Flirt mit der Macht - Reformierte Stadtkirche

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Flirt mit der Macht - Reformierte Stadtkirche
Flirt mit der Macht
Das haben wir uns immer schon gedacht oder zumindest so vorgestellt. Politi-
sche Insidergeschäfte als Postenschacher per SMS-Chats, das hinterhältige Int-
rigenspiel bei einschlägigen Dinnerpartys und – nicht zu vergessen – die
schmutzigen Bettgeschichten mit ihrem Erpressungspotential. Der schamlose
Flirt mit der Macht. Für die zwangsläufig verschobene Erstaufführung der „Pa-
riasian Woman“ von Beau Willimon in den Kammerspielen der Josefstadt
ist die direkte Nähe zur Trump-Ära zwar verloren gegangen, aber bleibt die Ak-
tualität (leider) ungebrochen (Premiere 2. Oktober). Dafür steht Beau Willi-
mon, der Autor und Produzent der Serie „House of Cards“, die von 2013-16 als
skandalgesättigter Politthriller über Netflix lief. Die „Pariasian Woman“ aus dem
Jahr 2013 ist als Politsatire eher komödiantisch als drastisch gefasst und bietet
sich damit für das kleine Haus an, wo Michael Gampe das Kammerspiel mit
Maria Köstlinger (Chloe), Michael Dangl (Peter), Herbert Föttinger (Tom),
Susa Meyer (Jeanette) und Katharina Klar (Rebecca) inszeniert. Die kleine
Bühne als angedeutetes Zimmer mit wechselndem Blick nach draußen in die
Nachbarschaft oder auf die Terrasse, wo schon mal die Party weitergehen kann
(Bühnenbild Walter Vogelweider).

Katharina Klar (Rebecca), Susa Meyer (Jeanette), Maria Köstlinger (Chloe)

      Suggestive Töne im Background (Musik Kyrre Kvam) für eine stylische
munter daher schwatzende Gesellschaft (Kostüme Alfred Mayerhofer). Frau-
en können es besser – auch das haben wir schon gewusst. Für Maria Köstlinger
eine Paraderolle, in der sie die gesamte Szene und die Damen und Herren um
sich herum souverän beherrscht. Denn die Interessen und Positionen sind
denkbar verworren und nur scheinbar zielgerichtet. Der Eröffnungsjoke stellt
die Weichen. Ein Liebespaar ergeht sich im Eifersuchtsstreit, da betritt der
Ehemann, vom hellen Auflachen des Publikums begleitet, den Raum und ent-
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puppt sich der manisch Eifersüchtige als der Liebhaber. Die an dem Abend
nachfolgenden, wechselnden Dialogpaarungen zeigen sich - zunehmend erwar-
tet - ihrerseits als Pseudokonstellationen. Dabei bestätigt Susa Meyer (Jea-
nette) als designierte Chefin der Bundesbank und Protegé des Präsidenten zu-
nächst die weibliche Sicherheit im Umgang mit Versprechungen und nichtssa-
genden Andeutungen, um dann doch abrupt die Contenance zu verlieren, als
sie von der lesbischen Beziehung ihrer für eine große Politkarriere vorgesehe-
nen Tochter Rebecca erfährt. Diese wiederum gibt sich in jugendlichem Eifer
als wortgewaltige Kämpferin für ihre Ideale bis auch sie sich vom Verrat ihre
Liebe niederschmettern lässt.

Maria Köstlinger (Chloe), Herbert Föttinger (Tom)            Fotos © Moritz Schell

      Die Männer auf der anderen Seite, wenn auch weniger von Hormon-
schwankungen beeinträchtigt, so doch einseitig gesteuert, verschließen sich
vergeblich den Gefühlseinbrüchen. Herbert Föttinger (Tom) geriert zum Strate-
gen der Einflüsterungen für sein Karriereziel und ist dabei von Selbstzweifeln
zerfressen, toleriert mit Hintergedanken die amourösen Abwege seiner Frau,
um dennoch von der Ungewissheit geplagt zu werden. Michael Dangl (Peter)
bleibt sich durchweg treu als notorischer Lügner, der sich aber schließlich mit
sich selbst nicht mehr auskennt.
      Ein höchst amüsanter und fleißig beklatschter Abend, der lachen lässt,
wo man erschreckt sein möchte.

       Der andere Flirt mit der Macht hatte an eben demselben Abend ein paar
Häuser weiter in der Kammeroper des Theater an der Wien Premiere. Man-
gels der lutherischen Ubiquität (der geleichzeitigen Allgegenwart der Person)
wurde der Besuch dieses noch um einiges höheren Machtspiels auf die Folge-
vorstellung verlegt. Die antike Mär vom Sänger Orpheus, der seine Geliebte
trotz ihres Ablebens nicht aufgeben kann, ist ja nicht bloß die Geschichte einer
ewigen (egoistischen) Liebe, sondern die Koketterie mit und in der griechi-
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schen Götterwelt, wie sie Jaques Offenbach exemplarisch zur Operette und Po-
litsatire gemacht hat mit beinahe unsterblichem Aktualitätspotential.
        Bei Orphée et Eurydice spart Christoph Willibald Gluck allerdings
den Betrieb in der Götterwelt aus und konzentriert auf die Herausforderung der
Liebe zwischen den beiden, was Philipp M. Krenn berührend in Szene zu set-
zen versteht. Die kleine Bühne bietet sich speziell an. Das Sterbezimmer einer
Klinik erscheint hinter dem Vorhang, nachdem sich auf diesem eben noch ein
farbenfrohes munteres Treiben des Liebespaares abgespielt hat (Ausstattung
Christian Andrè Tabakoff, Licht Franz Tscheck). Die Unterwelt bricht ein,
wo das Wurzelwerk den Raum verhängt und die Furien und Gespenster durch
die Wände brechen. Furios und kräftig donnernd der Arnold Schoenberg
Chor unter der Leitung von Erwin Ortner, der gerade zuvor fast sphärisch die
Klage der Nymphen in Gestalt der Trauergäste intonieren konnte. Die Rückkehr
in das Klinikzimmer und schließlich der Vorhang mit den lebensfrohen Bildern
zeigen das glückliche Ende. Dazwischen liegt die schier unlösbare Prüfung der
Liebe. Amor hat zwar die Rückkehr der Toten erlaubt, aber an eine schreckli-
che Bedingung geknüpft. Die nagende Frage an jede Liebe, ob sie hält und das
Vertrauen stark genug ist, wenn in der Krise das Wort, die Geste und die Be-
rührung der gegenseitigen Versicherung ausbleibt. Philipp M. Krenn deutet so-
gar die grauenhafte Situation an, dass Angehörige darüber entscheiden müs-
sen, ob die Geräte abgeschaltet werden sollen.

Ekaterina Protsenko, (Eurydice), Sofia Vinnik (Orphée), Anne Alt & Peter Haigermoser (Eury-
dices Eltern) und der Arnold Schoenberg Chor

       Ein besonderes Kompliment verdient wieder einmal das Bach Consort
Wien, dem es erneut gelingt, den erwünschten Klangreichtum auch im kleine
Raum zu entfalten. Abermals unter der Leitung von Raphael Schluesselberg,
der eine feine Hand und sicheres Gespür für die zarten bis heftigen Töne der
Solistinnen und die lyrischen wie dramatischen bis furiosen der Orchester- und
Chorpartien hat. Sofia Vinnik als Orphée und Ekaterina Protsenko als Eury-
dice sowie Anita Rosati als Amor schaffen es, die Bandbreite der Gefühlserre-
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gungen Taschentuch reif auszudrücken. Tatsächlich sind alle drei Solopartien
entsprechend der vorgegebenen Stimmlage weiblich besetzt. Allerdings nicht in
den üblichen, verkappten „Hosenrollen“, sondern ausdrücklich als Frauen
(wenn auch Sofia Vinnik in den Jeans des Straßenbarden mit ihrer Gitarre da-
herkommt).

Ekaterina Protsenko, (Eurydice), Sofia Vinnik (Orphée)     Fotos © Herwig Prammer

      Orphée wird dementsprechend konsequenterweise in der deutschspra-
chigen Übertitelung gegendert und gleichfalls als „Geliebte“ geführt. Ein un-
spektakulärer und fast unauffälliger Beitrag zu der mancherorts heftig geführ-
ten Debatte, wer auf der Bühne welche Rolle übernehmen darf („Blackfacing“
oder „Indigene“). Gewissermaßen eine kleine Rebellion wie es der Komponist
seinerzeit gewagt hat, als er den neuen Operntyp präsentierte. Das hat dem
Ritter von Gluck zunächst das Unverständnis des Publikums bei der Wiener Ur-
aufführung eingetragen. Erst nach kleinen Überarbeitungen gelang dann in Pa-
ris der Durchbruch und Siegeszug des Meisterwerkes.
      Das Publikum entlädt seinen Gefühlsstau in anhaltendem, jubelndem Ap-
plaus.

                                                         Johannes Langhoff
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