Fitness, Selektion & Adaptation - Markus Pfenninger Biodiversität & Klima Forschungszentrum

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Fitness, Selektion &
     Adaptation

           Markus Pfenninger
Biodiversität & Klima Forschungszentrum
Entspricht den
   Inhalten von
   Futuyma Chapter 11, 12
   & 17
Anderer Blickwinkel, anderer
Zugang
Evolutionary Ecology Group
Forschungsinteresse:
Prozesse, welche die Biodiversität auf verschiedenen Zeit- und Raumskalen bestimmen

Forschungsfragen:                                         Methoden und Konzepte:
Auswirkung von Klima auf Artgebiete                       Molekulare Ökologie
Genomische Basis von ökologischen Nischen                 Phylogeographie
Warum sind Artverbretiungsgebiete beschränkt              Biogeographie
Kryptische Arten und ihre Artbildung                      Ökologische Genomik
                                                          Populationsgenetik
Taxa and people:

                  Barbara Feldmeyer                               Martin Jansen
                  Moritz Salinger
                  Timm Haun
                                                                                           Rebecca Bloch
                  Adrian Pachzelt

                                                                    Scinax
                                                   Hannes Pulch

                                                                                       Freshwater benthos
                                              Pseudochromis
                 Radix balthica
                                                                   Christiane Frosch

 Hanno Schmidt

                                      Ruth Jesse
                                                                                        Alexander Weigand
                                                                   Ursus arctos

Chironomus
riparius/piger              Tudorella, Potamon, Aedes                                  Carychium, Arion
Individuum
Gemeinsamer Vorfahre von ALLEM, was lebt

        Ununterbrochene Kette von Vorfahre > Nachkommen Beziehungen
   .
       .
           .

                         Individuum

       Übertragen wird die Erbinformation, das Genom
•DNA – Grundlage der Vererbung                  Gesamt-Genom

      Mitochondrium                                            Zellkern                               Plastiden
                                                             1-12.000.000.000 bp
               ca. 16.000 bp
                                                                                                     (Pflanzen)
                                                                                                     85.000 – 190.000 bp

Kodierende DNA              Kontrollregion      Gene und ähnliches          DNA außerhalb
    (~90%)                     (
Individuum

                                         Genom

Bei den Metazoa besteht das Kerngenom aus mehreren 10.000 letztlich unabhängig
    weitergegebenen Vererbungseinheiten (Haplotypen, Loci)

Beispielrechung:
50.000 Vererbungseinheiten pro haploidem Genom
2 Allele (A und a) pro Locus = 3 verschiedene Genotypen pro Locus (AA, Aa, aa)
= 350.000 mögliche Genotypen >>> Atome im Universum

Alle Allele können, müssen aber keinen Einfluß auf den Phänotypen haben

Schlußfolgerungen:
1. Bis auf Klone und eineiige Zwillinge unterscheiden sich alle Individuen voneinander
2. Bei keiner Art können jemals alle möglichen Genotypen realisiert werden
3. Das Reservoir an Variationen ist praktisch unerschöpflich
Veränderung der DNA
                                 CAGTGATTGAAGTAGCCATGAT
                                 GTCACTAACTTCATCGGTACTA
CAGTGATTGAAGTAGCCATGAT
GTCACTAACTTCATCGGTACTA
                                 CAGTGATTGTAGTAGCCATGAT
                                 GTCACTAACTTCATCGGTACTA
                       Replikationsfehler

CAGTGATTGAAGTAGCCATGAT           CAGTGATTGAACTAGCCATGAT
GTCACTAACTTCATCGGTACTA           GTCACTAACTTCATCGGTACTA

                        UV-Strahlung
                        Radioaktivität
                        Chemische Stoffe
Veränderung der DNA

Somatische Mutation     Keimbahn Mutation

     Krankheit
     Alter
     Tod                     Evolution
Veränderung der DNA

          •Mutation ist ein stochastischer Prozess
          •Mutationen sind an jeder Stelle der DNA gleich
          wahrscheinlich
Veränderung der DNA

            Effekte von Mutationen:
            Positiv – Fixierung durch positive Selektion
            Negativ – Verschwinden durch Selektion
            Neutral – Kein Effekt auf die Fitness

            Der größte Teil der Mutationen ist selektiv neutral

            -nicht kodierende (aber trotzdem nicht unwichtige)
            Bereiche (>95% des Genoms)
            -3. Codon Base (Redundanz des genetischen Codes)
Zeit

       Befruchtete Eizelle

                                                           Adultes Individuum

                                                                 Genom

Alle phänotypisch relevanten Vererbungseinheiten in einem Individuum müssen
    miteinander funktionieren, damit ein Lebewesen lebensfähig ist, sich zu einem
    Erwachsenen entwickeln und Nachkommen produzieren kann

Schlußfolgerung:
1. Die Anzahl der realisierbaren Genotypen wird durch diese Einschränkung begrenzt;
   es gibt so etwas wie interne Beschränkungen
Individuum                           Umwelt

                                    Genom

                      Tod

                                             Anzahl der Nachkommen
                    Überleben
                    Wachstum

Umweltparameter     Fortpflanzung
(z.B. Temperatur)
                    Wachstum
                    Überleben
                                                                      Umweltparameter
                      Tod                                             (z.B. Temperatur)
Reproduktiver Erfolg (=Fitness)
Fitness im engeren Sinne oder Darwin‘sche-Fitness
= Anzahl der fortpflanzungsfähigen Nachkommen
relative Fitness
= bezogen auf andere Individuen

Fitness im erweiterten Sinne =
Wahrscheinlichkeit eines Genotyps in der nächsten
Generation vertreten zu sein.
Individuum 1                                  Individuum 2

                     Genotyp                                         Genotyp

                         Anzahl der Nachkommen

                                                 Umweltparameter
                                                 (z.B. Temperatur)

Schlußfolgerungen:
1.   Die Fitness eines Individuums ist nichts Absolutes, sondern von der Interaktion
     seines Genotyps mit der gegebenen Umwelt abhängig
Beispiel: Kurzsichtigkeit

- Genetisch determiniert

 Wie konnten sich
 diese Allele in so
 hoher Frequenz
 halten?
Beispiel: Kurzsichtigkeit
-Ausprägung von der
Umwelt abhängig (Lesen
während des
Schädelwachstums)

-Irrelevant für Jäger und
Sammler, Allele für
Kurzsichtigkeit kein
Fitnessnachteil, weil keine
Ausprägung

-Alphabetisierung entweder
Vorteil oder durch Sehhilfe
kein Fitness Nachteil
-Unterschiede im Genom führen zu
unterschiedlichen Phänotypen
                                                   10          20
-Unterschiedliche Phänotypen können bei
gegebener Umwelt unterschiedlichen
reproduktiven Erfolg haben

-Bei beschränkten Ressourcen können nicht
alle Nachkommen überleben

-Im Durchschnitt werden also eher           N=15
Nachkommen von Individuen überleben,
deren Genom über den Umweg des
Phänotyps bei gegebener Umwelt einen               1/3        2/3
höheren reproduktiven Erfolg haben
                                                         50   200
-Dadurch steigt die Frequenz dieser
Genotypen in der Population an

-Diesen zwangsläufigen, statistischen
Vorgang nennt man „natürliche Selektion“    N=15

                                                   1/5          4/5
Schlußfolgerung:
Subjekt der Selektion ist der Phänotyp, denn nur dieser
interagiert mit der Umwelt – das Gen d.h. der konkrete DNA-
Abschnitt nicht (siehe z.B. letale rezessive Allele)!

-Selektiert werden aber Gene, weil nur diese vererbt werden
Arten der Selektion
-natürliche (darwinische) Selektion

-(sexuelle Selektion)

-künstliche Selektion (Zuchtwahl)
3 Typen von Selektion:

-stabilisierende Selektion

 -gerichtete Selektion

  -disruptive Selektion
Stabilisierende Selektion

X                           X
Blühzeitpunkt

                          Arum maculatum

       Zu früh:                                 Zu spät:

       Gefahr des Erfrierens,                   Konkurrenz verloren,
       keine Befruchtung                        zu trocken

Ollerton J, Diaz A 1999
Gerichtete Selektion

X      X

            X
Megaloceros

  Run-away Evolution durch sexuelle Selektion bis zum Aussterben

Lister 1994
Disruptive Selektion

      X       X
Radiation der Darwinfinken
                              Geospiza

Disruptive Schnabelselektion auf große, mittlere und kleine Samen

Fitnessnachteil für Hybriden, weil es keine intermediären Samen gibt

     Assortative Paarung, weil Schnabel auch Paarungssignal
• Eine oder mehrere vererbare Eigenschaften
  welche die Fitness seines Trägers erhöht, nennt
  man Adaptation

• Da die meisten Eigenschaften variabel sind,
  werden diejenigen in der Frequenz ansteigen,
  welche die Fitness des Trägers erhöhen.
  Adaptationen evolvieren also

• Der Nachweis von adaptiven Eigenschaften ist
  eine der Kerndisziplinen der Evolutionsbiologie
Das Adaptations-
           Forschungsprogramm
• 1) Bestimmung der Funktion einer Eigenschaft

• 2) Zeigen, dass diese Eigenschaft dem Träger tatsächlich
  einen Fitnessvorteil verschafft.

• Wie macht man das?

• Plausibilität oder Geschichtenerzählen sollte nicht als
  Nachweis des adaptiven Werts einer Eigenschaft gelten
  (Gould and Lewontin, 1979)
Drei Methoden für den Nachweis
       von Adaptationen

       • Beobachtung

       • Vergleichend

       • Experimentell
Warum hat die Giraffe einen
                langen Hals?
Weil sie damit
Blätter
erreichen, an die
andere Arten
nicht kommen?
Adaptiver Hals-Wert?
•   Giraffen nutzen die hohen Blätter gar nicht ausgiebig
•   Simmons und Scheepers erklären den Hals mit seiner Bedeutung als Waffe
    während der Paarungskämpfe
•   Hinweis: Hälse von Giraffenmännchen sind 30-40cm länger & 1.7x schwerer
    als die der Weibchen, außerdem haben sie die größeren, stabilieren Hörner
•   (das wäre auch nicht zu erwarten, wenn dieHälse in erster Linie der
    Feindabwehr dienten)
•   Test: Einteilung der Männchen in Halslängenklassen
•   Größere Halslängen gewinnen häufiger Kämpfe
•   Größere Halslängen paaren sich häufiger erfolgreich
•   > Sexuelle Selektion
Wichtig zu beachten:
• Unterschiede zwischen Individuen, Populationen oder
  Arten müssen nicht adaptiv sein. Sie können zufällig
  entstanden sein und nicht weiter stören

• Nicht jede Eigenschaft ist eine Adaptation

• Nicht jede Adaptation ist perfekt, manche kommen mit
  Kosten: Lange Hälse mögen bei Giraffenfrauen gut
  ankommen, machen aber auch das Trinken gefährlich…
Beobachtende Studien
• Wenn Experimente nicht möglich sind: chirurgische
  Veränderungen der Halslänge bei Giraffen sind mit
  normalen Forschungsbudgets eher nicht zu bezahlen
• Experimente verändern die Situation häufig so stark, dass
  Rückschlüsse auf die Natur nicht gezogen werden können
  oder nur stark eingeschränkt gültig sind
Experimentell
• Bestes Mittel, um Hypothesen sauber zu testen
• Erlaubt, den Effekt auf eine Variable zu reduzieren
Abschreckung gegenüber allen
Räubern?
3 testbare Hypothesen
• Hyp 1: Das Verhalten und die Zeichung haben nichts mit
  Prädationsvermeidung zu tun
• Hyp 2: Verhalten und Zeichnung dienen dazu, alle
  Räuber in die Flucht zu schlagen
• Hyp 3. Diese Eigenschaften dienen spezifisch dazu,
  Springspinnenangriffe abzuwehren
Versuchsdesign
Vorhergesagte Resultate
Ergebnis
Vergleichende Analysen
• Vergleich zwischen der Verteilung von
  Eigenschaften in einer Artengruppe und
  Vorhersagen
• Warum haben manche Schnecken Haare?
• Hat was mit deren Bewegungen zu tun
Exkurs:
                      Viele Schnecken haben Haare

Polygyridae: Cryptomastix germana

                Helicidae, Helicinae: Isognomostoma
                isognomostoma

                                                                Hygromiidae, Hygromiinae:
                                                                Trichia ataxiaca

              Helicidae, Helicodontinae: Helicodonta obvoluta
Der mehrfach unabhängige simultane Wechsel von
   Habitat und Haaren ist ein Fußabdruck der Selektion
                            post. prob.                                     moist wood
                                                             Lineage H
                            hairs/wet habitat
                            post. prob.                  3   Lineage I      moist wood
                            no hairs/dry habitat
                                                   2         T. nov. spec. alpine pasture
                            post. prob. node
                            does not exist
                                                             T. biconica    high alpine grassland

                                                             Lineage F      moist wood

                                                             Lineage E      moist wood

                                                             Lineage G      moist wood

                                       1                     Lineage D      moist wood

                                                             T. montana     open wood, dry grassland

                                                             T. caelata     cliff dwelling

                                                             T. clandestinariverbank

                                                             T. villosula   moist wood

                                                             Lineage B      moist wood

                                                             Lineage C      moist wood

                                                             Lineage A      moist wood

                                                             T. villosa     moist wood

                                                             T. alpicola    damp meadow
Pfenninger et al. (2005) BMC Evolutionary Biology 5:59
Warum Haare in feuchten Habitaten?

                             Hypothese (Suvorov, 1999):
                             Haare sind wasserabstoßend
                             und erleichtern so die
                             Fortbewegung

              Denny (1980) Science 208, 1288
Experimenteller Test

                     With hairs: 2.77x10-2 +/- 0.52x10-2 N
                     shaved:     1.77x10-2 +/- 0.46x10-2 N
Trochulus villosus   F = 720, d.f. = 2, p < 0.00001

                      >Hypothese abgelehnt

                                                  Neue Hypothese:
                                                  Die Haare dienen
                                                  dazu, nicht von den
                                                  Blättern zu fallen
                                                  (Adhäsion)
Take Home Messages:
-(unvermeidbare) Unterschiede im Genom führen zu unterschiedlichen
phänotypischen Eigenschaften

-Je nach Umwelt erhöhen oder erniedrigen diese Eigenschaften den reproduktiven
Erfolg (=Fitness)

-Dadurch erhöht sich zwangsläufig die Häufigkeit der für die Eigenschaft
verantwortlichen Allele (=Selektion)

-Eine Eigenschaft, die zur Erhöhung der Fitness ihres Trägers beiträgt, nennt man
Adaptation

-Der Nachweis von Adaptationen ist ein Kerngebiet der Evolutionsbiologie

-Man kann Adaptationen durch Beobachtungen, vergleichende Analysen und
Experimente nachweisen
Noch kürzer:
Fitnessunterscheide führen
durch Selektion zu Adaptationen
und das kann man nachweisen!
> man kann Evolution messen,
wie die Länge eines Tisches
Nothing in biology makes sense,
except in the light of evolution
(Theodosius Dobshanzky)
Unsere Fragen in dieser Hinsicht:

-welche Adaptationen ermöglichen es, sich
unterschiedliche ökologische Nischen zu
besetzen?

-gibt es innerhalb von Arten unterschiedliche
Anpassungen an den Klimawandel?
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