Empathie hilft deutschen Führungskräften beim Überwinden alter Strukturen

Die Seite wird erstellt Gerd Kolb
 
WEITER LESEN
Empathie hilft deutschen Führungskräften beim Überwinden alter Strukturen
Ein Artikel der Economist Intelligence Unit

                             Empathie hilft deutschen Führungskräften
                             beim Überwinden alter Strukturen
                             Die Auswirkung der digitalen Disruption erfordert, dass ein
                             funktionsübergreifendes Verständnis sich zu einer der essenziellen
                             Führungsqualitäten herausbildet
                             Der digitale Wandel steht spätestens seit 2011 weit oben auf Deutschlands wirtschaftlicher
                             Agenda, als die Regierung die Initiative „Industrie 4.0” ins Leben rief, um den berühmten
                             Produktionsstandort Deutschland zu revolutionieren.
                             Daher ist es nicht überraschend, dass Disruption den deutschen Firmen bereits ein Begriff ist.
                             In einer Umfrage der Economist Intelligence Unit unter westeuropäischen Führungskräften
                             und Managern lag die Wahrscheinlichkeit, in den letzten drei Jahren eine „extreme” oder
                             „wesentliche” digitale Disruption erlebt zu haben, bei den deutschen Teilnehmern am
                             höchsten. Bei ihnen liegt die Wahrscheinlichkeit ebenso am höchsten, dass sie auch in den
                             nächsten drei Jahren solche Disruptionen erleben werden.
                             Zum Glück sind sie gut darauf vorbereitet. Beinahe sieben von zehn Befragten (69 %) geben
                             an, dass ihr Unternehmen gut darauf reagiert hat. Unter dem Strich hat die Vielfalt an Rollen
                             und Kompetenzen aufgrund der digitalen Disruption in mehr Organisationen der Befragten
                             zugenommen (55 %), als dass dadurch Tätigkeitsbereiche weggefallen sind (52 %).
In Auftrag gegeben von:
                             Sylvia Neubauer kennt die Auswirkung der digitalen Disruption auf die deutsche Industrie aus
                             eigener Erfahrung. Sie war schon in der Luftfahrtbranche, der Telekommunikationsbranche
                             und im E-Commerce tätig – alles Branchen, die in hohem Maße durch Internet,
                             Mobiltechnologie und sich verändernde Kundenanforderungen beeinträchtigt sind. Jetzt ist
                             sie Vizepräsidentin für Customer Experience, Data & Analytics bei BMW.

1                            © The Economist Intelligence Unit Limited 2018
Empathie hilft deutschen Führungskräften beim Überwinden alter Strukturen

    Der Autohersteller blieb länger als viele anderen Unternehmen von den
    weitreichenden Auswirkungen der Disruption verschont, erklärt Neubauer.
    „Branchen mit ausgeprägtem Wettbewerb und geringer Produktdifferenzierung
    bekamen die digitale Disruption früh zu spüren. Die BMW Group bewegt sich zwar
    in einem Umfeld mit großem Wettbewerb, führt aber sehr emotionale Produkte.
    Daher kam der Anstoß für eine Veränderung erst einige Jahre später.”
    Mittlerweile ist die Disruption der Automobilbranche jedoch in vollem Gange. Bis vor
    Kurzem hatten Autokäufer in erster Linie Kontakt mit ihren Händlern und dem
    Kundenservice. Doch mittels digitaler Kanäle wie Internet, Smartphones und vermehrt
    auch über die Autos selbst, stehen die Hersteller heute in unmittelbarem Kontakt zu
    ihren Kunden. Gleichzeitig verändert sich die Einstellung zum eigenen Auto durch
    digitale Transportdienstleistungen, wie z. B. Carsharing-Apps.
    „Wir fokussieren uns nicht mehr auf nur ein Produkt, wie z. B. das eigene Auto. Die
    Digitalisierung ermöglicht es uns, [unsere Dienstleistungen] zum richtigen Zeitpunkt
    an den richtigen Kunden und über den richtigen Kanal zu positionieren, zu
    bündeln und zu vermarkten”, sagt Frau Neubauer.
    Somit bewegt sich die Branche weg von einem einheitlichen Kundenerlebnis und
    hin zur Massen-Individualisierung. In Zukunft, so Frau Neubauer, könnten Kunden
    während einer langen Fahrt auf der Autobahn ein kurzfristiges Power-Upgrade für
    Ihr Hybrid- oder Elektroauto benötigen, um ihr Ziel zu erreichen.

    Disruption der Prioritäten
    Branchenveränderungen wie diese zwingen Unternehmen dazu, sich
    weiterzuentwickeln. Sie machen eine Überarbeitung der bisherigen Prioritäten
    erforderlich: Unter den deutschen Teilnehmern hat die digitale Disruption
    Unternehmen dazu geführt, die Optimierung ihrer technischen Infrastruktur zu
    priorisieren (41 %), die Kundenzufriedenheit zu verbessern (36 %) und in neue Märkte
    zu expandieren (36 %, siehe Diagramm eins).
    Ebenso ist ein Umdenken bei den Arbeitsmethoden erforderlich. In vielen Fällen
    bedeutet dies, das traditionelle Silo-Denken in den Unternehmen hinter sich zu lassen
    und bereichsübergreifend zu arbeiten, da die digitale Innovation eine
    funktionsübergreifende Zusammenarbeit erforderlich macht. Knapp drei viertel der
    deutschen Befragten (74 %) berichten, dass sich ihre Rolle aufgrund der digitalen
    Disruption mit den Funktionen anderer Führungskräfte immer mehr vermischt.
    Um eine Zukunftsvision der Autonutzung zu verwirklichen, hat BMW eine neue
    Organisationsstruktur eingeführt, die die Zusammenarbeit zwischen den
    Geschäftsbereichen fördert. Gruppen von Bereichsleitern legen zusammen mit
    ihren Teams die Prioritäten fest und arbeiten gemeinsam an neuen Lösungen.
    In einem so etablierten Unternehmen wie BMW ist es keine leichte Aufgabe, die
    bestehende Organisationsstruktur umzubauen. „BMW ist seit 100 Jahren ein
    erfolgreiches Unternehmen. Obwohl uns dies ein großartiges Fundament bietet,
    ist es auch wichtig, Hürden zu überwinden, wie z. B. veraltete IT-Systeme und Silo-
    Denken”, räumt Neubauer ein.

2   © The Economist Intelligence Unit Limited 2018
Empathie hilft deutschen Führungskräften beim Überwinden alter Strukturen

    Diagramm eins:
    Welche der folgenden Prioritäten und Ziele sind für Ihr Unternehmen in den
    letzten drei Jahren infolge der digitalen Disruption wichtiger geworden?
    % der deutschen Befragten

       Optimierung unserer technischen Infrastruktur                                                                         41 %

                Steigerung der Kundenzufriedenheit                                                                    36 %

                          Expansion in neue Märkte                                                                    36 %

                         Wachstum des Marktanteils                                                             32 %

          Innovation des Produkts/der Dienstleistung                                                         31 %

            Innovation der internen Abläufe und der
                                                                                                            30 %
                                  Geschäftsprozesse

     Veränderung der Funktionsweise des Unternehmens                                                    29 %

                                         Kostensenkung                                               27 %

                 Restrukturierung des Unternehmens                         10 %
                                                                                                Quelle: The Economist Intelligence Unit

                                Um dies zu erreichen, fördert das Unternehmen ausdrücklich zunehmende Transparenz
                                und Verständnis zwischen den Geschäftsbereichen. Es gibt ein unternehmensweites
                                Kulturprogramm, das unter anderem Weiterbildungen und Workshops zum Thema
                                Offenheit und Wertschätzung gegenüber den anderen Geschäftsbereichen umfasst.
                                Jetzt teilen die Teams eigene Zielvorgaben und Scorecards mit ihren Kollegen, um so
                                die Zusammenarbeit zu fördern. „Wenn man wirklich versteht, was die Kollegen antreibt,
                                ist es auch einfacher zu verstehen, warum sie sich auf bestimmte Themen konzentrieren”,
                                sagt Neubauer. „Wenn wir auf dieselben Ziele hinarbeiten, können wir widersprüchliche
                                Zielvorgaben vermeiden.”
                                Das Unternehmen nutzt außerdem Big Data und das Feedback der Kunden, um das
                                Veränderungsmanagement zu steuern. Jeder Fachbereich auf jeder Ebene hat
                                Zugang zum originalen Feedback der Kunden. Neubauer gibt zu, dass Kritik
                                manchmal schmerzhaft sein kann, sie aber auch unerlässlich ist, um zu gewährleisten,
                                dass der Fokus auf die Bedürfnisse der Kunden gerichtet bleibt.
                                Nun, da die Unternehmen auf die digitale Disruption reagieren, entwickelt sich die
                                Fähigkeit, ein funktionsübergreifendes Verständnis und Zusammenarbeit zu stärken
                                als eine entscheidende Kompetenz für Führungskräfte. Bei der Frage danach, welche
                                Führungsqualitäten in Zukunft einen höheren Stellenwert haben werden, sind
                                Empathie (70 %) und Transparenz (69 %) unter den häufigsten Antworten der
                                deutschen Befragten (siehe Diagramm zwei). Diese Qualitäten haben einen höheren
                                Stellenwert als Veränderungsmanagement (61 %) und Technologiestrategie (62 %).
                                Im Zuge der digitalen Disruption verändert sich zusammen mit den Unternehmen
                                auch das Bild der idealen Führungskraft.
3                               © The Economist Intelligence Unit Limited 2018
Empathie hilft deutschen Führungskräften beim Überwinden alter Strukturen

    Diagramm zwei:
    Wie werden sich die folgenden Führungsqualitäten in den nächsten drei
    Jahren infolge der digitalen Disruption verändern?
    % der deutschen Befragten, die angeben, dass diese „wesentlich” oder „etwas” wichtiger werden

              Fähigkeit zur Motivation der Mitarbeiter                                                               80 %

                                       Datenanalyse                                                           73 %

                                           Innovation                                                       72 %

                                             Empathie                                                       70 %

                                          Transparenz                                                     69 %

                                           Delegieren                                                     69 %

                            Umgang mit Druck/Stress                                                      68 %

                                  Interne Vernetzung                                                    67 %

              Funktionsübergreifendes Management                                                       66 %

                                            Kreativität                                                65 %

                                      Kommunikation                                                  64 %

                                Technologiestrategie                                                62 %

                  Programm-/Portfolio-Management                                                    62 %

                         Veränderungsmanagement                                                    61 %

                     Aufbau eines öffentlichen Profils                                          57 %

                                                                                            Quelle: The Economist Intelligence Unit

4                            © The Economist Intelligence Unit Limited 2018
Empathie hilft deutschen Führungskräften beim Überwinden alter Strukturen

    Der Weg zur Kompetenzentwicklung
    Zum Glück sind deutsche Führungskräfte relativ selbstbewusst was diese neuen
    Führungsqualitäten anbelangt: 61 % sind entweder „sicher” oder „sehr sicher”
    bezüglich ihres Empathievermögens, 66 % sagen das Gleiche über ihre Fähigkeit,
    Transparenz zu fördern. In beiden Bereichen platzieren sich die deutschen
    Befragten dadurch vor ihren Kollegen in Frankreich und den Niederlanden, doch
    führend im Bereich Transparenz ist Großbritannien.
    Trotz dieses Selbstbewusstseins wird die sich ändernde Rolle der Führungskräfte
    mit Sicherheit von vielen ein Umdenken erfordern. Doch die deutschen Teilnehmer
    glauben mit geringster Wahrscheinlichkeit „wesentlich” oder „extrem” daran,
    dass in ihrer derzeitigen Rolle und in ihrem Unternehmen die Möglichkeit geboten
    wird, die durch die digitale Disruption erforderlich gewordenen Führungsqualitäten
    zu entwickeln.
    Obwohl 40 % glauben, dass interne Weiterbildung die wichtigste Quelle für die
    Entwicklung neuer Führungsqualitäten sind, benennen fast genauso viele
    Führungserfahrung in anderen Geschäftsbereichen (38 %) und anderen Branchen
    (38 %) als essenziell für ihr berufliches Vorankommen.
    Dennoch sind sie loyal: Fast drei Viertel der deutschen Befragten (74 %) sind der
    Ansicht, dass es zumindest wahrscheinlich ist, dass sie in Zukunft eine Führungsrolle
    in einem anderen Geschäftsbereich ihres Unternehmens übernehmen werden,
    aber nur 40 % sagen dasselbe bei einem Wechsel in ein anderes Unternehmen –
    weniger, als in allen anderen an der Studie teilnehmenden Ländern. Das deutet
    darauf hin, dass die deutschen Führungskräfte sich zwar in ihrer jetzigen Rolle
    eingeschränkt fühlen könnten, aber trotzdem relativ zufrieden mit den
    Entwicklungsmöglichkeiten bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber sind.
    Da sich das funktionsübergreifende Verständnis zu einer unentbehrlichen
    Führungsqualität entwickelt, könnte der Funktionswechsel innerhalb des
    Unternehmens eine immer clevere Karrierestrategie werden, sowohl in
    Deutschland als auch in anderen Ländern.

5   © The Economist Intelligence Unit Limited 2018
Sie können auch lesen