dort womöglich verhindern, dass sich die Blutstammzel aus den Körper lebenslang mit allen Arten reifer len unter dem Einfluss des Tumors zu immunbrem Blutzellen. senden Zelltypen entwickeln. Immuntherapien gegen das Glioblastom hätten dann eine bessere 2. Blutstammzellen unterdrückten in Labor Chance auf Wirksamkeit. versuchen das Immunsystem und befeuerten gleichzeitig das Tumorwachstum.
12 Forschung
13 Keine Toleranz für Tumoren Tumoren nutzen molekulare Schalter, um Angriffe des Immunsystems auszubremsen. Christiane Opitz und ihr Team untersuchen, welche Rolle dabei Stoffwechselprodukte einer bestimmten Aminosäure spielen. Text: Nicole Silbermann Illustrationen: Luca Boscardin
14 Forschung U Unser Stoffwechsel ist ein hochkomplexes und aus an Grenzflächen vorkommt. Etwa im Darm, wo es der geklügeltes System: Es gleicht einem Uhrwerk mit Organismus mit vielen unterschiedlichen Stoffen und unzähligen ineinandergreifenden Zahnrädern. Und Bakterien aller Art zu tun bekommt. „An diesen Stellen manch ein Tumor macht sich im übertragenen Sinne muss das Immunsystem schon ein wenig tolerant sein den Schwung eines Zahnrades zunutze, um zu wach gegenüber den vielen körperfremden Stoffen“, erklärt sen und sich auszubreiten. Doch wie genau geschieht Opitz. „Eine überschießende Immunreaktion wäre das? Welche Signalwege und Schlüsselmoleküle hier kontraproduktiv und würde uns mehr schaden stecken dahinter? Und wie kann ein besseres Verständ als nützen. Das ist also im Prinzip ein sehr sinnvolles nis von Stoffwechselwegen in die Entwicklung von Konzept für unseren Körper – aber eben leider auch für Therapien einfließen? Das sind Fragen, denen Christia nutznießende Tumoren.“ ne Opitz und das 13-köpfige Team ihrer Juniorgruppe Hirntumor-Metabolismus am DKFZ auf den Grund M E C H A N I S M E N B E S S E R V E R ST E H E N L E R N E N gehen. Im Fokus ihrer Forschung steht der Stoffwechsel Immuntherapien gelten als die neuen Hoffnungsträger der Aminosäure Tryptophan, einem der insgesamt 20 bei der Behandlung von Krebs. Sie nutzen und verstär verschiedenen Bausteine, aus denen der menschliche ken die Schlagkraft des körpereigenen Immunsystems, Körper Proteine herstellt. um Tumorzellen ausfindig zu machen und gezielt zu bekämpfen. Sie können äußerst wirkungsvoll sein, ST O F F W E C H S E L P R O D U K T E A L S B O T E N ST O F F E doch schlagen sie bislang nur bei bestimmten Krebs Haben Proteine ihre Arbeit getan, baut die Zelle sie arten und auch dort längst nicht bei allen Patienten ab und zerlegt sie in ihre Bestandteile: Aminosäuren an. Warum das so ist, konnten Wissenschaftler und werden frei, die dann ebenfalls schrittweise abgebaut Ärzte bislang noch nicht im Detail klären. Könnte einer werden. Beim Tryptophan entstehen Zwischenstufen, der Gründe womöglich im Tryptophan-Stoffwechsel die aber nicht einfach nur Abfallprodukte sind, son liegen? „Das könnte tatsächlich eine Rolle spielen“, dern im Körper auch als wichtige Botenstoffe wirken. vermutet Opitz. „Dem wollen wir auf den Grund gehen Sie binden dann an spezielle Signalempfänger – die und versuchen, den Stoffwechsel der Aminosäure mit Rezeptoren. „Diese Tryptophan-Metabolite aktivieren den sogenannten Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor, kurz AHR, und setzen dadurch eine Kaskade von Abläufen in Gang, die für unseren Körper grundsätzlich sinn voll sind. Doch tückischerweise spielen sie auch der Entstehung von Tumoren in die Hände“, erklärt Opitz. So werden Tumorzellen zum Beispiel beweglicher und können sich schneller ausbreiten. Hinzu kommt, dass die Aktivierung des Rezeptors Abwehrreaktionen des Immunsystems unterdrückt, sodass die Tumorzellen dann nicht mehr effektiv bekämpft werden können. Die körpereigenen Prozesse befeuern das Tumorwachs tum somit geradezu. Wie das alles geschieht, ist noch nicht vollständig geklärt. Doch eine Ursache könnte darin liegen, dass der Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor im Körper insbesondere
Forschung 15 „ Das Immunsystem gilt als Polizei des Körpers, die ihn vor „Bösewichten“ aller Art schützt. Krebszellen sorgen deshalb dafür, dass die Immunzellen sie tolerieren oder gar nicht erst entdecken. Die TryptophanMetabolite all seinen Facetten besser zu verstehen, um die Dreh und Angelpunkte zu fi nden und zu nutzen.“ setzen eine Kaskade Im vergangenen Jahr veröffentlichte das Team um von Abläufen in Gang, die für Christiane Opitz im Fachmagazin Cell eine Studie, die es gemeinsam mit den Forschungsgruppen von Martina unseren Körper grundsätzlich Seiffert aus dem DKFZ und Saskia Trump vom Berlin Institute of Health (BIH) durchgeführt hat. In ihren sinnvoll sind. Doch Untersuchungen fahndeten sie nach Tryptophan tückischerweise spielen sie abbauenden Enzymen, die besonders eng mit der Aktivierung des AHR in Verbindung stehen. Dabei auch der Entstehung von stießen sie auf ein Enzym namens Interleukin4 Tumoren in die Hände. Induced1 (IL4I1). Das Forschungsteam fand heraus, dass Patienten mit bösartigen Hirntumoren eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit hatten, wenn das Enzym in den Tumoren nur in niedrigen Konzentrationen vorhanden war.
16 Forschung Das Immunsystem kann sowohl tolerant als auch aggressiv sein. Tumoren profitieren davon, wenn die Aktivität der Immunzellen gedrosselt ist. Und auch bei genetisch veränderten Mäusen, die kein Tryptophanabbauende Enzym IL4I1 effektiv hemmen. IL4I1 produzieren konnten, war das Immunsystem Darüber hinaus möchten sie verschiedene Diagnose deutlich erfolgreicher darin, ihre Krebserkrankung – in verfahren entwickeln, die dabei helfen sollen, die AHR dem Fall eine Art von Blutkrebs – in Schach zu halten. Aktivität in Tumoren von Krebspatienten zu bestim „Wird die Aktivität von IL4I1 unterbunden, entste men. Dahinter steckt folgende Idee: Patienten, deren hen in der Folge auch keine TryptophanMetabolite, Tumoren sich den AHR zunutze machen, könnten die den ArylHydrocarbonRezeptor aktivieren könn zukünftig gezielt mit geeigneten Medikamenten be ten. Dann wird letztlich auch das Immunsystem nicht handelt werden, um das Herunterfahren des Immun so stark gebremst“, erklärt Opitz. „Das dem AHR vor systems zu verhindern. „Wir sind gerade dabei, eine geschaltete Enzym IL4I1 hat daher großes Potenzial als Firma auszugründen, die die Entwicklung spezifischer möglicher Angriffspunkt für hemmende Wirkstoffe. Diagnoseverfahren weiterverfolgen wird“, sagt Opitz. Sie könnten zukünftig Immuntherapien unterstützen „Doch neben der praktischen Anwendung werden wir und so hoffentlich dafür sorgen, dass mehr Patienten nach wie vor unsere Grundlagenforschung in Sachen von dieser Art der Behandlung profitieren.“ TryptophanStoff wechsel weiter vorantreiben. Hier gibt es noch viel zu tun und viel Unverstandenes zu ANGRIFFSPUNKTE FÜR THER APIEN NUTZEN verstehen. Und wir hoffen natürlich, dass wir immer Das Forschungsteam wird sich deshalb auf wieder Neues herausfi nden, das den Patientinnen und die Suche nach Wirkstoffen begeben, die das Patienten auf lange Sicht einmal helfen wird.“
Forschung 17 Malawi Am häufigsten erkrankten Frauen Sambia in Eswatini (früher Swasiland) an dieser Krebsart, gefolgt von Malawi und Sambia. 19 der 20 Länder mit den weltweit höchsten Erkrankungsraten für Gebärmutterhalskrebs lagen Eswatini im Jahr 2018 auf dem afrikanischen Kontinent. Gebärmutterhalskrebs in Afrika: Mehr Vorsorge Während in Deutschland Brustkrebs die mit Ab in Anspruch nehmen können, mit denen sich stand häufigste Krebserkrankung bei Frauen ist, Gebärmutterhalskrebs frühzeitig erkennen lässt. sind in vielen afrikanischen Ländern die größten Zu den Ländern, die vor diesem Hintergrund Fallzahlen beim Gebärmutterhalskrebs zu ver ihre Präventionsprogramme ausbauen möchten, zeichnen. Von den 20 Ländern mit den weltweit zählt auch Namibia. Das DKFZ kooperiert seit 2019 höchsten Erkrankungsraten bei dieser Krebsart mit der University of Namibia und dem namibi liegen 19 in Afrika südlich der Sahara. Gebär schen Gesundheitsministerium. Eines der Ziele mutterhalskrebs ließe sich inzwischen nahezu dieser Partnerschaft liegt darin, das bestehende vollständig verhindern – doch in vielen Regionen nationale Screening-Programm für Gebärmutter haben große Teile der Bevölkerung keinen Zugang halskrebs weiterzuentwickeln. Gemeinsam zu präventiven Maßnahmen. Die Weltgesund möchten die Experten ein Konzept für ein kosten heitsorganisation hat deshalb Ziele formuliert, um effizientes, landesweites Screening erarbeiten. die Krankheit gerade in ärmeren Ländern zurück Ein zentrales Element könnte dabei ein HPV-Test zudrängen: Mehr Kinder sollen eine HPV-Impfung sein – auch in Deutschland ist er seit 2020 fester erhalten und mehr Frauen sollen Untersuchungen Bestandteil der Vorsorge.
18 Das Molekül VO R KO M M E N Das Protein L1 ist der Hauptbaustein der Virushülle von Papillomviren. Diese umgibt und schützt das Erbgut des Virus. Humane Papillomviren (HPV) sind weit verbreitet. Einige Hochrisikotypen können Gebär mutterhalskrebs und weitere Krebsarten auslösen. FUNKTION Neben dem Schutz des Erbgutes vermittelt die Virus hülle auch den Kontakt zur Wirtszelle. Dabei bindet das Virus zunächst an spezielle Moleküle auf deren Zelloberfläche. Erst dann können die Viren in die Zelle eindringen und sich vermehren. H P V U N D H AU T K R E B S Es gibt bestimmte Typen der Papillomviren, die nur auf der Haut vorkommen. Abhängig von externen Faktoren wie der UVStrahlung, aber auch vom Alter und dem individuellen Immunstatus, kann es zu HPVbeding ten Hautveränderungen kommen. Die Viren regen ihre Wirtszellen zur Teilung an und in seltenen Fällen entwickelt sich sogar weißer Hautkrebs. Meist kann der Körper die Erreger jedoch erfolgreich bekämpfen: Das Immunsystem stellt Antikörper her, die an die Virushülle binden, sodass die Viren nicht mehr in die Wirtszelle eindringen können. Die Papillomviren haben jedoch Wege gefunden, sich dieser Art der Immunabwehr zu entziehen. D I E Z W E I G E S I C H T E R VO N L 1 DKFZ-Forscher um Frank Rösl und Daniel Hasche fanden anhand eines einzigartigen Mausmodells heraus, dass die Papillomviren eine Art Köder benutzen, um das Immun- system auf die falsche Fährte zu locken: In der infizierten Wirtszelle wird zuerst eine um etwa 30 Aminosäuren längere Version des L1-Proteins hergestellt. Gegen diese Variante bilden Immunzellen dann Antikörper. In den fertigen Viruspartikeln kommt die längere Version des Pro- teins jedoch nicht vor. Folglich lassen sich die infektiösen Viren auf diesem Wege auch nicht neutralisieren. Während das Immunsystem also „nutzlose“ Antikörper produziert, kann sich das Virus zunächst weiter vervielfältigen und im Körper ausbreiten. Erst einige Monate später entstehen Antikörper, die gegen die normale Variante des L1-Pro- teins und damit gegen die infektiösen Viren gerichtet sind. Dieses Ablenkungsmanöver scheint unter den Papillom- viren weit verbreitet zu sein: Auch die Gene der Hochrisiko- typen HPV 16 und 18, die Gebärmutterhalskrebs auslösen können, sind so gestaltet, dass eine längere Variante von L1 gebildet werden könnte.
Spenden 19 „Für eine Welt ohne Krebs“ Ralph Lauren unterstützt die Krebsforschung des DKFZ I „Ich habe gelernt, dass es uns im Leben Darüber hinaus soll die Initiative auch wie aus heiterem Himmel treffen kann, dazu beitragen, allen Patienten einen Zugang aber das Leben ist schön, und wir müs zu qualitativ hochwertigen Behandlungen sen jeden Tag genießen“, sagt Deborah zu ermöglichen. James. Die britische Schrift Ralph Lauren spendet deshalb stellerin und Moderatorin erfuhr Erlöse aus dem Verkauf der Pink 2016 im Alter von 35 Jahren, PonyKollektion an Programme dass sie an Darmkrebs im und Einrichtungen weltweit, fortgeschrittenen Stadium die auf unterschiedlichen erkrankt war. Seitdem be Feldern gegen Krebs kämpfen – richtet sie auf ihren Social darunter auch das Deutsche MediaKanälen und in einer Krebsforschungszentrum. „Wir freuen OnlineKolumne regelmäßig über uns sehr, dass die Ralph Lauren ihr Leben mit der Krankheit, über Corporate Foundation unsere Arbeit ihre Hoff nung und Verzweiflung, so großzügig unterstützt“, sagt und möchte damit nicht zuletzt Michael Baumann. „Im DKFZ for darüber aufk lären, dass Krebs je schen wir tagtäglich für eine Welt den treffen kann – auch in jungen ohne Krebs. Das Engagement von Jahren. Ralph Lauren hilft uns dabei, diesem Ziel einen Gemeinsam mit über 30 weiteren Krebs Schritt näher zu kommen.“ überlebenden, Fürsprechern, Aktivisten, Krebsforschern und Mitarbeitern des Gesund heitswesens wurde Deborah James, die auch die Royal Marsden Cancer Charity unterstützt, im vergangenen Jahr eines der Gesichter der Kam pagne „More Conversations, More Love“, die das Modeunternehmen Ralph Lauren zum 20jäh Engagieren auch Sie sich für die Krebsforschung. rigen Jubiläum seiner Pink PonyInitiative ins Ob eine einmalige Spende, regelmäßige Leben gerufen hat. Auch Michael Baumann, Zuwendungen oder eine Spendenaktion: der Vorstandsvorsitzende des DKFZ, zählte zu Gerne unterstützen wir Ihr Vorhaben den Personen, die im Rahmen der Kampagne und beantworten Ihre Fragen. über ihre Vision von einer krebsfreien Zukunft Kontaktieren Sie uns: berichteten. Pink Pony, die pinkfarbene Version spende@dkfz.de oder 06221/422848 des bekannten PoloLogos, steht seit dem Jahr Spendenkonto: Sparkasse Heidelberg 2000 für das Engagement von Ralph Lauren im IBAN: DE98 6725 0020 0005 0000 50 Kampf gegen Krebs. Das Unternehmen unter BIC: SOLADES1HDB stützt die Suche nach neuen Therapien und setzt sich für Vorsorge und Früherkennung ein.
20 Interview sicher und wirksam Die HPV-Impfung ist Einige Menschen haben Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Trotzdem sind die Impfquoten in HPV-Impfung und stellen auch deren Deutschland niedrig. Welche konkreten Wirksamkeit infrage. Zurecht? Maßnahmen schlagen Sie vor? Die Sicherheit der Impfung ist in Studien Der Blick in andere Länder zeigt, dass sehr gründlich untersucht worden: Schulimpfprogramme ein wichtiges Werk Die Impfstoffe sind sehr sicher und gut ver zeug sein können, um die Zielgruppe der 9- bis träglich. Seit 2006 wurden weltweit mehr als 14-Jährigen besser zu erreichen. Denn Jugend 300 Millionen Impfdosen verabreicht, und liche gehen insgesamt eher selten zum Arzt. dabei wurde bisher keine Nebenwirkung Die eigentlich in diesem Alter vorgesehenen beobachtet, die die Gesundheit der geimpften Vorsorgeuntersuchungen sind aber nicht Jugendlichen nachhaltig beeinträchtigt. Und bekannt genug und werden zu selten in auch die Wirksamkeit der Impfung Anspruch genommen. Auch ein zentrales konnte in Studien auf Bevölkerungsebene Erinnerungs- und Einladungssystem könnte ganz eindeutig belegt werden: In der geimpf Abhilfe schaffen. Bislang ist auch kein zeit ten Bevölkerung geht nicht nur die Verbrei nahes Monitoring der Impfquoten möglich. tung der gefährlichen HPV-Typen zurück, Das wäre aber notwendig, um regelmäßig sondern es treten auch seltener Krebsvor alle Akteure über Fortschritte und Hinder stufen und Genitalwarzen auf. Im letzten nisse zu informieren. Wünschenswert wäre Jahr hat eine Studie aus Schweden zum auch, dass die Ärzte für die Impfung eine bes ersten Mal gezeigt, dass geimpfte Frauen sere Vergütung erhalten. Sie sollten außerdem tatsächlich seltener an Gebärmutterhals motiviert werden, ihre jugendlichen Patien krebs erkranken. Das Erkrankungsrisiko sank ten aktiv anzusprechen und deren Impfstatus bei Frauen, die die Impfung vor dem systematisch zu überprüfen. Wichtig wäre 17. Lebensjahr erhalten hatten, sogar um fast es vor allem aber, Fehlinformationen ent 90 Prozent*. Das zeigt, dass die Impfung das gegenzutreten und den Nutzen der Impfung Potenzial hat, allein in Deutschland jedes deutlich zu machen. Dabei könnten zum Jahr Tausende von HPV-bedingten Beispiel große zielgruppenspezifische Krebsfällen zu vermeiden. Kampagnen helfen. * Unter 1,1 Mio. ungeimpften Frauen traten im Beobachtungszeitraum 538 Fälle auf, unter ca. 500.000 geimpften Frauen waren es 19 Fälle. Unter Berücksich- tigung des Alters der Teilnehmerinnen und weiterer Nobila Ouédraogo ist Experte Faktoren errechneten die Forscher, dass das Risiko, an für Öffentliche Gesundheit in der Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, für Frauen, die Stabsstelle Krebsprävention des DKFZ. bei der Impfung unter 17 Jahre alt waren, gegenüber ungeimpften Altersgenossinnen um 88 Prozent sank. Er widmet sich insbesondere dem Thema Quelle: Lei et al., N Engl J Med, 2020 Krebsprävention durch Impfungen.
Quiz 21 I h r Wi s s e e n Si zu en Humane Papillomviren können HP Te st Krebs auslösen – die HPV-Impfung bietet deshalb Schutz. Doch wie V! häufig sind Infektionen mit HPV? Und sind auch Männer betroffen? Wo in Deutschland sind die meisten Mädchen geimpft? Testen Sie Ihr Wissen in unserem Quiz! Bei wie vielen Frauen im Alter von 20 bis 25 Jahren wurden in einer Studie Infektionen mit 1 krebsausl ösenden Hochrisiko- HPV-Typen nachgewiesen? In welchem Bundesland sind die 3 meisten 15-jährigen Mädchen a) 2 % b) 13 % c) 35 % vollständig gegen HPV geimpft? a) Baden-Württemberg b) Sachsen-Anhalt Muss ich mich gegen HPV impfen lassen, c) Bremen wenn ich Kondome benutze? 2 a) Nein, HPV wird sexuell übertragen, deshalb bieten auch Kondome ausreichenden Schutz. b) Ja, denn es kann beim Sex trotz Kondomen zur Wie viele Männer erkranken jährlich in Übertragung von HPV kommen. Deutschland an HPV-bedingten Krebsarten? 4 a) keine b) etwa 300 c) etwa 1.700 5 Lösungen auf Seite 22-23 Ab welchem Alter sollten Frauen die Frühe rkennung von Gebärmutterhalskrebs in Anspruch nehmen? a) ab 20 Jahren b) ab 35 Jahren c) ab 45 Jahren
22 Quiz Lösungen: 1 b) Sachsen-Anhalt • Bundesweit hatten im Jahr 2018 43 % der 15-jährigen Mädchen eine vollständige Impfserie erhalten. Es gab jedoch große regionale Unterschiede: Die Impfquote war in Sachsen-Anhalt mit 63,1 % am höchsten und am niedrigsten in Baden-Württemberg mit 34,1 %. Auf Kreis ebene sind die Unterschiede teils sogar noch größer. Im internationalen Vergleich belegt Deutschland einen der hinteren Plätze. In Ländern wie England und Norwegen und auch in Ruanda und Mexiko sind mehr als 80 % der Mädchen vollständig geimpft. Impfquoten Alter der Mädchen Jahr der Datenerhebung Ruanda 98,7 % 12-15 Jahre 2014 England 83,9 % 13-14 Jahre 2018/19 Australien 82,6 % 15 Jahre 2019 Norwegen 81 % 16 Jahre 2016 USA 61,1 % 15 Jahre 2019 Deutschland 43 % 15 Jahre 2018 c) 35 % 2 • Infektionen mit humanen Papillomviren sind sehr häufig: Laut Weltgesundheitsorganisation infizieren sich fast 80 % der Ungeimpften im Laufe des Lebens mindestens 3 einmal mit einem oder mehreren der vielen HPV-Typen. Eine Studie aus den Jahren 2010 bis 2012 zeigte, dass in Ja, die Impfung wird auch empfohlen, Deutschland 35 % der nicht geimpften Frauen im Alter von wenn Kondome genutzt werden. 20 bis 25 Jahren mit einem Hochrisiko-HPV-Typen infiziert • Durch den Gebrauch von Kondomen reduziert sich waren. In den allermeisten Fällen gelingt es dem Immun zwar die Gefahr einer HPV-Infektion, sie kann aber system, die Viren wieder zu verdrängen. Etwa jede zehnte nicht sicher verhindert werden. Die Infektion kann Infektion bleibt jedoch über einen längeren Zeitraum nämlich auch über Schleimhaut- oder Hautbereiche bestehen. Bei einigen der betroffenen Frauen kommt es erfolgen, die nicht durch ein Kondom geschützt dann zu Zellveränderungen, die sich zu Gebärmutterhals sind. Auf Kondome sollte man aber trotzdem nicht krebs und weiteren Krebsarten entwickeln können. verzichten: Sie bieten Schutz vor HIV und weiteren sexuell übertragbaren Infektionen.
Quiz 23 4 c) etwa 1.700 • Auch die überwiegende Mehrheit HPV-bedingte Krebserkrankungen der Männer infiziert sich im Laufe (Fälle in Deutschland pro Jahr) des Lebens mit HPV. Und auch bei Männern können insbesondere die Hochrisikotypen 16 und 18 Krebs Mund- und Rachenkrebs Mund- und Rachenkrebs auslösen. Etwa 840 Männer er 840 280 kranken in Deutschland pro Jahr an HPVbedingtem Mund und Gebärmutterhalskrebs Rachenkrebs, etwa 260 an 3920 Peniskrebs und ungefähr 600 an Analkrebs Analkrebs. Seit 2018 empfiehlt die Analkrebs Ständige Impfkommission die HPV 1000 600 Impfung deshalb auch für Jungen Vaginalkrebs im Alter von 9 bis 14 Jahren – 300 also idealerweise vor dem ersten Peniskrebs sexuellen Kontakt – wobei eine 260 Vulvakrebs Nachholimpfung bis zum Alter von 500 17 Jahren erfolgen kann. Die Impfung bietet beiden Geschlech tern auch Schutz vor Genital warzen, die ebenfalls von bestimm ten HPVTypen verursacht werden. 5 a) ab 20 Jahren • Alle Frauen ab 20 Jahren können jährlich eine gynäkologische Untersuchung zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs in Anspruch nehmen. Bis zu einem Alter von 34 Jahren kann der Frauen arzt dann auch jeweils einen sogenannten PapTest 5 durchführen. Dabei handelt es sich um einen Zell abstrich vom Gebär mutterhals, um dort Zellverän W I R KS A M E F RÜ H ER K EN N U NG derungen aufzuspüren. Frauen ab 35 Jahren haben alle drei Jahre Anspruch auf einen HPVTest in 1970: 28,9 In Deutschland besteht seit 1971 das Angebot zur Früherkennung Kombination mit einem PapAbstrich. Der Test auf HPV weist eine Infektion nach, die langfristig zu von Gebärmutterhalskrebs durch Krebs führen kann. Ein positiver Test ist aber nicht 1980: 14,0 einen jährlichen PapAbstrich. Schon wenige Jahre nach der mit einer Krebsvorstufe gleichzusetzen. Einführung des Screenings waren 2018: 9,1 die Erkrankungsraten um mehr als die Hälfte gesunken. (altersstandardisierte Erkrankungsraten je 100.000 Frauen, Quellen:Robert KochInstitut, Bruni et al., Preventive Werte für das Saarland) Medicine 144 (2021), Deleré et al., BMC Infectious Disea ses (2014), WHO (2017), Gredner et al., Deutsches Ärzte blatt (2018), Krebsregister Saarland (2021)
24 Forschung
Forschung 25 Wie Blutgefäße beim Krebs mitreden Dass den Blutgefäßen bei einer Krebserkrankung eine ganz entscheidende Rolle zukommt, ist seit langer Zeit bekannt. Von einem tiefen Verständnis ihrer Funktion ist die Forschung aber noch weit entfernt. Für Hellmut G. Augustin und sein Team sind Blutgefäße mehr als nur passive Versorgungspipelines: Sie geben dem Tumor vielmehr die Richtung vor und zählen auch bei der Metastasierung zu den wichtigsten Akteuren. Texte: Philipp Grätzel von Grätz Fotos: Tobias Schwerdt
26 Forschung Die Hemmung der Blutgefäßneubildung, der Angiogene se, ist heute in der Krebsmedizin so fest verankert, dass es schwerfällt, zu glauben, dass das nicht schon immer so war. Tatsächlich hatte es dieses Therapieprinzip schwer in der Onkologie. Nach der Erstbeschreibung in den frühen 70er Jahren durch Judah Folkman dauerte es fast 20 Jahre, bis mit dem vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) ein zentrales Molekül identifiziert wurde, das sich pharmakologisch blockieren ließ. Danach gingen noch einmal rund 15 Jahre bis zum ersten zugelassenen Medikament ins Land: „Heute macht die Angiogenese- Hemmung einen erheblichen Anteil am gesamten Weltmarkt an Krebsmedikamenten aus“, sagt Hellmut Augustin. Er leitet die Abteilung Vaskuläre Onkologie und Metastasierung am DKFZ und an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Dort ist auch das European Center for Angioscience angesiedelt, dessen Gründer und Leiter Augustin ist. Die Idee hinter der Angiogenese-Hemmung lautet in etwa so: Krebszellen brauchen Sauerstoff und Nährstoffe, deshalb brauchen sie Blutgefäße, und deshalb ist es sinn voll, dem Tumor quasi „den Saft abzudrehen“, indem man verhindert, dass sich neue Blutgefäße bilden. Dass nicht Das Team von Hellmut Augustin möchte sogenannte auch dem gesunden Gewebe der Saft abgedreht wird, Biomarker-Muster der Blutgefäßwand identifizieren. liegt daran, so das gängige Erklärungsmodell, dass sich Sollten sich diese als eine Art Spiegel der Gesundheit herausstellen, könnten sie zukünftig unter anderem die Blutgefäße im Tumor von denen normaler Gewebe un zur Früherkennung von Krebs eingesetzt werden. terscheiden: Sie sind unreifer und damit sensibler für die Blockade des Wachstumsfaktors VEGF. Doch die Therapie wirkt oft nur begrenzt: Einige der im Tumor übrig ge bliebenen Gefäße reifen infolge der Behandlung aus – sie „normalisieren“ sich – und entziehen sich somit den hem menden Wirkstoffen. Viele Tumoren finden außerdem alternative Wege, das Gefäßwachstum zu stimulieren. D I E B L U TG E FÄ S S E S AG E N , WO E S L A N G G E H T Augustin hält das Modell der Angiogenese-Hemmung nicht für prinzipiell falsch, aber doch für arg simpel und mechanistisch, und vor allem für unvollständig. In 25 Jahren Forschung hat er gelernt, die Blutgefäße viel umfassender zu sehen: „Uns interessiert vor allem, wie Blutgefäße reifen und ausdifferenzieren, insbesondere ihre Innenwände, die Endothelien. Mithilfe von Next- Generation-Genomics-Techniken können wir das heute
Forschung 27 Welchen Einfluss bestimmte Signalmoleküle auf das Gefäßwachstum nehmen, untersuchen die Wissenschaftler unter anderem an der Netzhaut von Mäusen. sehr gut untersuchen und zum Beispiel verstehen, warum Forschungsarbeit war den Wissenschaftlern klar, dass Blutgefäße in der Leber ganz anders aussehen als etwa Blutgefäße unterschätzt werden: „Blutgefäße steuern die im Gehirn.“ Der Begriff Next-Generation-Genomics Organfunktion. Sie sind keine passiven Röhren, sondern beschreibt aufwändige technische Verfahren, die es er eher Dirigenten, die dem jeweiligen Organ sagen, wo es lauben, die Genaktivität in unterschiedlichen Geweben lang geht“, so Augustin. in hoher Auflösung zu analysieren. So lassen sich unter schiedliche Gewebe bis auf die Ebene einzelner Zellen AU C H B E I M K R E B S S I N D B L U TG E FÄ S S E molekular sehr gut vergleichen. N I C H T N U R V E R S O R G U N G ST R A S S E N Im Rahmen ihrer langjährigen Forschung konnten Tun sie das möglicherweise auch bei bösartigen Tumoren? die Wissenschaftler einige grundlegende Mechanismen Und wenn ja, was bedeutet das für eine Krebserkran beschreiben, die ein neues Licht auf Blutgefäße werfen: kung? Am DKFZ gehen Augustin und sein Team diesen „Wir haben zum Beispiel entdeckt, dass Blutgefäße nach Fragen nach. Und sie sind mittlerweile davon überzeugt, einer Verletzung der Leber die Regeneration des Organs dass Blutgefäße auch bei Krebs steuernde Funktionen steuern. Eine zentrale Rolle kommt dabei Angiopoietin2 übernehmen – die in diesem Fall aber nicht auf die zu, einem Molekül, das die Endothelzellen bilden.“ Es Heilung des betroffenen Organs zielen, sondern ganz im zeigte sich, dass die gefäßauskleidenden Zellen maßgeb Gegenteil das Wachstum und die Metastasierung eines lich an der Übertragung von Signalen beteiligt sind: Sie Tumors befördern. setzen Botenstoffe frei, die vor Ort oder in einiger Ent Die DKFZ-Forscher haben gezeigt, dass das im fernung ihre Wirkung entfalten. Spätestens nach dieser Zusammenhang mit der Leberregeneration entdeckte
28 Forschung Angiopoietin2 auch bei Krebs von Bedeutung ist. Angio von Endothelzellen in Tumoren, in Metastasen und in poietin2 wirkt auf einen bestimmten Signalempfänger, „prämetastatischen“ Geweben, die vom Tumor auf eine den Rezeptor Tie2, der seinerseits wiederum mit dem Besiedlung durch Krebszellen vorbereitet werden. LRG1, Rezeptor Tie1 in Wechselwirkung steht. Während Angio so hat sich herausgestellt, ist eine Art „Platzanweiser“ für poietin2 vor allem frühe Stadien des Tumorwachstums Metastasen: Es trägt dazu bei, dass metastatische Zellen steuert, greift Tie1 hauptsächlich in den späteren Verlauf sich leichter ansiedeln können. der Erkrankung ein. Das könnte den Rezeptor zu einem at Ganz aktuell konnten die DKFZ-Forscher jetzt zeigen, traktiven Angriffspunkt für Medikamente machen, denn dass eine Hemmung von LRG1 in Versuchen mit Mäusen viele Krebserkrankungen werden erst in einem späteren das Wachstum der Metastasen bremsen und auch das Stadium entdeckt. Wird Tie1 beispielsweise bei Mäusen Überleben der Tiere verlängern kann. Auch hier könnte mit Brust- oder Lungenkrebs genetisch ausgeschaltet, also zukünftig eine neuartige Krebstherapie entstehen, wächst der Tumor deutlich langsamer, und es bilden sich die insbesondere auf die Metastasierung wirkt. „Insge auch weniger Metastasen. samt ist der Prozess der Metastasierung bisher noch nicht Was Tie1 im gesunden Organismus macht, ist noch besonders gut verstanden“, betont Augustin. „Ausgehend nicht vollständig untersucht: „Das ist ein Signalweg, der von den Blutgefäßen versuchen wir, die wichtigen Einzel an der Reifung und Ausdifferenzierung der Blutgefäße be schritte der Metastasierungskaskade zu identifizieren.“ teiligt ist, aber wir wissen letztlich noch nicht genau, wie Da Metastasen die tödlichste Bedrohung für Tumor das funktioniert“, so Augustin. Interessanterweise ändert patienten sind, birgt diese Forschung große Hoffnung sich durch die Blockade von Tie1 nicht die Menge der Blut auf neue Behandlungsmethoden. gefäße im Tumor – was dafür spricht, dass nicht allein ein Mehr oder Weniger an Tumordurchblutung entscheidend für den klinischen Effekt ist, sondern auch andere, steu ernde Funktionen der Blutgefäße. KO M M E N B A L D M E D I K A M E N T E , D I E M E TA STA S E N V E R H I N D E R N? Dass der Tie1-Rezeptor im Hinblick auf mögliche neue Krebstherapien interessant sein kann, liegt auf der Hand. „Wir haben in Kooperation mit einem pharmazeutischen Unternehmen eine Reihe von Antikörpern getestet, mit denen sich Tie1 blockieren lässt, und dabei einen vielver sprechenden Kandidaten entdeckt“, so Augustin. In Ver suchen mit Mäusen kann dieser Antikörper Tumorwachs tum und Metastasierung hemmen. Das soll jetzt weiter untersucht werden, möglichst auch in klinischen Studien. Doch das hat seine eigenen Herausforderungen: Denn die Verhinderung von Metastasen ist bisher kein typischer Parameter in klinischen Krebsstudien. Augustin hält das für nicht mehr zeitgemäß: „In den USA wird ‚metastasen Hellmut G. Augustin leitet am DKFZ und freies Überleben‘ beim Prostatakarzinom mittlerweile von an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Zulassungsbehörde als Studienendpunkt akzeptiert.“ der Universität Heidelberg die Abteilung Neben dem Signalweg um Angiopoietin2 haben Vaskuläre Onkologie und Metastasierung. Augustin und sein Team weitere Mechanismen ent Er ist zudem Gründer und Direktor des European Center for Angioscience. Augustin studierte schlüsselt, über die Blutgefäße an der Metastasierung Tiermedizin an der Tierärztlichen Hochschule von bösartigen Tumoren mitwirken. So haben sie ein Hannover und forschte anschließend an der Protein namens LRG1 identifiziert, das ebenfalls von Cornell University in Ithaca/New York (USA), den gefäßauskleidenden Zellen produziert wird. Gefun am Universitätsklinikum Freiburg und den haben sie es durch vergleichende Untersuchungen an der Universität Göttingen.
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