FORUM - Deutsche Krebsgesellschaft

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       Fokus

      Forum 2021 · 36:150–154                        Friedemann Nauck1 · Alfred Simon2
      https://doi.org/10.1007/s12312-021-00902-7      1
                                                          Klinik für Palliativmedizin, Georg-August-Universität, Göttingen, Deutschland
      Online publiziert: 3. März 2021                 2
                                                          Akademie für Ethik in der Medizin, Georg-August-Universität, Göttingen, Deutschland
      © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von
      Springer Nature 2021

                                                     Der assistierte Suizid –
                                                     Reflexionen nach dem
                                                     Bundesverfassungsgerichtsurteil

      Das Thema „Sterbehilfe“, zu dem auch der       Begriffsdefinition                                        unter bestimmten Bedingungen straffrei
      assistierte Suizid zählt, beschäftigt nicht                                                            gestellt.
      nur die Betroffenen, die sich darüber Ge-       Hilfe beim Sterben
      danken machen, wie sie aus dem Leben                                                                   (Ärztlich) assistierter Suizid „(Ärztlich)
      scheiden könnten, sondern in besonde-          Hilfe beim Sterben beinhaltet die pallia-               assistierter Suizid“, wird definiert als
      rer Weise auch die Behandelnden sowie          tive Versorgung am Lebensende. Hos-                     Handlung (eines*einer Arztes*Ärztin),
      Politik und Gesellschaft. Der Umgang           pizarbeit und Palliativmedizin stehen                   einer Person auf deren freiwilliges und
      mit Menschen, die „Sterbehilfe“ für sich       für Sterbebegleitung mit dem Ziel, sich                 angemessenes Verlangen hin die eigen-
      in Anspruch nehmen wollen, ist auch in         schwerkranken und sterbenden Men-                       ständige Selbsttötung zu ermöglichen,
      der Onkologie herausfordernd. Dabei ist        schen gegenüber respektvoll zu verhal-                  z. B. indem eine Medikation zur Selbst-
      jedoch nicht immer klar, was Menschen          ten, sich mit den Wünschen und Sorgen                   verabreichung bereitgestellt wird.
      unter dem Begriff „Sterbehilfe“ verste-         der Patient*innen intensiv auseinander-
      hen. Hinter diesem Begriff kann sich so-        zusetzen, physisches Leid zu lindern                    Behandlungsabbruch „Behandlungsab-
      wohl die Hilfe beim Sterben als auch die       sowie Patient*innen und deren Angehö-                   bruch“ als Begriff beinhaltet die Bereiche
      Hilfe zum Sterben verbergen. Insofern          rige bei psychosozialen und spirituellen                Therapiezieländerung, Therapieverzicht,
      sollen zunächst die Begrifflichkeiten de-        Problemen zu unterstützen. Dabei ist                    Therapieabbruch und das Zulassen des
      finiert werden.                                 die Linderung belastender Symptome                      Sterbens. Dabei sind das Unterlassen, Be-
                                                     wie Schmerzen, Luftnot, Angst oder                      grenzen oder Beenden lebenserhaltender
                                                     Unruhe auch unter Inkaufnahme einer                     oder -verlängernder Maßnahmen, so-
                                                     möglichen Lebensverkürzung als Ne-                      fern dies dem Willen der Patient*innen
                                                     benwirkung einer palliativmedizinisch                   entspricht bzw. wenn die bisherigen the-
                                                     indizierten Maßnahme (früher: „indi-                    rapeutischen Maßnahmen medizinisch
                                                     rekte“ Sterbehilfe) geboten und rechtlich               nicht (mehr) indiziert sind, zulässig [1].
                                                     zulässig.                                               Dazu zählt u. a. der Verzicht auf künst-
                                                                                                             liche Ernährung, Flüssigkeitszufuhr,
       Z   Autor                                                                                             Medikamentengabe, Intubation und Be-
                                                     Hilfe zum Sterben
                        Prof. Dr. Friedemann Nauck                                                           atmung, Dialyse sowie Reanimation bzw.
                        Georg-August-Universität,    Hilfe zum Sterben beinhaltet die Tötung                 deren Abbruch vor Eintritt des Hirnto-
                        Göttingen                    auf Verlangen, den assistierten Suizid so-              des. Der Begriff „Therapiezieländerung“
                                                     wie den Behandlungsabbruch.                             fokussiert darauf, dass nicht grundsätz-
                                                                                                             lich auf alle therapeutischen Maßnahmen
                                                     Tötung auf Verlangen „Tötung auf Ver-                   verzichtet wird, wie es der Begriff des Be-
                                                     langen“, früher als „aktive Sterbehilfe“                handlungsabbruchs nahelegt; vielmehr
                                                     bezeichnet, ist in Deutschland verboten                 erfolgt gezielt eine Korrektur und damit
       Z   Autor
                                                     und liegt laut Strafgesetzbuch (StGB) vor,              Beendigung einer bisherigen (kurativen/
                        Prof. Dr. Alfred Simon       wenn jemand durch das „ausdrückliche                    lebenserhaltenden) Therapie, während
                        Georg-August-Universität,    und ernstliche Verlangen“ des Getöteten                 gleichzeitig durch die Hinzunahme pal-
                        Göttingen
                                                     zur Tötung bestimmt wurde und den Tod                   liativmedizinischer Behandlung und
                                                     gezielt aktiv herbeiführt (§ 216 StGB). Die             Begleitung die Linderung von Leiden
                                                     Tötung auf Verlangen ist in den Nieder-                 angestrebt wird.
                                                     landen, Belgien und Luxemburg dagegen

150    FORUM 2 · 2021
Intention der Einführung des                töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbst-     freiwillig geleisteter Suizidhilfe mit ein.
§ 217 StGB                                  tötung leisten“ [2]. Strafrechtlich gesehen   Das Verbot der geschäftsmäßigen För-
                                            ist auch die ärztliche Assistenz im Falle     derung der Selbsttötung (§ 217 StGB)
In der öffentlichen Diskussion und den       eines freiverantwortlichen Suizids straf-     hat es sterbewilligen Personen aber fak-
Beratungen im Deutschen Bundestag           los. Eine besondere Bedeutung kommt           tisch unmöglich gemacht, Suizidhilfe in
ging es in den Jahren 2014 und 2015 um      dem ärztlich assistierten Suizid dadurch      Anspruch zu nehmen. Damit stellte es
die Auseinandersetzung, ob es einen Ge-     zu, dass Ärzt*innen hier ihre beruflichen      einen unverhältnismäßigen Eingriff in
setzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbs-   Kompetenzen nutzen, d. h. dem Sterbe-         die Grundrechte derer dar, die Suizidhil-
mäßigen Förderung der Selbsttötung ge-      willigen den Weg in ihrer professionel-       fe in Anspruch nehmen oder freiwillig
ben sollte oder nicht. Dabei wurde über     len Rolle ebnen. Die Bundesärztekammer        leisten wollten.
ein Verbot organisierter, kommerzieller     (BÄK) hat sich bisher gegen Tötung auf
Sterbehilfe z. B. durch Sterbehilfeorga-
nisationen wie DIGNITAS-Deutschland
                                            Verlangen und ärztlich assistierten Sui-
                                            zid ausgesprochen, wobei die Haltung der      »richtDaserklärt
                                                                                                      Bundesverfassungsge-
                                                                                                           den § 217 StGB für
bzw. des Vereins Sterbehilfe Deutsch-       BÄK in Hinblick auf ärztlich assistierten
land e. V. debattiert, um der Gefahr        Suizid jedoch nicht von allen Landesärz-      verfassungswidrig
einer gesellschaftlichen „Normalisie-       tekammern geteilt wird: So haben nur
rung“ von Suizidhilfe vorzubeugen. Der      10 der 17 Landesärztekammern das be-          Die Entscheidung des Bundesverfas-
§ 217 StGB (Verbot der geschäftsmä-         rufsrechtliche Verbot in ihre Berufsord-      sungsgerichts untersagt dem Gesetzge-
ßigen Förderung der Selbsttötung), der      nungen übernommen.                            ber hingegen nicht, die Suizidhilfe zu
Ende 2015 im Strafgesetzbuch einge-             Der Vorstand der Deutschen Gesell-        regulieren. Jedoch muss sichergestellt
führt wurde, bestätigte die Entscheidung    schaft für Palliativmedizin (DGP) hat         werden, dass dem Recht des*der Einzel-
des Gesetzgebers, den Suizid und auch       zum ärztlich assistierten Suizid erklärt,     nen, sein*ihr Leben selbstbestimmt zu
die Beihilfe dazu straffrei zu belassen,     „dass die Herbeiführung des Todes aus         beenden, hinreichend Raum zur Entfal-
wenn die Selbsttötung frei und eigen-       ärztlicher Sicht keine therapeutische Op-     tung und Umsetzung verbleibt. Dabei
verantwortlich gewollt und verwirklicht     tion darstellen darf, da damit das zugrun-    wird aus dem Gerichtsurteil deutlich,
wurde. Jedoch durfte die Suizidbeihilfe     de liegende Problem einer am Leben ori-       dass es nach wie vor kein Recht da-
nicht geschäftsmäßig (d. h. mit Wie-        entierten Leidenslinderung nicht gelöst       rauf gibt, Suizidhilfe in Anspruch zu
derholungsabsicht) erfolgen, sonst wäre     wird.“ Es bedürfe „weiterhin zunehmen-        nehmen, da die Assistenz bei der Selbst-
sie strafbar. Diese Regelung führte bei     der Anstrengungen, den Patienten und          tötung auch nach diesem Urteil keine
Ärzt*innen zu einer Verunsicherung, da      deren Umfeld Unterstützung anzubieten,        staatliche Verpflichtung darstellt. Damit
Ängste bestanden, sich im Rahmen ihrer      wozu auch die respektvolle Auseinander-       können weder der Staat noch einzelne
ärztlichen Tätigkeit strafbar zu machen.    setzung mit Todeswünschen von Patien-         Behandelnde gezwungen werden, Sui-
Dabei war unstrittig, dass das Gespräch     ten – wie auch Suizidwünschen im en-          zidhilfe zu leisten. Aus den wesentlichen
mit Patient*innen über den Suizid und       geren Sinne – gehört“ [3].                    Erwägungen des Senats wird darüber
eine Beratung an sich keineswegs schon                                                    hinaus jedoch deutlich, dass das Recht
als Beihilfe zum Suizid gesehen werden.     Situation nach dem Urteil des                 auf selbstbestimmtes Sterben nicht auf
Jedoch könnte die wiederholte Suizid-       Bundesverfassungsgerichts                     fremddefinierte Situationen wie schwe-
assistenz oder die Absicht einer solchen                                                  re oder unheilbare Krankheitszustände
durch einen*eine Arzt*Ärztin eine straf-    Das Bundesverfassungsgericht hat am           oder bestimmte Lebens- und Krank-
bare Handlung darstellen.                   26.02.2020 in seinem Urteil zum § 217         heitsphasen beschränkt ist. Damit sind
    Neben der Frage der strafrechtlichen    StGB das allgemeine Persönlichkeits-          die Beweggründe des zur Selbsttötung
Folgen bei der Durchführung des ärztlich    recht, das auch ein Recht auf selbstbe-       Entschlossenen bei seinem Entschluss
assistierten Suizids wurde in der Ärzte-    stimmtes Sterben umfasst, in den Mit-         nicht zu bewerten und bedürfen keiner
schaft diskutiert, ob der ärztlich assis-   telpunkt gerückt und den § 217 StGB für       weiteren Begründung oder Rechtfer-
tierte Suizid zu den ärztlichen Aufga-      verfassungswidrig erklärt. Die Entschei-      tigung. Die Selbstbestimmung ist das
ben gehört, oder – wie auf dem Deut-        dung des Einzelnen, so das Gericht, „sei-     relevante Kriterium, was die Akzeptanz
schen Ärztetag im Jahr 2011 beschlossen     nem Leben entsprechend seinem Ver-            einer Selbsttötung angeht. Auch darf eine
und im § 16 der (Muster-)Berufsordnung      ständnis von Lebensqualität und Sinn-         rechtliche Regelung die Möglichkeit der
(MBO) festgehalten – zu untersagen ist.     haftigkeit der eigenen Existenz ein Ende      Inanspruchnahme einer freiwillig ge-
Im Rahmen dieser Diskussion wurde der       zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt       leisteten Suizidhilfe nicht auf bestimm-
Paragraph neu gefasst, sodass es seither    autonomer Selbstbestimmung von Staat          te Lebens- oder Krankheitssituationen
heißt: „Ärztinnen und Ärzte haben Ster-     und Gesellschaft zu respektieren“ [4]. Das    einschränken. Bei der persönlichen mo-
benden unter Wahrung ihrer Würde und        Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben        ralischen Entscheidung, Suizidhilfe zu
unter Achtung ihres Willens beizuste-       schließt nach Ansicht des Bundesver-          leisten oder nicht, dürfen sie hingegen
hen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen    fassungsgerichts auch die Möglichkeit         sehr wohl eine Rolle spielen. So darf
und Patienten auf deren Verlangen zu        des Suizids sowie der Inanspruchnahme         ein*eine Arzt*Ärztin für sich festlegen,

                                                                                                                     FORUM 2 · 2021     151
Zusammenfassung · Abstract

      ob er*sie überhaupt Suizidhilfe leistet       Forum 2021 · 36:150–154 https://doi.org/10.1007/s12312-021-00902-7
      und wenn ja, ggf. nur in bestimmten           © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021
      Krankheitssituationen. Dies wiederum
      stellt einen folgenreichen Paradigmen-        F. Nauck · A. Simon
      wechsel dar.                                  Der assistierte Suizid – Reflexionen nach dem
                                                    Bundesverfassungsgerichtsurteil
      Sterbewunsch und Lebenswille
                                                    Zusammenfassung
      Aus den Erfahrungen der Hospiz- und           Im Jahr 2015 verabschiedete der Deutsche          Es muss sichergestellt sein, dass Wünsche
                                                    Bundestag ein Gesetz, das die Beihilfe zum        nach assistiertem Suizid auf einer freiverant-
      Palliativversorgung wissen wir, dass          Suizid verbietet, wenn sie geschäftsmäßig         wortlichen, wohlüberlegten Entscheidung
      auch bei psychisch gesunden Menschen          (d. h. mit Wiederholungsabsicht) erfolgt. Auch    beruhen. Dies erfordert eine obligatorische
      mit schwerer unheilbarer Krankheit            wenn damit Sterbehilfeorganisationen in           Beratung im Vorfeld und ggf. eine Wartezeit.
      Todeswunsch und Lebenswille nahe-             Deutschland gestoppt werden sollten, sorgte       Palliativmedizinische Unterstützung sollte an-
      zu gleichzeitig vorhanden sein können.        der Wortlaut des Gesetzes für Verwirrung und      geboten werden, um physisches, psychisches
                                                    Missverständnisse. Behandelnde befürchte-         und existenzielles Leiden zu lindern. Wird dies
      Dabei ist der Todeswunsch oft nicht           ten u. a. sogar strafrechtliche Konsequenzen,     jedoch nicht als hilfreich empfunden, ist der
      absolut und ausschließlich zu sehen,          wenn sie mit ihren Patient*innen über dieses      Sterbewunsch zu respektieren, wobei aus
      sondern kann Ausdruck einer Ambiva-           Thema sprechen. Die Berufsordnung der             dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben kein
      lenz zwischen Hoffnung auf ein baldiges        Bundesärztekammer verbietet die Beihilfe          Anspruch gegen Dritte auf Beihilfe zum Suizid
      Sterben, aber auch Hoffnung auf ein            zum Suizid und erklärt, die Beteiligung am        abgeleitet werden kann.
                                                    Suizid sei keine ärztliche Aufgabe. Im Jahr
      Weiterleben sein. Starke und anhaltende       2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht        Schlüsselwörter
      körperliche Beschwerden oder psycho-          das Gesetz für verfassungswidrig. Das Recht       Recht auf Sterben · Selbstbestimmung ·
      soziale Belastungen führen dazu, dass         auf einen selbstbestimmten Tod sei nicht auf      Rechtsprechung · Berufsordnung ·
      Patient*innen nach „Sterbehilfe“ verlan-      Situationen beschränkt, die durch äußere          Palliativmedizin
      gen, da sie äußern, „so nicht mehr leben“     Ursachen wie schwere oder unheilbare
                                                    Krankheiten definiert sind.
      zu wollen oder zu können. In diesen Si-
      tuationen kann durch eine umfassende
      multiprofessionelle Palliativversorgung
                                                    Reflections on the Federal Constitutional Court’s ruling on
      eine Leidenslinderung erzielt werden,         assisted suicide in Germany
      die oft dazu führt, dass die Wünsche
      oder Gedanken bezüglich eines baldigen        Abstract
      Versterbens z. B. durch einen assistier-      In 2015, the German parliament passed a bill      It must be ensured that the person who
      ten Suizid in den Hintergrund treten.         prohibiting assistance with suicide when          wishes assisted suicide does so based on
      Insofern haben Ärzt*innen sowie alle Be-      these actions are businesslike, i.e., intended    their free, well-considered decision. This
                                                    as a recurring pursuit. Although this was         requires mandatory consultation in advance,
      handelnden eine durchaus wichtige Rolle       meant to stop right-to-die organizations in       and, if necessary, a waiting period. Palliative
      in der Beurteilung der Menschen, die          Germany, the wording of the bill caused a lot     medical support should be offered to alleviate
      nach ärztlich assistiertem Suizid fragen.     of confusion and misunderstandings. Among         existential, physical, and psychological
      Nicht nur die Frage, ob es sich um eine       other things, physicians feared prosecution       distress. However, if this is not perceived as
      behandelbare psychische Erkrankung            for even discussing this issue with patients.     helpful, the wish to die must be respected,
                                                    The professional code of the German Medical       but no claim against third parties for assisted
      handelt, steht im Vordergrund, sondern        Association forbids assistance with suicide       suicide can be derived from the right to self-
      auch die Beurteilung der Freiverant-          and declares that participation in suicide is     determined dying.
      wortlichkeit des geäußerten Willens.          not a medical task. In 2020, the court ruled
      Hierzu sind der offene Austausch und           that the bill was unconstitutional, and that      Keywords
      Dialog mit dem Suizidwilligen unab-           the right to a self-determined death is not       Right to die · Personal autonomy · Legislation ·
                                                    limited to situations defined by external          Professional code · Palliative care
      dingbar. Dieses offene Miteinander, das        causes such as serious or incurable illnesses.
      Zuhören, Aushalten, Anerkennen und
      die Erlaubnis, ohne Wertung oder Ak-
      tionismus „alles denken und sagen zu
      dürfen“, ist ein wesentlicher Zugang zu     handenen Leidensbildern aufzuzeigen.               und nicht immer ist es leicht, die in-
      denen, die über einen Suizid nachden-       Die unvoreingenommene Kommunika-                   dividuelle Not und Verzweiflung der
      ken, und stellt eine enorme Ressource       tion ermöglicht es erst sicherzustellen,           Patient*innen wahrzunehmen. Nicht
      dar. Nur dadurch lassen sich Perspekti-     dass es sich um eine freiverantwortliche           selten besteht der Wunsch, dass der Tod
      ven erweitern, Probleme der Abwägung        Entscheidung handelt, und ermöglicht               durch ein rasches Fortschreiten der Er-
      von Zeit versus Sinn diskutieren und        es, in der Begleitung Hilfen für ein Wei-          krankung bald eintritt, aber auch der
      mögliche Leidensbilder in angemessene       terleben auch in besonders schwierigen             explizite, wenn auch seltene Wunsch
      Sprache transferieren, die dazu beitragen   Situationen aufzuzeigen. Todeswünsche              nach Beihilfe zum Suizid wird von
      können, alternative Sterbebilder zu vor-    können unterschiedlich ausgeprägt sein,            Schwerkranken und Sterbenden geäu-

152    FORUM 2 · 2021
ßert. Diesen Herausforderungen muss             immer mehr Ärzt*innen eine Suizidhil-          ben leitet sich kein Anspruch gegenüber
sich das gesamte multiprofessionelle            fe im Einzelfall vorstellen können [5],        Dritten auf Suizidhilfe ab.
therapeutische Team mit hoher Ver-              wurde diese Aussage in der 2011 veröf-
antwortung und Wertschätzung stellen.           fentlichten Überarbeitung der Grundsät-        Schlussbemerkungen
Dabei kann die Äußerung von Sterbe-             ze dahingehend geändert, dass die Mit-
wünschen als ein Zeichen des Vertrauens         wirkung an der Selbsttötung keine ärztli-      Ärzt*innen haben eine besondere Ver-
gewertet werden. Sie kann der Versuch           che Aufgabe darstellt. Unabhängig davon        antwortung für eine angemessene Be-
sein auszuloten, ob sich das Gegenüber          gibt es gemeinsame ethische Werte und          handlung ihrer Patient*innen am Le-
auf eine solche tiefe und existenzielle         Überzeugungen in der Ärzteschaft, die          bensende; dies schließt einen respekt-
Frage einlässt.                                 sich in den vier ethischen Grundprinzi-        vollen Umgang mit geäußerten Ster-
                                                pien „beneficence“ (Wohltun/Fürsorge),          bewünschen ein. Sie sollten offen und
Standesethische Überle-                         „non-maleficence“ (Nichtschaden), Re-           differenziert mit solchen Wünschen
gungen zum Umgang mit                           spekt vor der Autonomie und Gerech-            umgehen. Dabei muss der Schutz der
Suizidwünschen                                  tigkeit (Verteilung knapper Ressourcen)        Patient*innen gewährleistet sein und
                                                wiederfinden [6]. Darüber hinaus wer-           geprüft werden, ob eine Freiverantwort-
Unabhängig davon, ob der ärztlich assis-        den Patient*innen ungeachtet ihrer Her-        lichkeit und ausreichende Informationen
tierte Suizid eine ärztliche Aufgabe ist, ist   kunft, ihres sozialen Status, ihres Glau-      über palliativmedizinische Maßnahmen
es ärztliche Aufgabe, sich mit den Sterbe-      bens etc. gleichbehandelt. Es stellt sich      sowie die Ernsthaftigkeit des Anlie-
wünschen von Patient*innen auseinan-            hingegen die Frage, inwieweit es einer ge-     gens bezüglich des assistierten Suizids
derzusetzen. Dabei muss im Rahmen der           meinsamen Haltung zu moralisch strit-          vorliegen. Darüber hinaus ist die Suizid-
Überprüfung der Freiverantwortlichkeit          tigen Fragen bedarf, wenn in der Ärz-          prävention geboten, um zu versuchen,
des Suizidwunsches immer auch geprüft           teschaft unterschiedliche Einstellungen        Menschen in ihrer Not anzunehmen und
werden, ob der Wunsch nach dem Suizid           zum ärztlich assistierten Suizid bestehen.     gemeinsam Wege in einer krisenhaften
tatsächlich der Wunsch der sterbewilli-         Hier wird sich die Ärzteschaft positio-        Situation zu finden, um eine selbstbe-
gen Person ist: Wünscht sie wirklich zu         nieren müssen. Auch wenn der ärztlich          stimmte Entscheidung herbeizuführen.
sterben oder hat der Sterbewunsch ei-           assistierte Suizid nicht zu den ärztlichen        Zusammenfassend müssen die folgen-
ne andere Funktion? Und: Ist es wirklich        Aufgaben gehört, kann im Rahmen einer          den Gesichtspunkte beachtet werden:
ihr autonomer Wunsch oder wurde sie             moralischen Rechtfertigung im Einzel-          4 Der ärztlich assistierte Suizid gehört
zu dieser Entscheidung gedrängt? Auch           fall (Dilemmasituation), wie auch bereits         nicht zu den ärztlichen Aufgaben,
wenn Ärzt*innen nicht verpflichtet wer-          2014 vom Vorstand der DGP beschrie-               dennoch zählt die respektvolle Aus-
den können, einen ärztlich assistierten         ben [3], der ärztlich assistierte Suizid ei-      einandersetzung mit Suizid- und
Suizid zu leisten, stellt sich die Frage,       ne ärztliche Handlung im Rahmen der               Sterbewünschen von Patient*innen
wie sich die Ärzteschaft, nachdem der           Begleitung einer Person darstellen. Die-          dazu.
§ 217 StGB für verfassungswidrig erklärt        se Handlung kann jedoch nur erfolgen,          4 Die ärztliche Mitwirkung am Suizid
wurde, zukünftig positioniert. Diese Po-        wenn sowohl eine freie, wohlüberleg-              kann in dilemmatischen Einzelfällen
sitionierung ist sicher eine Herausforde-       te Entscheidung des*der Suizidwilligen            mit dem ärztlichen Ethos vereinbar
rung, da es nicht nur um eine ethische          als auch die freie Gewissensentscheidung          sein, bleibt aber eine Gewissensent-
und moralische Frage geht, sondern sich         des*der Behandelnden gegeben sind. Da-            scheidung des*der Arztes*Ärztin.
auch die Frage stellt, ob man diese Auf-        zu bedarf es im Vorfeld einer Beratungs-       4 Die Selbstbestimmung anzuerkennen
gabe in andere Hände, wie z. B. Sterbe-         pflicht sowie der Feststellung der Freiver-        und zu fördern bedeutet jedoch nicht,
hilfevereinen, abgeben will und kann.           antwortlichkeit und ggf. einer Wartezeit          jede Handlungsweise gut zu heißen
                                                sowie der Angebote palliativmedizini-             oder sich gar mit ihr zu identifizieren.

»selbstbestimmtes
     Aus dem Recht auf
                  Sterben leitet
                                                scher Unterstützung, um die bestehende
                                                Not des Menschen und möglicherweise
                                                                                               4 Alternativen zur Suizidhilfe, insbe-
                                                                                                  sondere palliative Angebote sowie die
                                                bestehendes physisches und psychisches            Möglichkeit einer Therapiezielände-
sich kein Anspruch auf Suizidhilfe              Leid zu linden. Das bedeutet aber auch,           rung bzw. der Therapiebegrenzung,
ab                                              dass der Sterbewunsch dann, wenn diese            müssen erwogen und mit dem*der
                                                Angebote nicht als hilfreich empfunden            Suizidwilligen besprochen werden.
                                                werden und es zu einer anderen Entschei-       4 Die Prüfung der Sorgfaltskriterien,
Bis vor etwa 10 Jahren vertrat die BÄK in       dung kommt, zu respektieren ist. Doch             insbesondere der Freiverantwort-
ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbe-        allein der Respekt vor einer Entscheidung         lichkeit, sowie Informationen über
begleitung die Auffassung, dass die ärzt-        bedeutet nicht, dass die Behandelnden             alternative Angebote müssen quali-
liche Mitwirkung an der Selbsttötung ei-        den ärztlich assistierten Suizid auch an-         tätsgesichert erfolgen.
ner Person dem ärztlichen Ethos wider-          bieten oder gar durchführen (müssen).          4 Die Diskussion in der Ärzteschaft
spricht. Aufgrund der Tatsache, dass in         Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Ster-          über die berufsrechtlichen Rege-
Studien gezeigt werden konnte, dass sich                                                          lungen zum ärztlich assistieren

                                                                                                                         FORUM 2 · 2021     153
Lesetipp

        Suizid ist geboten. Dabei muss be-
                                                                                                              Transition
                                                  Korrespondenzadresse
        achtet werden, dass das Recht auf
                                                  Prof. Dr. Friedemann Nauck                                                            Der Übergang von
        selbstbestimmtes Sterben nicht auf
                                                  Klinik für Palliativmedizin, Georg-August-Uni-                                        pädiatrischer zu
        fremddefinierte Situationen wie
                                                  versität                                                                              erwachsenenme-
        schwere oder unheilbare Krankheits-       Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen,                                               dizinischer Versor-
        zustände oder bestimmte Lebens-           Deutschland
                                                                                                                                        gung bei definier-
        und Krankheitsphasen beschränkt ist       Friedemann.Nauck@med.uni-goettingen.de
                                                                                                                                        ten chronischen
        und es sich deshalb nicht notwendig
                                                                                                                                        Erkrankungen -
        um Patient*innen im engeren Sinne
                                                                                                                                        die Transition -
        handeln muss.                             Einhaltung ethischer Richtlinien                                                      ist sehr komplex.
      4 Es sollten gesamtgesellschaftlichen
                                                                                                              Sie beinhaltet Erkenntnisse über den früh-
        Anstrengungen unternommen wer-            Interessenkonflikt. F. Nauck und A. Simon geben an,
                                                                                                              kindlichen Einfluss auf chronische Erkran-
        den, dass Suizid und Suizidassistenz      dass kein Interessenkonflikt besteht.
                                                                                                              kungen mit klinischer Manifestation im Er-
        nicht zu einer gesellschaftlichen Nor-
                                                  Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine             wachsenenalter. Eine Übergabe/Transition
        malität werden, und zwar nicht gegen,     Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt.               sollte frühzeitig geplant und kommuniziert
        sondern im Interesse des Rechts auf       Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort
                                                  angegebenen ethischen Richtlinien.                          werden und ist am effizientesten in eta-
        selbstbestimmtes Sterben.
                                                                                                              blierten Strukturen mit guten persönlichen
      4 Es darf keine Verpflichtung zur
                                                                                                              Kontakten der Ärzte untereinander.
        Suizidhilfe für Ärzt*innen geben.         Literatur                                                   Die Artikel in Der Pneumologe 02/2021
                                                   1. Bundesgerichtshof. Urteil vom 25. Juni 2010 - 2 StR     geben Ihnen eine Hilfestellung beim In-
      Unklar bleibt derzeit, ob es nach einer
                                                      454/09                                                  formationsaustausch zwischen den Diszi-
      Überarbeitung der berufsrechtlichen          2. (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland
                                                                                                              plinen, damit es zu einem strukturierten
      Regelungen genügend Ärzt*innen ge-              tätigenÄrztinnenundÄrzte- MBO-Ä1997 -*)inder
                                                      Fassung der Beschlüsse des 121. Deutschen Ärzte-        Transitionsprozss kommt, um die Jugend-
      ben wird, die sich zur Suizidbeihilfe
                                                      tages 2018in Erfurt, geändert durch Beschluss des       lichen auf den Wechsel der Versorgung
      bereitfinden, und inwieweit das mul-             Vorstandes der Bundesärztekammer am 14. Dez.
                                                                                                              vorzubereiten.
      tiprofessionelle Behandlungsteam die            2018 (vgl. § 1 Abs. 2 MBO-Ä)
      Durchführung des ärztlich assistierten       3. Nauck F, Ostgathe C, Radbruch L (2014) Ärztlich
                                                      assistierter Suizid: Hilfe beim Sterben - keine Hilfe   4 Transition bei chronisch obstruktiven
      Suizids mitträgt und mitverantwortet.           zum Sterben. Dtsch Arztebl 111:A67–A71
                                                                                                                 Lungenerkrankungen von pädiatri-
      Ferner muss geklärt werden, ob Minder-       4. Bundesverfassungsgericht. Urteil vom 26. Februar
                                                      2020 - 2 BvR 2347/15 u. a.                                 scher in internistische Versorgung
      jährige, psychisch Erkrankte oder Men-
                                                   5. Simon A (2010) Einstellung der Ärzte zur Suizidbei-
      schen mit einer Demenz grundsätzlich            hilfe: Ausbau der Palliativmedizin gefordert. Dtsch
                                                                                                              4 Transition von Patienten mit primärer
      von der Möglichkeit eines assistierten          Arztebl 107:A1383–A1385
                                                   6. Beauchamp TL, Childress JF (2001) Principles of            ziliärer Dyskinesie
      Suizids ausgeschlossen werden oder die
                                                      biomedical ethics, 5. Aufl. Oxford University Press,
      Selbstbestimmung auch bei diesen Men-           Oxford (1. Aufl. 1979)
                                                                                                              4 Mukoviszidose und Transition ins
      schen greift. Das Thema „Sterbehilfe“ ist
                                                                                                                 Erwachsenenalter
      und bleibt nicht nur für die Ärzteschaft
      herausfordernd. Es gibt hierzu keine ein-
                                                                                                              4 Pulmonalarterieller Hochdruck bei
      fachen Antworten und Lösungen, kein
                                                                                                                 Kindern
      eindeutiges Richtig oder Falsch.
         Das Urteil des Bundesverfassungsge-
                                                                                                              4 Transition bei neuromuskulären
      richts vom 26.02.2020 stellt die Autono-
                                                                                                                 Erkrankungen mit chronisch
      mie des Menschen in den Vordergrund,
                                                                                                                 respiratorischer Insuffizienz
      was auch als Ausdruck einer Gesellschaft,
      die zunehmend das Individuum im Blick
                                                                                                              Suchen Sie noch mehr zum Thema?
      hat, verstanden werden kann. Dabei gilt
                                                                                                              Mit e.Med – den maßgeschneiderten Fort-
      aber nach wie vor der Grundsatz aus
                                                                                                              bildungsabos von Springer Medizin – ha-
      der ärztlichen (Muster-)Berufsordnung:
                                                                                                              ben Sie Zugriff auf alle Inhalte von Sprin-
      „Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist
                                                                                                              gerMedizin.de. Sie können schnell und
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      Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand
                                                                                                              im Volltext zugreifen.
      zu leisten und an der Erhaltung der na-
      türlichen Lebensgrundlagen im Hinblick
                                                                                                              Weitere Infos zu e.Med finden Sie auf
      auf ihre Bedeutung für die Gesundheit
                                                                                                              springermedizin.de unter „Abos“
      der Menschen mitzuwirken“ [2].

154    FORUM 2 · 2021
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