Forum Arbeit - ISF München

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01/2021                 DAS MAGAZIN DER BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT ARBEIT E.V.

          Forum Arbeit

          ZUR SACHE Die Staatengemeinschaft muss solidarisch
          handeln MAGAZIN Nachrichten aus dem Verband TITEL Wie
          weiter? BAG ARBEIT TRIFFT Sven Steffes-Holländer BLICK
          ÜBER DEN TELLERRAND Dornbirner Jugendwerkstätten
          VERANSTALTUNGSTIPPS Alle Seminare auf einen Blick
          NACHGEFRAGT bei Prof. Dr. Stefan Schick

                 Wie weiter?
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Inhalt

                                                                                      Foto: Julia Baumgart

Zur Sache                                    Wie weiter?
Die Staatengemeinschaft muss             2
                                             Corona als großer Feldversuch:
solidarisch handeln                          Digitalisierung neu denken                              13
Thiemo Fojkar
                                             Prof. Dr. Andreas Boes, Dr. Kira Marrs

Magazin                                      bag arbeit trifft                                      16
Pandemie ohne Zufall                     3   Sven Steffes-Holländer
PD Dr. Jochen Roose

Die Corona-Pandemie und das Digitale
in der Ausbildung: Wie ist der Stand         Der Blick über den Tellerrand
und welche Veränderungen gibt es?        5   Dornbirner Jugendwerkstätten                            22
Dr. Hendrik Biebeler, Daniel Schreiber

Neue Nachhaltigkeitsstandards bei
Berufen ab 2021                          7   Veranstaltungstipps                                    26

Buch- und Filmtipp                       7

Wie kommen wir nachhaltig                    Nachgefragt                                            28
aus der Krise?                           8   Prof. Dr. Stefan Schick
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Corona als großer Feldversuch:
Digitalisierung neu denken
Prof. Dr. Andreas Boes, Dr. Kira Marrs

Die Corona-Krise zwingt uns zum Rückzug aus           achten als nach der Weihnachtspause das Home
dem analogen Leben und führt uns eindrücklich         Schooling startete und vielerorts die Server zusam-
vor Augen, wie wichtig das Internet für den Zu-       menbrachen. Auch immer mehr Privathaushalte
sammenhalt einer modernen Gesellschaft ist. In        kommen mit ihrer Bandbreite an die Grenze, wenn
der gegenwärtigen Krise erfährt die Digitalisierung   Arbeit, Schule und Studium der gesamten Familie
einerseits einen regelrechten „Push“. Andererseits    online stattfinden. Viel wichtiger aber als die tech-
aber stellt die Pandemie                                                          nische Infrastruktur sind
einen Transformations-                                                            die sozialen Kompe-
prozess vor die Bewäh-                                                            tenzen bei der Nutzung
rungsprobe, bei dem in                                                            des mit dem Internet
den letzten Jahren hier-                                                          entstandenen globalen
zulande vieles versäumt                                                           Informationsraums. Un-
wurde – in technischer,                                                           sere Forschungen zei-
aber vor allem sozialer                                                           gen, dass die Menschen
Hinsicht. Die analoge                                                             schon vor dem Aus-
und digitale Welt wächst                                                          bruch der Krise mit Di-
immer mehr und mit                                                                gitalisierung mehr ver-
Corona als Katalysator                                                            bunden haben als den
auch immer schneller                                                              Vormarsch disruptiver
zusammen. Ein neues                                                               Technologien, die sie in
„Normal“ zeichnet sich                                                            die Lage versetzen von
ab: Die Welt findet in                                                            nahezu jedem beliebi-
Zukunft auf zwei ver-                                                             gen Ort miteinander zu
schachtelten Bühnen                                                               kommunizieren oder zu-
statt. Die Bühne, auf der wir physisch agieren, und   sammen zu arbeiten. Sie erleben die Transforma-
dem Informationsraum, der uns als neuartiger so-      tion vielmehr als einen tiefgreifenden sozialen und
zialer Handlungsraum dient und uns jenseits der       gesellschaftlichen Wandel, den die einen als Be-
physischen Präsenz neue Möglichkeiten eröffnet.       drohung wahrnehmen und die anderen als befrei-
Jetzt heißt es das soziale Miteinander zu organi-     enden Aufbruch. Mit Corona nimmt dieser Wandel,
sieren, damit sich die Menschen souverän darin        egal ob man ihn gut oder schlecht findet, rasant
bewegen können. Damit steht die Gestaltung der        an Fahrt auf. Es empfiehlt sich also den Fokus zu
digitalen Transformation vor einem Paradigmen-        ändern. Statt weiterhin um Akzeptanzfragen zu
wechsel.                                              kreisen und die Gesellschaft in Technikoptimisten
                                                      und Technikskeptiker zu spalten, sollten wir uns
Es geht um soziale Kompetenzen                        auf die Befähigung der Menschen konzentrieren,
Die aktuelle Krise beinhaltet einen ultimativen       damit sie ihre Handlungsmöglichkeiten mit dem In-
Stresstest für die digitale Transformation. Zum ei-   formationsraum in der Welt substanziell erweitern
nen aus rein technischen Gründen. Das Internet        können.
war schon immer eine kritische Infrastruktur. Wie
schlecht sie nach vielen Jahren des Internetaus-
baus noch immer ist konnte man nicht nur beob-

                                                                                                        13
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Informationsraum erstmals breit genutzt
Denn unsere Studien zeigen auch, dass sich den         und Lernkonzepte für den Onlineunterricht öffnen
Menschen in der gegenwärtigen Krise der Nutzen         Schulen und Hochschulen gerade den Weg, um
der digitalen Transformation für den Einzelnen und     Lehre und Unterricht im Wechsel von online und
die Gesellschaft völlig neu erschließt, weil viele     offline neu zu konzipieren. Und wir dürfen auch
den Informationsraum erstmals praktisch in all         nicht verkennen, wie wichtig der Informationsraum
seinen Facetten nutzen. Und dies funktioniert bes-     geworden ist, um Zusammenhalt und Fürsorge zu
ser als gedacht. Immer mehr Menschen arbeiten          organisieren. Chatgruppen laufen auf Hochtouren
im Homeoffice und nutzen dazu den Informations-        und letztes Weihnachten fanden sich nicht nur
raum. Was vorher in vielen Unternehmen nicht für       Viele in digitalen Gottesdiensten, sondern auch in
möglich gehalten wurde, ist nun sogar gesetzlich       Zoom-Meetings mit der gesamten Verwandtschaft
verpflichtend. Wer kein Homeoffice anbietet muss       wieder. In einer Situation, in der alle Bildungsein-
dies gut begründen. Ein Zurück zu alten Präsens-       richtungen, Bibliotheken und Buchläden geschlos-
kulturen scheint vor diesem Hintergrund kaum           sen sind, sichert der Informationsraum auch die
noch möglich. Was ist das neue Normal? Hybride         Beschaffung von notwendigen Informationen und
Arbeitsmodelle, die im Idealfall die Vorteile des      Wissen und ermöglicht damit (Allgemein)bildung in
analogen und des digitalen miteinander verbinden       einer neuen Form.
und die wir nachhaltig und gendergerecht gestal-
ten müssten? Oder kehren wir nach Corona zurück
in die alten Strukturen? Es geht beim Thema „hyb-
rid“ aber nicht nur um die Arbeitswelt. Neue Lehr-

                                                         Unsere Autorin Dr. Kira Marrs

                                                         ist Wissenschaftlerin am Institut für Sozialwissen-
                                                         schaftliche Forschung (ISF) München e.V.

     Unser Autor Prof. Dr. Andreas Boes

     ist Vorstandsmitglied des Instituts für Sozial-
     wissenschaftliche Forschung (ISF) München
     e.V., Direktoriumsmitglied des Bayerischen
     Forschungsinstituts für Digitale Transforma-
     tion (bidt) und außerplanmäßiger Professor
     für Soziologie an der Technischen Universität
     Darmstadt.

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Leben auf zwei verschachtelten Bühnen                    Paradigmenwechsel für die Gesellschaft
Wir profitieren jetzt also von sehr konkreten Ge-        Damit stellt sich auch die soziale Frage neu. Wenn
brauchswerten, die mit der Digitalisierung im In-        wir den Umbruch in den Informationsraum über
formationsraum entstanden sind und merken                die Pandemie hinaus schaffen, den gegenwärti-
dabei, dass Physical Distancing nicht unbedingt          gen „Push“ für die Digitalisierung in Fortschritt
Social Distancing sein muss. Mit Blick auf unse-         verwandeln und damit die Entfaltungsmöglichkei-
re Forschungen im ersten Pandemiejahr aber ist           ten für alle Menschen gleichberechtigt erweitern
die wichtigste Lernerfahrung: Wir erreichen gera-        wollen brauchen wir einen Paradigmenwechsel in
de eine neue Phase der Digitalisierung. In diesem        der gesamten Gesellschaft - eine digitale Transfor-
großen Feldversuch der Coronakrise verschmilzt           mation für die Menschen. Denn es besteht die Ge-
die analoge mit der digitalen Welt. Die Menschen         fahr, dass zentrale Lernerfahrungen der Coronak-
bewegen sich in einem neuartigen sozialen Hand-          rise ansonsten schnell wieder verschüttet werden,
lungsraum, der zwei ineinander verschachtelten           wenn der Ausnahmezustand vorbei ist.
Bühnen gleicht. Aber wie nutzen wir diesen Hand-         Nach der Pandemie wird also mitnichten alles
lungsraum im Wechselspiel zur physischen Welt?           automatisch anders werden. Wir können das his-
Wie können wir aus dem jetzigen „Push“ für die           torische Zeitfenster, in dem für alle spürbar wird,
Digitalisierung Fortschritte zum Wohle der Men-          wie sehr wir den Informationsraum brauchen und
schen machen? Wie können wir ihn sozial gerecht          welche Potenziale er für die Menschen bietet, nut-
gestalten? Dass dies kein Selbstläufer ist zeigt er-     zen und die digitale Transformation neu denken.
neut ein Blick auf das derzeitige Megathema „Ho-         Sie auf ein neues Gleis zu bringen heißt vor allem,
meoffice“, mit dem auch wir uns seit Ausbruch der        das soziale Leben im Zusammenspiel des analo-
Pandemie immer wieder befasst haben. Obwohl              gen und digitalen Handlungsraum zum Wohle der
nun auch von der Politik forciert, fehlt vielen Mitar-   Menschen zu gestalten.
beitenden, Führungskräften und auch den Leitun-
gen an der Spitze von Unternehmen und Instituti-
onen die Erfahrung wie das erfolgreich organisiert
werden kann. Diejenigen, die im Handel und im
Gesundheitswesen Schwerstarbeit leisten, können
weiter von Homeoffice nur träumen. Auch für die
Beschäftigten in der industriellen Produktion ist es
keine Option. Hier heißt die Strategie überwiegend
Überstunden abbauen und Kurzarbeit. Nicht jeder
kann also am Informationsraum angemessen par-
tizipieren.

                                                                                                         15
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