Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301) - Königsteiner Empfehlung-Update 2020 - DGUV Publikationen

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Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301) - Königsteiner Empfehlung-Update 2020 - DGUV Publikationen
Empfehlung für die Begutachtung
der Lärmschwerhörigkeit
(BK-Nr. 2301)
– Königsteiner Empfehlung –
Update 2020
kommmitmensch ist die bundesweite Kampagne der gesetzlichen Unfallversicherung
in Deutschland. Sie will Unternehmen und Bildungseinrichtungen dabei unterstützen,
eine Präventionskultur zu entwickeln, in der Sicherheit und Gesundheit Grundlage
allen Handelns sind. Weitere Informationen unter www.kommmitmensch.de

Impressum

Herausgegeben von:
Deutsche Gesetzliche
Unfallversicherung e.V. (DGUV)

Glinkastraße 40
10117 Berlin
Telefon: 030 13001-0 (Zentrale)
Fax: 030 13001-9876
E-Mail: info@dguv.de
Internet: www.dguv.de

Redaktion: Dr. Ulrike Wolf, Stefanie Palfner

Ausgabe: Oktober 2020

zu beziehen unter
www.dguv.de/publikationen Webcode: p010846

Bildnachweis
Umschlagfoto: ©peterschreiber.media – stock.adobe.com
Empfehlung für die Begutachtung
der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301)
– Königsteiner Empfehlung –
Update 2020
Kurzfassung
Empfehlung für die Begutachtung
der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301)

Auch diese überarbeitete Auflage der          Die Auswertung der Befunde und eine
Empfehlung für die Begutachtung der           sich daraus ergebende Kausalität der
beruflichen Lärmschwerhörigkeit               beruflichen Tätigkeit für die Lärm-
­(BK-Nr. 2301) hat den Anspruch, den          schwerhörigkeit sind die Voraussetzung
 aktuellen medizinischen Erkenntnis-          für die sich anschließende MdE-Ein-
 stand zusammenzufassen und die in der        schätzung auf Grundlage der bekannten
 Vergangenheit herausgearbeiteten all-        und bewährten, aber jetzt zum Teil
 gemeinen Erfahrungssätze zur MdE-Ein-       ­modifizierten Tabellen der Fachliteratur
 schätzung wiederzugeben.                     nach Boenninghaus/Röser, Brusis/
                                              Mehrtens, Feldmann und Röser. Um die
Die vorliegende Empfehlung ist in fünf        Bewertung der arbeitsbedingten
Kapitel gegliedert. Nach der Einführung       Schwerhörigkeit der Bedeutung des
finden sich in Kapitel 2 allgemeine Infor-    Gehörs in der Arbeitswelt weiter anzu-
mationen zu rechtlichen Grundlagen zur        passen, wurden die Tabellen zur Berech-
Lärmschwerhörigkeit wie z. B. Ursachen-       nung des prozentualen Hörverlustes aus
zusammenhang und Beweisanforderung.           dem Sprachaudiogramm sowie aus dem
                                              Tonaudiogramm überarbeitet.
In der Begutachtungspraxis besonders
relevant sind Kapitel 3 „Diagnostik“ und
Kapitel 4 „Auswertung“. Hier werden die
obligatorischen Verfahren und ihre
­Besonderheiten für die BK-Nr. 2301 wie
 ausführliche Anamnese differenziert
 nach Freizeit und Beruf, Unter­suchung,
 Tonschwellenaudiometrie, Tympano­
 metrie, Sprachaudiometrie und Gleich-
 gewichtsprüfung erläutert. Hervor­zu­
 heben sind dabei die Differenzial­
 diagnostik mit DPOAE und TEOAE
 und ggf. eine erforderliche Tinnitus­
 diagnostik.
Inhaltsverzeichnis

                                                                                                                                                                   Seite

Vorwort zur sechsten Auflage..............................................................................................................                               7

1             Ziele..................................................................................................................................................   9

2             Grundlagen...................................................................................................................................             10
2.1           Rechtlicher Rahmen.................................................................................................................                       10
2.2           Medizinisches Bild...................................................................................................................                     11
2.3           Exposition......................................................................................................................................          12
2.4           Ursachenzusammenhang.....................................................................................................                                 14
2.5           Beweisanforderungen.............................................................................................................                          15
2.6           Zusammenarbeit von ­Gutachterin bzw. ­Gutachter
              und Unfallversiche­rungsträger...........................................................................................                                 16
2.7           Definition der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).........................................                                                              17

3             Diagnostik (Allgemeines).....................................................................................................                             19
3.1           Anamnese.....................................................................................................................................             19
3.2           HNO-ärztliche ­Untersuchung..............................................................................................                                 21
3.3           Tonschwellenaudiometrie....................................................................................................                               21
3.4           Tympanometrie...........................................................................................................................                  22
3.5           Differenzialdiagnostik............................................................................................................                        22
3.6           Tinnitusdiagnostik....................................................................................................................                    23
3.7           Sprachaudiometrie...................................................................................................................                      24
3.8           Gleichgewichtsprüfung..........................................................................................................                           25
3.9           Ergänzende Untersuchungen..............................................................................................                                   25

4             Auswertung..................................................................................................................................              26
4.1           Plausibilität der Befunde.......................................................................................................                          26
4.2           Diskussion des Ursachenzusammenhangs................................................................                                                      27
4.3           Berechnung des prozentualen Hörverlustes..............................................................                                                    29
4.3.1         Berechnung des prozentualen Hörverlustes
              aus dem Sprachaudiogramm..............................................................................................                                    30
4.3.2         Berechnung des prozentualen Hörverlustes
              aus dem Tonaudiogramm.....................................................................................................                                32
Inhaltsverzeichnis

                                                                                                                                                         Seite

4.4           Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)..................................                                                         32
4.4.1         Ermittlung der MdE aus dem prozentualen Hörverlust.........................................                                                     35
4.4.2         Vor- und Nachschäden...........................................................................................................                 35
4.4.3         MdE-Staffelung...........................................................................................................................       39
4.4.4         Begleit-Tinnitus...........................................................................................................................     39
4.5           Empfehlungen.............................................................................................................................       40
4.5.1         Maßnahmen der ­Individualprävention..........................................................................                                   41
4.5.2         Nachbegutachtungen..............................................................................................................                41
4.5.3         Hörgeräteversorgung...............................................................................................................              41

5             Literatur.......................................................................................................................................... 43
5.1           In der Königsteiner Empfehlung aufgeführte Literatur.......................................... 43
5.2           Weiterführende Literatur....................................................................................................... 47

Anlage 1:
Mitwirkende bei der Überarbeitung der Königsteiner Empfehlung.................................. 49

Anlage 2:
Abkürzungsverzeichnis............................................................................................................................ 50
Vorwort
zur sechsten Auflage

Die Empfehlung für die Begutachtung           Dementsprechend waren an der Über-
der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301)         arbeitung in einem interdisziplinären
– kurz auch Königsteiner Empfehlung           Arbeitskreis beteiligt: der Deutsche
genannt – stellt seit über 40 Jahren eine   ­Berufsverband der Hals-Nasen-Ohren-
Grundlage für eine gleiche und gerechte       ärzte e.V. (BV HNO), die Deutsche
Bewertung der Lärmschwerhörigkeit            ­Gesellschaft für Arbeitsmedizin und
sowie der daraus resultierenden Min­          Umweltmedizin (DGAUM), die Deutsche
derung der Erwerbsfähigkeit (MdE) dar.        Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heil-
Nach der Rechtsprechung repräsentie-          kunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V.
ren Begutachtungsempfehlungen den             (DGHNOKHC), die Vereinigung Deut-
aktuellen wissenschaft­lichen Erkennt-        scher Staatlicher Gewerbeärzte (VDSG),
nisstand.                                     der Verband Deutscher Betriebs- und
                                              Werksärzte (VDBW), die Bundesanstalt
Die Königsteiner Empfehlung (damals           für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
noch „Königsteiner Merkblatt“) wurde          (BAuA), die Sozialversicherung für Land-
erstmals im Jahr 1974 von führenden           wirtschaft, Forsten und Gartenbau
deutschen Audiologen in Zusammen-             (SVLFG) sowie die DGUV und ihre Insti-
arbeit mit dem ehemaligen Institut für        tute und Kliniken. Dabei haben die Vor-
Lärmbekämpfung erarbeitet. Seither            stände der medizinisch-wissenschaft­
wurde diese ­Begutachtungsempfehlung          lichen Fachgesellschaften benannte Ver-
regelmäßig aktualisiert.                      treter entsandt. Als wissenschaft­lichen
                                              Leiter hat der Arbeitskreis aus ­seiner
Auch bei der jetzt fünften Überarbeitung      Mitte heraus Herrn Professor Dr. med.
wurden die „Grundsätze der DGUV für           Tilman Brusis gewählt; zur ­personellen
Empfehlungen zur Begutachtung bei             Zusammensetzung des Arbeitskreises
Berufskrankheiten“ zugrunde gelegt            vgl. Anlage 1 auf Seite 49.
(Brandenburg et al., 2009). Diese
Grundsätze stellen eine Selbstverpflich-    Die überarbeitete Auflage orientiert sich
tung zur Erstellung von Begutachtungs-      am aktuellen medizinisch-wissenschaft­
empfehlungen dar.                           lichen Erkenntnisstand und berücksich-
                                            tigt den aktuellen Stand der Rechtspre-
                                            chung.

                                                                                     7
Vorwort

Bereits bei der letzten Überarbeitung       fundiert darüber diskutiert werden, wie
war sich der Arbeitskreis einig, dass die   Audiometrieverfahren mit Störgeräu-
Bewertung der arbeitsbedingten              schen eingesetzt werden können.
Schwerhörigkeit künftig der Bedeutung
des Gehörs in der Arbeitswelt weiter        Die Bedeutung der Kombinationswir-
angepasst werden muss; dies gilt ins­       kung von Lärm mit ototoxischen Arbeits-
besondere für die beginnende Schwer-        stoffen ist auch in Zukunft weiter zu
hörigkeit. Daher wurden nun die Hörver-     beobachten.
lust-Tabellen (Tabelle 1 und 2) geändert.
Dadurch fällt die Bewertung des prozen-     Die überarbeitete und aktualisierte
tualen Hörverlustes bei der beginnen-       ­ önigsteiner Empfehlung wurde in einer
                                            K
den bis geringgradigen Lärmschwer­          für die Fachöffentlichkeit offenen Ver­
hörigkeit künftig in den meisten Fällen     anstaltung am 26. Juni 2019 in Berlin
etwas höher aus. Durch die Modifika-        präsentiert und diskutiert. Änderungs-
tion der Tabelle 1 ist die Berechnung des   vorschläge, die sich aus der Diskussion
gewichteten Gesamtwortverstehens            ergeben haben, wurden im Arbeitskreis
nicht mehr erforderlich.                    Königsteiner Empfehlungen diskutiert
                                            und zum Teil eingearbeitet.
Die mit einer Innenohrschwerhörigkeit
verbundenen Einschränkungen des             Abschließend haben die Vorstände bzw.
Sprachverstehens fallen in realen Umge-     Gremien der Fachgesellschaften und
bungsbedingungen mit Hintergrundge-         beteiligten Institutionen sowie die
räuschen oft stärker ins Gewicht als dies   zuständigen Gremien der DGUV und
mit den derzeit in der Begutachtung         der SVLFG der Neufassung der „König-
eingesetzten A­ udiometrie-Test­verfahren   steiner Empfehlung“ zugestimmt.
in Ruhe festgestellt werden kann. Die
Forderung nach einer zusätzlichen           Wir danken allen Beteiligten für die
Beurteilung des Hörver­mögens bei Stör-     konstruktive Zusammenarbeit bei dieser
geräuschen ist daher grundsätzlich          wichtigen Aufgabe.
nachvollziehbar. Der Arbeitskreis war
mehrheitlich der Auffassung, dass für
den Einsatz von Audiometrieverfahren
mit Störgeräuschen zur lebens­nahen
Beurteilung der funktionalen Auswir-
kung noch Forschungsbedarf besteht.
Wenn für die Begutachtung der Lärm-
schwerhörigkeit validierte Forschungs-
ergebnisse vorliegen, sollte zukünftig

8
1       Ziele

Diese Begutachtungsempfehlung richtet        Die erforderlichen Untersuchungs­
sich in erster Linie an ärztliche Sachver-   methoden gelten dabei als Gutachten-
ständige (im Folgenden: Gutachterinnen       standard. In Verbindung mit den nach-
und Gutachter), die das Vorliegen einer      vollziehbaren MdE-Vorschlägen wird die
Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301 der         erforderliche Schlüssigkeitsprüfung der
Anlage 1 der BKV), also das Vorliegen        Gutachten für die Unfallversicherungs-
eines lärmtypischen Krankheitsbildes         träger und die Sozialgerichtsbarkeit
und des ursächlichen Zusammenhanges          erheblich leichter. Hiermit wird aber
mit der beruflichen Tätigkeit prüfen und     auch mehr Transparenz für die betroffe-
eine Aussage über die durch den lärm-        nen Versicherten erreicht. Mit dem
bedingten Gehörschaden bedingte Min-         erläuterten Verfahren werden eine weit­
derung der Erwerbsfähigkeit (MdE) tref-      gehende Gleichheit in der Bemessung
fen müssen. Die für die Begutachtung         des lärmverursachten Hörverlustes und
erforderlichen Untersuchungen sind           eine möglichst objektive Beurteilung
nach den Standards der Fachgesell-           angestrebt.
schaften durchzuführen.

Die in der Empfehlung enthaltenen
­Tabellen und Übersichten zur Einschät-
   zung der MdE sind allgemeine Anhalts-
   punkte und eröffnen der Gutachterin
   bzw. dem Gutachter einen Beurteilungs-
   spielraum für die Einschätzung des
 ­Einzelfalles. Sie dürfen deshalb nicht
  schematisch für die Ermittlung der indi-
  viduellen MdE angewandt werden. Für
  den Vorschlag zur Höhe der MdE ist ent-
  scheidend, in welchem Umfang der
  ­versicherten Person der allgemeine
   Arbeitsmarkt mit seinen vielfältigen
   Erwerbsmöglichkeiten verschlossen ist.
   Der Funktionsverlust ist in Form des
   prozentualen Hörverlustes anzugeben,
   mit dessen Hilfe dann der MdE-Vor-
   schlag entwickelt werden kann.

                                                                                   9
2       Grundlagen

Im Berufskrankheiten-(BK-)Verfahren         mit der Berufskrankheiten-Verordnung
unterstützt die Gutachterin als unabhän-    (BKV) ist die rechtliche Grundlage für die
gige Sachverständige bzw. der Gutach-       Anerkennung und Entschädigung von
ter als unabhängiger Sachverständiger       Erkrankungen als Berufskrankheit. In
die Unfallversicherungsträger bei der       der Anlage 1 der BKV wird unter der
Klärung des medizinischen Sachver-          Nummer 2301 die Lärmschwerhörigkeit
halts. Dabei prüft sie bzw. er, ob die in   aufgeführt.
der BK-Liste bezeichnete Erkrankung
vorliegt und welche Gesundheitsstörun-      Bereits mit der Aufnahme der Lärm-
gen der Berufskrankheit zuzuordnen          schwerhörigkeit in die Liste der Berufs-
sind. Für die rechtliche Beurteilung und    krankheiten ist festgeschrieben worden,
abschließende Entscheidung, ob im           dass eine arbeitsbedingte Lärmeinwir-
Einzelfall eine Berufskrankheit anzu-       kung grundsätzlich geeignet ist, eine
erkennen ist sowie ob und ggf. in wel-      entsprechende Schwerhörigkeit zu ver-
chem Umfang ein Leistungsanspruch           ursachen. Die BK-Nr. 2301 bezeichnet
besteht, ist der Unfallversicherungs­       die durch Lärm (Hörschall, ­ausgewertet
träger zuständig.                           als Dauerschallpegel) am Arbeitsplatz
                                            hervorgerufene Schwerhörigkeit (Beein-
Allgemeine Ausführungen zur Stellung        trächtigung des Hörvermögens). Eine
der Gutachterin bzw. des Gutachters         davon abgrenzbare Gehörschädigung
sowie zur Begutachtung sind den „Emp-       durch ein einmaliges Lärmereignis (z. B.
fehlungen der Unfallversicherungsträger     Knalltrauma) ist als Arbeitsunfall zu
zur Begutachtung bei Berufskrankhei-        bezeichnen (BSG-Urteil vom 12. April
ten“ (HVBG, 2004) zu entnehmen, die         2005, B 2 U 6/04 R).
von den Spitzenverbänden der Unfall-
versicherungsträger in Abstimmung mit       Der Versicherungsfall einer Berufskrank-
der Bundesärztekammer und zahlrei-          heit liegt vor, wenn kumulativ folgende
chen wissenschaftlichen Fachgesell-         Voraussetzungen gegeben sind:
schaften erarbeitet wurden.
                                            •   eine Krankheit im medizinischen
                                                Sinn (regelwidriger Körperzustand),
2.1     Rechtlicher Rahmen                      siehe 2.2

Der § 9 des siebten Buches des Sozial-      •   zur Verursachung der Krankheit
gesetzbuches (SGB VII) in Verbindung            ­geeignete, dem BK-Tatbestand ent-

10
Grundlagen

     sprechende Einwirkungen aus der             Eine Lärmschwerhörigkeit ist in der
     ver­sicherten Tätigkeit, siehe 2.3          ­Regel durch die Merkmale Innenohr-
                                                 schwerhörigkeit, Symmetrie und c5-­
•    die Verursachung der Krankheit durch         Senke charakterisiert (siehe auch 4.2,
     diese Einwirkungen, siehe 2.4 und 4.2        ­VDI-Richtlinie 2058 Blatt 2).

  Der Leistungsfall liegt vor, wenn die          Die subjektive Einschränkung der Hör­
  Versorgung mit einer Hörhilfe erforder-        fähigkeit äußert sich bei Betroffenen
  lich ist bzw. wenn aufgrund der MdE            charakteristischerweise durch die nach-
  Anspruch auf eine Rente besteht                lassende Wahrnehmung von hochfre-
  (vgl. 2.7). Dies ist in der Regel bei Errei-   quenten Schallereignissen wie z. B.
chen einer MdE von 20 % – in der land-           ­Vogelzwitschern, Läuten der Türklingel
wirtschaftlichen Unfallversicherung,              oder des Telefons und durch Kommuni-
sofern es sich nicht um Beschäftigte in           kationsprobleme bei angehobenem
der Landwirtschaft handelt, abweichend            Hintergrundpegel wie z. B. bei Gesprä-
bei einer MdE von 30 % – der Fall.               chen mit mehreren Personen, bei
Besteht aus Schäden im Sinne des § 56             ­Besprechungen, bei Familienfeiern, bei
Abs. 1 Satz 2 SGB VII schon eine stüt-             Gaststättenbesuchen, in Verkaufsräu-
zende MdE, wird der Leistungsfall mit              men oder bei Lautsprecherdurchsagen.
Rentenanspruch durch die Lärm­schwer­              Das lauter stellen des Fernsehers kann
hörigkeit schon bei einer MdE von 10 %             ein Anzeichen für eine Schwerhörigkeit
erreicht (vgl. 2.7). Ein Leistungsfall liegt       sein.
ebenfalls vor, wenn ein lärmbedingter
Tinnitus einer ­Behand-                          Nach der höchstrichterlichen Rechtspre-
­­lung bedarf.                                   chung1) erfüllt jede Einschränkung des
                                                 Hörvermögens die medizinischen Vor-
                                                 aussetzungen des BK-Tatbestandes. Es
2.2        Medizinisches Bild                    ist hierunter jede von einer altersent-
                                                 sprechenden individuellen Normal­
Eine chronische Lärmeinwirkung kann              hörigkeit abweichende Hörminderung
dosisabhängig die Haarzellen des                 mit den Charakteristika eines lärmbe-
­Innenohres durch metabolische Über-             dingten Gehörschadens zu verstehen.
 forderung schädigen.

1)   BSG, 2 RU 54/88 vom 27. Juli 1989

                                                                                           11
Grundlagen

Das amtliche Merkblatt des BMAS zur                gegeben sind und die versicherte Per-
BK-Nr. 2301 (2008) benennt allgemein               son weiter im Lärm tätig ist.
Kriterien zur Erstattung einer ärztlichen
Anzeige.                                           Auch eine Gehörschädigung, die auf ein
                                                   einmaliges Lärmereignis im Sinne von
Ein BK-Verdacht und somit die Erstat-              Knalltraumen oder anderen Schallereig-
tung einer ärztlichen Anzeige ist auf              nissen hoher Intensität zurückgeführt
jeden Fall dann begründet, wenn die                wird, ist anzuzeigen. Der Unfallversiche-
versicherte Person                                 rungsträger wird dann ggf. zunächst prü-
                                                   fen, ob es sich unter versicherungsrecht-
•    eine Reihe von Jahren unter gehör­            lichen Aspekten um einen Arbeitsunfall
     gefährdenden Lärmbedingungen tätig            oder um eine Berufskrankheit handelt.
     war und

•    die Hörfunktionsstörung dem Bild              2.3      Exposition
     einer lärmbedingten Schwerhörigkeit
     (Innenohrschwerhörigkeit, Symmetrie,          Relevant ist die Einwirkung von Lärm in
     c5-Senke) entspricht und                      Zusammenhang mit einer versicherten
                                                   Tätigkeit.
•    nach dem Tonaudiogramm die Voraus-
     setzungen für eine Hörgerätever­              In Anlehnung an das amtliche Merkblatt
     sorgung nach der HilfsM-RL gegeben            zur BK-Nr. 2301 kann sich eine Lärm-
     sind (siehe 4.5.3).                           schwerhörigkeit in der Regel nach mehr-
                                                   jähriger Exposition bei einem Tages-
Darüber hinaus ist die Anzeige auch zu             Lärmexpositionspegel2) (LEX,8h), der den
erstatten, wenn die Voraussetzungen für            Wert von 85 dB (A) erreicht oder über-
eine Hörgeräteversorgung noch nicht                schreitet, entwickeln.

2)   LEX,8h und LpC,peak werden nach der LärmVibrationsArbSchV bzw. TRLV Lärm, Teil 1 (Techni-
     sche Regel zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung), im Rahmen der Gefähr-
     dungsbeurteilung ermittelt und dokumentiert. Zu geeigneten Messverfahren verweist
     Teil 2 dieser TRLV auf die DIN EN ISO 9612. Der LEX,8h nach LärmVibrationsArbSchV bzw.
     TRLV Lärm enthält in keinem Fall Zuschläge. Die Auslösewerte (LEX,8h = 80 dB[A] bzw.
     85 dB[A] oder LpC,peak = 135 dB[C] bzw. 137 dB[C] nach LärmVibrationsArbSchV) stellen
     Werte dar, ab denen Präventionsmaßnahmen durchzuführen sind. Da die Königsteiner
     Empfehlung bei der Angabe des LEX die Genauigkeitsklasse nicht berücksichtigt, kann der
     LEX nach der TRLV Präventionsmaßnahmen auslösen (z.B. Maßnahmen in 4.5.1) obwohl
     die Exposition nicht BK-relevant ist. Werden diese erreicht oder überschritten, folgt daraus
     nicht zwangsläufig, dass eine Schwerhörigkeit arbeitslärmbedingt ist.

12
Grundlagen

Maßgebend für die Beurteilung der                 ggf. die Pegel3) LpC,peak (oder LAImax)
arbeitsbedingten Lärmexposition ist der           angegeben werden.
Tages-Lärmexpositionspegel LEX,8 h.3)
Der Tages- Lärmexpositionspegel (LEX,8 h)         Durch die Berechnung der „Effektiven
  ist der über die Zeit gemittelte äquiva-        Lärmdosis (ELD)“5) nach Liedtke (2010b)
  lente Dauerschallpegel in dB(A) bezo-           wird die Lärmexposition für das gesamte
  gen auf acht Stunden (Maue, 2000;               Arbeitsleben auf den einheitlichen
  Maue, 2009). Er umfasst alle am                 ­Pegel von 90 dB(A) bezogen. Die ELD
  Arbeitsplatz auftretenden Schallereig-           wird zusätzlich zu der tabellarischen
  nisse. Die Tages-Lärmexpositionspegel4)          Übersicht in Lärmjahren angegeben. Sie
  sind als Ergebnisse fachkundiger                 ermöglicht dem Gutachter bzw. der Gut-
­Ermittlungen der Lärmexposition (Lärm-            achterin eine vergleichende Einschät-
VibrationsArbSchV in Verbindung mit                zung bei der Beurteilung der Expo­sition
TRLV „Lärm“) in Bezug auf die Beurtei-             unterschiedlicher Versicherter (weiteres
lung einer BK-Nr. 2301 ohne Berücksich-            siehe Abschnitt 4.2).
tigung von Genauigkeitsklassen anzuge-
ben und zu verwenden. Sie sind in                 Extrem hohe Schalldruckpegel (z. B.
 ­tabellarischen Übersichten chronolo-            Knalle oder Explosionen) können das
  gisch darzustellen. Die Herkunft der            Gehör unmittelbar schädigen. Sofern
  Daten ist anzugeben. Soweit möglich             die versicherte Person solchen Ereignis-
  sollen als Zusatzinformation die Genau-         sen ausgesetzt war, sind die Spitzen-
  igkeitsklasse nach TRLV Lärm, Teil 2            schalldruckpegel LpC,peak (oder die
  „Messung von Lärm“, Kapitel 8 „Mess-            ­maximalen „AI“-bewerteten Schall-
  unsicherheit, Genauigkeitsklassen“ und          druckpegel LAImax) – nach Möglichkeit

3)   Wird die längerfristig typische Lärmexposition anstatt durch den Tages-Lärmexpositions­
     pegel (LEX,8 h) durch den Wochen-Lärmexpositionspegel (LEX,40 h) beschrieben, so ist dieser
     zur Beurteilung heranzuziehen.
4)   Nach LärmVibrationsArbSchV wird der Gehörschutz bei der Ermittlung des LEX nicht
     berücksichtigt.
5)   Die effektive Lärmdosis ergibt sich aus der Anzahl der Belastungstage (pro Jahr), dem
     Lärmexpositionspegel LEX,8 h und der Expositionsdauer in Jahren. Es muss für die Begut-
     achtung die „Effektive Lärmdosis“ (ELD) basierend auf Hörminderungsäquivalenzen nach
     ISO 1999 vom Präventionsdienst des zuständigen Unfallversicherungsträgers berechnet
     vorliegen (Liedtke, 2010b). Als Ergebnis soll die Anzahl der hörminderungsäquivalenten
     Expositionsjahre („Lärmjahre“) angegeben werden. Diese „Lärmjahre“ beziehen sich auf
     eine Expositionshöhe von LEX,8 h = 90 dB(A) (Konvention) und 220 Tage pro Jahr (Liedtke,
     2010b).

                                                                                              13
Grundlagen

mit den Zeitpunkten ihres Auftretens –           2.4     Ursachenzusammenhang
anzugeben. Im amtlichen Merkblatt des
BMAS zur BK-Nr. 2301 (2008) wird an              Anerkannt und ggf. entschädigt werden
verschiedenen Stellen darauf hingewie-           können nur solche Gesundheitsstörun-
sen, dass oberhalb des Wertes von                gen, die wesentlich ursächlich oder teil-
137 dB(C), der in der LärmVibrations-            ursächlich durch die unfallversicherte
ArbSchV als einer der oberen Auslöse-            Tätigkeit verursacht worden sind.
werte für Präventionsmaßnahmen auf-
geführt wird, gesundheitliche Schädi­            Im Sinne des Unfallversicherungsrechts
gungen möglich sind. Eine Grenze für             kann nur kausal sein, was auch im
eine unmittelbare Schädigung wurde im            natur­wissenschaftlichen Sinne als
BK-Merkblatt nicht angegeben. Nach               ­Ursache gelten kann.
den bei Liedtke (2010 a) zusammenge-
fassten Forschungsergebnissen können             Kommen mehrere Ursachen in Betracht
erst einmalige Schallereignisse von              („konkurrierende Kausalität“), so richtet
mehr als 150 dB (Cpeak)6) im Einzelfall          sich die Entscheidung nach der „Theo-
akute Gehörschäden hervorrufen.                  rie der wesentlichen Bedingung“.
                                                 Danach ist eine Ursache für eine
Es gibt bislang keine gesicherten Hin-           ­Gesundheitsstörung nur dann rechts­
weise dafür, dass Vibrationen, Infra-             erheblich, wenn sie – aufgrund ihrer
schall, Ultraschall oder Körperschall an          besonderen Beziehung zu dieser Stö-
Arbeitsplätzen das Gehör allein oder in           rung – wesentlich zu ihrem Eintritt bei-
Kombination mit einer Lärmeinwirkung              getragen hat. Tragen mehrere Ursachen
so schädigen können, dass sie für die             wesentlich zum E ­ intritt eines Ereignis-
Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit              ses bei, so kann e­ s auch mehrere
eine Rolle spielen könnten (Brusis,               rechtserhebliche U ­ rsachen geben.
2017 a; Kusserow, 2016).                          Dabei müssen die Ursa­chen nicht
                                                  „gleichwertig“ oder „annähernd gleich-
                                                  wertig“ sein. Wie gering der Beitrag sein
                                                  darf, um noch als rechtlich wesentliche
                                                  Ursache berücksichtigt zu werden, ist
                                                  nach den gesamten Umständen des
                                                  Einzelfalles zu entscheiden. Hierfür
                                                  sind eine Gegenüberstellung der ­

6)   Dieser Wert entspricht etwa dem in der VDI 2058 Blatt 2 genannten Wert von
     LAImax = 135 dB (Liedtke, 2010 a).

14
Grundlagen

konkurrierenden Kausalfak­to­ren und         rechtlich abzugrenzen. Er hat keinen
eine jeweils differenzierende Bewer-         Einfluss auf die MdE.
tung von Art und Ausmaß ihres Ursa-
chenbeitrags erforderlich.                   Eine Differenzierung (z. B. ein sogenann-
                                             tes MdE-Splitting) darf grundsätzlich nur
                                             dann erfolgen, wenn ein BK-bedingter
Vor- und Nachschäden                         Anteil des Gehörschadens klar und hin-
                                             reichend eindeutig von einem auf eine
Von der Berufskrankheit und ihren            andere Ursache zurückzuführenden
­Folgen sind Vor- und Nachschäden            Schadensanteil abgegrenzt werden
 abzugrenzen.                                kann. Hinweise zur MdE-Bemessung
                                             des Vor- und Nachschadens sind in
Eine vor der ersten arbeitsbedingten         Abschnitt 4.4.2 zu finden.
Lärmexposition bereits gegebene
­Hörminderung ist versicherungsrecht-
lich ein Vorschaden. Auch ein nach           2.5     Beweisanforderungen
 ­Beginn einer arbeitsbedingten Lärm­
  exposition eingetretener lärmunabhän-      Die Tatbestandsmerkmale „versicherte
  giger Hörverlust kann als Vorschaden zu    Person“, „versicherte Tätigkeit“, „schä-
  bewerten sein, wenn er vor dem Ver­        digende Einwirkung“, „Erkrankung“
  sicherungsfall eingetreten ist. Die Gut-   bzw. „Gesundheitsstörung“ sind im
  achterin bzw. der Gutachter hat anzu­      Vollbeweis (mit an Sicherheit grenzen-
  geben, ob und in welchem Ausmaß ein        der Wahrscheinlichkeit) zu belegen:
  solcher organbezogener V ­ orschaden       d. h., es darf kein vernünftiger Zweifel
  nachweislich besteht und wie er sich auf   darüber bestehen, dass diese Tatsachen
  die Minderung der Erwerbsfähigkeit         vorliegen.
  (MdE, siehe Abschnitt 4.4) auswirkt.
                                             Dies ist insbesondere für die Diagnostik
Eine von einer Lärmschwerhörigkeit           der Gesundheitsstörung von ­Bedeutung.
sicher abgrenzbare Hörstörung, die           Liegt nur ein Verdacht vor, muss dieser
nach Eintritt des Versicherungsfalls,        durch weitere Unter­suchungen erhärtet
unabhängig von der Lärmschwerhörig-          werden, ansonsten ist der Verdacht
keit, zu einer weiteren Hörverschlechte-     außer Betracht zu lassen. Liegen
rung führt, ist ein Nachschaden,             schwankende und/oder grenzwertige
genauso wie eine Hörverschlechterung,        Befunde vor, müssen Untersuchungen
die sich zeitlich nach Aufgabe der           – ggf. auch mit zeitlichem Abstand –
gehörschädigenden Tätigkeit einstellt.       wiederholt werden.
Der Nachschaden ist versicherungs-

                                                                                    15
Grundlagen

Für die Bejahung des Ursachenzusam-                2.6         Zusammenarbeit von
menhangs, insbesondere zwischen Ein-                         ­Gutachterin bzw.
wirkung und Gesundheitsstörung,                               ­Gutachter und
genügt die hinreichende Wahrschein-                            Unfallversiche­rungsträger
lichkeit. Dies bedeutet, dass bei Abwä-
gung aller Umstände den für den Zusam-             Der Unfallversicherungsträger formuliert
menhang sprechenden Umständen ein                  den Gutachtenauftrag als Auftraggeber
Übergewicht zukommt. Die Tatsachen,                klar und eindeutig (z. B. Vordruck
auf die sich die Überzeugung gründet,              ­„Gutachten BK 2301 [Lärmschwerhörig-
sind zu benennen.                                  keit]“).

Ein Kausalzusammenhang ist nicht                   Dem Gutachter bzw. der Gutachterin
­bereits dann wahrscheinlich, wenn er              werden alle zur Begutachtung erforderli-
 nicht auszuschließen oder nur möglich             chen Unterlagen zur Verfügung gestellt.
 ist.                                              Dazu gehören insbesondere:

Ist ein Tatbestandsmerkmal nicht                   •   Die Übersicht über alle Beschäfti-
­bewiesen oder ist ein Ursachenzusam-                  gungsverhältnisse
menhang nicht hinreichend wahrschein-
lich zu machen, geht dies nach dem                 •   Die Ergebnisse der Expositionsermitt-
auch im Sozialrecht geltenden Grund-                   lungen mit Angaben zu Dauer und
satz der materiellen Beweislast zulasten               Intensität relevanter Einwirkungen:
der Person, die sich zur Begründung des                Grundsätzlich enthalten diese eine
Entschädigungsanspruchs auf diese                      zusammenfassende Auflistung mit
Tatsachen und Zusammenhänge stützt.                    den Zeiträumen aller Beschäftigungs-
 Fehlt es an Beweisen zur ­Begründung                  verhältnisse. Die Angabe des für den
 des Entschädigungsanspruchs, geht                     jeweiligen Beschäftigungsabschnitt
 dies zulasten der versicherten Person.                repräsentativen Tages-Lärmexposi-
                                                       tionspegels7) (LEX,8 h) sowie die bis
Sind konkurrierende Ursachen nicht                     zum Ende des jeweiligen Beschäfti-
­bewiesen, können diese nicht zur Ableh-               gungsabschnittes erreichte effektive
 nung des Anspruchs herangezogen wer-                  Lärmdosis sind in dieser Auflistung
 den.                                                  regelmäßig für drei Jahrzehnte, frühes-

7)   LEX,8 h und LpC,peak werden nach der LärmVibrationsArbSchV bzw. TRLV Lärm, Teil 1, ermittelt
     und dokumentiert. Zu geeigneten Messverfahren verweist Teil 2 dieser TRLV auf die
     DIN EN ISO 9612.

16
Grundlagen

    tens ab dem Jahr 1990 aufgeführt.        Das Gutachten kann seine Aufgabe als
    Wenn der Gutachter bzw. die Gutach-      Beweisgrundlage nur erfüllen, wenn die
    terin für die Diskussion des Ursachen-   Beurteilung überzeugend begründet ist.
    zusammenhangs dennoch weitere            Für diese Beurteilung kommt es nicht
    Informationen benötigt, sollte er bzw.   auf die allgemeine wissenschaftliche
    sie diese beim Unfallversicherungs­      Auffassung des einzelnen ärztlichen
    träger anfordern.                        Sachverständigen an, sondern auf den
                                             aktuellen medizinischen Erkenntnis-
•   Die Ergebnisse der medizinischen         stand (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006,
    Ermittlungen zur Krankheitsvorge-        B 2 U 1/05 R). Soweit sinnvoll und erfor-
    schichte und alle verfügbaren audio-     derlich, ist der eigene Standpunkt durch
    metrischen Befunde, insbesondere         einschlägige Fachliteratur zu belegen.
    aus der arbeitsmedizinischen Vor-
    sorge
                                             2.7     Definition der Minderung
•   Bei Nachbegutachtungen auch die als              der Erwerbsfähigkeit (MdE)
    Folge der Berufskrankheit anerkann-
    ten und abgelehnten Gesundheits-         Die Minderung der Erwerbsfähigkeit
    schäden und die maßgeblichen Vor-        (MdE) ist in der gesetzlichen Unfallver­
    gutachten                                sicherung der Bewertungsmaßstab für
                                             den Gesundheitsschaden. Als solcher
Die aus Sicht des Gutachters bzw. der        ist er von anderen Maßstäben, z. B. des
Gutachterin entscheidungsrelevanten          Versorgungsrechts (GdB), des sozialen
Angaben sind ebenso wie die bei der          Entschädigungsrechts (GdS) oder privat-
Anamnese erhobenen Angaben der ver-          rechtlicher Versicherungsverhältnisse
sicherten Person in das Gutachten auf-       (Invaliditätsgrad), streng zu unterschei-
zunehmen.                                    den.

Auf für die Beurteilung bedeutsame           Die MdE richtet sich abstrakt nach dem
Abweichungen zur Aktenlage hat der           Umfang der sich aus der Beeinträchti-
Gutachter bzw. die Gutachterin aus-          gung des körperlichen und geistigen
drücklich hinzuweisen. Soweit erforder-      Leistungsvermögens ergebenden ver-
lich begutachtet er bzw. sie die abwei-      minderten Arbeitsmöglichkeiten auf
chenden Sachverhalte alternativ.             dem gesamten Gebiet des Erwerbs­
                                             lebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Der
                                             Anspruch auf eine Rente setzt daher
                                             nicht voraus, dass der BK-bedingte
                                             Gesundheitsschaden für die versicherte

                                                                                    17
Grundlagen

Person zu konkreten wirtschaftlichen        Erfahrungs­sätzen ausgerichtet und
Nachteilen führt. Nicht eine Minderung      dann unter Berücksichtigung der indivi-
des Erwerbseinkommens, sondern die          duellen Gegebenheiten des Einzelfalls
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)        eingeschätzt werden. Die allgemeinen
soll bemessen und ggf. entschädigt          Erfahrungssätze bilden die Grundlage
werden.                                     für eine gleiche und gerechte Bewertung
                                            der MdE in den zahlreichen Parallelfäl-
Rechnerisch ist die individuelle Erwerbs-   len der Praxis. Die vorliegende Begut-
fähigkeit vor dem Eintritt der BK mit       achtungsempfehlung enthält solche
100 % anzusetzen. Diese Größe stellt        allgemeinen Erfahrungssätze.
den Wert dar, auf den das nach Eintritt
der BK verbliebene Ausmaß an Erwerbs-       Eine Entschädigung (Rente) kann nur
fähigkeit bezogen werden muss. Aus der      gewährt werden, wenn die Erwerbsfähig­
Differenz der beiden Werte ergibt sich      keit über die 26. Woche nach dem Ver­
die MdE. Arbeitsmöglichkeiten, die der      sicherungsfall hinaus um wenigstens
versicherten Person wegen ihres             20 % oder infolge mehrerer Arbeitsun-
Gesundheitszustandes bereits vor Ein-        fälle/Berufskrankheiten oder anderer im
tritt der BK verschlossen waren, sind        Gesetz aufgeführter Entschädigungs-
nicht zu berücksichtigen.                   fälle jeweils um mindestens 10 % gemin-
                                             dert ist und die Summe der durch die
Die Festsetzung der MdE ist die Anwen-       einzelnen Unfälle/Berufskrankheiten
dung eines unbestimmten Rechts­             verursachten MdE wenigstens 20 %
begriffs auf einen Einzelfall. Es handelt   ­beträgt (§ 56 Abs. 1 SGB VII, sog. Stütz-
sich damit um die Entscheidung einer        renten).
Rechtsfrage. Für diese Entscheidung
des Unfallversicherungsträgers ist das      In der landwirtschaftlichen Unfallver­
­ärztliche Gutachten eine wesentliche       sicherung gilt abweichend von § 56
 Grundlage. Jedoch sind weder die           SGB VII grundsätzlich eine MdE von
 Unfall­versicherungsträger noch die        wenigstens 30 % (§ 80 a SGB VII). Für
 ­Gerichte an die MdE-Einschätzung der      vorübergehend oder dauerhaft Beschäf-
  Gutachterin bzw. des Gutachters gebun-    tigte (Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeit-
  den.                                      nehmer) in der Landwirtschaft beträgt
                                            die rentenberechtigende MdE, wie allge-
Der Gutachter bzw. die Gutachterin soll     mein in der Unfallversicherung, eben-
die MdE als einen Prozentwert vor­          falls mindestens 20 %.
schlagen. Nach der Rechtsprechung
des ­Bundessozialgerichts (BSG) soll
der Prozent­wert an den allgemeinen

18
3         Diagnostik (Allgemeines)

Gutachten, die für die Träger der gesetz-     •   Die Originale der audiometrischen
lichen Unfallversicherung erstattet wer-          Befunde sind dem Gutachten beizu­
den, müssen den folgenden Gesichts-               fügen. Reinton- und Sprachaudio­
punkten Rechnung tragen:                          meter sind jährlich zu warten und
                                                  zu kalibrieren (messtechnische
•   Bei der Einbestellung zur gutacht­            ­Kontrolle). Die gesetzliche Verpflich-
    lichen Untersuchung sollte die ver­            tung hierzu ergibt sich aus dem Medi-
    sicherte Person darauf hingewiesen             zinproduktegesetz (MPG) und der
    werden, dass sie grundsätzlich für             Medizinprodukte-Betreiberverord-
    einen Zeitraum von mindestens                  nung (MPBetreibV). Im „Leitfaden zu
    14 Stunden vor der Untersuchung                messtechnischen Kontrollen von
    weder im Arbeitsbereich noch bei der           Medizinprodukten mit Messfunktion
    Freizeitgestaltung stärkerem Lärm              (LMKM, Aus­gabe 2.2, Teil 1)“ sind die
    (LAeq über 80 dB[A]) ausgesetzt gewe-          Anforderungen an die Wartung von
    sen sein darf. Stellt sich bei der Vor-        Audiometern und Maßnahmen zur
    stellung heraus, dass diese Bedin-             messtechnischen Kontrolle nieder­
    gung nicht erfüllt ist, ist ein neuer          gelegt.
    Unter­suchungstermin zu vereinbaren.

•   Es ist der Vordruck „Gutachten            3.1       Anamnese
    BK 2301 (Lärmschwerhörigkeit)“ zu
    verwenden. Gegebenenfalls kann der        Da anhand der audiologischen Befunde
    Vordruck durch beigelegte Blätter         allein ein Nachweis der Lärmschwer­
    ergänzt werden. Bei besonderen            hörigkeit nur bedingt möglich ist, kommt
    ­Fragestellungen kann das Gutachten       der Erhebung einer detaillierten Eigen-,
     nach Absprache mit dem UV-Träger         Familien-, Freizeit- und Arbeits­anamnese
     auch in freier Form erstattet werden,    besondere Bedeu­tung zu.
     dabei müssen die Gliederung des
     Formulargutachtens beachtet und alle     Im Rahmen der Familienanamnese
     Anlagen beigelegt werden.                muss geklärt werden, ob eine familiäre
                                              Belastung hinsichtlich einer erblichen
•   Alle angeführten Fragen sind sorgfäl-     Schwerhörigkeit vorliegt. Angeborene
    tig zu beantworten. Ebenso müssen         Hörstörungen, Erkrankungen, Unfälle
    alle geforderten Untersuchungen nach      oder andere Einwirkungen, die Einfluss
    Facharztstandard durchgeführt und         auf das Hörvermögen der versicherten
    sorgfältig dokumentiert werden.           Person gehabt haben können, sind zu

                                                                                       19
Diagnostik (Allgemeines)

erfragen. Das Vorerkrankungsverzeich-          •   Waren die Beschwerden (Schwer­
nis ist einzubeziehen.                             hörigkeit oder Ohrgeräusche) Anlass,
                                                   eine Ärztin bzw. einen Arzt aufzusu-
Besonderes Gewicht ist auf die Fragen              chen, oder ist die Schwerhörigkeit bei
nach der Entwicklung der Schwer­hörig­             der arbeitsmedizinischen Vorsorge
keit selbst und ihren konkreten Auswir-            aufgefallen? Ggf. wann und wo ist die
kungen für die versicherte Person zu               versicherte Person zur Ärztin/Fachärz-
legen, z. B.:                                      tin bzw. zum Arzt/Facharzt gegangen?

•   Wann (in welchem Lebensalter, nach         •   Sind wegen der Beschwerden Heil-
    wie vielen Jahren der Lärmarbeit) hat          maßnahmen eingeleitet worden, z. B.
    sich eine Schwerhörigkeit erstmals             Verordnung eines Hörgerätes,
    bemerkbar gemacht?                             Behandlung eines Ohrgeräusches?

•   Wie hat sich die Schwerhörigkeit           Wenn über Ohrgeräusche berichtet wird,
    ­geäußert, z. B. als vorübergehendes       ist eine entsprechende Diagnostik
     Vertäubungsgefühl nach einer              durchzuführen (s. Kap. 3.6).
     ­Arbeitsschicht oder besonderer
      Arbeits­verrichtung, als bleibende           Bei der Erhebung der Arbeitsanamnese
      Schwer­hörigkeit, traten Ohrgeräusche        sind die Feststellungen und Messergeb-
      auf?                                         nisse des Präventionsdienstes von
                                               ­besonderer Wichtigkeit, ebenso die
•   Wie wirkt sich die Schwerhörigkeit          Angaben des Arbeitgebers bzw. der
    konkret aus, z. B. Einstellen der           Arbeit­geberin und die Eintragungen zu
    ­Fernsehlautstärke, Überhören von           den gegebenenfalls durchgeführten
     Telefon- oder Hausklingel, als Verstän-    Vorsorgeuntersuchungen nach der
     digungsschwierigkeit unter besonde-        ­ArbMedVV, z. B. hinsichtlich der Anwen-
     ren Be­dingungen (vermehrtes Nach-          dung tech­nischer und persönlicher
      fragen, bei Gruppengesprächen wie          Schutzmaßnahmen. Hierbei sind Lärm-
     z. B. in Besprechungen, bei Einwir-         belastungen für das gesamte Arbeits­
      kung von Störgeräuschen, beim              leben zu berücksichtigen. Ergeben sich
     ­Telefonieren, in Unterrichtssituatio-      zwischen den Angaben der untersuch-
      nen, z. B. Umschulungs- bzw.               ten Person und dem Ermittlungsergeb-
      Weiterbildungsmaß­nahmen oder in           nis in der Akte Widersprüche und
      anderen Arbeits­situa­tionen)?             ­können diese nicht befriedigend auf­
                                                  geklärt werden, so ­sollten sie klar
                                                  ­herausgestellt werden, damit sie durch
                                                   weitere Erhebungen seitens des UV-Trä-

20
Diagnostik (Allgemeines)

gers überprüft werden können; ggf. sind   Die Hörweitenprüfung dient der orientie-
die unterschiedlichen Darstellungen       renden Überprüfung der subjektiven
alternativ zu begutachten.                Audiometrie.

Bei der beruflichen Tätigkeit können
auch akute Schallschäden durch ­extrem    3.3     Tonschwellenaudiometrie
hohe Schalldruckpegel (z. B. beim
Abfeuern von Schusswaffen, bei Knall-     Das Tonaudiogramm ist ein unentbehr-
und Explosionsereignissen) entstehen.     licher Bestandteil des Gutachtens. Es ist
Auch diese sind bei der Arbeitsanam-      vor allem zur Differenzialdiagnose und
nese zu erheben.                          zur Beurteilung des Ausmaßes einer
                                          Schwerhörigkeit wichtig (Abschnitt 4.3.1
Bei der Arbeitsanamnese ist ebenfalls     sowie 4.3.2).
zu klären, inwieweit Lärmbelastungen
im Rahmen vorübergehender Auslands-       Ziel der tonaudiometrischen Prüfung ist
tätigkeit vorlagen.                       die Ermittlung der tatsächlichen Hör-
                                          schwelle nach DIN EN ISO 8253-1 in
Ebenso genau ist die Anamnese für den     einer entsprechend der Norm schalliso-
nicht beruflichen Bereich zu erheben,     lierten Hörprüfumgebung. Die Messung
da hier konkurrierende Einwirkungen       ist mehrfach durchzuführen. Weichen
aus dem unversicherten Lebensbereich      die Hörschwellen bei mehrfacher Prü-
vorliegen können. Erheblichem nicht       fung wesentlich voneinander ab, so
beruflich verursachtem Lärm können        sollte hierfür eine Erklärung gefunden
beispielsweise Hobbymusikerinnen/         werden, z. B. Kollabieren des Gehörgan-
Hobbymusiker oder Sportschützinnen/       ges, Aggravation. Werden weiterhin
Sportschützen ausgesetzt sein.            stark streuende Angaben gemacht, so
                                          sind die einzelnen differierenden Mess-
                                          werte in das Audiogrammformular ein-
3.2     HNO-ärztliche                     zuzeichnen oder anzugeben, damit die
       ­Untersuchung                      Zuverlässigkeit eingeschätzt werden
                                          kann. Für die Beurteilung sind die Werte
Die HNO-ärztliche Untersuchung            mit dem geringsten Hörverlust zugrunde
umfasst die vollständige Befunderhe-      zu legen. Wird das Tonaudiogramm
bung der Ohren einschließlich der Ohr-    durch zu viele differierende Messwerte
mikroskopie sowie der Stimmgabel­         überfrachtet und dadurch nicht mehr
prüfung nach Rinne und Weber, der         beurteilbar, so soll für die Schwellenkur-
Endoskopie der Nasenhöhlen, des           ven, die der gutachterlichen Beurteilung
­Nasenrachens und des Rachenraumes.       zugrunde gelegt werden, ein eigenes

                                                                                   21
Diagnostik (Allgemeines)

Tonaudiogramm geschrieben werden           3.4     Tympanometrie
mit dem Hinweis „Beurteilungsaudio­
gramm“.                                    Zum Ausschluss oder ggf. zur Differen-
                                           zialdiagnose einer Schallleitungs­
Eine Schallleitungskomponente liegt bei    störung ist immer eine tympanometri-
der jeweiligen gemessenen Frequenz         sche Untersuchung vorzunehmen,
vor, wenn in der Hörverlustskalierung      sofern nicht besondere Gesichtspunkte
(dB HV nach DIN EN ISO 389-1) die Diffe-   dagegen sprechen (z. B. Trommelfellper-
renz Luftleitungshörschwelle minus         foration, Zustand nach Operation). Die
Knochenleitungshörschwelle die mess-       Kurven sind dem Gutachten beizufügen.
technisch bedingte Ungenauigkeit von
10 dB übersteigt. Relevant für die Aus-
wertung ist die Schallleitungskompo-       3.5     Differenzialdiagnostik
nente dann, wenn sie in mehr als einer
der gemessenen Frequenzen auftritt         Zur Unterscheidung, ob eine cochleäre
(s. Kap. 4.3.2). Bei der Frage, ob eine    (Innenohrschwerhörigkeit) oder eine
lärmtypische Hochtonsenke oder ein         retrocochleäre Schwerhörigkeit (Hör­
nicht lärmtypischer Hochtonabfall          nervenschwerhörigkeit) vorliegt, sind
besteht, ist die Luftleitungskurve         objektive Testverfahren einzusetzen. Zur
zugrunde zu legen (Brusis, 2010).          Objektivierung eines Haarzellschadens
                                           (Innenohrschwerhörigkeit) ist zu prüfen,
Bei hochgradigen Hörverlusten beson-       ob otoakustische Emissionen (DPOAE
ders im Tieftonbereich (< 1 kHz) oder      und TEOAE) nachgewiesen werden kön-
Taubheit (ein- oder beidseitig) sind die   nen. Ist das der Fall, besteht eine Funk-
angegebenen Fühlwerte und die Über-        tion der äußeren Haarzellen in dem
hörkurven für Knochen- und Luftleitung     ­betreffenden Cochleabereich. Bei der
in das Audiogramm einzutragen und zu        Lärmschwerhörigkeit fehlen typischer-
kennzeichnen. Werden diese zu erwar-        weise die OAE im Hochtonbereich. Dem
tenden Messwerte nicht angegeben, so        Gutachten ist der OAE-Befundbogen
ist dies ausdrücklich zu vermerken, da      beizulegen. Außerdem sind der herstel-
es ein wichtiger Hinweis auf mangel-        lende Betrieb und das Modell des Mess-
hafte Kooperation bei der Untersuchung      geräts anzugeben. Zu vermerken ist
ist und Anlass dafür sein kann, auch die    ferner, bei welchen Frequenzen gemes-
Zuverlässigkeit der anderen Messwerte       sen wurde und welche Schlussfolgerun-
in Zweifel zu ziehen.                       gen aus den Messergebnissen gezogen
                                            werden.

22
Diagnostik (Allgemeines)

Als weitere objektive Messverfahren       3.6       Tinnitusdiagnostik
­bieten sich an:
                                          Wird neben einem Hörverlust auch über
•   Stapediusreflexschwellenmessung       belästigende Ohrgeräusche (Tinnitus)
    (Metz-Recruitment)                    geklagt, so müssen diese sorgfältig
                                          durch offene Frageformulierungen ana-
•   Hirnstammaudiometrie (BERA)           lysiert werden:

Subjektive überschwellige Tests können    •   Nach Lokalisation (rechtes und/oder
ergänzend durchgeführt werden, wenn           linkes Ohr, im ganzen Kopf)
objektive Verfahren keine valide Aus-
sage zulassen. In Betracht kommt z. B.    •   Nach Klangeindruck (z. B. hoher oder
der SISI-Test. Ein positiver SISI-Test        tiefer Ton, Pfeifen, Brummen, ­Zischen,
spricht für einen Haarzellschaden, ein        Rauschen usw.)
negativer SISI-Test deutet jedoch nicht
immer auf eine Hörnervenschwerhörig-      •   Nach der subjektiv empfundenen
keit hin, auch eine Aggravation kommt         Lautheit und dem Maß der Belästi-
in Betracht.                                  gung

Beim SISI-Test ist immer anzugeben, bei   •   Nach dem Verlauf (langsam entstan-
welchen Frequenzen und Lautstärkepe-          den oder plötzlich aufgetreten)
geln der Test durchgeführt wurde. Wer-
den keine der für den Test geforderten     Zudem sollte festgestellt werden, ob
Intensitätssprünge von 1 dB wahrgenom-     wegen des Tinnitus bereits ambulante
men (SISI-Test 0 %), sollte vermerkt       und/oder stationäre Behandlungen
­werden, bei welchen größeren Intensi-     durchgeführt wurden. Die Testperson
tätssprüngen eine Wahrnehmung ange-        sollte von sich aus ihre Beschwerden
 geben wird (z. B. 2 dB oder 5 dB).        frei formulieren. Diese subjektiven
                                          ­Beschreibungen müssen durch folgende
Als weitere subjektive Verfahren kom-      audiometrische Messungen belegt wer-
men u. a. in Betracht:                     den:

•   Lüscher-Test                          •   Durch Vergleich mit Tönen und/oder
                                              ­Geräuschen des Audiometers ist die
•   Geräuschaudiometrie nach                   Wahrnehmung des Tinnitus in das
    ­Langenbeck                                ­Hörfeld zu projizieren und nach
                                                ­Frequenzbereich und Lautheit, bezo-
•   Békésy-Audiometrie                           gen auf die gemessenen Hörschwel­

                                                                                     23
Diagnostik (Allgemeines)

     len, im Audiogrammformular einzu­          prüfungen z. B. dem Tonaudiogramm
     tragen.8)                                  oder der offensicht­lichen sprachlichen
                                                Verständigungsmöglichkeit der versi-
•    Die Verdeckbarkeit des Tinnitus            cherten Person mit der Untersucherin
     durch Töne und Geräusche muss              bzw. dem Untersucher oder einer
     durch ­­Aufnahme einer vollständigen       Begleitperson zu schlecht aus, so ist
     Verdeckungs­kurve nach Feldmann            das bei der Bewertung in geeigneter
     ausgemessen werden. Die entspre-           Weise zu berücksichtigen.
     chenden Messwerte sind in das
     Audiogramm einzuzeichnen8). Sollte         Der Sprachtest wird monaural über Kopf-
     hierdurch die Übersichtlichkeit der        hörer mithilfe der Zahlwörter und der
     Darstellung gefährdet sein, sind sepa-     Einsilber des Freiburger Tests (gemäß
     rate Audiogrammformulare zu verwen-        DIN 45 621-1 und DIN 45 626-1) durchge-
     den.                                       führt. Für die Aufnahme sind digitale
                                                Tonträger entsprechend dem aktuellen
Neben arbeitsbedingten Noxen (bei-              Stand der Technik zu verwenden.
spielsweise Lärm, Innenohrtraumen)
kommen für einen Tinnitus auch andere           Der Hörverlust für Zahlwörter (in dB)
Ursachen infrage (siehe Tinnitus-Leit­          orientiert sich nach dem 50-prozentigen
linie der DGHNOKHC).                            Verständnis. Die Verstehenskurven für
                                                Zahlwörter sind in Lautstärkenstufen
                                                von 5 dB aufzunehmen, wobei so viele
3.7        Sprachaudiometrie                    Stufen geprüft werden müssen, dass
                                                eine vollständige Kurve von 0 % bis
Der sprachaudiometrische Befund bildet          100 % Verstehen dargestellt wird. Die
in der Regel die wichtigste Grund­lage für      Verständlichkeit der Einsilber (in Pro-
die Bewertung der MdE. Auch bei Versi-          zent) ist in Stufen von 10 dB zu bestim-
cherten, deren Muttersprache nicht              men. Hierbei sind die Pegel von 60, 80
Deutsch ist, sollte immer eine sprachau-        und 100 dB in jedem Fall einzubeziehen.
diometrische Untersuchung mit dem               Alle einzelnen Messwerte sind eindeutig
Freiburger Test versucht werden. Fällt          identifizierbar in das Sprachaudio-
das Ergebnis wegen man­gelnder Beherr-          gramm einzuzeichnen und zu Kurven für
schung der deutschen Sprache im Ver-            das Verstehen der Zahlwörter und der
gleich zu anderen Ergebnissen der Hör-          Einsilber zu verbinden.

8)   Standardisierte Messsymbole sind dem Beitrag „Die Bewertung von Tinnitus in der
     ­gesetzlichen Unfallversicherung“ (Brusis und Michel, 2009) zu entnehmen.

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Diagnostik (Allgemeines)

Wegen der Entscheidung zur Hörgeräte-         eine Neurologin/Psychiaterin bzw.
versorgung ist zusätzlich bei 65 dB zu        einen Neurologen/Psychiater bei beson-
messen.                                       ders schweren Fällen von Tinnitus) oder
                                              eine stationäre Beobachtung für erfor-
                                              derlich gehalten, so ist hierzu zunächst
3.8     Gleichgewichtsprüfung                 das Einverständnis des UV-Trägers ein-
                                              zuholen.
Es ist immer eine orientierende Prüfung
auf Spontan- und Provokations-Nystag-         Die differenzialdiagnostische Abklärung
mus unter der Leuchtbrille vorzuneh-          von Schwerhörigkeiten anderer Ursa-
men. Ergeben sich hierbei Hinweise auf        chen ist nicht Gegenstand der Begut-
eine vestibuläre Störung, so ist eine         achtung.
weiterführende Vestibularisprüfung
einschließlich einer kalorischen Prüfung
vorzunehmen. Eine weiterführende
­Vestibularisprüfung ist auch erforder-
lich, wenn in der Vorgeschichte Schwin-
del angegeben wurde und/oder wenn
 das Hörvermögen eine starke Seiten­
 differenz aufweist.

3.9     Ergänzende Untersuchun-
        gen

Ist nach Ziffern 3.1 bis 3.8 eine abschlie-
ßende gutachterliche Beurteilung des
Ursachenzusammenhangs nicht mög-
lich, so können weitere Untersuchungen
angezeigt sein, z. B. mittels bildgeben-
der Verfahren, Simulations-Tests (Hör-
schwellenbestimmung mit akustisch
evozierten Potenzialen). Wird z. B. eine
nochmalige Einbestellung der unter-
suchten Person, die Durchführung einer
Computertomografie (CT) oder einer
Kernspinresonanztomografie (MRT),
eine Zusatzbegutachtung (etwa durch

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