GIFTIGE PROFITE Die Lobbyarbeit der EU-Pestizidhersteller in Brasilien

Die Seite wird erstellt Melanie Weise
 
WEITER LESEN
GIFTIGE PROFITE Die Lobbyarbeit der EU-Pestizidhersteller in Brasilien
GIFTIGE
    PROFITE
      Die Lobbyarbeit der
EU-Pestizidhersteller in Brasilien

                                     S2B
                                     SEATTLE TO BRUSSELS NETWORK
GIFTIGE PROFITE Die Lobbyarbeit der EU-Pestizidhersteller in Brasilien
S2B
                                                               SEATTLE TO BRUSSELS NETWORK

Impressum
April 2022.
Autorinnen: Larissa Mies Bombardi, Audrey Changoe
Herausgeberin: Helen Burley
Beiträge: Laura Hieber, Mute Schimpf, Myriam Douo, Paul de Clerck,
Martin Konecny
Layout: Clémence Hutin
GIFTIGE PROFITE Die Lobbyarbeit der EU-Pestizidhersteller in Brasilien
Zusammenfassung
Wird das Handelsabkommen der EU mit den           Die Agrarwirtschaftsverbände führen auch
Mercosur-Staaten ratifiziert, werden Exporte      Kampagnen zur Steuerung der öffentlichen
landwirtschaftlicher Erzeugnisse nach Europa      Meinung durch. Als Teil der Agrarlobby
und Importe gefährlicher Agrochemikalien nach     unterstützen Bayer und BASF große
Südamerika, insbesondere nach Brasilien, rasant   Kundgebungen und Plattformen, die ein
zunehmen. Die zu erwartende Expansion der         Greenwashing der brasilianischen Agrarwirtschaft
Landwirtschaft für den Export birgt das Risiko,   zum Ziel haben, um Konsument*innen und
dass sich bereits bestehende Probleme weiter      Entscheidungsträger*innen in Europa für sich zu
verschärfen, wie etwa die Umwandlung von          gewinnen und die europäische Kritik am EU-
Wäldern und anderen wichtigen Ökosystemen         Mercosur-Abkommen zu konterkarieren.
in Agrarflächen und die toxische Belastung
                                                  Eine weitere Schlüsselstrategie der EU-
von Natur und Menschen vor Ort durch eine
                                                  Pestizidhersteller ist die Finanzierung
pestizidintensive Landwirtschaft.
                                                  von Drittorganisationen, die sich für ihre
Das EU-Mercosur Handelsabkommen wurde             kommerziellen Interessen stark machen. So
von Konzernen wie Bayer und BASF, die zu          betreibt etwa der in Brüssel ansässige Think Tank
den führenden Pestizidherstellern in Europa       ECIPE ein von Bayer finanziertes EU-Mercosur-
zählen, über Lobbygruppen forciert. Ihre          Projekt. Auf brasilianischer Seite setzt sich die
gemeinsame Lobbyarbeit mit brasilianischen        Denkfabrik Instituto Pensar Agro für eine stärkere
Agrarwirtschaftsverbänden hatte zum Ziel,         Verwendung von Pestiziden ein und spielt die
den Marktzugang für einige ihrer schädlichsten    Rolle der Agrarwirtschaft bei der Abholzung
Pestizide zu erweitern. Dabei haben sie eine      der Wälder herunter. Das Instituto Pensar Agro
legislative Agenda unterstützt, die Rechte        arbeitet mit Entscheidungsträger*innen des
der indigenen Bevölkerung unterminieren,          einflussreichen Blocks für Agrarwirtschaft im
Umweltschutzmaßnahmen aufheben und eine           brasilianischen Parlament zusammen. Große
weitere Abholzung der Wälder legitimieren will.   Agrarwirtschaftsverbände, die Bayer, BASF und
Über Brasiliens mächtige landwirtschaftliche      Syngenta vertreten, haben die Lobbyaktivitäten
Lobbygruppen – wie die von Bayer                  des Instituto Pensar Agro bereits mit rund zwei
gegründete CropLife Brasil – unterstützen die     Millionen Euro unterstützt.
europäischen Pestizidhersteller Versuche,
                                                  Und die gemeinsame Lobbyarbeit hat Früchte
Umweltschutzmaßnahmen zu schwächen.
                                                  getragen: Die Verwendung von Pestiziden
Dazu zählt auch das so genannte Giftpaket,
                                                  hat sich im Laufe der letzten 20 Jahre
das bestehende Gesetze zur Regulierung
                                                  versechsfacht, und seit Jair Bolsonaro in
von Pestiziden untergraben und das
                                                  Brasilien an die Macht gekommen ist, hat
Zulassungsverfahren für die Verwendung
                                                  die Anzahl der neu zugelassenen Pestizide
von Pestiziden fundamental verändern und
                                                  Rekordhöhen erreicht. Sowohl Bayer als auch
schwächen wird.
                                                  BASF haben von dieser Unterstützung profitiert.
Im brasilianischen Parlament werden die           Berichten zufolge werden jährlich mindestens
brasilianische Agrarlobby und die EU-             acht neue Bayer-Produkte zugelassen. In
Pestizidindustrie vom einflussreichen             Summe wurden im Laufe der letzten drei Jahre
Block der Agrarwirtschaft vertreten, der          45 neue, von Bayer oder BASF hergestellte
Bancada Ruralista. Diese ist berüchtigt dafür,    Pestizide zugelassen, von denen 19 Substanzen
Umweltschutzgesetzgebung zu blockieren.           enthalten, die in der Europäischen Union
                                                  verboten sind.

                                                                                                       3
GIFTIGE PROFITE Die Lobbyarbeit der EU-Pestizidhersteller in Brasilien
Die europäischen Pestizidhersteller profitieren     Doch finanzstarke europäische Pestizidhersteller
    nicht nur von den laxeren brasilianischen           gewinnen in Brasilien immer weiter an politischer
    Gesetzen in Punkto Umweltschutz und                 Macht, während die Zivilgesellschaft des Landes
    Pestizide, sondern auch von großzügigen             und soziale Bewegungen – von denen sich viele
    Steuererleichterungen für ihre Produkte.            gegen Pestizide einsetzen – von der politischen
                                                        Teilhabe ausgeschlossen und sogar von der
    Während die europäische Pestizidindustrie
                                                        Bolsonaro-Regierung kriminalisiert werden.
    danach strebt, ihre Profite zu maximieren, stirbt
    in Brasilien jeden zweiten Tag ein Mensch an        Die jüngst von der EU angekündigte Farm-to-
    einer Pestizidvergiftung. Und rund 20 Prozent       Fork-Strategie hat zum Ziel, den Einsatz von
    dieser Todesopfer sind Kinder und Jugendliche       Pestiziden drastisch zu reduzieren und alle
    unter 19 Jahren.                                    Lebensmittel mit Rückständen von innerhalb
                                                        der EU nicht zugelassenen Pestiziden zu
    UN-Organisationen rufen mittlerweile dazu auf,
                                                        verbieten. Die durch das EU-Mercosur-
    verstärkt Maßnahmen gegen die schädlichen
                                                        Abkommen geförderten Handelspraktiken
    Auswirkungen von Pestiziden auf die
                                                        stehen in fundamentalem Widerspruch zu
    Biodiversität zu ergreifen, und Gemeinschaften
                                                        diesen und anderen grünen Zielen der EU.
    vor Ort zu fordern, dass es mächtigen
                                                        Die Mitgliedsstaaten der EU müssen daher
    Unternehmen mit Eigeninteresse am Absatz von
                                                        das EU-Mercosur-Abkommen ablehnen und
    Pestiziden untersagt wird, Gesetze zu blockieren,
                                                        stattdessen Schritte einleiten zu einem globalen
    die klimaresilientere und ökologischere
                                                        Wandel weg vom dominanten, pestizidintensiven
    landwirtschaftliche Anbaumethoden
                                                        Monokultur-Modell, hin zu einem nachhaltigeren,
    unterstützen.
                                                        umweltfreundlicheren und menschenzentrierten
                                                        landwirtschaftlichen Ansatz. Außerdem sollten
                                                        sie umgehend ein Importverbot für Erzeugnisse
                                                        mit Rückständen von Chemikalien erlassen, deren
                                                        Einsatz in der EU selbst verboten ist.

        Giftige Profite: Die tödlichen Geschäfte der
        europäischen Agrarwirtschaft in Brasilien

           6x                 2     Millionen
                                    Euro                   45                       2    TAGE

        Der Einsatz         Interessengruppen,          45 neue Pestizide       Alle 2 Tage stirbt
        von Pestiziden      die Bayer, BASF &           von Bayer & BASF        ein Mensch in
        hat sich            Syngenta vertreten,         wurden in den           Brasilien an einer
        im Laufe            haben rund 2 Mio.           letzten 3 Jahren        Pestizidvergiftung.
        der letzten         Euro zur Unterstützung      zugelassen. 19          Rund 20% der
        20 Jahre            der brasilianischen         davon enthalten in      Opfer sind Kinder
        versechsfacht.      Agrarwirtschaftslobby       der EU verbotene        und Jugendliche
                            ausgegeben.                 Substanzen.             unter 19 Jahren.

4
Glossar
ABAG – Associação Brasileira do Agronegócio,      FUNAI – Fundação Nacional do Índio,
einer der größten Agrarwirtschaftsverbände in     brasilianische Regierungsbehörde für die Belange
Brasilien.                                        der indigenen Bevölkerung.

Agrosaber – Plattform, die im Auftrag der         Highly hazardous Pesticides (HHP) – als extrem
brasilianischen Agrarwirtschaft öffentliche       schädlich für die menschliche Gesundheit und die
Imagekampagnen durchführt und die Agenda          Umwelt eingestufte Pestizide.
der Bancada Ruralista unterstützt, des
                                                  IBAMA – Brasilianisches Institut für Umwelt
agrarwirtschaftlichen Blocks im brasilianischen
                                                  und erneuerbare natürliche Ressourcen. IBAMA
Parlament.
                                                  ist der administrative Arm des brasilianischen
Anvisa – Brasiliens nationale Agentur für         Umweltministeriums und implementiert Gesetze
Gesundheitsschutz                                 gegen die Abholzung der Wälder.

APEX Brasil – staatliche brasilianische Agentur   IPA – Instituto Pensar Agro, brasilianischer Think
zur Export- und Investitionsförderung (Teil des   Tank mit agrarwirtschaftlicher Agenda.
Außenministeriums).
                                                  MAPA – Brasilianisches Ministerium für
Bancada Ruralista – eine Gruppe                   Landwirtschaft und Viehzucht.
von Parlamentarier*innen, darunter
                                                  Matopiba – eine brasilianische Region, in der der
Landeigentümer*innen und Inhaber*innen
                                                  Sojaanbau stark forciert wird.
von agrarwirtschaftlichen Unternehmen, die
in Brasilien die Anliegen der Agrarwirtschaft     PamAgro – Program for Access to Markets for
unterstützt.                                      Brazilian Agribusiness, eine von APEX Brasil
                                                  ins Leben gerufene Kampagne zur Förderung
Conama – Brasiliens nationaler Umweltrat.
                                                  der Markterschließung für die brasilianische
CropLife International – eine einflussreiche      Agrarwirtschaft.
Lobbygruppe der weltgrößten Agrochemie- und
                                                  Giftpaket – Spitzname der brasilianischen
Pestizidkonzerne. Mitglieder sind Syngenta,
                                                  Gesetzesvorlage PL 6299/2002 zur Änderung der
Bayer Crop Science, BASF, Corteva Agriscience
                                                  Reglementierung von Pestiziden. Wurde bereits
und FMCi.1
                                                  vom Parlament (Kongress) verabschiedet und
CropLife Brasil – eine der größten                muss noch vom Senat bestätigt werden.
agrarwirtschaftlichen Lobbygruppen, gegründet
                                                  SINDIVEG – Sindicato Nacional da Indústria de
von den Pestizidherstellern Bayer, BASF,
                                                  Produtos para Defesa Vegetal, eine der größten
Syngenta und anderen Unternehmen aus dem
                                                  Pestizid-Lobbygruppen in Brasilien.
Bereich der Agrarchemie.

ECIPE – European Centre for International
Political Economy (in Brüssel ansässiger Think
Tank).

                                                                                                       5
Einführung
    Die Europäische Union (EU) und die Mercosur-       Dieses Abkommen kommt zu einem Zeitpunkt, an
    Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay und      dem sich die Indizien für einen Zusammenhang
    Uruguay) planen, ein neues Handelsabkommen         zwischen dem dramatischen weltweiten Verlust
    zu ratifizieren. Dadurch werden der Export         an Biodiversität und Pestizideinsatz mehr
    von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nach         und mehr häufen5,6. Wird das EU-Mercosur-
    Europa und der Import von Agrochemikalien in       Handelsabkommen ratifiziert, sinken die Zölle
    die Mercosur-Länder zunehmen, insbesondere         auf Agrochemikalien um bis zu 90 Prozent, was
    nach Brasilien, dem weltweit führenden             zu einer Zunahme der Exporte gefährlicher
    Exporteur von Soja. Dieses Abkommen bringt         Pestizide aus der EU in die Mercosur-Staaten
    geschäftliche Gelegenheiten für die in der EU      führen dürfte 7, darunter auch steigende Exporte
    tätigen Agrochemiekonzerne, unter anderem          von Pestiziden, die in der EU wegen des Risikos
    die Branchenriesen Bayer und BASF, doch es         verboten wurden, dass sie für die menschliche
    birgt auch das Risiko einer Verschlimmerung        Gesundheit und die Umwelt darstellen8,9.
    der verheerenden Schäden an der Umwelt und
                                                       Das Abkommen dürfte außerdem zu einer
    den Gemeinschaften vor Ort. Dazu gehören
                                                       Zunahme von Exporten stark vom Pestizideinsatz
    auch die indigenen Völker, deren Lebensart
                                                       abhängiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse
    und Landrechte von der brasilianischen
                                                       und ihrer Derivate führen, darunter Soja,
    Agrarwirtschaft bedroht werden 2.
                                                       Zuckerrohr und aus Zuckerrohr gewonnenes
    Um die Handelsbeziehungen zwischen Europa          Ethanol. Ebenfalls ansteigen dürften die Exporte
    und Lateinamerika richtig einschätzen zu           von Fleischprodukten, wie etwa Geflügel, bei
    können, muss man ihre kolonialen Ursprünge         deren Erzeugung in hohem Maße sojabasierte
    kennen. Seit dem späten 15. Jahrhundert            Futtermittel zum Einsatz kommen, was den
    haben Europäer*innen in der Region Rohstoffe       Pestizidverbrauch noch weiter in die Höhe treibt.
    abgebaut und natürliche Ressourcen                 Diese agrarwirtschaftlichen Erzeugnisse stehen
    und landwirtschaftliche Erzeugnisse aus            außerdem im Zusammenhang mit der Abholzung
    Monokulturen nach Europa exportiert 3. Dieses      von Wäldern, dem Verlust von Biodiversität und
    Muster ist in den heutigen europäischen            der Verletzung der Rechte indigener Völker.
    Handelsbeziehungen mit den Mercosur-Staaten
                                                       Brasilien und Argentinien gehören bereits
    nach wie vor deutlich erkennbar. Bei rund 84
                                                       heute zu den weltweit größten Nutzern von
    Prozent der EU-Exporte in Mercosur-Staaten
                                                       Pestiziden,10 was primär auf den Anbau von
    handelt es sich um Dienstleistungen und
                                                       pestizidresistenten Sojabohnen und Mais auf
    hochwertige Industrieprodukte, wohingegen
                                                       riesigen Flächen im Umfang von Millionen
    sich rund drei Viertel der Mercosur-Exporte nach
                                                       von Hektar zurückzuführen ist. Und mit dem
    Europa aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen
                                                       gestiegenen Anbau von pestizidintensiven
    und Bodenschätzen zusammensetzen 4. Die
                                                       Kulturen stieg natürlich auch der
    im EU-Mercosur-Abkommen vorgesehene
                                                       Pestizidverbrauch 11.
    Handelsliberalisierung wird diese neokoloniale
    Beziehung zementieren, den Export von              Brasiliens gigantische Sojabohnen-Plantagen,
    Rohstoffen nach Europa erhöhen und die             die eine Fläche von der Größe Deutschlands
    Schädigung von Natur und Gemeinschaften            bedecken12, haben den weltgrößten Absatzmarkt
    vor Ort fortsetzen, die bereits jetzt der          für Pestizide geschaffen, darunter auch Highly
    toxischen Belastung durch die Ausdehnung von       hazardous Pesticides (HHP, hochgefährliche
    monokultureller Agrarwirtschaft auf ihrem Grund    Pestizide), die als extrem schädlich für die
    und Boden ausgesetzt sind.                         menschliche Gesundheit und die Umwelt

6
eingestuft wurden13. Der Sojabohnenanbau             Die Pestizidhersteller sind außerdem in
ist der größte Abnehmer für Agrochemikalien          raffinierte, viele Millionen Dollar schwere
in Brasilien und für 50 Prozent des gesamten         Lobby-Kampagnen involviert, deren Ziel
Umsatzes verantwortlich. Fast zwei Drittel der       die Beeinflussung der öffentlichen Meinung
brasilianischen Ausgaben für HHP entfielen           über die Medien ist. Hinzu kommt direkte
auf Soja das angebaut wird, um die globale           Lobbyarbeit bei Politiker*innen. Und während
Nachfrage nach Futtermitteln für die Viehzucht       sich die Pestizidindustrie substanzielle
zu befriedigen, nicht zuletzt aus Europa14.          Lobby-Macht gesichert hat, werden für
                                                     das Monitoring von Umweltverstößen und
Die europäischen Pestizidhersteller gehören
                                                     Menschenrechtsverletzungen zuständige
zu den großen Lieferanten hochgefährlicher
                                                     zivilgesellschaftliche Organisationen heftig
Pestizide. Viele in Europa ansässige
                                                     angegriffen21 .
Unternehmen exportieren von hier aus Pestizide,
deren Einsatz in Europa selbst verboten ist,         Dieser Bericht deckt die einflussreiche Allianz
darunter die deutschen Branchenriesen Bayer          der europäischen Agrochemieindustrie mit
und BASF, das französische Unternehmen Borie         der brasilianischen Agrarwirtschafts-Lobby
Industries, Sipcam Oxon aus Italien und der in       und ihre zentrale Taktik auf, den Marktzugang
Belgien ansässige Hersteller Arysta Lifescience      für gefährliche Pestizide zu erleichtern. Er
  , . Deutschland, das Vereinigte Königreich,
15 16
                                                     zeigt, wie die Unternehmen der europäischen
Frankreich, Belgien und Spanien sind die größten     Chemieindustrie, darunter Bayer und BASF, vom
Exporteure von Pestiziden in Mercosur-Länder17.      EU-Mercosur-Handelsabkommen profitieren
Der Verband der europäischen chemischen              werden – mit verheerenden Folgen für die Natur,
Industrie (CEFIC), dem die multinationalen           die lokale Bevölkerung und indigene Völker.
deutschen Konzerne BASF und Bayer als
Mitglieder angehören, hat das EU-Mercosur
Handelsabkommen begrüßt und geht davon aus,
dass reduzierte Zölle auf Chemikalien ein stetiges
Wachstum der Exporte dieser Produkte in die
Mercosur-Staaten ermöglichen wird18.

Brasilien ist auch eines der Hauptexportziele
für in der EU verbotene Agrochemikalien. Hier
profitieren europäische Pestizidhersteller
von einer schwächeren Reglementierung
und großzügigen Steuererleichterungen für
Pestizide19,20.

Während europäische Pestizidhersteller aus
der schwächeren Pestizidgesetzgebung Kapital
schlagen, kollaborieren sie gleichzeitig mit
der brasilianischen Agrarwirtschaft, um die
Ausarbeitung dieser Gesetze zu beeinflussen.
Diese Agenda wird im brasilianischen
Parlament (Kongress) durch den mächtigen
agrarwirtschaftlichen Block vertreten, die
                                                                Allein im Jahr 2019 hat die EU mehr als 6,5
Bancada Ruralista. Diese Gruppierung ist
                                                                   Millionen Kilo Pestizide in die Mercosur-
berüchtigt dafür, eine schwache Umwelt- und
                                                                   Länder exportiert, die auf ihrem eigenen
Pestizidgesetzgebung und die Demontage von
                                                                Territorium verboten wurden oder niemals
Regierungsbehörden zu forcieren, die sich für
                                                                      zugelassen waren (Bombardi 2021).22
Umweltschutz einsetzen. Unternehmen aus
der EU unterstützen diesen Block bei seinen
Bestrebungen, Landraub in großem Stil zu
legitimieren und die Rechte der indigenen Völker
und ländlicher Gemeinschaften zu unterminieren.
                                                                                                               7
1. Brasiliens Pestizidproblem:
    Menschenrechtsverletzungen und
    Schädigung von Ökosystemen
    Bereits unter Präsident Michel Temer und nun      auf Sojaplantagen im brasilianischen
    auch unter Jair Bolsonaro hat es einen steilen    Amazonasgebiet in direkten Zusammenhang mit
    Anstieg in der Anzahl der Zulassungen für         zerstörten Bienenstöcken29.
    Pestizide in Brasilien gegeben23.
                                                      Agrochemikalien, die bei der Sojaproduktion
    Der Einsatz dieser Pestizide hat in Brasilien     eingesetzt werden, wurden in Wasserwegen
    zur signifikanten Bedrohung der Artenvielfalt     des für seine hohe Biodiversität bekannten,
    und der Umwelt im Allgemeinen geführt24.          einzigartigen tropischen Feuchtgebietes Pantanal
    Die Versickerung von Pestiziden hat das           gefunden, außerdem im Amazonasgebiet und im
    Grundwasser kontaminiert25, und das Versprühen    Cerrado, einer ökologisch ebenfalls einzigartigen
    verursacht eine weitreichende Verschmutzung,      Grassavannenlandschaft30.
    mit schädlichen Auswirkungen auf Säugetiere,
                                                      UN-Institutionen haben außerdem
    Vögel und Insekten26,27.
                                                      davor gewarnt, dass das Ausmaß des
    Das von BASF produzierte Insektizid Fipronil,     Pestizideinsatzes in Brasilien ernsthafte
    dessen Einsatz in der EU in der Landwirtschaft    Auswirkungen auf die Menschenrechte hat31.
    verboten ist, wurde 2019 mit dem Massensterben    Unter anderem „führen Opfer zu Recht an,
    von mehr als 500 Millionen Bienen in Verbindung   dass Todesfälle, gesundheitliche Probleme
    gebracht 28. Berichte bringen seine Verwendung    sowie eine grausame, unmenschliche

8
und erniedrigende Behandlung auf die                Viele der Pestizide wurden in der EU bereits
Pestizidbelastung zurückzuführen sind“32.           verboten, und im Juli 2020 prangerten
Anlässlich seines Besuches in Brasilien 2019        36 UN-Bericherstatter- und anderen
äußerte der UN-Sonderberichterstatter zu            Menschenrechtsvertreter*innen die
Giftstoffe und Menschenrechte Bedenken              Praxis, in der EU verbotene Pestizide zu
zur Situation der indigenen Völker. Deren           exportieren, als Menschenrechtsverletzung
Menschenrechte würden durch die Expansion der       an40. Rückstände dieser Pestizide finden
Landwirtschaft und das absichtliche Versprühen      sich in importierten landwirtschaftlichen
von giftigen Pestiziden über ihrem Land und         Erzeugnissen und die Pestizidhersteller haben
ihren Wohnstätten verletzt. Berichten zufolge       aggressive Lobbyarbeit betrieben, damit der
werden Pestizide eingesetzt, denen auch Kinder      Import von Lebensmitteln mit Rückständen
zu Hause, in der Schule und bei der Arbeit          gewisser gefährlicher Pestizide gestattet
ausgesetzt sind33.                                  wird41. CropLife International, der mächtige
                                                    Verband der Agrochemieunternehmen, dem
Zahlreiche ländliche Gemeinschaften haben
                                                    auch BASF und Bayer angehören, äußerte
von der Kontamination von Pflanzen und
                                                    Bedenken gegenüber Vorschlägen, den
Wasserquellen berichtet, wie auch von
                                                    Export von in der EU verbotenen Pestiziden
gesundheitlichen Auswirkungen infolge von
                                                    zu beenden, indem sie behaupteten, dass
Versprühung der Pestizide in der Luft. Viele
                                                    Regierungen und Erzeuger*innen auf
fürchten sich allerdings vor Repressionen
                                                    importierte Pestizide angewiesen seien, um ihre
durch reiche und politisch mächtige
                                                    Agrarwirtschaftssektoren zu schützen42,43 . Der
Großgrundbesitzer*innen34.
                                                    Verband der europäischen chemischen Industrie
Insbesondere die Auswirkungen einer                 (CEFIC) begründete seine Verzögerungstaktik
chronischen Exposition mit hochgefährlichen         mit dem Argument, dass Maßnahmen erst
Pestiziden sind besorgniserregend. Studien          nach einer „detaillierten und gründlichen
ergaben ein erhöhtes Risiko für Krebs, Alzheimer,   Folgenabschätzung“ ergriffen werden sollten44.
Parkinson, Hormon- und Entwicklungsstörungen
sowie Unfruchtbarkeit35.

Forscher- und Akademiker*innen, die Folgen
für die Gesundheit aufdecken, geraten
aufgrund ihrer Arbeit zu Agrochemikalien unter
Beschuss36,37 . Sie werden schikaniert, in ihrer
beruflichen Existenz bedroht und persönlich
attackiert38. Institutionen, die Zusammenhänge
mit gesundheitlichen Problemen erkannt haben,
wurden die Regierungszuschüsse gestrichen39.

                                                                                                      9
2. Brasiliens mächtige Bancada
     Ruralista und ihre destruktive Agenda
     Die Bancada Ruralista, der agrarwirtschaftliche     vor und hebelt das seit 1989 gesetzlich
     Block, ist eine konservative politische             verankerte Vorsorgeprinzip aus, das den
     Gruppierung im brasilianischen Parlament            Einsatz von Agrochemikalien grundsätzlich
     (Kongress), der diverse politische Parteien         verbietet, wenn sie Stoffe enthalten, die zu
     angehören, die im Interesse der Agrarwirtschaft     Entwicklungsstörungen, Krebs oder Mutationen
     agieren. Sie ist die mächtigste politische Kraft    führen können. Der neue Gesetzentwurf sieht
     im Kongress, ihr gehören 241 der insgesamt          eine „risikobasierte Bewertung“ vor, gemäß
     513 brasilianischen Parlamentsmitglieder (46        derer Karzinogene theoretisch auf den Markt
     Prozent) an, sowie 39 Senatsmitglieder, ebenfalls   gebracht werden dürfen, wenn das Risiko nicht
     nahezu die Hälfte45. Viele dieser Politiker*innen   als „inakzeptabel“ eingestuft wird51.
     sind auch in die Agrarwirtschaft involviert oder
                                                         Diese Gesetzesvorlage wurde ursprünglich
     besitzen große Ländereien, insbesondere im
                                                         vom ehemaligen Landwirtschaftsminister Blairo
     Amazonasgebiet und in der Region Matopiba46,
                                                         Maggi eingebracht52, auch bekannt als Brasiliens
     wo der Anbau von Sojabohnen rapide
                                                         „Sojakönig“, denn er ist Inhaber der Amaggi-
     zugenommen hat.
                                                         Gruppe, dem größten Sojabohnenproduzenten
     Die Bancada Ruralista ist eine enge Verbündete      der Welt. Der Gesetzentwurf sieht auch
     der Regierung von Präsident Bolsonaro und           erweiterte Machtbefugnisse für das Ministerium
     unterstützte 2018 seine Kandidatur47. Im ersten     für Landwirtschaft und Viehzucht (MAPA) vor53,
     Jahr seiner Amtszeit ernannte Bolsonaro vier        das dann ganz allein für die Zulassung neuer
     Mitglieder des Blocks zu Minister*innen und         Produkte verantwortlich sein wird. Momentan
     äußerte gegenüber der Gruppe: „Dies ist             müssen Pestizide noch von der nationalen
     Ihre Regierung“. Symbolisch legte er somit          Agentur für Gesundheitsschutz (Anvisa),
     die Kontrolle über Brasilien in die Hände der       dem Brasilianischen Institut für Umwelt und
     Agrarwirtschaft48.                                  erneuerbare natürliche Ressourcen (IBAMA) und
                                                         dem Landwirtschaftsministerium gemeinsam
     Die Bancada Ruralista genießt die Unterstützung
                                                         genehmigt werden. Anvisa und IBAMA sollen nun
     von Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina,
                                                         von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen
     der früheren Präsidentin der Gruppe, die selber
                                                         werden und im neuen Verfahren eine
     über enge Verbindungen zur Agrarwirtschaft
                                                         ausschließlich beratende Funktion erhalten.
     verfügt49. Bevor sie Landwirtschaftsministerin
     wurde, war Cristina Vorsitzende einer               Außerdem sieht das Gesetz eine Frist von
     Parlamentskommission, die einen umstrittenen        maximal zwei Jahren vor, in der die Regierung
     Gesetzentwurf absegnete: das so genannte            über den Antrag eines Pestizidherstellers auf
     Giftpaket (PL 6299/2002) zur Aufhebung von          Zulassung einer Substanz entscheiden muss.
     Restriktionen für Pestizide50.                      Wird die Frist nicht eingehalten, wird die
                                                         Substanz automatisch genehmigt und als zum
     Das Giftpaket würde den Einsatz gefährlicherer
                                                         Einsatz zugelassen registriert54.
     Pestizide gestatten, von denen viele in der
     EU verboten sind. Wird die Gesetzesvorlage          Die Bancada Ruralista unterstützt und fördert
     verabschiedet, wäre mit einem Anstieg von           diesen Gesetzentwurf, der im Februar 2022
     Registrierungen, Zulassungen und Einsatz            vom Kongress verabschiedet wurde und nun
     von Pestiziden ohne eine angemessene                auf die Bestätigung durch den Senat wartet55.
     Abschätzung der sozio-ökologischen Folgen zu        Zahlreiche Organisationen hatten sich
     rechnen.                                            dagegen ausgesprochen, unter anderem
                                                         die Vereinten Nationen, die das Gesetz als
     Der Gesetzentwurf sieht eine noch flexiblere
                                                         „ernsthafte Bedrohung für eine ganze Reihe von
     Handhabung des Pestizideinsatzes im Land
                                                         Menschenrechten“ bezeichnet hat 56.
10
Box 1: Von der Bancada Ruralista geförderte
Gesetzesvorlagen
Die Bancada Ruralista war auch erfolgreich bei            und somit gegen internationales Recht
ihrem Vorstoß für eine drastische Kürzung des             verstoßen. Die indigenen Völker würden auch
brasilianischen Umweltbudgets57. So wurden Mittel         ihr Mitbestimmungsrecht bei der Nutzung
für FUNAI (brasilianische Regierungsbehörde zum           ihrer Ländereien durch die nicht-indigene
Schutz der indigenen Bevölkerung), IBAMA und das          Bevölkerung verlieren. Die Regierung könnte
Umweltministerium in den letzten Jahren um mehr           den uneingeschränkten Zugang zu natürlichen
als 40 Prozent gekürzt58.                                 Ressourcen verfügen, darunter auch extraktive
                                                          Aktivitäten wie Bergbau und kommerzielle
Der Block steht außerdem hinter                           Agrarwirtschaft. Die Parlamentsmitglieder
Gesetzesentwürfen, die eine Kriminalisierung der          der Bancada Ruralista argumentieren, dass
Zivilgesellschaft und sozialer Bewegungen zum             die indigenen Völker nur Rechte an jenen
Ziel haben. Momentan liegen dem Kongress rund             Ländereien haben sollten, die sich am 5.
20 Gesetzentwürfe vor, insbesondere Vorlage               Oktober 1988 in ihrem Besitz befanden, als die
1595/19, Vorlage 272/16 und Vorlage 732/2022,             brasilianische Bundesverfassung in Kraft trat.
deren Verabschiedung die Aktivitäten sozialer             Damit würden die historischen Rechtsverstöße
Bewegungen unter dem Vorwand der nationalen               ignoriert, denen die indigenen Völker seit der
Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung                  Kolonisation ausgesetzt waren.
effektiv kriminalisieren würde 59.
                                                      •   PL 191/2020 würde den Bergbau und die
Bei mehreren anderen Gesetzesvorlagen                     Erzeugung von Energie aus Wasserkraft
handelt es sich um Vorstöße zur Änderung von              auf indigenen Territorien zulassen.
Umweltschutzgesetzen und zur Neudefinition der            Dies hätte massive Auswirkungen auf
Rechte der indigenen Bevölkerung.                         die Abholzung der Wälder. Außerdem
•   Vorlage 3729/2004, auch bekannt als                   schätzen Wissenschaftler*innen, dass
    „Allgemeines Lizenzvergabegesetz“,                    dadurch jährlich fünf Millionen US-Dollar an
    soll die Vergabe von Umweltlizenzen                   Ökosystemdienstleistungen verloren gehen
    für Erschließungsaktivitäten erleichtern.             könnten 61.
    Der Entwurfstext sieht einen Verzicht             •   PLS 510/2021 (PL 2633/2020): Der
    auf die Lizenzvergabe bei den meisten                 Gesetzentwurf zur Regulierung von Landraub
    agrarwirtschaftlichen Aktivitäten und                 lockert die Regelungen für die Registrierung
    Infrastrukturprojekten vor. Wird die                  von Landtiteln für öffentliches staatliches
    Vorlage verabschiedet, wären zukünftig                Land und strebt eine Änderung des
    keine Genehmigungen mehr erforderlich                 Besitzregulierungsgesetzes an, die Landräubern
    für agrarwirtschaftliche Produzenten in               und Eindringlingen eine Art Amnestie anbietet,
    den Bereichen Ackerbau, Viehzucht und                 wenn sie irregulär staatliches Land besetzt
    Holzwirtschaft, z.B. Eukalyptusplantagen60. Der       und erschlossen haben, das von Quilombola,
    Gesetzentwurf wurde bereits vom Parlament             indigenen und traditionellen Gemeinschaften
    verabschiedet und benötigt nun noch die               genutzt wird. In der Praxis wird dies
    endgültige Zustimmung des Senats. Tritt               Landräubern ermöglichen, Eigentümerstatus
    das Gesetz in Kraft, hätte es unmittelbare            für illegal besetzte Gebiete zu erhalten. Zudem
    Auswirkungen auf bekannte vulnerable                  werden sie unter Umständen von der Einhaltung
    Gruppen, unter anderem indigene Völker                von Umweltschutzbestimmungen befreit, denn
    und die Quilombola (die afro-brasilianischen          die Landfläche, die ohne Inspektion durch
    Nachkommen geflüchteter Sklaven). Bedenken            die INCRA (Nationale Landreformagentur)
    bestehen insbesondere aufgrund des                    registriert werden kann, wird vergrößert. Bei
    Ausschlusses vom Recht auf Information.               der Inspektion werden im Normalfall gesetzliche
•   Der „Zeitrahmen“ für indigenen Landbesitz,            Vorschriften, dauerhafte Schutzgebiete,
    Vorlage PL 490/2007, bedroht den gesetzlichen         die Verwendung von Weideflächen und die
    Schutz indigener Territorien. Das Gesetz              Landerschließung überprüft. Der Gesetzentwurf
    würde es vielen indigenen Völkern unmöglich           wird gleichzeitig im Umwelt- und im
    machen oder erschweren, ihre Ansprüche auf            Landwirtschaftskomitee des Senats debattiert.
    ihren traditionalen Landbesitz durchzusetzen,                                                           11
Box 2: Korruption, Lobbyismus und Politik
     Kommerzielle und politische Interessen scheinen sich in Brasilien häufig zu
     überschneiden. Sowohl die Bancada Ruralista als auch die brasilianische
     Agrarwirtschaftslobby sind durch zahlreiche Korruptionsvorwürfe belastet. Zwischen
     Unternehmen der Agrarwirtschaft und der Politik herrscht das Drehtürprinzip.

     Dem aktuellen Präsidenten der Bancada Ruralista, Sérgio Souza, wurde vorgeworfen,
     im Rahmen eines Rentenbetrugskomplotts Bestechungsgelder erhalten zu haben62.
     Zudem erhielt er für seine Wahlkampagne 2014 Spenden von Unternehmen, die von
     der Regierungsbehörde IBAMA wegen Umweltverbrechen verfolgt wurden63. Des
     Weiteren ermittelte die Bundespolizei gegen ihn wegen der möglichen Annahme von
     Bestechungsgeldern im Jahre 201964.

     Beinahe die Hälfte der 513 im Jahre 2014 in den Kongress gewählten
     Parlamentsmitglieder erhielten eine Gesamtsumme von etwa 60 Millionen
     Brasilianischen Real (ca. 10 Mio. Euro) an offiziellen Spenden von Unternehmen und
     Einzelpersonen, die von der IBAMA wegen Umweltverbrechen (wie etwa der illegalen
     Abholzung oder Brandrohdung von Wäldern) mit Strafen belegt worden waren65. Zu
     ihnen gehört auch die aktuelle Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina66,67

     Der lange Arm der Agrarwirtschaftslobby reicht von der Unterstützung bei der Wahl
     zum Kongressmitglied bis hin zur Festlegung der Ernennung von Minister*innen (und
     Ambitionen bei der Wahl des oder der Präsident*in)68.

           Lobbyarbeit der Agrarwirtschaft in
           Brasilien: eine Checkliste
                        Umweltschutzbestimmungen schwächen
                        Transparenz verhindern
                        Zivilgesellschaft kriminalisieren
                        Staatliches Umweltschutzbudget kürzen
                         Greenwashing der Agrarwirtschaftsunternehmen

12
3. Europäische Pestizidgiganten und die
brasilianische Agrarwirtschaftslobby
Im Jahre 2017 unterstrich ein UN-Bericht, dass      Bayer, BASF und Syngenta sind beispielsweise
das Oligopol der Pestizidhersteller über enorme     Mitglieder der Pestizid-Lobbygruppe
Macht verfügte, und dass die Lobbyarbeit von        SINDIVEG (Sindicato Nacional da Indústria de
Konzernen wie Bayer, Monsanto (inzwischen Teil      Produtos para Defesa Vegetal)75, die aggressiv
von Bayer) und Syngenta Regierungen dergestalt      Lobbyarbeit für gefährliche Pestizide wie
beeinflusst habe, dass Reformen verhindert          Glyphosat76 und Paraquat betrieben hat77.
und Versuche, Pestizide zu regulieren, im Keim      Der Name der Lobbygruppe bedeutet wörtlich
erstickt worden seien69.                            übersetzt „Nationalverband der Hersteller
                                                    von Pflanzenschutzprodukten“ und soll wohl
In jüngster Zeit kam die UN-Plattform für
                                                    nach Naturschutz klingen, doch tatsächlich
Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen
                                                    werden hier giftige und umweltschädliche
(IPBES) zu dem Schluss, dass es zum Schutz
                                                    Pestizide gefördert. Außerdem unterstützen
der Biodiversität erforderlich sei, die Risiken
                                                    die Pestizidhersteller den brasilianischen
von Kooptation und Lobbyismus anzugehen,
                                                    Agrarwirtschaftsverband ABAG und CropLife
da „kommerzielle Interessen darauf hinarbeiten
                                                    Brasil (früher ANDEF)78. Alle dieser drei
könnten, eine hohe Nachfrage, Monopole und
                                                    Agrarwirtschaftsverbände haben Lobbyarbeit
den anhaltenden Einsatz von Pestiziden und
                                                    zur Unterstützung des Giftpaket-Gesetzes
chemischen Stoffen aufrecht zu erhalten70“.
                                                    geleistet79,80,81.
Die kommerziellen Interessen des
                                                    Diese Unternehmen und ihre Verbände
agrarwirtschaftlichen Sektors werden in
                                                    betreiben Lobbyarbeit, indem sie sich direkt
Brasilien lautstark vertreten, denn in Europa
                                                    an die Exekutive und die Legislative wenden,
ansässige Pestizidhersteller sind aktiv in die
                                                    unter anderem durch die Finanzierung von
Agrarwirtschaftslobby in Brasilien involviert71.
                                                    Wahlkampagnen für Kongressmitglieder82,83.
Milliarden von Euro schwere Pestizidhersteller
                                                    Außerdem betreiben sie Lobby-Kampagnen, die
mit Firmensitz in Europa, darunter BASF
                                                    darauf abzielen, das politische Narrativ zu prägen
und Bayer72, finanzieren einflussreiche
                                                    und die breite Bevölkerung zu beeinflussen.
brasilianische Agrarwirtschaftsverbände, die
als Lobby-Plattformen für die Interessen der
Pestizidindustrie und anderer Agrarsektoren
dienen, wie etwa Getreide, Soja und Fleisch73,74.

                                                                                                         13
3.1 Europäische Unternehmen finanzieren einen
     agrarwirtschaftlichen „Think Tank“

     Die Pestizidindustrie setzt auch Think Tanks        Die Führungskräfte des Instituto Pensar Agro
     ein, um ein politisches Narrativ zu bewerben,       haben sich von 2019 bis 2021 mehr als 200-
     das einer Lockerung der Regulierung von             mal mit Mitgliedern der Bolsonaro-Regierung
     Pestiziden positiv gegenübersteht. Ihre             getroffen – durchschnittlich fünf Mal pro Monat93.
     scheinbare Unparteilichkeit macht die               Die Mehrzahl dieser Treffen (148) fanden mit
     Denkfabriken zu nützlichen Vehikeln für             dem Landwirtschaftsministerium statt, aber
     Unternehmenslobbyismus. In Brasilien stellt         man traf auch mit Präsident Jair Bolsonaro94
     das Instituto Pensar Agro (dt. „Agrarwirtschaft     und drei Mal mit Vizepräsident Hamilton Mourão
     denken“) der Agrarwirtschaftslobby ein solches      zusammen95,96,97.
     Vehikel zur Verfügung, das zumindest partiell von
                                                         Offenbar gibt es außerdem eine Drehtür
     europäischen Pestizidherstellern finanziert wird.
                                                         zwischen dem Instituto Pensar Agro und
     Große Agrarwirtschaftsverbände, die Bayer,          Mitgliedern der Bancada Ruralista, denn
     BASF und Syngenta vertreten, haben rund             zwischen den beiden Institutionen findet ein
     zwei Millionen Euro zur Unterstützung               reger Personalaustausch statt. João Henrique
     der Lobbyarbeit des Instituto Pensar Agro           Hummel, der frühere Präsident des Instituts, war
     beigetragen84.                                      als Beamter für das Landwirtschaftsministerium
                                                         und für die brasilianische Bundesbehörde für
     Das Instituto Pensar Agro agiert als rechte Hand
                                                         die „Biosicherheit von genetisch modifizierten
     der Bancada Ruralista, denn seine Ziele sind
                                                         Organismen“ tätig98. Und der aktuelle Präsident
     die Beeinflussung der öffentlichen Meinung85
                                                         des Instituto Pensar Agro, Nilson Leitão, ist ein
     und die Förderung von politischen Maßnahmen
                                                         ehemaliges Parlamentsmitglied und führender
     im Interesse der Agrarwirtschaft. Beide haben
                                                         Kopf der Bancada Ruralista. Darüber hinaus hat
     die gleiche Agenda86. Das Instituto Pensar
                                                         das Instituto Pensar Agro auch schon Personal
     Agro finanziert die Aktivitäten der Bancada
                                                         von Agrarwirtschaftsverbänden rekrutiert, die
     Ruralista, arbeitet hinter den Kulissen mit ihr
                                                         europäische Pestizidhersteller vertreten, darunter
     zusammen beim Unterbreiten von Vorschlägen
                                                         auch eine Führungskraft, die früher in Diensten
     und Prüfen von Gesetzesentwürfen und leistet
                                                         von Bayer stand99.
     technische Unterstützung87,88. Ganz oben auf
     der gemeinsamen Prioritätenliste stehen die         Die Parlamentsmitglieder der Bancada Ruralista
     Beseitigung von Hindernissen für eine weitere       treffen sich wöchentlich in der Zentrale des
     Expansion der Agrarlebensmittel-Industrie,          Instituto Pensar Agro, einer Villa in einem noblen
     insbesondere im Amazonasgebiet89, und die           Viertel von Brasília100. Dort wird besprochen,
     Durchsetzung des Giftpaket-Gesetzes90,91. Das       wie, wann und wozu die Parlamentsmitglieder
     Instituto Pensar Agro hat außerdem großes           ihre Stimme abgeben sollten101, um ihren
     Interesse am EU-Mercosur-Handelsabkommen            Einfluss nicht nur im Kongress, sondern auch im
     und legt in Treffen mit dem Außenministerium        Präsidentenpalast geltend zu machen. Dieser
     eine gemeinsame „Strategie zur Bearbeitung          Einfluss schlägt sich nieder in Gesetzespaketen,
     von Umweltfragen in der Europäischen Union“         die Umwelt und Menschenrechte bedrohen,
     fest 92.                                            darunter die im Giftpaket vorgeschlagenen
                                                         Änderungen der Pestizidregulierung102,103,104.

14
3.2 Öffentliche Kampagnen zum Greenwashing der
brasilianischen Agrarwirtschaft
Meinungskampagnen sind ein weiterer Weg, um           unterstützt, die auch Hauptunterstützer des EU-
die Unterstützung der Öffentlichkeit für die Agenda   Mercosur-Handelsabkommen sind116,117.
der Agrarwirtschaft zu stärken. Dazu haben eine
                                                      Beim Fernsehstart der Kampagne waren das
Reihe von Agrarwirtschaftsverbände die Plattform
                                                      Instituto Pensar Agro und ECIPE beteiligt118. ECIPE
Agrosaber (dt. „landwirtschaftliches Wissen“) ins
                                                      wurde dabei durch Emily Rees vertreten, die das
Leben gerufen, die behauptet, Fake News rund um
                                                      durch Bayer finanzierte EU-Mercosur-Projekt des
landwirtschaftliche Produktion und Pestizideinsatz
                                                      Think Tanks koordiniert119 und auch schon als
zu bekämpfen105, und so das Gesetzespaket zur
                                                      Leiterin für EU-Angelegenheiten bei APEX tätig
Pestizidregulierung fördert. Tatsächlich verbreitet
                                                      war120. Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung
die Plattform Informationen, die auf falschen oder
                                                      riet Rees den Vertreter*innen der brasilianischen
voreingenommenen Studien basieren106,107. So
                                                      Agrarwirtschaft, ihre Größe herunterzuspielen, um
werden etwa die Auswirkungen der Soja- und
                                                      auf den europäischen Märkten Anklang zu finden.
Rindfleischproduktion auf die Abholzung der Wälder
                                                      „Die Europäer*innen legen Wert auf Produkte aus
heruntergespielt108 (rund 20 Prozent der Soja- und
                                                      kleinen, regionalen Erzeugerbetrieben“, erklärte
17 Prozent der Rindfleischexporte in die EU wurden
                                                      sie. Außerdem erteilte sie den Rat, dass sich die
wahrscheinlich auf illegal entwaldeten Flächen
                                                      brasilianische Agrarwirtschaft von Anfang an täglich
erzeugt109, 110). Durch Manipulation von Fakten
                                                      in die politische Diskussion in Europa einbringen
versucht die Plattform, der Agrarwirtschaft ein
                                                      müsse. „Wenn Sie sich nicht einbringen, können
positives und grünes Image zu verschaffen und die
                                                      Sie Ihre Agenda nicht voranbringen oder bei
Agenda der Bancada Ruralista zu fördern111.
                                                      den politischen Entscheidungsträger*innen und
Agrarwirtschaftliche Lobbygruppen und                 öffentlichen Institutionen für sich werben“, ließ Rees
die Bancada Ruralista arbeiten außerdem               verlauten121.
zusammen112 113, um das Image der brasilianischen
                                                      Die Plattform Agrosaber und Pamagro werden
Landwirtschaft beim europäischen Publikum
                                                      durch von Bayer und BASF finanzierte
aufzupolieren und den Weg für die Ratifizierung
                                                      Agrarwirtschaftsverbände unterstützt, darunter
des EU-Mercosur-Handelsabkommens zu ebnen.
                                                      die Pestizid-Lobbygruppe SINDIVEG und CropLife
Über das Instituto Pensar Agro unterstützen
                                                      Brasil122, beide zentrale Unterstützer des EU-
sie die Arbeit der staatlichen Agentur zur
                                                      Mercosur-Handelsabkommens123. CropLife Brasil
Export- und Investitionsförderung, APEX Brasil
                                                      wurde von Bayer, Syngenta, BASF und anderen
(Agência Brasileira de Promoção de Exportações
                                                      Chemiekonzernen gegründet124, um dem Sektor eine
e Investimentos), die Teil des brasilianischen
                                                      gemeinsame Stimme zu geben und eine Plattform
Außenministeriums ist.
                                                      für das Greenwashing ihrer zerstörerischen
Der in Brüssel ansässige Think Tank European          Unternehmensaktivitäten und der Bekämpfung
Centre for International Political Economy (ECIPE)    vermeintlicher Fake News zu haben125.
ist ebenfalls involviert und betreibt ein von Bayer
                                                      Christian Lohbauer, der früher für Bayer tätige
finanziertes EU-Mercosur-Projekt114.
                                                      CEO von CropLife Brasil, teilte der größten
APEX hat kürzlich die Kampagne PamAgro                brasilianischen Tageszeitung Estadão mit: „Wir
(Program for Access to the Markets for Brazilian      wollen Greta [Thunberg] zeigen, dass wir keine
Agribusiness) lanciert, um die brasilianische         Schurken sind“126. Außerdem behauptete er, die
Landwirtschaft in Europa zu bewerben115 und           hohe Anzahl von durch die Bolsonaro-Regierung
das „Image Brasiliens außerhalb des Landes zu         zum Einsatz zugelassenen Pestizide sei auf frühere
verbessern, insbesondere seine nachhaltigen           Versäumnisse zurückzuführen, die „das Aufkommen
Wirtschaftspraktiken hervorzuheben, und die           neuer Technologien in Brasilien verhindert“
Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens zu            hätten. Beim Klimagipfel Cop26 bestritt er den
unterstützen und zu ermöglichen“. Das Programm        Zusammenhang zwischen der brasilianischen
wird von jenen agrarwirtschaftlichen Sektoren         Sojaproduktion und der Entwaldung des Landes127.

                                                                                                               15
4. Die Lobbystrategie der
     Pestizidhersteller aus der EU trägt
     in Brasilien Früchte
     Die Wahl von Jair Bolsonaro zum                         Bayer-CEO Werner Baumann äußerte
     Staatspräsidenten im Jahre 2018, bei der                gegenüber Journalist*innen, dass der Konzern
     gleichzeitig Vertreter*innen der Agrarwirtschaft        dank der aktuellen brasilianischen Regierung
     in den Senat und ins Parlament gewählt wurden,          nicht nur Erfolge bei der Expansion des Soja-
     hat der Agrarwirtschaftslobby in Brasilien neuen        und Maisanbaus zu verzeichnen habe, sondern
     Schwung verliehen.                                      auch mit der Zulassung von acht neuen
                                                             chemischen Substanzen pro Jahr rechnen
     Im ersten Jahr ihrer Amtszeit hat die Bolsonaro-
                                                             können136. Baumann ist auch Bayers Vorstand
     Administration einen neuen Rekord bei der
                                                             für Nachhaltigkeitsfragen137 und leitete die
     Anzahl der Zulassungen von Pestiziden
                                                             63 Milliarden US-Dollar teure Übernahme des
     aufgestellt. Der damalige Umweltminister Ricardo
                                                             Pestizid-Giganten Monsanto138.
     Salles (Spitzname: der Anti-Umwelt-Minister),
     reiste zu vereinbarten Treffen mit Bayer und            Auch BASF verzeichnete seit der Wahl von
     BASF nach Europa128.                                    Bolsonaro eine deutliche Zunahme der
                                                             Zulassungen für kommerzielle Produkte. Seit
     Die aktuelle Landwirtschaftsministerin Tereza
                                                             2016 wurden 60 Prozent seiner neuen Produkte
     Cristina, die selbst über enge Verbindungen
                                                             zugelassen. Es gab einen „Aktionsplan“ zur
     zur Agrarwirtschaft verfügt129,130, leitete das
                                                             Steigerung von Umsatz, Gewinn und Cashflow139.
     beschleunigte Zulassungsverfahren für neue
     Pestizide 131. Cristina ist als ehemalige Präsidentin   Wie in den nachstehenden Abbildungen
     der Bancada Ruralista der Pestizidindustrie             dargestellt, wurden in den letzten sechs Jahren
     eine willkommene Bündnispartnerin und trifft            insgesamt 93 neue Pestizide aus dem Hause
     sich regelmäßig mit deren Vertreter*innen,              Bayer oder BASF zugelassen140.
     darunter Führungskräfte von Bayer132,133. Eines
                                                             Vier der 15 zugelassenen kommerziellen Pestizide
     ihrer früheren Bonmots lautete: „Pestizide
                                                             aus dem Hause Bayer enthalten Substanzen,
     sind wie Medizin“134. So kommt es wohl nicht
                                                             deren Einsatz in der EU verboten ist: Thiodicarb,
     überraschend, dass die Zulassungszahlen für
                                                             Indaziflam, Thiacloprid und Beta-cyflutrin.
     neue Pestizide unter der neuen Regierung
                                                             Thiodicarb141 ist ein neurotoxisches Pestizid,
     sprunghaft angestiegen sind. Pro Jahr werden
                                                             das Irritationen des Atemtrakts verursacht; das
     rekordverdächtige 500 kommerzielle Produkte
                                                             Herbizid Indaziflam142 ist ebenfalls neurotoxisch;
     neu zugelassen135.
                                                             das Insektizid Thiacloprid143 wird mit Störungen
     Dazu gehörten auch Produkte der Konzerne                der Fortpflanzung und des Hormonhaushalts in
     BASF und Bayer, deren einschlägige Umsätze              Verbindung gebracht; und das Insektizid Beta-
     unter der Bolsonaro-Regierung kräftig gestiegen         cyfluthrin144 ist nachweislich neurotoxisch und
     sind.                                                   wird mit Fortpflanzungsstörungen in Verbindung
                                                             gebracht.

16
BASF hat zwischen 2019 und 2021 die                sich im Einsatz befindlichen Agrochemikalien151.
Zulassung für 30 neue Pestizide erhalten, von      Den brasilianischen Konsument*innen wird
denen 15 Substanzen enthalten, deren Einsatz       verschwiegen, welche Substanzen auf ihren
in der Europäischen Union untersagt ist. Dazu      Tellern landen.
gehören das neurotoxische Fipronil, das mit
                                                   Die agrarwirtschaftlichen Lobbystrategien zahlen
Bienensterben in Verbindung gebracht wird145;
                                                   sich für Bayer und BASF ganz offensichtlich aus.
Dinotefuran, das ebenfalls Auswirkungen auf
                                                   Die Konzerne haben direkt von der Schwächung
Bienen hat146; Imazethapyr, das bei Menschen
                                                   von Gesetzen und Schutzmaßnahmen sowie
Atemstörungen verursacht und toxisch für
                                                   der Freizügigkeit der aktuellen brasilianischen
Wasserpflanzen ist147; und das für Vögel
                                                   Bundesregierung profitiert. So konnten sie in
und Bienen hochgiftige Chlorfenapyr148,149.
                                                   Brasilien Produkte verkaufen, deren Einsatz in
Die Pestizidhersteller genießen außerdem
                                                   ihrem Heimatland verboten ist.
großzügige Steuererleichterungen für ihre
Produkte. Die Verluste an Steuereinnahmen,         Tatsächlich ist der Pestizideinsatz in Brasilien
die der brasilianische Staat aufgrund der          rasant angestiegen und hat sich in im Laufe
Steuererleichterungen für Pestizide im             der vergangenen 20 Jahre versechsfacht.
Jahre 2020 verbuchte, waren fast viermal           Gleichzeitig stirbt in Brasilien jeden zweiten
so hoch, wie das gesamte Budget des                Tag ein Mensch an einer Pestizidvergiftung und
Umweltministeriums150.                             rund 20 Prozent dieser Opfer sind Kinder und
                                                   Jugendliche unter 19 Jahren.152
Bislang ist es den Pestizidherstellern
gelungen, diese Profite unter dem Vorwand
von „geschäftlicher Vertraulichkeit“ zu
verschleiern. Informationen zu einer großen
Anzahl der verkauften Pestizide werden nicht
verfügbar gemacht. Im Jahre 2018 veröffentlichte
IBAMA die Daten zu lediglich 28 Prozent der

       Jährliche Zulassung neuer Pestizide in Brasilien
       (Handelsprodukte)

                                                                          493      499
                                                                 475
                                                        449
                                                404

                                       277

                              139

                                                            Larissa Mies Bombardi 2021

                                                                                                      17
Da die Pestizidindustrie eine so starke Lobby
     hat, ist die Überwachung von Umwelt- und
     Menschenrechtsverletzungen durch die
     Zivilgesellschaft stark unter Beschuss geraten.
     Hunderte von Komitees und Gremien, die Teil
     der Struktur des Umweltministeriums waren,
     wurden aufgelöst oder entmachtet153. Zum
     Beispiel wurde 2019 der nationale Umweltrat
     Conama, eines der wichtigsten Fachgremien der
     brasilianischen Umweltpolitik, per Präsidialdekret
     demontiert154. Umweltorganisationen,
     indigene Völker, traditionelle Gemeinschaften,
     die wissenschaftliche Gemeinde und
     Landarbeiter*innen haben dabei effektiv ihren
     Raum für Repräsentation und Teilhabe verloren.

     Kürzlich hat der UN-Sonderberichterstatter
     über das Recht auf friedliche Versammlungs-
     und Vereinigungsfreiheit auf die
     Aushöhlung der brasilianischen Demokratie
     hingewiesen und dringend sichere Räume
     für die Zivilgesellschaft angemahnt. Als
     besonders besorgniserregend betrachtete
     er die Einschränkungen der umfassenden,
     aktiven sozialen und politischen Teilhabe
     der brasilianischen Zivilgesellschaft und das
     erschreckende Ausmaß an Gewalt gegenüber
     Menschenrechtsaktivist*innen, indigenen Völkern
     und traditionellen Gemeinschaften, insbesondere
     afrikanischer Abstammung155.

18
Fazit
Die brasilianische Agrarwirtschaft rührt gemeinsam mit europäischen Pestizidherstellern,
wie Bayer und BASF, die Werbetrommel für das EU-Mercosur-Handelsabkommen.
Ziel ist die Expansion der Märkte für agrarwirtschaftliche Exportgüter, die von
Agrochemikalien abhängig sind. Bayer und BASF haben Hand in Hand mit brasilianischen
Parlamentsmitgliedern des agrarwirtschaftlichen Blocks – der Bancada Ruralista—
gearbeitet, um lockere Regularien für Pestizide und laxe Umweltstandards zu forcieren.
Dabei haben sie eine legislative Agenda unterstützt, die darauf abzielt, die Rechte der
indigenen Völker zu unterminieren, Umweltschutzbestimmungen abzuschaffen und die
Abholzung der Wälder zu legitimieren.

Agrochemiekonzerne aus Europa, die hier verbotene toxische Pestizide in die Mercosur-
Staaten exportieren, gehen davon aus, dass sie von dem Abkommen durch Ausnutzung
schwächerer Umweltschutzbestimmungen und großzügiger Steuererleichterungen
profitieren werden. Gleichzeitig verschweigen sie Details der von ihnen verkauften
Produkte unter dem Vorwand der geschäftlichen Vertraulichkeit. Eine Zunahme des
Pestizideinsatzes wird ein toxisches Erbe hinterlassen, die Biodiversität schädigen
und die bereits jetzt ernsthaften Konsequenzen für die Gemeinschaften vor Ort weiter
verschlimmern.

Die durch das EU-Mercosur-Abkommen geförderten Handelspraktiken stehen in
fundamentalem Widerspruch zu den grünen Zielen der EU und ihrer kürzlich verkündeten
Farm-to-Fork-Strategie. Letztere hat zum Ziel, den Pestizideinsatz drastisch zu reduzieren
und Rückstände von in der EU nicht zum Einsatz zugelassenen Pestiziden in Lebensmitteln
zu verbieten.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig. Wie der jüngst erschienene
IPPC-Bericht ausgeführt hat, ist eine Abkehr von der industriellen Agrarwirtschaft
und Hinwendung zu agrarökologischen Rahmenbedingungen dringend geboten156,157.
Brasilianische Bewegungen für Lebensmittelhoheit und Agrarökologie sind bereits Vorreiter
für nachhaltigere landwirtschaftliche Praktiken. Die agrarökologische Allianz Articulação
Nacional de Agroecologia (ANA)158 und die Kooperative der landlosen Landarbeiter*innen
(Movimento sem Terra, MST) zeigen, dass alternative Modelle eines florierenden Lebens
auf dem Land möglich sind159. Hier haben Landwirt*innen ein auskömmliches Einkommen,
produzieren qualitativ hochwertige Lebensmittel zu günstigen Preisen für die Region und
stellen die Bodenqualität wieder her. Doch diese Praktiken sind von dem Handelsabkommen
bedroht, dass die Zukunft einer hochwertigen Lebensmittelerzeugung die Existenzgrundlage
von Menschen und die Umwelt- und Gesundheitspolitik sowohl in der EU als auch in den
Mercosur-Staaten unterminiert.

Dies ist die Folge des historischen kolonialen Erbes der Ressourcenextraktion aus der
Mercosur-Region. Rund drei Viertel der heutigen Exporte aus Mercosur-Ländern in die EU
basieren noch heute auf landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Bodenschätzen. Umgekehrt
handelt es sich bei 84 Prozent der EU-Exporte nach Mercosur um Dienstleistungen und
hochwertige Industrieprodukte.
                                                                                             19
Forderungen
     Die EU trägt aufgrund ihrer Kolonialgeschichte bereits einen großen
     Anteil an (historischer) Mitverantwortung für die Umweltzerstörung und
     die damit verbundenen Konflikte und Menschenrechtsverletzungen in
     den Mercosur-Staaten160. Insbesondere durch ihre Unterstützung der so
     genannten Grünen Revolution in Lateinamerika, die aus Landwirtschaft eine
     (industrielle) Agrarwirtschaft gemacht hat, welche in hohem Maße abhängig
     ist von Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden. Dadurch gingen regionales
     Wissen und traditionelle agrarökologische Praktiken verloren.

     Somit sollte die EU nun auch eine große Rolle dabei spielen, die Region beim
     Übergang von der intensiven Agrarwirtschaft zurück zu nachhaltigeren,
     agroökologischen Praktiken zu unterstützen.

     Als der ökonomisch stärkere, reichere Handelspartner muss die EU ihrer
     Verantwortung gerecht werden und die Ratifizierung des schädlichen
     EU-Mercosur-Abkommens stoppen. Sie muss intervenieren, um zu
     verhindern, dass in Europa ansässige Pestizidhersteller die schwächeren
     regulatorischen Kontrollen in Übersee ausnutzen. Zudem muss sie die
     Einfuhr von Lebensmitteln verbieten, die Rückstände von Chemikalien
     enthalten, deren Einsatz in der EU selbst verboten ist. Außerdem darf sie es
     der Chemieindustrie in der EU nicht länger gestatten, in der EU verbotene
     Produkte in andere Teile der Welt zu exportieren, da sie dort erheblichen
     Schaden anrichten.

     Weiter wie bisher ist keine Option, wenn die aktuellen industrialisierten und
     globalisierten Lebensmittel-Versorgungsysteme Treiber von Klimawandel,
     sozialer Ungerechtigkeit und Gesundheitsrisiken sind.

     Wir müssen uns nachhaltigeren Wegen der sicheren und gesunden
     Erzeugung und des Konsums von Lebensmitteln zuwenden, die
     Menschenrechte und die ökologischen Grenzen unseres Planeten
     respektieren. Die Handelspolitik muss kürzere Lieferketten für resiliente
     und dezentralisierte Lebensmittel-Versorgungsysteme unterstützen, die
     den Prinzipien der Agroökologie folgen. Politische Maßnahmen müssen kleine
     Erzeuger*innen in den Mittelpunkt stellen und diejenigen respektieren, die
     uns ernähren.

20
Sie können auch lesen