EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT - CHANCEN FÜR DIE INTERKULTURELLE ÖFFNUNG DER VERWALTUNG - DEZIM-INSTITUT
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Anne-Luise Baumann, Valentin Feneberg, Lara Kronenbitter, Saboura Naqshband, Magdalena Nowicka, Anne-Kathrin Will, unterstützt von Dorothea Rausch Ein Zeitfenster für Vielfalt Chancen für die interkulturelle Öffnung der Verwaltung
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN Ein Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung 2018 – 2020 Wachsende soziale Ungleichheit, gesellschaftliche Polarisierung, Migration und Integration, die Klimakrise, Digitalisierung und Globalisierung, die ungewisse Zukunft der Europäischen Union – Deutschland steht vor tief greifenden Heraus- forderungen. Auf diese muss die Soziale Demokratie überzeugende, fortschrittliche und zu- kunftsweisende Antworten geben. Mit dem Projekt „Für ein besseres Morgen“ entwickelt die Friedrich-Ebert-Stiftung Vorschläge und Positionen für sechs zentrale Politikfelder: – Demokratie – Europa – Digitalisierung – Nachhaltigkeit – Gleichstellung – Integration Gesamtkoordination Dr. Andrä Gärber leitet die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Projektleitung Severin Schmidt ist Referent für Sozialpolitik in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik. Kommunikation Johannes Damian ist Referent für strategische Kommunikation dieses Projektes im Referat Kommunikation und Grundsatzfragen. Die Autor_innen Dr. Anne-Luise Baumann ist Soziologin. Sie arbeitet freiberuflich als wissenschaftliche Beraterin zu Themen der Migrations- und Integrationspolitik zuletzt u.a. für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Valentin Feneberg war wissenschaftlicher Mitarbeiter am DeZIM-Institut und ist seit Mai 2019 Koordinator und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Integrated Research Institute Law & Society der Humboldt-Universität zu Berlin. Prof. Dr. Magdalena Nowicka ist Professorin für Migration and Transnationalism an der Humboldt- Universität zu Berlin und Leiterin der Abteilung Integration am DeZIM-Institut. Saboura Naqshband ist Politikwissenschaftlerin und Kulturanthropologin und freie Empowerment- Trainer_in und Berater_in. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiter_in am DeZIM-Institut. Lara Kronenbitter hat Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien und der Freien Universität Berlin studiert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am DeZIM-Institut. Dr. Anne-Kathrin Will leitete Ein Zeitfenster für Vielfalt am DeZIM-Institut und forscht derzeit zum Migrationshintergrund am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. unterstützt von Dorothea Rausch ist studentische Mitarbeiterin am DeZIM-Institut. Sie studiert Bildungswissen- schaft, Organisation und Beratung an der TU Berlin. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Susan Javad ist Referentin in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik und verantwortlich für den Arbeitskreis Migration und Integration der Friedrich-Ebert-Stiftung Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier: www.fes.de/fuer-ein-besseres-morgen
Anne-Luise Baumann, Valentin Feneberg, Lara Kronenbitter, Saboura Naqshband, Magdalena Nowicka, Anne-Kathrin Will, unterstützt von Dorothea Rausch Ein Zeitfenster für Vielfalt Chancen für die interkulturelle Öffnung der Verwaltung Vorwort 4 Zur Verwendung von Sprache in dieser Studie 6 1. EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT – EINLEITUNG 7 Die öffentliche Verwaltung als Arbeitgeberin und Vorbild in einer diversen Gesellschaft 8 Interkulturelle Öffnung im öffentlichen Dienst – Stand der Forschung 11 2. METHODIK 13 3. INTERKULTURELLE ÖFFNUNG ALS BESTANDTEIL VON INTEGRATIONSKONZEPTEN 16 Integration als Aufgabe des Bundes 16 Integrationskonzepte der Länder 17 Die Integrationsbeauftragten 19 4. WARUM SOLL DIE ÖFFENTLICHE VERWALTUNG VIELFÄLTIGER WERDEN? 21 Keine Not – kein Handlungsbedarf? 21 Fachkräftemangel als Motor der Interkulturellen Öffnung 22 Interkulturelle Kompetenzen nutzen? 22 Verwaltung als Spiegelbild der Gesellschaft 23 5. SCHLÜSSELKATEGORIE „MIGRATIONS- HINTERGRUND“ 25 6. MASSNAHMEN ZUR INTERKULTURELLEN FFNUNG DER ÖFFENTLICHEN VERWALTUNGEN Ö DES BUNDES UND DER LÄNDER 28 Maßnahmen des Bundes 28 Maßnahmen der Länder – Stadtstaaten federführend 29 >
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN 2 > 7. KOMMUNEN – VORREITERINNEN DER INTER KULTURELLEN ÖFFNUNG? 33 Zielgruppen der Maßnahmen 34 Begründungen für die Erhöhung des Anteils von Beschäftigten mit Migrationshintergrund 34 Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils von Beschäftigten mit Migrationshintergrund 34 8. ERHÖHUNG DES BESCHÄFTIGTENANTEILS MIT MIGRATIONSHINTERGRUND IN VERWALTUNGEN – ZIELMESSUNG 36 Zielwerte 37 Erfassung des Migrationshintergrundes als Hindernis für Zielsetzung und Monitoring 38 Kritik seitens der Integrationsbeauftragten 38 Fehlende Evaluations- und Monitoringverfahren 38 9. DIVERSITY MANAGEMENT – EINE ALTERNATIVE ZUR INTERKULTURELLEN ÖFFNUNG? 41 Diversity, Vielfalt und Intersektionalität in den Integrationskonzepten 41 Diversity-Konzepte in der Arbeit der Integrationsbeauftragten und Personalverantwortlichen 42 10. ZUSAMMENFASSUNG: CHANCEN UND HERAUSFOR- DERUNGEN FÜR DIE INTERULTURELLE ÖFFNUNG 44 Strukturelle Herausforderungen für die Behörden 44 Probleme der Kategorie „Migrationshintergrund“ 44 Unterrepräsentanz aufgrund externer Faktoren 44 Verständnis von Interkultureller Öffnung 45 Darstellung von Menschen mit Migrationshintergrund und von Rassismus Betroffenen 45 11. WAS IST ZU TUN? HANDELN IST MÖGLICH UND NOTWENDIG 46 Kurzfristig – in 2020 – umsetzbare Empfehlungen 46 Mittelfristig – von 2021 bis 2025 – umsetzbare Empfehlungen 47 Langfristige Ziele 47 Quellenverzeichnis der analysierten Integrationskonzepte 48 Leitfäden und Fragebogen 50 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 51 Abkürzungsverzeichnis 51 Literaturverzeichnis 52 Danksagung 56
EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT 3 „Wir haben keine Probleme, die Stellen zu besetzen. […] Es geht wirklich darum, den Anteil Beschäftigter mit Migrationshintergrund zu erhöhen, mit dem abstrakten Ziel, dass es eine Repräsentanz gibt.“ „Aber sobald es in die internen Prozesse [geht], da sind wir, kann man sagen, in der Phase, wo man Über zeugungsarbeit leistet. Es gibt eben keine Not.“ Landesintegrationsbeauftragte_r
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN 4 Vorwort Deutschland hat sich verändert. Und das ist nicht bloß eine zu handeln. Damit das Zusammenleben auf lange Sicht gelingt, Entwicklung der letzten Jahre. Die Bundesrepublik ist Teil ei- erscheint die Erfüllung zweier sich verschränkender Aspekte nes Europas weitgehend offener Gesellschaften, in dem die wichtig: Die Menschen, die hier auf Dauer leben, müssen das grenzüberschreitende Bewegungsfreiheit der Bürger_innen Gemeinwesen mitgestalten wollen. Zumindest darf es ihnen eine der großen Errungenschaften ist. Der wirtschaftliche nicht egal sein. Und die Institutionen, die dieses Gemeinwesen Aufschwung ab den 1950er Jahren, wie auch die jüngste symbolisieren und repräsentieren, müssen sich gegenüber die- Phase soliden Wirtschaftswachstums, wären ohne Menschen sen Menschen – die sich von den alten Funktionseliten unter- und ihre Arbeitskraft aus dem Ausland so nicht möglich ge- scheiden mögen – öffnen. Beide Aspekte gehören zusammen wesen. Migrant_innen sowie ihre Kinder und Enkelkinder ha- und verstärken sich potenziell gegenseitig. ben diese Gesellschaft im Ganzen reicher und gleichzeitig vielfältiger gemacht. Die öffentliche Verwaltung spielt bei der Frage, ob und wie sich die Bevölkerung mit diesem Land identifizieren kann, eine nicht Dieser Veränderungsprozess spiegelt sich bisher jedoch kaum zu unterschätzende Rolle. Ihre Mitarbeiter_innen in den unter- in den deutschen Institutionen wider, die diese Gesellschaft schiedlichen Ämtern und Behörden sind im Alltag der hier le- prägen und repräsentieren. benden Menschen in der Regel die konkrete und personifizier- te Form, in der sie mit dem Staat in Kontakt kommen. Auf den Wirft man einen Blick in die wissenschaftliche Literatur zu der höheren Leitungsebenen der öffentlichen Verwaltung werden Frage, wie Funktionseliten – eine Auswahl von Personen also, entlang politisch definierter Korridore Entscheidungen getrof- die gewisse Aufgaben erfüllen sollen und dafür mit Macht fen, die das Zusammenleben der Bevölkerung sehr unmittelbar ausgestattet werden – gebildet werden, so bekommt man beeinflussen. Noch immer spielt das Beamtentum hier eine schnell eine Ahnung davon, woran das liegen könnte. Denn wichtige Rolle. Die Beamt_innen, aber auch die Angestellten eines der ungeschriebenen Gesetze einer jeden Elite lautet: der öffentlichen Verwaltung – das sind dem Sinn nach Die- Gleich und gleich gesellt sich gern.1 ner_innen des Staates. Sie repräsentieren den Staat, und inso- fern ist es nicht gleichgültig, wer die entsprechenden Stellen Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich der Wandel in ausfüllt. Es geht hier auch um symbolische Teilhabe an der Ge- der Bevölkerung nur sehr zögerlich darauf auswirkt, wer in staltungsmacht in unserer Gesellschaft. unserer Gesellschaft Führungspositionen bekleidet. Immerhin werden Fragen nach dem Geschlecht oder auch der Herkunft Vor diesem Hintergrund hat die Friedrich-Ebert-Stiftung das aus dem West- bzw. Ostteil des Landes mittlerweile bei der Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung Besetzung von Posten thematisiert. Gleiche Leistung oder (DeZIM) beauftragt, die Frage der Interkulturellen Öffnung Eignung der Kandidat_innen natürlich vorausgesetzt. Und der öffentlichen Verwaltung genauer zu untersuchen. Das meist ist genau das die Krux. Denn die Bewertung von Leis- Konzept der Interkulturellen Öffnung ist insbesondere im tung bzw. Eignung ist selten eine völlig eindeutige Sache, wie kommunalen Kontext schon lange in der Diskussion. Fort- zahlreiche Studien belegen. schritte zu messen, bleibt jedoch schwierig, da es keine ver- lässliche Datenbasis gibt. Gerade deswegen ist es notwendig, darüber nachzudenken, wie alle Mitglieder dieser Gesellschaft realistisch und fair an Diese Lücke wird auch unsere Studie, das sei an dieser Stelle allen Lebensbereichen teilhaben können – und entsprechend deutlich gesagt, nicht füllen. Denn die Daten müssten über- haupt erst einmal erhoben werden können. Voraussetzung hierfür wären klare und für alle politischen Ebenen verbind- 1 Fast schon auf absurde Weise anschaulich wird dieses ungeschrie- liche Definitionen, eine Verständigung über Begriffe und bene Gesetz, wenn man sich vor Augen führt, dass bspw. in den Füh- Konzepte. Dieser Zustand ist in Deutschland leider noch nicht rungsetagen der Politik bis heute ein nur sehr begrenztes Spektrum von männlichen Vornamen dominiert: So hießen zwischen 1949 und erreicht. heute 24 aller beamteten Staatssekretäre in Ministerien Hans, 18 Karl, während es insgesamt nur 19 Frauen (mit diversen Vornamen) waren Was diese Studie aber aufzeigt, ist: Wenn die öffentliche Ver- (siehe die Auswertung der Wochenzeitung Die Zeit 2018: Die Hans- Bremse). Ganz ähnliche Auswertungen gibt es für die Topetagen der waltung auf absehbare Zeit vielfältiger aufgestellt werden soll, Wirtschaft. bedarf es erheblicher Anstrengungen. Es ist jedenfalls nicht
EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT 5 damit getan, dass der oder die Integrationsbeauftragte einen sogenannten Migrationshintergrund hat. Die faktisch bereits bestehende Vielfalt muss sowohl vertikal, also auf allen föde- ralen Ebenen und Funktionsebenen, als auch horizontal, in der Breite der Verantwortungsbereiche, sichtbar werden. Von allein werden die Institutionen – das machen die für die Stu- die geführten Interviews eindrücklich deutlich – die veränder- te Bevölkerungszusammensetzung im besten Falle nur stark verzögert nachvollziehen, wenn überhaupt. Der Zeitpunkt, Fortschritte in dieser Hinsicht zu machen, ist aber jetzt. Denn nun erreichen die ersten Babyboomer-Jahr- gänge das reguläre Renten- bzw. Pensionseintrittsalter. Die Menschen, die hier nachfolgen werden, werden das Gesicht der öffentlichen Verwaltung auf viele Jahre hin prägen. Wir stehen also am Beginn eines strategischen Zeitfensters für Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung. Wenn wir diese Chan- ce nicht nutzen, droht die mangelhafte Repräsentativität der Bevölkerung in der öffentlichen Verwaltung auf Jahrzehnte zementiert zu werden. Im Rahmen des Projekts Für ein besseres Morgen möchte die Friedrich-Ebert-Stiftung mit dieser Studie einen Beitrag zur Diskussion um die Zukunft des Einwanderungslandes Deutschland leisten. Eine Politik, die sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine breite demokratische Legitimation einsetzt, muss das genannte Zeitfenster jetzt nutzen. Denn nur wenn der Staat alle hier lebenden Menschen repräsen- tiert, können sich diese mit ihm identifizieren und sind bereit, sich für unsere Demokratie einzusetzen und sie im Sinne des Gemeinwohls mitzugestalten. SUSAN JAVAD Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik Friedrich-Ebert-Stiftung
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN 6 Zur Verwendung von Sprache in dieser Studie Wir bemühen uns im folgenden Bericht, abwertende Sprache tionshintergrund die vielfältigen Erfahrungen selbst Zugewan- zu vermeiden, denn sprachliche Äußerungen sind Handlun- derter und ihrer Nachkommen, ähnlich wie das generische gen und Sprache beeinflusst unser Denken (Stefanowitsch Maskulinum Leerstellen lässt (Universität Potsdam 2012). Trotz 2018). Bezeichnungen für Dinge, Vorgänge, aber vor allem für dieser Schwierigkeiten benutzen wir im Rahmen dieses Be- Menschen reaktualisieren Bilder und Vorurteile, die häufig richts den problematischen Begriff mit Migrationshintergrund, schon sehr früh (bereits über Kinderlieder und -bücher) wei- markieren und verwenden ihn aber als statistische und unzu- tergegeben werden. Heteronormativität, patriarchale Rollen- reichende Kategorie. Unter Hinzunahme unseres empirischen bilder, Ethnozentrismus usw. werden als normale und reale Materials thematisieren wir die Verkürzungen und Unzuläng- Verfasstheit der Welt dargestellt und damit verfestigt. Das lichkeiten des Begriffs in der Praxis. geschieht auch über Sprachverwendung. Wir verwenden in dem vorliegenden Bericht die Schreibwei- In der Diskussion über diskriminierungsfreie Sprache geht es sen Frauen und Frauen*. Das Sternchen hinter der Kategorie um die bessere Repräsentanz von Lebensrealitäten und Frau verweist auf alle, die sich in ihrer Geschlechtsidentität als -identitäten. Dabei gibt es unserer Auffassung nach drei un- Frau* begreifen, unabhängig von dem bei Geburt zugewie- terschiedliche Notwendigkeiten: senen Geschlecht (quixkollektiv 2016). Gerade im Kontext von Gesetzen sprechen wir daher von Frauen ohne Sternchen, da a) Akzeptanz von Selbstbezeichnungen anstelle von Fremd- in diesen Texten in der Regel ausschließlich diejenigen adres- benennungen: Viele Fremdbenennungen sind abwer- siert werden, bei denen das bei Geburt zugewiesene Ge- tend. Sollten sich Betroffene gegen eine Bezeichnung schlecht mit ihrer Selbstdefinition übereinstimmt. aussprechen, verbietet es sich, diese weiterhin zu ver- wenden. b) Begriffe, die problematische Phänomene bezeichnen, nicht in dem Glauben, damit das Problem gelöst zu ha- ben, tabuisieren: Die Vermeidung von Begriffen wie z. B. „Rasse“ führt nicht dazu, dass Rassismus aufhört, im Ge- genteil, er wird zusätzlich unkommunizierbar (Barskan- maz 2011). c) Mit ergänzenden Begriffen Leerstellen füllen und für hö- here Repräsentanz verwenden, auch wenn Texte länger und Lese- und Rechtschreibroutinen gebrochen werden: Hierzu zählt beispielsweise, zumindest die weibliche und männliche Form aufzuzählen, besser sind Gender-Gap, Gender-Sternchen und Trans-Sternchen, um weitere Identitäten in die Darstellung einzubeziehen und um Menschen nicht mit Männern gleichzusetzen. Die Verwendung des Begriffs mit Migrationshintergrund läuft allen drei Notwendigkeiten zuwider. Viele Menschen lehnen es ab, als Mensch mit Migrationshintergrund kategorisiert zu werden, und bevorzugen andere Selbstbezeichnungen. Die Kategorie wird häufig als Annäherung an rassistische Diskrimi- nierungsphänomene benutzt, in Ermangelung adäquater Da- ten (Baumann et al. 2018). Sie hilft auf diese Weise, rassistische Diskriminierung zu verschleiern, da sie Daten zur Verfügung stellt, die keinem der Prinzipien zur Erfassung diskriminierungs- relevanter Daten entsprechen (Diakonie Deutschland 2015). Zu guter Letzt verkürzt und reduziert die Bezeichnung mit Migra-
EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT 7 1 EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT – EINLEITUNG Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit dem aktuellen Entsprechend öffnet sich von 2019 bis 2036 ein Zeitfenster Stand der Konzepte und Maßnahmen zur Erhöhung des An- für Neueinstellungen, bei dem migrationsbedingte Vielfalt ex- teils von Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentli- plizit berücksichtigt werden könnte – wenn der notwendige chen Dienst im Vorfeld der bevorstehenden Renteneintritte der politische Willen vorhanden ist. Für die Formulierung eines sogenannten Babyboomer-Generation. Zu den Babyboomern entsprechenden politischen Willens ist die Zeit mehr als güns- in Deutschland werden die Geburtsjahrgänge 1954 bis 1969 tig, denn der öffentlichen Verwaltung stehen massive perso- gezählt, in denen in der Bundesrepublik jährlich über eine Mil- nelle Veränderungen bevor, bedingt durch den Renteneintritt lion Kinder geboren wurden. Sie werden ab Ende 2019 das der Babyboomer-Jahrgänge (Abbildung 1). reguläre Renteneintrittsalter erreichen. Laut Mikrozensus 2016 werden 51 Prozent der aktuell in öffentlichen Verwaltungen Beschäftigten bis zum Jahr 2036 in den Ruhestand eintreten.2 2 Die Berechnung erfolgte mit den Daten des Mikrozensus 2016 (FDZ der tion aus Selbstauskunft und Zuordnung der Tätigkeit der Befragten zum Statistischen Ämter des Bundes und der Länder) und nutzte zur Ab- Wirtschaftszweig „Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und öffentliche grenzung der Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung eine Kombina- Sicherheit“, die von Ette et al. (2016: 31, Fn. 22) beschrieben wird. Abbildung 1 Voraussichtliche Renteneintritte in der öffentlichen Verwaltung zwischen 2018 und 2060 „Babyboomer“-Jahrgänge 1954 –1969 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0 2021 2031 2051 2041 2027 2047 2037 2057 2022 2032 2052 2042 2025 2035 2045 2055 2023 2033 2043 2053 2026 2036 2046 2056 2024 2034 2044 2054 2018 2028 2048 2058 2038 2019 2029 2049 2059 2020 2030 2039 2050 2060 2040 voraussichtliche Renteneintritte bei Erreichen des Regelrentenalters in der öffentlichen Verwaltung Quelle: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Mikrozensus 2016; eigene Berechnung.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN 8 Die Bundesregierung, viele Kommunen sowie die Mehrheit setzenden Personalverantwortlichen. Die Sicht der Beschäftig- der Landesregierungen wollen die öffentlichen Verwaltungen ten mit Migrationshintergrund in den öffentlichen Verwaltun- vielfältiger machen. Viele von ihnen haben beispielsweise die gen hingegen bleibt in diesem Bericht unberücksichtigt. Charta der Vielfalt gezeichnet. Doch die Umsetzung entspre- chender Maßnahmen bedarf großer Anstrengungen. Um die- Zudem wurden Integrationskonzepte, die eine Basis für Öff- ses Zeitfenster für eine Erhöhung der Repräsentanz von Zu- nungsmaßnahmen sein können, recherchiert und ausgewer- gewanderten und ihrer Nachkommen strategisch nutzen zu tet. Die in den Konzepten enthaltenen unterschiedlichen De- können, sind entsprechende Konzepte, formulierte Ziele, kla- finitionen der Zielgruppe(n) der Maßnahmen wie auch die re Zielgruppendefinitionen und die Überprüfung der Zielerrei- Formulierung von Zielwerten, Instrumenten und Strategien chung nötig. Einen Anstoß dazu möchte diese Studie liefern. geben Auskunft über den theoretischen Handlungsspielraum der Integrationsbeauftragten und ihrer Mitarbeiter_innen so- Die Studie fragt: wie der Personalverantwortlichen, die für die Studie befragt – Sind sich die Behörden des kommenden Zeitfensters für wurden. Zur quantitativen Einordnung wurden zusätzlich Be- Vielfalt, in dem mehr Repräsentanz geschaffen werden rechnungen mit dem Mikrozensus durchgeführt. kann, bewusst? – Welche Maßnahmen gibt es bereits, um den Anteil Be- Auf der Grundlage der Erkenntnisse, die wir aus den Inter- schäftigter mit Migrationshintergrund zu erhöhen? views, der Analyse von Integrationskonzepten und den Aus- – Welche Bemühungen unternehmen öffentliche Verwal- wertungen des Mikrozensus gewonnen haben, formuliert die tungen, um den Anteil von Beschäftigten mit Migrati- vorliegende Studie konkrete Handlungsempfehlungen. onshintergrund in der Zukunft zu erhöhen? Hierzu hat das Studienteam zwischen November 2018 und DIE ÖFFENTLICHE VERWALTUNG ALS Januar 20193 19 Integrationsbeauftragte des Bundes, der Län- ARBEITGEBERIN UND VORBILD IN EINER dern und ausgewählter Kommunen, bzw. Mitarbeiter_innen DIVERSEN GESELLSCHAFT aus deren jeweiligen Arbeitsstäben oder Abteilungen, sowie 20 Personalverantwortliche befragt. Im Mittelpunkt der Ge- Rund 7 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten in spräche standen Erfolge und Hindernisse für die Erhöhung des der öffentlichen Verwaltung (Statistisches Bundesamt 2019a: Anteils von Beschäftigten mit Migrationshintergrund aus Sicht 53, 55; eigene Berechnung). Sie ist Teil des öffentlichen Diens- der verantwortlichen Integrationsbeauftragten und der um- tes, der – von der Bundesebene bis in die Kommune – der größte Arbeitgeber in Deutschland ist. Zu ihm zählen auch Bereiche wie das Schulwesen oder kommunale Betriebe. Die 3 Aus erhebungstechnischen Gründen wurde ein Gespräch im Juli 2019 Mehrheit der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes arbeitet geführt. auf kommunaler und Landesebene (Abbildung 2). Abbildung 2 Beschäftigte im öffentlichen Dienst nach Bereichen im Jahr 2018 Sozialversicherung Bundesbereich 413.885 716.405 7% 12% Kommunaler Bereich 39% 42% Landesbereich 2.362.785 2.602.305 Quelle: Statistisches Bundesamt 2019b: 15; eigene Darstellung.
EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT 9 In der vorliegenden Studie wird der Blick noch einmal spezi- den öffentlichen Dienst rekrutiert werden sollen. Ähnliche posi- eller auf die öffentliche Verwaltung innerhalb des öffentli- tive Maßnahmen sind gemäß § 5 des Allgemeinen Gleichbe- chen Dienstes gerichtet. Ette et al. (2016: 31) grenzen in ihrer handlungssgesetzes (AGG) auch in Deutschland zulässig (Bei- Untersuchung die öffentliche Verwaltung mithilfe des Mikro- gang et al. 2017: 71ff.). Es gibt sie aber bisher nur für die Gleich- zensus als „Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und öffent- stellung von Frauen (Neue Deutsche Organisationen 2018: 10). liche Sicherheit“ ab. Der Fokus unserer Studie liegt auf Bundes- und Landesbehörden, weil in ihnen – und vor allem in den Deutschland ist ein Einwanderungsland, das sich seit der Jahr- höheren Laufbahnen – politische Entscheidungen getroffen tausendwende auch offiziell dazu bekennt (Unabhängige und entsprechende Vorgaben umgesetzt werden. Gleich- Kommission Zuwanderung 2001: 12f.). Die Bundesrepublik wohl ist zu erwarten, dass hier das Beharrungsvermögen der und ihre Vorgängerstaaten waren aber bereits zuvor in euro- Institutionen am größten ist und ein Wandel nur sehr lang- päische und globale Migrationsprozesse eingebunden. Diese sam stattfindet. Umso wichtiger ist bei diesen Stellen eine Migrationsbewegungen haben ihre Spuren hinterlassen: So systematische Berücksichtigung unterrepräsentierter Grup- leben heute in Deutschland Nachkommen Schwarzer Men- pen, wenn eine heterogene Gesellschaft auch in der Beleg- schen, die während der Kolonialzeit ins Deutsche Reich einge- schaft der öffentlichen Verwaltung abgebildet werden soll. wandert oder zwangsweise verbracht wurden, sowie Nach- kommen der sogenannten Ruhrpol_innen. In den vergangenen Dem öffentlichen Dienst allgemein und der öffentlichen Jahrzehnten wanderten (Spät-)Aussiedler_innen aus der ehe- erwaltung im Besonderen kommt dabei zum einen eine Vor- V maligen Sowjetunion, Polen, Rumänien und weiteren Staaten bildrolle in Bezug auf die Repräsentanz aller Bevölkerungsgrup- zu. Sie sind meist Nachkommen von Auswander_innen, die pen zu (Klose/Merx 2010: 52). Mittels dieser Repräsentanz soll deutsche Territorien zu einer Zeit verließen, als es den deut- auch eine Identifikation mit dem Staat erreicht werden, dessen schen Nationalstaat noch nicht gab. Vertretung die öffentliche Verwaltung ist. Die öffentliche Ver- waltung repräsentiert damit die Interessen aller Bürger_innen, Viele der heute in Deutschland lebenden Personen mit Migra- nicht nur die bestimmter Gruppen. Die Beschäftigung im öffent- tionshintergrund sind Nachfahren der ab Mitte der 1950er-Jah- lichen Dienst erfolgt überwiegend unbefristet, und es besteht re als Gastarbeiter_innen angeworbenen Arbeitskräfte aus der die Möglichkeit der Verbeamtung (Czerwick 2011: 168ff., 173; Türkei und den süd- und südosteuropäischen Ländern (Abbil- Briken et al. 2014: 124ff., 133; DGB-Bundesvorstand 2018: 20f.). dung 3). Ihre Nachkommen sind besonders relevant für die Die Stellenbesetzungen der kommenden Jahre werden deshalb zukünftige Einstellungspolitik öffentlicher Verwaltungen. das Gesicht der öffentlichen Verwaltung auf längere Zeit hin Gleichzeitig kamen und kommen aber auch viele hochgebilde- prägen. Ferner ist der öffentliche Dienst der Beschäftigungssek- te Migrant_innen nach Deutschland. Kurz, die Gruppe von tor, in dem der Staat selbst Diskriminierungen entgegenwirken selbst Zugewanderten ist sehr divers. Sie werden mit ihren kann. Im angelsächsischen Raum existieren affirmative actions, Nachkommen in der Kategorie „mit Migrationshintergrund“ zu- also gezielte Maßnahmen, mit denen verstärkt Minderheiten für sammengefasst. Abbildung 3 Geburtsstaaten von Menschen mit Migrationshintergrund 2018 20% Drittstaaten ohne Türkei, Russische Föderation, Kasachstan, Syrien 35% Deutschland 3% Syrien 5% Kasachstan 5% Russische Föderation 39% 6% Türkei 8% Polen 4% Rumänien 11% EU28 ohne Polen, Rumänien, Itallien 3% Italien Quelle: Statistisches Bundesamt 2019a: 131 ff., eigene Berechnung und Darstellung.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN 10 Abbildung 4 Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Migrationserfahrung im Jahr 2018 unter 18 Jahre 21 79 n = 5.112 im Alter von 25 – 65 Jahren 82 18 n = 11.726 65 Jahre und mehr 96 4 n = 1.990 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % mit eigener Migrationserfahrung ohne eigene Migrationserfahrung Quelle: Statistisches Bundesamt 2019a: 63ff., eigene Darstellung. Abbildung 4 verdeutlicht die Altersstruktur der Bevölkerung Für die Bundesländer wird der Anteil Beschäftigter mit Migra- mit und ohne eigene Migrationserfahrung, die insbesondere tionshintergrund im öffentlichen Dienst im Rahmen des Inte- für die Einstellungspolitiken im öffentlichen Dienst relevant ist. grationsmonitorings der Länder ausgewiesen (IntMK 2019). Allerdings erlauben die Daten aus dem Mikrozensus, die dafür Unter den Minderjährigen haben 39 Prozent einen Migrations- verwendet werden, keine Aussagen darüber, auf welchen fö- hintergrund (Statistisches Bundesamt 2019a: 65). Doch hier deralen Ebenen die Beschäftigten tätig sind. Einzelne Länder, lohnt ein genauerer Blick. So stellen Minderjährige mit Migra- wie z. B. Bremen, führen in ihren Verwaltungen Erhebungen tionshintergrund, die nicht selbst zugewandert sind, die größ- durch, um den Anteil von Beschäftigten mit Migrationshinter- te Gruppe innerhalb der Minderjährigen mit Migrationshinter- grund zu erfassen. Auf Bundesebene ermittelten Ette, Stedt- grund. Selbst zugewandert sind in dieser Altersgruppe nur 21 feld, Sulak und Brückner im Jahr 2015 mithilfe einer Umfrage Prozent (Abbildung 4). Selbst wenn sie eine ausländische erstmalig den Anteil der Beschäftigten mit Migrationshinter- Staatsangehörigkeit haben sollten, was nur auf 14 Prozent von grund in einzelnen Bundesverwaltungen (Ette et al. 2016). ihnen zutrifft (Statistisches Bundesamt 2019a: 65; eigene Be- rechnung), sind sie Bildungsinländer_innen, verfügen also per- Abbildung 5 verdeutlicht, dass Menschen ohne Migrations- spektivisch über deutsche Schul-, Ausbildungs- und Studien- hintergrund in der öffentlichen Verwaltung überrepräsen- abschlüsse. Diese Fakten deutlich zu benennen, ist wichtig aus tiert sind, wenn ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung und unserer Sicht, da in vielen Interviews die Ansprechpartner_innen an der Erwerbsbevölkerung gemessen wird. Die vorhande- die Sorge geäußert haben, dass sich unter den Personen mit nen Ergebnisse sind eindeutig: Ungeachtet dessen, ob nach Migrationshintergrund viele mit ausländischen Qualifikationen Ausländer_innen oder Menschen mit Migrationshinter- befinden, die potenziell für die Laufbahnen im öffentlichen grund differenziert wird, entspricht ihr Anteil in den öffent- Dienst weniger geeignet wären, als Bildungsinländer_innen. lichen Verwaltungen nicht ihrem Anteil an der (Erwerbs-) Bevölkerung. Die Bundesrepublik versteht sich als meritokratische Demokra- tie, in der Ämter nach individueller Leistung vergeben werden Während die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt aufgrund und nicht von der Herkunft einer Person abhängig sein sollen. des Geschlechts in Deutschland bereits länger ein Thema ist Mehrere Studien konnten allerdings für den Arbeitsmarkt Dis- und entsprechende Maßnahmen entwickelt und eingesetzt kriminierungen von Personen mit Migrationshintergrund werden, um ihr entgegenzuwirken, fehlen vergleichbare sys- nachweisen. In diesen Studien wurde die Vergabe von Ausbil- tematische Daten und Maßnahmen für Menschen mit Migra- dungsplätzen, Praktika und Anstellungen in der Privatwirtschaft tionshintergrund – oder gar spezieller: für Menschen mit Ras- untersucht (Kaas/Manger 2010; Schneider et al. 2014; Weich- sismuserfahrungen. Dabei ist die Analogie zwischen der selbaumer 2016; Koopmans et al. 2018). Die Benachteiligung Diskriminierung aufgrund der Merkmale Geschlecht oder Be- dieser Personen in Auswahlverfahren ist nicht auf formale Ab- hinderung und der Diskriminierung aufgrund der eigenen Her- schlüsse zurückzuführen, sondern auf persönliche Merkmale kunft durchaus relevant. Sofern es ein politisch für die jeweili- wie ihren Namen oder ihr Aussehen. Mithin weisen Menschen ge föderale Ebene oder Unternehmensform formuliertes Ziel mit Migrationshintergrund geringere Erwerbsbeteiligungs- zum Abbau von Benachteiligungen gibt, ist auch ein entspre- quoten auf als Menschen ohne Migrationshintergrund. Diese chendes Monitoring wie z. B. der Gleichstellungsindex für die Tatsache ist über alle Bildungsniveaus hinweg beobachtbar. obersten Bundesbehörden (Statistisches Bundesamt 2019c) Wer laut Statistik einen Migrationshintergrund hat, ist häufiger oder die Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinde- arbeitslos, selbst wenn sie oder er ein Studium erfolgreich ab- rung möglich (Bundesagentur für Arbeit o. J.). Die resultieren- geschlossen hat (Kalter/Granato 2018; SVR 2010: 166). Doch den Zahlen helfen zum einen, Fortschritte zu dokumentieren, wie sieht es im öffentlichen Dienst und vor allem in den öf- zum anderen aber auch, weitere politische Maßnahmen zu fentlichen Verwaltungen aus? fordern und zu initiieren.
EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT 11 Abbildung 5 Anteile 25- bis 65-Jähriger an der Gesamtbevölkerung, an der Erwerbsbevölkerung und in der öffentlichen Verwaltung 100 94 % 90 80 77 % 78 % 70 60 50 40 30 20 14 % 12 % 10 8% 8% 4% 1% 2% 1% 2% 0 ohne Migrations- zugewanderte nicht zugewanderte Deutsche Ausländer_innen hintergrund Deutsche mit Migrationshintergrund Gesamtbevölkerung Erwerbsbevölkerung öffentliche Verwaltung Quelle: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Mikrozensus 2017; eigene Berechnungen und Darstellung. Trotz der Erfolge der letzten Jahre, sind Frauen weiterhin – Da besonders viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst auf der auch bei vergleichbarer Qualifikation – in Leitungspositionen kommunalen und der Landesebene tätig sind (vgl. Abbildung 2), unterrepräsentiert (Bührmann et al. 2015; Bundesagentur für hätte die Bundesebene vor allem eine Signalwirkung. Arbeit 2019: 14). Eine Unterrepräsentanz von Frauen in Füh- rungspositionen lässt sich mit den Daten des Mikrozensus 2016 auch für die öffentliche Verwaltung feststellen. Während INTERKULTURELLE ÖFFNUNG Frauen 47 Prozent der Beschäftigten in öffentlichen Verwal- IM ÖFFENTLICHEN DIENST – tungen stellen, sind sie mit nur 20 Prozent in Führungs- oder STAND DER FORSCHUNG Aufsichtspositionen vertreten; unter Männern hingegen neh- men 36 Prozent eine Führungs- oder Aufsichtstätigkeit wahr Seit den 1990er-Jahren wird Interkulturelle Öffnung von Insti- (FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Mi- tutionen in Deutschland auch wissenschaftlich untersucht. Frü- krozensus 2016; eigene Berechnungen). Daher existieren in he Studien analysierten gesellschaftliche Schließungsprozesse öffentlichen Verwaltungen Maßnahmen, wie z. B. Gleich- und strukturelle Diskriminierung, insbesondere im Schulwesen stellungspläne, die durch das Bundesgleichstellungsgesetz (Gogolin 2008; zuvor Gomolla/Radtke 2002). Die Öffnung die- (BGleiG) vorgeschrieben sind, um dem Problem mangelnder ser Institutionen wurde bereits mehrere Jahre früher gefordert Repräsentanz beizukommen. (vgl. Barwig/Hinz-Rommel 1995; Gaitanides 2006). Die Regel- systeme bei der Leistungserbringung für Zugewanderte wur- Hingegen fehlt bislang ein Überblick über den Einsatz von den für mangelhaft befunden und die entstandenen Paralle- Strategien und Maßnahmen, die der Unterrepräsentanz von langebote für Ausländer_innen in den Bereichen Sozialarbeit Menschen mit Migrationshintergrund entgegenwirken sollen: und pädagogische Arbeit problematisiert (Filsinger 2002: Bemühungen, Erfolge oder Misserfolge wurden, falls sie erho- 5ff.; Handschuck/Schröer 2012: 21f., 29ff.; Schröer 2016: 86; ben wurden, bisher nicht gebündelt analysiert, sodass sich Schröer 2018: 233f.). In Anbetracht dieser Erkenntnisse wurde keine Aussagen über die Effektivität unterschiedlicher Strate- auf der kommunalen Ebene früh überlegt, wie soziale Dienste gien treffen lassen. Dass die Datenlage in diesem Bereich für diese Gruppen zugänglicher gemacht werden könnten mangelhaft ist, überrascht umso mehr, wenn bedacht wird, (Filsinger/Gesemann 2018). Begleitet wurden die kritischen Be- dass sich Initiativen auf kommunaler Ebene bereits vor über standsaufnahmen und Forderungen nach Interkultureller Öff- dreißig Jahren verstärkt dieser Thematik angenommen haben – nung von einer erneuten kritischen Reflexion der angewand- und etwas zeitversetzt auch auf Bundes- und Landesebene. ten Konzepte (Mecheril 2013; Hamburger 2018).
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN 12 Forderungen nach Öffnung des öffentlichen Dienstes für Aus- auch Schiller 2017). Die Einführung des zumeist positiv be- länder_innen gab es sogar noch früher. In den 1970er-Jahren setzten Diversitätsparadigmas stelle nämlich keineswegs ei- tauchten, z. B. in Westberlin, entsprechende Forderungen auf, nen Bruch mit essentialisierenden und naturalisierenden- jedoch ohne dass dazu weitere Maßnahmen formuliert wor- Grenzziehungen dar, sondern reproduziere rassifizierte den wären (Lang 2019: 117). Eine Öffnung öffentlicher Dienst- Konstruktionen (Kosnick 2014: 299, 304). leistungen für Ausländer_innen forderte 1994 die damalige „Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Auslän- Nicht nur in Deutschland stand (und steht bis heute) die Re- der“ (Schröer 2018: 233). Im Fokus standen jedoch nur Berei- präsentanz verschiedener migrantischer oder von Rassismus che, in denen direkter „Kontakt mit der Bevölkerung“ bestand betroffenen Gruppen nicht im Zentrum der Politik. Die Inter- (Friedrich-Ebert-Stiftung 2002: 7). Hierzu zählten soziale Diens- kulturelle Öffnung sollte in erster Linie die Servicequalität der te, Bildung und Schule, Polizei und Ausländerbehörden, Ar- öffentlichen Dienstleistungen verbessern, da insbesondere beitsvermittlung und Berufsberatung (Friedrich-Ebert-Stiftung sprachliche Barrieren sowie Missverständnisse und Vorurteile 2002: 4f.). Diese Art von Kund_innenenorientierung ist Teil der die Zugänge zu sozialen Dienstleistungen erschwerten. Von Öffentlichen Reformverwaltung (New Public Management – daher lag es nahe, Personal mit entsprechenden Fremdspra- NPM), die in vielen Ländern Europas in den 1980er-Jahren chenkenntnissen einzustellen, aber auch das bereits existie- stattgefunden hatte (Schiller 2015). Nicht zuletzt begann sich rende Personal interkulturell weiterzubilden. Lang (2019: 53) der Gesundheitssektor in den 2000er-Jahren zunehmend mit erinnert daran, dass in den 2000er-Jahren mit den Forderun- Interkultureller Öffnung auseinanderzusetzen (Falge/Zimmer- gen nach Interkultureller Öffnung Ansätze des Diversity Ma- mann 2014: 328). nagements und des NPM Einzug in deutsche Verwaltungen hielten. Mit dem Management von Diversity verbanden und Die konkrete Umsetzung von Öffnungsprozessen in öffentli- verbinden Unternehmen jedoch nicht den Anspruch, die Re- chen Verwaltungen wurde beschrieben (bes. Handschuck/ präsentanz benachteiligter Gruppen zu erhöhen. Eher sollte Schröer 2000; Schröer 2007; Handschuck/Schröer 2012), und die Heterogenität der Belegschaften die Leistungsfähigkeit der es wurden Stufenmodelle und Prozessschritte vorgeschlagen Unternehmen nicht gefährden (vgl. Groeneveld/van de Walle (KGSt 2008). Diese seien bislang aber kaum in ihren Auswir- 2010) bzw. sie sogar steigern (Bührmann 2015; Jansen-Schulz kungen untersucht worden, konstatierten Bührmann und et al. 2011: 113). Es müssen also erst einmal Maßnahmen exis- Schönwälder (2017) vor Kurzem. Die wenigen Untersuchun- tieren, mit denen unterrepräsentierte Gruppen für eine Orga- gen von Öffnungsprozessen in öffentlichen Verwaltungen nisation rekrutiert werden, damit mit Diversity-Maßnahmen betrachten insbesondere Kommunalverwaltungen (IMAP für eine produktive Zusammenarbeit überhaupt gesorgt wer- 2012; Gesemann et al. 2012; Arslan 2014). Eine aktuelle Studie den kann (Groeneveld/Verbeek 2012: 356f.). untersucht beispielhaft die Ausbildungsoffensive in Berlin und zeigt, wie unterschiedlich Interkulturelle Öffnung in drei Bezir- Gesemann, Roth und Aumüller stellen in ihrer Studie über ken gestaltet wurde (Lang 2019). kommunale Verwaltungen jedoch fest, dass gerade das Ziel Interkulturelle Öffnung der Verwaltung besonders langsam Unklar bleibt seit dem Auftauchen des Begriffes Interkulturelle umgesetzt wird (2012: 6). Insbesondere die Neueinstellung Öffnung in den 1990er-Jahren und damit seit dem Entstehen von Personen mit Migrationshintergrund jenseits von Ausbil- eines umfassenden und unübersichtlichen „Trainingsmarktes“ dungsprogrammen ist sehr selten (Gesemann et al. 2012: 54). für interkulturelle Kompetenzen und Öffnungsprozesse, was Eine Evaluationsstudie in einem städtischen Kulturamt kommt all diese Begriffe umfassen und was wie und in welchem Ma- ebenfalls zu dem Schluss, dass Beschäftigte mit Migrations- ße geöffnet werden soll (Lima-Curvello 2007; Mecheril 2013: hintergrund deutlich unterrepräsentiert sind, Frauen hinge- 15). Aus rassismustheoretischer Perspektive bergen die Begriffe gen nicht (Göhlich/Iseler 2012: 72f.). Letztere sind „nur“ in die Gefahr eines einseitigen, verkürzten und essentialisierten Bezug auf Führungspositionen und Vollbeschäftigung Män- Kulturbegriffes wie auch eines deterministischen Kulturver- nern gegenüber im Nachteil. ständnisses, da die gesellschaftliche Komplexität vereinfacht wird und Prozesse der „Veranderung“ bzw. des „Othering“ (vgl. Allerdings sind derartige Evaluationsstudien selten. Zwar ha- Reuter 2002) stattfinden. Dadurch wird vermeintliche Fremd- ben die Kommunen eigene Berichtswesen entwickelt, um die heit oft erst produziert und festgeschrieben. Sowohl der Begriff Fortschritte ihrer Interkulturellen Öffnung zu dokumentieren, Interkulturelle Öffnung als auch der Begriff interkulturelle da Controlling und Evaluation auch als siebter Schritt in den Kompetenzen suggerieren zudem einen Mangel, der durch entsprechenden Materialien vorgesehen sind (KGSt 2008: 5; Handeln beseitigt werden kann (Mecheril 2013; Seng 2017; und sich darauf beziehend Reichwein/Rashid 2012: 44f.). Hamburger 2018). Doch fehlen bislang ein systematisierender Überblick über diese Berichte und eine evaluative Prüfung der Ergebnisse Das Konzept der Migrationspädagogik (Mecheril 2004; Me- verschiedener Maßnahmen. Im Rahmen der vorliegenden cheril et al. 2010) fordert daher die Erweiterung einer rassis- Studie wird dieses Thema, bedingt durch das empirische Ma- muskritischen Perspektive im Kontext Interkultureller Öffnung, terial, ebenfalls nur gestreift. damit erlernte und verankerte rassifizierende Kategorisierun- gen und Zuschreibungen entschlüsselt und reflektiert werden können (Seng 2017: 2). Eine ähnliche rassismuskritische Erwei- terung und Reflexion fordern auch Titley und Lentin (2008), Römhild (2014) sowie Kosnick (2014) im Kontext des Paradig- menwechsels von Multikulturalismus hin zu Diversität (vgl.
EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT 13 2 METHODIK Die vorliegende Studie wurde zwischen dem 1. November Zum anderen wurden Gespräche mit Personalverantwortli- 2018 und dem 28. Februar 2019 4 im Auftrag der Fried- chen in obersten Bundes- und Landesbehörden sowie in aus- rich-Ebert-Stiftung erstellt. Im Rahmen des Forschungsdesigns gewählten Kommunen geführt. In den Interviews wurden wurden zum einen Interviews mit Integrationsbeauftragten Informationen über Konzepte, Strategien und Maßnahmen bzw. deren Mitarbeitenden auf den drei föderalen Ebenen zur Erhöhung des Anteils von Beschäftigten mit Migrations- Bund, Bundesländer und (ausgewählter) Kommunen geführt. hintergrund in öffentlichen Verwaltungen im jeweiligen Zu- Obwohl es sich nicht in allen Fällen um klassische Beauftragte ständigkeitsbereich erhoben. Die Interviews mit den Integra- handelt und einige Interviews mit Mitarbeiter_innen der oder tionsbeauftragten wurden aufgezeichnet, transkribiert und des eigentlichen Integrationsbeauftragten geführt wurden, themenbezogen nach Meuser und Nagel (1991, 2009) aus- wird zur Zuordnung von Aussagen die allgemeine Bezeich- gewertet. Für die Verwendung in diesem Bericht wurden die nung Integrationsbeauftragte_r verwendet. Zitate von den Integrationsbeauftragten autorisiert. Die Gespräche mit den Personalverantwortlichen fassten die 4 Aus erhebungstechnischen Gründen fand ein Gespräch im Interviewer_innen mithilfe eines Fragebogens zusammen, Juli 2019 statt. den die jeweiligen Gesprächspartner_innen im Anschluss an Abbildung 6 Geplantes Forschungsdesign der Studie Ein Zeitfenster für Vielfalt Integrationsressorts/-beauftragte Personalreferate (max. 27) (max. 65) max. 1 Interview max. 24 Interviews/Fragebögen auf Bundesebene auf Bundesebene Module 1–3 max. 16 Interviews max. 31 Interviews/Fragebögen auf Landesebene auf Landesebene max. 10 Interviews max. 10 Interviews/Fragebögen auf kommunaler Ebene auf kommunaler Ebene Modul 4 5 Expert_inneninterviews Modul 5 Modul 6 Lokalisierung von Best Practice und Erstellung der Studie Modul 7
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN 14 das Gespräch prüften, ggf. ergänzten und zur weiteren Ver- bietsdaten waren nur Daten des Jahres 2015 verfügbar (Sta- wendung freigaben. So wurde vor allem die Bandbreite der tistisches Bundesamt 2018; Bundesagentur für Arbeit 2018). Maßnahmen überblicksartig darstellbar. Diese Informationen bilden zusammen mit den Informationen aus den Gesprä- Die ausgewählten Gesprächspartner_innen wurden per chen mit den Personalverantwortlichen, die in Gesprächspro- E-Mail kontaktiert und um Teilnahme an der Studie gebeten. tokollen festgehalten wurden, die Basis für die Übersicht über Parallel erarbeitete das Studienteam Gesprächsleitfäden. Auf die angewandten Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils von unsere erste Gesprächsanfrage per E-Mail meldeten sich drei- Beschäftigten mit Migrationshintergrund in Kapitel 6. Zudem zehn Personalverantwortliche und fünf Integrationsbeauftrag- wurden Integrationskonzepte, die eine Basis für Öffnungs- te zurück. Elf dieser Rückmeldungen führten im Studienver- maßnahmen sein können, recherchiert und ausgewertet so- lauf zu einem Interview. Bei der Mehrzahl der ausgewählten wie Berechnungen auf der Grundlage der Daten des Mikro- Gesprächspartner_innen folgten bis zu acht Telefonate, bevor zensus durchgeführt. Einen Überblick über das geplante ein Termin verabredet werden konnte oder eine Teilnahme Forschungsdesign gibt Abbildung 6. abgelehnt wurde. Die Rücklaufdokumentation findet sich in Tabelle 1. Wie aus dieser Abbildung hervorgeht, strebten wir auf Länder- und kommunaler Ebene – im Gegensatz zur Bundesebene – Schlussendlich konnten im Zeitraum vom 16. November 2018 keine Vollerhebung bei den Personalverantwortlichen an. Auf bis zum 16. Januar 2019 38 Gespräche geführt werden. Ein Länderebene wurden pro Bundesland zwei oberste Landes- weiteres folgte im Juli 2019. 6 Bei sieben von 93 Kontakten ministerien5 nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und kontak- konnte bis zum Ende der Erhebungsphase kein telefonischer tiert. Auswahlgrundlage waren 158 oberste Landesministeri- oder schriftlicher Kontakt hergestellt werden; sie wurden als en, wobei auch Ressorts enthalten waren, deren Aufgaben Absage gewertet (Tabelle 2, S. 15). Grundsätzlich ist die Rück- die Arbeitsbereiche Integration oder Migration umfassten. laufquote von 42 Prozent in einer ungünstigen (über den Jah- Konkret führte dies dazu, dass ggf. sowohl Landesintegrati- reswechsel) und kurzen (zweimonatigen) Befragungszeit zu- onsbeauftragte als auch die jeweiligen Personalverantwortli- friedenstellend.7 Zwei Termine, die Anfang 2019 ausgefallen chen des entsprechenden Ressorts befragt wurden. waren, konnten aufgrund fehlender zeitlicher und personeller Kapazitäten nicht mehr nachgeholt werden. Die Befragung von kommunalen Integrationsbeauftragten und Personalverantwortlichen wurde in Anbetracht der kur- Die Interviews wurden von drei wissenschaftlichen Mitarbei- zen Projektlaufzeit auf zehn Kommunen beschränkt. Es soll- ter_innen geführt. Die Auswertungen erfolgten akteur_in- ten Kommunen mit hoher und niedriger Bevölkerungsdichte, nenbezogen, d. h. separat für Integrationsbeauftragte und hoher und niedriger Arbeitslosenquote und hohem wie nied- Personalverantwortliche. Die Gemeinsamkeiten und Unter- rigem Ausländer_innenanteil vertreten sein. Zur Klassifikation verwendeten wir Kreisdaten des Jahres 2017; bei den Ge- 6 Die nachträgliche Durchführung dieses Interviews erfolgte aus erhe- bungstechnischen Gründen. 5 In Hamburg wurde davon abweichend nur das Personalamt als 7 Eine Studie von Citizens for Europe in der Berliner Verwaltung konnte oberste Landesbehörde ausgewählt, da alle Einstellungen zentral mit einem Online-Fragebogen eine geschätzte Rücklaufquote von 20 über das Personalamt erfolgen. bis 43 Prozent erreichen (Aikins et al. 2018: 12). Tabelle 1 Dokumentation des Rücklaufs Akteur_innen geführte angefragte Rücklauf Interviews Behörden Integrationsbeauftragte oder Mitarbeitende, Bund 1 1 100 % Integrationsbeauftragte oder Mitarbeitende, Land 13 16 81 % Integrationsbeauftragte oder Mitarbeitende, Kommune 5* 10 50 % Personalverantwortliche, Bund 9 24 38 % Personalverantwortliche, Land 7 32 22 % Personalverantwortliche, Kommune 4* 10 40 % Gesamt 39* 93 42 % * E in Doppelinterview mit einer bzw. einem Integrationsbeauftragten und einer bzw. einem Personalverantwortlichen wurde in jeder der beiden Kategorien und damit doppelt gezählt.
EIN ZEITFENSTER FÜR VIELFALT 15 Tabelle 2 Dokumentation der Absagegründe Akteur_innen geführte Absage Kapazitäts- keine sonstige Zusage, Interviews ohne An probleme Rückmel- Gründe aber kein gabe von dung trotz Interview Gründen Erinnerung Integrationsbeauftragte oder Mitarbeitende, Bund 1 0 0 0 0 0 Integrationsbeauftragte oder Mitarbeitende, Land 13 0 1 0 1 1 Integrationsbeauftragte oder Mitarbeitende, Kommune 5* 1 1 2 1 0 Personalverantwortliche, Bund 9 7 6 1 1 0 Personalverantwortliche, Land 7 9 6 3 6 1 Personalverantwortliche, Kommune 4* 4 1 1 0 0 Gesamt 39* 21 15 7 9 2 * E in gemeinsames Interview mit einer bzw. einem Integrationsbeauftragten und einer bzw. einem Personalverantwortlichen wurde in jeder der beiden Kategorien und damit doppelt gezählt. Sonstige Gründe für Absagen waren: generell keine Studienteilnahme, grundsätzliche Erwägungen, nichts zum Thema zu sagen, nicht für das Thema zuständig, kein Interesse. schiede in den Ergebnissen zwischen den Gruppen wurden in diesem Bericht in den Vordergrund gestellt. Die Auswer- tungen der Transkripte der Gespräche mit den Integrations- beauftragten oder ihren Mitarbeitenden erfolgte entlang der Methodik von Meuser und Nagel (1991: 451-455; 2009: 476f.) mithilfe der Auswertungssoftware MAXQDA. Im Verlauf der Studie wurden fünf externe Expert_innen ein- gebunden, die selbst z. T. sowohl einen Verwaltungshinter- grund haben als auch aktiv für die Berücksichtigung von Viel- falt eintreten. Sie unterstützten maßgeblich die Entwicklung der Gesprächsleitfäden, die Analyse der Ergebnisse sowie die Formulierung von Handlungsempfehlungen. Die Verantwor- tung für den vorliegenden Text liegt bei den Autor_innen, die auf der Titelseite angegeben sind und im Verlauf des Textes als Studienteam bezeichnet werden. Für den Bericht wurden die Angaben der Integrationsbeauftragten der Länder und der Kommunen8 sowie aller Personalverantwortlichen anony- misiert. Die jeweilige föderale Ebene wird angegeben, wenn dies für die konkrete Aussage relevant ist. Bei verallgemeiner- baren Aussagen wird vereinfachend – und damit ihre Mitar- beitenden einschließend – von Integrationsbeauftragten und von Personalverantwortlichen gesprochen. 8 Das Gespräch mit dem Stab der Integrationsbeauftragten des Bundes ist nicht anonymisierbar, da es nur eine Integrationsbeauftragte des Bundes gibt.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – FÜR EIN BESSERES MORGEN 16 3 INTERKULTURELLE ÖFFNUNG ALS BESTAND- TEIL VON INTEGRATIONSKONZEPTEN Zentrale Ergebnisse „Durchsetzung ihrer Belange“. Diese Ziele sollten durch die „Einstellung von Migrantinnen und Migranten und interkultu- – Flächendeckend sind seit 2017 Integrationskonzepte vorhanden. relle Fortbildung für alle“ erreicht werden (Die Bundesregie- – Drei Bundesländer haben ein Partizipations- oder Teilhabege- rung 2007: 111). setz, in dem die Erhöhung des Anteils von Beschäftigten mit Migrationshintergrund in der Landesverwaltung als verbindli- Die damalige Bundesregierung stellte im Nationalen Integra- ches Ziel festgelegt wird. tionsplan (NIP) 2007 fest, dass „die in den Statistiken übliche Differenzierung in Deutsche und Ausländer für die Erfassung – Die Erhöhung des Anteils von Beschäftigten mit Migrationshin- des Standes der Integration nur noch eingeschränkt aussage- tergrund ist fast überall explizit als unverbindliches Ziel in den kräftig“ sei (Die Bundesregierung 2007: 30). Sie spricht von Konzepten formuliert. „Migrantinnen und Migranten“ und von einer Vielzahl spezifi- – Die Definition der Zielgruppen der Maßnahmen ist z. T. unklar; scher Gruppen wie „Schülerinnen und Schüler“, „Frauen“, selten werden konkrete Zielwerte und Evaluationsmechanismen „Mädchen“, „Kindern“, „Jugendlichen“ mit Migrationshinter- bestimmt, sodass Überprüfungen der Fortschritte nicht mög- grund oder auch allgemein von „Personen“ und „Menschen lich sind. mit Migrationshintergrund“. Das seien die Zielgruppen des NIP. Gleichzeitig wird in Bezug auf die Länder darauf hinge- – Die Integrationsbeauftragten der Länder nehmen Einschränkun- wiesen, dass auch die Bezeichnungen „Zuwanderinnen/Zu- gen ihrer Arbeit wahr, insbesondere den geringen Einfluss auf die Einstellungspolitik der Verwaltungen. wanderer“, „Menschen mit Migrationshintergrund“ oder „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“, die im entspre- chenden Positionspapier innerhalb des NIP synonym ge- braucht würden, vorkämen (Die Bundesregierung 2007: 23). INTEGRATION ALS AUFGABE DES BUNDES Im Nationalen Aktionsplan Integration (NAP) 2012 widmete die Bundesregierung dem Thema Migranten im öffentlichen Mit der Anerkennung, dass Deutschland ein Einwanderungs- Dienst erstmals ein eigenständiges Dialogforum (Die Bundes- land ist, begannen Bund, Länder und Kommunen zuneh- regierung 2012: 14f.). Dieses konstatierte, der Anteil von Be- mend und auch gemeinsam Konzepte zur aktiven Gestaltung schäftigten mit Migrationshintergrund in Deutschland sei von Integration auszuarbeiten. Kommunen entwarfen neue Konzepte oder entwickelten bereits vorhandene weiter. Inte- grationskonzepte dienen in diesem Prozess als politisches In- NIP und NAP: Integrationspolitik der Bundesregierung strument mit Signalwirkung auf die Verwaltungen selbst und Im Koalitionsvertrag 2005 bezeichneten CDU, CSU und SPD Migra- in die Gesellschaft; sie legen die Ziele und Maßstäbe fest, an tion als „eine zentrale Herausforderung unserer Zeit“ (CDU, CSU, denen Integrationspolitik gemessen wird (SVR 2018: 105). SPD 2005: 136). Es folgte ein erster Integrationsgipfel im Jahr 2006, der den Dialog von Staat und Zivilgesellschaft vorantrei- Bereits im Nationalen Integrationsplan 2007 konstatierten ben sollte. Die Erarbeitung des Nationalen Integrationsplans (NIP) Bund und Länder, sich ihrer „Rolle als Arbeitgeber bewusst“ wurde angestoßen. Dieser wurde im darauffolgenden Jahr vor- zu sein (Die Bundesregierung 2007: 17, 28). Um eine bessere gestellt. Er basierte auf dem intensiven Dialog aller Regierungse- Integration in Bildung und Arbeit zu erreichen, versprach der benen untereinander sowie auf der Zusammenarbeit mit zahlrei- chen Verbänden und Nichtregierungsorganisationen. Im Jahr 2012 Bund, „sich [im] eigenen Zuständigkeitsbereich der öffentli- wurde der Dialog als Nationaler Aktionsplan (NAP) fortgeschrie- chen Verwaltungen und Betriebe für eine Erhöhung der Zahl ben und fortgeführt. Letzterer enthält nunmehr konkrete Zielvor- von Auszubildenden mit Migrationshintergrund ein[zu]set- gaben, Maßnahmen und Selbstverpflichtungen in der Absicht, In- zen“ und den „Anteil des Personals mit Migrationshintergrund tegrationspolitik nachhaltig zu gestalten. Auch die Konsultation nach Eignung, Leistung und Befähigung [zu] erhöhen“ (Die von Migranten- und Migrantinnenselbstorganisationen (MSO) und Bundesregierung 2007: 17). Dabei sollten „sprachliche […] Neuen Deutschen Organisationen (NDO) bewährte sich und wird und interkulturelle […] Kompetenzen angemessen berück- im gegenwärtig entstehenden Nationalen Aktionsplan Integration (NAP-I 2018) fortgeführt. sichtigt werden“ (ebd.). Ziele waren die angemessene Vertre- tung „aller Bevölkerungsgruppen“ und die Unterstützung der
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