43 Coronavirus: Ansteckungsherd Arbeitsplatz - wie geht das - VZAI
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Februar 2020 43 Employment News Nr. Coronavirus: Ansteckungsherd Arbeitsplatz – wie geht das Arbeitsrecht mit COVID-19 um? Die Zahl neuer Erkrankungen durch das Coronavirus steigt weiter. Auch in der Schweiz wurden mittlerweile mehrere Fälle bestätigt und die Sorge einer Ansteckung wächst. Insbesondere am Arbeitsplatz stellt sich die Frage, welche Folgen der Ausbruch einer Pandemie für die Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis hat.
Employment News Nr. 43 Februar 2020 Das seit Tagen Befürchtete ist mittlerweile Tatsache geworden: das Coronavirus hat nun auch die Schweiz erreicht und wird sich weiter ausbreiten. Seitdem die ersten Fälle des Coronavirus in unterschiedlichen Regionen des Landes nachgewiesen wurden, steigt auch die Verunsicherung bei der Schweizer Bevölkerung. Spätestens beim Gedanken an die überfüllten Pendlerzüge und das Gedränge in Bussen und Trams wären sicherlich einige Arbeitnehmer froh, könnten sie vorerst zu Hause bleiben. Denn dass dadurch auch die Arbeitsplätze zu potenziellen Ansteckungsherden mutieren, ist wohl kaum mehr zu ver- hindern. Doch wäre es überhaupt zulässig, wenn Arbeitnehmer aus Angst zu Hause Von Ueli Sommer bleiben würden? Oder könnten sie gar dazu verpflichtet werden? Und wie sähe es dann mit Dr. iur., LL.M., Rechtsanwalt dem Lohn aus? Im Nachfolgenden werden die zentralsten arbeitsrechtlichen Fragen rund Partner um den Brennpunkt «Coronavirus» geklärt. Telefon +41 58 658 55 16 ueli.sommer@walderwyss.com Schutzmassnahmen am Arbeitsplatz – Merkblätter mit Verhaltensvorschrif- ten an Arbeitnehmer (bspw. Hände Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gründlich waschen, in Taschentuch Das Gesetz statuiert die Pflicht des oder Armbeuge husten, Desinfek- Arbeitgebers, gebührend Rücksicht auf tionsmittel nutzen, Händeschütteln die Gesundheit ihrer Arbeitnehmer zu und zu nahen Körperkontakt vermei- nehmen. Dass er daher die betrieblichen den) Einrichtungen und Arbeitsprozesse im – Festlegung von Verhaltensregeln bei Rahmen seiner Weisungsbefugnis so Anzeichen einer Ansteckung von gestalten muss, dass eine Gesundheits- Arbeitnehmern, insbesondere sofor- gefährdung der Arbeitnehmer vermieden tige Freistellung und Aufforderung werden kann, ist hinlänglich bekannt. und Nathalie Möri zu ärztlicher Untersuchung Welche konkreten Massnahmen der MLaw, Rechtsanwältin Arbeitgeber aber im Falle einer allfälligen – Hinweis auf Informationspflicht des Telefon +41 58 658 53 03 Pandemie zu ergreifen hätte, ist bislang Arbeitnehmers bei Reisen in Risiko- nathalie.moeri@walderwyss.com mangels Präzedenzfalles noch nicht gebiete und -länder wirklich geklärt. – Verzicht auf Geschäftsreisen in Risi- Es ist jedoch davon auszugehen, dass der kogebiete und -länder Arbeitgeber bei Ausbreitung einer Pande- Sollte sich das Virus weiterhin stark aus- mie insbesondere konkrete Vorkehrun- breiten, wäre es zudem sinnvoll, wenn die gen zu treffen hat, um das Ansteckungs- Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern die risiko in den Betrieben möglichst gering Möglichkeit von Homeoffice anbieten zu halten. Dies umfasst in erster Linie würden; vorausgesetzt natürlich, dass sicherlich die Einhaltung der von den dies in Anbetracht ihrer Arbeitstätigkeit Gesundheitsbehörden empfohlenen überhaupt eine Option ist. Denn selbst Hygienevorschriften. Angesichts der der- wenn Arbeitsverträge fixe Arbeitsorte zeitigen Lage wäre es entsprechend vorsehen und keine Mobilitätsklausel ent- angezeigt, dass Arbeitgeber zum Schutze halten, ist davon auszugehen, dass das ihrer Arbeitnehmer folgende Massnah- Weisungsrecht des Arbeitgebers im Falle men ergreifen würden: des Coronavirus so weit geht, dass dieser – Information und Aufklärung der letztlich auch einseitig über die Anord- Arbeitnehmer über Ansteckungs- nung von Homeoffice entscheiden könnte. möglichkeiten 1
Employment News Nr. 43 Februar 2020 Mitspracherecht der Arbeitnehmer Arbeitgebers liegt. Daraus folgt entspre- Aufgrund seiner Treuepflicht hat der chend, dass zur Bestimmung der Lohn- Arbeitnehmer den Arbeitgeber über Was bei all den derzeitigen Diskussionen fortzahlungspflicht des Arbeitgebers Erkrankungen in seinem unmittelbaren meist in Vergessenheit gerät, ist jedoch stets geklärt werden muss, ob das ent- Umfeld zu informieren. Sollte dadurch die Tatsache, dass auch die Arbeitnehmer sprechende Ereignis in die Risikosphäre auch der Verdacht einer Ansteckung des bei Fragen des Gesundheitsschutzes am des Arbeitgebers fällt oder nicht. In Arbeitnehmers bestehen, weshalb der Arbeitsplatz konkrete Mitsprache- und Anwendung dieses Grundsatzes wäre die Arbeitgeber ihn in der Folge anweist, vor- Mitwirkungsrechte haben (Art. 48 ArG arbeitsrechtliche Beurteilung der wich- erst zu Hause zu bleiben, gilt seine und Art. 6 ArGV 3). Die Ausübung dieser tigsten Szenarien im Rahmen des Coro- Absenz als entschuldigt und der Lohn ist Rechte bedingt jedoch, dass der Arbeit- navirus wie folgt vorzunehmen: ihm weiterhin geschuldet. Muss er sich geber frühzeitig und umfassend über die hingegen aufgrund von Kontakten zu geplanten betrieblichen Gesundheits- Der Arbeitnehmer möchte aus Angst anderen mit dem Coronavirus infizierten schutzmassnahmen informiert. In der vor einer Ansteckung der Arbeit fern- Personen ohne Weisung des Arbeitge- Folge hat der Arbeitgeber die Anliegen bleiben bers in Quarantäne begeben, ist seine seiner Arbeitnehmer in Bezug auf die zu daraus resultierende Absenz zwar ent- ergreifenden Schutzmassnahmen nicht Bleibt der Arbeitnehmer der Arbeit aus schuldigt, jedoch ist ihm für diese Zeit nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern reiner Angst vor einer möglichen Anste- kein Lohn geschuldet. muss sich mit diesen konkret und im ckung fern, ohne dass dies behördlich direkten Gespräch auseinandersetzen. angeordnet oder mangels genügender Einschränkungen des öffentlichen Das Ziel ist, Lösungen zu finden, die von Schutzmassnahmen des Arbeitgebers Verkehrs beiden Seiten akzeptiert und umgesetzt gerechtfertigt ist, liegt ein Fall von unbe- werden. Sollte der Arbeitgeber den Vor- gründeter Arbeitsverweigerung vor und Bei einer Einschränkung des öffentlichen schlägen und Einwänden der Arbeitneh- der Lohnanspruch des Arbeitnehmers Verkehrs, welche es dem Arbeitnehmer mer nicht oder nur teilweise Rechnung entfällt entsprechend. Ein solches Ver- verunmöglicht seinen Arbeitsort (pünkt- tragen, hat er seinen Entscheid in der halten könnte für den Arbeitnehmer lich) zu erreichen, ist dessen Absenz Folge ausführlich zu begründen. sogar disziplinarische Massnahmen bis zwar ebenfalls entschuldigt, jedoch hin zu fristlosen Kündigung zur Folge besteht auch hier keine Lohnfortzah- Bei anhaltenden Meinungsverschieden, haben. lungspflicht des Arbeitgebers. Gleiches die innerbetrieblich nicht beseitigt wer- gilt, wenn der Arbeitnehmer wegen ande- den können, wäre es unter Umständen Wenn der Arbeitnehmer seine Arbeits- ren durch das Virus verursachten Reise- angezeigt, in beidseitigem Einverständnis leistung jedoch verweigert, weil der beschränkungen nicht oder nicht recht- die Beratung durch externe Fachper- Arbeitgeber seiner eingangs erwähnten zeitig an den Arbeitsplatz zurückkehren sonen oder die Behörden in Anspruch zu Fürsorgepflicht nicht nachkommt und kann. nehmen. Es versteht sich von selbst, dass keine Massnahmen zum Schutz seiner ein Hinauszögern von notwendigen Vor- Arbeitnehmer ergreift, muss ihm der Betriebsschliessung – freiwillig oder kehrungen in jedem Fall zu vermeiden Lohn weiterhin bezahlt werden. auf behördliche Anordnung ist. Arbeitnehmer ist bereits infiziert bzw. Wenn der Arbeitgeber seinen Betrieb vor- Lohnfortzahlungspflicht des Arbeit- könnte infiziert sein sichtshalber aus eigenem Anlass gebers – Ja oder Nein? schliesst, ohne dass er von den Behörden Wenn der Arbeitnehmer bereits infiziert dazu angewiesen wurde, trägt er infolge Der Grundsatz im Arbeitsrecht ist klar: ist oder zumindest Symptome aufweist, des ihm anzurechnenden Betriebsrisikos «ohne Arbeit kein Lohn». Dass es aber hat er der Arbeit unbedingt fernzublei- auch die Lohnfortzahlungspflicht. keine Regel ohne Ausnahme gibt, ist ben. Aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ebenso bekannt. So bleibt der Lohnan- infolge Krankheit hat er für eine Erfolgt die Betriebsschliessung jedoch spruch des Arbeitnehmers etwa erhalten, beschränkte Dauer Anspruch auf Lohn- auf behördliche Anweisung hin oder auf- wenn die Erbringung der Arbeitsleistung fortzahlung gemäss Art. 324a OR. Dabei grund der Fürsorgepflicht des Arbeitge- nicht möglich ist, weil sich der Arbeitge- ist unbeachtlich, wann und wo der Arbeit- bers, weil sich bereits mehrere Arbeit- ber im Annahmeverzug (Art. 324 OR) nehmer eine allfällige Erkrankung fest- nehmer trotz Schutzmassnahmen am befindet oder wenn die Erbringung der stellt. Selbst wenn dieser in den Ferien Arbeitsplatz mit dem Virus infiziert Arbeitsleistung aus einem Grund unmög- am Coronavirus erkrankt, deswegen haben, ist die Beurteilung der Rechtslage lich wird, der im Risikobereich des nicht reisefähig ist und gar nicht an den etwas schwieriger. Das Szenario einer Arbeitsplatz zurückkehren kann, hat er länderübergreifenden Pandemie ist Anspruch auf diese Lohnfortzahlung. 2
Employment News Nr. 43 Februar 2020 Employment News berichtet über neuere Entwicklungen unseres Erachtens weder der Risiko- rung des umfassenden sozialen Schutzes und wichtige Themen im Bereich des schweizerischen sphäre des Arbeitnehmers noch jener sowie die Vermeidung von Beitragslücken Arbeitsrechts. Die darin enthaltenen Informationen und des Arbeitgebers zuzuordnen, da eine in der beruflichen Vorsorge. Kommentare stellen keine rechtliche Beratung dar, und die erfolgten Ausführungen sollten nicht ohne spezifische Ausweitung des Betriebsrisikos auf sol- Gemäss Art. 32 Abs. 3 des Arbeitslosen- rechtliche Beratung zum Anlass für Handlungen genom- che Sachverhalte viel zu weit gehen wür- men werden. versicherungsgesetzes fallen auch de. Ein solcher Fall ist vom Gesetz ent- Arbeitsausfälle unter die Bestimmungen © Walder Wyss AG, Zürich, 2020 sprechend gar nicht geregelt. Daher ist der Kurzarbeitsentschädigung, die auf die pauschale Aussage des SECO, behördliche Massnahmen oder andere wonach in solchen Situationen per se vom Arbeitgeber nicht zu vertretende eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeit- Umstände zurückzuführen sind (Art. 32 gebers bestehe, aus unserer Sicht nicht Abs. 3 AVIG), nicht durch andere Mass- überzeugend. Vielmehr wären bei einer nahmen vermieden werden können und von keiner Partei zu vertretenden kein Dritter (insb. keine Versicherung) für Unmöglichkeit der Leistungserbringung – den Schaden haftbar gemacht werden wie dies bei einer Betriebsschliessung kann. Diese Härtefallklausel regelt daher auf behördliche Anordnung hin oder insbesondere Tatbestände, die auf infolge der Fürsorgepflicht des Arbeitge- aussergewöhnliche Umstände zurückzu- bers bei mehreren infizierten Arbeitneh- führen sind und somit über das normale mern – die allgemeinen Verzugsregeln Betriebsrisiko hinausgehen. Unseres gemäss Art. 119 OR anzuwenden, aus Erachtens ist es durchaus vertretbar, im deren Anwendung die Folge «ohne Arbeit Falle einer Betriebsschliessung wegen kein Lohn» resultiert und der Arbeitgeber des Coronavirus einen solchen Härtefall bei diesem Szenario somit auch keine geltend zu machen und entsprechend die Lohnfortzahlungspflicht trägt. Ausrichtung von Kurzarbeitsentschädi- gungen zu verlangen. Möglichkeit von Kurzarbeit bei Betriebsschliessung Risikobeschränkung für Arbeitgeber Obschon dies bis anhin kaum je themati- Selbst wenn der Arbeitgeber nicht in siert wurde und auch Lehre und Recht- allen Fällen das Lohnfortzahlungsrisiko sprechung sich weitestgehend darüber bei einer Ausbreitung des Coronavirus ausschweigen, stellt sich aus rechtlicher trägt, wären die Beeinträchtigungen der Sicht die Frage nach der Anwendbarkeit Produktionsabläufe ein derart grosses von Kurzarbeit bei Ausbreitung des Coro- finanzielles Risiko, dass Versicherungs- navirus. Denn für den Fall, dass der lösung durchaus in Erwägung gezogen Betrieb aufgrund einer behördlichen werden sollten. Ob das Lohnrisiko im Anordnung geschlossen werden müsste, Falle einer behördlich angeordneten gäbe es unter Umständen die Möglichkeit Betriebsschliessung mithilfe von Kurzar- Kurzarbeitsentschädigungen jeweils im beitsentschädigungen minimiert werden Umfang von 80% des Lohnes von der könnte, dürfte jedoch erst geklärt wer- Arbeitslosenversicherung zu beantragen. den, wenn dieses Szenario auch tatsäch- Als Kurzarbeit bezeichnet man nicht nur lich eintritt. Bleibt zu hoffen, dass dies im eine vorübergehende Reduzierung, son- Rahmen des Coronavirus nicht der Fall dern auch die vollständige Einstellung sein wird. der Arbeit in einem Betrieb, wobei die arbeitsrechtliche Vertragsbeziehung auf- recht erhalten bleibt. Für den Arbeitgeber besteht dabei der Vorteil, dass er Kosten für die Personalfluktuation spart und die kurzfristige Verfügbarkeit über die Arbeitskräfte behält. Die Vorteile für die Arbeitnehmer sind insbesondere die Ver- meidung der Arbeitslosigkeit, die Bewah- 3
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