Gesundheitsgespräch - Bayerischer Rundfunk
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Gesundheitsgespräch Heuschnupfen Sendedatum: 09.02.2022 Expertin: Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin der Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg und des Instituts für Umweltmedizin bei Helmholtz Munich Autorin: Sabine März-Lerch "Schneller, höher, weiter"… Auch Heuschnupfen ist nach diesem Motto auf dem Vormarsch, plagt Betroffene über einen immer längeren Zeitraum im Jahreslauf und provoziert häufiger Folgeerkrankungen. Denn der Klimawandel treibt die Beschleunigung dieser Pollenallergien voran. Pollenallergien: Sie verbergen sich hinter dem umgangssprachlichen Begriff "Heuschnupfen". Dem Text liegt ein Gespräch mit Prof. Dr. med. Claudia Traidl-Hoffmann zugrunde, Dermatologin, Allergologin, Direktorin der Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg und des Instituts für Umweltmedizin bei Helmholtz Munich Schniefen, Tränen und Jucken – was steckt hinter "Heuschnupfen"- Symptomen Die Augen tränen und brennen, und der Niesreiz will nicht mehr aufhören: Vor über 150 Jahren erkannte der Brite Charles Blackley, dass hinter diesem "Heuschnupfen" nicht eine Reizung der Schleimhäute durch Heu, wie man früher angenommen hatte, sondern durch Pflanzenpollen steckt. "Da kommt es zu einer Entzündung der Schleimhäute, die dazu führt, dass Nervenendigungen gereizt werden. Und dies wiederum provoziert das typische Niesen, den Heuschnupfen. Wir verwenden den Fachbegriff 'Rhinitis allergica', also allergische Nasenentzündung. Haupt-Verursacher sind in Deutschland die Pollen. Es können aber auch Hausstaubmilben sein oder Tierschuppen, Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 1
Hautschuppen… Dinge also, die irgendwie rumfliegen in den uns so wohlbekannten Aerosolen. Und die dann diesen Heuschnupfen, diesen allergischen Schnupfen verursachen." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Suchen Betroffene die Sprechstunde von Allergologen auf (das können Fachärztinnen und -ärzte verschiedener Disziplinen sein), gilt es erst einmal den allergischen Schnupfen von einem viralen Schnupfen abzugrenzen. "Meistens fehlen hier die allgemeinen Krankheitsphänomene eines viralen Schnupfens. Also Fieber, allgemeines Abgeschlagenheitsgefühl. Die Menschen sind relativ fit. Aber ich sage ‚relativ‘, weil Heuschnupfen wahnsinnig müde machen und die Leistungsfähigkeit stark vermindern kann." Prof. Claudia Traidl- Hoffmann Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und möglicherweise Beschwerden im Magen-Darm-Bereich begleiten den Heuschnupfen, also den allergischen Schnupfen. "Heuschnupfen ist eine Unterform einer allergischen Reaktion." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann IgE, Mastzellen und Co – wenn das Immunsystem falsch reagiert Bei Heuschnupfen – wie bei allen anderen Allergien auch – reagiert das Immunsystem völlig über: Was im Normalfall als harmloser Partikel erkannt wird, gilt nun dem Abwehrsystem als Eindringling und wird bekämpft. Schuld sind die Eiweiße des Pollens. "Der Pollen ist ja eigentlich dafür gedacht, auf einem Stigma zu landen, auf einem Blüten-Stempel, um dort seine männliche genetische Information weiterzugeben im Befruchtungsprozess. Dabei setzt der Pollen, um rauszufinden, ob er auf dem richtigen Stigma gelandet ist, eine ganze Reihe von Substanzen frei, unter anderem eben auch Eiweiße, um eine Art Schlüssel- Schloss-Prinzip einzuleiten. Auch auf unserer Schleimhaut-Oberfläche versucht er natürlich rauszufinden, ob er richtig gelandet ist. Aber da passt der Schlüssel natürlich nicht ins Schloss, sondern das Immunsystem kommt ins Spiel." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Der eine Körper toleriert diesen Kontakt der Schleimhaut mit dem pflanzlichen Eiweiß ohne weitere Konsequenz, der andere Körper sensibilisiert sich auf dieses spezielle Eiweiß. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 2
"Diese Sensibilisierung ist wie eine Scharfstellung des Immunsystems, weil die Eiweiße des Pollens vom Immunsystem als fremd erkannt werden. Und dann reagiert das Immunsystem auch noch falsch, nämlich mit einer sogenannten allergischen Immunreaktion, der Bildung von Antikörpern. Das ist das Immunglobulin E (IgE), welches wir dann auch im Blut nachweisen können. Dieses IgE wiederum bindet sich auf Mastzellen. Das kann man sich so vorstellen: richtig dicke Mastzellen mit ganz vielen Beuteln in der Zelle, die platzen, wenn das Allergen zum zweiten Mal ankommt. Diese Entzündungsreaktion der Mastzelle verursacht eine massive Entzündung der Schleimhäute. Und das passiert dann jedes Mal wieder, wenn der Pollen auf die Schleimhaut-Oberfläche trifft." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Die Botenstoffe, die diese Entzündungsreaktion befördern: Histamine. Der Körper produziert sie bei einer allergischen Reaktion im Übermaß. Was macht einen Menschen zum Allergiker? Nahezu jedes elfte Kind leidet am allergischen Schnupfen. 30 Prozent der Menschen in Deutschland sind betroffen. Manche bereits seit dem Säuglingsalter, bei anderen stellt sich der Heuschnupfen ohne erkennbaren äußeren Anlass irgendwann im Laufe des Lebens ein. "Es ist häufig so, dass das Immunsystem schon über längere Zeit scharf gestellt ist und trotzdem noch nicht allergisch reagiert. Und an einem gewissen Punkt, den wir nicht definieren können und noch nicht verstanden haben, kippt diese Balance. Dann kommt das aus dem Gleichgewicht und dann erst entwickelt der Mensch einen Heuschnupfen. Aber wir wissen nicht, wann das wirklich passiert und warum es zu diesem Zeitpunkt passiert." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Die Vererbung, die Gene, spielen eine große Rolle bei der Entwicklung von Allergien. Sind der Vater oder die Mutter Allergiker, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder im Laufe ihres Lebens ebenfalls eine Allergie bekommen. So der Allergie-Informationsdienst von Helmholtz Munich. Wissenschaftler konnten diesen Zusammenhang in großen epidemiologischen Studien untermauern. Wenn ein Elternteil betroffen ist, beträgt das Allergierisiko des Kindes etwa 20 Prozent. Bei einem allergischen Geschwisterkind liegt es zwischen 25 und 35 Prozent. Haben beide Eltern eine Allergie, entwickeln die Kinder mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 Prozent allergische Beschwerden. Leiden Mutter und Vater zudem unter der gleichen Allergieform, ist das Erkrankungsrisiko mit 60 - 80 Prozent am höchsten. Menschen, die nicht familiär vorbelastet sind, entwickeln hingegen nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 - 15 Prozent eine Allergie. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 3
Umweltfaktoren Ein weiterer Faktor neben der familiären Vorbelastung: Die Umwelt. "Das ist genau das, was wir eben auch hier bei uns in der Umweltmedizin in Augsburg versuchen zu verstehen. Welche Umweltfaktoren drängen das Immunsystem in eine solche allergische Immunreaktion? Welche Umwelteinflüsse treiben uns immer mehr in eine empfängliche Situation für Allergien." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Schadstoffe beschädigen die Schleimhäute und machen die Menschen empfänglicher für Allergien. Kann man also vorhersagen, warum gerade wer und warum gerade wann zum Allergiker wird? "Das ist die Ein-Million-Dollar-Frage, die wir wirklich zum großen Teil noch nicht beantwortet haben." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Hasel, Erle, Birke und Ambrosia - Übeltäter in der Luft Von der Birken- und Eschen- bis zur Ambrosia-Blüte, vom frühen Frühjahr bis zum Herbst: Fast das ganze Jahr über gibt es Pollen in der Luft. Die Liste lässt sich durch Pappel, Weide, Erle und Buche ergänzen. Gräser folgen, Kräuter und Getreide (Roggen). Dem Birkenpollen wird die stärkste allergene Potenz zugeschrieben. Durch Bluttests und Hauttests lassen sich die Ursachen der Allergie eingrenzen - beim sog. Pricktest z.B. wird auf der Haut getestet, auf welche Stoffe Betroffene reagieren. Kreuzallergien Zusätzlich zur Reizung durch die Übeltäter aus der Luft reagieren Allergiker mit sogenannten pollenassoziierten Nahrungsmittelallergien. "Wer zum Beispiel auf Birkenpollen allergisch ist, kann auch Probleme haben, einen Apfel zu essen. Das kommt über die sogenannte Kreuz-Allergie zustande. Es gibt ähnliche Eiweiße in den Birkenpollen und den Äpfeln, sie ähneln sich wirklich wie eineiige Zwillinge. Und das Immunsystem vertut sich dann einfach. Wenn die Person einen Apfel isst, dann sieht das Immunsystem dieses Eiweiß, denkt 'ah, Birkenpollen!' und macht dann eine allergische Reaktion. Und das nennt man pollenassoziierte Nahrungsmittelallergien. Das gibt es für viele Pollen. Bei den Kräutern gibt es zum Beispiel eine Kreuzallergie mit Sellerie." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann In diesem Fall sind die Symptome nicht nur die des allergischen Schnupfens wie Augentränen und Schniefen, sondern auch die einer Nahrungsmittel- Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 4
Allergie: Jucken im Mund, im schlimmsten Fall auch ein Anschwellen im Rachenbereich. Diese Kreuzreaktionen gelten als häufigste Ursache bei Jugendlichen und Erwachsenen für eine Nahrungsmittelallergie. 50 Prozent der Menschen mit Allergien zeigen Kreuzallergien. "Überhitzt" - Was der Heuschnupfen mit dem Klimawandel zu tun hat Eine große Zahl der Betroffenen registriert neuerdings bereits im Januar Heuschnupfen-Symptome. Warme Winter bringen z.B. den Haselnussstrauch bereits zwei Monate früher zum Blühen. Der Grund: der Klimawandel. Eine aktuelle Studie der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) kommt im Januar 2022 zu dem Ergebnis, dass auch in ländlichen Gebieten immer mehr Menschen an pollenbedingtem allergischen Schnupfen leiden. Bislang waren besonders Menschen in Ballungsräumen (und unter zusätzlicher Schadstoffbelastung) stärker von Heuschnupfen geplagt. Die Erklärung: Der Klimawandel mit seinen zunehmend milderen bis überhitzten Temperaturen sorgt für längeren Pollenflug und für Blütenstaub in größeren Mengen. "Der Klimawandel hat zusammengefasst vier Effekte auf Pollen und dann eben auch auf die Allergien. Das ist zum ersten, dass die Pollen durch den Klimawandel und auch durch die Erwärmung länger fliegen (früher im Jahr und dann auch später ins Jahr rein). Es gibt also im Prinzip keine abgegrenzte Pollensaison mehr, sondern die Pollen fliegen das ganze Jahr. Das zweite ist, dass auch mehr Pollen fliegen. Und gleichzeitig - das ist der dritte Punkt - verändert sich auch die Qualität der Pollen selbst. Sie werden aggressiver, setzen mehr von diesen Eiweißen frei, die letztendlich eine Allergie machen. Das vierte und letzte ist, dass wir auch neue Pollen sehen. Neue Pollen in Form des beifußblättrigen Traubenkrautes Ambrosia. Diese Pflanze ist durch verunreinigtes Vogelfutter nach Europa gekommen und breitet sich jetzt bei uns in Europa aus." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Die Pollen des Ambrosia-Krautes sind relativ klein, gelangen deshalb ganz tief in die Lungen und verursachen dort schwere asthmatische Reaktionen. "Durch diese vier Punkte - längere Pollenflugsaison, mehr Pollen, aggressivere Pollen und neue Pollen - wirkt der Klimawandel dann auf die Menschen, die schon Allergien haben. Bei den Allergikern verschlimmern sich die Symptome. Zudem aber entstehen auch neue Allergien bei Menschen, die noch nie eine Allergie hatten." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Nicht nur Allergiker reagieren bei Pollenflug neuerdings mit Schnupfen. Und weiter: Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 5
"Pollen hemmt die Immunabwehr der Schleimhäute. Und zwar gerade diese Immunabwehr, die gegen Viren gerichtet ist. Wir können es uns auch so vorstellen: Schleimhäute haben eine ganze Armada von ‚Soldaten‘, die normalerweise schon mit natürlichen Kräften Viren abwehren. Und genau diese Armada wird durch Pollen zurückgehalten." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Eine neuere Untersuchung der Umweltmedizinerin Prof. Claudia Traidl- Hoffmann zeigt, dass die Zahl viraler Infektionen steigt, wenn die Pollen fliegen. Und dass dann auch die Corona-Infektionszahlen erhöht sind, wenn die Pollen in sehr hoher Konzentration unterwegs sind. "Diese Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit machen klar, dass es uns hier und jetzt betrifft, uns selbst und unsere Kinder. Und dass wir zwei große Dinge bewegen müssen. Das eine ist die Anpassung an den Klimawandel. Wir müssen Anpassungsstrategien entwickeln, unter anderem Hitze-Schutzpläne. Aber der andere Punkt ist, dass wir gleichzeitig die großen politischen Lösungen brauchen, weil wir es eben nicht komplett auf das Individuum verschieben können, hier das Klima und damit unsere Gesundheit zu retten." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Allergien – Launen des Körpers oder chronische Erkrankungen? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beurteilt einen allergischen Schnupfen wegen der vielen betroffenen Menschen, dem negativen Einfluss auf Lebensqualität und Leistungsfähigkeit und der Tendenz für zusätzliches Asthma und andere Begleiterkrankungen als bedeutende chronische Atemwegserkrankung. "Die Allergie ist die häufigste chronische Erkrankung, die wir kennen. Aber: Man kann sie trotzdem auch im Laufe eines Lebens wieder verlieren." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Pubertät und Menopause sind oft Wendepunkte, an denen Betroffene ihren Heuschnupfen, ihre Allergie, entwickeln oder verlieren. Manche Betroffene berichten von regelrechten Allergie-Zyklen. "Das kann jetzt die Wissenschaft nicht unbedingt bestätigen. Allerdings scheint es auch Mechanismen im Körper zu geben, die wir bis heute nicht verstanden haben. Sie führen dazu, dass es eine natürliche Regulation gibt. Wir können sie vielleicht einfach Selbstheilungskräfte nennen - aber verstanden haben wir sie bis heute nicht. Aber das gibt es, dass Menschen ihre Allergie verlieren." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 6
Etagenwechsel - Heuschnupfen und seine Folgen Pollen kann mehr bedeuten als eine jahreszeitlich wiederkehrende zeitweise Reizung von Nasen- und Augen-Schleimhäuten. Eine mögliche Folge: erhöhte Infektionsanfälligkeit, denn Pollen macht anfälliger für Viren. Die reduzierte Immunreaktion bei Pollenflug ist unabhängig davon, ob man Allergiker ist. Es betrifft alle. Eine schwerwiegendere Komplikation von Heuschnupfen jedoch: Der sogenannte Etagenwechsel der Erkrankung von den oberen Atemwegen (Nasen- und Rachenraum, Kehlkopf) in die unteren Atemwege (Lunge). "Heuschnupfen ist wirklich ernst zu nehmen, weil es zu einem Etagenwechsel kommen kann. Das bedeutet, dass der Heuschnupfen manchmal nur die erste Etappe ist. Im Anschluss kann sich das Ganze verlagern in die Lunge. Die Betroffenen entwickeln dann eine chronische Lungenentzündung, also ein Asthma. Dies bedeutet schließlich Umbauprozesse in der Lunge, die nicht mehr umkehrbar sind. Und deswegen ist der Heuschnupfen eine Erkrankung, die unbedingt behandelt werden muss." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann 40 Prozent der Klein- und Schulkinder mit Heuschnupfen erkranken zusätzlich an Asthma bronchiale mit Anfällen von Atemnot, so der Ärzteverband deutscher Allergologen. Hyposensibilisierung und Vermeidung - was tun, wenn Pollen plagen Neben der symptomatischen vorübergehenden Behandlung von Schniefen, Niesen, Tränen und Jucken z.B. mit Antihistaminika, Nasensprays, Kortisontabletten, Salben oder Augentropfen setzt die Medizin bei Allergikern auf Hyposensibilisierung. "Das ist eine kausale Therapie, die zur Heilung führen soll. Eine Therapie, bei der das Immunsystem umgeschult und in eine Richtung gedrängt wird, wo es die Allergene toleriert." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Diese Behandlung wird auch Spezifische Immuntherapie (SIT) genannt. Kleinste Mengen eines allergenen Stoffes werden dabei einem Menschen wiederholt verabreicht. Die Dosis wird über einen längeren Zeitraum schrittweise erhöht, bis eine persönliche Höchstdosis erreicht ist, die dann in regelmäßigen Abständen gegeben wird. Gestartet wird mit einer solchen Hyposensibilisierung in der pollenfreien Saison. "Wie erwähnt fliegen die Pollen aber durch den Klimawandel und durch die Erwärmung länger. Das beginnt früher im Jahr und dauert bis später ins Jahr hinein. Es gibt also im Prinzip keine abgegrenzte Pollensaison mehr. Wenn es aber keine pollenfreie Saison mehr gibt, in der wir normalerweise mit der Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 7
Behandlung beginnen, stellt uns das vor Herausforderungen." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Für alle gilt es, so Prof. Claudia Traidl-Hoffmann, zusätzlich auch praktische Tipps zu beachten. Z.B.: - nicht die Wäsche im Freien zu trocknen, erst recht nicht bei starkem Pollenflug - nicht die getragene Kleidung im Schlafzimmer abzulegen - vor dem Zubettgehen die Haare zu waschen und von Pollen zu befreien Und: "Gerade hier in Bayern ist es ja möglich, den Polleninformationsdienst anzuschauen. Wir haben ein elektronisches Pollenflug-Messnetzwerk, wo wir in Drei-Stunden-Intervallen über ganz Bayern verteilt genau sehen können, wie stark der Pollenflug ist. So kann ich auch meinen Tag anpassen. Wenn die Pollen gerade morgens stark fliegen, sollte ich meine sportliche Outdoor- Aktivität eher in den Abend verlegen oder eben andersherum. Und gleichzeitig kann ich vielleicht auch an diesen Tagen mit starkem Pollenflug sogar überlegen, mit der FFP2-Maske spazieren zu gehen." Prof. Claudia Traidl- Hoffmann Bei stärkeren Beschwerden, so die Allergologin, sollte man immer Fachärzte mit der Ausrichtung Allergologie aufsuchen (zu finden bei den Fachgebieten HNO, Dermatologie, Kinder- und Jugendmedizin oder Pulmologie). Aber, so die gesundheitspolitische Forderung der Allergologin: "Man muss leider sagen, dass hier in den letzten Jahren etwas passiert ist, was uns Allergologen nicht gut gefällt. Und zwar ist diese Zusatzbezeichnung ‚Allergologie‘ in dem Sinne einfach weggefallen, dass diese Ausbildung jetzt einfach in den normalen Facharzt mit reinfällt. Sodass es, wie wir finden, keine ausreichende Ausbildung im Bereich der Allergologie gibt. Hier ist dringender Handlungsbedarf, weil die Allergie eine so wichtige Erkrankung ist und einfach so viele Menschen in Deutschland und Europa unter einer Allergie leiden. Deswegen brauchen wir ganz speziell ausgebildete Ärztinnen und Ärzte." Prof. Claudia Traidl-Hoffmann Akupunktur gegen Heuschnupfen – im Dialog mit den Naturheilverfahren Experte: Dr. Artur Wölfel, Leiter der Ambulanz für Integrative Medizin am Krankenhaus für Naturheilweisen, München Diesem Textabschnitt liegt ein Gespräch mit Dr. Artur Wölfel zugrunde, Facharzt für Innere Medizin, Naturheilverfahren und Homöopathie, Leiter der Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 8
Ambulanz für Integrative Medizin am Krankenhaus für Naturheilweisen, München Akupunktur, Phyto- und Ernährungstherapie, begleitet von physikalischen Anwendungen und Bewegung - so das Konzept, auf das die klassische Naturheilkunde in der Behandlung von Heuschnupfenpatientinnen und Patienten baut; Begleitend zu etablierten Behandlungsverfahren. "Denn wir sprechen nicht von einer alternativen Therapie, sondern von unterstützenden und komplementären Maßnahmen, von Unterstützung und Ergänzung. Die Naturheilkunde sollte als eine Therapieerweiterung der etablierten Behandlungsverfahren gesehen werden. Das moderne Verständnis ist ‚integrative Medizin‘. Dr. Artur Wölfel - Mit Akupunktur lassen sich z.B. Niesanfälle, entzündete Augen und auch Juckreiz lindern. - Zur physikalischen Therapie gehören z.B die Nasendusche mit Salzwasser oder die Inhalation mit Kamillenprodukten. - Aus der Homöopathie kommt z.B. Euphrasia zur Anwendung, wenn das Tränen der Augen Beschwerden macht. "Interessanterweise finden viele Verfahren der klassischen Naturheilkunde auch im Rahmen moderner Forschung eine wissenschaftliche Bestätigung." Dr. Artur Wölfel Zur ganzheitlichen Sicht der Naturheilkunde auf den Menschen und auf seine Erkrankung wie der Allergie gehört auch eine vollwertige Ernährung sowie Ausdauertraining zur Verbesserung der allgemeinen Fitness. "Machen Allergiker*innen moderates, aber konsequentes Ausdauertraining, reduziert dies die Intensität der Heuschnupfen-Symptomatik." Dr. Artur Wölfel Zusätzlich sollten Heuschnupfen-Patientinnen und -Patienten versuchsweise während der Pollenflugzeit Nahrungsmittel mit einem hohen Histamin-Gehalt meiden. "Wir beobachten, dass chronische psychosoziale Belastungsfaktoren bei Menschen mit angeborener Allergiebereitschaft die Aktivität der Erkrankung noch verstärken. Kommt dies dann noch zu schlechter (histamin- und fettreicher) Ernährung und mangelnder Bewegung hinzu, sprechen wir vom sogenannten Summationseffekt. Die allergische Reaktion ist dann umso schwerer." Dr. Artur Wölfel Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 9
Auch dem Facharzt für Innere Medizin und Naturheilverfahren Dr. Artur Wölfel machen die Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit, im speziellen auf das Allergieverhalten der Menschen, Sorgen. "Die Heuschnupfensaison ist für viele Betroffenen erkennbar länger. Reagiert jemand auf mehrere Pollenarten, kann das für diese Person heißen, das gesamte Jahr Probleme zu haben." Dr. Artur Wölfel Heuschnupfen wird häufiger. Auch erkranken immer mehr Menschen noch im späteren Lebensalter, die Toleranzschwelle gegenüber den Allergenen sinkt nach dem 50. Lebensjahr. "Bei dieser Altersgruppe ist das Risiko eines Etagenwechsels, also des Auftretens von Asthma bronchiale erhöht. Deshalb ist gerade in dieser Altersgruppe eine konsequente Behandlung, heißt eine frühzeitige fachärztliche Entscheidung zur Einleitung einer Hyposensibilisierung erforderlich." Dr. Artur Wölfel Für alle Betroffenen gilt, so der Facharzt: "Viel Pollen, viel Allergie – wenig Pollen, wenig Allergie… Wichtig ist also in jedem Falle die sogenannte Expositionsprophylaxe, also die Vermeidung von Pollenbegegnungen. Natürlich aber wird das für Menschen angesichts der deutlich verlängerten Pollenflugzeit immer komplizierter." Dr. Artur Wölfel Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2022 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de Seite 10
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