Einführung in die Syntax - Kilu von Prince HHU Düsseldorf Stand: 11. Juni 2021
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Einführung in die Syntax Kilu von Prince HHU Düsseldorf Stand: 11. Juni 2021
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince 2
Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen 1 1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.1 Subjekt, Objekt und Verb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.2 Verzweigungsrichtungen, Köpfigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Grundwortarten und Satzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2.1 Satzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.2.2 Wortarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.2.3 Zwischenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.3 Phrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.3.1 Köpfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.3.2 Binäre Verzweigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.3.3 Hierarchien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.4 Geschlossene Wortklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.4.1 Pronomina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.4.2 Artikel, Quantifizierer, Zahlwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.4.3 Komplementierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.4.4 Adpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.4.5 Auxiliare, Kopula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.4.6 Zwischenstand: syntaktische Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.4.7 Partikeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.4.8 Konjunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2 Grundwortstellungen: S, O, und V 21 2.1 Wortstellung: Satzarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1.1 Direktive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1.2 Unabhängige Deklarativsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1.3 Unabhängige Fragesätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.1.4 Eingebettete Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.1.5 Zwischenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.2 Argumentstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.2.2 Abweichende Wortstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.2.3 Abweichender Kasus und Kongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.2.4 Abweichende semantische Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.3 Argument-Alignierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.4 Diathesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.4.1 Valenzreduktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.4.2 Valenzsteigerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.4.3 Topic-prominente Diathesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3 Erklärungsansätze 37 3.1 Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.1.1 Topic vor Comment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.1.2 Dependenzlänge und Kopfharmonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.2 X-Bar-Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.2.1 Der Kopfrichtungs-Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince 3.2.2 Symmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.2.3 Asymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.3 Kopfharmonie und Grammatikalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.3.1 V zu P . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3.3.2 Komplementierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 A Lösungen 49 B Syntaktische Labels 61 4
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince Aufbau Übung 1 Die Übungen sind als Hausaufgaben anzusehen. Lösungen finden sich am Ende des Skripts unter Anhang A. Übungen mit diesem Symbol sind nicht prüfungsrelevant, sondern rein ornamental, bestenfalls belustigend, und völlig freiwillig. ক Werkzeuge und Resourcen werden in dieser Umgebung eingeführt. চ Hinweise dienen zur Erweiterung und Illustration. Ihre Inhalte sind nicht prüfungsrelevant. Fettgedruckte Fachbegriffe werden zur Prüfung als bekannt vorausgesetzt. i
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Kapitel 1 Grundlagen 1.1 Einführung In der Syntax befassen wir uns mit den Relationen von Wörtern innerhalb von Sätzen. Welchen Einfluss hat die Position eines Wortes im Satz auf seine Interpretation? Welche strukturellen Merkmale finden wir in den Sätzen unterschiedlicher Sprachen vor? Welche Faktoren des Spracherwerbs, der Sprachverarbeitung, oder der diachronen Entwicklung von Sprachen bedingt die Strukturen, die wir vorfinden? In dieser Einführung befassen wir uns mit der Verteilung syntaktischer Strukturen in den Sprachen der Welt. Hier können wir einige ganz konkrete Muster feststellen, die einer Erklärung bedürfen. Insbesondere befassen wir uns mit den folgenden beiden Beobachtungen: 1. Die Reihenfolge von Subjekt, Objekt und Verb: Subjekte stehen in der überwiegenden Mehrzahl der Sprachen vor dem Verb; die Reihenfolge von Objekt und (transitivem) Verb ist dagegen etwa 50/50 verteilt. 2. Die syntaktischen „Köpfe“ von Phrasen sind oft auf der gleichen Seite, in manchen Sprachen am Anfang der Phrase, in anderen am Ende. In den folgenden beiden Abschnitten werden diese beiden Beobachtungen weiter erläutert. Um sie im Detail zu verstehen, müssen wir allerdings genau wissen, was Subjekte, Objekte, und Verben sind; und was es mit Phrasen und deren Köpfen auf sich hat. Um außerdem die verschiedenen Erklärungsansätze für diese Beobachtungen nachzuvollzie- hen, befassen wir uns mit Grundbegriffen von X-Bar-Syntax, Dependenzgrammatik, und Grammatikalisierung. Diese Inhalte sind Gegenstand der weiteren Sitzungen. 1.1.1 Subjekt, Objekt und Verb Eine frühe Beobachtung in der vergleichenden Sprachwissenschaft besteht darin, dass die Reihenfolge von Subjekt (S), Objekt (O) und Verb (V) sich in verschiedenen Sprachen unterschiedlich gestaltet. So heißt es bereits in Greenberg (1963: 77), einem der meistzitierten Texte der Linguistik: Universal 1. In declarative sentences with nominal subject and object, the dominant order is almost always one in which the subject precedes the object. Nach dieser Generalisierung entspricht das folgende Beispiel aus dem Chinesischen dem zu erwartenden Re- gelfall, da das Subjekt (S) vor dem Objekt steht (V). ক Informationen zu Konventionen der interlinea- (1) Chinesisch, aus (Li & Thompson, 1981: 217) ren Glossierung und gängigen Abkürzungen fin- Zhāngsān shōudào-le yi-fēng xìn. den Sie hier: https://www.eva.mpg.de/lingua/ Zhangsan receive-peRf one-clf letter resources/glossing-rules.php S V O „Zhangsan bekam einen Brief.“ Dagegen stellt die Grundwortstellung der brasiliani- schen Sprache Hixkaryána eine Ausnahme von dieser Re- gel dar: (2) Hixkaryána (Karib, Brasilien), ursprünglich aus Derbyshire (1979: 87), glossiert wie in Dryer (2013d) toto y-ahosɨ-ye kamara man 3:3-grab-distant.pst jaguar O V S „Der Jaguar schnappte den Mann.“ 1
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince Abbildung 1.1: Verteilung von VO und OV-Stellungen. Blau: OV; Orange: VO; Rot: Keine dominante Stellung. Daten aus Dryer (2013a) Es gibt noch weitere Beobachtungen als Greenbergs erste Universalie, die uns überraschen und interessieren. চ Als eine der wenigen bisher beschriebenen Spra- In der Reihenfolge von Subjekt, Objekt und Verb fallen chen mit dieser Wortstellung spielt Hixkaryana bis vor allem zwei weitere, sehr deutliche Tendenzen ins Au- heute eine wichtige Rolle in der Forschung zu Wort- ge: stellungen (vergleiche Kalin 2014). 1. Für die Reihenfolge von Verb und Objekt gibt es sprachübergreifend keine klare Tendenz. 2. Für die Reihenfolge von Verb und Subjekt hingegen gibt es eine starke Tendenz dahin, dass das Subjekt zuerst kommt. S-V V-S Ohne V-O O-V Ohne 1193 194 110 705 712 101 Tabelle 1.1: Daten aus Dryer (2013c) und Dryer (2013a); Nach Dryer (2013c,a) sind ca. 80% der Sprachen SV- Sprachen, und nur ca. 13% VS-Sprachen. Die verbleiben- den Sprachen haben keine dominante Reihenfolge von ক Die Erkenntnisse zu Wortstellungsverteilungen ge- Verb und Subjekt (siehe Tabelle 1.1). Das ist ein sehr deut- hen unter anderem auf die Studien von Matthew Dry- liches Gefälle, welches einer Erklärung bedarf. Warum er im World Atlas of Language Structures zurück. Un- präferieren die Sprachen der Welt mit solcher Mehrheit ter www.wals.info können Sie verschiedene typolo- eine SV-Stellung? Diese Frage wird besonders akut durch gische Studien und Quelldaten mit Visualisierung als den Kontrast zur Verb-Objekt-Stellung: Wie Tabelle 1.1 Karten abrufen. zeigt, gibt es fast exakt genauso viele Sprachen mit VO- Stellung wie mit OV-Stellung. Die Karte in Abbildung 1.1 zeigt auch, dass es klare regionale Präferenzen für bestimmte V-O-Reihungen gibt. Dagegen gilt die Präferenz für SV statt VS auf der ganzen Welt. Hieraus ergibt sich also unsere erste Frage: Wie können wir unsere Beobachtungen zur Verteilung von Grundwort- stellungen erklären? 1.1.2 Verzweigungsrichtungen, Köpfigkeit Die zweite Frage bezieht sich auf ein anderes Muster, das auch bereits in Greenberg (1963) thematisiert wurde, zum Beispiel in der folgenden Generalisierung: 2
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince Universal 4: With overwhelmingly greater than chance frequency, languages with normal SOV order are postpo- sitional. Hier wird ein Zusammenhang zwischen der Reihenfolge von S, O und V einerseits und der Reihenfolge von Ad- position und Nomen andererseits hergestellt. Adpositionen sind Ausdrücke wie aus oder durch, die im Deutschen als Präpositionen vor dem Nomen stehen (aus dem Haus). Postpositionen stehen dagegen nach dem Nomen (s. Beispiel (5)). Solche und ähnliche Beobachtungen werden häufig unter dem Begriff der Köpfigkeit diskutiert, die wir im Abschnitt 3.2 genauer kennenlernen werden. Grob gesagt ist der Kopf einer Phrase, die aus mehreren Wörtern besteht, dasjeni- ge Wort, das die syntaktische Position und Funktion der Phrase bestimmt. Die folgenden Beispiele illustrieren diesen Gedanken: (3) [mit [kleinen Händen]] (4) (wir) [waschen [kleine Hände]] Adposition NominalphRase VeRb NominalphRase Kopf Kopf Sowohl in (3) als auch (4) steht der Kopf am Beginn der Phrase. Wir haben es also hier mit einer harmonischen Köpfigkeit zu tun. Im Japanischen sehen wir genau die umgekehrte Reihenfolge: Hier kommen die Köpfe an zweiter Stelle. (5) [[chiisai kodomo-tachi ga] [gakkou ni] iku] small child-pl subj school all go [[ Kopf] [ Kopf] Kopf] „Die kleinen Kinder gehen zur Schule“ (Stefanie Ehelebe, p.K.) Übung 1 Welche der folgenden Aussagen lassen sich auf Grundlage der hier präsentierten Informationen als positiv be- antworten? ࠸ ࠼࠳࠷࠼ (1) Verben stehen deutlich im Sprachvergleich häufiger vor Objekten als danach. ± ± (2) Subjekte stehen deutlich häufiger vor Verben als danach. ± ± (3) Sprachen mit OV-Stellung haben häufiger Postpositionen als Präpositionen. ± ± (4) Sprachen mit OV-Stellung haben häufiger Postpositionen als Sprachen mit VO-Stellung. ± ± (5) Sprachen mit OV-Stellung setzen meistens das Adjektiv nach das Nomen. ± ± 1.2 Grundwortarten und Satzfunktionen In den meisten Sprachen lassen sich große Klassen von Wörtern ausmachen, die sich untereinander relativ ähnlich verhalten und von den anderen Klassen durch bestimmte Kriterien abgrenzen. Davon sind manche Klassen sehr groß und durch Neologismen erweiterbar (offen, andere eher klein und nicht erweiterbar geschlossen). Im Deutschen nehmen wir zum Beispiel die folgende Einteilung von Wörtern zu offenen Wortarten oder Wortklassen vor: Nomen Baum, Katze, Idee, Feuerwehr, Leben, Hochzeit, Ball, Tomate Verben wachsen, schleichen, kennen, retten, feiern, werfen, essen Adjektive groß, weich, gut, mutig, rau, hell, kalt Adverben schnell, laut, selbstverständlich, gerne, sehr, heute, hier Diese Wortarten lassen sich durch eine Reihe von morphologischen und syntaktischen Prozessen unter- scheiden. Zum Beispiel unterscheiden sich Adjektive von ক Wir verwenden den Stern *, um ungrammatische Nomen und Verben dadurch, dass sie sich in der Regel Formen zu kennzeichnen. Grammatische Regeln kön- steigern lassen: nen zu humoristischen oder poetischen Zwecken auch gebrochen werden (Was ist der Unterschied zwischen ei- (6) hell, heller, am hellsten nem Krokodil? – Je grüner desto schwimm.) (7) Baum, *Baumer, *am Baumsten (8) laufen, *laufener, *am laufensten 3
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince Allerdings gibt es auch Adjektive, die sich nicht ein- fach steigern lassen. Das trifft zum Beispiel auf Adjektive zu, die nicht eine graduelle, sondern kategorische Eigenschaft ausdrücken (tot, ?toter, am totesten). Weiter unten befas- sen wir uns auch mit nicht-prädikativen Adjektiven wie angeblich, die sich einer Steigerung noch stärker widersetzen (?*der noch angeblichere Täter). Übung 2 • Wenn Sie das Kriterium der Steigerung auf die Klasse von Adverben anwenden, was stellen Sie dann fest? • Welche anderen morpho-syntaktischen Kriterien finden Sie, anhand derer sich die Wortklassen unterscheiden lassen? Wir definieren Wortarten sprachübergreifend in erster Linie über ihre syntaktischen Funktionen, weshalb wir zu- nächst diese genauer definieren. 1.2.1 Satzfunktionen Das wichtigste Kriterium zur Identifikation von Wortarten sind die Satzfunktionen, die sie erfüllen können. Innerhalb eines Satzes gibt es die folgenden Funktionen: 1. Prädikate 2. Argumente 3. Attribute 4. Adverbiale Modifikatoren Prädikate Das Prädikat ist der Kern eines Satzes. Es drückt ein Er- eignis oder einen Zustand aus. In den folgenden Beispie- len ist das Prädikat jeweils fett gedruckt: চ In manchen Sprachen können fast alle Ausdrü- cke, auch aus geschlossenen Wortklassen, als Prädi- (9) Es regnet. kate verwendet werden. Dafür bekannt sind besonders (10) Erika schläft. die Munda-Sprachen (Evans & Osada, 2005; Peterson, (11) Özlem ist Ärztin. 2005), aber wir sehen Ähnliches auch im (poetischen) (12) Der See ist kalt. Englisch: „What?“ George says. „What, what?“ He is still whatting (13) Kim besucht ein Museum. as his father tows him away. (Mantel, 2012: 301) (14) Die Feier ist heute. (15) *Die Feier ist gerne. Verben sind so definiert, dass sie grundsätzlich als Prädikate verwendet werden können, ohne weitere mor- phosyntaktische Prozesse. Im Deutschen sind Verben die einzige Wortart, die ohne Kopula (sein) als Prädikat verwendet werden kann. Alle Nomen und die meisten Adjektive können mit der Kopula als Prädikate verwendet werden, aber nur manche Adverben. Übung 3 Es gibt im Deutschen und anderen Sprachen Adjektive, die sich nicht als Prädikate verwenden lassen. Fallen Ihnen welche ein? Argumente Während das Prädikat eines Satzes ein Ereignis oder einen Zustand angibt, bestimmt das Subjekt eines Satzes, auf wen dieses Ereignis oder dieser Zustand zutrifft: (16) Erika schläft. Subjekt Prädikat Außer dem Subjekt kann ein Verb noch weitere Argumente haben. Diese Eigenschaften beschreiben wir durch die Begriffe der Valenz und der Transitivität (siehe 1.2.2). Das zweite Argument eines transitiven Verbs bezeichnen wir als Objekt: 4
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince (17) Miyuki grüßt Özlem. Subjekt Verb Objekt Im Deutschen werden Subjekte in der Regel mit dem Nominativ markiert, (direkte) Objekte mit dem Akkusativ: (18) [Das Wasser] löscht [den Brand]. Subjekt Verb Objekt Nominativ Akkusativ Wenn ein Verb drei Argumente hat, wird das dritte Argument als das indirektes Objekt bezeichnet. Indirekte Objekte werden im Deutschen meistens mit Dativ markiert: (19) [Die Autorin] [versprach [dem Verlag] [ein weiteres Buch.]] Subjekt Verb indirektes Objekt direktes Objekt Nicht nur Verben können Argumente haben. Zum Beispiel spricht man auch bei Adpositionen davon, dass sie ein Argument nehmen, wie in mit Freude. Im weitesten Sinne sind Argumente all jene Ausdrücke, deren Anwesenheit von einem anderen Ausdruck erfordert wird. Argumentpositionen können von Eigennamen wie Roswita oder Cem gefüllt werden, von Nomen wie Wasser oder Löwen, aber auch von Pronomina wie wir oder dieser. Außerdem gibt es propositionale Argumente, die durch untergeordnete Sätze ausgedrückt werden können: (20) Hella [glaubt] nicht, [dass wir die Feier alleine vorbereitet haben] Subjekt Verb Objekt In Abschnitt 2.3 befassen wir uns weiter mit Argumentstruktur und Kasus. In Abschnitt 2.1 befassen wir uns weiter mit eingebetteten Sätzen. Im Deutschen können nur nominale Elemente in Argumentposistion stehen. Verben, Adjektive und Adverben müs- sen nominalisiert werden (das Singen, das Schöne, das Morgen). Attribute Nomina können durch Attribute modifiziert werden. Die einfachste Art von Attribut in jeder Sprache ist in der Regel das Adjektiv: (21) Eine kleine Katze miaut. (22) Es ist eine kleine Katze. Attribut Nomen Attribut Nomen Auch Verben können als Attribute verwendet werden, im Deutschen müssen sie dazu aber bestimmte Derivations- formen annehmen, zum Beispiel als Partizipien, die sich dann wie Adjektive verhalten und ebenfalls nach Kasus und Numerus des modifizierten Nomens flektiert werden: (23) Schlafende Hunde weckt man nicht Attribut Nomen Im Deutschen können auch Präpositionalphrasen (siehe auch 1.3) attributiv verwendet werden, (im Gegensatz, zum Beispiel, zu Postpositionalphrasen im Hindi): (24) Die [Frau [mit dem Hut]] drehte sich um. Nomen Attribut Und auch Nomen selbst können als Attribute von an- চ Manche Ausdrücke eignen sich eigentlich nicht deren Nomen gebraucht werden. In diesen Fällen spre- gut zu attributiver Verwendung, werden aber trotz- chen wir von possessiven Nomen oder Possessoren, die dem so gebraucht. Ich hab schon gehört mit nicht im Deutschen im Genitiv stehen: [in Ordnungen] Methoden. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie im Alltag etwas über eine geschlossene Tür sagen wollen? Sagen Sie die zue Tür? (25) Ich habe den [Eingang [des Museums]] erreicht. Nomen Attribut Ganze (eingebettete) Sätze können ebenfalls als Attribute dienen. Solche Sätze nennen wir Relativsätze: (26) Wir sahen die [Vögel, [die auf dem Baum saßen]]. Nomen Attribut 5
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince Adverbiale Adverbiale sind in ähnlicher Weise modifizierend wie die Attribute, aber sie modifizieren nicht Nomen, sondern vor allem Prädikate oder Sätze. Wie der Name schon vermuten lässt wird diese Funktion oft durch eine oder mehrere Klassen von Adverben bedient. In den folgenden beiden Beispielen gibt das Adverb an, wie bzw. wann die Handlung durchgeführt wird: (27) Kat schloss leise die Tür. (28) Heute gehen wir in den Zoo. Adverb Adverb Statt der ausgedrückten Handlung können Adverbiale auch den diskursiven Status einer Aussage modifizieren, oder die Relation von Aussagen oder Handlungen zueinander. In Möglicherweise/angeblich hat Kevin die Heizung angemacht sagen uns die Adverben nichts darüber, wie Kevin die Heizung angemacht hat, sondern drücken aus, dass der Wahr- heitsgehalt der Aussage Kevin hat die Heizung angemacht nicht ganz klar ist. In Deshalb hat Kevin die Heizung angemacht gibt das Adverb deshalb an, in welchem Verhältnis Kevins Handlung zu einem anderen Sachverhalt steht, nämlich dass ein zuvor genannter Sachverhalt der Grund für Kevins Handlung ist. Partizipformen von Verben können, außer in attribu- চ Außerhalb von Präpositionalphrasen können tiver, auch in adverbialer Funktion zum Einsatz kommen: deutsche Nomen nicht weiter adverbial verwendet (29) Die Kinder gingen lachend nach Hause. werden. In manchen Sprachen gibt es spezielle Ka- Adverb sus, wie den Instrumental, der in seiner Funktion et- wa der deutschen Präposition mit entspricht, durch Auch Präpositionalphrasen (bzw. Adpositionalphra- die Nomen ebenfalls adverbial gebraucht werden sen) werden häufig adverbial verwendet: können. (30) Wir rollen den Teig [mit dem Nudelholz] aus. Adverb Es gibt auch Adverbialsätze (oder adverbiale Nebensätze), also eingebettete Sätze, die eine adverbiale Funktion erfüllen: (31) [Wir rollen den Teig aus], [während die anderen das Blech einfetten]. Hauptsatz Adverbialsatz (32) [Wir gehen heute ins Museum], [weil es regnet]. Hauptsatz Adverbialsatz 1.2.2 Wortarten Nomen Im Deutschen und sehr vielen anderen Sprachen bilden die Nomen (oder Substantive) die größte Wortklasse. Sie bezeichnen besonders oft Pflanzen oder Tiere (Pandabär, চ Die Begriffe Wortarten, Wortklassen und lexikalische Palme), Artefakte (Hammer, Lampe) sowie Berufe und Kategorien werden in der Linguistik in der Regel aus- soziale Funktionen (Bäckerin, Lobbyist). Allerdings kön- tauschbar verwendet. nen Nomen auch Ereignisse bezeichnen (Wahl, Explosi- on), Zeiträume (Winter), Abstrakta (Idee, Plan) und Rela- tionen (Freundin, Neffe). Übung 4 Finden Sie jeweils zwei weitere Beispiele für Nomen, die 1) Ereignisse und 2) Relationen bezeichnen. Sprachübergreifend definieren wir Nomen als Wörter, die ohne weitere Prozesse als Argumente dienen können (siehe 1.2.1). Im Deutschen lässt sich die Klasse der Nomen weiter unterteilen nach Genus, und danach, ob sie Massennomen (Mehl) oder zählbare Nomen (Tisch) sind. Deutsche Nomen können von Artikeln begleitet werden. Verben Verben drücken besonders häufig Ereignisse aus, wie rennen, essen, forschen; manchmal auch Zustände wie bei liegen, wissen. Bei transitiven Verben wie in (13) gilt das Verb mit seinem Objekt zusammen als Prädikat. Die Valenz eines Verbs gibt die Anzahl seiner (semantischen) Argumente an. Ähnlich funktioniert der (syntaktische) Begriff der Transitivität. Im Deutschen gibt es die folgenden Verbarten: 6
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince 1. intransitive (monovalente): schlafen, rennen, sprechen, stolpern 2. transitive (divalente): jmd./etw. kennen, etw. essen, jmd./etw. sehen, jmd./etw. mögen 3. ditransitive (trivalente): jmd./etw. jmd. vorstellen, jmd. etw. glauben, jmd. etw. geben Es gibt im Deutschen auch eine Reihe von Verben, die nullvalent sind, also der Bedeutung nach keine Argumente haben, aber dennoch syntaktisch einen Lückenfüller für die Subjektposition benötigen. Dazu zählen vor allem Wetter- verben wie regnen oder gewittern. Man erkennt sie daran, dass nur das Personalpronomen der ersten Person Singular Neutrum in der Subjektposition stehen kann: (33) Es regnet. (34) *Der Himmel regnet. (35) *Der Tag regnet. Das es in es regnet bezeichnen wir als ein expletives Subjekt oder Expletivum. চ Wetterphänomene werden in den Sprachen der Welt sehr unterschiedlich ausgedrückt. Vergleichen Sie die fol- genden Beispiele aus dem Daakaka mit ihrer deutschen Übersetzung: (36) os mwe kin (37) or mwe yuop. rain Real fall place Real dawn „Es regnet.“ („Der Regen fällt.“) „Die Sonne geht auf“ („Es sonnenaufgeht.“) Adjektive Als Adjektive bezeichnen wir diejenigen Wörter einer Sprache, die ohne Derivationsprozesse und ohne zusätzliche Morphologie (ausgenommen Kongruenz) als Attribute verwendet werden können (vgl. Dixon, 2004). (38) Das Kind streichelt die dicke Katze. Adjektiv In vielen Sprachen können Adjektive auch (ohne Ko- pula) prädikativ verwendet werden. In manchen Spra- chen wie dem Chinesischen gibt es keine klare Unter- চ Im Deutschen ist die Adjektivklasse eine große, of- scheidung zwischen Adjektiven und Verben. Stattdessen fene Klasse, aber in manchen Sprachen gibt es nur we- gibt es eine große Klasse von Wörtern, die sowohl als At- nige „echte“ Adjektive. Den Rekord hält wahrschein- tribute als auch als Prädikate verwendet werden können. lich das Igbo mit nur acht Adjektiven: „groß“, „klein“, Adjektive bezeichnen besonders oft Eigenschaften „alt“, „neu“, „gut“, „schlecht“, „hell“, „dunkel“ (vgl. Di- von Individuen oder Gegenständen. xon, 2004: 4b) Adverben Die Klasse der Adverben enthält eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Ausdrücke, die sich auch durch verschiedene morpho-syntaktische Eigenschaften auszeichnen. Als Adverben bezeichnen wir Wörter, die ein Prädikat, oder einen Satz modifzieren können, aber auch Wörter wie sehr oder außerordentlich, die Adjektive oder andere Adverben modifizieren. Einige der wichtigsten Arten von Adverben sind hier aufgeführt: • Adverben auf Prädikatebene, die die Handlung modifizieren: ◦ Temporaladverben: heute, später ◦ Lokaladverben: hier, dort ◦ Adverben der Art und Weise: schnell, lautlos, laut • Gradadverben, die Attribute oder andere Adverben modifizieren: sehr, besonders, außergewöhnlich • Adverben auf Satzebene: ◦ Adverben, die Relationen zwischen Aussagen ausdrücken: deshalb, trotzdem, dahingegen ◦ Modaladverben, die sich auf den Wahrheitsgehalt beziehen: wahrscheinlich, sicherlich, vielleicht ◦ Adverben der Sprechereinstellung: leider, glücklicherweise 7
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince Übung 5 Welche Art von Adverb lässt sich auch gut als Attribut verwenden? Von welchen Adverben können Sie Attribute einfach ableiten? 1.2.3 Zwischenstand In diesem Kapitel haben wir gesehen, dass die vier Grundwortarten über ihre Satzfunktionen definiert werden. Zwi- schen Wortarten und Funktionen besteht somit ein enger Zusammenhang. Dennoch sind Satzfunktionen und Wort- klassen zum Teil voneinander unabhängig: Eine bestimmte Satzfunktion kann durch Wörter unterschiedlicher Klassen erfüllt werden. Allerdings müssen diese Wörter dazu oft deriviert werden, zum Beispiel durch Nominalisierung, oder Partizipienbildung bei Verben. Tabelle 1.2 illustriert diese Zusammenhänge. Prädikat Argument Attribut Adverbial Verb ich singe ich liebe das Singen/Gesang ein singender Vogel singend trat sie ein Nomen sie ist Nonne Nonnen beten die Räume der Nonnen mit den Nonnen sangen sie Adjektiv wir sind froh Fröhlichkeit ist ansteckend ein frohes Kind froh gingen sie los Adverb das Treffen ist jetzt wir genießen das Jetzt die jetztige Lage jetzt gingen sie los Tabelle 1.2: Funktionen und Wortarten Übung 6 Finden Sie ein weiteres Wort aus jeder der vier Klassen und füllen Sie die Tabelle wie in 1.2 aus. Es kann sein, dass einzelne Zellen dabei leer bleiben müssen. Übung 7 Der folgende Text ist die erste Strophe der Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens von Berthold Brecht. Identifizieren Sie hier: Der Mensch lebt durch den Kopf. 1. Nomen Sein Kopf reicht ihm nicht aus. 2. Verben Versuch es nur, von deinem Kopf Lebt höchstens eine Laus. 3. Adjektive Denn für dieses Leben 4. Subjekte Ist der Mensch nicht schlau genug. 5. Objekte Niemals merkt er eben 6. Prädikate Diesen Lug und Trug. 1.3 Phrasen Wir haben bereits in 1.2.1 gesehen, dass die unterschiedlichen Satzfunktionen nicht nur von einzelnen Wörtern der gro- ßen Wortarten übernommen werden können, sondern auch von komplexen Wortgruppen. Solche zusammengehörigen Gruppen nennen wir Phrasen oder Konstituenten. Wir können das noch einmal in den folgenden Beispielen sehen, wo das Subjekt, angezeigt durch eckige Klammern, von Nominalphrasen unterschiedlicher Länge denotiert wird: (39) [Katzen] trinken Milch. (40) [Die Katze] trinkt Milch. (41) [Die [kleine Katze]] trinkt Milch. (42) [Die [kleine [Katze [mit dem weißen Fleck auf der Nase]]]] trinkt Milch. Genauso können Prädikate aus komplexen Phrasen anstelle von einzelnen Wörtern bestehen: (43) Die Katze [schläft]. (44) Die Katze [jagt das Wollknäuel]. (45) Die Katze [jagt [mit peitschendem Schwanz] das Wollknäuel]. 8
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince (46) Die Katze [jagt [mit peitschendem Schwanz] [das Wollknäuel aus rotem Garn]]. Die immer länger werdenden Konstituenten aus diesen beiden Beispielgruppen lassen sich beschreiben als ineinan- der verschachtelte Phrasen. Solche Strukturen stellen wir hier als hierarchisch organisierte, binär verzweigende Baum- strukturen dar, wobei jede binäre Phrase einen Kopf hat, der die Verteilung der Phrase bestimmt. Wie? Was? Binär? Hierarchisch? Kopf? Hier noch mal langsam und zum Mitschreiben. 1.3.1 Köpfe Nehmen wir die Phrase kleine Katzen; diese besteht aus zwei Wörtern, kleine und Katzen. Wir können diese Phrase darstellen als verzweigende Struktur: kleine Katzen Die beiden Endknoten der Phrase, kleine und Katzen haben hier nicht genau den gleichen Status. Eins der beiden Wörter ist der Kopf der Phrase, nämlich dasjenige Element, das uns anzeigt, welche Verteilung die Phrase hat. Die Phrase kleine Katzen hat die gleiche Verteilung wie das Wort Katzen, nicht wie das Wort kleine. Das bedeutet, dass kleine Katzen in der gleichen Position stehen kann, wie Katzen: (47) Uli mag Katzen. (48) Uli mag kleine Katzen. Das Konzept von Köpfen kennen Sie bereits aus der Morphologie. In der Baumstruktur bilden wir den Kopfstatus ab, indem wir die gesamte Phrase so benennen wie ihren Kopf (a), beziehungsweise nach der Wortart des Kopfes, wie in (b) wo NP für NominalPhrase steht: (a) Katze (b) NP kleine Katze ADJ N kleine Katze Das zweite Element einer binären Phrase ist entweder das Argument (auch Komplement) des Kopfes, oder ein Adjunkt. Von Argumenten sprechen wir nach wie vor dann, wenn der Kopf die Präsenz eines Elements erfordert: (49) *Kat mag. (51) *Kat mag Erdbeeren mit. (50) Kat [mag Erdbeeren]. (52) Kat mag Erdbeeren [mit Sahne] Kopf Argument Kopf Argument In manchen Sprachen können auch Nomina Komplemente haben. Ein Beispiel hierfür ist Daakaka, wo es Nomen gibt, die obligatorisch mit einer weiteren NP auftreten, welche den Possessor anzeigt. Solche Nomen bezeichnen besonders häufig Pflanzenteile und Ähnliches (Körperteile und Verwandtschaftsterme werden dagegen nach Possessoren flektiert): (53) deli tyu egg chicken „Hühnerei“ Adjunkte können entweder attributiv sein (wenn sie eine Nominalphrase modifizieren), oder adverbial (wenn sie etwas anderes modifizieren): (54) Maja [singt heute]. (55) [Kleine Kinder] mögen Süßes. Kopf Adjunkt Adjunkt Kopf Übung 8 Identifizieren Sie jeweils die Köpfe der folgenden eingeklammerten Phrasen, identifizieren Sie ihre Wortart und bestimmen Sie, ob das zweite Element ein Argument oder ein Adjunkt ist. (56) Sie rannten [sehr schnell]. 9
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince (57) Wir fütterten [hungrige Vögel]. (58) Merle [brauchte Hilfe]. ক Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Baumstrukturen zu erzeugen. Wer mit LATEX schreibt, kann dazu ein spezielles Package verwenden. Ich verwende hier das forest package. In LATEX werden die Baumstrukturen durch eckige Klammer dargestellt. Die Baumstruktur in (59) wird zum Beispiel wie folgt eingegeben: \begin{forest} [S [N[Leni\\(Subjekt)]] [VP [V[kitzelt]] [N[Hamudi\\(Objekt)]]]] \end{forest} Sie können die gleichen Klammerschreibweisen alternativ auch online in Syntaxbaumgeneratoren eingeben. Ko- pieren Sie zum Beispiel die folgende Klammernstruktur: [S [N[Leni]] [VP [V[kitzelt]] [N[Hamudi]]]] Fügen Sie diese Klammernnotation in einen Onlinegenerator ein, wie zum Beispiel diesen: https://yohasebe.com/rsyntaxtree/ Die entstehende Graphik können Sie herunterladen und in Ihr Dokument einbinden. 1.3.2 Binäre Verzweigung Die Strukturen sollen binär verzweigen, das bedeutet, jeder verzweigende Knotenpunkt soll in genau zwei Richtungen verzweigen. Das ist keine logische Notwendigkeit, und tatsächlich gibt es viele syntaktische Ansätze, die auf eine binäre Verzweigung verzichten. In dieser Einführung folgen wir jedoch der weit verbreiteten Konvention, nur eine zweifache Verzweigung zuzulassen. (a) NP (b) ✓ NP ADJ ADJ N ADJ NP kleine dicke Katzen kleine ADJ N dicke Katzen Übung 9 Eine andere logische Möglichkeit, die obige Struktur als binär verzweigend darzustellen, wäre wie in (c): Was spricht gegen diese Darstellung? Nehmen Sie in Ihrer Argumentation Bezug auf das Konzept von Köpfen, Argu- menten und Adjunkten in Abschnitt 1.3.1. (c) NP ADJP N ADJ ADJ Katzen kleine dicke চ Verbalphrasen, Subjekt/Objekt-Asymmetrien In binär verzweigenden Strukturen steht das Subjekt in anderer syntaktischer Relation zu einem transitiven Verb als das Objekt: 10
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince (59) S N VP Leni V N (Subjekt) kitzelt Hamudi (Objekt) Das Objekt bildet mit dem Verb eine Konstituente, während das Subjekt außerhalb der Verbalphrase steht. Dies ist zum einen dadurch motiviert, dass, wie wir schon gesehen haben, ein transitives Verb plus Objekt etwa die gleiche Verteilung hat wie ein intransitives Verb. Ein weiterer Hinweis darauf, dass ein Verb mit seinem Objekt tatsächlich eine engere Verbindung aufweist als mit dem Subjekt, kommt von Objekt-Verb-Nominalisierungen. Im Deutschen und vielen anderen Sprachen können (indefinite/generische) Objektnomen in ein Verb inkorporiert werden, für Subjekte gilt dies jedoch nicht im gleichen Maße: (60) Studierende lösen Rätsel (61) Rätsellösen macht Spaß (62) *Studierendelösen ist erfolgreich Dennoch teilen nicht alle syntaktischen Ansätze die Annahme einer syntaktischen Asymmetrie zwischen Sub- jekt und Objekt. In Role and Reference Grammar (RRG) zum Beispiel kann ein Knoten mehr als zwei Tochterknoten haben. Hier werden Subjekt und Objekt auf der gleichen Ebene dargestellt: CORE NP NUC NP V Studierende lösen Rätsel 1.3.3 Hierarchien Die verschachtelten Strukturen, die so entstehen, erzeugen auch bestimmte Hierarchien, die klar angeben, was wozu gehört. Es ist eine gängige Annahme, dass sich semantische Abhängigkeiten durch verschiedene syntaktische Konfigu- rationen abbilden lassen. Was das bedeutet, lässt sich schnell an Beispielen wie dem folgenden verstehen: (63) Das Mädchen sah die Frau mit dem Fernglas. Dieser Satz ist mehrdeutig: In einer Lesart hatte das Mädchen das Fernglas, und benutzt es, um die Frau zu beobach- ten. In einer anderen Lesart hat die Frau das Fernglas. In anderen Worten: die Phrase mit dem Fernglas kann entweder als adverbiale Modifikation des Prädikats sah (die Frau) verstanden werden oder als attributive Modifikation des Objekts die Frau. Diese Mehrdeutigkeit lässt sich durch zwei verschiedene Strukturen modellieren: (a) S NP VP das Mädchen V NP sah D NP die N PP 11 Frau mit dem Fernglas
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince (b) S N VP das Mädchen VP PP V NP mit dem Fernglas sah die Frau Wenn wir komplexe Phrasen wie mit dem Fernglas nicht weiter analysieren wollen, um einen übersichtlichen Baum zu erhalten, kürzen wir die Struktur mit einem Dreieck ab. Das P hier steht für Präpositional, die wir als Kopf der Präpositionalphrase (PP) betrachten (dazu mehr in Abschnitt 1.4.4). Übung 10 Welche dieser beiden Strukturen steht für welche Bedeutung? Übung 11 Erläutern Sie in eigenen Worten die Unterschiede zwischen den folgenden beiden Situationen. Wenn Sie mögen, illustrieren Sie die beiden Situationen jeweils durch ein Bild. (a) S NP VP D NP V PP die N PP saß auf einem Kissen Katze P NP von D NP der N S Frau die einen Hut aufhatte 12
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince (b) S NP VP D NP V PP die NP S saß auf einem Kissen N PP die einen Hut aufhatte Katze P NP von D N der Frau Übung 12 Der folgende Satz hat mehrere Lesarten. In einer Interpretation geht es um ein Kind, das Handschuhe anhat, dessen Bruder hilft ihm (a). In einer zweiten Lesart hilft einem Kind der Bruder, und die Hilfeleistung hat etwas mit den Handschuhen zu tun (b). Zeichnen Sie für beide Lesarten jeweils einen Strukturbaum. Der Bruder half dem Kind mit den Handschuhen. 1.4 Geschlossene Wortklassen 1.4.1 Pronomina Pronomina sind Wörter, die die gleiche Verteilung চ Als Plural für Nomen und Pronomen verwende ich wie Nominalphrasen haben, wie im folgenden Beispiel sowohl die Form Nomina bzw. Pronomina als auch noch einmal illustriert, wo sie und ihn Personalpronomi- die Form Nomen bzw. Pronomen. na sind: (64) [die kleine schlanke Frau] fütterte [den großen dicken Kater]. Sie fütterte ihn. Deutsche Personalpronomina unterscheiden sich nach Person, Numerus, Genus und Kasus voneinander. Außerdem kodiert die Wahl zwischen Du und Sie Informationen über die soziale Relation zwischen Sprechenden und Angespro- chenen. Außer Personalpronomina gibt es noch weitere Arten von Pronomen, wie etwa die folgenden: • Possessivpronomen: mein, dein, ihr • Demonstrativpronomen: diese, dieses, dieser • Indefinitpronomina: jemand, man, etwas • Negativpronomen: keine, niemand, nichts • Reflexivpronomen: mich, dich, sich • Interrogativpronomen: wer, was • Relativpronomen: sie leiten attributive Sätze ein wie in die Frau, die zu viel wusste Übung 13 Pronomina stehen für ganze Nominalphrasen, nicht für ein einzelnes Nomen. Es ist deshalb in der Regel nicht möglich, sie durch Attribute oder Artikel zu modifizieren. Es gibt aber Fälle, in denen bestimmte Pronomina wie Nomen gebraucht werden. Finden Sie Beispiele. Da Pronomina die gleiche Verteilung wie Nominalphrasen haben, weisen wir sie der Kategorie N zu. 13
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince 1.4.2 Artikel, Quantifizierer, Zahlwörter In vielen Sprachen gibt es Artikel, die Nomen oder Nominalphrasen begleiten. Im Deutschen gibt es vor allem die folgenden Artikel: • Definite Artikel: der, die, den, etc. • Indefinite Artikel: eine, einen, etc. • Demonstrative Artikel: dieses, diese, etc. • Negative Artikel: kein, keinen, etc. Im Deutschen müssen zählbare Nomen im Singular von einem Artikel begleitet werden. Eigennamen stehen in der Regel ohne Artikel. Vergleichen Sie: (65) Massennomen: (Das) Wasser ist nass. (66) Pluralnomen: (Die) Bäume sind wichtig. (67) Zählbare Singularnomen: *Baum steht im Garten. (68) Eigennamen: Fatima steht im Garten. In vielen Sprachen gibt es nur demonstrative Artikel, die nur an bestimmten Stellen eingesetzt werden, so dass auch zählbare Singularnomen in der Regel ohne Artikel auftreten, wie im folgenden Beispiel aus dem Mandarin-Chinesischen: (69) gǒu kàn-dào le wánjù dog see-reach pfv toy „Der Hund hat das Spielzeug entdeckt.“ In anderen Sprachen treten auch Eigennamen regulär mit definiten Artikeln auf, zum Beispiel im Europäischen Portugiesisch: (70) O presidente nomeou a Maria ministra. the-m.sg president named-3sg the-f.sg Maria minister „The president named Mary the minister.“ (Matushansky, 2006: 285) Verschiedene syntaktische Theorien unterscheiden sich stark in Bezug auf den syntaktischen Status, den sie dem Artikel zuweisen. Für unsere Zwecke ist diese Frage nicht besonders wichtig. Wir können eine einfache Struktur an- nehmen, in der Artikel nicht rein strukturell von Adjunkten und Komplementen unterschieden werden: (71) NP D N die Katze Die syntaktische Kategorie von Artikeln wird mit D abgekürzt, das steht für determiner. Einen ähnlichen Status und eine ähnliche Verteilung wie Artikel haben im Deutschen die Quantifizierer, wie zum Beispiel viele, alle, einige, manche. চ Artikel als Spezifizierer In der X-Bar-Syntax werden Artikel von Adjunkten und Komplementen durch unterschiedliche Positionen unterschieden. Die Annahme ist hier, dass eine Phrase grundsätzlich drei Ebenen hat: Die XP-Ebene, die X-Ebene (X’ oder X wird gelesen als X-Bar) und die Kopfebene X. Auf der XP-Ebene zweigt der Specifier ab, hier werden Adjunkte plaziert. Auf der X-Ebene zweigt auf der einen Seite das Komplement ab, auf der anderen Seite der Kopf. 14
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince XP Specifier X Adjunkt X Komplement X Im Deutschen haben Zahlwörter (drei, fünf ) und Quantifizierer (wenige, viele) eine ähnliche Verteilung wie Artikel und werden ähnlich analysiert. 1.4.3 Komplementierer Komplementierer sind Elemente, die einen Komplementsatz (auch „Argumentsatz“) oder Adverbialsatz einleiten (siehe auch Abschnitte 1.2.1, 1.2.1 und 2.1). Komplementierer, die Komplementsätze einleiten sind vor allem dass für eingebettete Propositionen, ob für einge- bettete Polaritätsfragen. (72) Wir wissen, [dass Katzen süß sind]. (73) Wir wissen nicht/fragen uns, [ob Katzen süßer sind als Hunde]. Adverbiale Sätze werden zum Beispiel mit während, nachdem, weil oder obwohl eingeleitet: (74) [Während wir warteten], sangen wir ein Lied. (75) Sie gingen ins Freibad, [obwohl es regnete]. Komplementierer werden mit dem Label C abgekürzt für complementizer. Wir können Sie wie folgt darstellen: (76) S (77) S N VP S CP wir V CP N VP C S wissen C S sie V PP obwohl es regnete dass N VP gingen ins Freibad Katzen ADJ V süß sind Übung 14 1. Sortieren Sie die folgenden Sätze in Relativsätze, Komplementsätze und Adverbialsätze: (a) Das Kind, [das die meisten Punkte sammelt], bekommt eine Medallie. (b) [Weil wir hungrig waren,] gingen wir. (c) Wer hätte geahnt, [dass es so ausgehen würde]. 2. Zeichnen Sie jeweils einen Strukturbaum dazu, wobei Sie die Nebensätze mit einem Dreieck abkürzen können. 15
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince চ Sätze und Nominalphrasen Komplementierer sorgen dafür, dass ein Satz die Verteilung einer Nominalphrase (bei Komplementsätzen), bzw. eines Adverbs (bei Adverbialsätzen) einnehmen kann. Insofern haben Komplemen- tierer eine ähnliche Funktion wie Derivationsprozesse in der Morphologie. Tatsächlich werden in vielen Sprachen Sätze nominalisiert, um als Argumente von Verben auftreten zu können. Im Deutschen besteht manchmal die Wahl zwischen einem Komplementsatz und einer Nominalisierung: (78) [Dass die Kinder das Zimmer völlig verwüstet hatten], erschreckte die Eltern. (79) [Die völlige Verwüstung des Zimmers durch die Kinder] erschreckte die Eltern. Ähnliches gilt auch für Adverbialsätze und nomninalisierte Sätze mit Präposition: (80) [Weil die Schule geschlossen wird], gehen wir auf die Straße. (81) [Wegen der Schließung der Schule] gehen wir auf die Straße. 1.4.4 Adpositionen Adpositionen bilden mit einem nominalen Argument eine Phrase mit adverbialer Verteilung. Sie lassen sich daher auch als transitive Adverben beschreiben. Je nachdem, ob eine Adposition vor oder nach ihrem Argument steht, sprechen wir von Präpositionen oder Postpositionen. Im Deutschen finden wir beide Fälle, wobei die Präpositionen deutlich häufiger sind. (82) Präposition: mit einer Nadel (83) Postposition: des Urteils wegen Das gängige syntaktische Label für Adpositionen ist P für „Präposition“ bzw. „Postposition“ Wir bilden Adpostionalphrasen wie folgt ab: (84) S (85) S N VP N VP wir V PP sie V PP sitzen P NP aßen P NP auf D N mit D N der Bank der Gabel Besonders im Deutschen haben Präpositionalphrasen manchmal eher den Character eines Arguments als eines Ad- verbials. So gibt es eine ganze Reihe von Verben, die nur im Zusammenhang mit einer bestimmten Präposition auftreten, wie zum Beispiel jemandem zu etwas verhelfen, jemanden über etwas informieren. চ Wir werden im Skript an verschiedenen Stellen auf traditionelle Ansätze zu alternierender Wortstellung im Deutschen und in anderen Sprachen stoßen. Für die Furchtlosesten unter Ihnen sei hier ein Einblick auf die Analyse des Satzes mit der Gabel essen wir in der minimalistischen Syntax gewährt (z. B. Adger, 2003): 16
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince CP PP TP P DP T vP mit D D aßen [past] D VP der Gabel sie V PP ess- P DP mit D D der Gabel • Statt des S-Knotens gehen wir hier davon aus, dass jeder Satz eine complementizer phrase darstellt, auch wenn keine Komplementierer in Sicht sind (siehe auch Abschnitt 1.4.3). • Nominalphrasen in Argumentposition werden im Minimalismus immer von DPs dominiert, deren Kopf ein Artikel ist. Eigennamen und Pronomina sind ebenfalls Köpfe von DPs (siehe auch Seite 1.4.6). • Über der Verbalphrase ist eine TP (für tense phrase oder IP für inflection phrase), deren Kopf ein abstraktes Tempusmerkmal darstellt. • Das Verb wird aus seiner Basisposition in der VP zum Kopf der TP bewegt, wo es nach den dort vermerkten Tempusmerkmalen flektiert wird. Eigentlich geht es dabei noch durch den unsichtbaren Kopf der vP, das hab ich uns hier aber mal erspart. • Über der Verbalphrase ist eine kleine vP, in der das agentivische Subjekt generiert wird (siehe auch Seite 30). • Zum Schluss muss irgendeine Phrase in den Specifier der CP bewegt werden. • Wenn das Subjekt hinein bewegt wird, ergibt sich der Satz sie aßen mit der Gabel. • Wenn das (flektierte) Verb hinein bewegt wird, ergibt sich die Frage aßen sie mit der Gabel?. • Wenn die PP hinein bewegt wird, wie in der Abbildung, ergibt sich mit der Gabel aßen sie. 1.4.5 Auxiliare, Kopula Zu den deutschen Auxiliaren zählen Wörter wie wollen, können oder müssen. Sie können in der Regel nicht alleine das Prädikat eines Satzes bilden, sondern treten gemeinsam mit Verben auf. Dort wo sie auftauchen, tragen sie jedoch die Flexionsform, die im Deutschen Tempus und Kongruenz mit dem Subjekt anzeigt. Das Verb dagegen tritt dann in der Infinitivform auf: (86) Hamudi [wollte] spielen. (87) Valentina [kann] tauchen. Ähnlich verhält es sich im Deutschen mit den aspektuellen Verwendungen von haben und sein, wobei hier das Verb im Partizip Perfekt auftaucht: (88) Das [hatte] ich vergessen. (89) Das Fenster [war] bereits zerbrochen. Auxiliare werden üblicherweise als AUX abgekürzt und über der VP verortet: 17
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince (90) S N AUXP Valentina AUX VP kann V tauchen Das deutsche Wort sein stellt in (89) ein aspektuelles Auxiliar dar. Es erfüllt im Deutschen aber noch eine weitere wichtige Funktion, nämlich als Kopula. Eine Kopula ist ein Element, dass dafür sorgt, dass Wörter, die keine Verben sind, dennoch als Prädikate verwendet werden können. Nicht in allen Sprachen wird dafür eine Kopula benötigt. Im Russischen zum Beispiel können viele Nomen und Adjektive ohne Kopula prädikativ verwendet werden, wie hier illus- triert: (91) ona vrač 3sg doctor „sie ist Ärztin“ Die Kopula trägt somit kaum etwas zur Bedeutung eines Satzes bei, sie ist semantisch leer. Ihre Funktion besteht darin, aus Phrasen unterschiedlicher Kategorien ein Prädikat zu machen. In Sprachen mit Verbflexion trägt die Kopula die Verb-üblichen Informationen wie Tempus und Subjekt-Kongruenz. Im Deutschen können wir sie wie ein Verb und als Kopf der Verbalphrase behandeln: (92) S N VP sie V N ist Ärztin 1.4.6 Zwischenstand: syntaktische Derivation Von den bisher diskutierten Elementen teilen mindestens Komplementierer, Adpositionen und die Kopula die Eigen- schaft, dass sie die syntaktische Funktion und Verteilung ihrer Komplemente verändern: • Komplementierer lassen Sätze in Argumentposition oder als adverbiale Adjunkte auftauchen. • Adpositionen lassen Nominalphrasen als adverbiale Phrasen auftreten. • Die Kopula lässt Nominalphrasen und Adjektivphrasen in prädikativer Funktion auftreten. চ NP oder DP? In der Minimalistischen Syntax wird die Funktion von Artikeln in Analogie zu Komplementierern und Adposi- tionen gesehen: Die Artikel sorgen überhaupt erst dafür, dass eine Nominalphrase in Argumentposition auftauchen kann. Vielleicht sind es also gar nicht Nominalphrasen, die die Argumentposition füllen, sondern determiner phra- ses (DPs). Dann wären definite Elemente, die ohne Artikel in Argumentposition stehen, selbst auch Determiner, und nicht nominale Elemente, wie etwa Pronomina und Eigennamen. Massennomen und indefinite Pluralnomen haben dann einen unsichtbaren Determiner, der sie begleitet. Eine DP legt sich damit über eine NP, damit diese in Argumentposition stehen kann, ähnlich wie sich die CP über einen Satz legt, damit dieser als Argument oder Adverb auftreten kann: 18
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince DP D NP das ADJ N dicke Buch 1.4.7 Partikeln Partikeln zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht morphologisch veränderbar sind. Sie werden also nicht flektiert/konjugiert oder gesteigert. Sie können in keiner der Grundfunktionen auftauchen. Sie sind nie Komplemente anderer Lexeme und nehmen auch selbst keine Komplemente. Sie können auch nicht selbst adverbial modifiziert werden. Sie können oft an verschiedenen Stellen im Satz stehen. Die so ex negativo definierte Gruppe von Wörtern kann unterschiedliche Funk- tionen einnehmen: Antwortpartikeln Sie können in bestimmten Kontex- চ In manchen Sprachen gibt es eine zusätzliche ten (zum Beispiel Fragen) anstelle ganzer Sätze stehen: Antwortpartikel mit der Bedeutung das weiß ich (93) Hast du das gesehen? nicht, zum Beispiel Daakaka dingyen. Im Deutschen gibt es zusätzlich die Partikel doch, vor allem als Ant- a. Ich habe das gesehen/ [ja] wort auf negative Fragen. b. Ich habe das nicht gesehen/ [nein] Fokuspartikeln, Negation Fokuspartikeln gehen mit fokussierten Elementen im Satz zusammen und sagen etwas über die Alternativen zu diesen Elementen aus: (94) [Sogar] Svetlana tanzt. (95) Holger tanzt [auch]. (96) Tamara tanzt [erst] morgen. In diesen Beispielen lernen wir, dass andere Leute eher zum Tanzen geneigt sind als Svetlana, dass außer Holger noch andere getanzt haben, und dass es Tage vor „morgen“ gibt/gab, an denen Tamara nicht getanzt hat. Auch die deutsche Negation nicht fällt unter die Fokuspartikeln und kann mit unterschiedlichen syntaktischen Elementen interagieren: (97) [Nicht] Lana hat das Licht ausgemacht. (98) Lana hat [nicht] das Fenster geschlossen. Modalpartikeln Unter Deutschlernenden sind die deutschen Modalpartikeln sehr berüchtigt und schwer zu erlernen, weil es in den meisten Sprachen keine klaren Entsprechungen gibt. Wir drücken damit etwas über den Informationszu- stand unserer Gesprächspartner*innen aus, zum Beispiel sagt die Modalpartikel ja in etwa aus, dass wir eine Information für allgemein zugänglich und verbreitet halten: (99) Im Winter kann es [ja] kalt werden Weitere Beispiele: চ In einigen Sprachen gibt es zusätzlich zu den hier (100) Hast du [denn] noch Zeit? genannten Partikeln auch Fragepartikeln, die einen Satz als Frage kennzeichnen. In Chinesischen Polari- (101) Du bist [aber] groß geworden! tätsfragen zum Beispiel muss am Satzende die Parti- (102) Wir wollten [doch] Urlaub machen! kel ma stehen. Es gibt eine Reihe weiterer satzfinaler Wie wir hier sehen, sehen deutsche Modalpartikeln Partikeln, von denen manche eine ähnliche Funktion oft genauso aus wie Satzadverben (denn, doch, aber) oder haben wie deutsche Modalpartikeln. andere Partikeln ja, doch. 19
Syntax SoSe 2021, HHU Düsseldorf Kilu von Prince Interjektionen Interjektionen sind den Antwortpartikeln sehr ähnlich. Sie unterscheiden sich von diesen vor allem durch eine stärkere emotionale Involviertheit, und dadurch, dass sie als Reaktion auch auf nicht-sprachliche Situationen auftreten. Beispiele sind ok, Mist!, Igitt! oder Hurra! Auch ja und nein (bzw. Nahahahein!) werden als Interjektionen verwendet. Übung 15 Finden Sie drei weitere Interjektionen in Ihrer Muttersprache. Illustrieren Sie deren Gebrauch durch eine Graphik/einen Cartoon. 1.4.8 Konjunktionen Konjunktionen können im Deutschen mehrere Phrasen gleichen Typs miteinander verbinden: (103) Hänsel [und G retel] verliefen sich im Wald. (104) Die Katze war [müde [und] durstig]. (105) Es ist dunkel [und] wir tragen Sonnenbrillen. Außer und fungiert im Deutschen auch oder als Konjunktion mit ganz ähnlicher Verteilung. Es gibt unterschiedliche syntaktische Analysen von Konjunktionen. In manchen Ansätzen bilden Konjunktionen den Kopf einer Phrase wie [Hänsel und Gretel] wie in (108) (vergleiche Zoerner 1995). Tatsächlich gibt es gute Gründe für diese Analyse. Für unsere Zwecke ist diese Entscheidung nicht besonders wichtig. Wir gehen hier nach der syntaktischen Verteilung: Die Phrase hat die gleiche Verteilung wie der Kopf der Phrase. Eine Konjunktion aus zwei NPs hat die gleiche Verteilung wie eine einfache NP: (106) Hänsel [und G retel] verliefen sich im Wald. (107) Die Kinder v erliefen sich im Wald. Daher gehen wir hier davon aus, dass der Kopf einer Phrase der Form [NP und NP] ein N, der Kopf einer Konjunktion aus Verben (V und V) ein Verb, etc. (108) KonjP (109) ✓ NP N KonjP N KonjP Hänsel Konj N Hänsel Konj N und Gretel und Gretel 20
Kapitel 2 Grundwortstellungen: S, O, und V Unsere erste Frage bezieht sich ja auf die Positionen von Subjekt, Objekt und Verb zueinander. Allerdings sind diese Positionen von einer Reihe von Faktoren abhängig: Im deutschen Fragesatz steht das Verb oder das erfragte Element zu Beginn des Satzes, im deutschen Nebensatz steht das Verb dagegen am Ende. Wir wissen auch noch nicht, wie wir zuverlässig Subjekte und Objekte in unterschiedlichen Sprachen identifizieren können. Damit befassen wir uns in diesem Kapitel. 2.1 Wortstellung: Satzarten 2.1.1 Direktive Direktive sind Satzarten, die eine spezielle syntaktische Form haben und darauf ausgerichtet sind, eine bestimmte Hand- lung oder ein Ereignis zu bewirken oder herbeizuwünschen. Die geläufigste Art von Direktiv ist der Imperativ, der in vielen Sprachen durch ein einfaches, unflektiertes Verb ausgedrückt werden kann. Im deutschen gibt es unterschiedliche Imperativformen je nach Adressat: (110) Schau! (111) Schaut! (112) Schauen Sie! Oft wird das Subjekt eines Imperativs nicht ausgedrückt. Objekte werden aber realisiert, im Deutschen zumeist nach dem Verb: (113) Iss den Kuchen! Das negative Gegenstück zum Imperativ ist der Prohibitiv Fass das nicht an! Verwandte Satztypen sind Optative und Hortative, die nicht immer klar voneinander unterschieden werden. Darunter fallen die folgenden Strukturen: (114) Er lebe hoch! (115) Möge die Kraft mit dir sein! (116) Hätte ich doch die Tür abgeschlossen! Übung 16 Finden Sie einen geläufigen Kontext für Formen wie in (114). 2.1.2 Unabhängige Deklarativsätze In dieser Einführung fokussieren wir uns auf unabhängige Deklarativsätze. Sie sind die Grundbausteine für die mono- logischen, erzählenden oder beschreibenden Texte, die unsere verschriftete Welt prägen. Deklarativsätze (auch: Aussa- gesätze) zeichnen sich dadurch aus, dass sie wahr oder falsch sein können. Wir können darauf reagieren mit Aussagen wie das stimmt (nicht). In unabhängigen Deklarativsätzen des Deutschen steht das Verb in der Regel an zweiter Stelle, nach einem initialen Argument oder Adverbial: 21
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