FE: Filme mit dem Thema Migration H10 Dozent: Peter Holzwarth - Martina Wildhaber Jasmin Bär
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Filmheft: The Kite Runner FE: Filme mit dem Thema Migration H10 Dozent: Peter Holzwarth Martina Wildhaber martina.wildhaber@stud.phzh.ch Jasmin Bär Jasmin.baer@stud.phzh.ch
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Filmheft: The Kite Runner Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ................................................................................................................ 3 2. Informationen zum Film .................................................................................. 4 3. Plot............................................................................................................................. 5 3.1 Story...............................................................................................................................................................................5 3.2 Geschichtlicher Überblick Afghanistan ...............................................................................................6 4. Charakteren ........................................................................................................... 8 4.1 Beziehungsnetz .....................................................................................................................................................8 4.2 Amir ................................................................................................................................................................................9 4.3 Hassan ....................................................................................................................................................................... 10 4.4 Baba ............................................................................................................................................................................ 11 5. Szenenanalyse.................................................................................................... 12 5.1 Heimat ....................................................................................................................................................................... 12 5.1.1 Die Heimat von Amir ................................................................................................................................12 5.1.2 Die Heimat von Baba ...............................................................................................................................13 5.1.3 Szenenanalysen Amir und Baba.....................................................................................................14 5.2 Migration (Flucht) ............................................................................................................................................. 19 5.2.1 Die Heimat verlassen...............................................................................................................................19 5.2.2 Einleben ...............................................................................................................................................................19 5.2.3 Szenenanalyse „Flucht“ .........................................................................................................................20 5.3 Symbole ................................................................................................................................................................... 26 5.3.1. Drachen..............................................................................................................................................................26 5.3.2. Granatapfel .....................................................................................................................................................27 5.4 Elemente der Filmsprache ......................................................................................................................... 29 5.4.1 Dramaturgie.....................................................................................................................................................29 5.4.2 Filmmusik ...........................................................................................................................................................30 5.4.3 Intention..............................................................................................................................................................30 6. Pädagogisches Konzept ................................................................................. 31 6.1 Kontext und Methoden ................................................................................................................................. 31 6.2 Unterrichtsideen ................................................................................................................................................ 31 7. Fazit ................................................................................................................................................................................ 32 8. Bibliographie ....................................................................................................... 33 Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 2
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Filmheft The Kite Runner 1. Einleitung The Kite Runner ist ein eindrücklicher, lebendiger und mitreissender Film. Das Thema Migration wird durch Flucht aufgrund politischer Unruhe angesprochen. Jedoch findet keine Remigration in diesem Sinne statt, Amir reist eher unfreiwillig und als letzte Ehre für Rahim Kahn zurück. Eine Remigration kommt für Amir nicht in Frage, vielmehr hat er in Amerika eine neue Heimat gefunden. Wir haben uns dabei gefragt, welche Faktoren diesen Wandel begünstigen, d.h. wann das Heimatgefühl durch eine neue Heimat abgelöst wird. Dabei sind wir auf folgende Fragestellungen gekommen: • Welchen Prozess durchleben Flüchtlinge von der Ablösung der Heimat bis zum Einleben im neuen Land? Welche Faktoren begünstigen, bzw. verlangsamen diesen Prozess? • Wie definiert sich Heimat? Wie veränderbar ist der Heimatsbezug? Zuerst findet sich eine Übersicht über Filminformationen, Plot und Charakteren. Das Kapitel 5 bezieht sich auf die Themen Heimat und Migration und beinhaltet Szenenanalysen des Films. Im Kapitel 6 findet sich ein pädagogisches Konzept, welches Ideen zum Umgang mit dem Film im Unterricht gibt. Diese sind im Appendix angehängt. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 3
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 2. Informationen zum Film Originaltitel The Kite Runner Deutscher Titel Der Drachenläufer Regie Marc Forster Drehbuch David Benioff basierend auf dem Roman von Khaled Hosseini (2003) Musik Alberto Iglesisas Kamera Roberto Schaefer Schnitt Matt Chesse Produktionsland USA Originalsprache Englisch, Dari, Pashtu, Russisch Länge Ca. 122 Min. Erscheinungsjahr 2007 Alter FSK Ab 12 J. Darsteller: Amir (Mann) Khalid Abdalla Amir (Junge) Zekeria Ebrahimi Hassan Ahmad Khan Mahmidzada Baba Homayoun Ershadi Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 4
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 3. Plot 3.1 Story „Aus dem Bestsellerroman wurde einer der meistgefeierten Filme des Jahres. Als Jungen waren Amir und Hassan unzertrennliche Freunde – bis eine schicksalsschwere Tat die beiden auseinanderriss. Jahre später begibt sich Amir auf eine gefährliche Reise, um das Unrecht der Vergangenheit wieder gutzumachen. Er rehabilitiert sich auf Wegen, die er nie in Betracht gezogen hätte und zeigt sich schliesslich das Äusserste an Mut und Hingabe für seinen Freund. Unter der Regie von Marc Forster (Wenn Träume fliegen lernen, Monster’s Ball) verbreitet Drachenläufer die Hoffnung, dass es Gerechtigkeit in der Welt geben könnte.“ Rückseite der DVD Eine tiefe, brüderliche Freundschaft zwischen Amir und Hassan begleiten uns durch die lebendigen Strassen von Kabul. Die beiden verbringen jede freie Minute miteinander, feiern sich als „die Sultane von Kabul“, Amir liest Geschichten vor, Hassan beschützt Amir vor anderen Jungs. Bei einem traditionellen, alljährlichen Wettbewerb lassen die Kinder von Kabul Drachen steigen und versuchen dabei, die Schnur anderer Drachen zu durchschneiden. Die Besitzer des letzten Drachen in der Luft gewinnen. Amir und Hassan gewinnen das Fest und lassen sich als Helden feiern. Hassan rennt dem Drachen nach, um ihn seinem Freund zu holen, und kommt nicht mehr zurück. Als Amir durch die Gassen geht, um Hassan zu suchen, sieht er, wie Hassan von älteren Jungs angepöbelt und darauf vergewaltigt wird. Amir bleibt erstarrt und ist zu feige, um Hassan zu helfen. Dieser tragische Vorfall bringt die beiden Knaben auseinander, Amir kann seinem Freund nicht mehr mit reinem Gewissen in die Augen sehen und die Freundschaft der beiden wird beendet. Politische Unruhen zwingen Amir und sein Vater via Pakistan nach Amerika zu fliehen. Amir schliesst erfolgreich die Highschool ab und spricht fliessend Englisch, er scheint sich in seiner neuen Heimat wohl zu fühlen. Baba dagegen ergibt sich seinem Schicksal, arbeitet an einer Tankstelle und verkauft mit Amir gebrauchte Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 5
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Sachen auf einem Flohmarkt. Baba verschweigt nicht nur lange seine Krankheit, auch seine Vergangenheit. Nach seinem Tod erfährt Amir durch ein Telefonat von Rahim Kahn und ein anschliessender Besuch zurück in der alten Heimat, von der Geschichte von Baba, seinem Vater, der die Frau des Dieners schwängerte. Es beginnt eine anspruchsvolle Reise durch Afghanistan, angepasst an die Richtlinien der Taliban, in eine für Amir fremde Welt. Doch es gelingt Amir, die Vergangenheit aufzurollen und zu bereinigen. Für seinen Bruder Hassan riskiert er sein Leben, um dessen Sohn Suhrab aus den Fängen des Taliban Führers Assef, der Vergewaltiger, zu befreien. 3.2 Geschichtlicher Überblick Afghanistan 1978: Die kommunistisch demokratische Volkspartei Afghanistan (DVPA) übernimmt die Macht, angeführt durch Nur Muhammad Taraki. Diese politischer Wandel von der Republik Afghanistans in eine kommunistische Demokratie ist als Saurrevolution benannt worden („Saur“ in der Sprache Dari = 2. Monat im persischen Kalender). Durch politische Unruhen im Land orientiert sich der Anführer an die Sowjetunion und bittet um Unterstützung. 1979 marschieren sowjetische Truppen in Afghanistan ein. 1989: Aus dem von 1979 hervorgegangenen Konflikt resultiert ein tobender Bürgerkrieg, anhaltend von 1989-2001. Die Bewegung der Taliban macht sich stark. 1994 nehmen sie die erste grössere Stadt in Beschlag, 1996 übernehmen sie die Macht in Kabul. 2001: Der Terroranschlag am 11. September 2001, ausgeführt durch die Organisation Al-Quaida, angeführt von Osama Bin Laden aus Afghanistan, führen die Amerikaner zum Ziel, das Talibanregime zu stürzen. Am 7. Oktober 2001 hat das Projekt Operation Enduring Freedom gestartet, am 13. November 2001 fällt die Hauptstadt Kabul. 2010: Nach dem Sturz der Taliban reimigrieren zahlreiche Flüchtlinge aus den Nachbarländern. Sie stehen vor grossen Problemen: Das Land ist zerstört, Minen Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 6
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth und Bomben versteckt, Menschrechte werden missachtet, internationale Truppen vor Ort. Am 28. Januar 2010 findet in London eine internationale Konferenz zu Afghanistan statt. Es wird entschieden, dass die Verantwortung der militärischen Sicherheit schrittweise an die afghanische Regierung übergeben wird. Internationale Truppe sollen bis 2011 das Land verlassen haben. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 7
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 4. Charakteren 4.1 Beziehungsnetz Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 8
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 4.2 Amir Amir, 1963 in Kabul geboren, wächst in einem gehobenen paschtunischen Haushalt mit seinem Vater auf. Seine Mutter starb bei seiner Geburt, seither fühlt sich Amir für ihren Tod verantwortlich und meint, dass sein Vater ihm dies nie verzeihen wird. Amir schreibt in seiner Freizeit Geschichten, die er oft Rahim Kahn, der Freund des Vaters, und seinem besten Freund Hassan vorliest. Hassan und Amir lieben es, Drachen steigen zu lassen, dabei andere Drachen in der Luft zu schneiden und anschliessend den gefallenden Drachen nachzulaufen, eine afghanische Tradition. Die beiden gewinnen am jährlichen Fest um den besten Drachenläufer und sind für einen kurzen Moment die stolzesten Einwohner Kabuls. Zugleich ist es der letzte fröhliche Augenblick der Freundschaft. Noch am selben Tag wird die Freundschaft durch einen schlimmen Vorfall jäh zerbrochen. Während Hassen einen Drachen für Amir hinterher rennt, („Hassan komm mit ihm zurück!“ - „Amir, für dich mehr als tausend mal!“) wird er von einer Gruppe Jungen aufgehalten. Assef, der Anführer der Gruppe, vergewaltigt Hassan. Amir beobachtet den Vorfall und wagt es nicht, Hassan zu helfen. In den folgenden Tagen haben die Jungen keinen Kontakt, keiner von beiden erzählt von dem Vorfall. Amir erträgt es nicht mehr, Hassan in die Augen zu schauen und über das Geschehene zu sprechen. Er wagt etwas unfassbares, und in den Augen des Vaters etwas unverzeihliches: Er legt eine wertvolle Uhr unter Hassans Bett und behauptet, dieser habe ihn bestohlen. Daraufhin verlassen Hassan und sein Vater das Haus für immer. So hat sich Amir zwar von einem Problem befreit, aber dieses nicht gelöst. Diese Schuld begleitet ihn ein Leben lang. Amir und sein Vater flüchten in die USA und leben vom Verkauf gebrauchter Sachen. Nebenbei schreibt Amir weiterhin Geschichten. Er lernt seine Frau Soraya auf dem Markt kennen, die beiden heiraten und teilen sich eine Wohnung mit dem todkranken Vater von Amir. Bis ein Telefonat aus Pakistan die Ruhe unterbricht: Rahim Kahn bittet Amir nach Hause zu kommen. Amir erinnert sich an seine Last und nimmt diesmal die Chance an, die Heimat zu besuchen und seinem Vater und Hassan eine letzte Ehre zu erweisen, um seine Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 9
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Schuld wieder gut zu machen. So macht er sich auf den Weg zurück nach Afghanistan, auf die Suche nach dem Sohn von Hassan. 4.3 Hassan Hassan wächst als Sohn des Dieners auf, in einer kleinen Scheune neben dem Haus von Amir und dessen Vater. Von den Jungen in Kabul wird er oft als „Hassara-Junge“ beschimpft, eine ethnische Minderheit in Afghanistan, die im modernen Afghanistan vor allem von der paschtunischen Elite diskriminiert wird. Er kann weder lesen noch schreiben und liebt es, von Amir Geschichten vorgelesen zu bekommen. Besonders die berühmte Geschichte von Rostam und Suhrab gefällt ihm am besten. Hassan ist sehr tüchtig und hilft seinem Vater im Haushalt von Amir. Er ist sehr bescheiden und würde alles tun, um Amir zu beschützen. Als Amir und Hassan einmal von einer Jungenbande provoziert werden, beschützt Hassan Amir mit seiner Steinschleuder. Leider weiss auch Hassan nicht um das grosse Geheimnis von Amirs Vater. Amir erfährt erst als Erwachsener, als Hassan bereits durch die Taliban exekutiert wurde, dass Hassan sein Halbbruder war. Hassan hat es wahrscheinlich nie erfahren. Die beiden wachsen zwar Seite an Seite auf, doch leben sie ein völlig anderes leben. Amir in Luxus, Hassan in Bescheidenheit. Nach dem Auszug aus dem Haus von Amir verlieren die Jungen den Kontakt zu einander. Später erst erfährt Amir in einem Brief von Hassan, wie er sich selber lesen und schreiben beigebracht hat und Amir alles verziehe. Er benennt seinen einzigen Sohn Suhrab nach seiner Lieblingsgeschichte, die Amir ihm jeweils vorgelesen hat. Hassan bewacht bei Einzug der Taliban in Kabul das Haus von Amir und seinem Vater, nach dem Rahim Kahn nach Pakistan geflohen ist. Er weigert sich, wie bereits als Kind, jeglicher Diskriminierung standzuhalten und wird als Strafe mit seiner Frau auf der Strasse vor dem Haus erschossen. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 10
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 4.4 Baba Baba ist ein sehr strenger Vater, dem es manchmal schwer fällt, die Liebe zu seinem Sohn offen zu zeigen, was sich in der Vater-Sohn-Beziehung mit Distanz zeigt. Oft ist es Rahim Kahn, der sich Amirs Gedanken und Gefühlen herzlich annehmen kann. Baba ist ein erfolgreicher und moderner Händler, der sein Geld gerne für materiellen Luxus ausgibt. So fährt er den neusten Mustang, hält einen Diener im Haus, kauft Amir und Hassan den besten Drachen, etc. Er unterscheidet sich von anderen Afghanen in dem er politisch liberal und modern eingestellt ist, Alkohol trinkt und keine Religion praktiziert. Sein Leben lang verschweigt er seinen zweiten Sohn, Hassan, den er genauso liebt wie Amir und dies zeigt, in dem er ihn gleich fair behandelt wie Amir. Als Hassan und sein Vater das Haus verlassen, bricht es ihm das Herz, doch kann er die beiden nicht aufhalten. In seiner Heimat in Afghanistan ist er ein angesehener und stattlicher Mann, der sich für seine Rechte und die anderer einsetzt. Doch bleibt ihm keine andere Wahl zu fliehen, als die kommunistische Partei an die Macht kommt und die gegnerische Partei bedroht. Bevor er sein Heimatland verlässt, nimmt er als Andenken Erde mit. So als ob er schon damals wusste, dass ein Zurückkommen nicht mehr in Frage kommt. Sein Charisma leidet durch die Flucht und das neue Leben in Amerika, er ist nicht mehr der kräftige Mann, sondern ein älterer Herr, der zwar die neue Heimat akzeptiert, sich aber immer an seine Heimat erinnert und dabei die Erde küsst. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 11
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 5. Szenenanalyse 5.1 Heimat 5.1.1 Die Heimat von Amir Amir ist ein nachdenklicher und ruhiger Junge, der lieber den anderen Kindern beim spielen zuschaut als mitzuspielen, Geschichten schreibt als Fussball zu spielen. Amir vermisst seine Mutter, eine liebende Frau. Er wächst nur mit Männern auf, sein Vater, Ali und Hassan und Rahim Kahn sind seine engsten Bezugspersonen. Amir wächst modern auf, bekommt alles was er möchte, kleidet sich westlich, jedoch fehlt ihm Zuneigung. Die Sehnsucht nach der Mutter, sowie auch das damit verbundene Schuldgefühl ihres Todes, lassen das Zuhause von Amir oft kalt erscheinen. Ein modernes, reiches Haus, westliche orientierte Architektur, mit grossem Vorplatz. Fühlt er sich wohl? Amir sitzt oft am Fenster und schaut nach draussen. Als suche er nach etwas, was er noch nicht hat. Amir liebt es, mit Hassan auf Hügel zu rennen, durch die Gassen zu laufen und Drachen fliegen zu lassen. Das zeichnet seine Beziehung zur Heimat Afghanistan. Doch als die Realität das naive Leben der Kinder durchschneidet und politische Unruhen das Land behaupten, sind Amir und Baba gezwungen, aus dem Land zu flüchten. Amir ist immer noch ein Knabe, der dadurch ungewollt früh zum Erwachsenen reift. Seine schönen Erinnerungen an die Heimat werden durch Soldaten, Panzer und Gewalttaten zerrissen und hinterlassen den Eindruck an ein zerstörtes Land. Amerika lässt Amir alle Möglichkeiten offen. Er macht einen guten Schulabschluss, schreibt seine Geschichten auf einer Schreibmaschine und träumt von einer Karriere als Autor, die ihm realistisch erscheint. Baba’s Einwände gegen seinen Berufswunsch lassen ihn nicht aufhören, zu schreiben. Vielleicht hätte Baba in Afghanistan mehr Einfluss auf seinen Sohn gehabt, vielleicht hätte Amir nie ein Buch veröffentlicht und wäre nach dem Wunsch des Vaters Arzt geworden. In Amerika, einem freien Land, lässt es Amir zu, sich gegen seinen Vater zu stellen. Amir lebt sich in Amerika ohne Probleme ein. Faktoren die dies begünstigen sind die Flexiblität, das Alter, die Ungebundenheit. Amir ist mit seinen jungen Jahren Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 12
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth viel flexibler und offener für Neues. Durch die Schule wird er automatisch in das System eingliedern und sich eine Ausbildung aufbauen. Afghanistan ist zwar seine Herkunft, jedoch hat er sich noch nicht so sehr wie sein Vater an das Land gebunden, so dass er freier ist mit dem Gedanke, sich eine neue Heimat aufzubauen. Das Telefon von Rahim Kahn reisst Amir aus seinem Zuhause. „Home?“ Nachhause kommen? Da wird ihm klar, dass seine Heimat nun Amerika ist, dass er sich nie vorstellen könnte, wieder zurück zu gehen. 5.1.2 Die Heimat von Baba Baba ist ein sehr stolzer Afghane, politisch modern beeinflusst, zeichnet er sich als starker Gegner der kommunistischen Politik aus. Aufgrund von öffentlichen Äusserungen gegen das aufkommende sozialistische Regime, fürchtet er um sein Leben und ist beim Einzug der Sowjetunion gezwungen, das Land als politischer Flüchtling zu verlassen. Baba liebt jedoch seine Heimat, seine Kultur, die Tradition des Drachenfliegens. Bei der Flucht scheint es ihm das Herz zu zerreissen. Als er zum letzten Mal seine Füsse von Afghanischem Boden löst, hebt er als Erinnerung Erde auf. Diese küsst er und steckt sie sorgfältig in eine kostbare Dose. Als scheint er zu ahnen, dass er nie mehr seine Heimat betreten wird. Diese Dose begleitet ihn bis zu seinem Tod. Baba besitzt Charisma. Dies beweist er ein letztes Mal auf der Flucht bei der Begegnung mit einem Soldaten. Um die Frau eines Mitfahrers zu schützen, riskiert er sein Leben. In Amerika lebt sich Baba zwar ein, jedoch verliert er zunehmen an dieser ausgestrahlten Stärke. Er wirkt matt und traurig, doch ist er voller Stolz. Die Schwierigkeit für Baba ist die hierarchische Umstellung in Amerika: In Kabul besass er den neusten Mustang, ein schönes Haus und eigene Hausangestellten. In Amerika muss er sich auf das Niveau eines Tankstellenarbeiters hinablassen, um sein Leben zu finanzieren. Geht es jedoch um Russen, lebt Babas Temperament und politische Einstellung schlagartig auf. Von Ärzten mit russischen Wurzeln lässt er sich nicht behandeln. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 13
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Nach der Heirat von Amir kann Baba endlich einschlafen. Er verabschiedet sich von seiner Schwiegertochter und seinem Sohn, küsst die Erde seiner Heimat und wendet sich friedlich in Gedanken seiner Heimat zu. 5.1.3 Szenenanalysen Amir und Baba 1) „Amir wehrt sich nicht.“ a) Wirkung Die Jungen werden unterschiedlich erwartet, als sie Zuhause ankommen. Hassan rennt vor Freude zu seinem Vater, Amir schleicht sich unbemerkt ins Haus. Das Haus erscheint kalt und herzlos, die grobe Einstellung des Vaters unterstreicht dies. Amir fühlt sich alleine und ist traurig, sein Zimmer ist dunkel. Nur Rahim Kahn findet den Zugang zu ihm, zuerst mit Abstand, kommt aber immer näher zu Amir, bis sie schlussendlich auf gleicher Höhe sind. Die beiden werden von Aussen durchs Fenster dargestellt, von Innen am Fenster gespiegelt (Amir) und von hinten. Sanfte Musik kommt erst gegen Schluss der Szene hinzu, sie untermalt die Situation leicht dramatisch. Amir erscheint sehr reif für sein Alter, Rahim Kahn tröstet ihn. Amir und Rahim Kahn wirken wie Vater und Sohn, sie haben eine enge Beziehung zu einander, was auch durch die gleiche Kopfhöhe dargestellt wird. Baba und Amir haben eine andere Art von Beziehung. Sie lieben sich wie Vater und Sohn, Baba hat aber seine Vorstellungen davon, wie Amir sich verhalten sollte und kann ihn nicht einfach so akzeptieren, wie er ist. Eine der wenigen Szenen, in denen man sieht, wie nahe sie sich eigentlich sind ist die Szene auf der Flucht, (siehe Kapitel 5.2.1) als sie zusammen im dunklen Innern eines Lastwagens über die Grenze geschmuggelt werden. b) Der Filmische Raum / Kamera Der erste Teil der Szene befindet sich vor dem Haus, später im Treppenhaus des grossen Hauses und schlussendlich bleibt der filmische Raum bestehen, durch die Situation in Amirs Kinderzimmer. Die Wechsel der filmischen Räume verlaufen parallel zur emotionalen Empfindung von Amir: Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 14
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Raum Kamera Einstellungsgrösse Gefühl Von Draussen Über Tor Totale Spielend, fröhlich kommend in den fliegend (evt. Hof mit Kran) Hauseingang Starre Kamera Wechsel zwischen Vorahnend auf Halbtotale, Halbnah, Grösseres Amerikanisch Treppenhaus Schwenkende Halbnah Enttäuscht, traurig, Neigung getroffen, aufgewühlt Kinderzimmer Leicht Wechsel zwischen Nachdenklich, schwenkend, Nah, Halbnah, resigniert meist starr Amerikanisch c) Kamerabewegungen Die Kamera ist während der Interaktion von zwei Personen still und bewegt sich nur, wenn sich die Personen auch bewegen. Sowie zu Beginn der Szene, als die Jungs in den Hof rennen. Vermutlich ist die Kamera auf einem Kran montiert, der sie zuerst hoch zieht und dann über das Tor fliegt. Im Hauseingang ist die Sicht der Kamera auf gleicher Höhe wie die Gesichter der Personen, so als wäre sie eine imaginäre Drittperson. Im Treppenhaus bleibt die Kamera unten stehen, schwenkt jedoch der Bewegung von Amir mit, woraus eine Neigung entsteht. Im Kinderzimmer ist die Kamera nicht mehr in Bewegung, sie schwenkt nur noch leicht zwischen Amir und Rahim Kahn hin und her. Die Kamera fokussiert Amir im Vordergrund, Rahim bleibt anfangs im Hintergrund unscharf stehen, erst später, als er Amirs Gedanken wahrnimmt, kommt er auf Amir zu. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 15
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Zu Beginn der Szene werden Amir und Rahim von Aussen gefilmt: Die Kamera ist möglicherweise wieder auf einem Kranen auf Fensterhöhe montiert. Interessant ist dabei die Einstellung, die Sprechenden von Aussen zu sehen, aber sie trotzdem zu hören als wäre man Drinnen im Haus. Diese Einstellung, oft in Zusammenhang mit einem Fenster, erscheint mehrmals im Film. d) Einstellungsgrössen (Standbilder) Eine eindrückliche Totale (die Kamera fliegt über das Tor) eröffnet die Szene. Für Zuschauer mag die Einstellung von oben und leicht geneigt ungewöhnlich erscheinen, doch sind es diese Bilder, welche der Sequenz eine Spannung erzeugen lassen. Die Einstellungsgrössen wechseln oft zwischen Halbnah und Nah bei sprechenden Personen, sodass die Zuschauer den Wechsel nicht bewusst wahrnehmen. Auffallend oft wird in dieser Sequenz die Einstellung „Amerikanisch“ angewendet. Man sieht weder Füsse noch den ganzen Raum. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 16
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 2) Szene in der Bar a) Wirkung Amir und Baba feiern den High School Abschluss von Amir in einer Bar. Baba zieht dabei einen Mann an der Bar sowie eine Gruppe junger Männer am Billardtisch mit in das Geschehen ein. Er erklärt, dass er seinen Sohn lieber als Arzt statt Schriftsteller sehen möchte und bringt dabei Amir in eine peinliche Lage. Dieser aber widersetzt sich seinem Vater und erklärt, dass er schreiben wird und nicht Arzt werden möchte. Baba wirkt in dieser Situation aufgesetzt fröhlich, man spürt seinen Stolz, jedoch auch die Reue, dass sein Sohn nicht einen angesehenen Beruf erlernen wird. Schlussendlich lädt er die ganze Bar auf ein Bier ein: „Fuck the Russia!“. Die Wut auf die Russen trägt Baba immer noch nahe bei sich. Amir hingegen schämt sich etwas für seinen angetrunkenen Vater. Er wirkt dabei zurückhaltend und bescheiden. Als sein Vater beginnt, über Hassan zu sprechen, scheint ihn das Verdrängte gedanklich wieder einzuholen. b) Der filmische Raum Diese Szene spielt sich in einem geschlossenen Raum ab. Wahrgenommen wird jedoch nicht die ganze Bar; nur die Theke und eine Ecke mit Billardtisch. c) Kamerabewegungen Die Kamera bewegt sich in dieser Szene aus der Sicht einer Person im Raum. Als Amir und Baba in den Raum treten, schwenkt die Kamera von unten hinauf und fokussiert die Gesichter. Dies gleicht einer Bewegung am Billardtisch; ein Mann der gerade spielte und nun aufschaut. Eine ähnliche Einstellung erfolgt an der Bar: Die Kamera zeigt die Perspektive einer imaginären Person, die neben Baba, Amir und dem weiteren Gast sitzen. Nur einmal nimmt sie die Rolle des Barbetreibers ein, als der Tresen aus seiner Sicht wahrgenommen wird. d) Einstellungsgrössen Weil die Szene nur auf einen Raum beschränkt ist und die Interaktion vor allem zwischen Amir und Baba stattfindet, wechseln hier die Einstellungsgrössen Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 17
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth hauptsächlich zwischen Nah und Halbnah, wobei meistens eine Person davon in Fokus ist und diejenige daneben leicht unscharf. Zwischendurch sind einzelne Aufnahmen in der Einstellung „Amerikanisch“ aufgenommen. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 18
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 5.2 Migration (Flucht) 5.2.1 Die Heimat verlassen Kurz nach dem Ali und Hassan das Haus für immer verlassen, treten die sowjetischen Truppen in Kabul ein. So plötzlich wie Ali und Hassan das Haus verlassen, so plötzlich sind Amir und Baba gezwungen, Afghanistan zu verlassen. Amir scheint noch zu jung, um die politischen Unruhen zu verstehen, Baba jedoch fürchtet sich, verfolgt zu werden. Ohne zu zögern löst Baba seinen neuen Mustang gegen die Kosten für die Schlepper ein. Die beiden packen das Nötigste und verlassen Afghanistan in einem Tiertransport ähnlichem Gefährt. Wie bereits in 5.1.2 erwähnt, zeigt sich Baba in der Situation mit einem Soldaten äusserst mutig und zeigt Zivilcourage. An der Grenze zu Pakistan sind die Flüchtlinge gezwungen, den Kleinlaster gegen einen Wassertank-Lastwagen zu tauschen. Baba ist skeptisch und wütend zu gleich. Doch ist er gezwungen, dieses Risiko einzugehen, es bleibt ihm keine Wahl. Zum ersten Mal ist er gezwungen, sich aus der edlen Hierarchie, seiner Gewohntheit, zu lösen. Sowie er in Amerika gezwungen ist, seinen bisherigen Lebensstandard aufzugeben. Im Tanklaster sind sich die beiden zum ersten Mal seit langem sehr nahe. Baba beschützt Amir, tröstet ihn und lässt ihn Gedichte zum Zeitvertrieb aufsagen. Die Flucht wird die beiden immer verbinden. Wir Zuschauer erleben die Flucht der beiden bis nach Pakistan, die Endet mit einem feinen Schnitt in die USA, jedoch mit einem grossen Schritt zehn Jahre später. Wie die beiden es bis in die USA geschafft haben, ist unklar. Jedoch ist aufgrund der finanziellen Mittel anzunehmen, dass Baba Flugtickets in die USA besorgen konnte. 5.2.2 Einleben Wie bereits erwähnt, ist das Einleben für Amir einfacher als für Baba. Amir ist jung, baut sich sein Leben noch auf und ist fähig, flexibel mit neuen Situationen Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 19
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth umzugehen. Baba hingegen hat alles verloren, was er sein Leben lang aufgebaut hat. Seine Arbeit, sein Eigentum, seine Freunde und sein Sohn Hassan, was erst am Schluss des Filmes aufgedeckt wird. Da er bereits als junger Vater seine Ehefrau, Amirs Mutter, sowie seine Geliebte, die Mutter von Hassan, verloren hat, bleibt ihm nun nur noch Amir. Alte Bekannte aus der Heimat, die Familie von General Sahib, erleichtern das Einleben der beiden. Die gemeinsame Situation verbindet. Wie wird die Familie in Verbindung mit dem Thema Migration dargestellt? Baba und Amir sind klar politische Flüchtlinge. Die Familie von General Sahib scheint jedoch schon länger in der USA zu leben: Die Tochter, Soraya, ist in der neuen Heimat geboren, jedoch mit traditionellen Werten erzogen worden. Ihre Ehre und die der ganzen Familie ist bedroht, weil sie sich vor der Hochzeit mit einem Mann eingelassen hat. Diese traditionellen Werte erscheinen im modernen Amerika paradox, sogar Amir hat in Afghanistan eine freiere Erziehung genossen. Jedoch zeigt sich bei Migranten oft einen starken Bezug zur Tradition, als einzige Verbindung zur Heimat. Soraya mag vielleicht noch nie in Afghanistan gewesen sein, oder sich dort als Fremde gefühlt haben, jedoch ist ihre Sozialisation afghanisch und konservativ gegen die ihre wahre Heimat USA gesetzt. Sie wächst in zwei Welten auf. Es ist anzunehmen, dass die Familie nicht einer politischen Flucht ausgesetzt war, sondern eher aus wirtschaftlichen Gründen imigriert sind. Soraya fühlt sich als Amerikanerin, General Sahib und seine Frau scheinen aber nicht im neuen Land Fuss gefasst zu haben. Im Gegensatz zu Baba und Amir beherrschen sie die Englische Sprache nicht und kommunizieren nur in ihrer Muttersprache. Baba erscheint offener als General Sahib. Beide behalten ihren Lebensstil, welcher von afghanischen Traditionen geprägt ist, bei, wobei Baba schon im Heimatland eine modernere Einstellung hatte. 5.2.3 Szenenanalyse „Flucht“ Szene Flucht 44:18 – 51:24 a) Wirkung In Minute 44:01 verlassen Ali und Hassan das Haus, kurz darauf, Minute 44:18 verlassen Baba und Amir das Land. Beide flüchten, jedoch nicht in der gleichen Lage. Ali und Hassan leben als Minderheit im Land, sie sind sich Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 20
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Diskriminierungen gewöhnt, für Baba und Amir entsteht zum ersten Mal eine lebensbedrohliche Gefahr. Sie sind gezwungen, auszureisen. Auch weil es nicht Baba’s Charakter entspricht, sich im Land zu verstecken, irgendwo unterzutauchen. Er möchte seine Heimat zurücklassen und für Amir eine neue, bessere Lage und stabile politische Sicherheit finden. Die Szene der Flucht beinhaltet intensive Nahaufnahmen zwischen Baba und Amir, sowie auch von anderen Flüchtlingen (Situation im Kleinlaster: Der Zuschauer lernt Emotionen fremder Menschen kennen). Sie beinhaltet jedoch auch beeindruckende Landschaftsbilder, Totale, welche die weite und Schönheit des Landes darstellen, wohl auch in Verbindung mit der Schwierigkeit eine solche Heimat zu verlassen. Weitere Gedanken zur Flucht von Baba und Amir siehe Kapitel 5.2.1. b) Der filmische Raum Die Szene der Flucht kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden: Phase 1 – Aufbruch zu Hause Phase 2 – Kleintransporter, Begegnung mit Soldat Phase 3 – Tanklastwagen Phase 4 – Sprung Amerika 10 Jahre später Phase Raum Geschehen Gefühl Phase 1 Im Haus: Politische Unruhen in Kabul. Amir: Verwirrung Kinderzimmer von Amir wird aus dem Schlaf Amir, gerissen, muss packen. Baba: Nervös Wohnzimmer Letzte Vorbereitungen zur Rahim Kahn: Sorgevoll (Baba & Rahim) Flucht Phase 2 Kleintransporter, Verschiedene Personen Amir: Angst um Tod von sitzen eng aneinander im seines Vaters („Erschiss dazwischen Kleinlaster, alle mit dem mich doch!“) Landschaft als gleichen Ziel: über die filmischer Raum Grenze kommen. Ein Baba: Mut und Gegensatz zu russischer Soldat verlangt eingesperrten Flüchtlinge: Angst, nach einer jungen Mutter, Menschen im Ungewissheit, Baba stellt sich gegen ihn. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 21
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Laster Verzweiflung Phase 3 Tankwagen Im Tankwagen ist es Amir: fühlt sich bei Vater dunkel, wenig Luft zu wohl, Angst vor der Verfügung. Menschen Dunkelheit und was weinen und beten. Baba hält kommen mag Amir beschützend in den Armen, Amir sagt Baba: zeigt sich stark Afghanische Gedichte auf. gegen Aussen, Innerlich Angst vor dem Erwischt werden. Phase 4 Amerika; Zeh Jahre später. Ein Zug Baba: Schwermut, ohne Tankstelle rollt ins Bild, ersetzt den Energie, hat sich mit der irgendwo in Tankwagen kurz vorher im Lage abgefunden (für Kalifornien Bild. Baba arbeitet an einer den Sohn). Heimweh Tankstelle, sichtlich gealtert. nach Hause, zu seinem Ein Mustang fährt vor, der früheren Leben. gleiche den er in Kabul besass. Die verlorene Existenz wird bewusst gemacht. c) Kamerabewegungen/ Kameraperspektive Phase 1: Die Schnitte sind schnell, die Sequenzen kurz. Schneller Wechsel zwischen Einzug der sowjetischen Truppen, Baba und Rahim Kahn im Wohnzimmer und ein verschlafener Amir, der seine Sachen packen soll. Die Kamera zeigt nur wenig Bewegung. Die Musik und die Hektik der Menschen verdeutlichen die Spannung der Situation, nicht die Bewegung der Kamera. Diese bringt durch die ruhigen Einstellungen etwas Ruhe ein. Nur die Bewegung der sowjetischen Truppen wird mit der Kamera leicht begleitet. Phase 2: Weite Landschaftsbilder begleiten den fahrenden Kleintransporter. Auffallend ist die Fokussierung auf den Boden: Einmal werden die fahrenden Räder des Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 22
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Transporters aufgenommen, einmal die ungleichen Schuhe des Fahrers und des Soldaten. Die Kamera geht Lauftempo mit. In der Verhandlung mit dem Soldaten bewegt sich die Kamera abwechselnd neutral schwenkend vor den Gesichtern der Flüchtlinge, als stabile Einstellung aus der Sicht eines Flüchtlings aus dem Wagen und aus der Sicht des Soldaten von vorne in den Wagen. Bemerkenswert ist auch, dass der Soldat aus der Sicht von Baba, welcher auf dem Wagen steht, also von oben gefilmt wird, während Baba aus der Sicht des Soldaten, also aus Froschperspektive gefilmt wird. Dies lässt Baba überlegen, bzw. den Soldaten Baba unterlegen erscheinen, und das, obwohl der Soldat der Bewaffnete ist. Er sieht sichtlich beeindruckt, ja sogar ängstlich aus. Die Überlegenheit von Baba wird noch unterstreicht dadurch, wie die „Balken“ unter dem Lastwagendach hinter seinem Kopf zu einem Kreuz zusammenlaufen. Dieses Kreuz erinnert jedoch auch an eine Zielscheibe beim Schiesse, was ja auch wiederum zu der Szene passt. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 23
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Phase 3: Die Kamera folgt den Bewegungen von Amir und Baba. Wie Baba sich bückt, um Erde aufzulesen, wie die beiden aufs Dach des Lasters klettern, um in das Innern des Lasters zu kommen. Da zeigt die Kamera eine Perspektive von oben, fast eine Vogelperspektive. Es wäre möglich, dass die Kamera hier wieder auf einem Kran montiert ist, sich über dem Laster bewegen kann und die Kamera senkrecht nach unten senkt. Im Innern des Tanks bewegt sich die Kamera nicht und verdeutlicht somit die Enge und Dunkelheit des Raumes. Die Dunkelheit wird nur durch das Leuchten Amirs Armbanduhr durchbrochen. Das leichte Zittern der Kamera bewirkt, dass die Szene real erscheint. Man hat das Gefühl, man sitze in dieser Dunkelheit mit Baba und Amir, im Laster der über holprige Seitenstrassen über die Grenze fährt. Das Zittern wird auch mit Angst assoziiert, was dem Betrachter das Gefühl, welches Amir und Baba in dem Moment wohl empfinden, näher bringt. Übergang Phase 3 – Phase 4: Der Regisseur schafft hier einen Bemerkenswerten Übergang von zwei Szenen, die in der Geschichte circa 10 Jahre voneinander entfernt sind. Am Ende von der Fluchtszene sieht man den Lastwagen im Dunkeln fahren, das einzig Helle sind die Scheinwerfer des Lastwagens. Dann findet eine Überblendung statt, die wenige Sekunden andauert. Das Spezielle ist, dass die Scheinwerfer des Lastwagens genau dort sind, wo nachher die Lichter des Schnellzuges in Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 24
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Kalifornien erscheinen. So passiert ein nahtloser, fliessender Übergang, und trotzdem ist allen klar, dass es zwei völlig andere Welten sind: vorher der langsame, holprige Lastwagen in der Stille, danach der Schnellzug in den geräuschvollen Strassen von Los Angeles. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 25
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Phase 4: Die Kamera ist möglicherweise wieder auf einem Kran montiert. Sie bewegt sich von der Höhe der Zugbrücke hinunter zur Strasse und verschafft somit dem Zuschauer einen Überblick über die neue Umgebung. An der Tankstelle fährt ein heranfahrendes Auto in die Kamera. Diese bewegt sich erst, als der Fahrer aussteigt. Die Perspektive ist so gewählt, dass die Kamera den Fahrer und Baba seitlich aufnimmt und dann in die Perspektive des Mannes wechselt. Baba sitzt dabei hinter einer Scheibe in einem kleinen Häuschen und wird nicht von dessen Seite aufgenommen, nur von Aussen. Dies verdeutlicht wiederum die Fremde und die Sehnsucht zur Heimat (der gleiche Mustang stand einmal bei Baba in Kabul). d) Einstellungsgrössen Phase 1: Wechsel zwischen Halbtotale (Sowjetische Truppen, Baba’s Haus von Aussen), Nah (Amir erwacht) und Halbnah (Baba und Rahim: politische Diskussion und Vorbereitung der Flucht). Phase 2: Wechsel zwischen Totale (Landschaft) zu Halbnah (Interaktion Soldat- Fahrer-Baba). Die Flüchtlinge werden in der Einstellung Nah aufgenommen, der Soldat Halbnah. Phase 3: Die Sequenz vom Wechsel Kleintransporter zum Tanklaster ist sehr dunkel aufgenommen, aufgrund der Nacht. Die Einstellungen wechseln grundsätzlich zwischen Nah und Halbnah. Phase 4: Wechsel von Totale zu Halbtotale. Das Gespräch zwischen Baba und dem Fahrer ist Halbnah aufgenommen. 5.3 Symbole 5.3.1. Drachen Wie der Titel „The Kite Runner“ erahnen lässt, ist das Drachenlaufen ein zentraler Aspekt des Films. Die Drachen fliegen durch die Luft, und Fliegen bedeutet für Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 26
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth viele Menschen Freiheit, Lust am Leben, Blick nach vorne, Optimismus. So sind auch die Szenen im Film, bei denen der Drachen gestiegen wird geprägt von Fröhlichkeit und Spass. Das Drachenlaufen ist das grosse gemeinsame Hobby der beiden Freunde Hassan und Amir und steht somit auch für ihre Freundschaft. Diese Freundschaft und die Erinnerung daran begleitet Amir durch sein ganzes Leben, und uns durch den ganzen Film. Dies zeigt sich schon in der ersten Szene, als ein fliegender Drachen und gleich darauf den in Gedanken versunkenen, erwachsenen Amir gezeigt wird. Auch im letzten Bild des Filmes sind fliegende Drachen zu sehen. Beim Drachenlaufen ist auch der Klassenunterschied der beiden Jungs sichtbar: Amir darf den Drachen steuern und die anderen Drachen „versenken“ während Hassan die Spule hält und den Drachen nachrennt, um sie seinem Freund zu bringen. Somit gehört auch nach dem Sieg des Wettbewerbs im Dorf die meiste Ehre Amir, da er es war, der die Schnüre der anderen Drachen durchschnitt. 5.3.2. Granatapfel Ein weiteres Symbol für die Freundschaft von Amir und Hassan ist der Granatapfelbaum. Sie verbringen viel Zeit dort, Amir liest Hassan Geschichten vor und verewigt ihre Freundschaft, indem er „Amir und Hassan, die Sultanen von Kabul“ in den Baumstamm schnitzt. Später, nachdem Amir die Vergewaltigung von Hassan mit ansah ohne ihm zu helfen, plagen ihn Schuldgefühle. Hassan weiss nicht, dass Amir dabei war, aber Amir will, dass Hassan böse auf ihn ist, er sucht einen Weg, um sein schlechtes Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 27
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Gewissen loszuwerden. Deshalb versucht er, Hassan zu provozieren, indem er ihn mit Granatäpfeln bewirft. Dabei ruft er immer wieder „Wehr dich!“. Hassan hingegen zerdrückt einen Granatapfel im eigenen Gesicht und geht. In dieser Szene wird klar, dass die Freundschaft von Amir und Hassan nicht mehr so ist, wie sie einmal war. Die beiden Jungs verbringen von nun an keine Zeit mehr miteinander. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 28
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 5.4 Elemente der Filmsprache 5.4.1 Dramaturgie Aufbau nach Schroedel (2008). 1. Akt/ Exposition Im ersten Akt wird die Geschichte vorbereitet. Die Freundschaft von Hassan und Amir und ihr Leben in Kabul steht im Vordergrund. Auch die anderen Figuren werden vorgestellt. Plot Point I Amir schaut bei der Vergewaltigung von Hassan zu, ohne einzugreifen. Damit gefährdet er die Freundschaf von den beiden. Dieser Plot Point leitet über in einen neuen Abschnitt im Film, den 2. Akt. 2. Akt/ Konfrontation Amir muss von nun an mit seinen Schuldgefühlen gegenüber Hassan leben. Er schämt sich dafür, dass er seinem Freund nicht geholfen hat. Er versucht vorerst, über diese Scham hinwegzukommen, indem er das Geschehene verdrängt. Im zweiten Akt sieht man, wie Amir versucht, sein Leben in Amerika aufzubauen, seinen Traum, ein Buch zu veröffentlichen, verfolgt. Plot Point II Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 29
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth Amir bekommt einen Anruf von Rahim Kahn, welcher ihm eröffnet, dass es einen Weg gebe, um alles wieder gut zu machen. Diese Telefon-Szene beginnt am Anfang des Films und wird dann unterbrochen von erstem und zweitem Akt und setzt dann fort. Man könnte also den ersten und zweiten Akt als eine Art sehr langen Rückblick bezeichnen. Die Geschichte wird also nicht linear erzählt, wenn auch die klassischen drei Akte gut erkennbar sind. 3. Akt/ Auflösung Der Weg, es wieder gut zu machen, besteht darin, dass Amir nach Kabul geht, den Sohn vom verstorbenen Hassan sucht, und ihn in seine Familie aufnimmt. 5.4.2 Filmmusik Die Geschichte wird begleitet von passender Musik aus der Region Pakistan, wobei diese der Stimmung der Szene angepasst ist; bei traurigen Szenen eher langsame, traurige Musik und bei unbeschwerten, fröhlichen Szenen ebenso eher fröhliche, schnellere Musik. 5.4.3 Intention Ein wichtiger Aspekt im Film ist die Schuld und Sühne. Amir kann seine Vergangenheit nicht friedlich hinter sich lassen ohne mit sich selbst in reinem Gewissen zu sein. Vielleicht will der Autor der Geschichte darauf aufmerksam machen, dass es wichtig ist mit Fehlern aus der Vergangenheit abzuschliessen. Auch die Zivilcourage ist Thema in der Geschichte. Hätte Amir seinem Freund als dieser vergewaltigt wurde geholfen hätte er nicht mit diesem schlechten Gewissen leben müssen. Er schämte sich danach sehr für sein Verhalten wohl auch, weil sein Vater immer sehr viel Wert auf Ehre und Zivilcourage gelegt hat. Dies sieht man in einer Szene auf der Flucht, als er sein Leben hergeben würde, um eine Frau vor einer Vergewaltigung zu schützen. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 30
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 6. Pädagogisches Konzept 6.1 Kontext und Methoden Zielgruppe 3. Sek Ziele Perspektivenwechsel in Flüchtlinge, deren Flucht und Schwierigkeiten sich einzuleben, sowie Verlust der Heimat und Aufbau einer neuen Existenz. Der Film ist intensiv zu verarbeiten, da der Inhalt verschiedene Themen bietet und ist darum möglicherweise in einem Freifach der 3. Oberstufe, z. B. in einem Geographie- oder Geschichtsfach, anzuwenden: • Freundschaft • Politische Unruhen Flucht • Einleben in neuer Heimat • Taliban Regime in Afghanistan Da der Film sehr lange ist (fast zwei Stunden), könnte man nach Themen geordnet einzelne Sequenzen zeigen und nicht den ganzen Film anschauen. Wir empfehlen aber, den ganzen Film anzuschauen, da man so etwas mehr in die Tiefe gehen und den Film nicht nur anhand spezieller Szenen analysieren kann, sondern auch als Ganzes, die Inszenierung der ganzen Geschichte betrachten kann. Ausserdem wäre die Motivation der Schülerinnen und Schüler, sich mit dem Film zu befassen, vermutlich grösser, wenn sie den ganzen Film anschauen dürften. 6.2 Unterrichtsideen Siehe Appendix. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 31
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 7. Fazit Der Film The Kite Runner beinhaltet sehr viele Themen, über welche es sich lohnt, zu sprechen: Freundschaft, Schuld und Sühne, Einleben in einem anderen Land, Gefühl der Heimat, etc. Diese Themen sollten auch die Jugendlichen interessieren, deshalb empfiehlt es sich sehr, diesen Film in einer Schulklasse zu behandeln. Der Film beinhaltet auch brutale Szenen, welche auf jeden Fall auch angesprochen werden sollten. Diese Szenen sollten einem aber nicht davon abhalten, den Film zu behandeln. Die Szenen können auch dazu gebraucht werden, solche Themen in der Klasse zu behandeln und den Jugendlichen helfen, solche Themen, mit welchen sie immer wieder in Filmen und anderen Medien konfrontiert werden, zu verarbeiten. Der Film bietet auch Gelegenheit, Filmsprachliches zu besprechen. Das Ziel ist es, den Jugendlichen eine andere Sichtweise zu eröffnen, welche sie auch beim Schauen anderer Filme gebrauchen können. Das beinhaltet auch das Nachdenken über einen Film und das Besprechen mit Kolleginnen und Kollegen. Ein Film ist nicht wirklich zu Ende, nachdem er aufhört zu spielen. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 32
FE: Filme mit dem Thema Migration. Peter Holzwarth 8. Bibliographie Primärliteratur Hosseini, Khaled (2003): Drachenläufer. Berlin: Berlin Verlag. Forster, Marc (Director). (2007). The Kite Runner [Film]. Unterföhring: Paramount Home Entertainment Germany. Sekundärliteratur Klant, Michael / Spielmann, Raphael (2008): Grundkurs Film 1. Braunschweig: Schroedel. Schröter, Erhart (2009): Filme im Unterricht. Auswählen, analysieren, diskutieren. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. Jasmin Bär, Martina Wildhaber HS10 33
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