Ein blick - German Cancer Research Center

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Ein blick - German Cancer Research Center
ein
                                                                                       2 | 2021

                                                                          #02 | 2021

                                                                        blick    Die Zeitschrift des Deutschen
                                                                                 Krebsforschungszentrums

Die Rolle der Blutgefäße                 Tolerant oder nicht?
Mehr als nur Versorgungspipelines:       Bestimmte Stoffwechselprodukte
Blutgefäßen kommt bei einer Krebs­       spielen Tumoren in die Hände:
erkrankung eine entscheidende Rolle zu   Sie machen das Immunsystem toleranter
Ein blick - German Cancer Research Center
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

kein Mensch soll mehr an Krebs sterben. Bei den
meisten Krebsarten ist das im Moment noch eine küh-
ne Vision. Doch es gibt auch Tumoren, die sich schon
heute weitgehend vermeiden ließen. Für Gebärmutter-
halskrebs gilt das insbesondere. Die Prävention hält hier
zwei Trümpfe bereit, die gemeinsam die Zahl der
Neuerkrankungen und Todesfälle auf ein Minimum
reduzieren könnten: regelmäßige Vorsorgeuntersu-
chungen und eine HPV-Impfung. Doch auch die besten
Trümpfe nutzen nichts, wenn man sie nicht ausspielt.
Bei der Impfung gegen die krebsauslösenden humanen
Papillomviren ist das derzeit noch der Fall: Nicht ein-
mal jedes zweite 15-jährige Mädchen in Deutschland
ist vollständig gegen HPV geimpft. Hier gibt es also viel
ungenutztes Potenzial. Das DKFZ, die Deutsche Krebs-
hilfe und die Deutsche Krebsgesellschaft haben des-
halb die diesjährige Nationale Krebspräventionswoche
unter das Motto „Pikst kurz, schützt lang – Mach dich
stark gegen Krebs!“ gestellt. Sie möchten damit vor
allem Eltern dazu motivieren, ihre Kinder gegen HPV
impfen zu lassen – Mädchen und Jungen. Warum die
Impfung auch Männern Schutz bietet? Das ist nur eine
der Fragen rund um das Thema HPV, die wir in dieser

                                                                    29
Ausgabe beantworten.

                                                            HPV hat viele Gesichter

              Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen
              Frank Bernard, Redakteur des einblick.
Ein blick - German Cancer Research Center
Inhalt

         24                       2      Editorial
          Wie Blutgefäße
          beim Krebs mitreden
                                  4      News

                                  6      Die Trainerin des Immunsystems
                                  Die Medizinerin und Molekularbiologin Angelika Riemer
                                  forscht an therapeutischen Impfstoffen gegen HPV-
                                  assoziierte Tumoren

                                  10     Die Publikation

                                  12     Keine Toleranz für Tumoren
                                  Unter den unzähligen Molekülen, die der Körper tagtäglich
                                  herstellt oder umwandelt, gibt es auch einige, die besonders
                                  den Krebszellen nutzen

                                  17     Gebärmutterhalskrebs in Afrika

                                  18     Das Protein L1
                                  Wie Papillomviren das Immunsystem austricksen

                                  19     Für eine Welt ohne Krebs

                                  20     „Die HPV-Impfung ist sicher und wirksam“
                                  Interview mit Nobila Ouédraogo

12
     Keine Toleranz für Tumoren
                                  21     Testen Sie Ihr Wissen zu HPV!

                                  24     Wie Blutgefäße beim Krebs mitreden
                                  Blutgefäßen kommt bei einer Krebserkrankung eine entschei-
                                  dende Rolle zu: Sie geben dem Tumor die Richtung vor und zäh-
                                  len auch bei der Metastasierung zu den wichtigsten Akteuren

                                  29     HPV hat viele Gesichter
                                  Eine Wanderausstellung porträtiert Menschen mit
                                  HPV-bedingten Krebserkrankungen

                                  30     Kooperationen & Netzwerke

                                  32     Krebsinformationsdienst
                                  Diagnose Krebs: Wie spreche ich mit meinen Kindern darüber?

                                  34     Preise & Auszeichnungen

                                  35     Impressum
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4                                                               News

                            Impfung gegen
                         erblichen Darmkrebs
              Mäuse mit einer erblichen Veranlagung für Darmkrebs überlebten
           nach einer Schutzimpfung signifikant länger als ungeimpfte Artgenossen.

Menschen mit dem sogenannten Lynch-Syndrom haben ein deut-          eignen sich deshalb prinzipiell für eine Impfung. Bei Mäusen mit
lich erhöhtes Risiko für Tumoren im Magen-Darm-Trakt. Aufgrund      einer erblichen Veranlagung für Darmkrebs gelang es den For-
einer erblichen Veranlagung ist bei den Betroffenen die Reparatur   schern jetzt, die körpereigene Abwehr der Tiere gegen die Krebs-
von Fehlern im Erbgut beeinträchtigt. Wissenschaftler des Uni-      zellen zu aktivieren. Durch eine Schutzimpfung ließ sich die Ent-
versitätsklinikums Heidelberg und des DKFZ möchten das Immun-       stehung der Tumoren deutlich hinauszögern. Geimpfte Mäuse
system nun mit einer Schutzimpfung gegen die Tumorzellen ak-        überlebten im Durchschnitt 31 Tage, ungeimpfte Tiere dagegen
tivieren. Das Team um Magnus von Knebel Doeberitz hatte bereits     nur 263 Tage. Eine Kombination der Impfung mit einem entzün-
herausgefunden, dass bei vielen Patienten mit Lynch-Syndrom         dungshemmenden Medikament steigerte den Schutzeffekt noch.
identische Mutationen im Erbgut auftreten, wodurch in der Folge     Klinische Studien sollen nun zeigen, ob diese Impfung auch beim
auch die gleichen veränderten Proteinstrukturen entstehen.          Menschen Tumoren verhindern und das Überleben der Patienten
Diese können vom Immunsystem als fremd erkannt werden und           verlängern kann.

           Darmkrebsfälle
                                                59.000
                                                                                Etwa 26.600 Frauen und 32.300 Männer erkrankten
                                                                                im Jahr 2017 an Darmkrebs. Circa drei Prozent der
           in Deutschland                                                       Fälle sind auf das Lynch­Syndrom zurückzuführen.

                                              Neue Broschüre des
                                              Krebsinformationsdienstes
                                              rigen Rückkehr in den Alltag. Mit der neuen   • Die kostenlose Broschüre finden Sie
                                              Broschüre „Ihr Weg durch die Krebserkran-     als PDF auf der Internetseite des Krebs­
                                              kung“ bietet der Krebsinformationsdienst      informationsdienstes. Sie kann aber auch
                                              des Deutschen Krebsforschungszentrums         telefonisch (06221/42­2890), per E­Mail
                                              Antworten auf Fragen, die fast alle           (sekretariat­kid@dkfz.de) oder online
                                              Menschen mit Krebs und auch ihre Ange-        bestellt werden.
                                              hörigen beschäftigen. Neben medizinischen
                                              Themen, wie Untersuchungsverfahren,
Jede Phase einer Krebserkrankung ist von      Therapieoptionen und die Vorbeugung von
ihren eigenen Herausforderungen geprägt:      Langzeitfolgen, geht es auch um Aspekte
vom Schock der Diagnose und der teilweise     der Krankheitsverarbeitung, wie etwa
belastenden Behandlung, von der Rehabi-       psychoonkologische Hilfen und Anlauf-
litation, der Nachsorge und der oft schwie-   stellen für eine Unterstützung.
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News                                                                      5

Gute Lebens-                                                            Vorsorge
qualität                                                              mit Programm
                                                     In Ländern, die früh ein umfassendes Programm zur Darmkrebsvorsorge
Krebs-Langzeitüberlebende bewerteten                        eingeführt haben, sanken die Erkrankungsraten und auch
ihre gesundheitsbedingte Lebensqualität                                die Darmkrebssterblichkeit erheblich.
sogar etwas besser als gleichaltrige
Menschen, die nie an Krebs erkrankt waren.         Wissenschaftler des DKFZ haben unter-      allen Ländern, die bereits früh ein um-
                                                   sucht, wie sich die Neuerkrankungs-        fassendes Vorsorgeprogramm mit Stuhl-
Personen, deren Krebsdiagnose länger als fünf      und Sterberaten in einzelnen europä­ tests und Darmspiegelung eingeführt
Jahre zurückliegt, werden nach gängiger ge-        ischen Ländern in Abhängigkeit von den hatten, sank die altersstandardisierte
sundheitspolitischer Definition als Langzeit-      jeweiligen Screening-Programmen ent-       Darmkrebs-Inzidenz erheblich – in
überlebende bezeichnet – unabhängig davon,         wickelten. Die Angebote unterscheiden      Deutschland beispielsweise pro Jahr um
ob die Krankheit noch aktiv ist oder nicht. Wis-   sich von Land zu Land teils erheblich: 1,8 Prozentpunkte bei Männern und um
senschaftler um Volker Arndt vom DKFZ haben        Wird nur der Stuhltest angeboten oder 2,2 Prozentpunkte bei Frauen. Die Vor-
nun in einer Studie untersucht, wie diese Men-     auch die Darmspiegelung? Erhalten die      sorge-Darmspiegelung ist hierzulande
schen ihre Lebensqualität einschätzen. Dazu        Berechtigten Einladungen oder müssen       seit 2002 Bestandteil des Früherken-
werteten die Epidemiologen Daten von 2.700         sie sich selbst um einen Termin bemü-      nungsprogramms. Wo hingegen keine
Personen aus, die an Brust-, Darm- oder Prosta-    hen? Es gibt zudem auch Länder, die gar    Vorsorgeprogramme angeboten wur-
takrebs erkrankt waren und deren Diagnosen         keine bevölkerungsweiten Screening-        den, stieg die Inzidenz um bis zu 1,9 Pro-
14 bis 24 Jahre zurücklagen. Um krebsbedingte      Programme anbieten.                        zentpunkte pro Jahr bei Männern und
Beeinträchtigungen von reinen Alterserschei-          Das Team um Hermann Brenner wer-        um bis zu 1,1 Prozentpunkte bei Frauen.
nungen abgrenzen zu können, zogen die For-         tete Krebsregisterdaten sowie Sterblich-   Eine ähnliche Tendenz zeigten die Daten
scher zum Vergleich eine Kontrollgruppe von        keitsdaten der WHO aus dem Zeitraum        zur Darmkrebssterblichkeit: Am deut-
1.700 Personen vergleichbaren Alters heran, die    zwischen 2000 und 2016 aus. Insgesamt lichsten sank sie in Ländern, die bereits
nie an Krebs erkrankt waren. Obwohl sie durch-     flossen Daten von 3,1 Millionen Patien-    vor längerer Zeit Screening-Programme
schnittlich mehr gesundheitliche Beeinträch-       ten aus 21 Ländern ein. Es zeigte sich: In eingeführt hatten.
tigungen zu Protokoll gaben – etwa Verdau-
ungsprobleme, Fatigue oder Schlaflosigkeit –
bewerteten die Langzeitüberlebenden ihre ge-
sundheitsbezogene Lebensqualität insgesamt
sogar geringfügig besser als die Kontrollgruppe.
Ein genauerer Blick auf einzelne Untergruppen
zeigte, dass diese positivere Einschätzung der
eigenen Gesundheit vor allem von männlichen
Studienteilnehmern, von über 70-Jährigen und
von Personen, deren Krebserkrankung nicht
aktiv war, geteilt wurde.

                                                   Daten aus 21 europäischen Ländern belegen: Je höher die Teilnahmeraten an den
                                                   Darmkrebs-Screeningprogrammen, desto deutlicher sinken Inzidenz und Sterblichkeit.
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6                                      Porträt

     Die Trainerin
          des
    Immunsystems
            Die Medizinerin und Molekularbiologin
         Angelika Riemer leitet am DKFZ die Abteilung
      „Immuntherapie und -prävention“. Gemeinsam mit
     ihrem Team sucht die 44-jährige Österreicherin nach
         therapeutischen Impfstoffen, mit denen sich
      Gebärmutterhalskrebs oder andere HPV-assoziierte
    Krebsarten in einem frühen Stadium bekämpfen lassen.
                  Text: Janosch Deeg     Fotos: Tobias Schwerdt
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Porträt                                                   7

Angelika Riemer und ihr Team möchten das Immunsystem auf die Fährte HPV-infizierter Zellen führen.
Eine zentrale Rolle spielen dabei Bruchstücke von Virusproteinen auf der Oberfläche befallener Zellen.
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8                                                Porträt

           M
Manchmal sind es Kleinigkeiten, die das                    hat mich auch Australien als Land gereizt“,
Leben in eine entscheidende Richtung                       erinnert sich Riemer. Doch vielmehr brannte
lenken. Bei Angelika Riemer zählt dazu wohl                sie bereits damals für die Immunologie – und
eine Begegnung mit dem Nobelpreisträger                    Melbourne war bekannt für diese Disziplin.
Harald zur Hausen im Jahr 2009. Riemer war                 In ihrer anschließenden Doktorarbeit fokus­
zu der Zeit gerade als Postdoc in Boston und               sierte sie sich folgerichtig auf das Immun­
traf den langjährigen Vorstandsvorsitzenden                system und besonders auf die Frage, wie es
des DKFZ auf einer Tagung. Zur Hausen war                  sich gegen Krebs aktivieren lässt.
es, der mit seiner Forschung die Grundlagen
für eine Schutzimpfung gegen humane Papil­                 D I E I M M U N A BW E H R U N T E R ST Ü T Z E N
lomviren (HPV) gelegt hatte. Einige Hoch­                  Eine therapeutische Impfung ist eine der
risiko-HPV-Typen sind die Hauptauslöser von                Optionen. „Alle Projekte in meiner Gruppe
Gebärmutterhalskrebs und weiteren Krebs­                   sind auf dieses Ziel ausgerichtet“, sagt sie.
arten. Riemer und zur Hausen fachsimpelten                 Das Vakzin soll Abwehrzellen des Körpers
darüber, wie sich die Viren wieder beseitigen              dazu bringen, Zellen zu erkennen und zu be­
ließen, wenn sie sich bereits im Körper fest­              kämpfen, die mit HPV infiziert sind oder sich
gesetzt hatten: Könnte eine therapeutische                 infolgedessen bereits zu Krebszellen entwi­
Impfung die Lösung sein? Wenig später                      ckelt haben. „So gut wie jeder sexuell Aktive
kreuzten sich die Wege der beiden erneut:                  kommt mit krebsauslösenden HPV-Typen in
Aus Freude über die Verleihung des Nobel­                  Kontakt. Bei den allermeisten Betroffenen
preises an zur Hausen im Jahr 2008 hatte der               schafft es das Immunsystem allein, HPV wie­
Mäzen Manfred Lautenschläger Mittel zur                    der loszuwerden“, erklärt Riemer „aber eben
Verfügung gestellt, die es einem Nachwuchs­                nicht bei allen.“ Dann dauert es allerdings
wissenschaftler ermöglichen sollten, am                    in der Regel viele Jahre, bis sich aus einer
DKFZ eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen.                 anhaltenden Infektion eine Krebserkrankung
Riemer erhielt eine Einladung nach Heidel­                 entwickeln kann. Genau diese Zeitspanne
berg und überzeugte die Auswahlkommis­                     will Riemer nutzen, um dem Immunsystem
sion. Seither forscht die junge Wissenschaft­              unter die Arme zu greifen.
lerin und Fachärztin für Immunologie und                        Gelingen soll das, indem natürliche Ab­
Dermatologie gemeinsam mit ihrem mittler­                  wehrmechanismen stimuliert werden. Infi­
weile zwölfköpfigen Team an den besagten                   zierte Zellen präsentieren auf ihrer Oberfläche
therapeutischen Impfstoffen.                               Bruchstücke aus Virusproteinen. So werden
     „Bereits in der Schule war mir klar, dass             Immunzellen alarmiert, nach dem Motto:
ich Wissenschaftlerin werden möchte“,                      „Ich bin befallen, beseitige mich.“ Diese Pro­
erinnert sich Riemer. Sie dachte zunächst                  teinbruchstücke bezeichnen die Forscher als
an Genetik, entschied sich dann aber für ein               Epitope. Für Riemer und ihr Team gilt es nun,
Medizinstudium an der Universität Wien.                    Epitope zu identifizieren, die von den HPV-
Insbesondere von der Vielfalt der vermit­                  infizierten Zellen präsentiert werden. Eine
telten wissenschaftlichen Grundlagen war                   Impfung mit diesen Proteinbruchstücken
die junge Studentin angetan. Das Studium                   soll das Immunsystem dann auf die Fährte
führte sie jeweils für ein Semester an die                 der befallenen Zellen führen. Eine wichtige
University of Bristol in England und an die                Rolle spielen dabei Moleküle namens „Human
Monash University in Melbourne. „Natürlich                 Leukocyte Antigen“, kurz HLA. Sie dienen als
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Porträt                                                           9

eine Art „Präsentierteller“. Um dem Immun­                                       können die Forscher untersuchen, wie das
system ein bestimmtes Epitop zeigen zu                                           Immunsystem am besten stimuliert wird
können, muss die Zelle über ein HLA-Molekül                                      und wie effizient sich die Abwehrzellen an
verfügen, das genau diesen Proteinschnip­                                        die richtige Stelle im Körper leiten lassen.
sel binden kann. Das Problem dabei: Es gibt                                      Denn das Modell ermöglicht es, Tumoren an
Tausende verschiedener HLA-Moleküle und                                          den Körperstellen zu untersuchen, an denen
nicht jeder Mensch hat die gleichen. Bei der                                     beim Menschen HPV-Tumoren entstehen
Auswahl geeigneter Epitope spielen die HLA-                                      können, wenn dort eine dauerhafte Infektion
Moleküle deshalb eine wichtige Rolle.                   „Bei den allermeisten    besteht. Die bisherigen Ergebnisse sind viel­
                                                     Menschen schafft es das     versprechend: Man bereite momentan alles
AU F D I E F O R S C H U N G F O K U S S I E R T     Immunsystem allein, die     dafür vor, um einen ersten Impfstoff in die
                                                     humanen Papillomviren
Mit Impfungen gegen Krebs beschäftigte sich                                      klinische Testphase am Menschen zu brin­
                                                    wieder loszuwerden – aber
Riemer bereits in den Jahren 2002 bis 2005,                                      gen, erzählt Riemer voller Hoffnung.
                                                    eben nicht bei allen. Dann
als sie in Molekularbiologie mit Schwerpunkt           soll die therapeutische
                                                                                      Trotz ihrer herausfordernden Tätigkeit
Immunologie promovierte. Die naturwis­             Impfung dem Immunsystem       schafft sich die Wissenschaftlerin Freiräume,
senschaftliche Doktorarbeit gab ihr die               unter die Arme greifen.“   um genügend Zeit mit ihrer dreijährigen
Möglichkeit, ihren Fokus noch mehr auf die                                       Tochter zu verbringen. Früher habe sie gerne
Forschung zu richten. „Ich wollte als Forsche­                                   und viel gesungen, dazu kommt sie derzeit
rin ernst genommen werden“, erzählt sie. Wie                                     jedoch nicht mehr. Der momentane Fokus
schon in der Medizin schloss Riemer Studium                                      auf die eigenen wissenschaftlichen Ziele
und Promotion mit Bestnoten ab und wurde                                         ist für Riemer jedoch alles andere als reine
für beide Studiengänge mit dem Ehrenring                                         Pflichterfüllung. Vielmehr ist sie heute genau
des österreichischen Bundespräsidenten                                           das, was sie schon als Jugendliche vor Augen
ausgezeichnet.                                                                   hatte: Wissenschaftlerin mit Leib und Seele.
     Wissenschaftlich dreht sich bei Angelika                                    Als sie mit jungen 30 Jahren an der Medizini­
Riemer inzwischen alles um die Suche nach                                        schen Universität Wien habilitierte, zweifelte
einem geeigneten therapeutischen Impfstoff.                                      sie noch, ob sie die „richtige“ Forschung be­
Um passende Epitope für häufig vorkommen­                                        reits erlebt hatte. Diese wollte sie in Amerika
de HLA-Moleküle zu identifizieren, nutzt die                                     kennenlernen. 2008 ging sie daher ans
Gruppe ein ultrasensitives Massenspektro­                                        Cancer Vaccine Center des Dana-Farber Can­
meter. Mit dem hochmodernen Gerät lassen                                         cer Institute und der Harvard Medical School
sich die Moleküle sehr effizient und präzise                                     in Boston. „In einem so renommierten Zent­
analysieren. „Es gibt fünf HLA-Supertypen,                                       rum arbeiten zu können, war eine großartige
die bei 95 Prozent der Weltbevölkerung                                           Erfahrung. Es war aber gut zu sehen, dass
vorkommen“, erklärt Riemer. Ein aussichts­                                       man auch dort nur mit Wasser kocht“,
reicher Impfstoff enthält also Epitope für                                       resümiert die Wissenschaftlerin. Rück­
jede dieser fünf Varianten. Am Ende stellt                                       blickend war die Zeit in Boston in mehrerlei
sich dann aber noch eine ganz entscheidende                                      Hinsicht wegweisend: Hier begann Riemer
Frage: Lösen die ausgewählten Epitope auch                                       an humanen Papillomviren zu forschen,
tatsächlich eine Immunantwort aus?                                               sie arbeitete erstmals mit dem oben genann­
     Um Vakzin-Kandidaten zu testen, hat                                         ten Massenspektrometrie-Ansatz – und
das Team ein „HPV-Maustumormodell“ ent­                                          sie lernte dort Harald zur Hausen kennen.
wickelt. An genetisch veränderten Mäusen                                         Den Rest der Geschichte kennen Sie.
Ein blick - German Cancer Research Center
10                               Die Publikation

                       π Titel
                       „Tumor-associated hematopoietic
                         stem and progenitor cells positively
                         linked to glioblastoma progression“

                       π Erstautorinnen
                       I-Na Lu (Postdoc)* und
                       Celia Dobersalske (Doktorandin)*

                       π Leiter der Studie
                       Björn Scheffler (Abteilungsleiter)*
                       und Igor Cima (Senior Scientist)*

                       * DKFZ-Abteilung „Translationale Onkologie
                          mit Schwerpunkt Neuroonkologie“ am West­
                          deutschen Tumorzentrum (WTZ) in Essen,
                          Partnerstandort Essen/Düsseldorf des
                          Deutschen Konsortiums für Translationale
                          Krebsforschung (DKTK).
     Die Publikation

                       π Veröffentlicht in
                       Nature Communications
                       am 23. Juni 2021

                       π Gefördert durch
                       Wilhelm Sander-Stiftung, DFG, DKTK

                          DIE AUSGANGSFR AGE

                          Wie gelingt es Glioblastomen, sich den
                          Angriffen des Immunsystems zu entziehen?

                          DER HINTERGRUND
                          Glioblastome sind Hirntumoren mit einem besonders schweren und trotz
                          bestmöglicher Behandlung zumeist tödlichen Verlauf. Auch moderne Im­
                          muntherapien, die bei anderen Krebsarten teilweise gute Erfolge erzielen,
                          schlagen nicht an. Die Ursachen dafür sind noch nicht eindeutig geklärt.
                          Offenbar manipulieren die aggressiven Hirntumoren ihre Umgebung, um
                          dadurch die Immunabwehr gezielt zu unterdrücken: Bekannt ist bei­
                          spielsweise, dass die Krebszellen immunhemmende Botenstoffe abgeben.
                                   Außerdem finden sich in der Nähe der Tumoren bestimmte Arten
                                         von Immunzellen, die Angriffe des Immunsystems gegen
                                           den Tumor gezielt unterbinden.
Die Publikation                                                     11

DIE EXPERIMENTE
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler                            Die Blutstammzellen haben in unmittelbarer
nahmen an, dass in unterschiedlichen Arealen                            Nähe des Tumors offenbar fatale Eigenschaften:
eines Hirntumors unterschiedliche Zelltypen vor­                        In der Kulturschale teilten sich Glioblastomzellen
kommen können, insbesondere auch verschie­                              häufiger, wenn dort auch die tumorassoziierten
dene Typen von Immunzellen. Solche Vertei­                              Blutstammzellen vorhanden waren. Gleichzeitig
lungsmuster könnten charakteristisch für                                produzierten die Krebszellen große Mengen des als
bestimmte Patientengruppen sein und                                     „Immunbremse“ bekannten Moleküls PD-L1. Die
bei der Wahl der jeweils am besten                                      Forscher fanden außerdem größere Mengen tumor­
geeigneten Therapie helfen.                                             fördernder Botenstoffe, wenn sie Krebszellen und
    Die Forscher untersuchten                                           Blutstammzellen gemeinsam kultivierten.
deshalb, welche Zelltypen sich in
mehr als 300 Gewebeproben von Glioblastomen                                 3. Patienten lebten durchschnittlich
und anderen bösartigen Hirntumoren befanden,                                länger, wenn die Tumoren wenige
und verglichen die Ergebnisse mit 17 Proben von                             Blutstammzellen enthielten.
gesundem Gehirngewebe.
    In jeder Zelle ist nur eine Auswahl von Genen                       Von 159 Glioblastom-Patienten lagen den Forschern
aktiv. Sie stellt also nur diejenigen Proteine her,                     Daten zum klinischen Verlauf der Erkrankung vor.
die sie für ihre spezielle Aufgabe benötigt. Somit                      Es zeigte sich durchgehend: Je mehr Blutstamm­
weist jeder Zelltyp ein charakteristisches Muster                       zellen ein Tumor enthielt, desto stärker waren
aktiver Gene auf. Aufwendige computergestützte                          bestimmte immunbremsende Eigenschaften aus­
Analysen der Genaktivität und ein neu entwickel­                        geprägt – und desto geringer war das Gesamtüber­
ter Algorithmus ermöglichten es den Forschern zu                        leben der Patienten.
ermitteln, welche Art von Zellen, insbesondere des
Immunsystems, in der jeweiligen Probe vorkamen.                         DA S FA ZIT
    Besonderes Interesse weckten bei den For­                           Die Beobachtungen der Wissenschaftlerinnen
schern die nachgewiesenen Zelltypen des blutbil­                        und Wissenschaftler legen die Vermutung nahe,
denden Systems, weshalb sie diese anschließend in                       dass die in Glioblastomen vorkommenden Blut­
Experimenten mit Gewebeproben aus Operationen,                          stammzellen den Verlauf der Erkrankung negativ
Zellkulturen und anhand von klinischen Daten                            beeinflussen. Es war bereits bekannt, dass sich Blut­
näher charakterisierten.                                                stammzellen, die im Knochenmark ausreifen, im
                                                                            Verlauf von Krebserkrankungen eher zu solchen
DIE ERGEBNISSE                                                                Zelltypen entwickeln, die die Aktivität des
   1. In allen Proben von bösartigen Tumoren                                   Immunsystems bremsen. Offenbar werden
   des Gehirns fanden sich Blutstammzellen.                                     sie vom Tumor entsprechend programmiert.
                                                                                Ein ähnliches Phänomen liegt möglicherwei­
In den Glioblastomen konnten die Forscher immer                                se auch bei der Art von Blutstammzellen vor,
auch Stammzellen und Vorläuferzellen des blut­                                die das Team in Glioblastomen nachgewiesen
bildenden Systems nachweisen. In Proben aus                                  hat. Dadurch könnten sich neue Optionen
gesundem Gewebe kamen solche Zellen hingegen                              für die Behandlung der bösartigen Hirntumoren
nicht vor. Blutstammzellen sind eigentlich im                           ergeben: Mit geeigneten Botenstoffen ließe sich
Knochenmark angesiedelt und versorgen von dort                          womöglich verhindern, dass sich die Blutstammzel­
aus den Körper lebenslang mit allen Arten reifer                        len unter dem Einfluss des Tumors zu immunbrem­
Blutzellen.                                                             senden Zelltypen entwickeln. Immuntherapien
                                                                        gegen das Glioblastom hätten dann eine bessere
   2. Blutstammzellen unterdrückten in Labor­                           Chance auf Wirksamkeit.
   versuchen das Immunsystem und befeuerten
   gleichzeitig das Tumorwachstum.
12   Forschung
13

Keine
Toleranz für
Tumoren
Tumoren nutzen molekulare Schalter,
um Angriffe des Immunsystems auszubremsen.
Christiane Opitz und ihr Team untersuchen,
welche Rolle dabei Stoffwechselprodukte einer
bestimmten Aminosäure spielen.

                     Text: Nicole Silbermann
                     Illustrationen: Luca Boscardin
14                                                                  Forschung

                          U
Unser Stoffwechsel ist ein hochkomplexes und aus­                               an Grenzflächen vorkommt. Etwa im Darm, wo es der
geklügeltes System: Es gleicht einem Uhrwerk mit                                Organismus mit vielen unterschiedlichen Stoffen und
unzähligen ineinandergreifenden Zahnrädern. Und                                 Bakterien aller Art zu tun bekommt. „An diesen Stellen
manch ein Tumor macht sich im übertragenen Sinne                                muss das Immunsystem schon ein wenig tolerant sein
den Schwung eines Zahnrades zunutze, um zu wach­                                gegenüber den vielen körperfremden Stoffen“, erklärt
sen und sich auszubreiten. Doch wie genau geschieht                             Opitz. „Eine überschießende Immunreaktion wäre
das? Welche Signalwege und Schlüsselmoleküle                                    hier kontraproduktiv und würde uns mehr schaden
stecken dahinter? Und wie kann ein besseres Verständ­                           als nützen. Das ist also im Prinzip ein sehr sinnvolles
nis von Stoffwechselwegen in die Entwicklung von                                Konzept für unseren Körper – aber eben leider auch für
Therapien einfließen? Das sind Fragen, denen Christia­                          nutznießende Tumoren.“
ne Opitz und das 13-köpfige Team ihrer Juniorgruppe
Hirntumor-Metabolismus am DKFZ auf den Grund                                    M E C H A N I S M E N B E S S E R V E R ST E H E N L E R N E N
gehen. Im Fokus ihrer Forschung steht der Stoffwechsel                          Immuntherapien gelten als die neuen Hoffnungsträger
der Aminosäure Tryptophan, einem der insgesamt 20                               bei der Behandlung von Krebs. Sie nutzen und verstär­
verschiedenen Bausteine, aus denen der menschliche                              ken die Schlagkraft des körpereigenen Immunsystems,
Körper Proteine herstellt.                                                      um Tumorzellen ausfindig zu machen und gezielt zu
                                                                                bekämpfen. Sie können äußerst wirkungsvoll sein,
ST O F F W E C H S E L P R O D U K T E A L S B O T E N ST O F F E               doch schlagen sie bislang nur bei bestimmten Krebs­
Haben Proteine ihre Arbeit getan, baut die Zelle sie                            arten und auch dort längst nicht bei allen Patienten
ab und zerlegt sie in ihre Bestandteile: Aminosäuren                            an. Warum das so ist, konnten Wissenschaftler und
werden frei, die dann ebenfalls schrittweise abgebaut                           Ärzte bislang noch nicht im Detail klären. Könnte einer
werden. Beim Tryptophan entstehen Zwischenstufen,                               der Gründe womöglich im Tryptophan-Stoffwechsel
die aber nicht einfach nur Abfallprodukte sind, son­                            liegen? „Das könnte tatsächlich eine Rolle spielen“,
dern im Körper auch als wichtige Botenstoffe wirken.                            vermutet Opitz. „Dem wollen wir auf den Grund gehen
Sie binden dann an spezielle Signalempfänger – die                              und versuchen, den Stoffwechsel der Aminosäure mit
Rezeptoren. „Diese Tryptophan-Metabolite aktivieren
den sogenannten Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor, kurz
AHR, und setzen dadurch eine Kaskade von Abläufen
in Gang, die für unseren Körper grundsätzlich sinn­
voll sind. Doch tückischerweise spielen sie auch der
Entstehung von Tumoren in die Hände“, erklärt Opitz.
So werden Tumorzellen zum Beispiel beweglicher und
können sich schneller ausbreiten. Hinzu kommt, dass
die Aktivierung des Rezeptors Abwehrreaktionen des
Immunsystems unterdrückt, sodass die Tumorzellen
dann nicht mehr effektiv bekämpft werden können.
Die körpereigenen Prozesse befeuern das Tumorwachs­
tum somit geradezu.
     Wie das alles geschieht, ist noch nicht vollständig
geklärt. Doch eine Ursache könnte darin liegen, dass
der Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor im Körper insbesondere
Forschung                                                                 15

            „                                             Das Immunsystem gilt als Polizei des Körpers,
                                                            die ihn vor „Bösewichten“ aller Art schützt.
                                                Krebszellen sorgen deshalb dafür, dass die Immunzellen
                                                            sie tolerieren oder gar nicht erst entdecken.

 Die Tryptophan­Metabolite              all seinen Facetten besser zu verstehen, um die
                                        Dreh­ und Angelpunkte zu fi nden und zu nutzen.“
    setzen eine Kaskade                      Im vergangenen Jahr veröffentlichte das Team um
von Abläufen in Gang, die für           Christiane Opitz im Fachmagazin Cell eine Studie, die
                                        es gemeinsam mit den Forschungsgruppen von Martina
unseren Körper grundsätzlich            Seiffert aus dem DKFZ und Saskia Trump vom Berlin
                                        Institute of Health (BIH) durchgeführt hat. In ihren
     sinnvoll sind. Doch                Untersuchungen fahndeten sie nach Tryptophan­
 tückischerweise spielen sie            abbauenden Enzymen, die besonders eng mit der
                                        Aktivierung des AHR in Verbindung stehen. Dabei
  auch der Entstehung von               stießen sie auf ein Enzym namens Interleukin­4­

   Tumoren in die Hände.                Induced­1 (IL4I1). Das Forschungsteam fand heraus, dass
                                        Patienten mit bösartigen Hirntumoren eine höhere
                                        Überlebenswahrscheinlichkeit hatten, wenn das Enzym
                                        in den Tumoren nur in niedrigen Konzentrationen
                                        vorhanden war.
16                                                        Forschung

Das Immunsystem kann sowohl tolerant als auch
aggressiv sein. Tumoren profitieren davon, wenn
die Aktivität der Immunzellen gedrosselt ist.

Und auch bei genetisch veränderten Mäusen, die kein                   Tryptophan­abbauende Enzym IL4I1 effektiv hemmen.
IL4I1 produzieren konnten, war das Immunsystem                        Darüber hinaus möchten sie verschiedene Diagnose­
deutlich erfolgreicher darin, ihre Krebserkrankung – in               verfahren entwickeln, die dabei helfen sollen, die AHR­
dem Fall eine Art von Blutkrebs – in Schach zu halten.                Aktivität in Tumoren von Krebspatienten zu bestim­
     „Wird die Aktivität von IL4I1 unterbunden, entste­               men. Dahinter steckt folgende Idee: Patienten, deren
hen in der Folge auch keine Tryptophan­Metabolite,                    Tumoren sich den AHR zunutze machen, könnten
die den Aryl­Hydrocarbon­Rezeptor aktivieren könn­                    zukünftig gezielt mit geeigneten Medikamenten be­
ten. Dann wird letztlich auch das Immunsystem nicht                   handelt werden, um das Herunterfahren des Immun­
so stark gebremst“, erklärt Opitz. „Das dem AHR vor­                  systems zu verhindern. „Wir sind gerade dabei, eine
geschaltete Enzym IL4I1 hat daher großes Potenzial als                Firma auszugründen, die die Entwicklung spezifischer
möglicher Angriffspunkt für hemmende Wirkstoffe.                      Diagnoseverfahren weiterverfolgen wird“, sagt Opitz.
Sie könnten zukünftig Immuntherapien unterstützen                     „Doch neben der praktischen Anwendung werden wir
und so hoffentlich dafür sorgen, dass mehr Patienten                  nach wie vor unsere Grundlagenforschung in Sachen
von dieser Art der Behandlung profitieren.“                           Tryptophan­Stoff wechsel weiter vorantreiben. Hier
                                                                      gibt es noch viel zu tun und viel Unverstandenes zu
ANGRIFFSPUNKTE FÜR THER APIEN NUTZEN                                  verstehen. Und wir hoffen natürlich, dass wir immer
Das Forschungsteam wird sich deshalb auf                              wieder Neues herausfi nden, das den Patientinnen und
die Suche nach Wirkstoffen begeben, die das                           Patienten auf lange Sicht einmal helfen wird.“
Forschung                                                       17

                                                                                           Malawi

                                                                                             Am häufigsten erkrankten Frauen
                              Sambia                                                         in Eswatini (früher Swasiland)
                                                                                             an dieser Krebsart, gefolgt von
                                                                                             Malawi und Sambia.
19 der 20 Länder mit den weltweit
      höchsten Erkrankungsraten
  für Gebärmutterhalskrebs lagen                                               Eswatini
             im Jahr 2018 auf dem
         afrikanischen Kontinent.

                    Gebärmutterhalskrebs in Afrika:
                           Mehr Vorsorge
        Während in Deutschland Brustkrebs die mit Ab­        in Anspruch nehmen können, mit denen sich
        stand häufigste Krebserkrankung bei Frauen ist,      Gebärmutterhalskrebs frühzeitig erkennen lässt.
        sind in vielen afrikanischen Ländern die größten          Zu den Ländern, die vor diesem Hintergrund
        Fallzahlen beim Gebärmutterhalskrebs zu ver­         ihre Präventionsprogramme ausbauen möchten,
        zeichnen. Von den 20 Ländern mit den weltweit        zählt auch Namibia. Das DKFZ kooperiert seit 2019
        höchsten Erkrankungsraten bei dieser Krebsart        mit der University of Namibia und dem namibi­
        liegen 19 in Afrika südlich der Sahara. Gebär­       schen Gesundheitsministerium. Eines der Ziele
        mutterhalskrebs ließe sich inzwischen nahezu         dieser Partnerschaft liegt darin, das bestehende
        vollständig verhindern – doch in vielen Regionen     nationale Screening-Programm für Gebärmutter­
        haben große Teile der Bevölkerung keinen Zugang      halskrebs weiterzuentwickeln. Gemeinsam
        zu präventiven Maßnahmen. Die Weltgesund­            möchten die Experten ein Konzept für ein kosten­
        heitsorganisation hat deshalb Ziele formuliert, um   effizientes, landesweites Screening erarbeiten.
        die Krankheit gerade in ärmeren Ländern zurück­      Ein zentrales Element könnte dabei ein HPV-Test
        zudrängen: Mehr Kinder sollen eine HPV-Impfung       sein – auch in Deutschland ist er seit 2020 fester
        erhalten und mehr Frauen sollen Untersuchungen       Bestandteil der Vorsorge.
18   Das Molekül

                   VO R KO M M E N
                   Das Protein L1 ist der Hauptbaustein der Virushülle
                   von Papillomviren. Diese umgibt und schützt das
                   Erbgut des Virus. Humane Papillomviren (HPV) sind
                   weit verbreitet. Einige Hochrisikotypen können Gebär­
                   mutterhalskrebs und weitere Krebsarten auslösen.

                   FUNKTION
                   Neben dem Schutz des Erbgutes vermittelt die Virus­
                   hülle auch den Kontakt zur Wirtszelle. Dabei bindet
                   das Virus zunächst an spezielle Moleküle auf deren
                   Zelloberfläche. Erst dann können die Viren in die Zelle
                   eindringen und sich vermehren.

                   H P V U N D H AU T K R E B S
                   Es gibt bestimmte Typen der Papillomviren, die nur auf
                   der Haut vorkommen. Abhängig von externen Faktoren
                   wie der UV­Strahlung, aber auch vom Alter und dem
                   individuellen Immunstatus, kann es zu HPV­beding­
                   ten Hautveränderungen kommen. Die Viren regen
                   ihre Wirtszellen zur Teilung an und in seltenen Fällen
                   entwickelt sich sogar weißer Hautkrebs. Meist kann
                   der Körper die Erreger jedoch erfolgreich bekämpfen:
                   Das Immunsystem stellt Antikörper her, die an die
                   Virushülle binden, sodass die Viren nicht mehr in die
                   Wirtszelle eindringen können. Die Papillomviren
                   haben jedoch Wege gefunden, sich dieser Art der
                   Immunabwehr zu entziehen.

                   D I E Z W E I G E S I C H T E R VO N L 1
                   DKFZ-Forscher um Frank Rösl und Daniel Hasche fanden
                   anhand eines einzigartigen Mausmodells heraus, dass die
                   Papillomviren eine Art Köder benutzen, um das Immun-
                   system auf die falsche Fährte zu locken: In der infizierten
                   Wirtszelle wird zuerst eine um etwa 30 Aminosäuren
                   längere Version des L1-Proteins hergestellt. Gegen diese
                   Variante bilden Immunzellen dann Antikörper. In den
                   fertigen Viruspartikeln kommt die längere Version des Pro-
                   teins jedoch nicht vor. Folglich lassen sich die infektiösen
                   Viren auf diesem Wege auch nicht neutralisieren. Während
                   das Immunsystem also „nutzlose“ Antikörper produziert,
                   kann sich das Virus zunächst weiter vervielfältigen und
                   im Körper ausbreiten. Erst einige Monate später entstehen
                   Antikörper, die gegen die normale Variante des L1-Pro-
                   teins und damit gegen die infektiösen Viren gerichtet sind.
                   Dieses Ablenkungsmanöver scheint unter den Papillom-
                   viren weit verbreitet zu sein: Auch die Gene der Hochrisiko-
                   typen HPV 16 und 18, die Gebärmutterhalskrebs auslösen
                   können, sind so gestaltet, dass eine längere Variante von L1
                   gebildet werden könnte.
Spenden                                                          19

                    „Für eine Welt
                     ohne Krebs“
       Ralph Lauren unterstützt die Krebsforschung des DKFZ

I
         „Ich habe gelernt, dass es uns im Leben   Darüber hinaus soll die Initiative auch
         wie aus heiterem Himmel treffen kann,     dazu beitragen, allen Patienten einen Zugang
         aber das Leben ist schön, und wir müs­    zu qualitativ hochwertigen Behandlungen
         sen jeden Tag genießen“, sagt Deborah     zu ermöglichen.
         James. Die britische Schrift­                           Ralph Lauren spendet deshalb
stellerin und Moderatorin erfuhr                                Erlöse aus dem Verkauf der Pink
2016 im Alter von 35 Jahren,                                      Pony­Kollektion an Programme
dass sie an Darmkrebs im                                            und Einrichtungen weltweit,
fortgeschrittenen Stadium                                             die auf unterschiedlichen
erkrankt war. Seitdem be­                                             Feldern gegen Krebs kämpfen –
richtet sie auf ihren Social­                                       darunter auch das Deutsche
Media­Kanälen und in einer                                     Krebsforschungszentrum. „Wir freuen
Online­Kolumne regelmäßig über                                 uns sehr, dass die Ralph Lauren
ihr Leben mit der Krankheit, über                              Corporate Foundation unsere Arbeit
ihre Hoff nung und Verzweiflung,                               so großzügig unterstützt“, sagt
und möchte damit nicht zuletzt                                 Michael Baumann. „Im DKFZ for­
darüber aufk lären, dass Krebs je­                              schen wir tagtäglich für eine Welt
den treffen kann – auch in jungen                               ohne Krebs. Das Engagement von
Jahren.                                            Ralph Lauren hilft uns dabei, diesem Ziel einen
     Gemeinsam mit über 30 weiteren Krebs­         Schritt näher zu kommen.“
überlebenden, Fürsprechern, Aktivisten,
Krebsforschern und Mitarbeitern des Gesund­
heitswesens wurde Deborah James, die auch die
Royal Marsden Cancer Charity unterstützt, im
vergangenen Jahr eines der Gesichter der Kam­
pagne „More Conversations, More Love“, die das
Modeunternehmen Ralph Lauren zum 20­jäh­                    Engagieren auch Sie sich für die Krebsforschung.
rigen Jubiläum seiner Pink Pony­Initiative ins                  Ob eine einmalige Spende, regelmäßige
Leben gerufen hat. Auch Michael Baumann,                       Zuwendungen oder eine Spendenaktion:
der Vorstandsvorsitzende des DKFZ, zählte zu                     Gerne unterstützen wir Ihr Vorhaben
den Personen, die im Rahmen der Kampagne                             und beantworten Ihre Fragen.
über ihre Vision von einer krebsfreien Zukunft                           Kontaktieren Sie uns:
berichteten. Pink Pony, die pinkfarbene Version                  spende@dkfz.de oder 06221/42­2848
des bekannten Polo­Logos, steht seit dem Jahr                    Spendenkonto: Sparkasse Heidelberg
2000 für das Engagement von Ralph Lauren im                       IBAN: DE98 6725 0020 0005 0000 50
Kampf gegen Krebs. Das Unternehmen unter­                                 BIC: SOLADES1HDB
stützt die Suche nach neuen Therapien und
setzt sich für Vorsorge und Früherkennung ein.
20                                                              Interview

                                                             sicher und wirksam
                                                             Die HPV-Impfung ist
             Einige Menschen haben Bedenken
                 hinsichtlich der Sicherheit der                                   Trotzdem sind die Impfquoten in
           HPV-Impfung und stellen auch deren                                      Deutschland niedrig. Welche konkreten
                 Wirksamkeit infrage. Zurecht?                                     Maßnahmen schlagen Sie vor?

         Die Sicherheit der Impfung ist in Studien                                 Der Blick in andere Länder zeigt, dass
               sehr gründlich untersucht worden:                                   Schulimpf­programme ein wichtiges Werk­
     Die Impfstoffe sind sehr sicher und gut ver­                                  zeug sein können, um die Zielgruppe der 9- bis
  träglich. Seit 2006 wurden weltweit mehr als                                     14-Jährigen besser zu erreichen. Denn Jugend­
      300 Millionen Impfdosen verabreicht, und                                     liche gehen insgesamt eher selten zum Arzt.
        dabei wurde bisher keine Nebenwirkung                                      Die eigentlich in diesem Alter vor­gesehenen
  beobachtet, die die Gesundheit der geimpften                                     Vorsorgeuntersuchungen sind aber nicht
   Jugendlichen nachhaltig beeinträchtigt. Und                                     bekannt genug und werden zu selten in
               auch die Wirksamkeit der Impfung                                    Anspruch genommen. Auch ein zentrales
       konnte in Studien auf Bevölkerungsebene                                     Erinnerungs- und Einladungs­system könnte
   ganz eindeutig belegt werden: In der geimpf­                                    Abhilfe schaffen. Bislang ist auch kein zeit­
     ten Bevölkerung geht nicht nur die Verbrei­                                   nahes Monitoring der Impfquoten möglich.
       tung der gefährlichen HPV-Typen zurück,                                     Das wäre aber notwendig, um regelmäßig
        sondern es treten auch seltener Krebs­vor­                                 alle Akteure über Fortschritte und Hinder­
       stufen und Genitalwarzen auf. Im letzten                                    nisse zu informieren. Wünschenswert wäre
          Jahr hat eine Studie aus Schweden zum                                    auch, dass die Ärzte für die Impfung eine bes­
        ersten Mal gezeigt, dass geimpfte Frauen                                   sere Vergütung erhalten. Sie sollten außerdem
        tatsächlich seltener an Gebärmutterhals­                                   motiviert werden, ihre jugendlichen Patien­
  krebs erkranken. Das Erkrankungsrisiko sank                                      ten aktiv anzusprechen und deren Impfstatus
              bei Frauen, die die Impfung vor dem                                  systematisch zu überprüfen. Wichtig wäre
   17. Lebensjahr erhalten hatten, sogar um fast                                   es vor allem aber, Fehlinformationen ent­
    90 Prozent*. Das zeigt, dass die Impfung das                                   gegenzutreten und den Nutzen der Impfung
       Potenzial hat, allein in Deutschland jedes                                  deutlich zu machen. Dabei könnten zum
                Jahr Tausende von HPV-bedingten                                    Beispiel große zielgruppenspezifische
                        Krebsfällen zu vermeiden.                                  Kampagnen helfen.

        * Unter 1,1 Mio. ungeimpften Frauen traten im
Beobachtungszeitraum 538 Fälle auf, unter ca. 500.000
geimpften Frauen waren es 19 Fälle. Unter Berücksich-
  tigung des Alters der Teilnehmerinnen und weiterer                                    Nobila Ouédraogo ist Experte
 Faktoren errechneten die Forscher, dass das Risiko, an                                für Öffentliche Gesundheit in der
  Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, für Frauen, die
                                                                                    Stabsstelle Krebsprävention des DKFZ.
  bei der Impfung unter 17 Jahre alt waren, gegenüber
 ungeimpften Altersgenossinnen um 88 Prozent sank.                                 Er widmet sich insbesondere dem Thema
                    Quelle: Lei et al., N Engl J Med, 2020                            Krebsprävention durch Impfungen.
Quiz                                                            21

                                               I h r Wi s s e
                                             e                n
                                        Si

                                                                               zu
                          en
                                      Humane Papillomviren können

                                                                                   HP
                      Te st
                                    Krebs auslösen – die HPV-Impfung
                                     bietet deshalb Schutz. Doch wie

                                                                                         V!
                                    häufig sind Infektionen mit HPV?
                                  Und sind auch Männer betroffen? Wo in
                                  Deutschland sind die meisten Mädchen
                              geimpft? Testen Sie Ihr Wissen in unserem Quiz!

                                                       Bei wie vielen Frauen im Alter
                                                       von 20 bis 25 Jahren wurden
                                                       in einer Studie Infektionen mit
                                        1              krebsaus­l ösenden Hochrisiko-
                                                       HPV-Typen nachgewiesen?
In welchem Bundesland sind die                                                                            3
  meisten 15-jährigen Mädchen                          a) 2 %      b) 13 %     c) 35 %
vollständig gegen HPV geimpft?

         a) Baden-Württemberg
              b) Sachsen-Anhalt                                                Muss ich mich gegen HPV impfen lassen,
                      c) Bremen                                                           wenn ich Kondome benutze?

                                                  2                 a) Nein, HPV wird sexuell übertragen, deshalb bieten
                                                                                  auch Kondome ausreichenden Schutz.

                                                                        b) Ja, denn es kann beim Sex trotz Kondomen zur
      Wie viele Männer erkranken jährlich in                                             Übertragung von HPV kommen.
  Deutschland an HPV-bedingten Krebsarten?             4
   a) keine     b) etwa 300       c) etwa 1.700

                                                                          5
                                                                                     Lösungen auf Seite 22-23

                                                             Ab welchem Alter sollten Frauen die Früh­e rkennung
                                                             von Gebärmutterhalskrebs in Anspruch nehmen?

                                                             a) ab 20 Jahren    b) ab 35 Jahren     c) ab 45 Jahren
22                                                          Quiz

                                                       Lösungen:

             1      b) Sachsen-Anhalt

                    • Bundesweit hatten im Jahr 2018 43 % der 15-jährigen Mädchen eine vollständige Impfserie
                    erhalten. Es gab jedoch große regionale Unterschiede: Die Impfquote war in Sachsen-Anhalt
                    mit 63,1 % am höchsten und am niedrigsten in Baden-Württemberg mit 34,1 %. Auf Kreis­
                    ebene sind die Unterschiede teils sogar noch größer. Im internationalen Vergleich belegt
                    Deutschland einen der hinteren Plätze. In Ländern wie England und Norwegen und auch in
                    Ruanda und Mexiko sind mehr als 80 % der Mädchen vollständig geimpft.

                                      Impfquoten      Alter der Mädchen                      Jahr der Datenerhebung

                     Ruanda           98,7 %          12-15 Jahre                                          2014

                     England          83,9 %          13-14 Jahre                                          2018/19

                   Australien         82,6 %          15 Jahre                                             2019

                   Norwegen           81 %            16 Jahre                                             2016

                         USA          61,1 %          15 Jahre                                             2019

                 Deutschland          43 %            15 Jahre                                             2018

                            c) 35 %     2
 • Infektionen mit humanen Papillomviren sind sehr häufig:
        Laut Weltgesundheitsorganisation infizieren sich fast
       80 % der Ungeimpften im Laufe des Lebens mindestens                        3
      einmal mit einem oder mehreren der vielen HPV-Typen.
       Eine Studie aus den Jahren 2010 bis 2012 zeigte, dass in           Ja, die Impfung wird auch empfohlen,
   Deutschland 35 % der nicht geimpften Frauen im Alter von               wenn Kondome genutzt werden.
   20 bis 25 Jahren mit einem Hochrisiko-HPV-Typen infiziert
                                                                          • Durch den Gebrauch von Kondomen reduziert sich
    waren. In den allermeisten Fällen gelingt es dem Immun­
                                                                          zwar die Gefahr einer HPV-Infektion, sie kann aber
    system, die Viren wieder zu verdrängen. Etwa jede zehnte
                                                                          nicht sicher verhindert werden. Die Infektion kann
         Infektion bleibt jedoch über einen längeren Zeitraum
                                                                          nämlich auch über Schleimhaut- oder Hautbereiche
       bestehen. Bei einigen der betroffenen Frauen kommt es
                                                                          erfolgen, die nicht durch ein Kondom geschützt
    dann zu Zellveränderungen, die sich zu Gebärmutterhals­
                                                                          sind. Auf Kondome sollte man aber trotzdem nicht
           krebs und weiteren Krebsarten entwickeln können.
                                                                          verzichten: Sie bieten Schutz vor HIV und weiteren
                                                                          sexuell übertragbaren Infektionen.
Quiz                                                              23

 4       c) etwa 1.700

• Auch die überwiegende Mehrheit          HPV-bedingte Krebserkrankungen
  der Männer infiziert sich im Laufe      (Fälle in Deutschland pro Jahr)
  des Lebens mit HPV. Und auch bei
 Männern können insbesondere die
   Hochrisikotypen 16 und 18 Krebs        Mund- und Rachenkrebs                                              Mund- und Rachenkrebs
      auslösen. Etwa 840 Männer er­
                                          840                                                                                       280
kranken in Deutschland pro Jahr an
         HPV­bedingtem Mund­ und                                                                                Gebärmutterhalskrebs
          Rachenkrebs, etwa 260 an                                                                                                3920
    Peniskrebs und ungefähr 600 an
                                                                                                                             Analkrebs
  Analkrebs. Seit 2018 empfiehlt die      Analkrebs
Ständige Impfkommission die HPV­                                                                                                  1000
                                          600
  Impfung deshalb auch für Jungen                                                                                         Vaginalkrebs
       im Alter von 9 bis 14 Jahren –
                                                                                                                                    300
   also idealerweise vor dem ersten       Peniskrebs
     sexuellen Kontakt – wobei eine       260                                                                               Vulvakrebs
Nachholimpfung bis zum Alter von                                                                                                    500
        17 Jahren erfolgen kann. Die
  Impfung bietet beiden Geschlech­
       tern auch Schutz vor Genital­
warzen, die ebenfalls von bestimm­
 ten HPV­Typen verursacht werden.

                                                                             5       a) ab 20 Jahren

                                                                            • Alle Frauen ab 20 Jahren können jährlich eine
                                                                            gynäkologische Untersuchung zur Früherkennung
                                                                            von Gebärmutterhalskrebs in Anspruch nehmen.
                                                                            Bis zu einem Alter von 34 Jahren kann der Frauen­
                                                                            arzt dann auch jeweils einen sogenannten Pap­Test
               5                                                            durchführen. Dabei handelt es sich um einen Zell­
                                                                            abstrich vom Gebär mutterhals, um dort Zellverän­
       W I R KS A M E F RÜ H ER K EN N U NG                                 derungen aufzuspüren. Frauen ab 35 Jahren haben
                                                                            alle drei Jahre Anspruch auf einen HPV­Test in

       1970: 28,9                    In Deutschland besteht seit 1971
                                     das Angebot zur Früherkennung
                                                                            Kombination mit einem Pap­Abstrich. Der Test auf
                                                                            HPV weist eine Infektion nach, die langfristig zu
                                     von Gebärmutterhalskrebs durch         Krebs führen kann. Ein positiver Test ist aber nicht

       1980: 14,0                    einen jährlichen Pap­Abstrich.
                                     Schon wenige Jahre nach der
                                                                            mit einer Krebsvorstufe gleichzusetzen.

                                     Einführung des Screenings waren

       2018: 9,1                     die Erkrankungsraten um
                                     mehr als die Hälfte gesunken.

     (altersstandardisierte Erkrankungsraten je 100.000 Frauen,
                                                                            Quellen:Robert Koch­Institut, Bruni et al., Preventive
     Werte für das Saarland)
                                                                            Medicine 144 (2021), Deleré et al., BMC Infectious Disea­
                                                                            ses (2014), WHO (2017), Gredner et al., Deutsches Ärzte­
                                                                            blatt (2018), Krebsregister Saarland (2021)
24   Forschung
Forschung                                                          25

Wie Blutgefäße
beim Krebs
mitreden
Dass den Blutgefäßen bei einer Krebserkrankung eine
ganz entscheidende Rolle zukommt, ist seit langer Zeit
bekannt. Von einem tiefen Verständnis ihrer Funktion ist die
Forschung aber noch weit entfernt. Für Hellmut G. Augustin
und sein Team sind Blutgefäße mehr als nur passive
Versorgungspipelines: Sie geben dem Tumor vielmehr die
Richtung vor und zählen auch bei der Metastasierung
zu den wichtigsten Akteuren.
                          Texte: Philipp Grätzel von Grätz   Fotos: Tobias Schwerdt
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Die Hemmung der Blutgefäßneubildung, der Angiogene­
se, ist heute in der Krebsmedizin so fest verankert, dass
es schwerfällt, zu glauben, dass das nicht schon immer so
war. Tatsächlich hatte es dieses Therapieprinzip schwer in
der Onkologie. Nach der Erstbeschreibung in den frühen
70er Jahren durch Judah Folkman dauerte es fast 20 Jahre,
bis mit dem vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor
(VEGF) ein zentrales Molekül identifiziert wurde, das
sich pharmakologisch blockieren ließ. Danach gingen
noch einmal rund 15 Jahre bis zum ersten zugelassenen
Medikament ins Land: „Heute macht die Angiogenese-
Hemmung einen erheblichen Anteil am gesamten
Weltmarkt an Krebsmedikamenten aus“, sagt Hellmut
Augustin. Er leitet die Abteilung Vaskuläre Onkologie
und Metastasierung am DKFZ und an der Medizinischen
Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Dort ist
auch das European Center for Angioscience angesiedelt,
dessen Gründer und Leiter Augustin ist.
     Die Idee hinter der Angiogenese-Hemmung lautet in
etwa so: Krebszellen brauchen Sauerstoff und Nährstoffe,
deshalb brauchen sie Blutgefäße, und deshalb ist es sinn­
voll, dem Tumor quasi „den Saft abzudrehen“, indem man
verhindert, dass sich neue Blutgefäße bilden. Dass nicht                  Das Team von Hellmut Augustin möchte sogenannte
auch dem gesunden Gewebe der Saft abgedreht wird,                         Biomarker-Muster der Blutgefäßwand identifizieren.
liegt daran, so das gängige Erklärungsmodell, dass sich                   Sollten sich diese als eine Art Spiegel der Gesundheit
                                                                          herausstellen, könnten sie zukünftig unter anderem
die Blutgefäße im Tumor von denen normaler Gewebe un­                     zur Früherkennung von Krebs eingesetzt werden.
terscheiden: Sie sind unreifer und damit sensibler für die
Blockade des Wachstumsfaktors VEGF. Doch die Therapie
wirkt oft nur begrenzt: Einige der im Tumor übrig ge­
bliebenen Gefäße reifen infolge der Behandlung aus – sie
„normalisieren“ sich – und entziehen sich somit den hem­
menden Wirkstoffen. Viele Tumoren finden außerdem
alternative Wege, das Gefäßwachstum zu stimulieren.

D I E B L U TG E FÄ S S E S AG E N , WO E S L A N G G E H T
Augustin hält das Modell der Angiogenese-Hemmung
nicht für prinzipiell falsch, aber doch für arg simpel
und mechanistisch, und vor allem für unvollständig. In
25 Jahren Forschung hat er gelernt, die Blutgefäße viel
umfassender zu sehen: „Uns interessiert vor allem, wie
Blutgefäße reifen und ausdifferenzieren, insbesondere
ihre Innenwände, die Endothelien. Mithilfe von Next-
Generation-Genomics-Techniken können wir das heute
Forschung                                                         27

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                                                                   Gefäßwachstum nehmen, untersuchen die Wissenschaftler
                                                                   unter anderem an der Netzhaut von Mäusen.

sehr gut untersuchen und zum Beispiel verstehen, warum      Forschungsarbeit war den Wissenschaftlern klar, dass
Blutgefäße in der Leber ganz anders aussehen als etwa       Blutgefäße unterschätzt werden: „Blutgefäße steuern die
im Gehirn.“ Der Begriff Next-Generation-Genomics            Organfunktion. Sie sind keine passiven Röhren, sondern
beschreibt aufwändige technische Verfahren, die es er­      eher Dirigenten, die dem jeweiligen Organ sagen, wo es
lauben, die Genaktivität in unterschiedlichen Geweben       lang geht“, so Augustin.
in hoher Auflösung zu analysieren. So lassen sich unter­
schiedliche Gewebe bis auf die Ebene einzelner Zellen       AU C H B E I M K R E B S S I N D B L U TG E FÄ S S E
molekular sehr gut vergleichen.                             N I C H T N U R V E R S O R G U N G ST R A S S E N
     Im Rahmen ihrer langjährigen Forschung konnten         Tun sie das möglicherweise auch bei bösartigen Tumoren?
die Wissenschaftler einige grundlegende Mechanismen         Und wenn ja, was bedeutet das für eine Krebserkran­
beschreiben, die ein neues Licht auf Blutgefäße werfen:     kung? Am DKFZ gehen Augustin und sein Team diesen
„Wir haben zum Beispiel entdeckt, dass Blutgefäße nach      Fragen nach. Und sie sind mittlerweile davon überzeugt,
einer Verletzung der Leber die Regeneration des Organs      dass Blutgefäße auch bei Krebs steuernde Funktionen
steuern. Eine zentrale Rolle kommt dabei Angiopoietin2      übernehmen – die in diesem Fall aber nicht auf die
zu, einem Molekül, das die Endothelzellen bilden.“ Es       Heilung des betroffenen Organs zielen, sondern ganz im
zeigte sich, dass die gefäßauskleidenden Zellen maßgeb­     Gegenteil das Wachstum und die Metastasierung eines
lich an der Übertragung von Signalen beteiligt sind: Sie    Tumors befördern.
setzen Botenstoffe frei, die vor Ort oder in einiger Ent­         Die DKFZ-Forscher haben gezeigt, dass das im
fernung ihre Wirkung entfalten. Spätestens nach dieser      Zusammenhang mit der Leberregeneration entdeckte
28                                                             Forschung

Angiopoietin2 auch bei Krebs von Bedeutung ist. Angio­              von Endothelzellen in Tumoren, in Metastasen und in
poietin2 wirkt auf einen bestimmten Signalempfänger,                „prämetastatischen“ Geweben, die vom Tumor auf eine
den Rezeptor Tie2, der seinerseits wiederum mit dem                 Besiedlung durch Krebszellen vorbereitet werden. LRG1,
Rezeptor Tie1 in Wechselwirkung steht. Während Angio­               so hat sich herausgestellt, ist eine Art „Platzanweiser“ für
poietin2 vor allem frühe Stadien des Tumorwachstums                 Metastasen: Es trägt dazu bei, dass metastatische Zellen
steuert, greift Tie1 hauptsächlich in den späteren Verlauf          sich leichter ansiedeln können.
der Erkrankung ein. Das könnte den Rezeptor zu einem at­                 Ganz aktuell konnten die DKFZ-Forscher jetzt zeigen,
traktiven Angriffspunkt für Medikamente machen, denn                dass eine Hemmung von LRG1 in Versuchen mit Mäusen
viele Krebserkrankungen werden erst in einem späteren               das Wachstum der Metastasen bremsen und auch das
Stadium entdeckt. Wird Tie1 beispielsweise bei Mäusen               Überleben der Tiere verlängern kann. Auch hier könnte
mit Brust- oder Lungenkrebs genetisch ausgeschaltet,                also zukünftig eine neuartige Krebstherapie entstehen,
wächst der Tumor deutlich langsamer, und es bilden sich             die insbesondere auf die Metastasierung wirkt. „Insge­
auch weniger Metastasen.                                            samt ist der Prozess der Metastasierung bisher noch nicht
     Was Tie1 im gesunden Organismus macht, ist noch                besonders gut verstanden“, betont Augustin. „Ausgehend
nicht vollständig untersucht: „Das ist ein Signalweg, der           von den Blutgefäßen versuchen wir, die wichtigen Einzel­
an der Reifung und Ausdifferenzierung der Blutgefäße be­            schritte der Metastasierungskaskade zu identifizieren.“
teiligt ist, aber wir wissen letztlich noch nicht genau, wie        Da Metastasen die tödlichste Bedrohung für Tumor­
das funktioniert“, so Augustin. Interessanterweise ändert           patienten sind, birgt diese Forschung große Hoffnung
sich durch die Blockade von Tie1 nicht die Menge der Blut­          auf neue Behandlungsmethoden.
gefäße im Tumor – was dafür spricht, dass nicht allein ein
Mehr oder Weniger an Tumordurchblutung entscheidend
für den klinischen Effekt ist, sondern auch andere, steu­
ernde Funktionen der Blutgefäße.

KO M M E N B A L D M E D I K A M E N T E , D I E M E TA STA S E N
V E R H I N D E R N?
Dass der Tie1-Rezeptor im Hinblick auf mögliche neue
Krebstherapien interessant sein kann, liegt auf der Hand.
„Wir haben in Kooperation mit einem pharmazeutischen
Unternehmen eine Reihe von Antikörpern getestet, mit
denen sich Tie1 blockieren lässt, und dabei einen vielver­
sprechenden Kandidaten entdeckt“, so Augustin. In Ver­
suchen mit Mäusen kann dieser Antikörper Tumorwachs­
tum und Metastasierung hemmen. Das soll jetzt weiter
untersucht werden, möglichst auch in klinischen Studien.
Doch das hat seine eigenen Herausforderungen: Denn die
Verhinderung von Metastasen ist bisher kein typischer
Parameter in klinischen Krebsstudien. Augustin hält das
für nicht mehr zeitgemäß: „In den USA wird ‚metastasen­                Hellmut G. Augustin leitet am DKFZ und
freies Überleben‘ beim Prostatakarzinom mittlerweile von                an der Medizinischen Fakultät Mannheim
der Zulassungsbehörde als Studienendpunkt akzeptiert.“                   der Universität Heidelberg die Abteilung
     Neben dem Signalweg um Angiopoietin2 haben                         Vaskuläre Onkologie und Metastasierung.
Augustin und sein Team weitere Mechanismen ent­                     Er ist zudem Gründer und Direktor des European
                                                                       Center for Angioscience. Augustin studierte
schlüsselt, über die Blutgefäße an der Metastasierung
                                                                     Tiermedizin an der Tierärztlichen Hoch­schule
von bösartigen Tumoren mitwirken. So haben sie ein                     Hannover und forschte anschließend an der
Protein namens LRG1 identifiziert, das ebenfalls von                  Cornell University in Ithaca/New York (USA),
den gefäßauskleidenden Zellen produziert wird. Gefun­                     am Universitätsklinikum Freiburg und
den haben sie es durch vergleichende Untersuchungen                           an der Universität Göttingen.
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