Endlich am Zug: Zweite Bahnreform - Gemeinsame Positionen im Eisenbahnsektor - Pro Bahn
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Endlich am Zug: Zweite Bahnreform Gemeinsame Positionen im Eisenbahnsektor ©nokturnal - stock.adobe.com
Impressum Herausgeber (alphabetisch): Alliance of Rail New Entrants (ALLRAIL) Nick Brooks, Generalsekretär Fahrgastverband PRO BAHN e.V. (PRO BAHN) Dr. Lukas Iffländer, stellv. Bundesvorsitzender Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) Claus Weselsky, Bundesvorsitzender Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. (HDB) Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer mofair e.V. (MOFAIR) Dr. Matthias Stoffregen, Hauptgeschäftsführer Netzwerk Europäischer Eisenbahnen e.V. (NEE) Peter Westenberger, Geschäftsführer Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZBV) Klaus Müller, Vorstand Stand: Juli 2021
Positionen Aktiver Klimaschutz kann nur durch eine echte Verkehrsverlagerung auf die Schiene gelingen. Voraussetzung hierfür muss eine qualitativ hochwertige und zuverlässig nutzbare Schieneninfrastruktur sein, um die Bereitstellung eines ausreichenden Schienenverkehrs- angebots ohne Kapazitätskonflikte realisieren zu können. Das Schienennetz des Bundes muss kunden- und wachstumsorientiert sowie gewinnfrei betrieben werden. Der Fokus im Schienensektor ist dabei strikt auf das Bauen und Fahren auszurichten. Ausbau und Erhalt der Schieneninfrastruktur sind unter Entwicklung und Anwendung einer nachhaltigen Ausbau- und Instandhaltungsstrategie zu betreiben. Vollsperrungen und großräumige Umleitungen sind dabei auf das absolute Mindestmaß zu reduzieren. Hierfür ist ein eigenständiges, unabhängiges und am Gemeinwohl orientiertes Bundesinfrastrukturunternehmen notwendig. Bei den Bereichen natürlicher Monopole (Gleisnetz, Stationen, Bahnstromnetz) gehören Holdingstrukturen sowie Gewinnabführungsverträge der Vergangenheit an. Hierbei ist die Aufsicht so zu besetzen, dass der Sektor maßgeblich beteiligt ist. Die Finanzierung der Schieneninfrastruktur ist durch geeignete Instrumente dauerhaft sicherzustellen. Hierbei ist die langfristig verbindliche und auskömmliche Finanzierung durch Schaffung eines „Schienenfonds“ sicherzustellen. Ein Umsetzungskonzept „Planung und Bau Schiene“ unter Berücksichtigung des notwendigen Mittelhochlaufs auf mindestens 3 Mrd. Euro pro Jahr ist hierfür notwendig. Eine weitere Stärkung des Wettbewerbs muss sichergestellt werden. Der Bund sollte sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren: verkehrspolitische Ziele beschließen, gesetzlichen Rahmen gestalten, Finanzierung der Infrastruktur sicherstellen, Aufsicht und Regulierung verantworten. Im fairen Wettbewerb erbrachte Verkehrs- und Vertriebsdienste bringen Vorteile für die Kunden, staatliches Engagement ist hier allenfalls bei Abbau oder Verhinderung von monopolartigen Strukturen erforderlich.
FAQ Fragen und Antworten zur Notwendigkeit einer DB-Reform 1. Warum benötigen wir dringend eine Reform für die Schiene? Die Umsetzung der politischen Vision für die Schiene kann nur mit völlig neuen Strukturen im Sektor noch gelingen. Diese müssen nicht nur ein wettbewerbsfreundliches Umfeld garantieren, sondern vor allem den Gewährleistungsauftrag des Grundgesetzes erfüllen können und auf die Realisierung der gesteckten politischen Ziele gerichtet sein. Sprich: Wir benötigen einen kompletten Fokuswechsel hin zum Bauen und Fahren, v. a. bei der Deutschen Bahn AG. 2. Wer gehört zum Eisenbahnsektor? Der Bereich Schiene ist weit mehr als nur die Deutsche Bahn. Zahlreiche Eisenbahnverkehrsunternehmen bieten bereits heute ein breites Angebot im Personen- und Güterbereich erfolgreich an und tragen damit auch grundlegend zur anvisierten Verkehrsverlagerung und damit zur Stärkung der Schiene sowie zum Klimaschutz bei. Das Netz der DB, das ca. 90 % des Gesamtnetzes in Deutschland ausmacht, sollte daher endlich in direkten Bundesbesitz, ohne Zwischenschaltung einer Holding, übergehen, um Diskriminierungspotenziale auszuräumen, Anreize für qualitative Infrastruktur- und Verkehrsangebote zu setzen und echte transparente Mittelverwendungen zu schaffen. Daher sollte auch die Aufgabe der Bauwirtschaft – das Bauen – nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung für die zahlreich bestehenden Infrastrukturprobleme angesehen werden. Aber auch weitere wichtige Stakeholder des Sektors sind vonnöten, damit das komplexe System Schiene funktioniert, u. a. Gewerkschaften, Bahnindustrie, Aufgabenträger, Verbraucher- und Fahrgastverbände, Logistikwesen, Verlader sowie Zulieferer. 3. Würde eine Strukturdebatte dem Bereich Schiene wirklich schaden, insbesondere aufgrund der derzeitigen Corona-Situation? Zunächst einmal hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer eine solche Debatte „ohne Wenn und Aber“ gefordert, auch wenn er sie – mit dem Corona-Argument begründet – inzwischen widerrufen hat. Doch Nicht die Corona-Situation hat die Deutsche Bahn in ihre Krise
gestürzt, sondern die seit langem bestehenden Defizite im System nur verstärkt. „Krise“ ist schon lange. Unter Hinweis auf eine Krise strukturelle Reformen nicht anzugehen, hieße, die Krise auf Dauer zu stellen. Angesichts der Milliardensummen, die in den Konzern Deutsche Bahn AG fließen, wäre das grob fahrlässig. Aber auch unabhängig von politischen Aufrufen geht es im Kern darum aufzuzeigen, welche Vorteile für den Bereich Schiene erwachsen. Eine Strukturdebatte mit solch positiver Ausrichtung kann kaum kritisiert werden. 4. Würde eine Reform nicht die derzeitigen politischen Pläne für die Schiene, wie beispielsweise Einführung des Deutschlandtakts, verzögern oder gar gefährden? Die politischen Pläne sind ohne eine Reform gar nicht erreichbar. Das aktuelle System zeigt gerade in der Krise, dass es nicht zukunftsfähig ist. Die Verzögerung und Gefährdung der Ziele finden heute statt – durch das Festhalten an einem gescheiterten System. Wie bei der beschleunigten Digitalisierung der Leit- und Sicherungstechnik werden die Vorteile, die sich durch die neue Reform ergeben, nicht nur den anfänglichen Zeitverlust und die Umstellungskosten kompensieren, sondern aufgrund der optimierten Strukturen sogar zu einem späteren Zeitgewinn bei effizienterem Mitteleinsatz beitragen. Auch die Umsetzung des Deutschlandtaktes kann nicht allein durch die Deutsche Bahn AG sichergestellt werden. Notwendig ist vielmehr ein koordiniertes Gesamtkonzept mit klar geregelten Zuständigkeiten unter Einbeziehung aller relevanten Akteure. Erforderlich ist ein geändertes Wettbewerbskonzept, um das notwendige Angebot an Verkehrsdienstleistungen anbieten zu können. 5. Eine Trennung von Netz und Betrieb wird immer wieder gefordert. Würden sich dadurch nicht Synergieverluste ergeben? Es geht nicht darum, den „Systemverbund Eisenbahn“ zu schwächen, sondern darum, ihn zu erweitern. Es muss inklusiv (unter Einschluss aller Beteiligten, nicht nur der heutigen Angehörigen des DB-Konzerns), nicht exklusiv gedacht und gelebt werden. Außerdem müssten die Mitarbeiter (m/w/d) eines bundeseigenen Infrastruktur- unternehmens nicht mehr unter einem chronischen Sparzwang des heutigen integrierten DB-Konzerns Maßnahmen unter teils systemfremden Voraussetzungen umsetzen. Hinzu kommt, dass die befürchteten „Schnittstellen“ in Wirklichkeit gar nicht neu entstehen würden. Es gibt sie innerhalb des integrierten Konzerns im operativen Betrieb sowieso.
Oftmals sind schlechte oder gar nicht stattfindende Kommunikation zwischen verschiedenen Regionalbereichen der DB Netz AG ein gravierenderes Problem als die zwischen EIU und EVU. Außerdem ist zu bedenken, dass es ein nicht auflösbares Spannungsverhältnis zwischen den im klassischen Sinn verstandenen Synergieeffekten innerhalb eines Konzerns aus Monopol- und Wettbewerbsbereichen einerseits und andererseits der Garantie des nicht- diskriminierenden Zugangs zu Infrastrukturen gibt. Gäbe es die Synergieeffekte wirklich, wäre die Diskriminierung bereits gegeben. Abgesehen davon: Bereits heute findet eine gewisse „Trennung“ schon statt und funktioniert: Die privaten Unternehmen im Personen- und Güterverkehr sind dabei neben dem Betrieb nicht – wie derzeit im Konzernverbund Deutsche Bahn AG üblich – gleichzeitig für das Netz zuständig. Gerade beim Güterverkehr liegt der Anteil der Nicht-DB-EVU bei über 50%. 6. Insbesondere Frankreich und England werden gern als Beispiele für ein „Scheitern“ des Trennungsmodells herangezogen. Warum hinkt dieser Vergleich? Die Trennungsmodelle aus Frankreich und England dienen nicht als brauchbarer Vergleich, außer in der Hinsicht, wie man es in Deutschland besser gestalten kann. • In Frankreich war von Grund auf nur eine teilweise, unechte Trennung vollzogen worden, bei der sich auch noch Kompetenzen der neuen Infrastrukturbetreiberin (RFF) und der alten Staatsbahn (SNCF) überschnitten. Die Schuldenlast von über 30 Mrd. Euro der SNCF war dabei alleiniger Ausgangspunkt der Reformbemühungen gewesen, während in Deutschland vor allem auch die politisch gesetzten Ziele für die Schiene mit einer neuen Struktur bewältigt werden sollen. • Die bspw. mit dem Trennungsmodell in Großbritannien errechneten Kostensteigerungen im System sind aber entgegen den Behauptungen nicht schwerpunktmäßig durch die Trennung zu begründen, sondern basieren auf einer Vielzahl von Faktoren. Weiterhin sind viele Kosten der zweiten britischen Bahnreform darauf zurückzuführen, dass die Schäden aus der fehlgeschlagenen vollständigen Privatisierung der Infrastruktur in der ersten britischen Bahnreform kompensiert werden mussten. Die Unterzeichner dieses Papiers fordern gerade nicht eine Privatisierung der Infrastruktur, sondern eine gemeinnützige Orientierung im Bundeseigentum.
Hier gilt es also für das System Schiene in Deutschland, gemeinsam in der Branche über eine leistungsfähige und wirtschaftlich stabile Infrastrukturgesellschaft zu diskutieren und diese letztendlich zu formen. 7. Führt eine Trennung nicht eindeutig zu einem Verlust von Arbeitsplätzen? Die Beschäftigungssicherung der Arbeitnehmer (m/w/d) muss nicht ausschließlich durch eine DB-Konzernbetriebsvereinbarung „Konzernweiter Arbeitsmarkt“ geregelt werden. Diese sieht derzeit vor, dass bei einer betriebsbedingten Kündigung in einem Tochterunternehmen der DB AG die Betroffenen Anspruch auf eine Beschäftigung in einem anderen Tochterunternehmen – bei fachlicher und gesundheitlicher Eignung – haben. Es wird dahingehend behauptet, eine Trennung führe also auf jeden Fall zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten und entziehe den Arbeitnehmern die Wechselmöglichkeiten innerhalb der Konzernunternehmen. Dass diese Aussage aber falsch ist, lässt sich leicht an verschiedenen Beispielen belegen: Mit dem Tarifvertrag Personalübergang (TV PÜ) oder auch anhand von Haustarifverträgen mit den SBB-Unternehmen in Deutschland sind auf vielfältige Weise schon heute Beschäftigungssicherung und auch Unternehmenswechsel gewährleistet, die bspw. auch mit einem Leistungssicherungs-Tarifvertrag, sogar konzernübergreifend, realisiert werden könnten. Für ein bundeseigenes, unabhängiges Schieneninfrastrukturunternehmen wären solche Möglichkeiten ebenfalls leicht auf Basis von Tarifverträgen realisierbar, zumal der Bund ein besonderes Interesse an einer geeigneten Transfer- und Beschäftigungssicherung sowie am Unternehmenswechsel in Eisenbahnsystem haben dürfte. 8. Welchen Vorteil hätte die Einführung eines Infrastrukturfonds? Der Infrastrukturausbau im Schienensektor ist eine ausgesprochen langfristige Angelegenheit. Durch einen Infrastrukturfonds wäre die Finanzierung des Schienenausbaus langfristig gesichert und nicht der jeweiligen politischen Meinung im Bundestag mit kurzfristigem Haushaltsdenken unterworfen. Dadurch können Bau- und Planungs- kapazitäten langfristig hochgefahren und Personale dauerhaft angeworben werden. 9. Weshalb ist auch weiterhin eine Stärkung des Wettbewerbs notwendig? Während sich in einigen Bereichen die Wettbewerbsbedingungen positiver gestalten, sind in anderen Gebieten des Sektors weiterhin deutliche Diskriminierungspotenziale zu finden:
• Im Bahnbau besitzt die DB AG eigene Bahnbaukapazitäten, die umfangreich im Wettbewerb zu den privaten Unternehmen stehen. Allerdings erhalten dieselben DB-Bahnbauunternehmen gleichzeitig auch umfangreiche Aufträge – insb. von der DB Netz AG – aus dem intransparenten Inhouse-Bereich. • Im Schienenpersonennahverkehr gibt es ein etabliertes Wettbewerbsmodell, das nach den Erfahrungen der vergangenen gut zwei Jahrzehnte nachjustiert werden muss. Im Fernverkehr dagegen muss der Markt zeitgleich mit der Einführung des Deutschlandtakts weiter geöffnet werden, um das Angebot zu mehren und zu verbessern. • Aufgrund der marktbeherrschenden Stellung sowohl im personenbedienten als auch im digitalen Fahrscheinvertrieb sowie der omnipräsenten DB-Marke, die sich in und auf jedem Bahnhof befindet, ist es leicht für die DB, die öffentliche Wahrnehmung und Vertriebsmöglichkeiten von alternativen unabhängigen Personen-EVUs zu unterbinden. • Die kontinuierlich wachsenden Defizite der bundeseigenen Güterbahn führt zu einer Marktverzerrung, die nur durch wiederholte Eigenkapitalzuführungen des Eigentümers und den konzerninternen Transfer von Monopolgewinnen auch aus der Infrastruktur zu Lasten des fairen Wettbewerbs ermöglicht wird. Dadurch wird auch die Investitionsfähigkeit gesunder Unternehmen geschädigt. • Monopolkommission und Bundesrechnungshof betonen in ihren Stellungnahmen regelmäßig, dass ein funktionsfähiger Wettbewerb die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers erfordere. Daher sollte die Trennung der Transportunternehmen von den Infrastrukturbetreibern der DB-Gruppe weiter vorangetrieben werden. Es sei insbesondere problematisch, dass der Bund die Rahmenbedingungen auf der Schiene immer an den Interessen der Deutschen Bahn als Staatsunternehmen ausrichte. 10. Warum ist insgesamt eine Beteiligung des Sektors notwendig? Die politischen Pläne können nur in einem gemeinsamen Kraftakt umgesetzt werden. Miteinander statt übereinander reden lautet die Devise. Damit sowohl die unterschiedlichen Interessen, aber vor allem auch das unterschiedliche Know-how der Beteiligten letztendlich sinnvoll gebündelt werden können, muss der Sektor zu den wichtigen Umsetzungszielen Strukturierung, Finanzierung und Aufsicht frühzeitig beteiligt werden.
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