GIFTIGE PROFITE Die Lobbyarbeit der EU-Pestizidhersteller in Brasilien
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GIFTIGE PROFITE Die Lobbyarbeit der EU-Pestizidhersteller in Brasilien S2B SEATTLE TO BRUSSELS NETWORK
S2B SEATTLE TO BRUSSELS NETWORK Impressum April 2022. Autorinnen: Larissa Mies Bombardi, Audrey Changoe Herausgeberin: Helen Burley Beiträge: Laura Hieber, Mute Schimpf, Myriam Douo, Paul de Clerck, Martin Konecny Layout: Clémence Hutin
Zusammenfassung Wird das Handelsabkommen der EU mit den Die Agrarwirtschaftsverbände führen auch Mercosur-Staaten ratifiziert, werden Exporte Kampagnen zur Steuerung der öffentlichen landwirtschaftlicher Erzeugnisse nach Europa Meinung durch. Als Teil der Agrarlobby und Importe gefährlicher Agrochemikalien nach unterstützen Bayer und BASF große Südamerika, insbesondere nach Brasilien, rasant Kundgebungen und Plattformen, die ein zunehmen. Die zu erwartende Expansion der Greenwashing der brasilianischen Agrarwirtschaft Landwirtschaft für den Export birgt das Risiko, zum Ziel haben, um Konsument*innen und dass sich bereits bestehende Probleme weiter Entscheidungsträger*innen in Europa für sich zu verschärfen, wie etwa die Umwandlung von gewinnen und die europäische Kritik am EU- Wäldern und anderen wichtigen Ökosystemen Mercosur-Abkommen zu konterkarieren. in Agrarflächen und die toxische Belastung Eine weitere Schlüsselstrategie der EU- von Natur und Menschen vor Ort durch eine Pestizidhersteller ist die Finanzierung pestizidintensive Landwirtschaft. von Drittorganisationen, die sich für ihre Das EU-Mercosur Handelsabkommen wurde kommerziellen Interessen stark machen. So von Konzernen wie Bayer und BASF, die zu betreibt etwa der in Brüssel ansässige Think Tank den führenden Pestizidherstellern in Europa ECIPE ein von Bayer finanziertes EU-Mercosur- zählen, über Lobbygruppen forciert. Ihre Projekt. Auf brasilianischer Seite setzt sich die gemeinsame Lobbyarbeit mit brasilianischen Denkfabrik Instituto Pensar Agro für eine stärkere Agrarwirtschaftsverbänden hatte zum Ziel, Verwendung von Pestiziden ein und spielt die den Marktzugang für einige ihrer schädlichsten Rolle der Agrarwirtschaft bei der Abholzung Pestizide zu erweitern. Dabei haben sie eine der Wälder herunter. Das Instituto Pensar Agro legislative Agenda unterstützt, die Rechte arbeitet mit Entscheidungsträger*innen des der indigenen Bevölkerung unterminieren, einflussreichen Blocks für Agrarwirtschaft im Umweltschutzmaßnahmen aufheben und eine brasilianischen Parlament zusammen. Große weitere Abholzung der Wälder legitimieren will. Agrarwirtschaftsverbände, die Bayer, BASF und Über Brasiliens mächtige landwirtschaftliche Syngenta vertreten, haben die Lobbyaktivitäten Lobbygruppen – wie die von Bayer des Instituto Pensar Agro bereits mit rund zwei gegründete CropLife Brasil – unterstützen die Millionen Euro unterstützt. europäischen Pestizidhersteller Versuche, Und die gemeinsame Lobbyarbeit hat Früchte Umweltschutzmaßnahmen zu schwächen. getragen: Die Verwendung von Pestiziden Dazu zählt auch das so genannte Giftpaket, hat sich im Laufe der letzten 20 Jahre das bestehende Gesetze zur Regulierung versechsfacht, und seit Jair Bolsonaro in von Pestiziden untergraben und das Brasilien an die Macht gekommen ist, hat Zulassungsverfahren für die Verwendung die Anzahl der neu zugelassenen Pestizide von Pestiziden fundamental verändern und Rekordhöhen erreicht. Sowohl Bayer als auch schwächen wird. BASF haben von dieser Unterstützung profitiert. Im brasilianischen Parlament werden die Berichten zufolge werden jährlich mindestens brasilianische Agrarlobby und die EU- acht neue Bayer-Produkte zugelassen. In Pestizidindustrie vom einflussreichen Summe wurden im Laufe der letzten drei Jahre Block der Agrarwirtschaft vertreten, der 45 neue, von Bayer oder BASF hergestellte Bancada Ruralista. Diese ist berüchtigt dafür, Pestizide zugelassen, von denen 19 Substanzen Umweltschutzgesetzgebung zu blockieren. enthalten, die in der Europäischen Union verboten sind. 3
Die europäischen Pestizidhersteller profitieren Doch finanzstarke europäische Pestizidhersteller nicht nur von den laxeren brasilianischen gewinnen in Brasilien immer weiter an politischer Gesetzen in Punkto Umweltschutz und Macht, während die Zivilgesellschaft des Landes Pestizide, sondern auch von großzügigen und soziale Bewegungen – von denen sich viele Steuererleichterungen für ihre Produkte. gegen Pestizide einsetzen – von der politischen Teilhabe ausgeschlossen und sogar von der Während die europäische Pestizidindustrie Bolsonaro-Regierung kriminalisiert werden. danach strebt, ihre Profite zu maximieren, stirbt in Brasilien jeden zweiten Tag ein Mensch an Die jüngst von der EU angekündigte Farm-to- einer Pestizidvergiftung. Und rund 20 Prozent Fork-Strategie hat zum Ziel, den Einsatz von dieser Todesopfer sind Kinder und Jugendliche Pestiziden drastisch zu reduzieren und alle unter 19 Jahren. Lebensmittel mit Rückständen von innerhalb der EU nicht zugelassenen Pestiziden zu UN-Organisationen rufen mittlerweile dazu auf, verbieten. Die durch das EU-Mercosur- verstärkt Maßnahmen gegen die schädlichen Abkommen geförderten Handelspraktiken Auswirkungen von Pestiziden auf die stehen in fundamentalem Widerspruch zu Biodiversität zu ergreifen, und Gemeinschaften diesen und anderen grünen Zielen der EU. vor Ort zu fordern, dass es mächtigen Die Mitgliedsstaaten der EU müssen daher Unternehmen mit Eigeninteresse am Absatz von das EU-Mercosur-Abkommen ablehnen und Pestiziden untersagt wird, Gesetze zu blockieren, stattdessen Schritte einleiten zu einem globalen die klimaresilientere und ökologischere Wandel weg vom dominanten, pestizidintensiven landwirtschaftliche Anbaumethoden Monokultur-Modell, hin zu einem nachhaltigeren, unterstützen. umweltfreundlicheren und menschenzentrierten landwirtschaftlichen Ansatz. Außerdem sollten sie umgehend ein Importverbot für Erzeugnisse mit Rückständen von Chemikalien erlassen, deren Einsatz in der EU selbst verboten ist. Giftige Profite: Die tödlichen Geschäfte der europäischen Agrarwirtschaft in Brasilien 6x 2 Millionen Euro 45 2 TAGE Der Einsatz Interessengruppen, 45 neue Pestizide Alle 2 Tage stirbt von Pestiziden die Bayer, BASF & von Bayer & BASF ein Mensch in hat sich Syngenta vertreten, wurden in den Brasilien an einer im Laufe haben rund 2 Mio. letzten 3 Jahren Pestizidvergiftung. der letzten Euro zur Unterstützung zugelassen. 19 Rund 20% der 20 Jahre der brasilianischen davon enthalten in Opfer sind Kinder versechsfacht. Agrarwirtschaftslobby der EU verbotene und Jugendliche ausgegeben. Substanzen. unter 19 Jahren. 4
Glossar ABAG – Associação Brasileira do Agronegócio, FUNAI – Fundação Nacional do Índio, einer der größten Agrarwirtschaftsverbände in brasilianische Regierungsbehörde für die Belange Brasilien. der indigenen Bevölkerung. Agrosaber – Plattform, die im Auftrag der Highly hazardous Pesticides (HHP) – als extrem brasilianischen Agrarwirtschaft öffentliche schädlich für die menschliche Gesundheit und die Imagekampagnen durchführt und die Agenda Umwelt eingestufte Pestizide. der Bancada Ruralista unterstützt, des IBAMA – Brasilianisches Institut für Umwelt agrarwirtschaftlichen Blocks im brasilianischen und erneuerbare natürliche Ressourcen. IBAMA Parlament. ist der administrative Arm des brasilianischen Anvisa – Brasiliens nationale Agentur für Umweltministeriums und implementiert Gesetze Gesundheitsschutz gegen die Abholzung der Wälder. APEX Brasil – staatliche brasilianische Agentur IPA – Instituto Pensar Agro, brasilianischer Think zur Export- und Investitionsförderung (Teil des Tank mit agrarwirtschaftlicher Agenda. Außenministeriums). MAPA – Brasilianisches Ministerium für Bancada Ruralista – eine Gruppe Landwirtschaft und Viehzucht. von Parlamentarier*innen, darunter Matopiba – eine brasilianische Region, in der der Landeigentümer*innen und Inhaber*innen Sojaanbau stark forciert wird. von agrarwirtschaftlichen Unternehmen, die in Brasilien die Anliegen der Agrarwirtschaft PamAgro – Program for Access to Markets for unterstützt. Brazilian Agribusiness, eine von APEX Brasil ins Leben gerufene Kampagne zur Förderung Conama – Brasiliens nationaler Umweltrat. der Markterschließung für die brasilianische CropLife International – eine einflussreiche Agrarwirtschaft. Lobbygruppe der weltgrößten Agrochemie- und Giftpaket – Spitzname der brasilianischen Pestizidkonzerne. Mitglieder sind Syngenta, Gesetzesvorlage PL 6299/2002 zur Änderung der Bayer Crop Science, BASF, Corteva Agriscience Reglementierung von Pestiziden. Wurde bereits und FMCi.1 vom Parlament (Kongress) verabschiedet und CropLife Brasil – eine der größten muss noch vom Senat bestätigt werden. agrarwirtschaftlichen Lobbygruppen, gegründet SINDIVEG – Sindicato Nacional da Indústria de von den Pestizidherstellern Bayer, BASF, Produtos para Defesa Vegetal, eine der größten Syngenta und anderen Unternehmen aus dem Pestizid-Lobbygruppen in Brasilien. Bereich der Agrarchemie. ECIPE – European Centre for International Political Economy (in Brüssel ansässiger Think Tank). 5
Einführung Die Europäische Union (EU) und die Mercosur- Dieses Abkommen kommt zu einem Zeitpunkt, an Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay und dem sich die Indizien für einen Zusammenhang Uruguay) planen, ein neues Handelsabkommen zwischen dem dramatischen weltweiten Verlust zu ratifizieren. Dadurch werden der Export an Biodiversität und Pestizideinsatz mehr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nach und mehr häufen5,6. Wird das EU-Mercosur- Europa und der Import von Agrochemikalien in Handelsabkommen ratifiziert, sinken die Zölle die Mercosur-Länder zunehmen, insbesondere auf Agrochemikalien um bis zu 90 Prozent, was nach Brasilien, dem weltweit führenden zu einer Zunahme der Exporte gefährlicher Exporteur von Soja. Dieses Abkommen bringt Pestizide aus der EU in die Mercosur-Staaten geschäftliche Gelegenheiten für die in der EU führen dürfte 7, darunter auch steigende Exporte tätigen Agrochemiekonzerne, unter anderem von Pestiziden, die in der EU wegen des Risikos die Branchenriesen Bayer und BASF, doch es verboten wurden, dass sie für die menschliche birgt auch das Risiko einer Verschlimmerung Gesundheit und die Umwelt darstellen8,9. der verheerenden Schäden an der Umwelt und Das Abkommen dürfte außerdem zu einer den Gemeinschaften vor Ort. Dazu gehören Zunahme von Exporten stark vom Pestizideinsatz auch die indigenen Völker, deren Lebensart abhängiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Landrechte von der brasilianischen und ihrer Derivate führen, darunter Soja, Agrarwirtschaft bedroht werden 2. Zuckerrohr und aus Zuckerrohr gewonnenes Um die Handelsbeziehungen zwischen Europa Ethanol. Ebenfalls ansteigen dürften die Exporte und Lateinamerika richtig einschätzen zu von Fleischprodukten, wie etwa Geflügel, bei können, muss man ihre kolonialen Ursprünge deren Erzeugung in hohem Maße sojabasierte kennen. Seit dem späten 15. Jahrhundert Futtermittel zum Einsatz kommen, was den haben Europäer*innen in der Region Rohstoffe Pestizidverbrauch noch weiter in die Höhe treibt. abgebaut und natürliche Ressourcen Diese agrarwirtschaftlichen Erzeugnisse stehen und landwirtschaftliche Erzeugnisse aus außerdem im Zusammenhang mit der Abholzung Monokulturen nach Europa exportiert 3. Dieses von Wäldern, dem Verlust von Biodiversität und Muster ist in den heutigen europäischen der Verletzung der Rechte indigener Völker. Handelsbeziehungen mit den Mercosur-Staaten Brasilien und Argentinien gehören bereits nach wie vor deutlich erkennbar. Bei rund 84 heute zu den weltweit größten Nutzern von Prozent der EU-Exporte in Mercosur-Staaten Pestiziden,10 was primär auf den Anbau von handelt es sich um Dienstleistungen und pestizidresistenten Sojabohnen und Mais auf hochwertige Industrieprodukte, wohingegen riesigen Flächen im Umfang von Millionen sich rund drei Viertel der Mercosur-Exporte nach von Hektar zurückzuführen ist. Und mit dem Europa aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen gestiegenen Anbau von pestizidintensiven und Bodenschätzen zusammensetzen 4. Die Kulturen stieg natürlich auch der im EU-Mercosur-Abkommen vorgesehene Pestizidverbrauch 11. Handelsliberalisierung wird diese neokoloniale Beziehung zementieren, den Export von Brasiliens gigantische Sojabohnen-Plantagen, Rohstoffen nach Europa erhöhen und die die eine Fläche von der Größe Deutschlands Schädigung von Natur und Gemeinschaften bedecken12, haben den weltgrößten Absatzmarkt vor Ort fortsetzen, die bereits jetzt der für Pestizide geschaffen, darunter auch Highly toxischen Belastung durch die Ausdehnung von hazardous Pesticides (HHP, hochgefährliche monokultureller Agrarwirtschaft auf ihrem Grund Pestizide), die als extrem schädlich für die und Boden ausgesetzt sind. menschliche Gesundheit und die Umwelt 6
eingestuft wurden13. Der Sojabohnenanbau Die Pestizidhersteller sind außerdem in ist der größte Abnehmer für Agrochemikalien raffinierte, viele Millionen Dollar schwere in Brasilien und für 50 Prozent des gesamten Lobby-Kampagnen involviert, deren Ziel Umsatzes verantwortlich. Fast zwei Drittel der die Beeinflussung der öffentlichen Meinung brasilianischen Ausgaben für HHP entfielen über die Medien ist. Hinzu kommt direkte auf Soja das angebaut wird, um die globale Lobbyarbeit bei Politiker*innen. Und während Nachfrage nach Futtermitteln für die Viehzucht sich die Pestizidindustrie substanzielle zu befriedigen, nicht zuletzt aus Europa14. Lobby-Macht gesichert hat, werden für das Monitoring von Umweltverstößen und Die europäischen Pestizidhersteller gehören Menschenrechtsverletzungen zuständige zu den großen Lieferanten hochgefährlicher zivilgesellschaftliche Organisationen heftig Pestizide. Viele in Europa ansässige angegriffen21 . Unternehmen exportieren von hier aus Pestizide, deren Einsatz in Europa selbst verboten ist, Dieser Bericht deckt die einflussreiche Allianz darunter die deutschen Branchenriesen Bayer der europäischen Agrochemieindustrie mit und BASF, das französische Unternehmen Borie der brasilianischen Agrarwirtschafts-Lobby Industries, Sipcam Oxon aus Italien und der in und ihre zentrale Taktik auf, den Marktzugang Belgien ansässige Hersteller Arysta Lifescience für gefährliche Pestizide zu erleichtern. Er , . Deutschland, das Vereinigte Königreich, 15 16 zeigt, wie die Unternehmen der europäischen Frankreich, Belgien und Spanien sind die größten Chemieindustrie, darunter Bayer und BASF, vom Exporteure von Pestiziden in Mercosur-Länder17. EU-Mercosur-Handelsabkommen profitieren Der Verband der europäischen chemischen werden – mit verheerenden Folgen für die Natur, Industrie (CEFIC), dem die multinationalen die lokale Bevölkerung und indigene Völker. deutschen Konzerne BASF und Bayer als Mitglieder angehören, hat das EU-Mercosur Handelsabkommen begrüßt und geht davon aus, dass reduzierte Zölle auf Chemikalien ein stetiges Wachstum der Exporte dieser Produkte in die Mercosur-Staaten ermöglichen wird18. Brasilien ist auch eines der Hauptexportziele für in der EU verbotene Agrochemikalien. Hier profitieren europäische Pestizidhersteller von einer schwächeren Reglementierung und großzügigen Steuererleichterungen für Pestizide19,20. Während europäische Pestizidhersteller aus der schwächeren Pestizidgesetzgebung Kapital schlagen, kollaborieren sie gleichzeitig mit der brasilianischen Agrarwirtschaft, um die Ausarbeitung dieser Gesetze zu beeinflussen. Diese Agenda wird im brasilianischen Parlament (Kongress) durch den mächtigen agrarwirtschaftlichen Block vertreten, die Allein im Jahr 2019 hat die EU mehr als 6,5 Bancada Ruralista. Diese Gruppierung ist Millionen Kilo Pestizide in die Mercosur- berüchtigt dafür, eine schwache Umwelt- und Länder exportiert, die auf ihrem eigenen Pestizidgesetzgebung und die Demontage von Territorium verboten wurden oder niemals Regierungsbehörden zu forcieren, die sich für zugelassen waren (Bombardi 2021).22 Umweltschutz einsetzen. Unternehmen aus der EU unterstützen diesen Block bei seinen Bestrebungen, Landraub in großem Stil zu legitimieren und die Rechte der indigenen Völker und ländlicher Gemeinschaften zu unterminieren. 7
1. Brasiliens Pestizidproblem: Menschenrechtsverletzungen und Schädigung von Ökosystemen Bereits unter Präsident Michel Temer und nun auf Sojaplantagen im brasilianischen auch unter Jair Bolsonaro hat es einen steilen Amazonasgebiet in direkten Zusammenhang mit Anstieg in der Anzahl der Zulassungen für zerstörten Bienenstöcken29. Pestizide in Brasilien gegeben23. Agrochemikalien, die bei der Sojaproduktion Der Einsatz dieser Pestizide hat in Brasilien eingesetzt werden, wurden in Wasserwegen zur signifikanten Bedrohung der Artenvielfalt des für seine hohe Biodiversität bekannten, und der Umwelt im Allgemeinen geführt24. einzigartigen tropischen Feuchtgebietes Pantanal Die Versickerung von Pestiziden hat das gefunden, außerdem im Amazonasgebiet und im Grundwasser kontaminiert25, und das Versprühen Cerrado, einer ökologisch ebenfalls einzigartigen verursacht eine weitreichende Verschmutzung, Grassavannenlandschaft30. mit schädlichen Auswirkungen auf Säugetiere, UN-Institutionen haben außerdem Vögel und Insekten26,27. davor gewarnt, dass das Ausmaß des Das von BASF produzierte Insektizid Fipronil, Pestizideinsatzes in Brasilien ernsthafte dessen Einsatz in der EU in der Landwirtschaft Auswirkungen auf die Menschenrechte hat31. verboten ist, wurde 2019 mit dem Massensterben Unter anderem „führen Opfer zu Recht an, von mehr als 500 Millionen Bienen in Verbindung dass Todesfälle, gesundheitliche Probleme gebracht 28. Berichte bringen seine Verwendung sowie eine grausame, unmenschliche 8
und erniedrigende Behandlung auf die Viele der Pestizide wurden in der EU bereits Pestizidbelastung zurückzuführen sind“32. verboten, und im Juli 2020 prangerten Anlässlich seines Besuches in Brasilien 2019 36 UN-Bericherstatter- und anderen äußerte der UN-Sonderberichterstatter zu Menschenrechtsvertreter*innen die Giftstoffe und Menschenrechte Bedenken Praxis, in der EU verbotene Pestizide zu zur Situation der indigenen Völker. Deren exportieren, als Menschenrechtsverletzung Menschenrechte würden durch die Expansion der an40. Rückstände dieser Pestizide finden Landwirtschaft und das absichtliche Versprühen sich in importierten landwirtschaftlichen von giftigen Pestiziden über ihrem Land und Erzeugnissen und die Pestizidhersteller haben ihren Wohnstätten verletzt. Berichten zufolge aggressive Lobbyarbeit betrieben, damit der werden Pestizide eingesetzt, denen auch Kinder Import von Lebensmitteln mit Rückständen zu Hause, in der Schule und bei der Arbeit gewisser gefährlicher Pestizide gestattet ausgesetzt sind33. wird41. CropLife International, der mächtige Verband der Agrochemieunternehmen, dem Zahlreiche ländliche Gemeinschaften haben auch BASF und Bayer angehören, äußerte von der Kontamination von Pflanzen und Bedenken gegenüber Vorschlägen, den Wasserquellen berichtet, wie auch von Export von in der EU verbotenen Pestiziden gesundheitlichen Auswirkungen infolge von zu beenden, indem sie behaupteten, dass Versprühung der Pestizide in der Luft. Viele Regierungen und Erzeuger*innen auf fürchten sich allerdings vor Repressionen importierte Pestizide angewiesen seien, um ihre durch reiche und politisch mächtige Agrarwirtschaftssektoren zu schützen42,43 . Der Großgrundbesitzer*innen34. Verband der europäischen chemischen Industrie Insbesondere die Auswirkungen einer (CEFIC) begründete seine Verzögerungstaktik chronischen Exposition mit hochgefährlichen mit dem Argument, dass Maßnahmen erst Pestiziden sind besorgniserregend. Studien nach einer „detaillierten und gründlichen ergaben ein erhöhtes Risiko für Krebs, Alzheimer, Folgenabschätzung“ ergriffen werden sollten44. Parkinson, Hormon- und Entwicklungsstörungen sowie Unfruchtbarkeit35. Forscher- und Akademiker*innen, die Folgen für die Gesundheit aufdecken, geraten aufgrund ihrer Arbeit zu Agrochemikalien unter Beschuss36,37 . Sie werden schikaniert, in ihrer beruflichen Existenz bedroht und persönlich attackiert38. Institutionen, die Zusammenhänge mit gesundheitlichen Problemen erkannt haben, wurden die Regierungszuschüsse gestrichen39. 9
2. Brasiliens mächtige Bancada Ruralista und ihre destruktive Agenda Die Bancada Ruralista, der agrarwirtschaftliche vor und hebelt das seit 1989 gesetzlich Block, ist eine konservative politische verankerte Vorsorgeprinzip aus, das den Gruppierung im brasilianischen Parlament Einsatz von Agrochemikalien grundsätzlich (Kongress), der diverse politische Parteien verbietet, wenn sie Stoffe enthalten, die zu angehören, die im Interesse der Agrarwirtschaft Entwicklungsstörungen, Krebs oder Mutationen agieren. Sie ist die mächtigste politische Kraft führen können. Der neue Gesetzentwurf sieht im Kongress, ihr gehören 241 der insgesamt eine „risikobasierte Bewertung“ vor, gemäß 513 brasilianischen Parlamentsmitglieder (46 derer Karzinogene theoretisch auf den Markt Prozent) an, sowie 39 Senatsmitglieder, ebenfalls gebracht werden dürfen, wenn das Risiko nicht nahezu die Hälfte45. Viele dieser Politiker*innen als „inakzeptabel“ eingestuft wird51. sind auch in die Agrarwirtschaft involviert oder Diese Gesetzesvorlage wurde ursprünglich besitzen große Ländereien, insbesondere im vom ehemaligen Landwirtschaftsminister Blairo Amazonasgebiet und in der Region Matopiba46, Maggi eingebracht52, auch bekannt als Brasiliens wo der Anbau von Sojabohnen rapide „Sojakönig“, denn er ist Inhaber der Amaggi- zugenommen hat. Gruppe, dem größten Sojabohnenproduzenten Die Bancada Ruralista ist eine enge Verbündete der Welt. Der Gesetzentwurf sieht auch der Regierung von Präsident Bolsonaro und erweiterte Machtbefugnisse für das Ministerium unterstützte 2018 seine Kandidatur47. Im ersten für Landwirtschaft und Viehzucht (MAPA) vor53, Jahr seiner Amtszeit ernannte Bolsonaro vier das dann ganz allein für die Zulassung neuer Mitglieder des Blocks zu Minister*innen und Produkte verantwortlich sein wird. Momentan äußerte gegenüber der Gruppe: „Dies ist müssen Pestizide noch von der nationalen Ihre Regierung“. Symbolisch legte er somit Agentur für Gesundheitsschutz (Anvisa), die Kontrolle über Brasilien in die Hände der dem Brasilianischen Institut für Umwelt und Agrarwirtschaft48. erneuerbare natürliche Ressourcen (IBAMA) und dem Landwirtschaftsministerium gemeinsam Die Bancada Ruralista genießt die Unterstützung genehmigt werden. Anvisa und IBAMA sollen nun von Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina, von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen der früheren Präsidentin der Gruppe, die selber werden und im neuen Verfahren eine über enge Verbindungen zur Agrarwirtschaft ausschließlich beratende Funktion erhalten. verfügt49. Bevor sie Landwirtschaftsministerin wurde, war Cristina Vorsitzende einer Außerdem sieht das Gesetz eine Frist von Parlamentskommission, die einen umstrittenen maximal zwei Jahren vor, in der die Regierung Gesetzentwurf absegnete: das so genannte über den Antrag eines Pestizidherstellers auf Giftpaket (PL 6299/2002) zur Aufhebung von Zulassung einer Substanz entscheiden muss. Restriktionen für Pestizide50. Wird die Frist nicht eingehalten, wird die Substanz automatisch genehmigt und als zum Das Giftpaket würde den Einsatz gefährlicherer Einsatz zugelassen registriert54. Pestizide gestatten, von denen viele in der EU verboten sind. Wird die Gesetzesvorlage Die Bancada Ruralista unterstützt und fördert verabschiedet, wäre mit einem Anstieg von diesen Gesetzentwurf, der im Februar 2022 Registrierungen, Zulassungen und Einsatz vom Kongress verabschiedet wurde und nun von Pestiziden ohne eine angemessene auf die Bestätigung durch den Senat wartet55. Abschätzung der sozio-ökologischen Folgen zu Zahlreiche Organisationen hatten sich rechnen. dagegen ausgesprochen, unter anderem die Vereinten Nationen, die das Gesetz als Der Gesetzentwurf sieht eine noch flexiblere „ernsthafte Bedrohung für eine ganze Reihe von Handhabung des Pestizideinsatzes im Land Menschenrechten“ bezeichnet hat 56. 10
Box 1: Von der Bancada Ruralista geförderte Gesetzesvorlagen Die Bancada Ruralista war auch erfolgreich bei und somit gegen internationales Recht ihrem Vorstoß für eine drastische Kürzung des verstoßen. Die indigenen Völker würden auch brasilianischen Umweltbudgets57. So wurden Mittel ihr Mitbestimmungsrecht bei der Nutzung für FUNAI (brasilianische Regierungsbehörde zum ihrer Ländereien durch die nicht-indigene Schutz der indigenen Bevölkerung), IBAMA und das Bevölkerung verlieren. Die Regierung könnte Umweltministerium in den letzten Jahren um mehr den uneingeschränkten Zugang zu natürlichen als 40 Prozent gekürzt58. Ressourcen verfügen, darunter auch extraktive Aktivitäten wie Bergbau und kommerzielle Der Block steht außerdem hinter Agrarwirtschaft. Die Parlamentsmitglieder Gesetzesentwürfen, die eine Kriminalisierung der der Bancada Ruralista argumentieren, dass Zivilgesellschaft und sozialer Bewegungen zum die indigenen Völker nur Rechte an jenen Ziel haben. Momentan liegen dem Kongress rund Ländereien haben sollten, die sich am 5. 20 Gesetzentwürfe vor, insbesondere Vorlage Oktober 1988 in ihrem Besitz befanden, als die 1595/19, Vorlage 272/16 und Vorlage 732/2022, brasilianische Bundesverfassung in Kraft trat. deren Verabschiedung die Aktivitäten sozialer Damit würden die historischen Rechtsverstöße Bewegungen unter dem Vorwand der nationalen ignoriert, denen die indigenen Völker seit der Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung Kolonisation ausgesetzt waren. effektiv kriminalisieren würde 59. • PL 191/2020 würde den Bergbau und die Bei mehreren anderen Gesetzesvorlagen Erzeugung von Energie aus Wasserkraft handelt es sich um Vorstöße zur Änderung von auf indigenen Territorien zulassen. Umweltschutzgesetzen und zur Neudefinition der Dies hätte massive Auswirkungen auf Rechte der indigenen Bevölkerung. die Abholzung der Wälder. Außerdem • Vorlage 3729/2004, auch bekannt als schätzen Wissenschaftler*innen, dass „Allgemeines Lizenzvergabegesetz“, dadurch jährlich fünf Millionen US-Dollar an soll die Vergabe von Umweltlizenzen Ökosystemdienstleistungen verloren gehen für Erschließungsaktivitäten erleichtern. könnten 61. Der Entwurfstext sieht einen Verzicht • PLS 510/2021 (PL 2633/2020): Der auf die Lizenzvergabe bei den meisten Gesetzentwurf zur Regulierung von Landraub agrarwirtschaftlichen Aktivitäten und lockert die Regelungen für die Registrierung Infrastrukturprojekten vor. Wird die von Landtiteln für öffentliches staatliches Vorlage verabschiedet, wären zukünftig Land und strebt eine Änderung des keine Genehmigungen mehr erforderlich Besitzregulierungsgesetzes an, die Landräubern für agrarwirtschaftliche Produzenten in und Eindringlingen eine Art Amnestie anbietet, den Bereichen Ackerbau, Viehzucht und wenn sie irregulär staatliches Land besetzt Holzwirtschaft, z.B. Eukalyptusplantagen60. Der und erschlossen haben, das von Quilombola, Gesetzentwurf wurde bereits vom Parlament indigenen und traditionellen Gemeinschaften verabschiedet und benötigt nun noch die genutzt wird. In der Praxis wird dies endgültige Zustimmung des Senats. Tritt Landräubern ermöglichen, Eigentümerstatus das Gesetz in Kraft, hätte es unmittelbare für illegal besetzte Gebiete zu erhalten. Zudem Auswirkungen auf bekannte vulnerable werden sie unter Umständen von der Einhaltung Gruppen, unter anderem indigene Völker von Umweltschutzbestimmungen befreit, denn und die Quilombola (die afro-brasilianischen die Landfläche, die ohne Inspektion durch Nachkommen geflüchteter Sklaven). Bedenken die INCRA (Nationale Landreformagentur) bestehen insbesondere aufgrund des registriert werden kann, wird vergrößert. Bei Ausschlusses vom Recht auf Information. der Inspektion werden im Normalfall gesetzliche • Der „Zeitrahmen“ für indigenen Landbesitz, Vorschriften, dauerhafte Schutzgebiete, Vorlage PL 490/2007, bedroht den gesetzlichen die Verwendung von Weideflächen und die Schutz indigener Territorien. Das Gesetz Landerschließung überprüft. Der Gesetzentwurf würde es vielen indigenen Völkern unmöglich wird gleichzeitig im Umwelt- und im machen oder erschweren, ihre Ansprüche auf Landwirtschaftskomitee des Senats debattiert. ihren traditionalen Landbesitz durchzusetzen, 11
Box 2: Korruption, Lobbyismus und Politik Kommerzielle und politische Interessen scheinen sich in Brasilien häufig zu überschneiden. Sowohl die Bancada Ruralista als auch die brasilianische Agrarwirtschaftslobby sind durch zahlreiche Korruptionsvorwürfe belastet. Zwischen Unternehmen der Agrarwirtschaft und der Politik herrscht das Drehtürprinzip. Dem aktuellen Präsidenten der Bancada Ruralista, Sérgio Souza, wurde vorgeworfen, im Rahmen eines Rentenbetrugskomplotts Bestechungsgelder erhalten zu haben62. Zudem erhielt er für seine Wahlkampagne 2014 Spenden von Unternehmen, die von der Regierungsbehörde IBAMA wegen Umweltverbrechen verfolgt wurden63. Des Weiteren ermittelte die Bundespolizei gegen ihn wegen der möglichen Annahme von Bestechungsgeldern im Jahre 201964. Beinahe die Hälfte der 513 im Jahre 2014 in den Kongress gewählten Parlamentsmitglieder erhielten eine Gesamtsumme von etwa 60 Millionen Brasilianischen Real (ca. 10 Mio. Euro) an offiziellen Spenden von Unternehmen und Einzelpersonen, die von der IBAMA wegen Umweltverbrechen (wie etwa der illegalen Abholzung oder Brandrohdung von Wäldern) mit Strafen belegt worden waren65. Zu ihnen gehört auch die aktuelle Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina66,67 Der lange Arm der Agrarwirtschaftslobby reicht von der Unterstützung bei der Wahl zum Kongressmitglied bis hin zur Festlegung der Ernennung von Minister*innen (und Ambitionen bei der Wahl des oder der Präsident*in)68. Lobbyarbeit der Agrarwirtschaft in Brasilien: eine Checkliste Umweltschutzbestimmungen schwächen Transparenz verhindern Zivilgesellschaft kriminalisieren Staatliches Umweltschutzbudget kürzen Greenwashing der Agrarwirtschaftsunternehmen 12
3. Europäische Pestizidgiganten und die brasilianische Agrarwirtschaftslobby Im Jahre 2017 unterstrich ein UN-Bericht, dass Bayer, BASF und Syngenta sind beispielsweise das Oligopol der Pestizidhersteller über enorme Mitglieder der Pestizid-Lobbygruppe Macht verfügte, und dass die Lobbyarbeit von SINDIVEG (Sindicato Nacional da Indústria de Konzernen wie Bayer, Monsanto (inzwischen Teil Produtos para Defesa Vegetal)75, die aggressiv von Bayer) und Syngenta Regierungen dergestalt Lobbyarbeit für gefährliche Pestizide wie beeinflusst habe, dass Reformen verhindert Glyphosat76 und Paraquat betrieben hat77. und Versuche, Pestizide zu regulieren, im Keim Der Name der Lobbygruppe bedeutet wörtlich erstickt worden seien69. übersetzt „Nationalverband der Hersteller von Pflanzenschutzprodukten“ und soll wohl In jüngster Zeit kam die UN-Plattform für nach Naturschutz klingen, doch tatsächlich Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen werden hier giftige und umweltschädliche (IPBES) zu dem Schluss, dass es zum Schutz Pestizide gefördert. Außerdem unterstützen der Biodiversität erforderlich sei, die Risiken die Pestizidhersteller den brasilianischen von Kooptation und Lobbyismus anzugehen, Agrarwirtschaftsverband ABAG und CropLife da „kommerzielle Interessen darauf hinarbeiten Brasil (früher ANDEF)78. Alle dieser drei könnten, eine hohe Nachfrage, Monopole und Agrarwirtschaftsverbände haben Lobbyarbeit den anhaltenden Einsatz von Pestiziden und zur Unterstützung des Giftpaket-Gesetzes chemischen Stoffen aufrecht zu erhalten70“. geleistet79,80,81. Die kommerziellen Interessen des Diese Unternehmen und ihre Verbände agrarwirtschaftlichen Sektors werden in betreiben Lobbyarbeit, indem sie sich direkt Brasilien lautstark vertreten, denn in Europa an die Exekutive und die Legislative wenden, ansässige Pestizidhersteller sind aktiv in die unter anderem durch die Finanzierung von Agrarwirtschaftslobby in Brasilien involviert71. Wahlkampagnen für Kongressmitglieder82,83. Milliarden von Euro schwere Pestizidhersteller Außerdem betreiben sie Lobby-Kampagnen, die mit Firmensitz in Europa, darunter BASF darauf abzielen, das politische Narrativ zu prägen und Bayer72, finanzieren einflussreiche und die breite Bevölkerung zu beeinflussen. brasilianische Agrarwirtschaftsverbände, die als Lobby-Plattformen für die Interessen der Pestizidindustrie und anderer Agrarsektoren dienen, wie etwa Getreide, Soja und Fleisch73,74. 13
3.1 Europäische Unternehmen finanzieren einen agrarwirtschaftlichen „Think Tank“ Die Pestizidindustrie setzt auch Think Tanks Die Führungskräfte des Instituto Pensar Agro ein, um ein politisches Narrativ zu bewerben, haben sich von 2019 bis 2021 mehr als 200- das einer Lockerung der Regulierung von mal mit Mitgliedern der Bolsonaro-Regierung Pestiziden positiv gegenübersteht. Ihre getroffen – durchschnittlich fünf Mal pro Monat93. scheinbare Unparteilichkeit macht die Die Mehrzahl dieser Treffen (148) fanden mit Denkfabriken zu nützlichen Vehikeln für dem Landwirtschaftsministerium statt, aber Unternehmenslobbyismus. In Brasilien stellt man traf auch mit Präsident Jair Bolsonaro94 das Instituto Pensar Agro (dt. „Agrarwirtschaft und drei Mal mit Vizepräsident Hamilton Mourão denken“) der Agrarwirtschaftslobby ein solches zusammen95,96,97. Vehikel zur Verfügung, das zumindest partiell von Offenbar gibt es außerdem eine Drehtür europäischen Pestizidherstellern finanziert wird. zwischen dem Instituto Pensar Agro und Große Agrarwirtschaftsverbände, die Bayer, Mitgliedern der Bancada Ruralista, denn BASF und Syngenta vertreten, haben rund zwischen den beiden Institutionen findet ein zwei Millionen Euro zur Unterstützung reger Personalaustausch statt. João Henrique der Lobbyarbeit des Instituto Pensar Agro Hummel, der frühere Präsident des Instituts, war beigetragen84. als Beamter für das Landwirtschaftsministerium und für die brasilianische Bundesbehörde für Das Instituto Pensar Agro agiert als rechte Hand die „Biosicherheit von genetisch modifizierten der Bancada Ruralista, denn seine Ziele sind Organismen“ tätig98. Und der aktuelle Präsident die Beeinflussung der öffentlichen Meinung85 des Instituto Pensar Agro, Nilson Leitão, ist ein und die Förderung von politischen Maßnahmen ehemaliges Parlamentsmitglied und führender im Interesse der Agrarwirtschaft. Beide haben Kopf der Bancada Ruralista. Darüber hinaus hat die gleiche Agenda86. Das Instituto Pensar das Instituto Pensar Agro auch schon Personal Agro finanziert die Aktivitäten der Bancada von Agrarwirtschaftsverbänden rekrutiert, die Ruralista, arbeitet hinter den Kulissen mit ihr europäische Pestizidhersteller vertreten, darunter zusammen beim Unterbreiten von Vorschlägen auch eine Führungskraft, die früher in Diensten und Prüfen von Gesetzesentwürfen und leistet von Bayer stand99. technische Unterstützung87,88. Ganz oben auf der gemeinsamen Prioritätenliste stehen die Die Parlamentsmitglieder der Bancada Ruralista Beseitigung von Hindernissen für eine weitere treffen sich wöchentlich in der Zentrale des Expansion der Agrarlebensmittel-Industrie, Instituto Pensar Agro, einer Villa in einem noblen insbesondere im Amazonasgebiet89, und die Viertel von Brasília100. Dort wird besprochen, Durchsetzung des Giftpaket-Gesetzes90,91. Das wie, wann und wozu die Parlamentsmitglieder Instituto Pensar Agro hat außerdem großes ihre Stimme abgeben sollten101, um ihren Interesse am EU-Mercosur-Handelsabkommen Einfluss nicht nur im Kongress, sondern auch im und legt in Treffen mit dem Außenministerium Präsidentenpalast geltend zu machen. Dieser eine gemeinsame „Strategie zur Bearbeitung Einfluss schlägt sich nieder in Gesetzespaketen, von Umweltfragen in der Europäischen Union“ die Umwelt und Menschenrechte bedrohen, fest 92. darunter die im Giftpaket vorgeschlagenen Änderungen der Pestizidregulierung102,103,104. 14
3.2 Öffentliche Kampagnen zum Greenwashing der brasilianischen Agrarwirtschaft Meinungskampagnen sind ein weiterer Weg, um unterstützt, die auch Hauptunterstützer des EU- die Unterstützung der Öffentlichkeit für die Agenda Mercosur-Handelsabkommen sind116,117. der Agrarwirtschaft zu stärken. Dazu haben eine Beim Fernsehstart der Kampagne waren das Reihe von Agrarwirtschaftsverbände die Plattform Instituto Pensar Agro und ECIPE beteiligt118. ECIPE Agrosaber (dt. „landwirtschaftliches Wissen“) ins wurde dabei durch Emily Rees vertreten, die das Leben gerufen, die behauptet, Fake News rund um durch Bayer finanzierte EU-Mercosur-Projekt des landwirtschaftliche Produktion und Pestizideinsatz Think Tanks koordiniert119 und auch schon als zu bekämpfen105, und so das Gesetzespaket zur Leiterin für EU-Angelegenheiten bei APEX tätig Pestizidregulierung fördert. Tatsächlich verbreitet war120. Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung die Plattform Informationen, die auf falschen oder riet Rees den Vertreter*innen der brasilianischen voreingenommenen Studien basieren106,107. So Agrarwirtschaft, ihre Größe herunterzuspielen, um werden etwa die Auswirkungen der Soja- und auf den europäischen Märkten Anklang zu finden. Rindfleischproduktion auf die Abholzung der Wälder „Die Europäer*innen legen Wert auf Produkte aus heruntergespielt108 (rund 20 Prozent der Soja- und kleinen, regionalen Erzeugerbetrieben“, erklärte 17 Prozent der Rindfleischexporte in die EU wurden sie. Außerdem erteilte sie den Rat, dass sich die wahrscheinlich auf illegal entwaldeten Flächen brasilianische Agrarwirtschaft von Anfang an täglich erzeugt109, 110). Durch Manipulation von Fakten in die politische Diskussion in Europa einbringen versucht die Plattform, der Agrarwirtschaft ein müsse. „Wenn Sie sich nicht einbringen, können positives und grünes Image zu verschaffen und die Sie Ihre Agenda nicht voranbringen oder bei Agenda der Bancada Ruralista zu fördern111. den politischen Entscheidungsträger*innen und Agrarwirtschaftliche Lobbygruppen und öffentlichen Institutionen für sich werben“, ließ Rees die Bancada Ruralista arbeiten außerdem verlauten121. zusammen112 113, um das Image der brasilianischen Die Plattform Agrosaber und Pamagro werden Landwirtschaft beim europäischen Publikum durch von Bayer und BASF finanzierte aufzupolieren und den Weg für die Ratifizierung Agrarwirtschaftsverbände unterstützt, darunter des EU-Mercosur-Handelsabkommens zu ebnen. die Pestizid-Lobbygruppe SINDIVEG und CropLife Über das Instituto Pensar Agro unterstützen Brasil122, beide zentrale Unterstützer des EU- sie die Arbeit der staatlichen Agentur zur Mercosur-Handelsabkommens123. CropLife Brasil Export- und Investitionsförderung, APEX Brasil wurde von Bayer, Syngenta, BASF und anderen (Agência Brasileira de Promoção de Exportações Chemiekonzernen gegründet124, um dem Sektor eine e Investimentos), die Teil des brasilianischen gemeinsame Stimme zu geben und eine Plattform Außenministeriums ist. für das Greenwashing ihrer zerstörerischen Der in Brüssel ansässige Think Tank European Unternehmensaktivitäten und der Bekämpfung Centre for International Political Economy (ECIPE) vermeintlicher Fake News zu haben125. ist ebenfalls involviert und betreibt ein von Bayer Christian Lohbauer, der früher für Bayer tätige finanziertes EU-Mercosur-Projekt114. CEO von CropLife Brasil, teilte der größten APEX hat kürzlich die Kampagne PamAgro brasilianischen Tageszeitung Estadão mit: „Wir (Program for Access to the Markets for Brazilian wollen Greta [Thunberg] zeigen, dass wir keine Agribusiness) lanciert, um die brasilianische Schurken sind“126. Außerdem behauptete er, die Landwirtschaft in Europa zu bewerben115 und hohe Anzahl von durch die Bolsonaro-Regierung das „Image Brasiliens außerhalb des Landes zu zum Einsatz zugelassenen Pestizide sei auf frühere verbessern, insbesondere seine nachhaltigen Versäumnisse zurückzuführen, die „das Aufkommen Wirtschaftspraktiken hervorzuheben, und die neuer Technologien in Brasilien verhindert“ Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens zu hätten. Beim Klimagipfel Cop26 bestritt er den unterstützen und zu ermöglichen“. Das Programm Zusammenhang zwischen der brasilianischen wird von jenen agrarwirtschaftlichen Sektoren Sojaproduktion und der Entwaldung des Landes127. 15
4. Die Lobbystrategie der Pestizidhersteller aus der EU trägt in Brasilien Früchte Die Wahl von Jair Bolsonaro zum Bayer-CEO Werner Baumann äußerte Staatspräsidenten im Jahre 2018, bei der gegenüber Journalist*innen, dass der Konzern gleichzeitig Vertreter*innen der Agrarwirtschaft dank der aktuellen brasilianischen Regierung in den Senat und ins Parlament gewählt wurden, nicht nur Erfolge bei der Expansion des Soja- hat der Agrarwirtschaftslobby in Brasilien neuen und Maisanbaus zu verzeichnen habe, sondern Schwung verliehen. auch mit der Zulassung von acht neuen chemischen Substanzen pro Jahr rechnen Im ersten Jahr ihrer Amtszeit hat die Bolsonaro- können136. Baumann ist auch Bayers Vorstand Administration einen neuen Rekord bei der für Nachhaltigkeitsfragen137 und leitete die Anzahl der Zulassungen von Pestiziden 63 Milliarden US-Dollar teure Übernahme des aufgestellt. Der damalige Umweltminister Ricardo Pestizid-Giganten Monsanto138. Salles (Spitzname: der Anti-Umwelt-Minister), reiste zu vereinbarten Treffen mit Bayer und Auch BASF verzeichnete seit der Wahl von BASF nach Europa128. Bolsonaro eine deutliche Zunahme der Zulassungen für kommerzielle Produkte. Seit Die aktuelle Landwirtschaftsministerin Tereza 2016 wurden 60 Prozent seiner neuen Produkte Cristina, die selbst über enge Verbindungen zugelassen. Es gab einen „Aktionsplan“ zur zur Agrarwirtschaft verfügt129,130, leitete das Steigerung von Umsatz, Gewinn und Cashflow139. beschleunigte Zulassungsverfahren für neue Pestizide 131. Cristina ist als ehemalige Präsidentin Wie in den nachstehenden Abbildungen der Bancada Ruralista der Pestizidindustrie dargestellt, wurden in den letzten sechs Jahren eine willkommene Bündnispartnerin und trifft insgesamt 93 neue Pestizide aus dem Hause sich regelmäßig mit deren Vertreter*innen, Bayer oder BASF zugelassen140. darunter Führungskräfte von Bayer132,133. Eines Vier der 15 zugelassenen kommerziellen Pestizide ihrer früheren Bonmots lautete: „Pestizide aus dem Hause Bayer enthalten Substanzen, sind wie Medizin“134. So kommt es wohl nicht deren Einsatz in der EU verboten ist: Thiodicarb, überraschend, dass die Zulassungszahlen für Indaziflam, Thiacloprid und Beta-cyflutrin. neue Pestizide unter der neuen Regierung Thiodicarb141 ist ein neurotoxisches Pestizid, sprunghaft angestiegen sind. Pro Jahr werden das Irritationen des Atemtrakts verursacht; das rekordverdächtige 500 kommerzielle Produkte Herbizid Indaziflam142 ist ebenfalls neurotoxisch; neu zugelassen135. das Insektizid Thiacloprid143 wird mit Störungen Dazu gehörten auch Produkte der Konzerne der Fortpflanzung und des Hormonhaushalts in BASF und Bayer, deren einschlägige Umsätze Verbindung gebracht; und das Insektizid Beta- unter der Bolsonaro-Regierung kräftig gestiegen cyfluthrin144 ist nachweislich neurotoxisch und sind. wird mit Fortpflanzungsstörungen in Verbindung gebracht. 16
BASF hat zwischen 2019 und 2021 die sich im Einsatz befindlichen Agrochemikalien151. Zulassung für 30 neue Pestizide erhalten, von Den brasilianischen Konsument*innen wird denen 15 Substanzen enthalten, deren Einsatz verschwiegen, welche Substanzen auf ihren in der Europäischen Union untersagt ist. Dazu Tellern landen. gehören das neurotoxische Fipronil, das mit Die agrarwirtschaftlichen Lobbystrategien zahlen Bienensterben in Verbindung gebracht wird145; sich für Bayer und BASF ganz offensichtlich aus. Dinotefuran, das ebenfalls Auswirkungen auf Die Konzerne haben direkt von der Schwächung Bienen hat146; Imazethapyr, das bei Menschen von Gesetzen und Schutzmaßnahmen sowie Atemstörungen verursacht und toxisch für der Freizügigkeit der aktuellen brasilianischen Wasserpflanzen ist147; und das für Vögel Bundesregierung profitiert. So konnten sie in und Bienen hochgiftige Chlorfenapyr148,149. Brasilien Produkte verkaufen, deren Einsatz in Die Pestizidhersteller genießen außerdem ihrem Heimatland verboten ist. großzügige Steuererleichterungen für ihre Produkte. Die Verluste an Steuereinnahmen, Tatsächlich ist der Pestizideinsatz in Brasilien die der brasilianische Staat aufgrund der rasant angestiegen und hat sich in im Laufe Steuererleichterungen für Pestizide im der vergangenen 20 Jahre versechsfacht. Jahre 2020 verbuchte, waren fast viermal Gleichzeitig stirbt in Brasilien jeden zweiten so hoch, wie das gesamte Budget des Tag ein Mensch an einer Pestizidvergiftung und Umweltministeriums150. rund 20 Prozent dieser Opfer sind Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren.152 Bislang ist es den Pestizidherstellern gelungen, diese Profite unter dem Vorwand von „geschäftlicher Vertraulichkeit“ zu verschleiern. Informationen zu einer großen Anzahl der verkauften Pestizide werden nicht verfügbar gemacht. Im Jahre 2018 veröffentlichte IBAMA die Daten zu lediglich 28 Prozent der Jährliche Zulassung neuer Pestizide in Brasilien (Handelsprodukte) 493 499 475 449 404 277 139 Larissa Mies Bombardi 2021 17
Da die Pestizidindustrie eine so starke Lobby hat, ist die Überwachung von Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen durch die Zivilgesellschaft stark unter Beschuss geraten. Hunderte von Komitees und Gremien, die Teil der Struktur des Umweltministeriums waren, wurden aufgelöst oder entmachtet153. Zum Beispiel wurde 2019 der nationale Umweltrat Conama, eines der wichtigsten Fachgremien der brasilianischen Umweltpolitik, per Präsidialdekret demontiert154. Umweltorganisationen, indigene Völker, traditionelle Gemeinschaften, die wissenschaftliche Gemeinde und Landarbeiter*innen haben dabei effektiv ihren Raum für Repräsentation und Teilhabe verloren. Kürzlich hat der UN-Sonderberichterstatter über das Recht auf friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit auf die Aushöhlung der brasilianischen Demokratie hingewiesen und dringend sichere Räume für die Zivilgesellschaft angemahnt. Als besonders besorgniserregend betrachtete er die Einschränkungen der umfassenden, aktiven sozialen und politischen Teilhabe der brasilianischen Zivilgesellschaft und das erschreckende Ausmaß an Gewalt gegenüber Menschenrechtsaktivist*innen, indigenen Völkern und traditionellen Gemeinschaften, insbesondere afrikanischer Abstammung155. 18
Fazit Die brasilianische Agrarwirtschaft rührt gemeinsam mit europäischen Pestizidherstellern, wie Bayer und BASF, die Werbetrommel für das EU-Mercosur-Handelsabkommen. Ziel ist die Expansion der Märkte für agrarwirtschaftliche Exportgüter, die von Agrochemikalien abhängig sind. Bayer und BASF haben Hand in Hand mit brasilianischen Parlamentsmitgliedern des agrarwirtschaftlichen Blocks – der Bancada Ruralista— gearbeitet, um lockere Regularien für Pestizide und laxe Umweltstandards zu forcieren. Dabei haben sie eine legislative Agenda unterstützt, die darauf abzielt, die Rechte der indigenen Völker zu unterminieren, Umweltschutzbestimmungen abzuschaffen und die Abholzung der Wälder zu legitimieren. Agrochemiekonzerne aus Europa, die hier verbotene toxische Pestizide in die Mercosur- Staaten exportieren, gehen davon aus, dass sie von dem Abkommen durch Ausnutzung schwächerer Umweltschutzbestimmungen und großzügiger Steuererleichterungen profitieren werden. Gleichzeitig verschweigen sie Details der von ihnen verkauften Produkte unter dem Vorwand der geschäftlichen Vertraulichkeit. Eine Zunahme des Pestizideinsatzes wird ein toxisches Erbe hinterlassen, die Biodiversität schädigen und die bereits jetzt ernsthaften Konsequenzen für die Gemeinschaften vor Ort weiter verschlimmern. Die durch das EU-Mercosur-Abkommen geförderten Handelspraktiken stehen in fundamentalem Widerspruch zu den grünen Zielen der EU und ihrer kürzlich verkündeten Farm-to-Fork-Strategie. Letztere hat zum Ziel, den Pestizideinsatz drastisch zu reduzieren und Rückstände von in der EU nicht zum Einsatz zugelassenen Pestiziden in Lebensmitteln zu verbieten. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig. Wie der jüngst erschienene IPPC-Bericht ausgeführt hat, ist eine Abkehr von der industriellen Agrarwirtschaft und Hinwendung zu agrarökologischen Rahmenbedingungen dringend geboten156,157. Brasilianische Bewegungen für Lebensmittelhoheit und Agrarökologie sind bereits Vorreiter für nachhaltigere landwirtschaftliche Praktiken. Die agrarökologische Allianz Articulação Nacional de Agroecologia (ANA)158 und die Kooperative der landlosen Landarbeiter*innen (Movimento sem Terra, MST) zeigen, dass alternative Modelle eines florierenden Lebens auf dem Land möglich sind159. Hier haben Landwirt*innen ein auskömmliches Einkommen, produzieren qualitativ hochwertige Lebensmittel zu günstigen Preisen für die Region und stellen die Bodenqualität wieder her. Doch diese Praktiken sind von dem Handelsabkommen bedroht, dass die Zukunft einer hochwertigen Lebensmittelerzeugung die Existenzgrundlage von Menschen und die Umwelt- und Gesundheitspolitik sowohl in der EU als auch in den Mercosur-Staaten unterminiert. Dies ist die Folge des historischen kolonialen Erbes der Ressourcenextraktion aus der Mercosur-Region. Rund drei Viertel der heutigen Exporte aus Mercosur-Ländern in die EU basieren noch heute auf landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Bodenschätzen. Umgekehrt handelt es sich bei 84 Prozent der EU-Exporte nach Mercosur um Dienstleistungen und hochwertige Industrieprodukte. 19
Forderungen Die EU trägt aufgrund ihrer Kolonialgeschichte bereits einen großen Anteil an (historischer) Mitverantwortung für die Umweltzerstörung und die damit verbundenen Konflikte und Menschenrechtsverletzungen in den Mercosur-Staaten160. Insbesondere durch ihre Unterstützung der so genannten Grünen Revolution in Lateinamerika, die aus Landwirtschaft eine (industrielle) Agrarwirtschaft gemacht hat, welche in hohem Maße abhängig ist von Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden. Dadurch gingen regionales Wissen und traditionelle agrarökologische Praktiken verloren. Somit sollte die EU nun auch eine große Rolle dabei spielen, die Region beim Übergang von der intensiven Agrarwirtschaft zurück zu nachhaltigeren, agroökologischen Praktiken zu unterstützen. Als der ökonomisch stärkere, reichere Handelspartner muss die EU ihrer Verantwortung gerecht werden und die Ratifizierung des schädlichen EU-Mercosur-Abkommens stoppen. Sie muss intervenieren, um zu verhindern, dass in Europa ansässige Pestizidhersteller die schwächeren regulatorischen Kontrollen in Übersee ausnutzen. Zudem muss sie die Einfuhr von Lebensmitteln verbieten, die Rückstände von Chemikalien enthalten, deren Einsatz in der EU selbst verboten ist. Außerdem darf sie es der Chemieindustrie in der EU nicht länger gestatten, in der EU verbotene Produkte in andere Teile der Welt zu exportieren, da sie dort erheblichen Schaden anrichten. Weiter wie bisher ist keine Option, wenn die aktuellen industrialisierten und globalisierten Lebensmittel-Versorgungsysteme Treiber von Klimawandel, sozialer Ungerechtigkeit und Gesundheitsrisiken sind. Wir müssen uns nachhaltigeren Wegen der sicheren und gesunden Erzeugung und des Konsums von Lebensmitteln zuwenden, die Menschenrechte und die ökologischen Grenzen unseres Planeten respektieren. Die Handelspolitik muss kürzere Lieferketten für resiliente und dezentralisierte Lebensmittel-Versorgungsysteme unterstützen, die den Prinzipien der Agroökologie folgen. Politische Maßnahmen müssen kleine Erzeuger*innen in den Mittelpunkt stellen und diejenigen respektieren, die uns ernähren. 20
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