Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten - Forderungen an Politik & Unternehmen - CorA ...
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IMPRESSUM Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten Forderungen an Politik & Unternehmen Das Positionspapier wurde erarbeitet von: Jana Borkenhagen, Gisela Burckhardt, Marek Burmeister, Heike Drillisch, Gertrud Falk, Sepide Freitag, Gabriele Köhler, Maren Leifker, Benjamin Luig, Mara Mürlebach, Carsta Neuenroth, Franziska Pflüger, Christa Randzio-Plath, Karolin Seitz Redaktion: Karolin Seitz Redaktionelle Mitarbeit: Vera Pokorny und Monika Hoegen Gestaltung: Peer Neumann Stand: Juli 2020 Herausgeber: ASW - Aktionsgemeinschaft Brot für die Welt – Evangelisches Werk Solidarische Welt e.V. für Diakonie und Entwicklung e.V. Potsdamer Straße 89 Caroline-Michaelis-Straße 1 10785 Berlin 10115 Berlin mail@aswnet.de info@brot-fuer-die-welt.de www.aswnet.de www.brot-fuer-die-welt.de CorA-Netzwerk für FEMNET e.V. Unternehmensverantwortung Kaiser-Friedrich-Str. 11 Stresemannstr. 72 53113 Bonn 10963 Berlin info@femnet.de info@cora-netz.de www.femnet.de www.cora-netz.de FIAN Deutschland e.V. Global Policy Forum Europe e.V. FoodFirst Informations- & Aktions-Netzwerk Königstraße 37a Gottesweg 104 53115 Bonn 50939 Köln europe@globalpolicy.org info@fian.de www.globalpolicy.org www.fian.de Entwicklungsprojekte für Frauen – materra -Stiftung Frau & MARIE-SCHLEI-VEREIN e. V. Gesundheit e.V. Grootsruhe 4 Günterstalstraße 20 20537 Hamburg 79100 Freiburg marie-schlei-verein@t-online.de info@materra.org www.marie-schlei-verein.de www.materra.org Plan International TERRE DES FEMMES - Deutschland e.V. Menschenrechte für die Frau e.V. Bramfelder Str. 70 Brunnenstr. 128 22305 Hamburg 13355 Berlin info@plan.de info@frauenrechte.de www.plan.de www.frauenrechte.de TransFair – Verein zur Förderung des Fairen WECF e.V. Deutschland Handels in der Einen Welt e.V. Women Engage for a Common Future Remigiusstr. 21 St.-Jakobs-Platz 10 50937 Köln 80331 München info@fairtrade-deutschland.de annemarie.mohr@wecf.org www.fairtrade-deutschland.de www.wecf.org/de Das Positionspapier ist Teil eines Kooperationsprojekts zwischen dem Global Policy Forum Europe und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, gefördert mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Für den Inhalt sind die Autor*innen allein verantwortlich.
ZUSAMMENFASSUNG Frauen und Mädchen sind in besonderem Maße von den negativen Auswirkungen globalen Wirtschaftens betroffen. Ähnlich diskriminiert sind auch Menschen anderer Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung. Der Fokus des Papiers liegt jedoch auf Frauen und Mädchen wegen ihrer starken Präsenz in zahlreichen Lieferketten. Sie erfahren wirtschaftsbe- zogene Menschenrechtsverletzungen in anderer Weise als Männer. Die Gründe dafür reichen von diskriminierenden sozio-ökonomischen Struk- turen und Praktiken bis hin zu patriarchalen und an Klassenherkunft orien- tierten sozialen und kulturellen Normen. Die globale Corona-Krise und ihre Auswirkungen verstärken die in der Wirtschaft bestehenden Geschlechterungleichheiten und machen sie noch sichtbarer. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben die beson- dere Rolle von Frauen und Mädchen in ihren Initiativen und politischen Debatten zur Vermeidung von wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsver- letzungen bislang zu wenig beachtet. Eine Ausnahme bildet der im Juni 2019 von der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen (UN) zu Wirtschaft und Menschenrechten veröffentlichte Leitfaden zur Gender-Dimension der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Um die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen global zu erreichen, sollten zukünftige politische Maßnahmen, ob auf inter- nationaler, europäischer oder nationaler Ebene, dringend die strukturelle Benachteiligung von Frauen in globalen Wertschöpfungsketten adres- sieren. Ein geschlechtergerechtes Lieferkettengesetz ist der erste Schritt. Es bedarf einer grundsätzlich auf den Abbau von Diskriminierung ausge- richteten Perspektive. Staaten und Unternehmen sollten Maßnahmen ergreifen, die über einen do no harm-Ansatz, das heißt die Verhinderung und Milderung von Frau- enrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten, hinausgehen. Sie sollten Maßnahmen ergreifen, die eine grundlegende Transformation zur Verwirklichung der Rechte von Frauen fördern. Das Lieferkettengesetz muss gewährleisten, dass in allen Bereichen der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht geschlechtsspezifische Aspekte berücksichtigt werden: » Das Lieferkettengesetz sollte klarstellen, dass Unternehmen die in der UN-Frauenrechtskonvention genannten Rechte achten und sich in ihren Grundsatzerklärungen dazu bekennen müssen. » Das Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu verpflichten, bei ihren Risiko- und Folgeabschätzungen geschlechtsspezifisch vorzu- gehen. Dabei sollten sie insbesondere das Risiko von mehrfacher und >>>> 03
>>>> intersektioneller Diskriminierung; von sexualisierter und geschlechts- spezifischer Gewalt; die besonderen gesundheitlichen Herausforderungen für Frauen und Mädchen; sowie die besonderen Risiken, denen Frauen und Mädchen innerhalb des informellen Sektors und aufgrund der weltweiten Ungleichheiten bei der Sorgearbeit ausgesetzt sind, berücksichtigen. » Das Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu verpflichten, geschlechtsspezifi- sche Maßnahmen zu ergreifen, um negative Auswirkungen ihrer Tätigkeiten zu verhindern und im Schadensfall Abhilfe zu leisten. Unternehmen sollten durch ihre Geschäftsbedingungen, direkte Investitionen und Schulungsangebote sicher- stellen, dass ihre Geschäftspartner*innen in der Lage sind, die Menschenrechte einzuhalten und die Standards zur Gleichstellung der Geschlechter zu erfüllen. U.a. zu folgenden Maßnahmen sollten die Unternehmen verpflichtet werden: • Die Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, dass Arbeitneh- mer*innen am Arbeitsplatz vor sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt geschützt werden. Sie sollten Opfern von sexueller Gewalt Zugang zu medizinischer, psychologischer und rechtlicher Versorgung gewähr- leisten. Die Unternehmen sollten all ihre Geschäftspartner*innen zu einer Null-Toleranz gegenüber Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz verpflichten und Sensibilisierungs-Trainings anbieten. • Unternehmen, die im Ausland produzieren lassen, sollten dazu verpflichtet werden, die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte ihrer Angestellten als Aspekt des Arbeitsschutzes anzuerkennen und umfas- sender zu berücksichtigen. • Unternehmen sollten die Gewerkschaftsfreiheit und das Recht auf Kollek- tivverhandlungen insbesondere auch von Arbeitnehmerinnen respek- tieren und aktiv fördern. • Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen, Entgeltgleichheit und existenzsichernde Löhne bei ihren Geschäftspartner*innen hinzuwirken und die Teilhabe an sozialen Sicherungssystemen anzubieten, um der Ungleichheit bei der Sorgearbeit entgegenzuwirken. » Das Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu verpflichten, die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen anhand von geschlechtsspezifisch erhobenen Daten in Konsultation mit betroffenen Frauen, Frauenorganisationen und Expert*innen nachzuverfolgen. 04
» Die Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, sichere und zugängliche Beschwerdemechanismen zu entwickeln, mit denen alle Arbeitnehmer*innen vertraut gemacht werden. Geschlechtsspezifische Hindernisse beim Zugang müssen berücksichtigt werden. • Die Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, von sexueller Gewalt betroffenen Frauen die erforderlichen Informationen über ihre Rechte zur Verfügung zu stellen, wobei geschlechtsspezifi- sche Hindernisse zum Zugang zu berücksichtigen sind. • Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt sollten durch Rechts- beratung unterstützt werden, und im Falle von Mitverantwortung sollte das Unternehmen dazu verpflichtet werden, Prozesskosten zu übernehmen sowie sich an Entschädigungszahlungen bei Rechtsverletzungen zu beteiligen. Neben der Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes sollte die Bundesregierung weitere Maßnahmen ergreifen, um die Rechte von Frauen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte weltweit zu fördern: » Die spezifischen Hindernisse, die Frauen beim Zugang zu Recht vor Gerichten erfahren, müssen berücksichtigt und abgebaut werden. » Die Bundesregierung sollte sich für geschlechtsspezif ische Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen welt- weit einsetzen. » Die Bundesregierung sollte die Stelle eines*einer Beauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte einrichten, der*die das Thema der Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten besonders in seiner*ihrer Arbeit berücksichtigt. » Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, sich für eine ideelle und finanzielle Anerkennung und eine faire Verteilung von Sorgear- beit weltweit einzusetzen, strukturellen Ungleichheiten mittels Gesetz- gebung entgegenzusteuern und faire Rahmenbedingungen weltweit zu fördern. » Die Bundesregierung sollte weitere Maßnahmen gegen Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Schattenf inanzzentren verfolgen, damit Regierungen des Globalen Südens dringend benötigte Ressourcen für die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen zur Verfügung stehen, welche wesentlich für die Bekämpfung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten sind. 05
INHALT 1 Hintergrund 07 1.1 Mangelnde Berücksichtigung von Geschlechtergerechtigkeit durch die Bundesregierung 07 1.2 Referenzen zu völkerrechtlichen Verträgen 08 1.3 Maßnahmen jenseits von do no harm 10 2 Berücksichtigung von Geschlechtergerechtigkeit in einem Lieferkettengesetz 11 2.1 Grundsatzerklärung 11 2.2 Geschlechtergerechte Analyse 11 2.2.1 Mehrfache und intersektionelle Diskriminierung 11 2.2.2 Risiko von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt am Arbeitsplatz 12 Fallbeispiel: Sexualisierte Gewalt in der indischen Textilindustrie 12 2.2.3 Gesundheitsaspekte und ihre Auswirkung auf Frauen und Mädchen 13 Fallbeispiel: Arbeitsbedingungen auf Wein- und Zitrusfarmen in Südafrika 13 2.2.4 Frauen und Mädchen im informellen Sektor 14 2.2.5 Rolle der Sorgearbeit 15 2.3 Geschlechtsspezifische Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe 15 Fallbeispiel: Frauen und Mädchen in der Rohstoffindustrie 16 2.3.1 Null-Toleranz gegenüber sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt 17 2.3.2 Anerkennung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte als Teil des Arbeitsschutzes 17 2.3.3 Gewerkschaftsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen 18 2.3.4 Maßnahmen gegen den Gender Care Gap 18 2.4 Berichterstattung anhand nach Geschlecht erhobenen Daten 18 2.5 Beschwerdemechanismen und Rechtshilfe 18 3 Weitere Maßnahmen 19 3.1 Rechtszugang 19 3.2 Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen 19 3.3 Beauftragte*r für Wirtschaft und Menschenrechte 19 3.4 Förderung fairer Rahmenbedingungen für Sorgearbeit weltweit 19 3.5 Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung 19 Literatur 21 06
1. HINTERGRUND Frauen und Mädchen sind in besonderem Maße Um die Gleichstellung von Frauen und Männern von den negativen Auswirkungen globalen Wirt- in allen Lebensbereichen global zu erreichen, schaftens betroffen. Sie erfahren wirtschaftsbe- sollten zukünftige politische Maßnahmen, ob zogene Menschenrechtsverletzungen in anderer auf internationaler, europäischer oder nationaler Weise als Männer. Die Gründe dafür reichen von Ebene, dringend die strukturelle Benachteiligung diskriminierenden sozio-ökonomischen Struk- von Frauen in globalen Wertschöpfungsketten turen und Praktiken bis hin zu patriarchalen und adressieren. an Klassenherkunft orientierten sozialen und kulturellen Normen. Dies gilt auch für das Lieferkettengesetz, dessen Verabschiedung die Bundesregierung im Koali- Die globale Corona-Krise und ihre Auswirkungen tionsvertrag für den Fall zugesagt hat, dass die verstärken die in der Wirtschaft bestehenden freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen Geschlechterungleichheiten und machen sie nicht ausreicht. noch sichtbarer.1 Die Internationale Arbeitsorga- nisation (ILO) schätzt, dass die Corona-Krise mehr Ein geschlechtergerechtes Lieferkettengesetz ist als 25 Millionen Arbeitsplätze kosten könnte. der erste Schritt. Es bedarf einer grundsätzlich Frauen wird dies besonders treffen, da sie über- auf den Abbau von Diskriminierung ausgerich- proportional am Anfang vieler globaler Wert- teten Perspektive. Ein Lieferkettengesetz muss schöpfungsketten und damit im informellen zur Verwirklichung der Rechte aller Menschen und Niedriglohnsektor vertreten sind. Dieser ist beitragen - unabhängig von ihrem Geschlecht, gekennzeichnet von prekären Beschäftigungs- Sexualität, Hautfarbe, Kaste, Migrationsstatus, verhältnissen, mangelnden sozialen Sicherungs- Behinderung, sozialer Herkunft und Bildungs- systemen und unzureichenden Arbeitsstan- stand. Und es muss Unternehmen dazu anhalten, dards.2 So wurden beispielsweise bereits mehr als diese Rechte zu respektieren. eine Million Textilarbeiter*innen in Bangladesch aufgrund stornierter Aufträge durch transnatio- Darüber hinaus bedarf es weiterer Maßnahmen, nale Unternehmen entlassen.3 Fehlende soziale die die Bundesregierung ergreifen und – in Absicherungen bringen diese Frauen nun an den Zusammenarbeit mit anderen Staaten – interna- Rand des Existenzminimums. tional verankern sollte. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben die besondere Rolle von Frauen und Mädchen 1.1 Mangelnde Berücksichtigung in ihren Initiativen und politischen Debatten von Geschlechtergerechtigkeit zur Vermeidung von wirtschaftsbezogenen durch die Bundesregierung Menschenrechtsverletzungen bislang zu wenig beachtet. Eine Ausnahme bildet der im Juni 2019 Bisher sind die Maßnahmen der Bundesregie- von der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen rung zur Geschlechtergerechtigkeit im Bereich (UN) zu Wirtschaft und Menschenrechten veröf- Wirtschaft und Menschenrechte unzureichend. fentlichte Leitfaden zur Gender-Dimension der So zieht der deutsche Nationale Aktionsplan UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen- Wirtschaft und Menschenrechte (NAP)5 Gleich- rechte.4 Er stellt fest, dass Maßnahmen, die die stellungsfragen nicht ausreichend in Betracht. Gleichstellung der Geschlechter ignorieren, Hinsichtlich der Situation innerhalb Deutsch- Gefahr laufen, Geschlechterungleichheiten noch lands geht der NAP nicht über die Erwähnung zu verstärken. des Gesetzes für gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst sowie die Bekämpfung >>>> 1. United Nations (2020). 2. International Labour Organization (2020). 3. Human Rights Watch (2020). 4. United Nations Human Rights Council (2019), Para- graph 3. 5. Auswärtiges Amt (2017). 07
>>>> von Lohnungleichheit (Gender Pay Gap) hinaus. möglichst viele Unternehmen ein. Die Prinzi- Die Zielvorgaben, die sich die Bundesregierung pien wurden 2010 gemeinsam von UN Women für diese Vorhaben unter anderem mit der Deut- und dem Global Compact formuliert und bieten schen Nachhaltigkeitsstrategie gesetzt hat, sind Unternehmen einen Leitfaden dafür, wie sie die ambitionslos: der Frauenanteil in Aufsichtsräten Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz der börsennotierten und voll mitbestimmten und in der Gesellschaft fördern können. Eine Unternehmen soll bis 2030 von zuletzt 28,4 Evaluierung anlässlich ihres 10-jährigen Beste- auf 30 Prozent steigen; der Verdienstabstand hens hat allerdings ergeben, dass der Unter- (Gender Pay Gap) soll bis 2030 lediglich halbiert zeichnung der freiwilligen Prinzipien wenig Taten werden.6 Diskriminierung und sexualisierte gefolgt sind.8 Wie auch bei anderen Menschen- Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz, die teils rechtsthemen besteht eine große Kluft zwischen enormen Ungleichheiten bei unbezahlter Sorge- der öffentlich propagierten Selbstverpflichtung arbeit (Gender Care Gap), bei Altersabsicherung der Unternehmen zur Einhaltung der Prinzipien (Gender Pension Gap) und Zeitverwendung für und der tatsächlichen Unternehmenspraxis.9 bezahlte und unbezahlte Arbeit (Gender Time Gap) werden nicht adressiert, obwohl sie für den Arbeitsalltag von Frauen auch in Deutschland 1.2 Referenzen zu völkerrechtlichen sehr relevant sind.7 Verträgen Mit Blick auf die internationale Verantwortung Während einerseits die Gender-Dimension in den Deutschlands und die Maßnahmen, die Deutsch- Debatten um Wirtschaft und Menschenrechte land im Rahmen der Entwicklungszusammenar- vernachlässigt wird, gibt es auf der anderen Seite beit treffen will, erwähnt der NAP das Vorhaben, eine Vielzahl an völkerrechtlichen Verträgen und Partner in Entwicklungsländern dabei zu unter- Leitfäden, die konkret einfordern, Geschlechter- stützen, Diskriminierung und Gewalt gegen gerechtigkeit zu berücksichtigen. Sie zeigen auch Frauen sowie andere kulturelle, gesellschaft- auf, wie dieser Forderung seitens des Staates und liche, wirtschaftliche und rechtliche Hürden der Unternehmen nachgekommen werden kann für die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen zu und soll.10 überwinden. Bis zum Jahr 2030 sollen ein Drittel mehr Frauen und Mädchen beruflich qualifiziert Eine zentrale Referenz für die völkerrechtliche werden. Abbildung der Geschlechtergerechtigkeit in der Wirtschaft ist das Menschenrecht auf menschen- Vollkommen zu kurz kommt allerdings die würdige Arbeit (Artikel 23 der Allgemeinen Berücksichtigung von Gleichstellungsf ragen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten bei den Tätigkeiten der deutschen Wirtschaft Nationen). Artikel 23 betont durch den Bezugs- jenseits der Landesgrenzen. Wie können die terminus „Jeder Mensch“ die Gleichheit seiner negativen Auswirkungen deutschen Wirtschaf- Adressaten im Lichte des Geschlechter- und tens gerade auch auf die Rechte von Mädchen Minderheitenschutzes. Hinsichtlich des Rechtes und Frauen im Ausland abgebaut und zukünftig auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit wird mit der verhindert werden? Wie kann das Bewusstsein Formulierung „ohne Unterschied“ eine doppelte für diese Auswirkungen und Ungerechtigkeiten Überbetonung unternommen. geschärft sowie die wirtschaftliche Unabhängig- keit von Frauen weltweit gestärkt werden? Die „Jeder Mensch, ohne Unterschied, Bundesregierung erklärt im NAP, sie fördere aktiv hat das Recht auf gleichen Lohn für die Women’s Empowerment Principles (WEPs) gleiche Arbeit.“ und setze sich für deren Unterzeichnung durch 6. Vgl. auch Birkenkötter, Hannah/Köhler, Gabriele/Obenland, Wolfgang/Stock, Anke (2019). 7. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017). 8. UN Global Compact/BSR (2020). 9. Mohapatra/Gula (2020). 10. Einen detaillierteren Überblick über die einzelnen Allgemeinen Kommentare des UN-Frauenrechtsausschusses und ILO-Übereinkommen, die sich auf Geschlechtergerechtigkeit in der Wirtschaft beziehen, gibt der Leitfaden der 08 UN-Arbeitsgruppe zu Wirtschaft und Menschenrechten „Gender-Dimension of the UN Guiding Principles on Business and Human Rights“.
Weltweit menschenwürdige Arbeitsbedin- also alle Personen, Organisationen oder Unter- gungen sind wesentlich für die Förderung der nehmen - davon abzuhalten, Frauen in jeglichen Geschlechtergerechtigkeit in globalen Wert- Lebensbereichen zu diskriminieren.12 Über die schöpfungsketten. Dabei bedeutet menschen- Jahre hinweg hat der UN-Fachausschuss zur würdige Arbeit mehr als die Einhaltung von Kontrolle der Umsetzung des Übereinkommens ILO-Kernarbeitsnormen. Das Menschenrecht auf mehrere Allgemeine Empfehlungen ausgespro- menschenwürdige Arbeit umfasst: chen, die sich auf Geschlechterungleichheiten und –diskriminierung im Berufsleben beziehen. • Chance auf produktive Arbeit und ein gerechtes Einkommen; Im Jahr 2017 hat der UN-Fachausschuss Deutsch- • Sicherheit am Arbeitsplatz; land dafür kritisiert, seinen extraterritorialen Staa- • Soziale Absicherung für Familien; tenpflichten nicht hinreichend nachzukommen. • Bessere Aussichten für die persönliche In seiner Kommentierung des kombinierten Entwicklung; siebten und achten periodischen Staatenbe- • Freiheit, Sorgen am Arbeitsplatz zu äußern und richts Deutschlands zur Umsetzung der Frau- sich gewerkschaftlich organisieren zu können; enrechtskonvention äußert sich der Ausschuss • Teilnahme an besorgt. Er bemängelt unter anderem die nega- Entscheidungsbildungsprozessen; tiven Auswirkungen deutscher transnationaler • Chancengleichheit der Geschlechter in der Unternehmen, insbesondere von Textil- und Arbeitswelt, das heißt auch gleicher Lohn für großen Agrarkonzernen; die mangelnde Berück- gleiche und gleichwertige Arbeit und Sorge- sichtigung der Gender-Perspektive im Natio- Verantwortung der Unternehmen. nalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschen- rechte; den begrenzten Zugang zu rechtlicher Deutschland hat sich durch die Ratifizierung des Abhilfe für Frauen, deren Menschenrechte durch Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale deutsche Unternehmen verletzt wurden, und und kulturelle Rechte verbindlich zu diesen Prin- das Fehlen von Folgeabschätzungen vor Beginn zipien verpflichtet. von Verhandlungen über internationale Handels- und Investitionsabkommen, die explizit Frauen- Die bislang umfangreichste Anleitung für Staaten rechte berücksichtigen.13 und Unternehmen zur Berücksichtigung von Gender-Aspekten hat die UN-Arbeitsgruppe für Auch die Internationale Arbeitsorganisation Wirtschaft und Menschenrechte mit Veröffentli- (ILO) hat über die Jahre hinweg mehrere Stan- chung ihres Berichts 2019 zur Verfügung gestellt, dards zur Geschlechtergerechtigkeit entwickelt, in dem sie entlang jedes einzelnen Prinzips der so zuletzt im Juni 2019 das ILO-Übereinkommen 31 Leitprinzipien die Gender-Dimension und die 190 gegen Gewalt und sexuelle Belästigung am erforderlichen Maßnahmen zu deren Berücksich- Arbeitsplatz. Das Übereinkommen ist damit der tigung darstellt.11 erste internationale Vertrag, der das Recht aller Menschen auf eine Arbeitswelt ohne Gewalt und Das im Jahr 1979 verabschiedete Überein- Belästigung festschreibt und Wege zur Verwirk- kommen der Vereinten Nationen zur Beseiti- lichung aufzeigt. Die deutsche Bundesregierung gung jeder Form von Diskriminierung der Frau hat zugesichert, das Übereinkommen zeitnah zu (CEDAW, auch als „Frauenrechtskonvention“ ratifizieren. Bereits seit 1996 gibt es das ILO-Über- bezeichnet) verpflichtet die Vertragsstaaten einkommen 177 über Heimarbeit, das Vorgaben dazu, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, zu Arbeitsbedingungen und –rechten in ausge- um nicht nur selbst nicht gegen den Gleichheits- lagerten Produktionsprozessen macht. Deutsch- grundsatz zu verstoßen, sondern auch Dritte - land hat es noch nicht ratifiziert. >>>> 11. UNDP/UN Working Group on Business and Human Rights (2019). 12. United Nations General Assembly (1979), insbes. Artikel 2(e) und Artikel 11. 13. Committee on the Elimination of Discrimination against Women (2017), Para. 15. 09
>>>> Weitere Standards, zu deren Verwirklichung 1.3 Maßnahmen jenseits von do no harm sich die Staatengemeinschaft verpflichtet hat, sind die Pekinger Erklärung und Aktionsplatt- Staaten und Unternehmen sollten Maßnahmen form (Beijing Declaration and Platform for ergreifen, die über einen do no harm-Ansatz, das Action) zum Abschluss der vierten Weltfrauen- heißt die Verhinderung und Milderung von Frau- konferenz 199514 und die Agenda 2030 für nach- enrechtsverletzungen in globalen Wertschöp- haltige Entwicklung der Vereinten Nationen fungsketten, hinausgehen. Sie sollten Maßnahmen und ihre 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung ergreifen, die eine grundlegende Transformation (SDGs), insbesondere SDG5, SDG8, SDG10. 15 zur Verwirklichung der Rechte von Frauen fördern. Klima- und umweltpolitisch relevant für Dazu gehören Maßnahmen, die die zugrunde- menschenwürdige Arbeitsbedingungen sind liegenden diskriminierenden Machtstrukturen außerdem SDG13 und das Pariser Klimaüber- verändern und ein Umfeld schaffen, in welchem einkommen. Frauen auf gleichberechtigter Basis Zugang zu allen Möglichkeiten haben und wirtschaftliche Neben den Women's Empowerment Prin- Unabhängigkeit erlangen können. Dies beinhaltet ciples zeigen auch weitere auf Freiwilligkeit beispielsweise menschenwürdige Arbeitsbedin- beruhende Handlungsanleitungen und Leit- gungen und existenzsichernde Löhne für Frauen; linien wie die OECD Due Diligence Guidance die Unterstützung von Frauen beim Zugang zu for Responsible Business Conduct16 und die Führungspositionen in Unternehmen; die Förde- OECD Due Diligence Guidance for Responsible rung der Lohngleichheit; angemessene Einrich- Supply Chains in the Garment and Footwear tungen für die persönliche Hygiene; Maßnahmen Sector17 auf, wie Unternehmen Gender-Fragen zur Achtung des Rechts auf sexuelle und repro- in ihre menschenrechtliche Sorgfalt integrieren duktive Gesundheit und Selbstbestimmung; können. Schutz vor Gewalt; Klima- und Umweltschutz; sowie die Vermeidung von Gender-Stereotypen bei Verkauf und Marketing von Produkten. 14. United Nations (1995). 15. United Nations (2015). 16. OECD (2018). 17. OECD (2017). 10
2. BERÜCKSICHTIGUNG VON GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN EINEM LIEFERKETTENGESETZ Das Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu 2.2 Geschlechtergerechte Analyse verpflichten, menschenrechtliche und umwelt- bezogene Sorgfaltspflichten einzuhalten. Dazu Das Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu gehört gemäß der UN-Leitprinzipien für Wirt- verpflichten, bei ihren Risiko- und Folgeabschät- schaft und Menschenrechte18 zungen geschlechtsspezifisch vorzugehen. Dazu sollten sie Konsultationen mit potenziell betrof- • eine Grundsatzerklärung zur Achtung fenen Frauen, Frauenorganisationen, Gewerk- der Menschenrechte; schaften inklusive Gewerkschaftsf rauen und • die Durchführung menschenrechtlicher Menschenrechtsverteidigerinnen durchführen, Risikoanalysen und Folgeabschätzungen; um tatsächliche oder potenziell negative Auswir- • das Ergreifen von Gegenmaßnahmen, um kungen auf die Rechte von Frauen entlang der Beeinträchtigungen zu verhindern und entsprechenden Lieferkette zu ermitteln. Dies bereits bestehende zu beenden, abzumil- muss auch die Frauen, die im informellen Sektor dern und wiedergutzumachen; arbeiten, einbeziehen. Zudem muss berücksich- • die Berichterstattung über die identifizierten tigt werden, dass Unternehmen möglicherweise Risiken und ergriffenen Maßnahmen; unbeabsichtigt bestehende geschlechtsspe- • die Einrichtung von Beschwerdemecha- zif ische Ungleichheiten gerade auch gegen- nismen, die Betroffene nutzen können. über Frauen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, durch ihre Aktivitäten verstärken. Das Lieferkettengesetz muss gewährleisten, dass in all diesen Bereichen geschlechtsspezi- In ihrer Analyse sollten Unternehmen unter f ische Aspekte berücksichtigt werden. Denn anderem die folgenden Risiken und Aspekte für die Verwirklichung von Frauenrechten sind berücksichtigen: zwar in erster Linie die Staaten zuständig, doch kommen sie dem aus verschiedenen Gründen oft 2.2.1 Mehrfache und intersektionelle nur unzureichend nach. Unternehmen müssen Diskriminierung dafür Sorge tragen, dass sie sich mit ihrer Tätig- keit nicht an den bestehenden Rechtsverlet- Geschlechtergerecht auf die globalen Wert- zungen beteiligen bzw. ihnen mit angemessenen schöpfungsketten zu schauen bedeutet, diskri- Maßnahmen begegnen. minierende Realitäten anzuerkennen. Nicht nur Frauen – das heißt, Personen, die als Frauen sozialisiert wurden und/oder sich als solche 2.1 Grundsatzerklärung identifizieren – sind besonders von den nega- tiven Auswirkungen unternehmerischer Prak- Das Lieferkettengesetz sollte klarstellen, dass tiken betroffen. Auch Menschen, die sich als Unternehmen als Teil der international aner- lesbisch, schwul, bi, trans, queer oder inter iden- kannten Menschenrechtsabkommen und ILO- tifizieren (LGBTQI*), tragen häufig einen hohen Kernarbeitsnormen die in der UN-Frauenrechts- Schaden davon.20 Unreflektiertes unternehme- konvention genannten Rechte achten und sich risches Handeln kann bestehende Ausschluss- in ihren Grundsatzerklärungen dazu bekennen und Ausbeutungsstrukturen verschlimmern. müssen. Unternehmen sollten die Gleichstellung Hinzu kommt, dass sich Diskriminierungsme- der Geschlechter als Querschnittsaufgabe in alle chanismen häufig überlagern und verstärken. Unternehmenspolitiken, Prozesse und Strategien Eine Person kann beispielsweise gleichzeitig von integrieren.19 Sexismus und Diskriminierung aufgrund ihrer sozialen Herkunft oder sozialen Position (sog. Klassismus) betroffen sein. Ein Beispiel für eine >>>> 18. United Nations (2011). 19. UNDP/UN Working Group on Business and Human Rights (2019), Prinzip 15 und 16. 20. Feminists for a Binding Treaty (2018). 11
>>>> solche Mehrfachdiskriminierung ist das Camp FALLBEISPIEL Labour-System im südindischen Tamil Nadu: Hier Sexualisierte Gewalt werden Mädchen und junge Frauen aus unter- in der indischen privilegierten, einkommensarmen Familien in Textilindustrie Garn-Spinnereien regelrecht versklavt. 21 Auch Rassismus spiegelt sich in Lieferketten wider: Viele Unternehmen verlagern ihre Produktion gezielt in Länder mit niedrigen Löhnen und Sozi- alstandards. Häufig sind dies Länder im Globalen Süden. Arbeitsrechtliche Aspekte können so aus der eigenen Verantwortung ausgegliedert werden. Dies ist Teil einer globalisierten und – inzwischen als „normal“ und „marktgerecht“ empfundenen – rassistischen Diskriminierung, die Arbeiter* innen im Globalen Süden nicht die gleichen Rahmenbedingungen menschen- würdiger Arbeit zugesteht, die in Deutschland gelten.22 2.2.2 Risiko von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt am Arbeitsplatz Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt Indien ist zweitgrößter Exporteur von Textilien gehört zu den weltweit häufigsten Menschen- und Bekleidung. Die Textilindustrie beschäftigt rechtsverstößen und erschüttert die Würde, 45 Millionen Inder*innen. 70 Prozent dieser Autonomie und Unabhängigkeit der Betrof- Beschäftigten sind Frauen.24 Sie arbeiten fenen. Sie richtet sich vor allem gegen Frauen, auf Baumwollfeldern, in Spinnereien und Kinder und LGBTQI*. Die Täter sind meist Nähereien unter menschenunwürdigen Männer. Sexualisierte und geschlechtsspezif i- Bedingungen und zu sehr geringen Löhnen. sche Gewalt ist Ausdruck ungleicher Machtbe- Das Arbeitspensum ist hoch: der Druck, immer ziehungen zwischen den Geschlechtern. Rund mehr und schneller in kürzeren Lieferzeiten zu 35 Prozent aller Mädchen und Frauen über 15 produzieren, ist in allen Fabriken gewachsen. Jahren weltweit – 818 Millionen Frauen – haben Die staatlich festgesetzten Mindestlöhne unter physischer und/oder sexueller Gewalt zu reichen nicht zum Überleben, deshalb leiden.23 Zwischen 40 und 50 Prozent von ihnen machen Frauen zahlreiche Überstunden, sind unerwünschten sexuellen Annäherungsver- um ihre Familien ernähren zu können. suchen, körperlichen Kontakten oder anderen Krankheitstage werden selten bezahlt.25 Formen von sexueller Belästigung am Arbeits- platz ausgesetzt. Die weiblichen Beschäftigten sehen sich jedoch nicht nur mit diesen ungerechten Bedingungen konfrontiert, sondern sind als Frauen mehrfach von Diskriminierung und Machtungleichheiten betroffen. Patriarchale Gesellschaftsstrukturen zeigen sich auch >>>> 21. Anibel Ferus-Comelo (2016). 22. Tsing (2009). 23. World Health Organization/Department of Reproductive Health and Research/London School of Hygiene and Tropical Medicine/South African Medical Research Council (2013). 24. FEMNET (2020a). 25. Ebd. 12
>>>> in den Fabriken, weshalb Frauen als Beschäftigte besonders gefährdet sind, Opfer von Übergriffen durch männliche Vorgesetzte und Aufseher zu werden. Das Risiko von Misshandlungen, Schlägen, sexueller Belästigung, Beschimpfungen und Drohungen ist für Frauen im Vergleich zu Männern besonders hoch.26 Die Geschlechtlichkeit spielt eine enorme Rolle für die Erfahrung von Ungleichheit und Diskriminierung am Arbeitsplatz. Geschlechtssensible Risiko- und Folgeabschätzungen würden helfen, die diskriminierenden Praktiken zu identifizieren und ihnen entgegenzuwirken. Eine Null-Toleranz 60-70 Wochenstunden, oft mit aufgezwungenen gegenüber Belästigung und Gewalt am Überstunden. Ein Recht auf Gesundheitsversor- Arbeitsplatz, Sensibilisierungstrainings gung oder Zugang zu medizinischer Betreuung sowie verbesserter Zugang zu während der Arbeitszeit existiert häufig nicht, so medizinischer, psychologischer dass die Frauen gezwungen sind, ihre Gesund- und rechtlicher Versorgung für heit zu vernachlässigen. Betroffene von sexualisierter Gewalt sind dringend notwendig, um Arbeiterinnen wirksam zu schützen. FALLBEISPIEL Arbeitsbedingungen auf Wein- und 2.2.3 Gesundheitsaspekte und Zitrusfarmen in ihre Auswirkung auf Frauen Südafrika28 und Mädchen Viele der Arbeitsgänge in den Sektoren mit hohem Frauenanteil, beispielsweise in der Textil- und Bekleidungs-, Elektronik- und Die Produktion von Wein und der Anbau von Nahrungsmittelindustrie, 27 sind besonders Zitrusfrüchten gehören zu den wichtigsten gesundheitsschädlich. Die Arbeit mit Pesti- Exportzweigen der südafrikanischen ziden auf Blumenplantagen, das Gerben oder Landwirtschaft. Insbesondere Deutschland Färben von Leder oder Stoffen oder das Löten und die EU sind wichtige Zielmärkte. Die von Mikrochips haben unmittelbare Auswir- Arbeits- und Lebensbedingungen der kungen auf die Gesundheit. Fabrikhallen sind Arbeiter*innen in diesen Sektoren sind bis häuf ig voller Staubpartikel, ohne Belüftung heute tief geprägt von dem rassistischen und oft ohne Toiletten. In manchen Betrieben und patriarchalen Arbeitsregime aus fehlen selbst minimale Sicherheitsvorkeh- Apartheidszeiten. Vielfach lebten die Familien rungen. Psychisch schädlich sind der enorme aus den Coloured-Gemeinschaften als Zeitdruck und exzessive Arbeitszeiten mit häufig >>>> 26. FEMNET (2020b). 27. Bamber/Staritz (2016). 28. Die folgenden Fallbeispiele werden in Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausführlicher dokumentiert werden. 13
>>>> >>>> Arbeitskräfte in Unterkünften auf den Eine weitere Dimension der massiven Farmen der weißen Landbesitzer.29 Die Diskriminierung zwischen den weißen Farmer betrachteten nicht nur Geschlechtern zeigte sich auf mehreren die männlichen Beschäftigten, sondern Weinfarmen im Westkap, die auch für die Arbeiterfamilien im Ganzen als den deutschen Weinmarkt produzieren. verfügbare Arbeitskrafteinheiten.30 Auf den Farmen werden eine Reihe hochgefährlicher Pestizide verwendet, Diese Arbeitsteilung zwischen den beispielsweise das Totalherbizid Paraquat, Geschlechtern führt bis heute zu das von der Weltgesundheitsorganisation massiven Formen der Diskriminierung als akut toxisch eingestuft wird am Arbeitsplatz, die gegen und in der EU verboten ist. Zudem südafrikanisches Arbeitsrecht ebenso erhalten die Arbeiter*innen nach verstoßen wie gegen die freiwilligen übereinstimmenden Aussagen keine Nachhaltigkeitsstandards, mit denen ausreichende Schutzkleidung. Daher die Exportfarmen zertifiziert sind. Auf besteht dort ein immer wiederkehrender mehreren Zitrusfarmen im Ostkap Konflikt zwischen Management und des Landes berichten Arbeiterinnen, Arbeiter*innen über die Frage, zu dass ihnen der bezahlte Mutterschutz welchem Zeitpunkt nach Verwendung verwehrt wird. Sie setzen für die Zeit von Pestiziden die Arbeiter*innen die der Schwangerschaft und der Geburt Felder wieder betreten sollten. Während die Arbeit unbezahlt aus bis das Kind die männlichen festangestellten sechs Monate alt ist. Danach nehmen Arbeiter sich weigern, in den Stunden sie die Arbeit wieder auf, jedoch erhalten danach die Felder wieder zu betreten, sie keine feste Anstellung. Für die trauen sich die vor allem temporär Arbeiterinnen auf den untersuchten beschäftigten weiblichen Arbeiterinnen Zitrusfarmen gibt es in der Regel keine nicht, sich den Anweisungen des Toiletten. Sie müssen ihre Notdurft im Managements zu widersetzen. freien Feld verrichten, was als äußerst entwürdigend empfunden wird. 2.2.4 Frauen und Mädchen Ländern sind bis zu 90 Prozent der arbeitenden im informellen Sektor Frauen im informellen Sektor tätig, sei es in der Landwirtschaft, im Handel oder als Kleinunter- Weltweit sind zwei Milliarden Menschen – nehmerinnen. In der Region Asien-Pazifik liegt 61 Prozent der Beschäftigten - im informellen der Anteil bei zwei Drittel, vorwiegend Heimar- Sektor tätig, davon 740 Millionen Frauen. 31 Das beiterinnen für die Bekleidungsindustrie.33 globale Verhältnis überdeckt allerdings wich- tige Ungleichheiten und wird durch Zahlen der Neben niedrigen Einkommen ist der infor- großen Länder wie China und Russland verzerrt. melle Sektor davon geprägt, dass Sicherheit am Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil Arbeitsplatz oder Arbeitszeitregelungen meist der informell beschäftigten Frauen gerade im nicht gewährleistet sind. Sozialstandards wie Globalen Süden höher ist als der Anteil informell Absicherungen für den Krankheitsfall, Unfälle, beschäftigter Männer.32 In einigen afrikanischen Mutterschaft- und Stillzeit, Arbeitslosigkeit sowie 29. In Südafrika wird gemeinhin zwischen den von den Khoi abstammenden Coloured-Bevölkerungsgruppen und den schwarzen Bevölkerungsgruppen unterschieden. 30. Visser (2016). 31. International Labour Office (2018) und United Nations (2020). 32. WIEGO (n/a). Siehe auch Chen (2020). 33. International Labour Office (2018). 14
Altersvorsorge fehlen oder werden nicht einge- anderem dazu, dass Frauen eher in Teilzeit und halten. Es gibt keinen Schutz vor sexualisierter Minijobs arbeiten und seltener Führungsposi- und geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Frauen tionen erreichen. Selbst bei gleicher Tätigkeit können sich kaum gewerkschaftlich organisieren werden Frauen oft schlechter bezahlt als Männer. und sind häufig der Willkür der Auftraggeber und Abnehmer ausgeliefert. So werden beispiels- Fehlende soziale Absicherung und fehlender weise viele Heimarbeitende in der Textilindustrie Zugang zu öffentlicher Infrastruktur für Kinder- nach abgelieferten Stücken bezahlt.34 Es gibt aber betreuung, Schulen, Pflegeeinrichtungen und weder einen Anspruch auf Arbeit noch auf Bezah- Gesundheitsversorgung, aber auch fehlende lung, wenn Aufträge ausfallen oder der Auftrag- Vorgaben und Richtlinien zu Schwanger- geber die Lieferung nicht bezahlt, wie dies in der schaftsurlaub, Elternzeit, familienf reundlichen derzeitigen Corona-Krise häufig der Fall ist. Arbeitsbedingungen und der Wahrung gleicher Bezahlung für gleichwertige Arbeit sowie zu Die prekären Beschäftigungsbedingungen im existenzsichernden Löhnen sind unter anderem informellen Sektor – ob auf Plantagen, in Minen, Ursachen für den Gender Care Gap. im Haushalt - reichen bis hin zu modernen Formen der Sklaverei und Zwangsarbeit. Von Die Klimakrise wird dazu führen, dass insbeson- den schätzungsweise rund 25 Millionen weltweit dere Frauen und Mädchen im Globalen Süden von Zwangsarbeit Betroffenen sind mehr als 57 noch mehr Zeit für die Pflege- und Fürsorgear- Prozent Frauen und Mädchen.35 beit aufbringen müssen, da beispielsweise verrin- gerte Wasservorkommen die Wege zum Wasser- 2.2.5 Rolle der Sorgearbeit holen verlängern.40 Weltweit wenden Frauen im Durchschnitt Die Art und Weise, wie Gesellschaft, Wirtschaft dreimal mehr Stunden pro Tag für unbezahlte und Politik mit Fragen der Sorgearbeit umgehen, Sorgearbeit auf als Männer.36 In verschiedenen hat Auswirkungen auf die Verwirklichung der Regionen variieren die Zeitangaben zwischen Gleichstellung der Geschlechter. So können zwei bis zehnmal mehr aufgewendete Zeit. entweder Wahlmöglichkeiten von Frauen und Sorgearbeit umfasst dabei Betreuungs- und Männern erweitert werden oder Frauen auf Hausarbeiten. traditionelle Rollen beschränkt und strategisch benachteiligt werden.41 Die ungleiche Verteilung Das bedeutet einerseits, dass Frauen weniger unbezahlter Pflegearbeit zwischen Frauen und Zeit für bezahlte Lohnarbeit, Bildung und Freizeit Männern bremst die wirtschaftliche Emanzipa- zur Verfügung steht und sich so geschlechtsspe- tion und das Wohlergehen von Frauen weltweit. zifische sozioökonomische Benachteiligungen verstärken. Andererseits bedeutet es, dass Frauen oft zusätzlich zu ihren unbezahlten Sorgetätig- 2.3 Geschlechtsspezifische keiten einer bezahlten Lohnarbeit nachgehen Maßnahmen zur Prävention (müssen). So entsteht eine Doppelbelastung für und Abhilfe Frauen.37 Die Durchführung von genderspezif ischen Im globalen Durchschnitt verdienen Frauen 23 Risiko- und Folgeabschätzungen allein ist nicht Prozent weniger als Männer.38 Die Ungleichheit ausreichend, um der besonderen Rolle und bei der Sorgearbeit ist eine wesentliche Ursache strukturellen Benachteiligung von Frauen und für die extreme Lohnungleichheit. 39 So führen Mädchen in globalen Wertschöpfungsketten die Verpflichtungen bei der Sorgearbeit unter Rechnung zu tragen. >>>> 34. WIEGO (2020). 35. International Labour Organization and Walk Free Foundation (2017), Abbildung 2, S. 23. 36. Secretary General, United Nations Economic and Social Council (2019). 37. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020). 38. UN Women (2018), S. 109. 39. Laut Studien ist die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit für 30 Prozent der Lohnungleichheit verantwortlich, vgl. Malghan/Swamminathan (2016). 40. Oxfam Deutsch- land (2020).41. OECD (2014). 15
>>>> Es müssen Maßnahmen zur Prävention und Frauen haben auf politischer Ebene oftmals Abhilfe von den Unternehmen durchgeführt kein Mitspracherecht und werden daher werden. Dabei müssen die Erkenntnisse aus den kaum in Entscheidungsprozesse von Risiko- und Folgeabschätzung in alle relevanten Regierungen und lokalen Führungskräften, Unternehmensprozesse integriert werden. Das zum Beispiel über neue Projekte zum Abbau Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu von Rohstoffen, eingebunden. Frauen sind verpflichten, geschlechtsspezifische Maßnahmen häufig Hauptversorgerinnen ihrer Familien. zu ergreifen, um negative Auswirkungen zu Landnahme durch die Rohstoffindustrie verhindern. Dazu gehört beispielsweise die und deren negative Umweltfolgen wirken Veränderung eines laufenden Projekts, um nach- sich daher in mehrerlei Hinsicht anders und teilige Auswirkungen auf Frauen zu verhindern, schwerwiegender auf sie aus. Kommt es zu oder die Bereitstellung wirksamer Abhilfe, wenn Umweltverschmutzungen, müssen Frauen mehr die nachteiligen Auswirkungen bereits einge- Zeit und Aufwand aufbringen, um ihre Familie treten sind. Die Verantwortlichkeit für Risiko- mit Wasser und Nahrungsmitteln zu versorgen.42 und Folgeabschätzungen ebenso wie für die Bei Krankheits- und Verletzungsfällen erhöht Maßnahmen sollte bei der Geschäftsführung im sich die soziale Belastung, da Frauen in der Unternehmen angesiedelt sein. Regel die Pflege übernehmen.43 Im Kontext der Rohstoffindustrie sind Frauen oftmals Unternehmen sollten durch ihre Geschäftsbedin- sexueller Belästigung, Gewalt, Ausbeutung gungen, direkte Investitionen und Schulungs- und Diskriminierung ausgesetzt.44 angebote sicherstellen, dass ihre Geschäftspart- ner*innen in der Lage sind, die Menschenrechte Ein Vorfall in den Nchanga-Kupferminen in nicht zu verletzen und die Standards zur Gleich- Sambia verdeutlicht die genderspezifischen stellung der Geschlechter zu erfüllen. Auswirkungen in dem Sektor. So werfen die Bewohner*innen des Dorfes Chingola dem Unternehmen Konkola Copper FALLBEISPIEL Mines, Tochtergesellschaft des britischen Frauen und Mädchen Rohstoffkonzerns Vedanta Resources in der Rohstoffindustrie PLC, eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Existenzgrundlage aufgrund von andauernder Umweltverschmutzung durch das Unternehmen vor.45 Aufgrund bestehender patriarchaler Gerade Frauen und Mädchen seien am Strukturen genießen Frauen das stärksten von den Auswirkungen betroffen, Potential der Rohstoffindustrie in Form da sie aufgrund des verunreinigten Flusses von Arbeitsplätzen und Einkommen Kafue gezwungen seien, sich nach einer nur in geringem Ausmaß. Gleichzeitig alternativen Wasserquelle für ihren Bedarf sind sie unverhältnismäßig stark von bei der täglich anfallenden Hausarbeit den vielfältigen negativen politischen, umzusehen. Einigen Eigentümern von ökologischen, sozialen und ökonomischen verunreinigten Gemüsegärten wurde eine Auswirkungen betroffen, die ihre Entschädigung gewährt, jedoch beklagen Lebensgrundlage gefährden. die Frauen des Dorfes, dass sie nicht fair an den Verhandlungen beteiligt waren.46 >>>> 42. Women’s Rights and Mining (n/a).. 43. Seitz, Karolin (2019). 44. Action Aid Zambia (2015). 45. Supreme Court UK (2019). 46. SDG Watch Europe (2019). 16
>>>> >>>> Aufgrund des hohen Maßes an Hätte der britische Rohstoffkonzern Kontrolle und Führung über das Vedanta eine angemessene Risiko- sambische Tochterunternehmen und Folgeabschätzung entlang werfen die Kläger*innen dem seiner Lieferkette durchgeführt britischen Mutterkonzern Vedanta und die Frauen im Vorfeld an den Fahrlässigkeit und Verletzung ihrer Konsultationsprozessen und der Pflicht zur Achtung von Gesundheits-, Risikobeurteilung beteiligt, hätten die Sicherheits- und Umweltstandards vor.47 Schäden und die besonderen negativen Die Bewohner*innen der betroffenen Auswirkungen auf Frauen identifiziert Ortschaften brachten ihre Forderungen und verhindert werden können. nach Schadensersatz vor den britischen Im Rahmen einer gendersensiblen High Court. Nach einer Berufung durch unternehmerischen Sorgfaltspflicht mit Vedanta erließ der Supreme Court entsprechenden geschlechtsspezifischen im April 2019 einen bahnbrechenden Mechanismen hätten Frauen auch Beschluss, der den Dorfbewohner*innen in den Verhandlungen hinsichtlich das Recht einräumte, Vedanta in der Entschädigungsleistungen Großbritannien zu verklagen.48 berücksichtigt werden müssen - auch wenn möglicherweise keine formellen rechtlichen Ansprüche auf das Land bestehen.49 2.3.1 Null-Toleranz gegenüber 2.3.2 Anerkennung sexueller und sexualisierter und reproduktiver Gesundheit und geschlechtsbasierter Gewalt Rechte als Teil des Arbeitsschutzes In Übereinstimmung mit dem ILO-Überein- Unternehmen, die im Ausland produzieren kommen Nr. 190 über Gewalt und Belästigung lassen, sollten dazu verpflichtet werden, die müssen Unternehmen sicherstellen, dass Arbeit- sexuelle und reproduktive Gesundheit und nehmer*innen am Arbeitsplatz vor sexualisierter Rechte ihrer Angestellten als Aspekt des Arbeits- und geschlechtsbasierter Gewalt geschützt schutzes anzuerkennen und umfassender zu werden und Zugang zu medizinischer, psycholo- berücksichtigen. Dazu gehören Regelungen gischer und rechtlicher Versorgung haben, falls zur Arbeit während der Schwangerschaft, zu sie Opfer von sexualisierter und geschlechtsba- Mutterschaftsurlaub und Stillen während der sierter Gewalt werden. Arbeitszeit gemäß dem ILO-Übereinkommen Nr. 183. Es umfasst auch die Bereitstellung sani- Die Unternehmen sollten all ihre Geschäfts- tärer Anlagen, die Privatsphäre gewährleisten partner* innen zu einer Null-Toleranz gegen- und den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen über Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz während der Menstruation gerecht werden. Und verpflichten und Sensibilisierungstrainings es beinhaltet, Informationen und Dienstleis- anbieten. Sie sollten Opfern von sexueller Gewalt tungen im Bereich der sexuellen und reproduk- Zugang zu medizinischer, psychologischer und tiven Gesundheit bereitzustellen. Solche Informa- rechtlicher Versorgung gewährleisten. tionen sowie der Zugang zu modernen, sicheren und wirksamen Verhütungsmethoden und dem >>>> 47. Supreme Court UK (2019). 48. Sambo, Pamela Towela (2019). 49. The Danish Institute for Human Rights (2019). 17
>>>> Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten hörigkeit, Religionszugehörigkeit, Behinderung, fördern nicht nur die Gesundheit, sondern auch Migrationshintergrund, sexuelle Orientierung die Gleichstellung aller Arbeitnehmer*innen. oder Zugehörigkeit zu anderen Minderheiten. Die Unternehmen sollten sicherstellen, dass auch 2.3.3 Gewerkschaftsfreiheit und ihre Geschäftspartner*innen geschlechtsspezifi- Recht auf Kollektivverhandlungen sche Daten erheben und diese veröffentlichen. Unternehmen sollten die Gewerkschaftsf rei- heit und das Recht auf Kollektivverhandlungen 2.5 Beschwerdemechanismen respektieren und aktiv fördern. Dazu gehört, dass und Rechtshilfe Arbeitnehmer*innen, die als Gewerkschaftsmit- glieder und/oder Arbeitnehmervertreter*innen Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, tätig sind, weder Diskriminierung noch Druck sichere und zugängliche Beschwerdemecha- ausgesetzt werden. Unternehmen sollten darauf nismen zu entwickeln, mit denen alle Arbeitneh- achten, dass Frauen mit ihren Belangen ausrei- mer* innen vertraut gemacht werden. Frauen chend gehört werden. sehen sich häuf ig spezif ischen Hindernissen wie Sprache, Alphabetisierungsgrad, Zugangs- 2.3.4 Maßnahmen gegen den möglichkeiten zu Informationen und digitaler Gender Care Gap Technologie, Mobilität und Zeitmangel aufgrund unbezahlter Sorgearbeit gegenüber. Beschwer- Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, demechanismen müssen diese berücksichtigen auf familienf reundliche Arbeitsbedingungen und so ausgestaltet sein, dass auch Frauen einen bei ihren Geschäftspartner*innen hinzuwirken niedrigschwelligen Zugang zu ihnen haben. und soziale Sicherungssysteme anzubieten und damit dem Gender Care Gap entgegenzuwirken. Zudem sollten die Unternehmen dazu verpflichtet Das beinhaltet unter anderem die Entgeltgleich- werden, von sexueller Gewalt betroffenen Frauen heit und existenzsichernde Löhne, Regelungen die erforderlichen Informationen über ihre Rechte zu Schwangerschaftsurlaub und Elternzeit, fami- zur Verfügung zu stellen, wobei Zugang zu Infor- lienkompatible Arbeitszeiten, Kinderbetreuung mationen, Sprachen und Alphabetisierungsgrad am Arbeitsplatz und Urlaubstage für die Pflege zu berücksichtigen sind. Darin enthalten sein kranker Familienmitglieder. sollten auch Informationen über geschlechts- spezifische Diskriminierung sowie nationale und internationale Gesetzgebung. 2.4 Berichterstattung anhand nach Geschlecht erhobener Daten Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt sollten durch Rechtsberatung unterstützt werden, und Das Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu im Falle von Mitverantwortung sollte das Unter- verpflichten, die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen nehmen dazu verpflichtet werden, Prozesskosten anhand von geschlechtsspezif isch erhobenen zu übernehmen sowie sich an Entschädigungs- Daten (z. B. Gender Pay Gap) in Konsultation mit zahlungen bei Rechtsverletzungen zu beteiligen. betroffenen Frauen, Frauenorganisationen und Expert*innen nachzuverfolgen und diese Daten den Betroffenen in zugänglicher Form zur Verfü- gung zu stellen. Die Daten sollten je nach Kontext auch nach weiteren Faktoren aufgeschlüsselt werden wie beispielsweise Alter, Kastenzuge- 18
3. WEITERE MASSNAHMEN Neben der Verabschiedung eines Lieferketten- gerechtigkeit in globalen Lieferketten besonders gesetzes sollte die Bundesregierung weitere in seiner*ihrer Arbeit berücksichtigt. Maßnahmen ergreifen, um die Rechte von Frauen im Bereich Wirtschaft und Menschen- rechte weltweit zu fördern. Gemäß den interna- 3.4 Förderung fairer Rahmen- tionalen Menschenrechtsabkommen ist sie dazu bedingungen für Sorgearbeit verpflichtet, auch über die Staatengrenzen hinaus weltweit die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten sowie durch internatio- Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, nale Zusammenarbeit zur Verwirklichung der sich für eine ideelle und finanzielle Anerkennung Menschenrechte weltweit beizutragen.50 und eine faire Verteilung von Sorgearbeit welt- weit einzusetzen, strukturelle Ungleichheiten mittels Gesetzgebung entgegenzusteuern und 3.1 Rechtszugang faire Rahmenbedingungen weltweit zu fördern.53 Das Equal Care Manifest zeigt dahingehend Die spezifischen Hindernisse (wie oben erwähnt), Maßnahmen auf.54 Die Förderung des Zugangs die Frauen auch beim Zugang zu Recht vor deut- zu öffentlichen Dienstleistungen (Kinderbe- schen Gerichten erfahren, müssen berücksichtigt treuung, Schulen, Pflegeeinrichtungen, Gesund- und abgebaut werden. heitssysteme), Inf rastruktur (Wasser, Energie, Transport), von existenzsichernden Löhnen, sozialen Sicherungssystemen (unter anderem 3.2 Schutz von Menschenrechts- Schwangerschaftsurlaub, Elternzeit, Altersrente) verteidigerinnen und von geteilten Verantwortlichkeiten im Haus- halt sind ebenfalls relevant für die Schaffung Menschenrechtsverteidigerinnen sind beson- einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen deren geschlechtsspezif ischen Risiken ausge- und Männern in der Erwerbswelt.55 Die Bundesre- setzt,51 nicht zuletzt, da sie mit ihrer Tätigkeit gierung sollte sich dafür einsetzen, dass Ländern diskriminierende Geschlechterrollen in Frage des Globalen Südens bei internationalen Unter- stellen. Sie sind häufig von geschlechtsspezifi- stützungsprogrammen, bspw. durch die Welt- schen Bedrohungen und Gewalttaten wie sexu- bank oder den Internationalen Währungsfonds, elle Gewalt, Belästigung ihrer Kinder und Diskri- der notwendige finanzielle Handlungsspielraum minierung in ihren Gemeinschaften betroffen. erhalten bleibt, wichtige öffentliche Investitionen Die Bundesregierung sollte sich daher für in Bereichen wie Pflegeeinrichtungen, Gesund- geschlechtsspezifische Maßnahmen, wie unter heit und Bildung, soziale Sicherung, Infrastruktur anderem vom UN-Sonderberichterstatter zur und Klimaschutz zu tätigen.56 Situation von Menschenrechtsverteidiger*innen 2019 formuliert, zum Schutz von Menschen- rechtsverteidiger*innen weltweit einsetzen.52 3.5 Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung 3.3 Beauftragte*r für Wirtschaft Steuerflucht und Steuerhinterziehung durch und Menschenrechte Unternehmen entzieht Regierungen welt- weit schätzungsweise mehr als 500 Milliarden Die Bundesregierung sollte die Stelle eines*einer US-Dollar jährlich.57 Länder des Globalen Südens Beauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte verlieren auf diese Weise mehr als 200 Milli- einrichten, der*die das Thema der Geschlechter- arden US-Dollar pro Jahr.58 Durch diese Steuer- >>>> 50. Insbesondere Artikel 55 und 56 der Charta der Vereinten Nationen, Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte und Artikel 2(1) des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 51. United Nations Office of the High Commissioner on Human Rights (2018).. 52. UN Special Rapporteur on the situation of human rights defenders (2019). 53. Siehe auch United Nations (2020), S.15 ff. 54. Equal Care Manifest 2020: https://equalcareday.de/manifest/ . 55. OECD (2020). 56. Oxfam Deutschland (2020). 57. Tax Justice Network (2017). 58. International Monetary Fund (2015). 19
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