ZeitZeugen - Seniorenbüro Hamburg e. V.
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Ausgabe 73 Januar 2021 - April 2021 ZeitZeugen Mitteilungsblatt der ZeitZeugenBörse Hamburg Im Dunkeln ist gut munkeln. Sehr geehrte Leserinnen und Leser, als wir der Zeitzeugengruppe mehrere tioniert, um zumindest eine trügeri- vorgeschlagene Themen für diese sche Sicherheit gegen Luftangriffe zu Ausgabe zur Auswahl stellten, zeich- gewährleisten. neten sich schnell zwei Favoriten ab: Damit verbinden sich für Zeitzeugen Zum einen war alles, was sich mit bedrückende Erinnerungen: Viele dem „Verdunkeln“ und „Kellern“ Nächte mussten die verbliebenen Be- beschäftigt, ausgewählt worden, zum wohner*innen, meist Frauen, Kinder anderen wurden Beiträge zum Thema und Ältere, darin zubringen. „Spielzeug“ gewünscht. Und heute? Hat der Keller für alle Gerade beim Thema „Keller“ wurde Spätergeborenen einen Imagewandel sehr deutlich, dass der Nutzzweck geschafft. Er ist ein wichtiger, meist sich im Laufe der Zeiten sehr verän- gut beleuchteter Lagerraum für selte- dert hat. Früher war er Lagerstätte für ner benutztes Werkzeug, die Tief- Kohlen (zum Heizen) und haltbare kühltruhe, für aus der Wohnung ver- Lebensmittel. Im Krieg wurden in bannte Konsumartikel und allerlei den Städten Keller zum Luftschutz- Hobbyutensilien. raum mit Schlafgelegenheit umfunk- Ihre Redaktion
2 Rodeln im Kohlenkeller (1939) Was ich mit meinen fünf Jahren aus- wand und begann, den Abhang zu gefressen hatte, vermag ich heute erklimmen. Dies erwies sich jedoch nicht mehr zu sagen. Jedenfalls hielt zunächst als gar nicht so einfach. meine Mutter es für angemessen, Kaum hatte ich einen Meter ge- mich eine Zeitlang in einen Keller- schafft, ging es auch schon wieder raum zu sperren. retour. Da saß oder besser gesagt stand ich Ich versuchte es erneut und kroch also in diesem schummrigen Raum. auf allen Vieren die rutschige Anhö- Rechts von der Tür war der Kessel he hinauf. Auf halber Höhe löste sich der Zentralheizung aufgestellt. Be- jedoch eine Lawine und ich schlitter- heizt wurde er mit Koks, der im hin- te bäuchlings, eingehüllt in eine dich- teren Bereich des Raumes, abgetrennt te schwarze Staubwolke, wieder her- durch eine niedrige Bretterwand, la- unter. Aufgeben kam für mich jedoch gerte. Befüllt wurde dieser Lager- nicht infrage, und schließlich schaffte raum von außen durch ein recht klei- ich es bis zum oberen Rand. nes Fenster ganz oben in der Außen- Nun kam das Schönste, die Tal- wand, durch das etwas Licht fiel. fahrt. Mit angezogenen Beinen Die Heizperiode hatte noch nicht rutschte ich auf dem Hosenboden den begonnen, der Wintervorrat an Koks etwas buckeligen Hügel herunter, war aber schon angeliefert worden. eingehüllt von einer dunklen Staub- Er bildete von der Trennwand bis wolke. Hurra! Das war ja wie Schlit- hinauf zur unteren Kante des Fensters tenfahren, nur dass der Schnee hier einen ziemlich steilen Abhang. nicht weiß sondern schwarz war. Eigentlich sollte ich nun wohl über Mit der Zeit entwickelte ich eine ech- meine Missetat nachdenken. Dazu te Routine und der Anstieg fiel mir hatte ich jedoch überhaupt keine von Mal zu Mal leichter. Und mit Lust. jedem Kletterversuch wurde mein Die Zeit verging und ich langweilte Aussehen dunkler, bis ich schließlich mich entsetzlich. Mit nichts konnte von Kopf bis Fuß ein einheitliches man hier spielen. Meine Blicke wan- Schwarz aufwies. derten von der verschlossenen Tür Irgendwann kam meine Mutter, um über die kahlen Wände den Kokshü- den Missetäter aus seinem Gefängnis gel hinauf bis zum Fenster. Und dann zu befreien. An ihre Reaktion beim kam mir blitzartig eine Idee. Ein Anblick eines schwarzen Monsters wunderbarer Gedanke, warum war kann ich mich nicht mehr besinnen. ich nicht gleich darauf gekommen? Es blieb ihr aber nichts übrig, als den „Der Berg ruft" heißt es bei den Alpi- kleinen Sottje in die Badewanne und nisten. Und dieser Hügel hier rief anschließend dessen Zeug in die mich! Waschbalje, eine Waschmaschine Also kletterte ich über die Trenn- gab es zu dieser Zeit noch nicht, zu
3 kriegen. worden war, der kleine Missetäter Ob sie dabei wohl darüber nachge- oder sie selbst? dacht hat, wer nun eigentlich bestraft Hansjörg Petershagen Das Trost-Brot (1940-43) Ganz sicher habe ich gut geschlafen gelebt. in den ersten Kriegsjahren. Wir Und so fand ich mich denn eines wohnten damals im 2. Stock, und Nachts mit ihr und ihrem Untermie- mein Vater, zu der Zeit noch nicht ter, nachdem die Sirenen uns alar- eingezogen, nahm mich manchmal miert hatten, in Omas Keller wieder. bei Alarm mitsamt der Bettdecke Der Untermieter, ein älterer Arbeiter, hoch und brachte mich in den Keller, der auf der ‚Galalith‘ tätig war und wo ich weiterschlief. durch jahrelanges Arbeiten an lauten Wachte ich aber dort einmal auf, so Maschinen das Gehör eingebüßt hat- reichte meine Mutter mir Knäcke- te, galt als taub, und er hatte auch das brot, eine Scheibe nach der anderen. Sprechen fast verlernt. Es war eine Art Trost-Brot, denn die In dieser Nacht aber geschah etwas, Erwachsenen flüsterten zumeist oder was wir bislang noch nicht erlebt hat- dösten vor sich hin. Etwas Langwei- ten: Mit einem gewaltigen Krach ligeres gab es ja wohl kaum! schlug irgendwo in der Nähe eine Nach der Entwarnung wurde ich Bombe ein – ich hatte das Gefühl, vom Vater wieder hochgetragen. das Haus hob ab. Oder bildete ich Häufig musste ich am nächsten Tag mir das ein? Der taube Untermieter später zur Schule, je nachdem, wie aber fragte: „Fru Vumu (Frau Voll- lange der Alarm gedauert hatte. Da- mar) – bumm?“ Angst kroch in mir für gab es feste Regeln. hoch, gefolgt von einem Gefühl der Zum Glück ist uns damals noch Ohnmacht: Man konnte nichts tun, nichts passiert. Einmal, 1943, hatte nur warten und hoffen, nicht getrof- ich Ferien und durfte zu meiner ge- fen zu werden. liebten Großmutter nach Wilstorf, Dennoch frage ich mich bis heute: das war – auf Rollschuhen – etwa Habe ich, haben wir Kinder damals zwanzig Minuten von unserer Har- die Lebensgefahr erkannt, in der wir burger Wohnung entfernt. Meine uns häufig befanden, haben wir über- Mutter hatte ihr aber eingeschärft, bei haupt einschätzen können, dass uns Alarm auf jeden Fall in den Keller zu womöglich der Tod bevorstand, oder gehen – mit mir zusammen natürlich. haben wir das überspielt, das Grauen- Normalerweise blieb Oma nämlich hafte gar nicht an uns herangelassen im Bett; sie war fatalistisch einge- oder es sogar verdrängt? stellt, schließlich hatte sie ihr Leben Claus Günther
4 Nächte im Keller (ca. 1939-45) Ich bin in einem bäuerlichen Haus cken zudecken konnten. Der Keller aufgewachsen, das meiner Urgroß- schützte uns vor Granat- und Bom- tante gehörte. Im angrenzenden Stall bensplittern, aber nicht vor den von lebten zwei Schweine, viele Hühner den Tommys abgeworfenen Bomben. und vier Gänse. Meistens überflogen die Tommys – Weil es weit und breit keine Ge- wie wir die englischen Flugzeuge schäfte gab, hatten wir – meine Mut- nannten – unser Gebiet mit dem Ziel ter und meine Urgroßtante, die ich Berlin. Das laute Gebrumme der vie- Oma nannte – einen Laden für Ta- len feindlichen Flugzeuge war in un- bakwaren und Pfeifen sowie für Kon- serem Keller deutlich zu hören. Wir fitüren, Schokolade, Bonbons und harrten dort in vielen Nächten oft Kaffeebohnen eröffnet. Die Kaffee- etliche Stunden aus, bis schließlich bohnen wurden in einer Kaffeemüh- Entwarnung von den Sirenen geheult le, die an der Wand hing, zu Kaffee- wurde – ein langgezogener, durch- pulver gemahlen. dringender Heulton. Dann konnten Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt, war einziges Kind meiner Eltern und durfte, als ich ein bisschen älter war, auch mal Bonbons oder Salmis verkau- fen, die auf einer blankgeputzten Waa- ge mit zwei Schalen gewogen wurden. Wenn es nachts Alarm gab, heulten die Sirenen auf der Schule und auf dem Bahnhofsgebäude laut mit einem Auf wir endlich unseren Keller verlassen und Ab. Dann gingen wir in unseren und wieder nach oben in die Schlaf- Kohlenkeller, der keine Fenster hatte zimmer gehen. und in dem es immer dunkel und kalt Während dieser Stunden im Keller war. hatte ich meine Puppe Annemie, die Meine Eltern hatten auf den Stein- lange Zöpfe aus echtem Haar besaß, fußboden zwischen den Briketts und fest im Arm. Ich kuschelte mit ihr, den vielen Kohlen Matratzen gelegt, dadurch hatte ich nicht so große so dass wir uns in unseren Schlafan- Angst vor den Bomben. zügen dort hinlegen und mit Wollde-
5 Ich war damals Gymnasialschülerin hatte vor einem halben Jahr eine klei- und der Weg zur Schule war lang, ca. ne Schwester bekommen. Ich küm- 3 km. Wir Kinder brauchten nach merte mich um unser Baby, während einem nächtlichen Alarm erst zur meine Eltern die großen Mauerbro- dritten Stunde in die Schule kommen, cken beiseiteschafften, um noch eini- denn wir hatten durch diese nächtli- ge Habseligkeiten auszugraben. chen Unterbrechungen nicht genug Etwa 100 Meter von unserem total Schlaf bekommen. zerstörten Haus hatten wir noch ein Unser Haus lag nicht weit vom Gü- Grundstück für Kartoffeln und Ge- terbahnhof entfernt, diesen hatten die müse. Dort gruben meine Eltern eine Tommys als Ziel genommen. An ei- große Kuhle aus. Sie wollten ein Be- nem Vormittag, als wir ausnahms- helfsheim bauen, denn wir konnten weise während eines Alarms nicht in nicht ewig auf unsere Nachbarhäuser unserem Keller waren, sondern im verteilt leben. Wir mussten uns selbst Keller unserer Nachbarn, fielen Bom- helfen. ben auf einen Teil unseres Hauses Es war eine unmögliche Situation. und auch auf unseren Stall mit den Ich ging nicht mehr zur Schule denn Schweinen und Hühnern und explo- ich musste mich um unser Baby dierten. Was für ein Glück, das wir kümmern, während meine Eltern auf an diesem Tag nicht in unserem Kel- dem Gartengrundstück sich auf das ler waren, wir hätten es nicht über- Behelfsheim einstellten. lebt. Mit den Eiern von unseren Hühnern Als wir nach dem Sirenenentwar- und den geernteten Kartoffeln von nungston auf die Straße gingen, sa- unserem Gemüsegarten haben meine hen wir den großen Trümmerhaufen. Eltern Zement eingetauscht, den sie Einige Hühner lebten noch, sie la- für das geplante Behelfsheim brauch- gen aber auf der Straße und krächzten ten. und konnten sich nicht mehr bewe- Im Stall wurde heimlich ein gen. Von den Schweinen und Gänsen Schwein neben den Hühnern gehal- haben wir zunächst einmal rein gar ten, mit dem Plan, es später zu nichts mehr gefunden. Sie sind wohl schlachten, um mit dem Fleisch und total auseinandergerissen worden. der Wurst Baumaterialien für das Später fand ich ein paar Federn von Behelfsheim einzutauschen. Geld war unseren Gänsen und habe natürlich völlig unnütz. laut geweint. In dieser Zeit, wo meine Eltern eine Unser Haus war unbewohnbar ge- Grube für den Keller ausgruben, hör- worden, es standen nur noch ein paar ten wir über ein Radio, dass Hitler tot Innenwände, aber auch nur halb. Es ist. Oh, wie waren wir erleichtert. war sehr schrecklich! Nachbarn ha- Und bald darauf war der Krieg zu ben für uns Platz gemacht, damit wir Ende! nachts eine Schlafmöglichkeit hatten. Doch es ging uns allen noch lange Es war der 25. November 1944 und nicht gut. es war kalt. Ich war 14 Jahre alt und Lisa Schomburg
6 „...da lebt der arme Schuster.“ (ca. 1935 bis heute) Als Kinder sangen wir immer: „Im Keller ist es duster, da lebt der arme Schuster.“ Auf dem Lande waren Keller kein Thema, denn es gab Ställe und Schuppen. In der Stadt, in den Ein- zelhäusern, lagerte man Vorräte und Kohlen im Keller ein. Da es damals noch kaum elektrisches Licht gab, musste man mit der Petroleumlampe dorthin gehen. Das Licht war mal heller und mal dunkler. Natürlich hatten die Kinder Angst, denn ihnen wurden Märchen vorgelesen, es gab ja noch kein Fernsehen. In den Mär- chen war von Geistern und Trollen die Rede, die meist in den Kellern hausten. schnell Mietshäuser mit Ziegelstei- In den alten Etagenhäusern wurden nen und auch im Plattenbau errichtet. Keller oft als verbilligte Mietswoh- Oft konnte man Dachboden und Kel- nungen angeboten. Da wurden dann ler mit mieten. Kinder hatten keine am Dachboden Trockenräume be- Angst mehr, sie knipsten den Schal- nutzt. Es gab einen Plan, wer und ter an und alles wurde hell. Schilder wann den benutzen konnte. In ande- gab es, da stand dann: „Keller sind ren Räumen wurden dort Kohlen und Fluchtwege, bitte freihalten.“ Trotz- Briketts für den Winter gelagert. Das dem wurde oft altes Gerümpel dort wirkte sich bei den Bombenangriffen hingelegt. dann verheerend aus. Im Keller ist es nicht mehr duster „LSR“ mit einem Pfeil auf der Stra- und es gibt da auch keinen Schuster. ße zeigte auf einen Luftschutzraum Günter Lucks hin. Nach dem Krieg wurden meist Der Waldbunker (1944) 1944 erfolgten die ersten Angriffe nen „Waldbunker“ zu bauen. auf Dresden durch Bomberverbände Zunächst wurden Tannen gefällt. der Alliierten. Das veranlasste den Ein Bauer stellte seinen Traktor zur ortsansässigen Volkssturm, in unse- Verfügung, um sie zu transportieren rem Dorf Tissa nahe Stadtrhoda, ei- und anschließend die Baumstümpfe
7 aus der Erde zu wuchten. Wir in den Bunker zu setzen. Wortführer Dorfkinder schauten uns die Arbeiten war ein Mann vom Volkssturm, der an, Pferde zogen dann die Wurzelbal- mir sehr grob vorkam; er hatte eine len weiter in den Wald. Auf dem frei- laute, unangenehme Stimme – wir gewordenen Platz wurde mehrere Kinder hatten alle Angst vor ihm! Tage lang gegraben, es entstand ein Meiner Mutter wurde eingeschärft, Loch in einer Größe von ca. 15 x 10 im Alarmfall sofort in diesen Bunker Metern, mindestens 3 Meter tief. zu laufen, er war etwa 200 Meter von Rechts und links davon wurde ca. 1 unserem Wohnhaus entfernt. Tat- Meter breit und 80 cm Meter tief die sächlich waren wir einmal bei Alarm Erde abgetragen. in diesem Bunker. Leider stand darin In der Zwischenzeit wurden die etwa 20 Zentimeter hoch das Wasser, Tannen auf eine Länge von 11,80 so dass fast alle nasse Füße hatten. Meter abgesägt; sie wurden dann in Der Flugzeugangriff galt der nahen entsprechender Position auf das Bun- Ortschaft Stadtrhoda. kerloch gelegt. So entstand eine Für uns Kinder war der Bunker ein Baumdecke; auf diese wurde dann gruseliger Spielort. Wir erzählten uns noch Erde geschüttet. Somit hatte der dort die schaurigsten Geschichten. Waldbunker eine Decke von insge- Einmal wurde der Bunker kurzfristig samt 1,5 Meter. Darauf wurden dann als Gefängnis für einen mit dem Fall- Tannenzweige gelegt und einige klei- schirm abgesprungenen Engländer nere Tannen wieder eingepflanzt. So genutzt. Leute vom Volkssturm woll- konnte von oben nicht erkannt wer- ten ihn an der Dorflinde aufhängen, den, dass es sich um einen Erdbunker doch aus Stadtrhoda gekommene im Wald handelte. Feldjäger verhinderten das. Sie nah- Innen im Bunker wurden an zwei men den Tommy mit – man kann nur Wänden 14 Meter lange Sitzbänke hoffen, dass ihm dies das Leben ge- aus Holz angebracht. Als diese fertig- rettet hat. gestellt waren, wurden alle Dorfbe- Manfred Hüllen wohner zusammengerufen, um sich Verdunkelung (1943-45) Astronauten schwärmen heute von nanderfließen und kaum noch einer dem unwiderstehlich schönen Blick wirkliche Dunkelheit kennt. auf die funkelnden, leuchtenden In- Ganz anders war es in meiner Kind- seln inmitten von Nachtdunkelheit heit in Berlin. Als die Bombardierun- beim Rundflug um unsere Erde. Die- gen der Städte begannen, begann die se Inseln, die im All zu erkennen allgemeine Verdunklung, um den sind, sind unsere hellerleuchteten anfliegenden Bombern nicht die Ab- Großstädte. Wo Tag und Nacht inei- wurfziele auf dem Präsentierteller zu
8 servieren. Mit einbrechender Dunkel- Man konnte sich diese Lampe an heit mussten alle Fenster vollkom- einen Mantel- oder Hosenknopf an- men blickdicht mit dicken, schwar- knöpfen, um die Hände frei zu haben. zen Vorhängen abgedunkelt werden. Zum Tragen aller eventuell lebensret- Die Blockwarte, die jeweils in den tenden Habseligkeiten oder für uns Mietshäusern für Ruhe und Ordnung Kinder, die wir nachts aus dem zu sorgen hatten, mussten jeden mel- Schlaf gerissen wurden mit den ers- den, der gegen diese Verdunklungs- ten Vorwarnsirenentönen. Diese Ver- verordnung verstieß. In den Wohnun- dunklungslampe gab wenigstens ein gen fiel das umso leichter, als bald bisschen Licht auf dem Weg durchs Stromsperren verhängt wurden und Treppenhaus, in den Keller oder über gegen Ende des Krieges der Strom die Straße in den Luftschutzkeller, sowieso ganz ausfiel, weil die Strom- wo immer die Bewohner von drei netze zerstört waren. Mietshäusern zusammen auf die Ent- So saßen wir abends bei warnung warteten. Kerzenlicht, solange es noch Kerzen gab, oder bei Petroleumlicht, so- weit es in den Haushalten Petroleumlampen aus der Zeit vor der Erfindung des elektrischen Lichts gab. Besonders helles Licht zum Lesen spende- ten die Karbidlampen, die später aufkamen und immer fürchterlich stan- ken. In den Straßen herrsch- te natürlich auch völlige Dunkelheit. Alle Straßen- laternen waren abge- Abgedunkelte Taschenlampe mit Rot– und Grünfilter schaltet. Wer trotz alledem aber auf die Straße musste, der hatte Wir hofften alle, dass die herunter- eine abgedunkelte Taschenlampe prasselnden Brandbomben uns und dabei. Das heißt, dass die Birne unsere Häuser verschonten, so dass durch einen nur nach unten geöffne- wir weiterschlafen konnten. ten Klapp-Deckel abgedunkelt war. Gegen Kriegsende mussten wir bis Zusätzlich konnte mit einem kleinen zu dreimal in den Keller. Ich vermute Hebel entweder ein Grünfilter oder heute, dass unsere Mutter es dann Rotfilter vor die Glühbirne gescho- aufgab, für die Fortsetzung unseres ben werden, was das Licht zusätzlich Schlafs uns jedes Mal wieder an- res- abschwächte (s. Abb.). pektive auszuziehen. Ingeborg Schreib-Wywiorski
9 Im Keller... (1935-44) … ist es duster.“ Beim Bauen zuläs- Nachbarschaft hieß es plötzlich: sig sind sie selbst heute noch, die „Geh da nicht so nah ran!“ Gemeint Kellerräume ohne Fenster. Und wenn war der Keller unter dem Häuschen du dann, als Mieter, deinen Keller am mit der grünen Pforte. Da wohnten Ende eines langen, dunklen Ganges Juden, und es gab einen Spottvers: hast, so ist das selbst für Erwachsene „Und fängt dich der Jud, wird er dich nicht angenehm. Und erst die Kinder! schlachten!“ Das glaubte ich nicht. Wohnt denn nicht auch der „Bi-Ba- Warum? „Weil du ein Kind von Butzemann“ im Keller? Eben. Da Christen bist, darum.“ Das Häuschen kann einem ganz schön angst und war mir plötzlich unheimlich. bange werden! Etwa um 1939 gab es jeden Sonn- Einst wurden im Keller Kohlen und tagvormittag um 11 Uhr Kinovorstel- Holz gelagert; im Winter kamen oft lungen für 50 Pfennig auf allen Plät- Kartoffeln dazu. Ich erinnere mich an zen. Neben Tier- und Heimat-Filmen einen Haublock im Keller meiner wurde auch kriegerische Propaganda Großmutter, auf dem wurde Holz gezeigt. Ich erinnere mich an einen zerkleinert. Außerdem hing an einer Film, in dem deutsche Zivilisten vor Wand ein Fliegenschrank, dessen Tür polnischen Soldaten in einen Keller kein Fenster hatte, sondern aus sehr geflüchtet waren. Von außen wurde feinmaschigem Draht bestand – um ein MG (Maschinengewehr) durchs Fliegen abzuhalten, genau! Es war Kellerfenster geschoben und ratterte kalt im Keller; Kühlschränke kannte los. Ein todesmutiger Deutscher man in früheren Zeiten nicht. schlich sich von der Seite an, hängte Ich mochte wohl vier oder fünf Jah- sich an den Lauf des MG und verbog re alt gewesen sein, da sagte im Som- diesen so, dass die Salven nur den mer ein ziemlich großer Junge zu Boden trafen. Dass die Deutschen die mir, ich solle doch am Nachmittag „bösen“ Polen besiegten, war natür- um drei mal da hinten hinkommen, lich klar. „in das helle kleine Häuschen, das Spätestens zu Beginn des Krieges kennst du doch, da treffen wir uns waren alle Trocken- und Gemein- alle im Keller und ziehen uns aus. schaftsräume in den Kellern der Kommst du?“ Das klang verlockend, Wohnhäuser zu Luftschutzräumen aber ich fragte erst mal meine Eltern. umgebaut worden. Stützpfeiler vom Die fielen aus allen Wolken; sie ver- Boden bis zur Decke sollten das Ein- boten mir, da hinzugehen, und mein stürzen verhindern, zweistöckige Vater murmelte was von „Homo“. Bettgestelle standen zum Ruhen und Bisher kannte ich nur Schlafen bereit. Eine weibliche Hilfs- „Mitschnacker“, und dass man von kraft des Schlachters, der unten in denen nichts annehmen darf, mitge- unserem Haus seinen Laden hatte, hen darf man sowieso nicht. nutzte den Raum für ein Techtel- Beim Spielen mit Kindern aus der mechtel mit einem deutschen Solda-
10 ten, der auf Urlaub oder auf Dienst- Alarm in das Schulgebäude gegen- reise war. Zu ihrem Unglück hatte er, über von unserem Haus, so auch am so hieß es, einen „Präser“ hinterlas- 25. Oktober 1944. An diesem Tag sen (was das war, ahnte ich damals erlitt Harburg das schwerste Bombar- nicht mal). Das Ding fand ihr Chef, dement. stellte sie zur Rede – und sie verlor Auch unser Haus wurde getroffen. ihren Job. Sie sieht es, als sie nach der Entwar- Was Bomben anrichten können, nung aus dem Keller des Schulgebäu- war spätestens seit der „Operation des herauskommt. Und sie hat nur Gomorrha“ im Juli 1943 klar. Ganze einen Gedanken: Retten, was zu ret- Stadtteile waren danach wie ausra- ten ist. Ein letztes Mal hastet sie die diert, etwa 40.000 Menschen kamen Treppen hoch, stürzt ein letztes Mal ums Leben, überwiegend Frauen und in die Wohnung, rafft zusammen, Kinder. Harburg, wo wir damals was ihr in die Finger kommt. Dann wohnten, war verschont geblieben, ein Rufen: „Ist da oben noch jemand? doch der Krieg ging weiter. Raus, raus, das Treppenhaus brennt!“ Mein Vater war inzwischen Soldat, Dieser Mut der Verzweiflung von und ich war nach Tschechien evaku- meiner Mutter ist kaum nachzuemp- iert worden, im Rahmen der Kinder- finden, wurde nie verarbeitet und Landverschickung. Meine Mutter machte sie krank, über Jahre. Ich ver- lebte allein zu Hause. Ein einfacher neige mich. Keller, das war ihr längst klar, war Claus Günther nicht sicher genug. Sie ging daher bei Spielend erwachsen werden Wir alle haben sicherlich eins ge- schon von Kindesbeinen an statt und meinsam: Wir hatten unser Lieblings- wurde besonders perfide im National- spielzeug! sozialismus manifestiert. Jungen Meist waren dies bei Jungen Nach- wurden auf den Militärdienst vorbe- bildungen im kleinen Maßstab von reitet, Frauen hatten für das familiäre Autos, Baufahrzeugen, militärischen Umfeld zu sorgen. Motiven wie Fahrzeugen oder Men- In den nachfolgenden Geschichten schen, Eisenbahnen oder etwas zum unserer Zeitzeugen wird aber auch Basteln. Bei Mädchen wurde beim deutlich: Spielzeug war Statussymbol Spielen meist auf lebensnahe Darstel- und gleichzeitig Halt in schwierigen lungen und Simulationen von Famili- Zeiten. enbildern gesetzt, z. B. mit Puppen Lassen Sie sich verzaubern: Von oder Puppenstuben. Flugzeugteilchen, lebenden Puppen Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. und Kobolden. Eine Rollenfestschreibung fand damit Ihre Redaktion
11 Flugzeugileinchen (ca. 1936-42) Wie wohl die meisten Jungen in mei- sogleich in mein Herz geschlossen. ner Generation (geb. 1932) bekam Die grüne musste darunter leiden, ich zum Geburtstag und zu Weih- dass ich die Farbe nicht mochte. So nachten das eine oder andere aus hatte ich denn für längere Zeit nur Blech gefertigte, mit Gummireifen eine blaue Lokomotive. ausgestattete LKW-Modell im grauen Auch mit den Schienen haperte es Tarnanstrich, ergänzt durch einen dann und wann. Sie waren nämlich Panzerspähwagen mit angehängtem seinerzeit noch aus Weißblech herge- Geschütz. stellt – jede Schiene lediglich mit drei Aber viel mehr interessierte mich Schwellen, ebenfalls aus Weißblech, die Puppenstube meiner Schwestern. bewehrt. Weißblech war damals nicht Und so spielten die denn mit meinen anders als heutzutage äußerst Fahrzeugen, während ich mich dem „beulfreudig“ Und so hatten meine kleinen Herd (mit wirklichen Koch- Fahrten mit der stolzen Eisenbahn feldern), dem Miniatur- eher den Charakter eines Ausflugs Waschbecken, Tisch und Stühlen auf dem welligen Strang einer Feld- widmete. bahn. Mehr Interesse hatte ich an meiner Eisen- bahn. Ich war wohl vier Jahre alt (1936), als ich zu Weihnachten den Grundstock für diese – zunächst Märklin Spur 0 – bekam. Es gab auch schon die Spur HO, halb so groß, aber min- destens ebenso spielge- eignet. Vielleicht mein- te mein alter Herr, ein kleiner Junge könne mit den schmalen Gleisen und den kleinen Lokomotiven noch Mit 10 Jahren begann ich, wie viele nicht so gut umgehen. Das ist sicher- Gleichaltrige, von der Fa. Wiking in lich kein Fehler gewesen. Ein Fehler Berlin hergestellte Flugzeug- und aber war es, mir zugleich einen Schiffsmodelle zu sammeln (Maßstab Werkzeugkasten mit einem respek- 1:200 bzw. 1:1250). Für den Erwerb tablen Hammer zum Geschenk zu reichte das übliche Taschengeld sel- machen. Eine halbe Stunde lang exis- ten, aber wer mit Geschick zu tau- tierten zwei Lokomotiven, eine grüne schen verstand, konnte den Bestand und eine blaue. Die blaue hatte ich seiner Sammlung ständig erhöhen.
12 Wenn er es denn nicht vorzog, mit Wohl dem, der diese Periode bald den Modellen den Krieg in der Luft hinter sich ließ: Heute kann die Ver- und zu Wasser zu simulieren. steigerung einer wohlbehaltenen So war auch ich anfangs dabei, Sammlung einen satten fünfstelligen wenn wir Jungs uns mit unserer Me Betrag erbringen. 109 und der „Spitfire“ Leitwerke und Übrigens war die offenkundige Tragflächen kostende Luftkämpfe emotionale Zuwendung zu den Mo- (per Hand) lieferten, in vermeintlich dellen für meinen alten Herrn ein sicheren (aufgegrabenen) „Bunkern“ probates Hilfsmittel, mich mit der versteckte „Hampden“ oder Drohung, die „Flugzeugileinchen“ „Blenheim“ mit Bomben (Steinen) andernfalls in den Ofen zu werfen, malträtierten, oder mit dem Katapult zur (widerwilligen) Ausführung sei- dem Schlachtkreuzer „Hood“ die Ge- ner Befehle zu zwingen. schütztürme wegschossen. Jürgen Franke Eine lebendige Puppe (1945) Glühend beneideten meine Schwester Kurz vor der Entbindung machte und ich unsere Spielgefährtinnen, die meine Mutter sich mit ihren beiden Puppen besaßen, die mit den Augen Töchtern auf den Weg zum Dorfkrä- klappern oder Mama sagen konnten. mer in der Nähe des Zollenspieker So etwas hatten wir nicht. Aber dann Bahnhofs. verkündete unsere Mutter eines Ta- Obgleich nicht eine Flocke Schnee ges, dass wir in kurzer Zeit Familien- lag, wollte meine Schwester unbe- zuwachs bekommen würden ... eine dingt den Schlitten mitnehmen, was echte lebendige Puppe. Oh, was wa- ihr nach langem Quengeln schließ- ren wir aufgeregt! Da konnte keine lich gestattet wurde. Als wir nach unserer Freundinnen mithalten. dem Einkauf aus der Tür traten, hatte Ich war achteinhalb Jahre alt, meine es inzwischen geregnet. Durch Blitz- Schwester sieben, und es fiel uns eis war der Deich mit seiner gewölb- schwer, die Zeit abzuwarten, bis das ten Kuppe aus Kopfsteinpflaster in Baby endlich zu uns kam. Das Mär- eine spiegelglatte Rutschbahn ver- chen vom Klapperstorch wurde uns wandelt worden. Ein Sturz meiner nicht erzählt. Wir durften schon mal hochschwangeren Mutter hätte mit Mamas Bauch anfassen und das Zu- Sicherheit eine Fehlgeburt zur Folge cken und Strampeln des kleinen We- gehabt. sens fühlen. Was tun? Wir nötigten sie, sich auf Noch vor seiner Geburt Mitte Feb- den Schlitten zu setzen, was ihr äu- ruar war das Leben des zukünftigen ßerst peinlich war und wozu sie sich Erdenbürgers jedoch schon bedroht. erst nach längerer Diskussion bereit-
13 erklärte. Es gehörte sich doch nicht, Zu Hause wartete ich voller Span- als erwachsene Frau auf einem Kin- nung darauf, dass das Baby aus sei- derschlitten zu sitzen und das in ih- ner Verpackung geschält wurde. rem Zustand! Welche bittere Enttäuschung! So hat- Die zwei Pferdchen spannten sich te ich mir unsere neue Puppe nicht davor und im Schlingerkurs ging es vorgestellt. Mit ihrem runden Kopf Richtung Heimat. Mehr als einmal und der Wollmütze, die links und drohte das Gefährt mit seiner Last rechts in kleinen Zipfelchen endete, vom Deich zu rutschen, zum Glück sah sie wie Kater Mohrle aus. Die ging aber alles gut. fest zugekniffenen Augen verstärkten Etwa vierzehn Tage später wartete diesen Eindruck noch. Unter der am Bahnhof Zollenspieker eine klei- Kopfbedeckung verbarg sich eine ne Schar Nachbarinnen mit einem Glatze mit nur einzelnen Härchen. leeren Kinderwagen auf die Ankunft Das Schlimmste kam allerdings der Bimmelbahn. Sie brachte nach noch, als dieses Wesen nun die Au- langem Warten eine erschöpfte Mut- gen öffnete. Das Gör schielte! Ich ter mit einem kleinen Bündel auf war total frustriert, versicherte mei- dem Arm, das in den mit einem hei- ner Mutter aber pflichtgemäß, wie ßen Stein vorgewärmten Wagen ge- hübsch das Kind sei. legt wurde. Es war stickendüster, Als unser Neuankömmling nun je- man konnte kaum die Hand vor Au- doch leise maunzte, die klitzekleinen gen sehen, dennoch orgelte eine der Finger zu einem Fächer spreizte und Frauen im tiefsten Bass: „Och, was dann wieder zur Faust ballte, da wa- issi doch bloß nüdelich!“ Ich war ren meine Schwester und ich hin und empört, hatten wir doch kein Mäd- weg. Unsere Kinderherzen flogen chen, sondern einen Bruder bekom- diesem hilflosen Würmchen zu, und men. es entbrannte ein erbitterter Kampf
14 zwischen uns, wer denn wohl dem Milch und konnte das Neugeborene Winzling das Fläschchen geben durf- nicht stillen. Die bläuliche Flüssig- te. Jede erhob Anspruch darauf. Beim keit, die wir beim Händler bekamen, Windelwechsel blieb ich meistens war gepanscht und wenig nahrhaft. Sieger, und ich war stolz wie ein Anstatt zuzunehmen wurde das Kind Spanier, wenn das Zappelbündel wie- immer magerer. Direkt neben unse- der sauber in Luren verpackt war. rem Haus befand sich ein großer Am liebsten hätten wir den ganzen Bauernhof mit reichlich Viehwirt- Tag mit unserer neuen Puppe rumge- schaft. Als meine Mutter sich mit der tüdelt und sie auch abends mit ins Bitte um Milch an die Besitzer wand- Bett genommen. Dem schob meine te, wurde sie mit den Worten „Wi Mutter aber energisch einen Riegel hebbt sülms keen Melk nich!“ abge- vor. Wir durften unser Pummelchen schmettert. Und das, obgleich nicht jedoch ab und zu in das Himmelbett eine Kuh trocken stand. für unsere anderen Puppenkinder le- Hilfe fanden wir bei einem Bauern gen. Die waren inzwischen in eine einige hundert Meter weiter am Elb- dunkle Ecke verbannt worden und deich. Hier durften wir täglich Milch führten dort ein unbeachtetes und für unsere „Lieblingspuppe“ holen. vergessenes Dasein. Auch an unseren Die Sache hatte nur einen Haken. In anderen Spielsachen, Puppenstube Hoopte, uns gegenüber auf der ande- und Krämerladen, hatten wir jedes ren Elbseite, befand sich bereits der Interesse verloren. Tommy. Und der hatte gute Scharf- Wir wurden nicht müde, immer schützen. Jede Deckung nutzend neue Kosenamen für unsere stram- hüpften meine Schwester und ich in pelnde Wunderpuppe zu erfinden, die wilden Sprüngen über den Deich und uns ein zahnloses Lächeln schenkte dann mit der gefüllten Milchkanne und Sonnenschein in die grauen Tage wieder zurück nach Haus. Es wurde vor dem Kriegsende brachte. aber nicht ein einziger Schuss auf uns Sie konnte zwar nicht Mama sagen, abgegeben. das kam erst später, aber durch laut- Unsere Wohnung im ersten Stock starke Töne war sie sehr wohl in der war vom gegenüberliegenden Elbufer Lage, Unmut oder Zufriedenheit aus- gut einsichtbar. Als die Nachbarin im zudrücken. Und das alles ohne Batte- Souterrain des Hauses zu ihrer Toch- rieantrieb! ter ins Hinterland flüchtete, nahm Das Schielen hatte sich nach weni- meine Mutter gern das Angebot an, gen Tagen gegeben, und wenn unsere ins Kellergeschoss zu ziehen. Die lütte Smusepopp die Lippen zu einem Fenster lagen direkt hinter dem Deich zarten Schmatzen spitzte, konnten und waren somit gegen Einblicke gut wir Geschwister in laute Entzückens- geschützt. schreie ausbrechen. Eines Tages nun fiel es einem Last- War das Leben des kleinen Wesens wagen ein, anstatt auf Schleichwegen schon vor der Geburt in Gefahr ge- durchs Binnenland, über den Elb- wesen, so drohte jetzt erneut Unge- deich eine Gruppe Arbeitskräfte zur mach. Meine Mutter hatte keine Vierländer Bäckerei Ohde zu brin-
15 gen. Es handelte sich um Jungrussen und zerrten uns ins Freie. Erst jetzt aus dem KZ Neuengamme. sahen wir die lodernden Flammen Der LKW wurde vom Tommy be- und spürten die sengende Hitze. Di- schossen, und der strohgedeckte Bä- cker Qualm hüllte uns ein und er- ckerladen ging in Flammen auf. schwerte das Atmen. Von den Solda- Ebenso das schöne Hufnerhaus dane- ten erhielten wir die Anweisung, ins ben. Die nächsten ziegelgedeckten Hinterland zu flüchten. Ich versuchte Häuser übersprang der Rote Hahn. jedoch, zurück in die Wohnung zu Durch Funkenflug und ungünstigen rennen, wurde aber von den Vater- Wind fand er dann aber neue Nah- landsverteidigern daran gehindert. rung in dem alten Bauernhaus neben „Mein Bruder, mein Bruder“, stam- uns. Im Nu brannte es lichterloh. melte ich hustend. Sofort ließ man Meine Schwester und ich waren mich los, die Soldaten stoben davon beim Abwaschen und wunderten uns und erschienen kurz darauf wieder über den Rauch, der in die Räume mit dem Kinderwagen. Friedlich drang und immer dichter wurde. Mei- schlafend lag darin unser Sonnen- ne Mutter hatte bereits damit gerech- scheinchen. Von all den Aufregungen net, dass auch unser Nachbarhaus ein hatte es nichts mitbekommen. Opfer der Flammen werden würde Übrigens... aus dieser heißgeliebten und rettete Hausrat aus dem Bauern- Lieblingspuppe ist inzwischen längst hof. ein gestandenes Mannsbild mit üppi- Vorher hatte sie uns Kindern die gem, graumelierten Haarschopf und strikte Anordnung gegeben, die Woh- Vollbart geworden, das demnächst nung ja nicht zu verlassen. Plötzlich Großvaterfreuden entgegensieht. wurde die Tür aufgerissen, ein paar Frauke Petershagen deutsche Soldaten stürmten herein Mein kleiner Kobold (1939-44) Bei vielen Kindern, die hierzulande zuließ, an materiellen Dingen nicht in den 20er und 30er Jahren des 20. fehlen. In dieser Hinsicht war ich ein Jahrhunderts das Licht der Welt er- verwöhntes Einzelkind. Ich hatte un- blickten, waren Zärtlichkeiten von- ter anderem eine mechanische Eisen- seiten der Eltern Mangelware. Lieb- bahn, einen Steinbaukasten und einen kosungen, so scheint mir, waren eher Stabilbaukasten mit lauter Metalltei- unüblich – das 19. Jahrhundert, in len. Damit sollte ich – „Du hast zwei dem die Kinder ihre Eltern zu siezen linke Hände, Junge!“ – handwerkli- und mit „Herr Vater“ und „Frau Mut- ches Geschick lernen. Genützt hat es ter“ anzusprechen hatten, lag noch nichts, meine Abneigung gegen der- nicht allzu lange zurück. gleichen ist eher gewachsen. Auch Doch immerhin sollte es den Kin- meine Bleisoldaten rührte ich kaum dern, soweit die finanzielle Lage dies an, und ich war immer sehr erstaunt,
16 wenn Klassenkameraden, die mich ab. am Geburtstag besuchten, begeistert Dann aber – ich war inzwischen 13 mit meinen Sachen spielten. Jahre alt – kam die Zeit, da wir Kin- Meine Domäne waren Bücher, von der evakuiert wurden. Fern der Hei- Anfang an. Sie beflügelten meine mat, in „sicheren Gebieten“, sollten Fantasie. Allenfalls das Kaspertheater wir vor den Bombardements ge- weckte mein Interesse, doch dafür schützt sein, wir, die deutsche Ju- fehlte das Publikum. Ich durfte damit gend, der die Zukunft gehörte. nicht nach draußen, auch bei schö- Am Abend vor der Abreise nahm nem Wetter nicht, denn alles war ja ich noch einmal meinen kleinen Ko- neu und durfte nicht schmutzig wer- bold in die Hand. Er war alt gewor- den. den, abgegriffen und sogar ein wenig Es gab aber noch ein Problem. Die schmuddelig. Liebend gern hätte ich Figuren waren zu schwer für meine ihn mitgenommen in die Kinder- kleinen Patschhändchen. Wenn ich in Landverschickung! Ich überlegte, ob den Kasper hineinschlüpfte, kippte ich ihn einpacken und verstecken dessen Kopf vornüber. Doch dann sollte, aber am liebsten hätte ich ihn bekam ich Kobold. Er war bedeutend ja mit ins Bett genommen, da drau- kleiner als meine anderen Handpup- ßen irgendwo, in der Ferne. Was- pen, und es hieß, er sei ein Waldgeist. dennwiedennwodenn? Als dreizehn- Das gefiel mir. Kobold sah aus wie jähriger Hitlerjunge? Wohl verrückt das Sandmännchen, doch er trug kei- geworden! nen Bart. Sein Gewand war blau, sei- Welch eine Schmach, welch eine ne Zipfelmütze ebenso. Auch in seine Schande! Ich wäre unterdurch. Man Ärmchen konnte ich hineinschlüpfen, würde mich – ich weiß nicht, was ja, ich konnte ihn in die Hände klat- man mit mir gemacht hätte. Diese schen lassen – doch es klatschte Entdeckung konnte und wollte ich nicht. Kobolds Hände und sein Ge- nicht riskieren, und das sagte ich sicht waren rosa, und er hatte lustige dann auch Kobold, ehe ich ihn noch Augen wie mein Teddy, der irgend- einmal streichelte, behutsam in mein wann verloren gegangen war, nur Bett legte und gut zudeckte, so wie kleiner. früher. Ich gab Kobold keinen Kosenamen. Am Abreisetag, es war der 1. Mai Hätte ich ihn etwa „Kobi“ oder 1944, bin ich noch einmal durch die „Boldi“ nennen sollen? Ein Wald- Wohnung gehüpft und habe leichtfü- geist heißt Kobold – basta. Kobold ßig Abschied genommen von allen konnte ich alles erzählen was ich Räumen, in der Hoffnung auf ein empfand oder was mich bedrückte. Wiedersehen. Er wurde schnell zu meinem Vertrau- Am 25. Oktober 1944 schlug in das ten und schlief immer neben mir. Als Haus eine Bombe ein und alles wurde ich größer wurde, war er mir nicht ein Raub der Flammen. mehr ganz so wichtig, ich legte ihn Claus Günther auch schon mal auf dem Nachttisch
17 Zeitzeugen im Dialog Gymnasium Oldenfelde, 22.04.2021 Zeitzeugengespräch des bilingua- len Geschichtskurses 10 von C. Gu- schas (Lehrerin) Wir, der Geschichtskurs 10, hatten am letzten Donnerstag die Ehre, mit Claus Günther, einem Zeitzeugen der NS-Zeit, zu sprechen. Da wir im Unterricht seit einiger Zeit über den Nationalsozialismus sprechen, kam Frau Guschas auf die Idee, einen Zeitzeugen in unseren digitalen Klassenraum einzuladen. Wir informierten uns und Till S. schrieb das Seniorenbüro Hamburg an. Claus Günther, ein netter älterer Mann, berichtete uns von seinen Er- fahrungen mit Antisemitismus, der Hitlerjugend oder einem SA-Mann als Vater. Wir durften ihm 1 ½ Stun- den interessante Fragen stellen, die er lebhaft und ehrlich beantwortete. Wir bedanken uns und würden es jedem empfehlen, es war eine lohnende und äußerst interessante Erfahrung. Au- Die Schüler*innen und die Lehrerin des ßerdem sind wir wohl die letzte Ge- Geschichtskurses im digitalen Gespräch neration, die Zeitzeug*innen live er- mit dem Zeitzeugen Claus Günther. leben kann. Rückmeldungen der Schüler*innen dadurch auch nochmal einen ganz zum Zeitzeugengespräch mit Claus anderen Eindruck vom Thema be- Günther kommen. 1) Wie hat euch das Gespräch gefal- Mir hat sehr gefallen, wie alle ge- len? stellten Fragen beantwortet wurden. Ich fand es sehr schön das Gesche- Dadurch hatte man nicht den Ein- hen noch einmal aus der persönli- druck, dass man irgendwelche Fra- chen Sicht von jemandem zu hören, gen nicht stellen darf. der dabei gewesen ist und man hat Ich fand das Gespräch mit Herrn
18 Günther sehr interessant. Durch das Gespräch sehr genossen. persönliche Gespräch ist mir die NS Mir hat das Gespräch sehr gefallen. Zeit glaube ich nochmal ein bisschen Das Gespräch war berührend und eindrücklicher klargeworden. Beson- informativ. Es gab viele Einblicke in ders die privaten Geschichten und die Geschehnisse des Zweiten Welt- die Ehrlichkeit von Herrn Günther krieges. Man kann sich nicht vorstel- hat mich beeindruckt. Durch das Ge- len, wie das Leben (Alltag, Schule, spräch kann ich mir besonders den Hitlerjugend) in dieser Zeit war. Alltag und die Lebensumstände bild- Doch die Einblicke in das Familien- licher vorstellen. Ich hätte ihm auch leben und auch die Auswirkung die- gerne noch eine weitere Stunde zuge- ser Ereignisse auf das eigene Leben hört. macht das Gespräch sehr wertvoll. Mir hat das Gespräch sehr gut ge- Ich möchte mich noch mal bei Herrn fallen, ich bin der Meinung, dass es Günther bedanken, da er sich Zeit trotz Zoom sehr gut geklappt hat. Es genommen hat und mir diese Zeit war schön, die Erlebnisse der dama- nähergebracht hat. ligen Zeit von einer „richtigen" Per- son bekommen zu haben, die viel- 2) Was waren eure Eindrücke? leicht auch mal eine ganz andere Der Krieg macht definitiv etwas mit Sichtweise miteinbringt, und einem einem und ich finde das sieht man das Thema viel näherbringt als ein auch. Vor allem, dass Herr Günther Text aus dem Schulbuch. auch noch etwas jünger war und am Mir hat gefallen, dass Herr Gün- Anfang nicht realisierte was da pas- ther uns seine Erfahrungen so ehrlich siert. Ich finde es aber sehr toll, dass und genau erzählt hat. er mit diesen Geschichten aufklärt Ich fand das Gespräch mit Herrn und auch aufmerksam macht das so Günther war augenöffnend und es etwas nicht nochmal passiert. hat mir einfach gezeigt, wie gut wir Es gab viele Dinge die traurig und es heute in Deutschland haben. Ich erschreckend sind und man merkt, fand auch gut, dass er über seine Ge- dass er einiges miterlebt hat. Mir fühle und Emotionen offen und ehr- kommen manche Dinge realer vor, da lich mit uns kommunizieren konnte, es einfach etwas anderes ist, etwas außerdem war es zu keinem Zeitpunkt persönlich erzählt zu bekommen als langweilig Herrn Günther zuzuhören. darüber zu lesen oder im Unterricht Ich möchte Herrn Günther sagen, zu lernen. dass durch Menschen wie ihn wir Ich habe mehr über die NS Zeit er- Kinder/Jugendliche besser die Zeit fahren und wie wenig man sich dage- und den Wert des Lebens, zu sein wie gen wehren konnte. Ich fand es sehr man ist, besser versteht. interessant, persönlich von einem Das Gespräch hat mir sehr gehol- Zeitzeugen erzählt zu bekommen. fen die Zeit aus Sicht eines Men- Ich finde, dass man so etwas öfter schen, der in der schrecklichsten Zeit machen sollte. in der Geschichte Deutschlands ge- lebt hat zu verstehen, ich habe das
19 3) Hat euch etwas besonders beein- Mich hätte jetzt im Nachhinein druckt/gewundert/berührt/zum Nach- nochmal interessiert, inwiefern Herr denken gebracht/...? Günther Angst gehabt hat. Also hat- Besonders im Gedächtnis geblieben ten Sie Angst vor den Nazis, vor jüdi- ist mir, dass Herr Günther erzählt schen Menschen, vielleicht vor ande- hatte, dass er einen Mann gesehen ren Truppen und dem Krieg? hat, der auf der Straße seinen Juden- Ich frage mich, ob Leute, die Hitler stern versteckt hat und er ihm dann und die Nazis unterstützten (z. B. Be- ein Spott hinterhergerufen hat. Da- kannte von Herrn Günthers Vater) ran sieht man, dass viele vielleicht vielleicht an dem Regime zweifelten gar nicht wussten was da eigentlich und sich nur gezwungen fühlten, es gerade passiert. zu unterstützen. Allgemein hat mich das sehr be- (Im Anschluss direkt per E-Mail rührt, wie eine Person, die so etwas von C. G. beantwortet, Anm. d. Red.) erlebt hat, darüber redet, da norma- lerweise dieses Thema so weit weg 5) Was möchtet ihr Claus Günther ist. Man kann davon ja nur in Doku- noch sagen? mentationen oder Textbüchern erfah- Lieber Herr Günther, ich danke ren. ihnen sehr, dass Sie sich Zeit für uns Ich wusste nicht, dass die meisten genommen haben. Bitte behalten Sie etwas von den KZs wussten aber ihre Ehrlichkeit und Motivation bei. gleichzeitig auch so wenig, was darin Ich möchte mich dafür bedanken, genau passierte. Die Begegnung mit dass er seine Erlebnisse aus der Zeit dem Juden, dem er etwas hinterher- geschildert hat. Ich finde es toll, dass gerufen hat, fand ich ein wenig er- es Leute wie ihn gibt, die uns aus der schreckend. Zeit berichten und uns ein wenig wei- Besonders berührt hat mich zum terbilden. Beispiel die Geschichte, die er er- Ich wünsche ihm das Beste für die zählt hat, in der er dem Mann diesen Zukunft und dass er so weitermacht. Spruch hinterhergerufen hat, und Ich wünsche ihnen noch ein erfüll- sich danach in Grund und Boden ge- tes Leben und, dass sie noch vielen schämt hat. Ich glaube, man vergisst, Leuten von ihren Erlebnissen berich- dass die Menschen zu der Zeit auch ten können. Menschen waren manchmal, und des- Ich würde mich bei Herrn Günther wegen sind Zeitzeugen ja auch so bedanken wollen, dass er Zeit für wichtig, denn Geschichte handelt ja dieses Gespräch gefunden hat, trotz von Menschen. Corona und technischer Probleme. Mich hat es erstaunt das der Mann Ich möchte noch sagen: vielen noch so präzise über seine Vergan- Dank, dass Sie sich die Zeit gekom- genheit reden kann, obwohl es so men haben um uns über diese Zeit zu lange her ist. berichten. 4) Sind noch Fragen offengeblieben? Dann her damit!
20 Winterhuder Reformschule, 28.04.2021 Lieber Herr Günther, men, denn diese können mit dem vielen herzlichen Dank noch einmal Thema bereits recht gut umgehen. für Ihre Zeit heute Morgen und in Auch vielen Dank für Ihr Angebot den Wochen davor. Auch noch ein- noch einmal zu uns zu kommen. Lei- mal vielen Dank für das digitale Ma- der wird dies zeitlich bei uns nicht terial! möglich sein, da wir leider an den Mir war bewusst, dass wir auf gar Stoffverteilungsplan gebunden sind keinen Fall alle Fragen schaffen wür- und mit dem nächsten Thema anfan- den und das hatte ich den Kindern gen müssen. auch gesagt. Sie sollten daher die Zu Ihrer Frage bezüglich der An- wichtigsten Fragen zuerst stellen. zahl: Ja drei Personen waren wirklich Aber durch ihre ausführlichen Ant- ideal. Besonders spannend für die worten haben die Kinder viel mehr Kinder war, dass sich ihre Erfahrun- erfahren, als wenn es nur ihre Fragen gen unterschieden hatten. (…) gewesen wären. Das ist meiner An- Herzlichen Dank für Ihre Arbeit als sicht nach viel mehr Wert! Zeitzeugen. Liebe Grüße, Annika Die waren im Anschluss auf jeden Kopisch (Referendarin) Fall das Gespräch des Tages und auch den Eltern wurde beim Abholen sofort berichtet und auch in den Pausen wur- den über die abgesperrten Pausenbereiche hinweg be- richtet und erzählt. Sie haben da wirklich viel Denken für die Kinder angestoßen. In den Podcast werde ich gerne hineinhören und wir haben einzelne ältere Kinder, die sich bereits sehr für das Thema der NS-Zeit interessie- ren und dazu bereits ein Pro- jekt gemacht haben. Für diese Kinder werde ich ihre Buch- seiten mit in die Schule neh- Zeitzeugengespräch bei den Zebras Zeitzeugen bekommen. Es waren drei an der Winterhuder Reformschule Männer: Claus Günther, Harald von Kalle und Cornelius Schmidt und Rolf Schultz-Süchting. Wir haben am Mittwoch, den Von Frau Frauke Petershagen haben 28.4.2021 digitalen Besuch von dr ei
21 wir Antworten vorher als Text be- dass sie auf der Straße spielen konn- kommen. ten, ohne Autos. Und wir haben uns Wir sind die Zebras von der Winter- auch gewundert, dass eine Familie huder Reformschule. Wir haben oft nur ein Zimmer hatte und sich die ihnen Fragen zu deren Kindheit ge- Wohnung mit anderen Familien tei- stellt. Ein paar Antworten davon ha- len musste. ben uns sehr verwundert. Wir haben Die drei Herren haben eine Stunde uns erschrocken, dass die Kinder von lang ausführlich erzählt. ihren Eltern und den Lehrern ge- Wir haben gerne zugehört. schlagen wurden. Uns hat auch sehr Vielen Dank für den digitalen Be- gewundert das Weihnachten gleich- such. geblieben ist. Spannend fanden wir, Fragen der Zebras für das digitale 5. Welche Fahrzeuge gab es als Sie Zeitzeugengespräch Kinder waren? Haushalt 6. Gab es schon Comics? 1. Wie haben Sie früher die Wäsche 7. Wie wurde damals Post in die gan- gewaschen? ze Welt geschickt? 2. Wie hat man Essen bekommen? Spielen Gab es Lieferdienste? 1. Was haben Jungs gespielt? Was 3. Wie wurde früher mit Holz gear- haben Mädchen gespielt? beitet? 2. Gab es schon Pokémonkarten? 4. Was mussten Sie als Kinder im 3. Was war ihr Lieblingsspielzeug? Haushalt machen? Sonstige Fragen 5. Welches Essen wurde früher ge- 1. Was haben Sie sich als Kinder zu kocht? Weihnachten gewünscht? 6. Wie wurde gekocht? Welche Gerä- 2. Wie haben Sie Weihnachten früher te wurden benutzt? gefeiert? Schule 3. Wie sah es damals in Hamburg 1. Womit haben Sie früher geschrie- aus? ben? 4. Welche Süßigkeiten gab es früher 2. Wie sah der Schulhof aus? schon? 3. Wie war es in der Schule? 5. Welche Feste haben Sie früher ge- 4. Was haben Sie in der Schule ge- feiert lernt? 5. Waren die Lehrer streng? 6. Welche Schrift haben Sie in der Schule gelernt? Alltag 1. Welche Kleidung haben Sie als Kinder getragen? 2. Welches Geld gab es damals? 3. Gab es schon Fernseher? 4. Gab es Desinfektionsmittel?
22 Farmsen, Feuersturm und Familie Lore Bünger ist „Eine Hamburger Zeitzeugin“ Sie hat es getan! Und es ist gelungen. bei Urlaubsreisen hinterlassen ein Lore Bünger, Jahrgang 1923, Grün- Verständnis der damaligen Lebens- dungsmitglied der Zeitzeugenbörse welt – ohne sich in Nebensächlich- Hamburg, hat ihr bewegtes Leben keiten zu verlieren. Chapeau! Leben komprimiert zu Papier gebracht. hautnah, wie es Jung und Alt fesselt! Bünger schildert kurzweilig und im- Ulrich Kluge mer mit einem Augenzwinkern ihre Kindheit in Farmsen, damals noch ein Vorort Hamburgs. Sie berichtet von einer Zeit, als ein Telephon noch mit „ph“ geschrieben wurde, von ih- rer ersten Zigarette und dem ersten Auto in der durchaus gutsituierten, SPD-nahestehenden Familie. Mit der Machtübernahme der Nazis ändert sich das Leben. Sie ist am Tag nach dem Feuersturm 1943 Augen- zeugin des Infernos, das durch die „Operation Gomorrha“ große Teile Hamburgs zerstörte. Nach Kriegsen- de arbeitete sie als Stenotypistin – so nannten sich Schreibkräfte – für die Royal Air Force. Bereits 1948 gestal- tete Bünger die Aufbaujahre der Bun- desrepublik tatkräftig mit; als eine der ersten Frauen, die bei einer neu aufgebauten Reederei angestellt wa- ren. Die Bearbeitung von Annette Laug- witz – illustriert durch zahlreiche aussagekräftige Fotodokumente – komprimiert das Leben Büngers auf Lore Bünger: „Eine Hamburger Zeit- zahlreiche Meilensteine. Dennoch zeugin“, bearbeitet von Annette bleibt viel Raum für Emotionen: Die Laugwitz. KJM Buchverlag. Ham- Glücksgefühle, als der Krieg endlich burg 2020, 110 Seiten, 10,00 €. vorbei war oder die neuen Eindrücke ISBN 978-3-96194-145-2
23 Die Zeitzeugenbörse Hamburg stellt sich vor… unter Corona-Bedingungen Wir Zeitzeug*innen trafen uns vor ten Anfragen, von „Oral History“ in der Pandemie an jedem 1. und 3. der Grundschule bis zum Instagram- Dienstag im Monat in der Brennerstr. projekt. 90, im 5. Stock (Seniorenbüro), von Bereits im letzten Jahr haben Schul- 10 bis 12 Uhr. besuche und Interviews in digitaler Wir bereiten themenbezogen und Form stattgefunden. moderiert unsere Erinnerungen auf. Das Seniorenbüro unterstützt die Wir besuchen Schulen und sprechen Zeitzeug*innen bei Bedarf mit tech- mit Medienvertreter*innen. nischem Equipment und Know-how. Schulen finden inzwischen auch Interesse an Nachkriegsthemen. In Bei Interesse an einer Zusammenar- diesem Kontext gilt es, eigene Erleb- beit findet der Erstkontakt über das nisse zu schildern und die Demokra- Seniorenbüro Hamburg e. V. statt: tie zu stärken, damit extremistisches E-Mail: zeitzeugen@seniorenbuero- Gedankengut keine Chance hat. Die hamburg.de oder Telefon: 040 NS-Zeit mit Krieg und Diktatur lie- 30399507 (Mo. – Do. von 9-13 Uhr) fert hier mahnende Beispiele. Nähere Informationen zu den Zeit- Die persönliche regelmäßige Grup- zeug*innen finden sich auf der Web- penarbeit der Zeitzeugenbörse Ham- seite www.seniorenbuero- burg muss coronabedingt momentan hamburg.de/zeitzeugenboerse- ruhen. Die Zeitzeug*innen sind und hamburg bleiben aber aktiv. Wie funktioniert das? Wir sind eine offene, konfessionell Corona zum Trotz melden sich bei und überparteilich tätige Gruppe. uns weiterhin Journalist*innen, Leh- Mitgliedsbeiträge werden nicht erho- rer*innen, Schüler*innen und Stu- ben. Wir freuen uns auf Sie! dent*innen mit den unterschiedlichs- Die Redaktion Redaktion Claus Günther, Richard Hensel, Manfred Hüllen, Ulrich Kluge, Sabine Maurer, Christina Pfeifer, Ingeborg Schreib-Wywiorski. Wir danken allen Autorinnen und Autoren, die ihre Beiträge in dieser Ausgabe und für eine Internet-Publikation zur Verfügung gestellt haben. Änderungen behält sich die Redaktion vor. Erscheinungsdatum: Mai 2021 Nächste Ausgabe (Zeitzeugen Nr. 74): Redaktionsschluss: 3. August 2021
24 Termine Zeitzeugenbörse Hamburg Gruppen Erinnerungsarbeit Selbst Erlebtes thematisch erinnern, miteinander diskutieren und aufschreiben. Für Interessierte, Einsteiger und „alte Hasen“. Erinnerungen aus dem Natio- nalsozialismus, dem geteilten Deutschland; vom Krieg und aus dem Alltag. Gruppentreffen: Stand April 2021 Gruppentreffen unter Hygiene– Noch immer ruhen die Gruppen- und Schutz-Bedingungen fortfüh- treffen, angepasst an die Infekti- ren können, werden wir sobald onslage. Optimistisch stimmt uns, wie möglich auf der Webseite und dass inzwischen wohl fast alle per E-Mail mitteilen. Zeitzeug*innen geimpft sind. Wie Bleiben Sie aufmerksam – und es weitergeht, wie wir unsere vor allem: Bleiben Sie gesund! Kontakt Zeitzeugenbörse Hamburg, p. A. Seniorenbüro Hamburg e.V., Öffnungszeiten: Mo.-Do. 9.00-13.00 Uhr Brennerstr. 90, 20099 Hamburg Tel. 040 – 30 39 95 07 zeitzeugen@seniorenbuero-hamburg.de www.zeitzeugen-hamburg.de Das Projekt Zeitzeugenbörse Hamburg im Seniorenbüro Hamburg wird von der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke der Freien und Hansestadt Hamburg gefördert.
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