Gesichter der MS 2021: Joëlle - Schweizerische ...

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Gesichter der MS

Gesichter der MS 2021: Joëlle
Freitag, 7. Mai 2021

Mein Name ist Joëlle, ich bin 26 Jahre alt und wohne im Kanton Aargau. Durch mei-
ne Adern fliesst unter anderem Berner Blut. Ich arbeite im Büro einer weltweit be-
kannten Firma und erstelle Exportpapiere, damit die produzierten Waren den Weg
in die weite Welt hinaus finden.

Was bedeutet MS für dich?
MS bedeutet für mich: «Huch, plötzlich ist mein Leben anders.» Aber auch: «Du
weisst nie, was als Nächstes auf dich zu kommt….»

Wie lange bestanden bei dir schon die Symptome vor der Diagnose?
Nur einige Tage vorher, da ich gleich zum Hausarzt ging.

Wie und in welchem Alter wurde dir die Diagnose MS vermittelt?
 Im Februar in diesem Jahr, 2021 – mit einem persönlichen Gespräch mit dem Neu-
rologen, zusammen mit meinem Freund, der meine Hand hielt.

Was war dein erster Gedanke nach der Diagnose MS?
 Alles und doch nichts, meine Gedanken waren lange leer im Kopf. Und danach:
«Macht das Leben «so» noch Sinn?»

Welche Symptome machen dir am meisten zu schaffen? Wo behindern dich die Sympto-
me im Alltag, wie beeinflusst die MS deine Lebensqualität?
 Fatigue macht mir am meisten zu schaffen, da ich eigentlich immer viel Action um
mich herum brauche. Aber mein Körper sendet mir immer brav Zeichen, wenn ich
es etwas ruhiger angehen muss. Was mir auch extrem zu schaffen macht, sind mei-
ne neu auftretenden Konzentrationsprobleme. Ich hoffe, diese werden mit der Zeit
in den Hintergrund rücken, denn dies würde meine Lebensqualität stark beeinflus-
sen. Ich wünsche mir ein Leben, welches die MS nicht beeinflusst – das ist mein Ziel.
Es ist zwar noch nicht so, aber dafür werde ich kämpfen. Ich möchte mein altes Le-
ben zurück – oder ein besseres!

Hast du deine Diagnose kommuniziert? Wenn nein, warum nicht? Was waren Befürch-
tungen oder Gründe? Was würdest du anderen Menschen mit einer Neudiagnose heute
empfehlen?
 Ja, ich habe meine Diagnose von Anfang an kommuniziert. Ich wüsste nicht, wes-
halb ich dies hätte verschweigen sollen. Da es mir mental und körperlich gar nicht
gut ging, war es mir wichtig, dass ich gegen aussen transparent auftrete. Ich habe
auch einen Instagram-Account (joelles_story) gemacht, um meine Geschichte zu er-
zählen und auch, um darüber zu sensibilisieren. Denn auch ich wusste vor meiner

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Diagnose nur wenig über diese Krankheit.

Kennst du vielleicht MS-Betroffene, die sich bewusst «nicht outen». Weisst du , warum
sie das nicht tun? Wie könnte die MS-Gesellschaft diese Menschen unterstützen? Wie,
die Schweizerinnen und Schweizer?
 Ich kenne niemanden, der dies verheimlicht. Aber wenn es effektiv Menschen gibt,
welche die MS verheimlichen, dann müsste man allgemein mehr über diese Krank-
heit aufklären. Und die MS in ein neueres Licht, als vor 10-20 Jahren rücken. Denn f-
rüher war es gang und gäbe, dass man früher oder später im Rollstuhl landet. Und
dies ist ja jetzt glücklicherweise nicht mehr immer der Fall. Aber das neue Bild wird
meines Erachtens nach noch zu wenig vermittelt, dabei ist es so wichtig! Viele junge
Menschen fallen nach der Diagnose in ein Loch, weil der erste Gedanke «Rollstuhl»
ist.

Was ist für dich Tabu bei deiner MS? Gibt es Dinge, über die du nicht einmal mit deinen
engsten Menschen sprechen möchtest? Gibt es umgekehrt Dinge, die dein Umfeld gar
nicht wissen möchte?
Ich habe vor zwei Monaten mit dem Rauchen aufgehört. Ich kann glücklicherweise
mit meinem Umfeld über alles sprechen, über was ich muss und möchte.

Wie geht dein privates Umfeld, also Familie, Freunde, Partner, mit deiner Krankheit um?
Es ist für alle Beteiligten eine Extremsituation. Deshalb ist es umso wichtiger, dass
man mit seinem Umfeld offen über die Ängste, Bedürfnisse und Sorgen spricht, da-
mit das Umfeld einem gerecht werden kann. Mein Freund und auch meine Familie
machen es wirklich super. Kurz nach der Diagnose wurde von allen Seiten sehr gut
geschaut, dass das Leben irgendwie weiter läuft.

Wie ist die Situation an deiner Arbeitsstelle?
Ich fiel etwas mehr als 3 Wochen komplett aus, startete dann den Wiedereinstieg
mit zuerst 50% und dann mit 40%. Mein Geschäft geht glücklicherweise auf meine
Bedürfnisse ein und ich kann mir selber einteilen, welche Arbeiten ich mit welchem
Tempo ausführen kann. Der richtige Arbeitgeber ist so viel wert, in meiner Situation.

Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder
Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieri-
ger geworden?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir diesbezüglich vor meiner Diagnose zu wenig
Gedanken darüber gemacht habe, deshalb kann ich diese Frage nicht beantworten.

Welches sind die grössten Vorurteile oder Irrtümer, mit denen du als MS-Betroffener kon-
frontiert wirst? Wie gehst du damit um, was erträgst du am wenigsten gut?
 Ein Krankenversicherer schrieb mir einmal in einem Mail: «Mit der Diagnose ist vie-
les klar, leider.» Es stört mich auch, dass über die MS das veraltete Bild vermittelt
wird. Denn es gibt doch auch viele Menschen, welche ein relativ normales Leben le-
ben können.

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Wo siehst du den Beitrag der Schweizerischen MS-Gesellschaft zur Enttabuisierung der
MS oder zur Stärkung der Solidarität?
 Die Schweizerische MS-Gesellschaft könnte den Auftritt auf der Website etwas an-
passen. Damit etwas weniger Leute im Rollstuhl ersichtlich sind. Denn die MS-
Schweiz-Website ist vermutlich die erste Website, welche Betroffene öffnen und die-
se Bilder schockieren einen wirklich.

Wie entspannst du dich? Welchen Rat hast du für andere MS-Betroffene?
Ich entspanne mich auf dem Sofa, bei einem Spaziergang, auf dem Fahrrad, beim
Backen oder in den Armen meines Freundes.

Was macht dir in Bezug auf deine MS Angst?
Dass ich nicht weiss, was als Nächstes kommt. Ob ich jeden Morgen, wie ge-
wünscht, normal aufstehen kann. Und auch, dass ich noch nicht weiss, ob mein Kör-
per auf die Immuntherapie anspricht.

Was gibt dir in Bezug auf deine MS Hoffnung?
Dass die Medizin grosse Fortschritte in der MS-Forschung erzielt hat.

Wenn Du morgen zur «Ministerin für Forschung gegen die MS» ernannt wirst, was sind d-
eine ersten 3 Massnahmen?
Die Forschungen vorantreiben, damit MS keine unheilbare Krankheit mehr ist –
mehr Massnahmen hätte ich nicht.

Welche positiven Gedanken verbindest du mit den Begriffen Forschung und MS?
 Dass die Forschungen sehr stark vorangetrieben worden sind, im Vergleich zu den
letzten Jahren.

Welche Gefahren siehst du für den Bereich Forschung und MS?
Ich glaube, keine, ausser allenfalls die Finanzen, aber das weiss ich echt nicht.

Verfolgst du Informationen zu Entwicklungen in der Forschung? Aus welchen Quellen?
An welchen Forschungsthemen bist du besonders interessiert?
Nein, die Entwicklungen beobachte ich nicht. Ich werde es dann sicher erfahren,
wenn es für mich relevante Informationen geben würde.

Welche Frage(n) wolltest du einem MS-Forscher schon immer mal ganz direkt stellen?
Raus damit.
Weshalb ist die MS immer noch eine unheilbare Krankheit?

Wo in deinem Alltag sollte die MS-Forschung ganz speziell positive Veränderungen er-
möglichen?
Ein Leben ohne Medikamente wäre super. Und dass Fatigue und Konzentrations-
probleme nicht mehr existieren.

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Hattest du im Zusammenhang mit MS lustige und/oder traurige Erlebnisse?
 Traurig ist, dass sich mein Umfeld automatisch «aufgeräumt» hat. Lustig und schön
ist aber, dass ich aufgrund meiner Diagnose ganz viele liebe neue Menschen ken-
nengelernt habe, welche ich jetzt zu meinen Freundinnen zählen darf.

Welchen Satz über MS kannst du nicht mehr hören?
«Du nimmst ja jetzt Tabletten, dann geht’s dir ja bestimmt schon wieder gut.»

Wenn deine MS ein Tier wäre, welches und warum?
 Ein Hunde-Welpe: Süss, wenn man ihn ansieht, aber bis er stubenrein ist, ist es ein
langer Weg :-) Und man weiss nie, was einen erwartet, wenn er allein zu Hause ist.
Und bei der MS weisst du auch nie, was dich erwartet.

An was hängt dein Herz?
Mein Herz hängt an meinen liebsten Menschen und an einem sorgenfreien Leben.

Ein Satz für deine Liebsten?
Vielen Dank für alles, was ihr bis jetzt für mich gemacht habt. Ich bin euch endlos
dankbar dafür! Einfach nur merci.

Ein Satz für deine «Feinde»?
You can’t bring me down - ihr bringt mich nicht runter :-)

Dein Lebens-Motto?
«Hinfallen, aufstehen, Krone richten und weitergehen.»

Dein Lieblingsbuch? Lieblingsfilm? Lieblingsessen? Gegen den MS-Blues?
 Ich habe kein bestimmtes Lieblingsbuch und auch keinen Lieblingsfilm. Mein Lieb-
lingsessen ist unter anderem Kaiserschmarren. Was mache ich gegen den MS-
Blues? «Schoggi ässe» – macht ja bekanntlich glücklich.

Wenn du 3 Wünsche an die gute Fee frei hättest – für dich, die Welt, für wen und was
auch immer: Welche wären das?
 Gesundheit für meine Liebsten und mich. Ein sorgenfreies Leben für meine Lieb-
sten und für mich. Unendlich viele neue, freie Wünsche :-)

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft?
 Ich habe mich einen Tag nach der Diagnose bei der Schweizerischen MS-Gesell-
schaft gemeldet. Eine sehr kompetente Dame kontaktierte mich eine gewisse Zeit
später per Telefon, wir hatten ein angenehmes Gespräch. Sollte ich zukünftig weite-
re Fragen oder Anregungen haben, werde ich mich gerne wieder bei Frau Kägi mel-
den.

Gesichter der MS 2021: Diese Serie ist anders. Nicht Dritte oder Unbeteiligte reden über MS und Menschen mit MS. Son-
dern MS-Betroffene selbst sprechen über ihr Leben mit einer unheilbaren Krankheit, ihre Hoffnungen, ihre Ängste. Wie
die Krankheit sie fordert, aber auch, wie die MS sie vielleicht stärker gemacht hat. Wie eng gute und schlechte Erfahrun-

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gen beieinander liegen.

                                   Schweiz. MS-Gesellschaft, Josefstrasse 129, Postfach, CH-8031 Zürich
                                   Tel. 043 444 43 43 | info@multiplesklerose.ch | www.multiplesklerose.ch

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