FORUM - Deutsche Krebsgesellschaft
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FORUM Fokus Forum 2021 · 36:150–154 Friedemann Nauck1 · Alfred Simon2 https://doi.org/10.1007/s12312-021-00902-7 1 Klinik für Palliativmedizin, Georg-August-Universität, Göttingen, Deutschland Online publiziert: 3. März 2021 2 Akademie für Ethik in der Medizin, Georg-August-Universität, Göttingen, Deutschland © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 Der assistierte Suizid – Reflexionen nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Das Thema „Sterbehilfe“, zu dem auch der Begriffsdefinition unter bestimmten Bedingungen straffrei assistierte Suizid zählt, beschäftigt nicht gestellt. nur die Betroffenen, die sich darüber Ge- Hilfe beim Sterben danken machen, wie sie aus dem Leben (Ärztlich) assistierter Suizid „(Ärztlich) scheiden könnten, sondern in besonde- Hilfe beim Sterben beinhaltet die pallia- assistierter Suizid“, wird definiert als rer Weise auch die Behandelnden sowie tive Versorgung am Lebensende. Hos- Handlung (eines*einer Arztes*Ärztin), Politik und Gesellschaft. Der Umgang pizarbeit und Palliativmedizin stehen einer Person auf deren freiwilliges und mit Menschen, die „Sterbehilfe“ für sich für Sterbebegleitung mit dem Ziel, sich angemessenes Verlangen hin die eigen- in Anspruch nehmen wollen, ist auch in schwerkranken und sterbenden Men- ständige Selbsttötung zu ermöglichen, der Onkologie herausfordernd. Dabei ist schen gegenüber respektvoll zu verhal- z. B. indem eine Medikation zur Selbst- jedoch nicht immer klar, was Menschen ten, sich mit den Wünschen und Sorgen verabreichung bereitgestellt wird. unter dem Begriff „Sterbehilfe“ verste- der Patient*innen intensiv auseinander- hen. Hinter diesem Begriff kann sich so- zusetzen, physisches Leid zu lindern Behandlungsabbruch „Behandlungsab- wohl die Hilfe beim Sterben als auch die sowie Patient*innen und deren Angehö- bruch“ als Begriff beinhaltet die Bereiche Hilfe zum Sterben verbergen. Insofern rige bei psychosozialen und spirituellen Therapiezieländerung, Therapieverzicht, sollen zunächst die Begrifflichkeiten de- Problemen zu unterstützen. Dabei ist Therapieabbruch und das Zulassen des finiert werden. die Linderung belastender Symptome Sterbens. Dabei sind das Unterlassen, Be- wie Schmerzen, Luftnot, Angst oder grenzen oder Beenden lebenserhaltender Unruhe auch unter Inkaufnahme einer oder -verlängernder Maßnahmen, so- möglichen Lebensverkürzung als Ne- fern dies dem Willen der Patient*innen benwirkung einer palliativmedizinisch entspricht bzw. wenn die bisherigen the- indizierten Maßnahme (früher: „indi- rapeutischen Maßnahmen medizinisch rekte“ Sterbehilfe) geboten und rechtlich nicht (mehr) indiziert sind, zulässig [1]. zulässig. Dazu zählt u. a. der Verzicht auf künst- liche Ernährung, Flüssigkeitszufuhr, Z Autor Medikamentengabe, Intubation und Be- Hilfe zum Sterben Prof. Dr. Friedemann Nauck atmung, Dialyse sowie Reanimation bzw. Georg-August-Universität, Hilfe zum Sterben beinhaltet die Tötung deren Abbruch vor Eintritt des Hirnto- Göttingen auf Verlangen, den assistierten Suizid so- des. Der Begriff „Therapiezieländerung“ wie den Behandlungsabbruch. fokussiert darauf, dass nicht grundsätz- lich auf alle therapeutischen Maßnahmen Tötung auf Verlangen „Tötung auf Ver- verzichtet wird, wie es der Begriff des Be- langen“, früher als „aktive Sterbehilfe“ handlungsabbruchs nahelegt; vielmehr bezeichnet, ist in Deutschland verboten erfolgt gezielt eine Korrektur und damit Z Autor und liegt laut Strafgesetzbuch (StGB) vor, Beendigung einer bisherigen (kurativen/ Prof. Dr. Alfred Simon wenn jemand durch das „ausdrückliche lebenserhaltenden) Therapie, während Georg-August-Universität, und ernstliche Verlangen“ des Getöteten gleichzeitig durch die Hinzunahme pal- Göttingen zur Tötung bestimmt wurde und den Tod liativmedizinischer Behandlung und gezielt aktiv herbeiführt (§ 216 StGB). Die Begleitung die Linderung von Leiden Tötung auf Verlangen ist in den Nieder- angestrebt wird. landen, Belgien und Luxemburg dagegen 150 FORUM 2 · 2021
Intention der Einführung des töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbst- freiwillig geleisteter Suizidhilfe mit ein. § 217 StGB tötung leisten“ [2]. Strafrechtlich gesehen Das Verbot der geschäftsmäßigen För- ist auch die ärztliche Assistenz im Falle derung der Selbsttötung (§ 217 StGB) In der öffentlichen Diskussion und den eines freiverantwortlichen Suizids straf- hat es sterbewilligen Personen aber fak- Beratungen im Deutschen Bundestag los. Eine besondere Bedeutung kommt tisch unmöglich gemacht, Suizidhilfe in ging es in den Jahren 2014 und 2015 um dem ärztlich assistierten Suizid dadurch Anspruch zu nehmen. Damit stellte es die Auseinandersetzung, ob es einen Ge- zu, dass Ärzt*innen hier ihre beruflichen einen unverhältnismäßigen Eingriff in setzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbs- Kompetenzen nutzen, d. h. dem Sterbe- die Grundrechte derer dar, die Suizidhil- mäßigen Förderung der Selbsttötung ge- willigen den Weg in ihrer professionel- fe in Anspruch nehmen oder freiwillig ben sollte oder nicht. Dabei wurde über len Rolle ebnen. Die Bundesärztekammer leisten wollten. ein Verbot organisierter, kommerzieller (BÄK) hat sich bisher gegen Tötung auf Sterbehilfe z. B. durch Sterbehilfeorga- nisationen wie DIGNITAS-Deutschland Verlangen und ärztlich assistierten Sui- zid ausgesprochen, wobei die Haltung der »richtDaserklärt Bundesverfassungsge- den § 217 StGB für bzw. des Vereins Sterbehilfe Deutsch- BÄK in Hinblick auf ärztlich assistierten land e. V. debattiert, um der Gefahr Suizid jedoch nicht von allen Landesärz- verfassungswidrig einer gesellschaftlichen „Normalisie- tekammern geteilt wird: So haben nur rung“ von Suizidhilfe vorzubeugen. Der 10 der 17 Landesärztekammern das be- Die Entscheidung des Bundesverfas- § 217 StGB (Verbot der geschäftsmä- rufsrechtliche Verbot in ihre Berufsord- sungsgerichts untersagt dem Gesetzge- ßigen Förderung der Selbsttötung), der nungen übernommen. ber hingegen nicht, die Suizidhilfe zu Ende 2015 im Strafgesetzbuch einge- Der Vorstand der Deutschen Gesell- regulieren. Jedoch muss sichergestellt führt wurde, bestätigte die Entscheidung schaft für Palliativmedizin (DGP) hat werden, dass dem Recht des*der Einzel- des Gesetzgebers, den Suizid und auch zum ärztlich assistierten Suizid erklärt, nen, sein*ihr Leben selbstbestimmt zu die Beihilfe dazu straffrei zu belassen, „dass die Herbeiführung des Todes aus beenden, hinreichend Raum zur Entfal- wenn die Selbsttötung frei und eigen- ärztlicher Sicht keine therapeutische Op- tung und Umsetzung verbleibt. Dabei verantwortlich gewollt und verwirklicht tion darstellen darf, da damit das zugrun- wird aus dem Gerichtsurteil deutlich, wurde. Jedoch durfte die Suizidbeihilfe de liegende Problem einer am Leben ori- dass es nach wie vor kein Recht da- nicht geschäftsmäßig (d. h. mit Wie- entierten Leidenslinderung nicht gelöst rauf gibt, Suizidhilfe in Anspruch zu derholungsabsicht) erfolgen, sonst wäre wird.“ Es bedürfe „weiterhin zunehmen- nehmen, da die Assistenz bei der Selbst- sie strafbar. Diese Regelung führte bei der Anstrengungen, den Patienten und tötung auch nach diesem Urteil keine Ärzt*innen zu einer Verunsicherung, da deren Umfeld Unterstützung anzubieten, staatliche Verpflichtung darstellt. Damit Ängste bestanden, sich im Rahmen ihrer wozu auch die respektvolle Auseinander- können weder der Staat noch einzelne ärztlichen Tätigkeit strafbar zu machen. setzung mit Todeswünschen von Patien- Behandelnde gezwungen werden, Sui- Dabei war unstrittig, dass das Gespräch ten – wie auch Suizidwünschen im en- zidhilfe zu leisten. Aus den wesentlichen mit Patient*innen über den Suizid und geren Sinne – gehört“ [3]. Erwägungen des Senats wird darüber eine Beratung an sich keineswegs schon hinaus jedoch deutlich, dass das Recht als Beihilfe zum Suizid gesehen werden. Situation nach dem Urteil des auf selbstbestimmtes Sterben nicht auf Jedoch könnte die wiederholte Suizid- Bundesverfassungsgerichts fremddefinierte Situationen wie schwe- assistenz oder die Absicht einer solchen re oder unheilbare Krankheitszustände durch einen*eine Arzt*Ärztin eine straf- Das Bundesverfassungsgericht hat am oder bestimmte Lebens- und Krank- bare Handlung darstellen. 26.02.2020 in seinem Urteil zum § 217 heitsphasen beschränkt ist. Damit sind Neben der Frage der strafrechtlichen StGB das allgemeine Persönlichkeits- die Beweggründe des zur Selbsttötung Folgen bei der Durchführung des ärztlich recht, das auch ein Recht auf selbstbe- Entschlossenen bei seinem Entschluss assistierten Suizids wurde in der Ärzte- stimmtes Sterben umfasst, in den Mit- nicht zu bewerten und bedürfen keiner schaft diskutiert, ob der ärztlich assis- telpunkt gerückt und den § 217 StGB für weiteren Begründung oder Rechtfer- tierte Suizid zu den ärztlichen Aufga- verfassungswidrig erklärt. Die Entschei- tigung. Die Selbstbestimmung ist das ben gehört, oder – wie auf dem Deut- dung des Einzelnen, so das Gericht, „sei- relevante Kriterium, was die Akzeptanz schen Ärztetag im Jahr 2011 beschlossen nem Leben entsprechend seinem Ver- einer Selbsttötung angeht. Auch darf eine und im § 16 der (Muster-)Berufsordnung ständnis von Lebensqualität und Sinn- rechtliche Regelung die Möglichkeit der (MBO) festgehalten – zu untersagen ist. haftigkeit der eigenen Existenz ein Ende Inanspruchnahme einer freiwillig ge- Im Rahmen dieser Diskussion wurde der zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt leisteten Suizidhilfe nicht auf bestimm- Paragraph neu gefasst, sodass es seither autonomer Selbstbestimmung von Staat te Lebens- oder Krankheitssituationen heißt: „Ärztinnen und Ärzte haben Ster- und Gesellschaft zu respektieren“ [4]. Das einschränken. Bei der persönlichen mo- benden unter Wahrung ihrer Würde und Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ralischen Entscheidung, Suizidhilfe zu unter Achtung ihres Willens beizuste- schließt nach Ansicht des Bundesver- leisten oder nicht, dürfen sie hingegen hen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen fassungsgerichts auch die Möglichkeit sehr wohl eine Rolle spielen. So darf und Patienten auf deren Verlangen zu des Suizids sowie der Inanspruchnahme ein*eine Arzt*Ärztin für sich festlegen, FORUM 2 · 2021 151
Zusammenfassung · Abstract ob er*sie überhaupt Suizidhilfe leistet Forum 2021 · 36:150–154 https://doi.org/10.1007/s12312-021-00902-7 und wenn ja, ggf. nur in bestimmten © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 Krankheitssituationen. Dies wiederum stellt einen folgenreichen Paradigmen- F. Nauck · A. Simon wechsel dar. Der assistierte Suizid – Reflexionen nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Sterbewunsch und Lebenswille Zusammenfassung Aus den Erfahrungen der Hospiz- und Im Jahr 2015 verabschiedete der Deutsche Es muss sichergestellt sein, dass Wünsche Bundestag ein Gesetz, das die Beihilfe zum nach assistiertem Suizid auf einer freiverant- Palliativversorgung wissen wir, dass Suizid verbietet, wenn sie geschäftsmäßig wortlichen, wohlüberlegten Entscheidung auch bei psychisch gesunden Menschen (d. h. mit Wiederholungsabsicht) erfolgt. Auch beruhen. Dies erfordert eine obligatorische mit schwerer unheilbarer Krankheit wenn damit Sterbehilfeorganisationen in Beratung im Vorfeld und ggf. eine Wartezeit. Todeswunsch und Lebenswille nahe- Deutschland gestoppt werden sollten, sorgte Palliativmedizinische Unterstützung sollte an- zu gleichzeitig vorhanden sein können. der Wortlaut des Gesetzes für Verwirrung und geboten werden, um physisches, psychisches Missverständnisse. Behandelnde befürchte- und existenzielles Leiden zu lindern. Wird dies Dabei ist der Todeswunsch oft nicht ten u. a. sogar strafrechtliche Konsequenzen, jedoch nicht als hilfreich empfunden, ist der absolut und ausschließlich zu sehen, wenn sie mit ihren Patient*innen über dieses Sterbewunsch zu respektieren, wobei aus sondern kann Ausdruck einer Ambiva- Thema sprechen. Die Berufsordnung der dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben kein lenz zwischen Hoffnung auf ein baldiges Bundesärztekammer verbietet die Beihilfe Anspruch gegen Dritte auf Beihilfe zum Suizid Sterben, aber auch Hoffnung auf ein zum Suizid und erklärt, die Beteiligung am abgeleitet werden kann. Suizid sei keine ärztliche Aufgabe. Im Jahr Weiterleben sein. Starke und anhaltende 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht Schlüsselwörter körperliche Beschwerden oder psycho- das Gesetz für verfassungswidrig. Das Recht Recht auf Sterben · Selbstbestimmung · soziale Belastungen führen dazu, dass auf einen selbstbestimmten Tod sei nicht auf Rechtsprechung · Berufsordnung · Patient*innen nach „Sterbehilfe“ verlan- Situationen beschränkt, die durch äußere Palliativmedizin gen, da sie äußern, „so nicht mehr leben“ Ursachen wie schwere oder unheilbare Krankheiten definiert sind. zu wollen oder zu können. In diesen Si- tuationen kann durch eine umfassende multiprofessionelle Palliativversorgung Reflections on the Federal Constitutional Court’s ruling on eine Leidenslinderung erzielt werden, assisted suicide in Germany die oft dazu führt, dass die Wünsche oder Gedanken bezüglich eines baldigen Abstract Versterbens z. B. durch einen assistier- In 2015, the German parliament passed a bill It must be ensured that the person who ten Suizid in den Hintergrund treten. prohibiting assistance with suicide when wishes assisted suicide does so based on Insofern haben Ärzt*innen sowie alle Be- these actions are businesslike, i.e., intended their free, well-considered decision. This as a recurring pursuit. Although this was requires mandatory consultation in advance, handelnden eine durchaus wichtige Rolle meant to stop right-to-die organizations in and, if necessary, a waiting period. Palliative in der Beurteilung der Menschen, die Germany, the wording of the bill caused a lot medical support should be offered to alleviate nach ärztlich assistiertem Suizid fragen. of confusion and misunderstandings. Among existential, physical, and psychological Nicht nur die Frage, ob es sich um eine other things, physicians feared prosecution distress. However, if this is not perceived as behandelbare psychische Erkrankung for even discussing this issue with patients. helpful, the wish to die must be respected, The professional code of the German Medical but no claim against third parties for assisted handelt, steht im Vordergrund, sondern Association forbids assistance with suicide suicide can be derived from the right to self- auch die Beurteilung der Freiverant- and declares that participation in suicide is determined dying. wortlichkeit des geäußerten Willens. not a medical task. In 2020, the court ruled Hierzu sind der offene Austausch und that the bill was unconstitutional, and that Keywords Dialog mit dem Suizidwilligen unab- the right to a self-determined death is not Right to die · Personal autonomy · Legislation · limited to situations defined by external Professional code · Palliative care dingbar. Dieses offene Miteinander, das causes such as serious or incurable illnesses. Zuhören, Aushalten, Anerkennen und die Erlaubnis, ohne Wertung oder Ak- tionismus „alles denken und sagen zu dürfen“, ist ein wesentlicher Zugang zu handenen Leidensbildern aufzuzeigen. und nicht immer ist es leicht, die in- denen, die über einen Suizid nachden- Die unvoreingenommene Kommunika- dividuelle Not und Verzweiflung der ken, und stellt eine enorme Ressource tion ermöglicht es erst sicherzustellen, Patient*innen wahrzunehmen. Nicht dar. Nur dadurch lassen sich Perspekti- dass es sich um eine freiverantwortliche selten besteht der Wunsch, dass der Tod ven erweitern, Probleme der Abwägung Entscheidung handelt, und ermöglicht durch ein rasches Fortschreiten der Er- von Zeit versus Sinn diskutieren und es, in der Begleitung Hilfen für ein Wei- krankung bald eintritt, aber auch der mögliche Leidensbilder in angemessene terleben auch in besonders schwierigen explizite, wenn auch seltene Wunsch Sprache transferieren, die dazu beitragen Situationen aufzuzeigen. Todeswünsche nach Beihilfe zum Suizid wird von können, alternative Sterbebilder zu vor- können unterschiedlich ausgeprägt sein, Schwerkranken und Sterbenden geäu- 152 FORUM 2 · 2021
ßert. Diesen Herausforderungen muss immer mehr Ärzt*innen eine Suizidhil- ben leitet sich kein Anspruch gegenüber sich das gesamte multiprofessionelle fe im Einzelfall vorstellen können [5], Dritten auf Suizidhilfe ab. therapeutische Team mit hoher Ver- wurde diese Aussage in der 2011 veröf- antwortung und Wertschätzung stellen. fentlichten Überarbeitung der Grundsät- Schlussbemerkungen Dabei kann die Äußerung von Sterbe- ze dahingehend geändert, dass die Mit- wünschen als ein Zeichen des Vertrauens wirkung an der Selbsttötung keine ärztli- Ärzt*innen haben eine besondere Ver- gewertet werden. Sie kann der Versuch che Aufgabe darstellt. Unabhängig davon antwortung für eine angemessene Be- sein auszuloten, ob sich das Gegenüber gibt es gemeinsame ethische Werte und handlung ihrer Patient*innen am Le- auf eine solche tiefe und existenzielle Überzeugungen in der Ärzteschaft, die bensende; dies schließt einen respekt- Frage einlässt. sich in den vier ethischen Grundprinzi- vollen Umgang mit geäußerten Ster- pien „beneficence“ (Wohltun/Fürsorge), bewünschen ein. Sie sollten offen und Standesethische Überle- „non-maleficence“ (Nichtschaden), Re- differenziert mit solchen Wünschen gungen zum Umgang mit spekt vor der Autonomie und Gerech- umgehen. Dabei muss der Schutz der Suizidwünschen tigkeit (Verteilung knapper Ressourcen) Patient*innen gewährleistet sein und wiederfinden [6]. Darüber hinaus wer- geprüft werden, ob eine Freiverantwort- Unabhängig davon, ob der ärztlich assis- den Patient*innen ungeachtet ihrer Her- lichkeit und ausreichende Informationen tierte Suizid eine ärztliche Aufgabe ist, ist kunft, ihres sozialen Status, ihres Glau- über palliativmedizinische Maßnahmen es ärztliche Aufgabe, sich mit den Sterbe- bens etc. gleichbehandelt. Es stellt sich sowie die Ernsthaftigkeit des Anlie- wünschen von Patient*innen auseinan- hingegen die Frage, inwieweit es einer ge- gens bezüglich des assistierten Suizids derzusetzen. Dabei muss im Rahmen der meinsamen Haltung zu moralisch strit- vorliegen. Darüber hinaus ist die Suizid- Überprüfung der Freiverantwortlichkeit tigen Fragen bedarf, wenn in der Ärz- prävention geboten, um zu versuchen, des Suizidwunsches immer auch geprüft teschaft unterschiedliche Einstellungen Menschen in ihrer Not anzunehmen und werden, ob der Wunsch nach dem Suizid zum ärztlich assistierten Suizid bestehen. gemeinsam Wege in einer krisenhaften tatsächlich der Wunsch der sterbewilli- Hier wird sich die Ärzteschaft positio- Situation zu finden, um eine selbstbe- gen Person ist: Wünscht sie wirklich zu nieren müssen. Auch wenn der ärztlich stimmte Entscheidung herbeizuführen. sterben oder hat der Sterbewunsch ei- assistierte Suizid nicht zu den ärztlichen Zusammenfassend müssen die folgen- ne andere Funktion? Und: Ist es wirklich Aufgaben gehört, kann im Rahmen einer den Gesichtspunkte beachtet werden: ihr autonomer Wunsch oder wurde sie moralischen Rechtfertigung im Einzel- 4 Der ärztlich assistierte Suizid gehört zu dieser Entscheidung gedrängt? Auch fall (Dilemmasituation), wie auch bereits nicht zu den ärztlichen Aufgaben, wenn Ärzt*innen nicht verpflichtet wer- 2014 vom Vorstand der DGP beschrie- dennoch zählt die respektvolle Aus- den können, einen ärztlich assistierten ben [3], der ärztlich assistierte Suizid ei- einandersetzung mit Suizid- und Suizid zu leisten, stellt sich die Frage, ne ärztliche Handlung im Rahmen der Sterbewünschen von Patient*innen wie sich die Ärzteschaft, nachdem der Begleitung einer Person darstellen. Die- dazu. § 217 StGB für verfassungswidrig erklärt se Handlung kann jedoch nur erfolgen, 4 Die ärztliche Mitwirkung am Suizid wurde, zukünftig positioniert. Diese Po- wenn sowohl eine freie, wohlüberleg- kann in dilemmatischen Einzelfällen sitionierung ist sicher eine Herausforde- te Entscheidung des*der Suizidwilligen mit dem ärztlichen Ethos vereinbar rung, da es nicht nur um eine ethische als auch die freie Gewissensentscheidung sein, bleibt aber eine Gewissensent- und moralische Frage geht, sondern sich des*der Behandelnden gegeben sind. Da- scheidung des*der Arztes*Ärztin. auch die Frage stellt, ob man diese Auf- zu bedarf es im Vorfeld einer Beratungs- 4 Die Selbstbestimmung anzuerkennen gabe in andere Hände, wie z. B. Sterbe- pflicht sowie der Feststellung der Freiver- und zu fördern bedeutet jedoch nicht, hilfevereinen, abgeben will und kann. antwortlichkeit und ggf. einer Wartezeit jede Handlungsweise gut zu heißen sowie der Angebote palliativmedizini- oder sich gar mit ihr zu identifizieren. »selbstbestimmtes Aus dem Recht auf Sterben leitet scher Unterstützung, um die bestehende Not des Menschen und möglicherweise 4 Alternativen zur Suizidhilfe, insbe- sondere palliative Angebote sowie die bestehendes physisches und psychisches Möglichkeit einer Therapiezielände- sich kein Anspruch auf Suizidhilfe Leid zu linden. Das bedeutet aber auch, rung bzw. der Therapiebegrenzung, ab dass der Sterbewunsch dann, wenn diese müssen erwogen und mit dem*der Angebote nicht als hilfreich empfunden Suizidwilligen besprochen werden. werden und es zu einer anderen Entschei- 4 Die Prüfung der Sorgfaltskriterien, Bis vor etwa 10 Jahren vertrat die BÄK in dung kommt, zu respektieren ist. Doch insbesondere der Freiverantwort- ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbe- allein der Respekt vor einer Entscheidung lichkeit, sowie Informationen über begleitung die Auffassung, dass die ärzt- bedeutet nicht, dass die Behandelnden alternative Angebote müssen quali- liche Mitwirkung an der Selbsttötung ei- den ärztlich assistierten Suizid auch an- tätsgesichert erfolgen. ner Person dem ärztlichen Ethos wider- bieten oder gar durchführen (müssen). 4 Die Diskussion in der Ärzteschaft spricht. Aufgrund der Tatsache, dass in Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Ster- über die berufsrechtlichen Rege- Studien gezeigt werden konnte, dass sich lungen zum ärztlich assistieren FORUM 2 · 2021 153
Lesetipp Suizid ist geboten. Dabei muss be- Transition Korrespondenzadresse achtet werden, dass das Recht auf Prof. Dr. Friedemann Nauck Der Übergang von selbstbestimmtes Sterben nicht auf Klinik für Palliativmedizin, Georg-August-Uni- pädiatrischer zu fremddefinierte Situationen wie versität erwachsenenme- schwere oder unheilbare Krankheits- Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen, dizinischer Versor- zustände oder bestimmte Lebens- Deutschland gung bei definier- und Krankheitsphasen beschränkt ist Friedemann.Nauck@med.uni-goettingen.de ten chronischen und es sich deshalb nicht notwendig Erkrankungen - um Patient*innen im engeren Sinne die Transition - handeln muss. Einhaltung ethischer Richtlinien ist sehr komplex. 4 Es sollten gesamtgesellschaftlichen Sie beinhaltet Erkenntnisse über den früh- Anstrengungen unternommen wer- Interessenkonflikt. F. Nauck und A. Simon geben an, kindlichen Einfluss auf chronische Erkran- den, dass Suizid und Suizidassistenz dass kein Interessenkonflikt besteht. kungen mit klinischer Manifestation im Er- nicht zu einer gesellschaftlichen Nor- Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine wachsenenalter. Eine Übergabe/Transition malität werden, und zwar nicht gegen, Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. sollte frühzeitig geplant und kommuniziert sondern im Interesse des Rechts auf Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. werden und ist am effizientesten in eta- selbstbestimmtes Sterben. blierten Strukturen mit guten persönlichen 4 Es darf keine Verpflichtung zur Kontakten der Ärzte untereinander. Suizidhilfe für Ärzt*innen geben. Literatur Die Artikel in Der Pneumologe 02/2021 1. Bundesgerichtshof. Urteil vom 25. Juni 2010 - 2 StR geben Ihnen eine Hilfestellung beim In- Unklar bleibt derzeit, ob es nach einer 454/09 formationsaustausch zwischen den Diszi- Überarbeitung der berufsrechtlichen 2. (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland plinen, damit es zu einem strukturierten Regelungen genügend Ärzt*innen ge- tätigenÄrztinnenundÄrzte- MBO-Ä1997 -*)inder Fassung der Beschlüsse des 121. Deutschen Ärzte- Transitionsprozss kommt, um die Jugend- ben wird, die sich zur Suizidbeihilfe tages 2018in Erfurt, geändert durch Beschluss des lichen auf den Wechsel der Versorgung bereitfinden, und inwieweit das mul- Vorstandes der Bundesärztekammer am 14. Dez. vorzubereiten. tiprofessionelle Behandlungsteam die 2018 (vgl. § 1 Abs. 2 MBO-Ä) Durchführung des ärztlich assistierten 3. Nauck F, Ostgathe C, Radbruch L (2014) Ärztlich assistierter Suizid: Hilfe beim Sterben - keine Hilfe 4 Transition bei chronisch obstruktiven Suizids mitträgt und mitverantwortet. zum Sterben. Dtsch Arztebl 111:A67–A71 Lungenerkrankungen von pädiatri- Ferner muss geklärt werden, ob Minder- 4. Bundesverfassungsgericht. Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u. a. scher in internistische Versorgung jährige, psychisch Erkrankte oder Men- 5. Simon A (2010) Einstellung der Ärzte zur Suizidbei- schen mit einer Demenz grundsätzlich hilfe: Ausbau der Palliativmedizin gefordert. Dtsch 4 Transition von Patienten mit primärer von der Möglichkeit eines assistierten Arztebl 107:A1383–A1385 6. Beauchamp TL, Childress JF (2001) Principles of ziliärer Dyskinesie Suizids ausgeschlossen werden oder die biomedical ethics, 5. Aufl. Oxford University Press, Selbstbestimmung auch bei diesen Men- Oxford (1. Aufl. 1979) 4 Mukoviszidose und Transition ins schen greift. Das Thema „Sterbehilfe“ ist Erwachsenenalter und bleibt nicht nur für die Ärzteschaft herausfordernd. Es gibt hierzu keine ein- 4 Pulmonalarterieller Hochdruck bei fachen Antworten und Lösungen, kein Kindern eindeutiges Richtig oder Falsch. Das Urteil des Bundesverfassungsge- 4 Transition bei neuromuskulären richts vom 26.02.2020 stellt die Autono- Erkrankungen mit chronisch mie des Menschen in den Vordergrund, respiratorischer Insuffizienz was auch als Ausdruck einer Gesellschaft, die zunehmend das Individuum im Blick Suchen Sie noch mehr zum Thema? hat, verstanden werden kann. Dabei gilt Mit e.Med – den maßgeschneiderten Fort- aber nach wie vor der Grundsatz aus bildungsabos von Springer Medizin – ha- der ärztlichen (Muster-)Berufsordnung: ben Sie Zugriff auf alle Inhalte von Sprin- „Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist gerMedizin.de. Sie können schnell und es, das Leben zu erhalten, die Gesund- komfortabel in den für Sie relevanten Zeit- heit zu schützen und wiederherzustellen, schriften recherchieren und auf alle Inhalte Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand im Volltext zugreifen. zu leisten und an der Erhaltung der na- türlichen Lebensgrundlagen im Hinblick Weitere Infos zu e.Med finden Sie auf auf ihre Bedeutung für die Gesundheit springermedizin.de unter „Abos“ der Menschen mitzuwirken“ [2]. 154 FORUM 2 · 2021
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