Vulnerable Gruppen während der Corona-Pandemie

 
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Schlussbericht

Vulnerable Gruppen
während der Corona-
Pandemie
Erfahrungen und Ansätze zum Einbezug vulnerabler
Gruppen während der Corona-Pandemie in den von Ge-
sundheitsförderung Schweiz unterstützten Projekten
der Prävention in der Gesundheitsversorgung

Basel 19.05.2021

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                      Vulnerable Gruppen während der Corona-Pandemie   Ι   Seite i
Impressum

Erfahrungen und Ansätze zum Einbezug vulnerabler Gruppen während der Corona-Pan-
demie in den von Gesundheitsförderung Schweiz unterstützten Projekten der Prävention
in der Gesundheitsversorgung

Schlussbericht
19.05.2021

Auftraggeberin: Gesundheitsförderung Schweiz
Kontakt: Dr. Giovanna Raso, Prävention in der Gesundheitsversorgung / Evaluation

Vertrag Nr. 21.003 / Projekt Nr. 50007

Laufzeit des Projekts: Januar – Mai 2021
Datenerhebungsperiode: Januar – März 2021

Autorinnen: Miriam Frey und Mirjam Suri
Projektmitarbeit: Valentina Maras

BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG
Aeschengraben 9
4051 Basel
T +41 61 262 05 55
miriam.frey@bss-basel.ch

www.bss-basel.ch

Das Team «Prävention in der Gesundheitsversorgung» bei Gesundheitsförderung Schweiz hat den Entwurf
des Berichts geprüft. Die Resultate dieser Prüfung wurden den Projektverantwortlichen mitgeteilt und fanden
Berücksichtigung im vorliegenden Bericht. Jedoch müssen Interpretation der Ergebnisse, Schlussfolgerun-
gen und Empfehlungen nicht dem Standpunkt von Gesundheitsförderung Schweiz entsprechen.

Bezug: Gesundheitsförderung Schweiz, 3014 Bern, Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV),
www.gesundheitsfoerderung.ch

© 2021 BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG

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Inhalt

Das Wichtigste in Kürze ............................................................................................................. 1

1. Einleitung ................................................................................................................................ 2

2. Methodik .................................................................................................................................. 2

3. Ergebnisse im Überblick ........................................................................................................ 3

    3.1 Anpassungen ................................................................................................................................... 3
    3.2 Erfahrungen...................................................................................................................................... 5

4. Ergebnisse im Detail .............................................................................................................. 7

    4.1 Fallbeispiel 1 .................................................................................................................................... 8
    4.2 Fallbeispiel 2 .................................................................................................................................... 9
    4.3 Fallbeispiel 3 .................................................................................................................................. 10
    4.4 Fallbeispiel 4 .................................................................................................................................. 11
    4.5 Fallbeispiel 5 .................................................................................................................................. 12

5. Schlussfolgerungen ............................................................................................................. 13

    5.1 Fazit ............................................................................................................................................. 13
    5.2 Empfehlungen ................................................................................................................................ 14

A. Anhang .................................................................................................................................. 16

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Das Wichtigste in Kürze
Gesundheitsförderung Schweiz unterstützt aktuell rund 45 Projekte im Bereich der Prävention in
der Gesundheitsversorgung (PGV). Viele dieser Projekte sehen sich gegenwärtig mit der Heraus-
forderung konfrontiert, alternative Lösungsansätze für den Einbezug ihrer Zielgruppen zu su-
chen, um deren Sicherheit während der Corona-Pandemie gewährleisten zu können. Vor diesem
Hintergrund hat Gesundheitsförderung Schweiz die Firma BSS Volkswirtschaftliche Beratung
mit einer Erhebung zu den PGV-Projekten beauftragt. Dies mit dem Ziel, Lessons learned aufzu-
bereiten und Good Practices für den Einbezug vulnerabler Gruppen zu identifizieren.

Die Erhebung wurde als Online-Befragung durchgeführt. An der Befragung teilgenommen haben
Vertreter/innen von 39 Projekten. Die Mehrheit gab an, Anpassungen aufgrund der Corona-Pan-
demie vorgenommen zu haben; 12 davon beinhalteten inhaltliche Anpassungen im Umgang mit
vulnerablen Gruppen resp. dem Einbezug der Zielgruppen. Diese Anpassungen können zusam-
menfassend mit «alternative Kommunikationsmöglichkeiten» umschrieben werden. So fanden
Gespräche per Telefon oder Video statt, Gruppensitzungen wurden virtuell durchgeführt und es
wurden Filme / Videoclips erstellt. Chancen dieser Anpassungen liegen in einem erweiterten Zu-
gang (flexibel, niederschwellig) sowie Ressourcenvorteilen. Herausforderungen sind insb. feh-
lende technische Ausrüstung resp. fehlende technische Affinität der Zielgruppen (und z.T. Anbie-
ter) und mögliche Qualitätseinbussen bei Gesprächen. Es gibt jedoch Good Practice Beispiele,
diesen Herausforderungen zu begegnen: etwa ein Einbezug von Peers, wodurch sich geeignete
Kanäle für die digitalen Formate identifizieren und verbreiten lassen oder die Idee, künftig Plätze
mit technischer Infrastruktur in Migrationszentren einzurichten, um den Zugang zu erleichtern.

Aus unserer Sicht lässt sich aus der Befragung folgendes Fazit ziehen: Die Corona-Pandemie hat
verschiedene Entwicklungen bei den Projekten angestossen. Die neuen Formate vermögen die
bisherigen, oftmals persönlichen, Veranstaltungen und Gespräche nicht zu ersetzen; sie können
aber eine wertvolle Ergänzung werden. Darauf basierend formulieren wir zwei Empfehlungen:

1.   Die teils vorgesehenen, teils bereits durchgeführten digitalen Formate der Projekte sollten
     weiter evaluiert werden. Denn die bisherigen Erfahrungen sind noch begrenzt. Ein entspre-
     chendes Monitoring kann dabei über die laufenden Evaluationen erfolgen. So wäre es aus
     unserer Sicht zielführend, wenn die Evaluationsinstitute resp. Projektträger (bei Selbsteva-
     luationen) diesen Punkt als Evaluationsfrage aufnehmen. Die Ergebnisse könnten gemein-
     sam mit Gesundheitsförderung Schweiz in den jährlichen Reporting-Sitzungen diskutiert
     und für die Weiterentwicklung der Projekte genutzt werden.

2.   Weiter empfehlen wir bei neuen Projekten jeweils die Möglichkeit digitaler Formate als Er-
     gänzung zu persönlichen Coachings, Beratungen oder Workshops mitzudenken. Damit ist
     nicht gemeint, dass in jedem Projekt ein digitales Format entwickelt werden soll (dies wäre
     weder zweckmässig noch effizient), sondern dass in jedem Projekt die Möglichkeit reflektiert
     werden soll, um sich bewusst dafür oder dagegen zu entscheiden. Operationalisiert werden
     könnte dies durch eine entsprechende Frage im Projektantrag.

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1. Einleitung
Gesundheitsförderung Schweiz unterstützt mittels der Projektförderung Prävention in der Ge-
sundheitsversorgung (PGV) aktuell rund 45 Projekte innerhalb der Themen nichtübertragbare
Krankheiten, Sucht und psychische Gesundheit, welche die Prävention in der Gesundheitsversor-
gung stärken. Viele dieser Projekte sehen sich in der aktuellen Corona-Situation mit der Heraus-
forderung konfrontiert, alternative Lösungsansätze für den Einbezug ihrer Zielgruppen zu su-
chen, um deren Sicherheit gewährleisten zu können. Gesundheitsförderung Schweiz möchte die
bisherigen Erfahrungen aufnehmen und hat die Firma BSS Volkswirtschaftliche Beratung mit ei-
ner Erhebung bei den von Gesundheitsförderung Schweiz unterstützten PGV-Projekten beauf-
tragt. Dies mit dem Ziel, Lessons learned aufzubereiten und Good Practices für den Einbezug vul-
nerabler Gruppen zu identifizieren.

2. Methodik
Die Erhebung wurde als Online-Befragung durchgeführt. Angefragt wurden alle laufenden Pro-
jekte der Förderrunde 1, Förderrunde 2 und Förderrunde 3. Insgesamt sind dies 45 Projekte. Die
Einladung sowie die einmalige Erinnerung wurden an die Projektträger und Evaluationsteams
per E-Mail geschickt. Der Link zur Befragung war «projektspezifisch», d.h. pro Projekt konnte
nur ein Fragebogen ausgefüllt werden. Die Befragung wurde zweisprachig (d/f) durchgeführt. Der
Fragebogen findet sich im Anhang. An der Befragung teilgenommen haben 39 Projekte. Dies ent-
spricht einem Rücklauf von 87%. Bei ausgewählten Projekten wurden im Nachgang an die Online-
Befragung telefonische Gespräche durchgeführt, um die Informationen zu vertiefen. Die Befra-
gungen fanden zwischen Januar und März 2021 statt.

Tabelle 1         Rücklauf

                                                        Projekte        Antworten        Rücklaufquote

 Förder-     Förderrunde 1                                         14               14               100%
 runde       Förderrunde 2                                         18               14                78%
             Förderrunde 3                                         13               11                85%

 Förder-     FB I: umfangreiches Projekt                           10               9                 90%
 bereich     FB II: Seed-Finanzierung (Pilotprojekt)               19               16                84%
             FB III: Ausschreibung zu spez. Thema                  4                4                100%
             FB IV: Verbreitung bestehendes Angebot                10               8                 80%
             Direkte Zusammenarbeit                                2                2                100%

 Spra-       Deutsch                                               33               27                82%
 che         Französisch                                           12               12               100%
 Insgesamt                                                         45               39                87%

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3. Ergebnisse im Überblick
3.1 Anpassungen
Von den 39 befragten Projekten gaben 25 an, dass Anpassungen aufgrund der Corona-Pandemie
vorgenommen wurden. Die Anpassungen lassen sich wie folgt charakterisieren:

− Inhaltliche Anpassungen beim Einbezug vulnerablen Gruppen (Zielgruppen)
− Inhaltliche Anpassungen beim Einbezug von Fachpersonen
− Zeitliche Verschiebungen

Abbildung 1       Anpassungen der Projekte aufgrund der Corona-Pandemie

Quelle: Erhebung BSS, n=39. Anmerkungen: Projekte mit inhaltlichen Anpassungen können gleichzeitig auch zeitliche
Anpassungen vorgenommen haben. Um Doppelzählungen zu vermeiden, sind bei zeitlichen Anpassungen diejenigen Pro-
jekte aufgeführt, die nur solche Anpassungen (und keine inhaltlichen) vorgenommen haben.

Keine Anpassungen: In 14 der 39 Projekte erfolgten keine Anpassungen aufgrund der Corona-
Pandemie. Bei diesen Projekten ergab sich keine Notwendigkeit einer Änderung des Vorgehens,
da entweder kein Einbezug von vulnerablen Gruppen vorgesehen war oder dieser erst zu einem
späteren Zeitpunkt eingeplant ist (bspw. Projekte der Förderrunde 3). Vereinzelt sind Anpassun-
gen auch deshalb nicht notwendig, weil das Angebot schon in der ursprünglichen Planung digital
orientiert war. Ein Beispiel dafür ist etwa das Projekt «Win Back Control», das ein webbasiertes
Selbsthilfeangebot zur Reduktion von problematischem Glückspiel entwickelt, testet und verbrei-
tet.

Inhaltliche Anpassungen beim Einbezug vulnerabler Gruppen / Zielgruppen: Bei 12 Projekten
wurden infolge der Corona-Pandemie Anpassungen beim Einbezug der Zielgruppen vorgenom-
men. In diesen Projekten geht es oftmals um den Einbezug von Gruppen, welche als besonders
durch die Corona-Pandemie gefährdet gelten (z.B. betagte Menschen, Schwangere, Menschen mit
schweren Vorerkrankungen). Einige Projekte richten sich hingegen an Personengruppen, welche

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nicht per se besonders durch das Virus gefährdet sind, aber in anderer Hinsicht als vulnerabel
angesehen werden können.

Grundsätzlich zu unterscheiden sind Anpassungen hinsichtlich der Evaluationsformate (z.B. In-
terviews mit Betroffenen) und Anpassungen bei den Präventionsangeboten an sich. Letztere kön-
nen sehr divers sein und von Beratungen durch medizinisches Fachpersonal bis zu Selbsthilfe-
gruppen reichen. Folgende Anpassungen wurden vorgenommen:

− Einzelgespräche per Telefon / Videotelefonie anstelle von persönlichen Gesprächen
− Einzelgespräche per Telefon / Videotelefonie anstelle von Gruppensitzungen
− Virtuelle Gruppensitzungen anstelle von persönlichen Anlässen
− Erarbeitung von digitalen Angeboten als Ergänzung (z.B. Filme)
− Veränderte Präsenzveranstaltungen (insb. reduzierte Anzahl Teilnehmende)

Die Anpassungen in ausgewählten Projekten und die dabei gemachten Erfahrungen werden in
den nachfolgenden Fallbeispielen (vgl. Kapitel 4) detailliert erläutert.

Inhaltliche Anpassungen beim Einbezug von Fachpersonen: Bei weiteren 6 Projekten wurden
Anpassungen beim Einbezug von Fachpersonen geschildert. Diese reichen von der Umstellung
auf telefonische / videotelefonische Einzelgespräche über Online-Workshops bis hin zu geplanten
E-Learning Formaten.

Zeitliche Anpassungen: Eine weitere Gruppe bilden 7 Projekte, bei welchen der Einbezug vul-
nerabler Gruppen geplant war und sich aufgrund der Pandemie verzögert. Zeitliche Verzögerun-
gen wurden auch bei anderen Projekten beschrieben, bei diesen 7 Projekten sind jedoch keine
ergänzenden inhaltlichen Anpassungen vorgesehen.

Anmerkung: Es ist darauf hinzuweisen, dass die Corona-Pandemie auf vielfältige Weise einen
Einfluss auf die unterstützten Projekte haben kann: Neben den (möglichen) Auswirkungen auf
den Einbezug vulnerabler Gruppen können sich auch Veränderungen bei der Grösse, Zusammen-
setzung oder gesundheitlichen Situation der Zielgruppe ergeben. Weiter haben die zur Bekämp-
fung der Pandemie getroffenen Massnahmen ebenfalls Auswirkungen. Verschiedentlich wurde
dies auch in unserer Befragung angesprochen. Genannt wurden beispielsweise die Auswirkungen
auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen sowie eine Verschlechterung in Bezug auf Ver-
haltensweisen, welche als Risikofaktoren für spätere Erkrankungen gelten (insb. mangelnde Be-
wegung, schlechte Ernährung). Diese Aspekte wurden im Rahmen der vorliegenden Studie nicht
untersucht. Seitens Gesundheitsförderung Schweiz wurden entsprechende Fragestellungen im
Arbeitspapier «Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und
Ressourcen der Bevölkerung»1 thematisiert.

1Kessler, C. & Guggenbühl, L. (2021). Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belas-
tungen und Ressourcen der Bevölkerung. Ausgewählte Forschungsergebnisse 2020 für die Schweiz. Arbeits-
papier 52. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz.

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3.2 Erfahrungen
Von den 12 Projekten, die eine inhaltliche Anpassung in Bezug auf den Umgang mit vulnerablen
Gruppen vorgenommen haben, gaben 6 ihre Erfahrungen damit an. Die Anpassungen unterschei-
den sich je nach Projekt, können aber zusammenfassend oftmals mit «alternative Kommunikati-
onsmöglichkeiten» umschrieben werden. So fanden Gespräche per Telefon oder Video statt,
Gruppensitzungen wurden virtuell durchgeführt und Filme / Videoclips wurden produziert.

3.2.1 Vorteile digitaler Formate

Virtuelle Kommunikation kann Erleichterungen im Zugang der Zielgruppen mit sich bringen,
wodurch mehr Personen erreicht werden:

− Örtliche Flexibilität: Die örtlich ungebundene Nutzung von Angeboten ist beispielsweise für
  betagte Personen mit Mobilitätseinschränkungen ein grosser Vorteil oder auch bei Angeboten,
  die nur regional begrenzt durchgeführt werden.
− Zeitliche Flexibilität bei Nutzung von digitalen Formaten wie z.B. Videoclips
− Niederschwelligkeit bei der Nutzung von Filmen, Videoclips oder Websites

Die alternativen Kommunikationsformen bringen zudem zwar einen Initialaufwand mit sich, wei-
sen dann jedoch Effizienzvorteile auf:

− Durch die virtuelle Kommunikation entfallen Reisezeiten – sowohl von Seiten der Projektträ-
  ger als auch von den Teilnehmenden.
− Mit dem gleichen Input können mehr Teilnehmende erreicht werden. Letzteres gilt v.a. für die
  Produktion von Filmen und Videos, die aufgeschaltet und danach unbegrenzt genutzt werden
  können (bspw. in mehreren Sprachen).

3.2.2 Herausforderungen digitaler Formate

Den Vorteilen stehen auch Nachteile resp. Herausforderungen gegenüber. So wurde eine fehlende
technische Ausrüstung in mehreren Projekten als hemmend beschrieben. Zu beachten ist, dass
dies nicht nur auf Seiten der Zielgruppen gilt. In einem Projekt wurde darauf hingewiesen, dass
angedacht worden sei, die Beratungen von Patient/innen durch medizinische Praxisassistent/in-
nen digital durchzuführen. Aufgrund von fehlendem Equipment in den Arztpraxen und fehlender
technischer Kompetenz der Patient/innen wurde diese Idee jedoch wieder verworfen.

Digitale Formate sind zudem nicht für alle Zielgruppen geeignet. Folgende Gründe wurden als
Hinderungsfaktoren genannt:

− Fehlende technische Kompetenz: Wenn die Zielgruppe nicht selbst geübt in der Nutzung digi-
  taler Formate ist (z.B. ältere Personen), müssen Hilfspersonen zur Verfügung stehen, welche
  die Zielgruppen bei der Nutzung unterstützen.
− Fehlende Rückzugsmöglichkeiten: Wenn keine geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung ste-
  hen, um private Gespräche zu führen, Übungen zu absolvieren oder ungestört an einem Aus-
  tausch teilzunehmen, wird die Teilnahme erschwert.

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In der Folge wurde teilweise auch von einem durch die digitalen Formate stärker ausgeprägten
Selektionsbias gesprochen. D.h. gut ausgebildete Personen nehmen das Angebot vermehrt in An-
spruch, während sozioökonomisch schlechter gestellte Personen weniger Einbezug finden.

Die Qualität von (virtuellen) Gesprächen und Treffen kann ebenfalls abnehmen, wobei verschie-
dene Gründe dafür genannt wurden:

− Erschwerter Vertrauensaufbau beim telefonischen Gespräch resp. per Video (im Vergleich zu
  einem persönlichen Treffen). Dies gilt sowohl für Einzelgespräche als auch für Gruppengesprä-
  che, bei denen Teilnehmende untereinander weniger leicht ins Gespräch kommen.
− Kommunikationsschwierigkeiten (z.B. bei älteren Personen mit Schwerhörigkeit)
− Fehlende oder erschwerte Möglichkeiten zum informellen Austausch
− Ablenkungen während des Gesprächs

Bei virtuellen Treffen wurde schliesslich die Datenschutzproblematik erwähnt, welche bei den
teilweise sehr persönlichen Inhalten als ein Hinderungsfaktor wahrgenommen wird.

3.2.3 Weitere Erfahrungen

Neben diesen Vor- und Nachteilen der digitalen Kommunikationsformate wurden weitere posi-
tive und negative Aspekte in Zusammenhang mit der Corona-Situation und der dadurch erfolgten
Anpassungen genannt.

Positive Aspekte:

− In einem Projekt wurden die digitalen Materialien dadurch rascher entwickelt (die Erarbeitung
  war zwar auch sonst vorgesehen gewesen, wäre jedoch wahrscheinlich zurückgestellt worden).
− In einem anderen Projekt wurde erwähnt, dass der Zugang zu den Risikogruppen im Rahmen
  des Projekts für die Verbreitung von Informationen bezüglich Covid-19 genutzt werden konn-
  ten (z.B. interkulturell Dolmetschende).

Negative Aspekte:

− Von verschiedenen Befragten wurde der Aufwand (Initialaufwand, aber auch Aufwand in Zu-
  sammenhang mit Schutzkonzepten) als Herausforderung genannt.
− Weiter wurde die Problematik erwähnt, dass Leistungserbringer in der aktuellen Situation teils
  andere Prioritäten setzten und beispielsweise ihrer Rolle als Zuweiser zu den Angeboten weni-
  ger nachkommen konnten. Deshalb wurden z.T. vermehrt andere Kanäle genutzt.

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4. Ergebnisse im Detail
Nachfolgend werden 5 Projekte resp. die von ihnen vorgenommenen Anpassungen zum Einbezug
der Zielgruppen näher vorgestellt. Die fünf Projekte wurden ausgewählt, da sie unserer Einschät-
zung nach besonders interessante Ansätze verfolgen und/oder sich ihre Erfahrungen potenziell
auf weitere Projekte übertragen lassen. Während sich drei Projekte mit dem Einbezug von Perso-
nengruppen befassen, welche durch die Corona-Pandemie besonders gefährdet sind, stehen bei
den anderen beiden keine Corona-Risikogruppen im Fokus. Die Erkenntnisse aus diesen Projek-
ten mit Personen, welche unter anderen Gesichtspunkten als vulnerabel eingestuft werden kön-
nen, lassen sich u.E. jedoch auch übertragen.

Tabelle 2        Überblick Fallbeispiele

      Projekt            Projektträger    Förderbereich     Anpassung

 1    Besser leben mit   Lungenliga       IV: Verbreitung   Gruppencoachings z.T. online durchge-
      COPD               Schweiz          eines bestehen-   führt
                                          den Angebots

 2    Therapeutische     Spital Wallis    II: Seed-Finan-   Persönliche, telefonische oder virtuelle
      Patientenschu-                      zierung (Pilot-   Einzelgespräche anstelle von Gruppen-
      lung und Be-                        projekt)          sitzungen
      handlungspfad
      Herzinsuffizienz

 3    Mamamundo          Verein           IV: Verbreitung   Gruppenkurse z.T. online durchgeführt,
                         Mamamundo,       eines bestehen-   z.T. persönlich mit Schutzmassnahmen
                         Bern             den Angebots

 4    Ernährung &        Agents de        II: Seed-Finan-   Ergänzendes Video-Angebot entwickelt,
      Migration          Santé, Genève    zierung (Pilot-   persönliche Workshops mit Schutzmass-
                                          projekt)          nahmen durchgeführt

 5    INTERMED+          Cabinet de       II: Seed-Finan-   Telefonische oder virtuelle Einzelgesprä-
                         médecine gé-     zierung (Pilot-   che z.T. anstelle von persönlichen Ein-
                         nérale et spé-   projekt)          zelgesprächen (z.T. mit Schutzmassnah-
                         cialisée                           men durchgeführt)

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4.1 Fallbeispiel 1
Projekt: Besser leben mit COPD

Kurzbeschrieb Projekt2: Das Projekt beinhaltet die Verbreitung des Selbstmanagement-
Coachings «Besser leben mit COPD» für Betroffene der chronischen obstruktiven Lungenkrank-
heit COPD. Das Coaching hilft Patientinnen und Patienten, besser mit der Krankheit umzugehen
und steigert ihre Gesundheitskompetenz und Lebensqualität. Ein Kernelement des Programms
sind die Selbstmanagement-Coachings, an welchen die Betroffenen in kleinen Gruppen (6-12 Per-
sonen) an sechs Modulen (jeweils 1x pro Woche à 2 Stunden) teilnehmen.

Anpassungen Einbezug vulnerabler Gruppen: Aufgrund der Corona-Pandemie konnten die
Gruppencoachings nicht wie geplant stattfinden. Nachdem erste Module des Coachings in Prä-
senz stattfanden, wurden die weiteren Module teilweise abgesagt, verschoben oder digital als Vi-
deokonferenz (Tool: Teams) abgehalten.

Erfahrungen: Positiv hervorgehoben wurde, dass die technische Umsetzung auf beiden Seiten
kein Problem darstellte, so gelang es insbesondere auch älteren Menschen, gut mit PC/Tablet
zurecht zu kommen. Für die Teilnehmenden könne zudem die einfache Teilnahme von zuhause
aus ein Vorteil sein. Die Gruppengrösse war in etwa gleich wie ursprünglich vorgesehen, lediglich
vereinzelte Betroffene nahmen an der digitalen Form nicht teil. Unklar war, ob die Nicht-Teilnah-
men ggf. darauf zurückzuführen war, dass diese Personen technisch weniger versiert sind. Die
Dauer des Gruppencoachings musste verkürzt werden: Nach 1 bis 1.5 Stunden waren die Teilneh-
menden erschöpft, ursprünglich waren 2 Stunden vorgesehen. Als grosser Nachteil der digitalen
Durchführung des Coachings wurde der fehlende Austausch unter den Betroffenen genannt.
Diese hätten in den Präsenzveranstaltungen deutlich mehr geredet, während im digitalen Format
die Sprechzeit des Coachs dominierte.

Ausblick: Für die Module in diesem Jahr ist eine vollständige digitale Umsetzung geplant. Dabei
werden die weiterhin gemachten Erfahrungen beobachtet. Aus aktueller Sicht besteht die Option,
virtuelle Formate in irgendeiner Form auch langfristig beizubehalten, allerdings ohne dass sie
Präsenzveranstaltungen vollständig ablösen könnten.

2Die Kurzbeschriebe der Projekte orientierten sich an denjenigen von Gesundheitsförderung Schweiz (vgl.
www. gesundheitsfoerderung.ch/pgv/gefoerderte-projekte).

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4.2 Fallbeispiel 2
Projekt: Therapeutische Patientenschulung und Behandlungspfad Herzinsuffizienz

Kurzbeschrieb Projekt: Im Spital Wallis soll eine ambulante Sprechstunde für Patientinnen und
Patienten mit Herzinsuffizienz eingerichtet werden, bei der diese bis 30 Tage nach einem Spital-
aufenthalt ärztlich-pflegerische Nachbetreuung erhalten. Ziel des Projekts ist eine regelmässige
Betreuung der Patientinnen und Patienten bis zur Übergabe an die Kardiologin oder den Haus-
arzt. In der Folge soll eine Senkung der Rehospitalisierungen und die Verbesserung der Lebens-
qualität der Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz erreicht werden. Die ambulante Be-
treuung beinhaltet neben einem medizinischen Teil eine individuell gestaltete therapeutische Pa-
tientenschulung, bei der gemeinsam mit der Patientin bzw. dem Patienten ein Herzinsuffizienz-
Selbstmanagement erarbeitet wird (z.B. Lebensstil, Warnsymptome). Die Schulungen sollen da-
bei u.a. auch in Gruppen durchgeführt werden.

Anpassungen Einbezug vulnerabler Gruppen: Anstelle der Gruppenveranstaltungen der Be-
troffenen wurden Einzelgespräche persönlich, telefonisch oder per Videotelefonie geführt. Digi-
tale Gruppensitzungen wurden nicht in Erwägung gezogen, da die Patientinnen und Patienten als
nicht ausreichend technisch ausgerüstet und/oder versiert im digitalen Umgang eingeschätzt
wurden.

Erfahrungen: Bisher fanden erst wenige Gespräche statt, weitere Erfahrungen müssen noch ge-
sammelt werden. Den Patientinnen und Patienten wird die Wahl überlassen, wie sie das Gespräch
führen möchten. Bisher hat sich lediglich eine Person für ein persönliches Gespräch entschieden.
Die v.a. telefonisch durchgeführten Gespräche verliefen bisher grundsätzlich gut. Es müsse aber
darauf geachtet werden, dass die Gespräche ausreichend lang eingeplant würden (30 bis 45 Mi-
nuten wie bei persönlichen Gesprächen) und die Fachperson die Selbstreflektion der Patientin /
des Patienten mit Rückfragen anrege. Als einziger – aber relevanter – Nachteil wurde der feh-
lende Austausch zwischen den Betroffenen genannt. Dieses zentrale Element der Schulungen,
sich darüber auszutauschen, wie andere mit der Situation umgehen, kann in den Einzelgesprä-
chen nicht stattfinden.

Ausblick: Gemäss Interviewaussage ist denkbar, dass die telefonischen Einzelgespräche auch
langfristig als ergänzendes Angebot beibehalten würden, dies beispielsweise für ältere Patient/in-
nen, die wenig mobil sind und so von zuhause aus teilnehmen könnten.

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4.3 Fallbeispiel 3
Projekt: Mamamundo

Kurzbeschrieb Projekt: Mamamundo ist ein Geburtsvorbereitungskurs für Migrantinnen ohne
Deutschkenntnisse, der Gesundheitskompetenz und Erhaltung der psychischen Gesundheit för-
dern soll. Grosse Wichtigkeit wird dem direkten Austausch und Körperübungen beigemessen. Der
Kurs wird von Hebammen geleitet und von interkulturell Dolmetschenden übersetzt. Die schwer
erreichbare Zielgruppe wird aktiv aufgesucht.

Anpassungen Einbezug vulnerabler Gruppen: Während der ersten Krisenphase im März/April
2020 wurde ein Geburtsvorbereitungskurs online durchgeführt und mit telefonischen Beratun-
gen ergänzt. Die schriftlichen Kursunterlagen wurden den Teilnehmenden nach Hause geschickt.
Danach wurden die Kurse wieder vor Ort, aber mit einer reduzierten Anzahl Teilnehmerinnen
und entsprechendem Schutzkonzept vorgenommen. Des Weiteren wurde ein Film mit Kör-
perübungen erstellt, der den Teilnehmenden künftig zur Verfügung gestellt werden kann. Dessen
Produktion war zwar vorgesehen, wurde nun jedoch vorverschoben.

Erfahrungen: Die Onlinekurse haben sich gemäss der Einschätzung der Befragten nicht bewährt.
Die Zielgruppe verfüge oftmals nicht über einen Laptop und der Zugang über ein Smartphone sei
eher ungeeignet. Auch eine stabile Internetverbindung sei nicht immer gewährleistet. Hinzu fehle
es den teilnehmenden Frauen häufig an einem ruhigen Rückzugsraum, an welchem sie dem Kurs
folgen könnten. Ferner stellten sich Fragen des Datenschutzes, da innerhalb der Kurse intime
Aspekte besprochen werden.

Auch bei der späteren erneuten Umsetzung vor Ort ergaben sich Herausforderungen durch den
Aufwand bei der Konzipierung des Schutzkonzepts, der Reinigung sowie den fehlenden Möglich-
keiten für Paarübungen resp. einem informellen Austausch.

Positiv sind dagegen die Erfahrungen mit dem Filmprojekt, welches bei einem «normalen» Ver-
lauf noch zurückgestellt worden wäre. Durch den in verschiedene Sprachen übersetzten Film ge-
lingt es, viele Frauen zu erreichen.

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4.4 Fallbeispiel 4
Projekt: Ernährung & Migration

Kurzbeschrieb Projekt: Das Projekt will gesunde Ernährung und Bewegung bei Migrantinnen und
Migranten in Genf fördern und die Gesundheitskompetenzen der Zielgruppe verbessern. Der An-
satz bezieht Community Health Workers ein, d.h. Peers mit Migrationshintergrund. Diese werden
von Gesundheitsfachpersonen geschult und begleitet und sollen als Multiplikatoren wirken.
Kernelement des Projekts sind Workshops mit ca. 5 Teilnehmenden.

Anpassungen Einbezug der Zielgruppe3: Je nach Phase der Corona-Pandemie wurden die Work-
shops mit einer verringerten Anzahl Teilnehmenden als Präsenzveranstaltung durchgeführt (3
Teilnehmende, so dass max. 5 Personen mit Instruktor/innen teilnahmen). Während Phasen mit
verschärften Massnahmen konnten auch diese reduzierten Workshops nicht durchgeführt wer-
den. Community Health Workers aus einer früheren Phase des Projekts hatten daher die Initiative
ergriffen und Filme zuhanden der Migrant/innen entwickelt und realisiert. Gegenwärtig werden
die Filme finalisiert und danach durch die Community Health Workers innerhalb ihres Umfelds
an die Zielgruppe verbreitet. Die Filme sollen über youtube zugänglich gemacht werden.

Erfahrungen: Als positiv erachtet wird, dass es mit den Filmen gelingen kann, mehr Personen zu
erreichen. Bisher wurde ein erstes Video online gestellt, dieses erhielt grossen Zuspruch. Weitere
Filme werden in Kürze folgen. Zudem wurde positiv hervorgehoben, dass dieses neue digitale
Element auf der Initiative der Community Health Workers basiert, die damit nochmals verdeut-
lichten, welche zentrale Rolle sie bei der Durchführung des Projekts innehaben. Künftig sollen sie
daher nicht nur konsultiert, sondern als Partner in die Entscheidungen des Projekts mit einbezo-
gen werden.

Herausforderungen wurden darin gesehen, dass die Anpassungen im Projekt einen Mehraufwand
verursachten. Zudem bestehen Schwierigkeiten darin, die Zielgruppe mit einem digitalen Format
zu erreichen: Die Migrantinnen und Migranten hätten vielfach keinen Zugang zu technischem
Equipment oder stabilen Internetverbindungen. Zudem fehle es ihnen teilweise an einem ruhigen
Ort, um sich die Filme anzusehen und so zu lernen. Ein weiteres Hindernis könne zudem die
fehlende Übersetzung für nicht-französischsprechende Migrant/innen sein.

Ausblick: Die Filme werden als wertvolle Ergänzung zu den Workshops gesehen, ohne diese je-
doch ersetzen zu können. Als Idee für die Zukunft wurde die Option genannt, in Migrationszen-
tren «Stationen» mit technischem Zugang und ruhiger Umgebung einzurichten, so dass Mig-
rant/innen sich vor Ort die Filme anschauen können. Dabei müsse darauf geachtet werden, dass
die Filme nicht zu lange seien und ggf. Übersetzungen vorgenommen würden.

3   Die Zielgruppe dieses Projekts ist nicht per se durch Corona besonders gefährdet.

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4.5 Fallbeispiel 5
Projekt: INTERMED+

Kurzbeschrieb Projekt: Das Projekt hat zum Ziel, Risikoverhalten zu reduzieren und fokussiert
auf Personen, bei denen ein Risiko für die Entwicklung einer nicht übertragbaren Krankheit
(NCD) besteht. Dazu soll spezifisch geschultes Fachpersonal in allgemeinmedizinischen Praxen
bei der Früherkennung von Personen mit einem Risiko für die Entwicklung einer nicht übertrag-
baren Krankheit mitwirken und diese mit entsprechenden Aufklärungs- und Motivationsangebo-
ten beraten. Die Beratungen sollen i.d.R. individuell und persönlich stattfinden.

Anpassungen Einbezug der Zielgruppe4: Die persönlichen Gespräche fanden zum Teil in grossen
Räumen mit Abstand und mit Maske statt. Ein anderer Teil der Gespräche wurde per Telefon
geführt, vereinzelt erfolgten Videotelefonate.

Erfahrungen: Der Zugang zu technischem Equipment und/oder die Informatikkenntnisse der
Patient/innen waren nach Angaben der befragten Person oftmals unzureichend, weshalb nur we-
nige Beratungen per Videotelefonie durchgeführt werden konnten. Auch die Fachpersonen waren
teilweise überfordert bei der digitalen Umsetzung. Besser funktionierte die Beratung per Telefon.
Dennoch bevorzugten viele Patient/innen die persönliche Beratung vor Ort (mit Abstand) gegen-
über der Beratung per Telefon.

4   Die Zielgruppe dieses Projekts ist nicht per se durch Corona besonders gefährdet.

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5. Schlussfolgerungen
5.1 Fazit
Gesundheitsförderung Schweiz unterstützt mittels der Projektförderung PGV aktuell rund 45
Projekte, welche die Prävention in der Gesundheitsversorgung stärken. Die Settings und Zielgrup-
pen – vulnerable Personen und Gesundheitsfachpersonen – haben somit eine enge Bindung zum
Versorgungssystem. Entsprechend erstaunt es nicht, dass die meisten von Gesundheitsförderung
Schweiz unterstützten Projekte von der Corona-Pandemie besonders betroffen waren resp. sind.

Sie haben daher oftmals inhaltliche und/oder methodische Anpassungen vorgenommen. Knapp
ein Drittel der Befragten gab an, den Einbezug vulnerabler Gruppen angepasst zu haben oder dies
noch vorzusehen. Die Erfahrungen mit neuen Formaten sind allerdings erst punktuell vorhanden.
Dies liegt u.E. einerseits daran, dass nicht alle Projekte Anpassungsbedarf hatten und anderer-
seits an der Tatsache, dass die Corona-Situation zu Beginn als kurzfristiges Ereignis angesehen
wurde, welches insb. zu zeitlichen Verschiebungen geführt hat – im Fall von Pilotprojekten ver-
ständlich, so möchte man diese in einer «normalen» Situation testen, da die Ergebnisse ansons-
ten verzerrt sein könnten.

In Bezug auf die Erfahrungen zeigen sich dennoch Gemeinsamkeiten, die u.E. auch auf weitere
Projekte übertragen werden könnten. Dies gilt für die hemmenden Faktoren (v.a. die fehlende
technische Ausrüstung, die Zielgruppenerreichung und die geringeren Möglichkeiten zum infor-
mellen Austausch). Aber auch Chancen werden übereinstimmend wahrgenommen – zu erwähnen
ist in erster Linie die Möglichkeit, mit den gleichen Mitteln den Zugang der Zielgruppen zu ver-
bessern resp. zu erweitern. Dabei möchten wir zwei Ansatzpunkte herausgreifen, die wir als be-
sonders interessant erachten, um den Herausforderungen der neuen Formate begegnen zu kön-
nen (vgl. Projekt Ernährung & Migration):

− Der Einbezug von Peers ist aus unserer Sicht besonders zielführend, um die geeigneten Kanäle
  und Möglichkeiten digitaler Formate zu identifizieren. Auch in der Verbreitung können die
  Peers eine Schlüsselrolle einnehmen.
− Die Idee, Plätze mit technischer Infrastruktur (und ruhiger Umgebung) in Migrationszentren
  einzurichten, liesse sich u.E. auch auf andere settings und Zielgruppen übertragen (z.B. Ju-
  gendtreffs, Seniorenzentren oder Pflegeheime). Diese könnten zudem nicht nur für Filme ge-
  nutzt werden, sondern auch für virtuelle Gespräche und Treffen. Im besten Fall würde aus un-
  serer Sicht dabei ein technischer «support» zur Verfügung stehen, der gerade technisch weni-
  ger affine Personen bei der Einwahl unterstützt.

Das Fazit aus der Befragung kann u.E. wie folgt zusammengefasst werden: Die Corona-Pandemie
hat verschiedene Entwicklungen (in erster Linie die Entwicklung alternativer Kommunikations-
möglichkeiten) bei den Projekten angestossen und wird in vielen Bereichen einen Digitalisie-
rungsschub auslösen. Die neuen Formate vermögen die bisherigen, oftmals persönlichen, Veran-
staltungen und Gespräche nicht zu ersetzen; sie können aber eine wertvolle Ergänzung werden.
Darauf deuten auch die Aussagen der direkt betroffenen Projektträger hin: 3 der 5 vertieft be-
trachteten Angebote wollen die digitalen Kommunikationsformen auch zukünftig weiterführen.

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5.2 Empfehlungen
Basierend auf den Ergebnissen formulieren wir zuhanden Gesundheitsförderung Schweiz und
den Projektträgern resp. Evaluationsteams zwei Empfehlungen.

Empfehlung 1: Monitoring der digitalen Formate

Die teils vorgesehenen, teils bereits durchgeführten digitalen Formate der Projekte sollten weiter
evaluiert werden. Denn die bisherigen Erfahrungen sind noch begrenzt. Relevante Fragen sind:

− Welche Formate eignen sich für welche Zielgruppen / welche settings?
− Worauf ist bei der konkreten Umsetzung zu achten?
− Was hat gut funktioniert (Erfolgsfaktoren)?
− Wie wurden Herausforderungen angegangen resp. wie könnten diese gelöst werden?

Ein entsprechendes Monitoring kann dabei über die laufenden Evaluationen erfolgen. So wäre es
aus unserer Sicht zielführend, wenn die Evaluationsinstitute resp. Projektträger (bei Selbstevalu-
ationen) diesen Punkt als Evaluationsfrage aufnehmen. Die Ergebnisse könnten gemeinsam mit
Gesundheitsförderung Schweiz in den jährlichen Reporting-Sitzungen diskutiert und für die Wei-
terentwicklung der Projekte genutzt werden. Darüber hinaus lassen sich allenfalls auch weiterge-
hende resp. übergeordnete Ergebnisse ableiten, die für alle Projektträger relevant sein könnten.

Empfehlung 2: Digitale Formate jeweils mitdenken

Weiter empfehlen wir bei neuen Projekten jeweils die Möglichkeit digitaler Formate als Ergän-
zung zu persönlichen Coachings, Beratungen oder Workshops mitzudenken. Damit ist nicht ge-
meint, dass in jedem Projekt ein digitales Format entwickelt werden soll (dies wäre weder zweck-
mässig noch effizient), sondern dass in jedem Projekt die Möglichkeit reflektiert werden soll, um
sich bewusst dafür oder dagegen zu entscheiden. Operationalisiert werden könnte dies durch eine
entsprechende Frage im Projektantrag für Gesundheitsförderung Schweiz.

Um mögliche digitale Formate auch ausserhalb der bislang vorgenommenen Anpassungen noch
etwas besser zu illustrieren, werden im nachfolgenden Exkurs drei Beispiele von digitalen Prä-
ventionsangeboten vorgestellt – ein ausländisches Beispiel, ein bereichsfremdes und ein fiktives.

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Exkurs: Digitale Formate

Beispiel aus einem anderen Bereich: Money Chat

Das Pilotprojekt Money Chat wurde von der Schuldenprävention der Stadt Zürich, der
Schuldenberatung Kanton Zürich und dem JOB SHOP/ INFO SHOP lanciert und startet
diesen Sommer. Mit einem Online-Chat sollen Personen in finanziellen Schwierigkeiten
oder mit Fragen zu Finanzen unterstützt und beraten werden, mit dem Ziel, eine Verschul-
dung zu verhindern. Das Online-Angebot ergänzt damit das bestehende persönliche Bera-
tungsangebot der Moneythek. Vorteil des Chats liegt insb. in der Niederschwelligkeit des
Angebots (durch die Anonymität sinkt die Hemmschwelle) und der zeitlichen und örtlichen
Flexibilität.

Beispiel aus dem Ausland: App für Menschen mit Suchtproblemen in Thüringen

Ausgelöst durch die Beschränkungen der Corona-Situation hat der Landesfachverband
Drogen- und Suchthilfe die App «Lotsennetzwerk Thüringen» für Menschen mit Sucht-
problemen entwickelt. Sie bietet niedrigschwellige Hilfe für Suchtbetroffene und Angehö-
rige. Die App informiert über regionale Hilfsangebote, in Videos kommen Betroffene zu
Wort und Betroffene und ihre Angehörigen können sich über ihre Erfahrungen austau-
schen. Künftig sollen auch Videos von Ärzten und medizinischen Fachstellen abrufbar sein.
Wichtiger Teil der Anwendung sind die «Lotsen», dies sind Peers, die als Ansprechpartner
zur Verfügung stehen. Vorteile des Pilotprojekts sehen die Zuständigen in der sofortigen
Hilfe (keine Wartezeit bis zum Beratungstermin), der Niederschwelligkeit und der zeitlich
und örtlich unabhängigen Verfügbarkeit.

Fiktives Beispiel: Hybrid-Varianten

Aus unserer Sicht wären mittelfristig auch Hybrid-Varianten eine interessante Möglichkeit.
Ein Beispiel: Ein Workshop mit Fachpersonen (z.B. im Bereich Ernährung) könnte an ei-
nem bestimmten Ort stattfinden und gleichzeitig auf Leinwand in z.B. Jugendtreffs oder
Asylzentren anderer Regionen und Orte übertragen werden. An diesen Orten wären keine
Fachpersonen nötig, sondern eine «Vermittlungsperson» würde genügen. So könnte ein
Vielfaches an Personen erreicht werden und der Charakter eines «Live-Events» mit ent-
sprechendem Austausch zwischen den Teilnehmenden wäre ebenfalls gegeben. Auch bei
knappen Ressourcen könnten solche Angebote zielführend sein. Wenn beispielsweise ein
Video zur Wissensvermittlung vorgängig zu einem Gespräch mit einer Fachperson ange-
schaut würde, könnte die Verbindung zwischen digitaler Nutzung und persönlichem Aus-
tausch ähnliche Ergebnisse liefern wie persönliche Gespräche, aber die Teilnahme von viel
mehr Personen ermöglichen.

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A. Anhang
Fragebogen

1.   Gemäss Bundesamt für Gesundheit zählen ältere Personen, Schwangere sowie Personen mit
     gewissen Vorerkrankungen zu den vom Coronavirus besonders gefährdeten Personen. Ist
     /war ein Einbezug dieser Gruppen in Ihrem Projekt vorgesehen (z.B. im Rahmen eines spe-
     zifischen Angebots für diese Gruppe oder anlässlich von Gesprächen mit Vertreter/innen
     dieser Gruppe)?

     a)   Ja
     b)   Nein → Frage 10

2.   Um welche Gruppe/n handelt es sich konkret? [offene Antwortkategorie]

3.   Haben Sie den Einbezug dieser Gruppe/n in Ihrem Projekt aufgrund der Corona-Pandemie
     angepasst? (Damit ist eine Änderung im Laufe des Projekts gemeint oder auch ein bereits im
     Vorfeld angepasstes Vorgehen. Mehrfachantworten möglich.)

     a)   Ja, wir haben inhaltliche / methodische Änderungen in Bezug auf den Einbezug besonders ge-
          fährdeter Personen vorgenommen (z.B. Nutzung von virtuellen Formaten).
     b)   Ja, wir haben organisatorische Änderungen vorgenommen (z.B. zeitliche Verschiebung).
     c)   Nein, wir haben das Projekt so durchgeführt wie ursprünglich vorgesehen. → Frage 8

4.   Welche Anpassung haben Sie vorgenommen? Bitte beschreiben Sie, was vorgesehen war und
     welche Änderung/en Sie vorgenommen haben resp. vornehmen werden.

     Ursprünglich vorgesehen: [offene Antwortkategorie]
     Änderung: [offene Antwortkategorie]

     Falls Sie Dokumente besitzen (z.B. Evaluationsbericht, Jahresberichte), welche die Ände-
     rung / das neue Vorgehen erläutern, sind wir dankbar, wenn Sie uns diese per E-Mail zusen-
     den.

5.   Haben Sie bereits Erfahrung mit der Anpassung gemacht? (z.B. bereits durchgeführte virtu-
     elle Formate)
     a)   Ja
     b)   Nein → Frage 9

6.   Welche Erfahrungen haben Sie mit der Anpassung gemacht? Bitte beschreiben Sie, was gut
     funktioniert hat, welche Herausforderungen sich gestellt haben und was Sie im Nachhinein
     möglicherweise anders machen würden.

     Positive Elemente (z.B. breiterer Einbezug): [offene Antwortkategorie]
     Herausforderungen (z.B. höherer Aufwand, Selektion): [offene Antwortkategorie]
     Elemente, die wir heute anders machen würden: [offene Antwortkategorie]

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7.   Die Erfahrungen in den Projekten mit dem Einbezug vulnerabler Gruppen werden aufberei-
     tet und möglicherweise in einem Merkblatt von Gesundheitsförderung Schweiz verwendet
     werden. Dürften Ihre Angaben dafür in nicht-anonymisierter Form verwendet werden (z.B.
     als Good Practice)?

     a)   Ja
     b)   Grundsätzlich Ja, aber nur nach Rücksprache
     c) Nein
     → Frage 9

8.   [Frage 3: keine Anpassungen] Würden Sie aus heutiger Sicht eine Anpassung vornehmen?
     a)   Ja
     b)   Nein

     Falls ja: Welche Anpassung wäre das und weshalb?

     Änderung: [offene Antwortkategorie]
     Grund: [offene Antwortkategorie]

9.   Haben Sie weitere Vorschläge zu alternativen Formen des Einbezugs besonders gefährdeter
     Gruppen? [offene Antwortkategorie]

10. Haben Sie (weitere) Anpassungen in Ihrem Projekt aufgrund der Corona-Pandemie vorge-
    nommen? (z.B. in Bezug auf den Einbezug des Gesundheitspersonals oder von Personen,
    welche die Schutzmassnahmen ggf. weniger gut umsetzen können (z.B. Personen mit einer
    Beeinträchtigung))
     a)   Ja
     b)   Nein

     Falls ja: Welche? [offene Antwortkategorie]

11. Dürften wir Sie bei allfälligen weiteren Fragen nochmals kontaktieren?

     a)   Ja: [Kontaktperson, Tel., E-Mail.]
     b)   Nein

Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung.

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Vulnerable Gruppen während der Corona-Pandemie   Ι   Seite 18
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