Für eine Mindestbeitragspflicht aller Personen im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung - Ein Wegweiser durch einen Reformpfad

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Für eine Mindestbeitragspflicht aller Personen im
Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung –
Ein Wegweiser durch einen Reformpfad
Gabriele Rolf

1    Reformbedarf der Alterssicherung

Die Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung zielen vor allem auf abhängig
Beschäftigte (und deren Hinterbliebene) und beruhen auf der Vorstellung, daß die
zu sichernden Personen eine kontinuierliche Vollzeit-Erwerbstätigkeit ausüben
und/oder in einer lebenslangen Versorgerehe leben. Die Ausrichtung an diesen
Erwerbs- und Familienbiographien steht im Widerspruch zu den Entwicklungen
am Arbeitsmarkt und der Pluralisierung der Lebensstile.
− Die ungünstige Arbeitsmarktlage wirkt sich in der gesetzlichen Rentenversiche-
  rung negativ auf den Erwerb von Rentenanwartschaften aus. Da Zeiten der
  Arbeitslosigkeit bei der Rentenberechnung schlechter bewertet werden als
  Zeiten der Erwerbstätigkeit, stellen Langzeit- und Mehrfacharbeitslosigkeit Ri-
  sikofaktoren im Hinblick auf die Alterssicherung dar.1 Dem Aufbau einer aus-
  reichenden Alterssicherung stehen auch eine (schein-)selbständige Tätigkeit,
  eine geringfügige Beschäftigung, Schwarzarbeit oder der Rückzug in die „Stille
  Reserve“ entgegen, da in diesen Fällen keine Versicherungspflicht besteht. In
  Zeiten des alleinigen Sozialhilfebezugs werden ebenfalls keine Anwartschaften
  auf Altersversorgung erworben. Für die Zukunft wird selbst bei einer Verbes-
  serung der Arbeitsmarktlage mit häufigeren Phasen der Nicht-Erwerbstätigkeit
  und der Teilzeittätigkeit gerechnet. Nach geltendem Recht bedeuten diskonti-
  nuierliche Erwerbsbiographien und geringe Erwerbseinkommen aber niedrige
  Renten im Alter.

1 Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen keine Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit
  bezogen werden, wirken sich seit neuestem sogar überhaupt nicht mehr rentensteigernd
  aus.

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− Neben dem ökonomischen Wandel schafft auch der gesellschaftliche Wandel
  Reformbedarf. So sind neben die Ehe andere Formen des Zusammenlebens
  getreten, und das Alleinleben hat zugenommen. Ein besonderes Problem stel-
  len die gestiegenen Scheidungshäufigkeiten dar, da familienstandsabhängige Si-
  cherungsversprechen, wie die Hinterbliebenenversorgung für den überlebenden
  Ehepartner, im Falle einer Scheidung nicht eingelöst werden. Dies ist insbe-
  sondere für Frauen fatal, die ihre Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung ein-
  geschränkt oder unterbrochen haben. Durch eine Erwerbsreduktion oder Er-
  werbsunterbrechung verringern sich nämlich die künftigen Einkommenserzie-
  lungsmöglichkeiten. Da jeder Partner nach einer Scheidung - zumindest auf
  längere Sicht - auf seine eigene Einkommenskapazität verwiesen wird und die
  Rentenberechnung am Lebenserwerbseinkommen anknüpft, sind Personen mit
  kindbedingten Erwerbsunterbrechungen oder -einschränkungen beim weiteren
  Erwerb von Rentenanwartschaften benachteiligt. Die Anrechnung von Kinder-
  erziehungszeiten bei der Rente kann diese Verluste nicht kompensieren. Auch
  der Versorgungsausgleich bei Scheidung hilft in diesem Zusammenhang nicht
  weiter, da er sich nur auf die während der Ehe gemeinsam erworbenen An-
  wartschaften auf Altersversorgung erstreckt.
Angesichts der wachsenden Zahl durchbrochener Erwerbsbiographien und der
Pluralisierung der Lebensstile birgt die Ausrichtung am Normalarbeitsverhältnis
und an der lebenslangen Ehe die Gefahr in sich, daß die gesetzliche Rentenversi-
cherung ihrer Sicherungsaufgabe in der Zukunft nicht mehr effektiv gerecht wird.
    Der Aufbau einer ausreichenden eigenständigen Alterssicherung ist durch die
Sparpolitik der letzten Jahre noch erschwert worden. Die Sparmaßnahmen im
Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zielen auf eine Stärkung des Versi-
cherungsprinzips und der Lohn- und Beitragsbezogenheit der Renten. Maßnah-
men des sozialen Ausgleichs abzubauen; das bedeutet aber nichts anderes, als die
Anforderungen des Alterssicherungssystems bezüglich Erwerbsdauer und Er-
werbsumfang zu erhöhen. Dazu kommt noch die geplante Absenkung des Netto-
Standardrentenniveaus von jetzt 70 auf 64 Prozent. Die Rente dürfte daher künf-
tig bei diskontinuierlichen Erwerbsbiographien immer häufiger in die Nähe des
Sozialhilfeniveaus geraten oder sogar darunter absinken.
    Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach möglichen Handlungsper-
spektiven. Eine Grundrente ist offenkundig keine Lösung, denn eine Grundrente
schwächt den Leistungsgedanken und garantiert nur eine Absicherung in Höhe
des Sozialhilfeniveaus. Mit dem maßgeblich von Hans-Jürgen Krupp entwickel-

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ten „Voll Eigenständigen System der Altersvorsorge“ 2, 3 liegt ein Reformvorschlag
vor, der dem oben skizzierten Anpassungsbedarf bei der Alterssicherung gerecht
wird.
   Dieser Aufsatz stellt den „Entwicklungsstand“ des Voll Eigenständigen Sys-
tems vor, wie er sich nach 15 Jahren Diskussion dieses Reformvorschlags erge-
ben hat. Dabei wird auf einige häufig geäußerte Kritikpunkte eingegangen. Au-
ßerdem wird hier erstmals ein Szenario für den Übergang vom bestehenden Ren-
tenversicherungssystem zum Voll Eigenständigen System zur Diskussion gestellt.
Dabei werden auch Anknüpfungspunkte zum seit Mitte der 90er Jahre viel zitier-
ten schweizerischen Alterssicherungssystem aufgezeigt.

2 Ziele und Ausgestaltung des Voll Eigenständigen Systems der
  Altersvorsorge

Das Voll Eigenständige System der Altersvorsorge zeichnet sich durch einen Mix
an Zielen aus: Auf der Leistungsseite des Systems kommen die Ziele „Armuts-
vermeidung“ und „Lebensstandardsicherung“ zum Tragen, auf der Auf-
bringungsseite die Ziele „Leistungsgerechtigkeit“4 und „Bedarfsgerechtigkeit“.
   Das Voll Eigenständige System garantiert allen Personen, die ihren Wohnsitz
dauerhaft im Geltungsbereich des Systems haben, ein armutsvermeidendes eige-
nes Einkommen im Alter, ohne auf innerfamiliale Transfers angewiesen zu sein o-
der auf Sozialhilfe zurückgreifen zu müssen. Darüber hinaus ermöglicht das Voll
Eigenständige System Personen im mittleren Einkommensbereich die Aufrechter-
haltung des bisherigen Lebensstandards im Alter auf reduziertem Niveau.
   Der Gedanke der Leistungsgerechtigkeit zeigt sich im Voll Eigenständigen Sys-
tem in einer Entsprechung der Abgaben zum Zwecke der Alterssicherung und der

2 Vgl. vor allem Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft (1976); Krupp et al. (1981);
  Krupp/Wagner (1982); Krupp (1987).
3 Der Begriff ”voll eigenständig” wurde gewählt, um das Konzept von anderen Vorschlä-
  gen abzugrenzen, welche die Idee der eigenständigen Sicherung von Frauen nur teilwei-
  se aufgegriffen haben, wie die Anfang der 80er Jahre von vielen propagierte Teilhabe-
  rente (vgl. Rolf/Wagner 1994a, S. 336f.).
4 Der Begriff Leistungsgerechtigkeit wird in diesem Aufsatz in einem eingeschränkten
  Sinne verstanden: Er kennzeichnet lediglich das finanzwissenschaftliche Abgabeprinzip.

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späteren Altersrente. Können Personen nicht aus eigener Kraft für das Alter vor-
sorgen, greift das Solidarprinzip.
    Aus diesem Zielbündel ergeben sich andere Entscheidungen im Hinblick auf
die abgedeckten Risiken, den geschützten Personenkreis, die Leistungsbemessung
und die Finanzierung als nach geltendem Recht. Das heißt freilich nicht, daß das
bestehende Rentenversicherungssystem zur Disposition gestellt wird. Im Unter-
schied zum Vorschlag einer steuerfinanzierten Grundrente stellt das Voll Eigen-
ständige System der Altersvorsorge eine zielgerichtete Weiterentwicklung des
bestehenden Rentenversicherungssystems dar.
    Das Voll Eigenständige System baut auf dem bestehenden Rentenversiche-
rungssystem auf und ergänzt dieses um eine Mindestbeitragspflicht für alle Perso-
nen im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung sowie um ein Splitting der
während einer Ehe oder Partnerschaft gemeinsam erworbenen Rentenanwart-
schaften. Damit ist das Voll Eigenständige System zwar noch einkommensbezo-
gen, aber die Versicherungspflicht knüpft nicht mehr an ein Arbeitsverhältnis an.
Und durch eine Mindestbeitragspflicht wird ein Rentenanspruch begründet, der
über dem Sozialhilfeniveau liegt. Da im Voll Eigenständigen System jede Person
zumindest eine Rente in Höhe des Mindestrentenniveaus erhält, kann die Hinter-
bliebenenversorgung für erwachsene Personen im Grundsatz entfallen.

3     Ausgewählte Probleme

Im folgenden werden die zentralen Unterschiede des Voll Eigenständigen Systems
auf der Aufbringungs- und auf der Leistungsseite gegenüber dem bestehenden
Rentenversicherungssystem diskutiert.

3.1 Mindestbeitragspflicht für alle Personen und Kapitaldeckung

Im Voll Eigenständigen System muß jede Person einen Mindestbeitrag zahlen, der
einen Mindestrentenanspruch für das Alter begründet, der über dem So-
zialhilfeniveau liegt. Im Unterschied zum geltendem Recht erstreckt sich die Bei-
tragspflicht im Voll Eigenständigen System auf das gesamte Einkommen und nicht
nur auf das Erwerbseinkommen. Bei einem Einkommen oberhalb der Mindestbei-

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tragsbemessungsgrundlage hängt die Beitragshöhe wie bisher vom Einkommen
ab.
    Die Mindestbeitragspflicht wird durch „Beitragsgaranten“ und eine gezielte
Beitragsentlastung sozial abgefedert. Bei Kindererziehung, Pflege, Arbeitslosigkeit
und anderen Formen der Erwerbsverhinderung übernimmt der Staat oder der für
den jeweiligen sozialen Schutztatbestand zuständige Sozialleistungsträger den Bei-
trag an die Rentenversicherung. Entscheidet sich ein Paar für die Nichterwerbstä-
tigkeit eines der beiden Partner, ohne daß eine Erwerbsverhinderung vorliegt,
muß der erwerbstätige Partner den Rentenversicherungsbeitrag für den nichter-
werbstätigen Partner zahlen, in sozial begründeten Fällen, zum Beispiel bei nie-
drigem Einkommen oder großer Kinderzahl, erfolgt eine gezielte Beitragsentlas-
tung, die aus allgemeinen Steuermitteln finanziert wird. Änderungen gibt es auch
bei der Beitragsbemessungsgrenze und beim Arbeitgeberbeitrag. Da die Rente im
Voll Eigenständigen System nicht mehr für die Versorgung von zwei Personen
ausreichen muß, können die Beitrags- und Leistungsbemessungsgrenze gesenkt
werden. Hierdurch wird individuell - für diejenigen, die ausreichend gut disponie-
ren können - und gesamtwirtschaftlich mehr Raum für private, kapitalgedeckte
Vorsorge geschaffen (vgl. auch Krupp 1985, S. 71).
    Bezüglich des Arbeitgeberbeitrags sind verschiedene Regelungen denkbar. Die
systematisch beste Option besteht darin, den Arbeitgeberbeitrag zugunsten eines
entsprechend höheren Lohnes abzuschaffen (vgl. Rolf/Wagner 1996). Die ab-
hängig Beschäftigten müßten dann den vollen Rentenversicherungsbeitrag aus ih-
rem höheren Einkommen zahlen. Der Vorschlag, den Arbeitgeberbeitrag in den
Lohn einfließen zu lassen, beruht auf der Überlegung, daß die Arbeitgeberbeiträge
ohnehin bei den Lohnverhandlungen berücksichtigt und auf die Löhne zurückge-
wälzt werden. Eine paritätische Selbstverwaltung ist auch ohne Zahlung von Ar-
beitgeberbeiträgen denkbar.
    Aus den genannten Veränderungen auf der Aufbringungsseite des Systems er-
geben sich positive Verteilungs- und Anreizwirkungen. Die Mindestbeitragspflicht
garantiert allen Frauen und Männern ein armutsvermeidendes eigenes Einkommen
im Alter, unabhängig von ihrem Erwerbsstatus, ihrem Erwerbseinkommen, ihrem
Familienstand und ihrer Kinderzahl. Damit trägt das Voll Eigenständige System
dem ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel Rechnung.
    Außerdem werden im Voll Eigenständigen System das Äquivalenzprinzip und
das Solidarprinzip gestärkt. Dieser vermeintliche Widerspruch erklärt sich aus der
konsequenten Beitragsfinanzierung, dem Einbezug der gesamten Bevölkerung und

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des Gesamteinkommens in die Beitragspflicht und der gezielten Beitragsentlas-
tung.
    Durch die Verlagerung des sozialen Ausgleichs von der Leistungsseite auf die
Beitragsseite des Systems erhöht sich die Sicherheit im Hinblick auf die später zu
erwartende relative Rentenhöhe. An die Stelle der Anrechnung nicht (voll) bei-
tragsfinanzierter Zeiten bei der Rente treten das Institut der Beitragsgaranten und
die in sozial begründeten Fällen vorgesehene Beitragsentlastung. Strukturelle Leis-
tungskürzungen, wie sie in den letzten Jahren in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung unter dem Hinweis auf das Versicherungsprinzip vorgenommen wurden, sind
im Voll Eigenständigen System aufgrund der konsequenten Beitragsfinanzierung
nicht möglich.
    Zusammenfassend gilt: Die Senkung der Beitragsbemessungsgrenze mindert
auf längere Sicht die Kosten der staatlichen Alterssicherung und ermöglicht mehr
Kapitaldeckung durch private Vorsorge. Die Umwandlung des Ar-
beitgeberbeitrags in einen Lohnbestandteil erleichtert die Lohnverhandlungen und
macht den Versicherten die Kosten der Alterssicherung deutlicher als heute. Posi-
tiv zu bewerten ist ferner die risikogerechte Zuordnung der Kosten der sozialen
Sicherung, die durch das Konstrukt der Beitragsgaranten bewirkt wird.
    Eine Mindestbeitragspflicht für alle Personen beseitigt nicht zuletzt auch die al-
lokativen Verzerrungen am Arbeitsmarkt, die durch die selektive Versi-
cherungspflicht im geltenden Recht ausgelöst werden. Wenn jede Person einen
Mindestbeitrag zahlen muß, gibt es keinen Anreiz mehr, geringfügige Be-
schäftigungsverhältnisse anzubieten oder nachzufragen, eine scheinselbständige
Tätigkeit auszuüben, in die Schattenwirtschaft abzutauchen oder nicht erwerbstä-
tig zu sein. Eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen verringert nicht nur die
Einkommensrisiken einer Scheidung, sie erleichtert auch die Finanzierung des Al-
terssicherungssystems.
    Gegen eine Mindestbeitragspflicht für alle Personen werden vor allem drei Ar-
gumente angeführt: eine überproportionale Belastung von Familien mit nur einem
Verdiener, der „Druck“ auf die Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen sowie die
ungünstige Arbeitsmarktlage.
− Der Hinweis auf die überproportionale Beitragsbelastung übersieht das im Voll
  Eigenständigen System vorgesehene Instrument der gezielten Bei-
  tragsentlastung. Seine Aufgabe besteht ja gerade darin, in sozial begründeten
  Fällen eine überproportionale Belastung zu vermeiden.

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− Die Formulierung „Druck“ auf die Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen beruht
  auf einem bestimmten Rollenbild und suggeriert, daß Frauen gegen ihren Willen
  in die Erwerbstätigkeit gedrängt würden. Dieses Rollenbild entspricht freilich
  immer weniger der gesellschaftlichen Realität. Junge Frauen wollen erwerbstä-
  tig sein und Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung miteinander vereinbaren. Ein
  Indiz für die Erwerbsorientierung junger Frauen ist nicht zuletzt ihre gute Aus-
  bildung. Da die Mindestbeitragspflicht für alle Personen erst für junge, neu ins
  Erwerbsleben tretende Personen eingeführt werden soll (vgl. Abschnitt 4),
  steht sie nicht im Widerspruch zu der Lebensplanung der betroffenen Perso-
  nen. Damit Frauen und Männer Kind und Beruf miteinander vereinbaren kön-
  nen, sind verbesserte Betreuungsmöglichkeiten für Kinder im Vorschul- und
  Grundschulalter sowie flexible, familienfreundliche Arbeitszeiten erforderlich
  (vgl. Rolf/Wagner 1994b; Mascher/Wagner 1997; Spieß/Wagner 1997).
− Auch die schlechte Arbeitsmarktlage stellt keinen Hinderungsgrund für die Ein-
  führung einer Mindestbeitragspflicht für alle Personen dar, in der Ein-
  führungsphase des Voll Eigenständigen Systems werden die Rentenausgaben
  noch ganz vom alten Recht bestimmt, so daß sich gesamtfiskalisch keine Ver-
  änderungen ergeben. Den Mehrausgaben der Bundesanstalt für Arbeit durch
  die Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für Nicht-Leistungsbezieher
  stehen entsprechende Mehreinnahmen der Rentenversicherung gegenüber. Das
  Argument, daß Arbeitsplätze für mehr Frauenerwerbstätigkeit fehlen, schreibt
  die heutige Arbeitsmarktsituation in die Zukunft fort und ist daher statisch. Auf
  mittlere Sicht wird sich das Arbeitsangebot infolge der Verschiebungen im Al-
  tersaufbau der Bevölkerung ohnehin verknappen, vorausgesetzt das Arbeits-
  volumen geht nicht weiter zurück. Und ohne eine erfolgreiche Beschäftigungs-
  politik steht jedes Alterssicherungssystem vor Finanzierungsproblemen.
Das Beispiel der Schweiz zeigt, daß eine Mindestbeitragspflicht für alle Personen
machbar ist. Im schweizerischen Basisalterssicherungssystem, der Alters- und
Hinterlassenenversicherung,5 müssen alle Personen im erwerbsfähigen Alter, also
auch Nichterwerbstätige, einen Mindestbeitrag zahlen. Das Problem einer über-
proportionalen Belastung wird dadurch vermieden, daß der für die Mindestrente
erforderliche Mindestbeitrag sehr niedrig angesetzt ist. Bei nichterwerbstätigen
Ehepartnern gilt der Mindestbeitrag als gezahlt, wenn der erwerbstätige Partner
mindestens den doppelten Mindestbeitrag entrichtet hat. Die Maximalrente ist nur

5 Ein knapper Überblick über die Alters- und Hinterlassenenversicherung findet sich bei
  Berger (1996) und Brechbühl (1997).

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zweimal so hoch wie die Mindestrente, obwohl es keine obere Beitragsbemes-
sungsgrenze gibt. Damit wird dem Solidarprinzip ein größeres Gewicht eingeräumt
als im deutschen Rentenversicherungssystem und im Voll Eigenständigen System
der Altersvorsorge.

3.2 Splitting bei bestehender Ehe

Die Berechnung der Altersrente erfolgt im Voll Eigenständigen System im Grund-
satz wie im geltenden Recht. Freilich werden im Voll Eigenständigen System die
während einer Ehe oder Partnerschaft gemeinsam erworbenen Anwartschaften
auf Altersversorgung hälftig auf beide Partner verteilt (Splitting). Anders als das
geltende Recht, das ein Splitting nur im Scheidungsfalle kennt (Versorgungsaus-
gleich), sieht das Voll Eigenständige System ein Splitting auch bei bestehender
Ehe vor. Außerdem soll das Splitting nicht auf Ehepaare beschränkt bleiben, son-
dern - auf Antrag - auch unverheiratet zusammenlebenden Paaren offenstehen.
   Der entscheidende Vorteil des Splitting liegt in seinen Verteilungswirkungen: Es
verhindert, daß sich die Arbeitsteilung zwischen den Partnern in ungleichen Ren-
tenhöhen niederschlägt, und führt so im Innenverhältnis der Partner zu einer ge-
rechten Verteilung der gemeinsam erworbenen Anwartschaften auf Altersversor-
gung. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der statistischen
Lohndiskriminierung wirkt sich ein Splitting in der Regel zugunsten von Frauen
und zu Lasten von Männern aus.
   Trotz (oder wegen?) dieser Verteilungswirkungen gibt es erhebliche Vorbehal-
te gegen das Splitting. Während Männer eine Kürzung ihrer Rente befürchten,
sieht ein Teil der Frauen im Splitting ein Instrument, das die geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung und die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern verfestigt.
So wird von Frauenseite eingewandt, daß es sich beim Splitting um eine familien-
stands- oder lebensformabhängige Regelung handelt, bei der sich die Alterssiche-
rung der Frauen wie bisher aus der Alterssicherung der Männer ableite. Eine
wirklich eigenständige Alterssicherung von Frauen werde auf diesem Wege nicht
erreicht. Der ungleichen Rentenhöhe von Frauen und Männern werde nur auf pri-
vater, nicht auf gesellschaftlicher Ebene entgegengewirkt.6 An der frauenpoliti-
schen Argumentation ist vieles richtig. Dennoch sollte man das durch das Splitting
herbeigeführte Mehr an Gleichheit auf der Paarebene nicht unterbewerten, zumal

6 Vgl. zu dieser Position zum Beispiel Hieden-Sommer (1997).

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von einem Splitting auch Anreize zu einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung aus-
gehen können. Dieser Einwand gegen das Splitting zeigt jedoch, wie wichtig es ist,
das Splitting mit einer Mindestbeitragspflicht für alle Personen zu verknüpfen, wie
dies im Voll Eigenständigen System der Altersvorsorge vorgesehen ist.
    Auf einer ganz anderen Ebene liegt das Argument, das Splitting führe bei nicht-
gleichzeitigem Rentenzugang zur Unter- oder Überversorgung, je nachdem, ob
der besserverdienende oder der schlechterverdienende Partner zuerst Rente be-
zieht. Dieser Einwand übersieht die Wirkung der Mindestbeitragspflicht im Voll
Eigenständigen System. Sie verhindert, daß die Rentenhöhe durch das Splitting
unter das sozio-kulturelle Existenzminimum sinkt. Freilich kann es im Hinblick auf
das Ziel der Aufrechterhaltung des gewohnten Lebensstandards zu „zu niedrigen“
oder „zu hohen“ Einkommensersatzraten kommen, solange nur einer der Partner
Rente bezieht. Dieses Problem läßt sich jedoch umgehen, wenn man auf ein Bei-
tragssplitting oder ein Splitting beim ersten Rentenfall verzichtet und das Splitting
erst durchführt, wenn der zweite Partner die Altersgrenze erreicht hat. Für die
pragmatische Lösung eines Splitting beim zweiten Rentenfall hat sich im übrigen
auch die Schweiz entschieden (vgl. Christoffel 1996; Brechbühl 1997).
    Von der schweizerischen Regelung kann man vielleicht auch noch in anderer
Hinsicht lernen, in der Schweiz erstreckt sich das Splitting nämlich nur auf das Ba-
sisalterssicherungssystem.7 Entschiede man sich im Voll Eigenständigen System für
eine analoge Regelung, bliebe das Splitting auf die gesetzliche Rentenversicherung
beschränkt. Es käme kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand auf Arbeitgeber und
private Vorsorgeeinrichtungen zu, inhaltlich ließe sich ein solches Vorgehen damit
begründen, daß die gerechte Verteilung der von einem Paar gemeinsam erworbe-
nen Anwartschaften auf Altersversorgung auf beide Partner Aufgabe des Staates,
nicht aber der Träger der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge sei.

3.3 Rentenberechnung im Hinterbliebenenfall

Die Entscheidung für das Splitting bedeutet keine Entscheidung über die Renten-
höhe im Hinterbliebenenfall, auch wenn dieser Eindruck in der Diskussion über
das Voll Eigenständige System manchmal erweckt wird. Daß sich die Rente des
Überlebenden genauso bemißt wie zu Lebzeiten beider Partner, ist nur eine von

7 Im Rahmen der Revision des Scheidungsrechts ist beabsichtigt, die während der Ehe bei
  den Einrichtungen der beruflichen Vorsorge erworbenen Vorsorgeansprüche im Schei-
  dungsfall zu splitten (vgl. Christoffel 1996, S. 241).

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mehreren Möglichkeiten. Die Rente kann ebenso gut um einen Einzelpersonenzu-
schlag erhöht oder ganz neu berechnet werden.
   Eine endgültige Festlegung, wie die Rente des überlebenden Partners im Voll
Eigenständigen System berechnet werden soll, gibt es bislang nicht, weil die opti-
male Formel davon abhängt, ob man die Einsparungen durch das gemeinsame
Wirtschaften (economies of scale) bei der Leistungsbemessung berücksichtigt o-
der nicht und wie man die Verantwortung für die Altersvorsorge auf den Staat
und den einzelnen Bürger aufteilen will.
− Soll die Leistungsbemessung im Voll Eigenständigen System unabhängig von
  der Haushalts- und Familiengröße erfolgen, muß der aktuelle Rentenwert bzw.
  das allgemeine Rentenniveau so festgelegt werden, daß die Rente bei kontinu-
  ierlicher Versicherung auf Basis der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage zu-
  sammenlebenden wie alleinlebenden Personen eine Existenzsicherung ermög-
  licht. Bei einer familienstands- und lebensformunabhängigen Leistungsbemes-
  sung kommen die Einsparungen durch das gemeinsame Wirtschaften der je-
  weiligen Bedarfsgemeinschaft zugute. Diesem ökonomischen Vorteil steht die
  Verletzung des Ziels der Einkommens- oder Wohlstandsstetigkeit im Hinter-
  bliebenenfall gegenüber. Da jedoch gewährleistet ist, daß die Rente des Über-
  lebenden über der Armutsgrenze liegt, kann man sich auf den Standpunkt stel-
  len, die darüber hinausgehende Altersvorsorge dem einzelnen zu überlassen
  und Paare auf die Möglichkeit einer freiwilligen Hinterbliebenenzusatzversiche-
  rung zu verweisen.
− Entscheidet man sich dafür, die Größe der Bedarfsgemeinschaft bei der Leis-
  tungsbemessung zu berücksichtigen, kann der aktuelle Rentenwert niedriger
  ausfallen als eben geschildert. Es muß dann freilich einen Einzelpersonenzu-
  schlag geben, was unter anderem bedeutet, daß die Splittingrente im Hinter-
  bliebenenfall angehoben oder neu berechnet wird. Bei dieser Art der Leis-
  tungsbemessung werden die Einsparungen durch das gemeinsame Wirtschaften
  vom Alterssicherungssystem „abgeschöpft“, so daß die staatliche Alterssiche-
  rung billiger wird. Ein weiterer Vorteil ist, daß bei einer Veränderung der
  Haushalts- bzw. Familiengröße dem Ziel der Einkommens- oder Wohlstands-
  stetigkeit Rechnung getragen wird. Allerdings können von einer solchen Rege-
  lung Anreize zum Getrenntleben ausgehen. Dennoch wird diese Regelung in

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der Praxis präferiert, wie ein Blick auf die Mitgliedstaaten der Europäischen
  Union zeigt, die sich für ein staatliches Grundrentensystem entschieden haben.8
− Es sind aber auch noch andere Regelungen möglich. Zum Beispiel kann die
  Rente des überlebenden Partners als ehezeit- oder partnerschaftszeitabhängige
  Teilhaberente berechnet werden. Die Rente beläuft sich dann auf einen Pro-
  zentsatz der gemeinsam in der Ehe oder Partnerschaft erworbenen Rentenan-
  wartschaften, wobei der Teilhabesatz im Unterschied zum Splitting über 50
  Prozent liegt. Dazu kommen noch 100 Prozent der eigenen außerhalb der Ehe
  oder Partnerschaft erworbenen Rentenanwartschaften.9 Ein Nachteil dieser
  Regelung ist, daß nicht alle Alleinlebenden einen Einzelpersonenzuschlag erhal-
  ten, sondern nur Hinterbliebene. Deshalb können die Einsparungen durch das
  gemeinsame Wirtschaften nicht durch einen niedrigeren aktuellen Rentenwert
  berücksichtigt werden. Die Kosten der staatlichen Alterssicherung fallen daher
  höher aus als bei den ersten beiden Regelungen.
− Einsparungen ließen sich durch einen einkommensabhängigen Teilhabesatz er-
  reichen, wie er kürzlich von der Alterssicherungskommission der SPD (1997,
  S. 14) vorgeschlagen worden ist. Ein mit steigendem Renteneinkommen sin-
  kender Teilhabesatz impliziert, daß sich das Ziel der staatlich garantierten Auf-
  rechterhaltung des gewohnten Lebensstandards auf den unteren und mittleren
  Einkommensbereich konzentriert. Im höheren Einkommensbereich ist private
  Vorsorge verantwortbar. Der Teilhabesatz könnte - entgegen dem Vorschlag
  der SPD - bei höheren Renteneinkommen sogar bis auf einen Wert von 50
  Prozent absinken. Es würde dann also nur die Splittingrente gezahlt.
In der schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung, die in vielen
Punkten Ähnlichkeiten zum Voll Eigenständigen System aufweist, wird im Hin-
terbliebenenfall ein Verwitwetenzuschlag von 20 Prozent gezahlt, der nach oben
durch die Maximalrente begrenzt ist (vgl. Brechbühl 1997). Die Zuschlagslösung
entspricht dem Gedanken der Lebensstandardsicherung und vermeidet eine auf-
wendige Neuberechnung der Rente.

8 Ein synoptischer Überblick über die Ausgestaltung der Kernsysteme der
  Alterssicherung in der Europäischen Union findet sich in: Europäische Kommission
  (1996, S. 230ff.).
9 Das Teilhabeprinzip und seine Ausgestaltungsmöglichkeiten werden ausführlich disku-
  tiert in: Sachverständigenkommission für die soziale Sicherung der Frau und der Hinter-
  bliebenen (1979, S. 51ff.).

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4 Zum Übergang vom geltenden Recht zum Voll Eigenständigen
  System der Altersvorsorge

Selbstverständlich kann das Voll Eigenständige System der Altersvorsorge nicht
mehr auf Personen angewendet werden, die ihre Lebensplanung auf das beste-
hende Rentenversicherungsrecht abgestellt haben. Dem geltenden Recht liegen
ganz andere Normen im Hinblick auf die Erwerbs- und Familienbiographien
zugrunde als dem Voll Eigenständigen System. Da Erwerbs- und Familienbil-
dungsentscheidungen bereits in jungen Jahren getroffen werden und erhebliche
Konsequenzen für die künftigen Einkommenserzielungschancen haben, kann das
Voll Eigenständige System nur für junge Personen eingeführt werden. Hierfür
spricht auch, daß nur die junge Generation eine ausreichende eigenständige Al-
terssicherung über Mindestbeiträge aufbauen kann, da sie die hierfür erforderli-
chen Versicherungsjahre noch vor sich hat.
    Das heißt freilich nicht, daß es in der Einführungsphase des Voll Eigenständi-
gen Systems für die mittlere Generation beim heutigen Rentenversicherungsrecht
bleiben sollte, insbesondere für die Jüngeren unter ihnen läßt sich die eigenständi-
ge Alterssicherung noch über Maßnahmen auf der Aufbringungsseite des Alterssi-
cherungssystems verbessern. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die Ausweitung der
Rentenversicherungspflicht auf alle Erwerbstätigen, das heißt die Einbeziehung ge-
ringfügig Beschäftigter, Scheinselbständiger, bisher nicht erfaßter Selbständiger
sowie Beamter in die gesetzliche Rentenversicherung.10
    Ein weiterer Ansatzpunkt besteht darin, Zeiten einer sozial schutzwürdigen Er-
werbsverhinderung verstärkt beitragspflichtig zu machen und den Staat bzw. den
für den jeweiligen sozialen Schutztatbestand zuständigen Sozialleistungsträger ak-
tuell zur Beitragszahlung an die gesetzliche Rentenversicherung heranzuziehen11. Zu
denken ist hier an Zeiten der Ausbildung, der Kindererziehung12, der Arbeitslosig-

10 Dies wird auch von der Alterssicherungskommission der SPD (1997, S. 9ff.) und Bündnis
   90/Die Grünen (1997, S. 5f.) vorgeschlagen bzw. erwogen. Die von der Bundesregierung
   eingesetzte Kommission „Fortentwicklung der Rentenversicherung“ (1997, S. 16ff.) hat
   sich dagegen nur dafür ausgesprochen, geringfügige Nebenbeschäftigungen und
   Scheinselbständige in die Rentenversicherungspflicht einzubeziehen.
11 Bündnis 90/Die Grünen (1997, S. 3f.) schlagen die Einrichtung eines steuerfinanzierten
   Generationenfonds zur Finanzierung solcher neuen Beitragszeiten vor.
12 Die Sachverständigenkommission „Fortentwicklung der Rentenversicherung“ (1997,
   S. 27ff.) hat sich im Zusammenhang mit den Kindererziehungszeiten für aktuelle Bei-
   tragszahlungen einer (einzurichtenden) Familienkasse an die gesetzliche Rentenversiche-

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keit, der Krankheit 13 usw. Beide Schritte gehen in dieselbe Richtung wie das Voll
Eigenständige System der Altersvorsorge, verzichten jedoch auf eine Versiche-
rungspflicht nichterwerbstätiger Personen ohne Erwerbsverhinderung sowie auf
einen Mindestbeitrag.
   Auch das Splitting läßt sich problemlos auf den jüngeren Teil der mittleren Ge-
neration anwenden. Schließlich verändert ein Splitting im zweiten Rentenfall nicht
die Höhe des Gesamtrenteneinkommens eines Paares, sondern nur die Aufteilung
auf die beiden Partner.14 Bei einer Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung für
verwitwete Ehepartner, die - mit unterschiedlichen Argumenten - auf breiter Ebe-
ne angedacht ist, ist vor allem darauf zu achten, daß einem Abbau der abgeleite-
ten Sicherung ein entsprechender Ausbau der eigenständigen Sicherung bei Per-
sonen mit unzureichenden eigenen Rentenansprüchen gegenübersteht.
   Will man die Alterssicherung älterer Personen verbessern, ist man in einem
beitragsfinanzierten System vor allem auf Maßnahmen auf der Leistungsseite des
Systems angewiesen, welche den Gedanken der Zeit- und Einkommensproporti-
onalität bei der Rentenberechnung abschwächen. Mögliche Ansatzpunkte sind ei-
ne stärkere Anrechnung nicht (voll) beitragsgedeckter Zeiten bei der Rentenbe-
rechnung und die Gewährleistung einer bedarfsorientierten Mindestrente im Rah-
men der gesetzlichen Rentenversicherung15.

   rung ausgesprochen. Die Alterssicherungskommission der SPD (1997, S. 15) empfiehlt
   ebenfalls für Kindererziehungszeiten eine laufende Beitragszahlung des Bundes an die
   Rentenversicherung.
13 Die Beitragsentrichtung der Bundesanstalt für Arbeit und der Krankenkassen erstreckt
   sich zur Zeit nur auf ihre Leistungsbezieher. Für arbeitslose und kranke Menschen ohne
   Leistungsbezug haben sich die Möglichkeiten zum Aufbau einer ausreichenden eigen-
   ständigen Alterssicherung durch das 1996 verabschiedete Wachstums - und Beschäfti-
   gungsförderungsgesetz entscheidend verschlechtert, da Zeiten der Arbeitslosigkeit und
   der Krankheit ohne Leistungsbezug nicht mehr als Anrechnungszeiten gelten. Dies kann
   sich insbesondere für verheiratete Frauen negativ auswirken.
14 Deshalb sollte das Splitting bei Ehepaaren auch standardmäßig durchgeführt werden
   und nicht nur auf Antrag, wie von der Alterssicherungskommission der SPD (1997, S. 14)
   vorgeschlagen.
15 Viele Vorschläge der aktuellen Reformdebatte setzten auf der Leistungsseite an. So
   fordert zum Beispiel die Alterssicherungskommission der SPD (1997, S. 13ff.), die Ver-
   schlechterungen bei der Anrechnung schulischer und beruflicher Ausbildungszeiten
   durch das Wachstums - und Beschäftigungsförderungsgesetz rückgängig zu machen,
   Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Krankheit ohne Leistungsbezug wieder als Anrech-
   nungszeiten zu berücksichtigen, kindbedingte Teilzeitarbeit durch eine gezielte Verbes-
   serung der Rente nach Mindesteinkommen aufzuwerten, die Rente nach Mindesteinkom-

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5     Fazit

Für den Vorschlag der voll eigenständigen Sicherung sprechen sowohl frauenpoli-
tische als auch sozialpolitische wie ökonomische Überlegungen. Zu den frauen-
politischen Gesichtspunkten zählen
− die Gewährleistung eines eigenen, armutsvermeidenden Einkommens im Alter,
− die größere Unabhängigkeit des Alterseinkommens vom individuellen Lebens-
  entwurf,
− die gezielte Begünstigung der Tatbestände „Kindererziehung“ und „unentgeltli-
  che Pflege“ statt einer pauschalen Subventionierung des Tatbestandes „Ehe“
  sowie
− die Förderung der Frauenerwerbstätigkeit.
Sozialpolitische und ökonomische Argumente sind
− die gleichzeitige Verfolgung der Ziele Lebensstandardsicherung und Armuts-
  vermeidung im Alter,
− die Stärkung der Leistungsgerechtigkeit durch das Alterssicherungssystem
  (Stichwort: Versicherungsprinzip),
− die risikogerechte Zuordnung der Kosten der sozialen Sicherung,
− die mit der Verlagerung des Solidarausgleichs von der Leistungs- auf die Bei-
  tragsseite des Alterssicherungssystems steigende Sicherheit bezüglich der spä-
  ter zu erwartenden relativen Rentenhöhe,
− die Verbreiterung der Finanzierungsbasis,
− die mit der Versicherungspflicht von Personen anstelle von Arbeitsverhältnis-
  sen verbundene Vermeidung allokativer Verzerrungen beim Arbeitsangebot
  und bei der Arbeitsnachfrage.
Übergangsszenarien vom alten zum neuen Recht lassen sich ohne weiteres skiz-
zieren. Als erster Schritt ist die Versicherungspflicht aller Erwerbstätigen rasch
gangbar. Um die spätere Versicherungspflicht aller Erwachsenen, das heißt auch
von Nichterwerbstätigen, verantworten zu können, ist ein Ausbau der Betreu-
ungsmöglichkeiten für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter notwendig.

    men zu entfristen und eine steuerfinanzierte, bedarfsorientierte soziale Grundsicherung
    im Alter und bei Invalidität einzuführen. Ähnliche Überlegungen finden sich bei anderen
    gesellschaftlichen Gruppen.

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