Europa - ein Abenteuer - Logon.media

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Europa - ein Abenteuer - Logon.media
23 Mai 2020

              Europa – ein Abenteuer
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Hinter der Europahymne verbirgt sich die Vorstellung
  eines Menschen, der durch den „Sternenhimmel"
 wandert. Die Botschaft einer universellen Weisheit,
 der Alchemie, wurde durch die Hymne in die Mitte
             einer Staatengemeinschaft gepflanzt.

 Text:    Heiko Haase   Image: Alexander and Franz Kinader via Pixabay CCO
Europa ist ein Ort vereinter Nationen. Und es ist viel mehr. Hinter der Europahymne
verbirgt sich die Vorstellung eines Menschen, der durch den „Sternenhimmel" wandert
und dabei mit seiner Sehnsucht nach einer göttlichen Identität konfrontiert wird. Mit
dieser Sehnsucht strebt er nach einer Quelle, die alles von außerhalb des
Sternenhimmels trägt. Ein solches alchemistisch-hermetisches Menschenbild durch die
Europahymne inmitten einer Staatengemeinschaft zu etablieren, ist ein spannendes
Abenteuer.

Diesen Menschen beschreibt Friedrich Schiller in seinem Gedicht Ode an die Freude.
Teile davon wurden später von Ludwig van Beethoven im letzten Satz der 9. Sinfonie
vertont. Das Hauptthema dieses Satzes hat die europäische Staatengemeinschaft
1972 zur Europahymne erklärt.

Eine Hymne ist ein Lobgesang. Die Europahymne richtet ihren Lobgesang an den
Menschen und erklärt ihn zu einem besonderen Helden. Es wäre interessant, sich
vorzustellen, wie ein Europa voll solcher Helden aussehen würde. Sie würden vielleicht
die Welt aus den Angeln heben, die darauf beruht, dass Idealität und Realität nicht
nebeneinander bestehen können. Denn gerade die Tatsache, dass in unserer Welt
Realität und Idealität nicht deckungsgleich sind, treibt die Entwicklung voran.
Unzählige kulturelle Ansätze setzen sich mit dieser Herausforderung in der
menschlichen Entwicklung auseinander. Einer von ihnen ist die Alchemie. Obwohl
heute fast vergessen, hat sie die Menschheit Jahrtausende lang mit ihrer universellen
Weisheit begleitet.

Wer sich intensiver mit der Alchemie beschäftigt und mit der ihr zugrunde liegenden
hermetischen Denktradition vertraut ist, erkennt in ihr eine starke geistige Strömung,
die fester Bestandteil der europäischen Kulturtradition ist. Für den heutigen rational
und manchmal oberflächlich denkenden Menschen würde eine Geschichte über
Alchemie wahrscheinlich wie folgt beginnen:

Alchemie und Goldmachen

In einem dunklen Haus am Ende der Straße wohnte der Alchimist. Keiner kannte ihn
richtig und selten traf man ihn. Er war öfters nachts unterwegs, wenn er bei Vollmond
Pflanzen oder Kiesel sammelte. Man sagte, er würde für den König arbeiten. Denn
Labor und Haus, in dem er arbeitete, gehörten zum Palast. Der Alchemist hatte dem
König versprochen, Gold herzustellen. Die Leute belächelten ihn, hatte man doch
schon oft von derlei Künsten gehört, aber geschafft hatte es noch keiner. Dennoch
schlich so mancher nachts mit gierigen Augen um das Haus herum ...

Auch heute lächeln noch viele, wenn sie von der Alchemie hören. Es gab im Mittelalter
und in der Renaissance viele von diesen „Goldmachern“. Sie suchten fieberhaft nach
dem Stein der Weisen, um reich zu werden.

Heute haben wir die großen globalen Finanzsysteme, und täglich wird in den Medien
der Goldpreis genannt. Die Goldreserven spielen eine entscheidende Rolle im System
des modernen „Goldmachens“. Das Finanzsystem ist Teil des Herzens Europas. Der
Mensch ist heute nüchterner geworden, aber ist ihm damit auch die alchemistische
Gier nach Gold fremd geworden?

Die Finanzsysteme mit ihren Skandalen zeigen uns, dass die Goldgier heute nur einen
anderen Mantel trägt. Mehr Menschen als je zuvor beschäftigen sich mit dem
Erzeugen „niederen Goldes“. Und so mancher von ihnen hat mit dem alchemistischen
Scharlatan von einst vieles gemeinsam.

Die geistige Essenz

Der ernsthafte hermetisch denkende Alchemist verfluchte das „niedere Goldmachen“.
Denn es brachte eine universelle Wissenschaft in Misskredit. Die Hermetik vereinigte
Astronomie, Astrologie, Kunst, Wissenschaft, Philosophie und Religion zu einem
System mit praktischer Anwendung. Für sie war „der Stein der Weisen“ ein spezieller
Zustand der Seele, in dem geistiges bzw. höheres Gold entstehen konnte. Besonders
C.G. Jung hat im letzten Jahrhundert den seelisch-geistigen Aspekt der Alchemie
hervorgehoben. Er betonte, dass die alchemistischen Schriften voll von Bildern und
Symbolen sind.

„Nimm den Drachen und lass ihn Sonne und Mond vertilgen.“ – Wer das in einer alten
alchemistischen Schrift liest, muss dieses Bild erst einmal auf sich wirken lassen und
dann entscheiden, ob er nach einer chemischen oder einer seelischen Lösung sucht.
Er kann in dem Drachen die Säure erkennen, die Gold und Silber auflöst. Er kann ihn
aber auch als mächtiges menschliches Seelenwesen begreifen. In diesem Fall
bekommt der Drache als Symbol eine Doppeldeutigkeit. Es kann mit ihm sowohl die
goldgierige Seele des Materialisten gemeint sein, der dunkle, böse Drache, der Gold
und Silber verschlingt, als auch der verwandelte, goldene Drache, der diese Welt aus
den Angeln hebt, indem er die Sonne und den Mond verschlingt.

Zuerst sehen wir den gefallenen, bösen Drachen und dann den erlösten, goldenen
Drachen. Dieser ist das Symbol für den Menschen, der in den Frieden eintaucht. Er
betritt das himmlische Heiligtum, das die ganze Welt des „bösen oder dunklen
Drachens“ bewacht. Der Drache ist also das Symbol sowohl für den irdischen als auch
für den himmlischen Menschen. Auch in Beethovens neunter Sinfonie, die auf Friedrich
Schillers Gedicht "Ode an die Freude" basiert, begegnen wir dem himmlischen
Menschen. Dem irdischen oder materiellen Aspekt des Alchemisten begegnen wir
täglich in unseren Finanzsystemen. Beide Welten spiegeln sich in der Natur des
Menschen, denn er ist zweifach.

Das Wesen der Alchemie

Das Wesen der Alchemie ist ebenfalls zweifach, wie die Seele des Menschen,
symbolisiert durch die beiden Drachen. Den zwei unterschiedlichen Seelenbereichen
entsprechen zwei Arten der Wahrnehmung. Der himmlische Mensch sieht die Welt
anders:

„Wir können die Welt als aus einer einzigen Ursubstanz bestehend betrachten, die
sich in verschiedenen Schwingungen befindet. Die Verschiedenartigkeit dieser
Schwingungen ist die Grundlage aller sichtbaren und unsichtbaren Formenbildung.“

Mit dieser kurzen Aussage fasst der Theosoph Dr. Franz Hartmann das Wesen der
Alchemie zusammen. In dieser Sicht zeigt sich nicht nur eine Wissenschaft, ein
Instrument, um Gold aus unedlen Metallen herzustellen. Sie ist vor allem eine
bestimmte Haltung dem Leben gegenüber und eine Sicht auf die Welt, in der das
ewige Werden durch die Formenbildung sichtbar wird. Diese Art der Alchemie eröffnet
dem Menschen die Möglichkeit zu erfassen, „was die Welt im Innersten
zusammenhält“. Sinnbildlich ist dies der Goldenen Drache, der den dunklen Drachen
bewacht. Es ist der Goldene Drache, der den Menschen verwandelt und in das
himmlische Heiligtum zu trägt.

Diese zweifache Sicht der Alchemie hat ihre Wurzeln im hermetischen Denken. Der
erste Alchemist und gleichzeitig Vater von ihnen allen ist Hermes Trismegistos, der
„Dreimal Große Hermes“. Die moderne Forschung geht davon aus, das der Name
lediglich ein Pseudonym ist, unter dem Generationen von Philosophen ihre Gedanken
veröffentlicht haben.

Das höchste Ziel der Alchemie ist die Herstellung des Steins der Weisen. Im Innersten
des Menschen hergestellt, konzentriert sich in ihm die höchste Weisheit des
himmlischen Menschen. Die Alchemie ist eine Brücke zwischen zwei Welten. Der Stein
der Weisen macht die Kräfte des himmlischen Menschen in unserer Welt als Gedanke,
Wort und Symbol fassbar. Mit dem Stein der Weisen beginnt die Transformation
unseres irdischen Wesens und neben dem „horizontalen“ Denken wird das „vertikale“
Denken erfahrbar. In diesem Moment steht der Mensch an einer Schwelle, an der er
die tiefen grundlegenden Fragen seiner Existenz nicht mehr ignorieren kann.

Vertikales und horizontales Denken

Der ungarische Schriftsteller Sándor Márai beschreibt in seinen Betrachtungen über
Himmel und Erde den zweifachen Menschen:

Der Durchschnittsmensch, der schmalspurige und bequeme Denker, sieht und
empfindet die Welt horizontal. Ein Mensch, der Mut genug hat, die Wirklichkeit zu
begreifen – er sieht die kleine und die große Welt vertikal. Die zwei
Betrachtungsweisen sind nie deckungsgleich, aber irgendwo an einem einzigen
Schnittpunkt stoßen sie aufeinander. Dieser Schnittpunkt ist manchmal das Kreuz und
manchmal der Scheiterhaufen.

(Sándor Márai, Himmel und Erde, München 2001)

Der Alchemist, der dem materiellen Gold nachjagt, hat vieles mit dem horizontal
denkenden Menschen gemeinsam. Er glaubt allein an das, was er sinnlich erfassen
kann. Alles andere gibt er schnell der Lächerlichkeit preis. Er sucht nach Anerkennung,
Macht, Ruhm, Reichtum und nach einem unbeschwerten Leben. Den vertikal
denkenden Menschen beschäftigen die fundamentalen Fragen des Lebens. Er
untersucht in unserer Welt nicht nur die quantitative Struktur der Materie, wie wir es
heute von unseren Naturwissenschaften gewohnt sind. Für ihn sind auch die
Zusammenhänge, die wir Leben nennen, ihre Qualität und ihre Wandlungsmuster
interessant.

Das moderne Gesicht Europas

Die Sicht des vertikal denkenden Alchemisten spielt im heutigen Europa keine
erkennbare Rolle. Das Herz Europas besteht aus konkurrierenden Wirtschafts- und
Finanzsystemen. Fachbegriffe wie Handelskrieg, feindliche Übernahme etc. zeigen den
Charakter dieses Herzens. Die Gier nach Geld bzw. nach Gold und das niedere
„Goldmachen“ herrschen vor. Sie sind die Folgen einer materialistischen Sicht auf die
Wirklichkeit.

Die Europahymne und die geistige Alchemie
Diese Sicht ist indes nicht die einzige. Nach Paracelsus gibt es in der Laborarbeit die
untere und – auf der Grundlage der hermetischen Philosophie – die obere Alchemie.
Keine ist ohne die andere möglich.

So kennt auch Europa mit seinen Finanzsystemen und dem alltäglichen
gesellschaftlichen Treiben die untere Alchemie. In dem alchemistisch-freimaurerischen
Menschenbild, das der Europahymne zugrunde liegt, kommt die obere Alchemie zum
Ausdruck. Die Hymne rückt den Menschen in die Mitte der Gesellschaft.

Freude, schöner Götterfunken,

Tochter aus Elysium,

Wir betreten feuertrunken,

Himmlische, dein Heiligtum.

Deine Zauber binden wieder,

Was die Mode streng geteilt,

Alle Menschen werden Brüder,

Wo dein sanfter Flügel weilt.

In seiner Ode an die Freude beschreibt Schiller sowohl die kleine Welt des Menschen,
die aus Himmel und Erde besteht und vom horizontalen Denken beherrscht wird.
Gleichzeitig beschreibt er aber auch die Welt oberhalb des Sternenzeltes mit seinem
Himmel über dem Himmel. Dieser ist das Ziel des vertikal denkenden Menschen. Er
durchstößt als Himmelswanderer das Sternenzelt, um in einer anderen Welt zu
erwachen und bewusst zu werden.

Wie lange braucht ein Mensch, um sich vom vertikalen Denken berühren zu lassen?
Was passiert, wenn das vertikale Denken die horizontale Erlebnisstruktur erschüttert?
Dem Europäer stehen mit seiner modernen Gesellschaft und dem Menschenbild in
seiner Hymne jeden Tag zwei Türen offen. Er selbst ist der Schnittpunkt dieser beiden
Welten, und so steht er in seinem Leben immer wieder mal vor dem Kreuz, das ihn
zum Himmel emporhebt, und mal vor dem Scheiterhaufen, auf dem alles verbrennt,
was sich nicht mit dem wirklichen Menschen verträgt.
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