Fachtag 2015 Dokumentation - HIV-STI.nrw

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Fachtag 2015 Dokumentation - HIV-STI.nrw
Verband der AIDS-KoordinatorInnen NRW e.V.
                                              VAK NRW e.V.

               Fachtag
                  2015
      Dokumentation

 Fachtag der AIDS- /STI-Fachkräfte und
     KoordinatorInnen im ÖGD in NRW

  „Gesundheitsberatung von Frauen und
             Männern in der Sexarbeit“

am 29. September 2015 von 10 bis 16 Uhr in Meschede

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Moderation und Foto-Protokoll:       Dr. Frank Taschner, Bochum
Textprotokoll:                       Astrid Platzmann-Scholten

Ziel: Fachaustausch und Reflexion, Erstellung eines Beratungsleitfadens

Ablauf:
Begrüßung, Überblick, Wo stehen wir mit unserer Arbeit?

  I.       Impulsvortrag: Beratungsleitfaden am Beispiel Düsseldorf
 II.       Thematische Arbeit an Schwerpunkten in wechselnden Gruppen

Mittagessen

III.       Beratungsleitfaden: Zusammenfassung und Verdichtung
IV.        Aufsuchende Arbeit (Go und NoGo)
 V.        Offene Punkte

Feedback, Abschluss

  I.       Impulsvortrag (Dipl.-Psych. Lisa Pierucki): Arbeit mit Beratungsleitfaden
           in Düsseldorf
          gemischtes Team: MedizinerInnen, PsychologInnen, SozialpädagogInnen
          persönlichen Kontakt herstellen
          Frauen nennen Anlässe und Beschwerden
          es muss Dialog entstehen, in dem Themen angesprochen und erfragt werden
           können
          Eingehen auf Risikosituationen in der Arbeit und Informationsvermittlung im
           Dialog
          Angebot von Untersuchungen ist anonym und freiwillig
          Situatives Reagieren auf besondere Lagen, z.B. Schwangerschaft
          Info über Erkennung und Schutz vor STI
          Info über Rechtliches (Krankenversicherung)
          BeraterInnen füllen Informationskarte zu Patienten aus
          Beratung 25 Minuten sind kostenlos und der Untersuchung vorgeschaltet

II. / III. Erstellung Beratungsleitfaden in wechselnden Gruppen zu sieben
           Schwerpunkten

       a. Beratungsanlass
       In der Beratungsstelle
            Fragen: „Was führt Sie zu mir? Was kann ich für Sie tun?
            Wie möchten Sie angesprochen werden? (Vorname, Pseudonym),
            Wie haben Sie von dem Angebot gehört?
            Sind sie das erste Mal hier?
            Evtl. die Frage: Sind Sie freiwillig oder auf Initiative des Betreibers hier?
              Haben Sie akute Beschwerden?“
            Viele kommen, um Clubarzt-Besuch zu umgehen

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Grundausstattung einer Beratungsstelle:
    ärztlich/nichtärztlich ?
    Schwangerschaftstest,
    Untersuchungsangebot Standard: HIV, Syphilis, GO, Chlamydien,
    idealerweise Krebsvorsorge, Hepatitis,
    bei Bedarf: Urinstatus

        Hinweis: „Man muss nicht diagnostizieren, was man nicht behandeln kann!“

b.   Verhütung
    Wie wird aktuell verhütet? (häufige Aussage: „nur mit Kondom“)
    Besteht Motivation und Interesse zur zusätzlichen Verhütung?
    Welche Kenntnisse gibt es über Verhütungsmittel?
    Verhütungsmethoden privat, im Job, im Heimatland

     Bei Wunsch nach Verhütung:
          Was kann die Beratungsstelle selbst? z.B. Pille rezeptieren, Pflaster,
            NUVA-Ring
          Steht ein Kooperationspartner zur Verfügung? Spirale, Stäbchen, Drei-
            Monats-Spritze
    Je nach sprachlichen Möglichkeiten stellt sich die Frage: Ist es sinnvoll,
     sämtliche Verhütungsmethoden vorzustellen oder reichen Pille und
     Dreimonatsspritze? Spirale oft mit Mythen und Ängsten belegt. Grundsätzlich
     besteht eine höhere Infektionsgefahr. (Aufsteigende Infektionen durch
     Fädchen.) Bei Wunsch nach Spirale ist auch die Hormonspirale geeignet (i.d.R.
     keine Periodenblutung mehr)
    Sponsoren und Vereinbarungen mit ÄrztInnen treffen, Preise für Spiralen-
     einlage in der Umgebung recherchieren.

c. STI
Sagen:
    Untersuchungen sind kostenlos / oder Preis – was kostet was
    Vorstellen: freiwilliges anonymes Angebot, kein Ausweisdokument
    Nur Sie erfahren das Ergebnis!
    Wir erteilen kein Arbeitsverbot.
    Wir bieten auch Behandlung an (Angebot)
    Abstrichort je nach Sexpraktik
    Infos über STI, Hepatitis und Verhütung
    Symptome und Ansteckungsmöglichkeiten
    Pingpong-Ansteckung /Partnerbehandlung!!
    Therapienotwendigkeit/ Gefahr der Sterilität bei unbehandelten Chlamydien
    Information über Scheidengesundheit, saures Milieu, Medikation zur
      Scheidensanierung
    STI-Ratgeber der Deutschen AIDS Hilfe nutzen und auf dem Schirm haben

Fragen
   Haben Sie aktuell Beschwerden?
      Ausfluss (gefärbt, auffällig) / irreguläre Blutungen

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 Schmerzen
          Hautveränderungen
        Gab es ungeschützten Sex?/ Kondom gerissen? Wenn ja, wann?
        Haben Sie schon mal von sexuell übertragbaren Infektionen gehört?
        Wissen Sie, wie man sich anstecken kann?
        Haben Sie eine Krankenversicherung in Deutschland?
        Sind Sie schon einmal im Gesundheitsamt untersucht worden? (Wann? Wo?
         Warum?)

d. Arbeitsweisen der SexarbeiterInnen
 Wo arbeiten Sie: Clubs (Bidet, Whirlpool), Straße (keine Waschmöglichkeit)?
   Regelmäßiger Alkohol- /Drogenkonsum?
 Welche Leistungen bieten Sie an? Analverkehr? Andere Praktiken? (evtl.
   Homepage überprüfen), Wie lange arbeiten Sie (Dauer? Täglich? Pausen?
   Alleine? Mit Freunden?)
 Wie häufig geht ein Kondom kaputt? Wer zieht ein Kondom über (Kunde oder
   Frau)?
 Werden Kondome gestellt? Arbeit „immer“ mit Kondom, auch bei
   Stammgästen?
 Vorsicht: Frauen geben erwünschte Antworten!
 „Freunde“ sind häufige Infektionsquellen
 Infos zur Intimhygiene

e.   Recht
    Auf Krankenversicherungspflicht in Deutschland hinweisen
    Haben Sie eine KV in Deutschland oder im Herkunftsland?
    Gesundheit bei Jüngeren nicht im Vordergrund
    Kosten wirken abschreckend → Hinweis auf Privatrezept geben
    Gegebenenfalls Kooperation mit Klinik oder GynäkologIn suchen
    Vereinbarung zwischen Amt und Arzt
    Auf Beratungsangebote von Madonna und profamilia hinweisen
    Notfalls Liste mit hilfsbereiten Ärzten anlegen
    Wer behandelt vor Ort im Ernstfall umsonst (Ärzte, Krankenhäuser)?
    Vorsicht: Nicht alles für SexarbeiterIn organisieren!

f.   Schwangerschaft
    Kenntnis über fruchtbare Tage und Zyklus ?
    Unklarheit über Schwangerschaftsalter, → Abklärung
    Unklarheit über Erzeuger (Freund oder Gast)
    Bewertung von Schwangerschaftsabbruch different zu eigener Sichtweise der
     Beratenden
    Möglichkeiten aufzeigen: Pille danach, Abbruch, vertrauliche Geburt (kosten-
     frei), Adoption
    wenn Geburt und Kind: Info über Frühe Hilfen, profamilia, Beratungsstellen,
     Schwangerschafts-Konfliktberatung, ggfls. anonymisierte § 8a-Beratung beim
     Jugendamt
    Wissen über Fristen
    Schwangerschaftsrechner

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    Manche Frauen lehnen Verhütung ab, um Fruchtbarkeit zu demonstrieren.
       eigene Familienplanung der Frau?
       „Pille danach“- Information!!!

   g.   Sexuelle Gewalt
       sagen, fragen, gucken!
       blaue Flecken? Verbrennungen? intakte Anatomie? (Untersuchung)
       Kaum Anhaltspunkte (Frauen wirken nicht ängstlich) → Sehen wir diese Frauen
        überhaupt?
       Gewalterfahrungen evtl. „normal in der Familie“
       nur Angebot machen, Wege aufzeigen
       Telefonnummer zustecken, wenn Kontaktverbot
       direktes Ansprechen schwierig, → Umwege über Beratungsstellen nehmen
       Vernetzung mit Beratungsstellen eventuell über Umwege
       Tabuthema (Nähe zum Menschenhandel), daher vorsichtige Annäherung
       WHO-Leitlinie zu akuter Vergewaltigung nutzen (Schwangerschaft, Pille
        danach, PEP, psychologische Betreuung, forensische Maßnahmen)
       neutrale Sprachmittlung (Freundin oder Kollegin kann problematisch sein)

Weitere Themen für Beratungsleitfaden

Erstkontakt
    Frage, ob Frauen Lola-App kennen. Funktioniert auch bei Betreibern (Tablet
      einsetzen). Gruppen-Download auf der Straße
    Geschenke
    positive Grundstimmung verbreiten
    Termin ausmachen, um nicht anderen Stellen vor Ort in die Quere zu kommen
    im Schlepptau von Gesundheitsaufsehern mitgehen?? (zum Beispiel bei
      Hygiene-Beschwerde), Vorsicht: Kontroll-Image!
    Frauen in Wohnung und Internet erreichen
    ohne Termin in Wohnung gehen
    selbst anrufen
    Adressen über Freierforen herausfinden:
      kaufmich.com, ladies.com, sexrelax.com, intimes-revier.com

Stricher erreichen
     gayroyal.com, gayromeo.com (→ Website-Betreiber leitet evtl. Info weiter)
     sexsicher.de (BZGA)
     Kneipen aufsuchen
     Stricher Szene 90 % im Internet
     Anbahnungsorte: Strich, Pornokino (nur Material an Kasse abgeben)
     Studie „Striche in NRW“ nutzen
     Wissen um Sex zwischen Männern vorhanden?
     Eigene sexuelle Orientierung des Strichers?
     Wissen bezüglich MSM-Ratgeber (Safer Sex)?

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Marketing/Beratungsangebot bekannt machen
   Flyer mit Untersuchungs-/Beratungsterminen, sehr abgespeckt in zehn
      Sprachen mit Stadtplan
   Tageszeitungen, sofern dort Adressen vorhanden
   Gelegenheiten nutzen, um in Presse zu kommen

IV.      Aufsuchende Beratung

In der aufsuchenden Arbeit:
     Wir sagen, woher wir kommen
     Vorsicht: keine Kunden vergraulen (z.B. keine Anbahnungsgespräche stören)
     Angebot vorstellen
     Thekenfrauen informieren über Pille danach: Häufig enge Vertraute der Frauen,
       dient als Multiplikatorin.
     Geschützten Raum ermöglichen
       Medizinisches Untersuchungsangebot wird gerne angenommen
     aufsuchende Arbeit immer zu zweit, am besten mit Sprachmittlung

Go
        Einsatz von Sprachmittlern
        Give-Aways: Kondome, Gleitgel, Schwämmchen, Feuerzeuge, Weihnachts-
         tütchen, Reflektoren für unbeleuchteten Strich, sog „Märzchen“ (Armbändchen
         aus Osteuropa)
        langsam rantasten
        Zivilpolizist zur Aufklärung über Probleme einbinden
        Betreiber vorab kontaktieren über Arbeit
        Abgrenzung gegen Betreiberinteressen (wollen Befunde wissen!)
        Stufenweise aufbauen
        Wir tun niemandem etwas!
        Ich bin nicht vom Amt, ich bin Gast
        Kontinuität der Beraterperson
        Befunde vor Ort und in der Beratung
        Abstrichaktion in Bordellstraße (Handynummern geben lassen, Sprachmittler
         rufen bei Befund an, Behandlungsmöglichkeit aufzeigen)

NoGo
   mit Tür ins Haus fallen
   von oben herab
   Wir bringen das Superangebot...
   zu schnell
   zu intime Fragen
   mit „acht“ Personen eine Frau beraten
   während Kundenverhandlung kontaktieren
   Anspruch zu hoch hängen
   Haltung: „die Frauen warten auf uns“

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V.   Offene Fragen

Einschätzung zu neuem Gesetz
    es wird als Bundesgesetz kommen, Hoffnung auf Spielraum durch Landes-
      ebene
    genaue Kostenbetrachtung müsste es eigentlich aufhalten
    Ressourcen für Umsetzung nicht da
    viele praxisferne Regelungen

Wie baue ich einen Sprachmittlerpool auf? / Einsatz von Sprachmittlern
   fremdsprachige KollegInnen gewinnen
   unterscheiden: Geht es um aufsuchende Arbeit oder z.B. Mitteilung über HIV-
      Infektion
   Sprint-Pool
   Haltung der Mittlerinnen entscheidend
   Kooperation mit Beratungsstellen (Rekrutierung, Schulung, Bezahlung über
      Fördertöpfe)
   Honorarverträge für aufsuchende Arbeit
   ehrenamtliche Lotsen
   Migrationsberatung

Flüchtlingsunterkünfte (Was wird gemacht? Womit muss man rechnen? Was
können wir tun?)
    Viele Probleme, aber STI nicht im Vordergrund, aktuell ist anderes dringlicher
    nicht sinnvoll, große Aktionen zu machen
    Kondome verteilen ist ok
    viele junge Männer und Familien mit kleinen Kindern
    einzelne Unterkünfte bekannt, wo Prostitution stattfindet (Erstaufnahme und
      Übergangseinrichtungen)
    Asylsuchende haben zu wenig Infos über Gesundheitssystem
    sehr unterschiedliche Herkunft der Zugangsweisen
    mittelfristig Wege über Betreuer suchen
    Bei Personen, die bereits behandelt wurden: Medikation sicherstellen und ggf
      vom ländlichen Raum in Stadt verlegen

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Impressum:

Herausgeber:
Verband der AIDS-KoordinatorInnen NRW e.V. (VAK NRW)
c/o Andreas Klein
Unterwaldener Str. 11
44141 Dortmund

Telefon: 0151 234 954 18
E-Mail: A.Klein@vak-nrw.de
Internet: www.vak-nrw.de

Der Fachtag 2015 für AIDS-/ STI-Fachkräfte und KoordinatorInnen in NRW wurde

© 2015 Verband der AIDS-KoordinatorInnen NRW e.V.

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