Moderne Piraterie vor Ostafrika - Tobias Purschke Klasse 8B Betreuer: Dr. Roland Kadan - Fichtnergasse
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Moderne Piraterie vor Ostafrika Vorwissenschaftliche Arbeit verfasst von Tobias Purschke Klasse 8B Betreuer: Dr. Roland Kadan Februar 2021 BG13 Fichtnergasse 1130 Wien, Fichtnergasse 15
Abstract Diese vorwissenschaftliche Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, die moderne Piraterie am Horn von Afrika genauer zu betrachten und zu analysieren. Im ersten Teil beschreibt die Arbeit zwei historische Abschnitte, die für die Piraterie besonders relevant waren. Ein besonderes Augenmaß gilt dabei der Zeit der Römer. Anschließend gibt die Arbeit einen Überblick über drei Fälle des aktuellen Jahrhunderts, in denen somalische Piraten ein Schiff erfolgreich eroberten. Auch der weitere Verlauf und die Folgen dieses Angriffes werden beleuchtet. Im dritten Teil werden Gründe dargestellt, die für die Piraterie ver- antwortlich sein könnten. Insbesondere wird dabei die politische und wirtschaftliche Si- tuation in Somalia analysiert, andere Faktoren werden auch nicht außer Acht gelassen. Im vierten und letzten Kapitel werden einige Gegenmaßnahmen betrachtet und deren Erfolg analysiert. Besonders geht die Arbeit dabei auf Operation Atalanta, eine Mission der EU, sowie auf den Einsatz von privaten Sicherheitskräften ein. Im Schlusskapitel wer- den alle gesammelten Informationen zusammengefasst und präsentiert, eine eventuelle Erkenntnis wird aufgezeigt. 2
Inhaltsverzeichnis 1. EINLEITUNG 4 2. PIRATERIE IN DER GESCHICHTE 5 2.1. Piraterie im römischen Reich 5 2.2. Seeräuber im Auftrag der Krone 7 3. PROMINENTE FÄLLE SEIT 2000 10 3.1. Die Entführung der Le Ponant (2008) 10 3.2. Der Angriff auf die Maersk Alabama (2009) 11 3.3. Der Überfall auf die Taipan (2010) 14 4. HINTERGRÜNDE UND URSACHEN 16 4.1. Politische Situation in Somalia 16 4.2. Wirtschaftliche Lage in Somalia 18 4.3. Sonstige Gründe 20 5. LÖSUNGSANSÄTZE UND GEGENMAßNAHMEN 22 5.1. Operation Atalanta 22 5.2. Private Sicherheitskräfte 24 5.3. Sonstige Maßnahmen 25 6. SCHLUSS 29 LITERATURVERZEICHNIS 30 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 33 3
1. Einleitung In dieser vorwissenschaftlichen Arbeit geht es um die moderne Piraterie am Horn von Afrika, die nach wie vor ein präsentes Thema ist. Obwohl die meisten beim Wort See- räuberei eher an die Vergangenheit und an Holzschiffe mit Piratenflaggen am Mast den- ken, ist die Piraterie immer noch ein fester Bestandteil des Lebens vieler Menschen. Diese Arbeit versucht, drei Fragen zu beantworten. Erstens: Wer sind die Täter? Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Menschen, die der Piraterie verfallen, insbeson- dere auch geschichtsübergreifend? Zweitens: Warum ist die Piraterie gerade am Horn von Afrika ein Problem? Welche sozialen, wirtschaftlichen oder geschichtlichen Aspekte haben dazu geführt, dass gerade Somalia als Hochburg moderner Piraten gilt? Drittens: Wie kann man Piraterie bekämpfen? Welche Maßnahmen gab es, auch in der Ge- schichte, um effektiv gegen Seeräuber vorzugehen? Diese vorwissenschaftliche Arbeit gliedert sich in 4 Kapitel. Zuerst gibt die Arbeit einen kurzen Überblick über die historische Entwicklung von Piraterie. Insbesondere zwei Epo- chen werden genau betrachtet. Anschließend zeigt die Arbeit drei Fälle der Neuzeit auf und versucht, eventuelle Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu finden. Drittens ver- sucht die Arbeit, die Gründe für Piraterie zu finden. Ein wesentlicher Punkt ist die Klä- rung der Frage, warum die Seeräuberei gerade am Horn von Afrika floriert. Abschließend zielt die Arbeit auf die Beantwortung der dritten Leitfrage ab. Es werden einige Gegen- maßnahmen und ihren Erfolg betrachtet. Zur Beantwortung der drei Leitfragen benutzt die Arbeit Bücher und Internetquellen. 4
2. Piraterie in der Geschichte 2.1. Piraterie im römischen Reich Im ersten Jahrhundert vor Christus waren Seeräuber im adriatischen Meer ein Problem, das sehr oft auf der Tagesordnung von Handelsschiffen stand. Durch Funde von römi- schen Schiffwracks wurde herausgefunden, was die wertvollen Gegenstände waren, die per Boot transportiert wurden und die die Piraten anlockten: Seide, Marmor, Schmuck. Auf der Insel Delos gab es sogar einen Großmarkt für gestohlene Güter. Auch Entfüh- rungen waren nichts Ungewöhnliches.1 Dieses Schicksal wurde auch einem der wohl bekanntesten Römer überhaupt zuteil: Gaius Julius Caesar, Konsul und später Diktator des römischen Reiches. Als junger Mann verstand er sich aufgrund seiner Familie nicht besonders gut mit Sulla, der damals einer der mächtigsten Männer der Stadt war. Deshalb unternahm er, um den Gefahren in Rom nicht ausgesetzt zu sein, oft lange Reisen, unter anderem an die türkische Westküste, um dort zu arbeiten. Auf einer Fahrt nach Rhodos wurde sein Schiff von Piraten geka- pert, Caesar gefangen genommen und auf die heute unbewohnte Insel Farmakonisi ge- bracht. Als Lösegeld forderten die Seeräuber 20 Talente Silber, was bereits eine Menge Geld war. Zum besseren Verständnis: Ein normales Segelschiff kostete ungefähr ein Ta- lent. Caesar allerdings fühlte sich von der seiner Meinung nach viel zu geringen Summe beleidigt, und verlangte, für einen Mann seines Standes mindestens 50 Talente zu ver- langen. 38 Tage später wurde das geforderte Lösegeld von seinen Freunden bezahlt, Caesar befreit und in den nächsten Hafen gebracht. Dort heuerte er eine große Flotte und Soldaten an und steuerte geradewegs auf die Insel zu, auf der er eingesperrt war. Die Piraten hatten keine Chance und wurden gefangen genommen. Wie Caesar ihnen während seiner Gefangenschaft mehrmals angedroht hatte, ließ er alle Piraten einsper- ren und später kreuzigen.2 Verantwortlich für diesen Zwischenfall war der Piratenbund der Kilikier. Dieser machte das Mittelmeer auch sonst unsicher. Es war neben den Sklavenaufständen einer der 1 Vgl. Seewald, Berthold, Die WELT vom 26.04.2016, https://www.welt.de/geschichte/ar- ticle154748460/Wie-Piraten-die-Roemische-Republik-ruinierten.html, 13.01.2021 2 Vgl. Zerjadtke, Michael, Focus Online vom 15.12.2015, https://www.focus.de/wissen/exper- ten/zerjadtke/grausame-rache-caesar-und-die-piraten_id_4519042.html, 14.01.2021 5
wenigen Organisationen, die dem Römischen Reich ernsthaft schadeten. Die Kilikier bil- deten sich, nachdem Rom viele Völker zerschlagen hatte und deren politische Systeme ausgesetzt hatte. Kilikien, das gegenüber Zypern an der Südküste der heutigen Türkei liegt, war durch die felsige Küste und die zahlreichen Höhlen, Inseln und Buchten ideal als Piratenversteck geeignet. Bis zum Jahr 100 vor Christus hatten die Kilikier ein System von befestigten Häfen, Stützpunkten und Verstecken aufgebaut, welches durch die pro- minente Position auf der Steilküste praktisch uneinnehmbar war. 102 vor Christus mobilisierten die Römer erstmals eine große Flotte, um die Piraten zu bekämpfen. In einer Seeschlacht mussten die Kilikier eine Niederlage einstecken, wo- raufhin die Piratenübergriffe in der Region für eine kurze Zeitspanne weniger wurden. Diese Ruhe vor dem Sturm hielt allerdings nicht sehr lange. Schon bald verzeichneten die Kilikier wieder Erfolge, auch ihre Flotte wuchs an. Kommandiert wurden sie mittler- weile von Strategen, sie beschränkten sich nicht mehr auf einzelne Handelsschiffe. Be- lagerungen von befestigten Städten oder Angriffe auf eine ganze Flotte waren keine Sel- tenheit. Heutzutage weiß man, dass die Kilikier im östlichen Mittelmeer ungefähr 400 Städte überfielen.3 Im Jahr 78 vor Christus erhielt Prokonsul Publius Servilius Vatia die Mission, eine Flotte zur Bekämpfung der Kilikier aufzustellen. In den darauffolgenden drei Jahren konnte er einige Stützpunkte vernichten, das Problem der Piratenplage war jedoch nicht gelöst. 74 vor Christus erteilte der Senat Marcus Antonius, dem Vater des berühmten Feldherren, ein Imperium Infinitum, eine Vollmacht, die Kilikier im Mittelmeer zu bekämpfen. Es stellte das erste Mal in der Geschichte Roms dar, dass ein einzelner Feldherr eine solche Macht erhielt. Die Mission allerdings scheiterte am Geld. Marcus Antonius verfügte über zu wenig Mittel, um einen effektiven Krieg zu führen. 72 vor Christus fügten ihm die Kilikier eine schwere Niederlage zu, die mit dem Tod eines großen Teils der Römer en- dete. Ein weiterer wichtiger Name in der Geschichte der Kilikier ist Gaius Verres, der Statthal- ter von Sizilien. Er ermöglichte es den Piraten, ihre Straftaten ohne Konsequenzen durchführen zu können, er raubte selber eine Vielzahl an Kunstgegenständen und 3 Vgl. Felkel, Alain: Operation Piratenjagd: Von der Antike bis zur Gegenwart. - Hamburg: Osburg Verlag GmbH, 2014, S. 36ff. 6
Schätzen. Schlussendlich allerdings wurde Verres überführt und nach Rom gebracht, um sich dort einem Gericht zu stellen. Der Ankläger war kein geringerer als Marcus Tullius Cicero, der mit diesem Fall seinen Durchbruch erlebte. Seine Reden vernichteten Verres praktisch, er verzichtete sogar auf das Ende des Prozesses. Der ehemalige Statthalter wurde verbannt und starb in Massilia.4 All das löste jedoch nicht das Problem. 67 vor Christus schlug der Tribun Gabinius einen Gesetzesentwurf vor, die Lex Gabinia, der den jungen Feldherren Gnaeus Pompeius Magnus mit einer Vollmacht zur Piratenbekämpfung ausstatten sollte. Seine Vollmacht sollte noch größer sein als die von Marcus Antonius, im Unterschied zu diesem sollte Pompeius nämlich auch die Möglichkeit haben, den Staatsschatz nach seinem Ermessen zu nutzen. Die Vorbereitungen fingen an. Pompeius' Armee bestand aus 120.000 Mann Infanterie und 5.000 Reitern, außerdem noch 500 Schiffen. Sein Einsatzgebiet, das Mit- telmeer, wurde in 13 Gebiete aufgeteilt, in jedes wurde ein Teil der Flotte geschickt. Im Frühjahr fing einer der größten Piratenkriege der Geschichte an. Das erste Ziel von Pom- peius waren die westlichen Stützpunkte im Mittelmeer, um die Getreideversorgung für Rom wiederherzustellen. Diese war nämlich davor durch die Piraten fast zur Gänze ab- geschnitten worden, was ein Grund für die große Zustimmung zur Lex Gabinia war. Die römische Armee hatte es leicht. Die Kilikier gaben eine große Zahl ihrer Stützpunkte auf, ohne sich einen bedeutenden Kampf mit Pompeius zu liefern. Nach 40 Tagen war das westliche Mittelmeer frei von Piraten. Nun war es an der Zeit, auch im Osten zu kämpfen. Dort leisteten die Piraten sogar be- waffneten Widerstand, gegen die kampferprobte Armee hatten sie jedoch keine Chance. Die Piraten kapitulierten nach einer kurzen Schlacht. Pompeius stieß nun in das Hinterland vor und eroberte viele Piratenfestungen. 49 Tage später hatte die römische Armee einen gigantischen Sieg über die Piraterie errungen.5 2.2. Seeräuber im Auftrag der Krone Eine weitere wichtige Zeitepoche für die Piraterie war die Zeit der Kaperei, die vom 12. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert reicht. Als Kaperei wird Seeräuberei im staatlichen 4 Vgl. Felkel, 2014, 47ff. 5 Vgl. Felkel, 2014, 49ff. 7
Auftrag bezeichnet, zum Beispiel, um den Gegner in einem Krieg zu schwächen. In der Regel lief das folgendermaßen ab: Ein Kapitän eines Schiffes erhielt von einer Stadt, ei- nem Land oder einem Herrscher einen sogenannten Kaperbrief. Dieser berechtigte ihn, ohne Angst vor Strafverfolgung im Herkunftsland Jagd auf feindliche Handelsschiffe zu machen. Das Diebesgut wurde aufgeteilt, meistens blieb allerdings die überwiegende Mehrheit oder gar die gesamte Beute beim Kaperkapitän.6 Das wohl bekannteste Beispiel ist England unter Königin Elisabeth I. im 16. Jahrhundert. Zu dieser Zeit befand sich England in einem bewaffneten Konflikt mit Spanien, was hauptsächlich an den religiösen Differenzen lag. Königin Elisabeth stattete schließlich Sir Francis Drake und andere Kapitäne mit einem Kaperbrief aus, um spanische Handels- schiffe zu attackieren und die Armee des spanischen Königs Philipp II. zu schwächen. Drake hatte extremen Erfolg. Er eroberte zahlreiche Schiffe und tötete eine hohe Zahl an Spaniern. Allerdings beschränkte er sich nicht nur auf Schiffe: Er griff auch spanische Hafenstädte an. Beispielsweise eroberte er Cartagena, eine kleine Stadt im Südosten Spaniens. Bevor Drake wieder abzog, verlangte er 100.000 Dukaten Lösegeld.7 Was oft im Schatten seiner Seeräuberei steht, ist die Tatsache, dass Francis Drake auch ein Forscher war, der zum Beispiel als erster Engländer die Welt umsegelte. Auf seiner fast drei Jahre langen Reise besuchte er Südamerika, Mexiko, Polynesien und Südafrika. Eine interessante Anekdote ist außerdem überliefert: Bei seiner Ankunft war Drake nicht sicher, ob Königin Elisabeth noch an der Macht war. Wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte Drake einen Prozess riskiert, da er auf seiner Reise spanische Schiffe atta- ckiert hatte. Er weigerte sich, sein Schiff im Hafen zu verlassen, bis die Königin persönlich zu ihm kam und ihn zum Ritter schlug.8 Eine weitere Gruppe von Seeräubern, die im Auftrag des Staates die Meere unsicher machten, waren die Flibustier und Bukanier. Im 17. Jahrhundert war die Karibik zum größten Operationsgebiet von Piraten geworden. Die Bukanier und Flibustier, die haupt- sächlich aus europäischen Emigranten, die keine Arbeit in ihrem neuen Zuhause fanden, 6 Vgl. Dolderer, Winfried, Deutschlandfunk vom 16.04.2016, https://www.deutschland- funk.de/vor-160-jahren-die-abschaffung-der-kaperei.871.de.html?dram:article_id=351411, 18.01.2021 7 Vgl. Murphy, Elaine, University of Plymouth, https://www.plymouth.ac.uk/courses/undergrad- uate/ba-history/elaine-murphy, 17.01.2021 8 Vgl. Shady Isle Pirate Society, http://bbprivateer.ca/?q=node/11#:~:text=Privateer%20His- tory%3A%20A%20General%20Overview,privateer%20was%20a%20private%20warship., 18.01.2021 8
bestanden, waren von Nordamerika bis zu den Antillen aktiv. Die Bukanier standen im Dienst der Engländer, die Flibustier waren ihr französisches Gegenstück.9 Die Kaperei fand ihr Ende, als am 16. April 1856 die Pariser Seerechtsdeklaration be- schlossen wurde. Ihr erster Leitsatz lautet: „Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft."4 9 Vgl. Kempe, Michael, bpb.de vom 22.11.2012, https://www.bpb.de/apuz/149607/schrecken- der-ozeane-eine-kurze-globalgeschichte-der-piraterie, 17.01.2021 9
3. Prominente Fälle seit 2000 3.1. Die Entführung der Le Ponant (2008) 2008. Das Luxuskreuzfahrtsegelschiff Le Ponant wurde am 4. April am Vormittag genau um 11:15 von zwölf somalischen Seeräubern, ausgerüstet mit Speeren und Sturmge- wehren, überfallen und übernommen. Glücklicherweise waren zur Zeit der Tat keine Passagiere an Bord, da der luxuriöse Segelkreuzer unterwegs zu einem Hafen war. Die dreißig Besatzungsmitglieder jedoch wurden von den Piraten als Geiseln genommen.10 Darunter waren 22 Franzosen, sechs Philippiner, eine Ukrainerin und ein Kameruner.11 Noch am selben Tag um 13:30 Uhr rief der Premierminister von Frankreich, François Fillon, den Notfallplan „pirate-mer“ (franz. „Piraten-See“) aus. Dieser Plan bewirkte die sofortige Mobilisierung aller verfügbaren Kräfte in der betreffenden Umgebung.15 Am Donnerstag, den 5. April 2008 wurde die Fregatte Le Commandant Bouan von ihrer ei- gentlichen Fahrtroute abgezogen, um der Le Ponant zu folgen und eventuelle Verhand- lungen mit den Entführern zu führen. Zusätzlich flog am Samstag, den 7. April 2008 eine Sondereinsatztruppe des GIGN (Groupe d’intervention de la gendarmerie nationale) nach Dschibuti, um das Schiff notfalls unter Anwendung von Gewalt zu befreien.12 Diese Möglichkeit war zuvor von der somalischen Regierung ausdrücklich genehmigt wor- den:13 1. Le GFT de Somalie autorise la marine française à entrer dans les eaux territoriales de Somalie. 2. Le GFT de Somalie autorise des forces françaises à prendre toutes les mesures nécessaires – y compris l’usage proportionné de la force – dans le contexte de la crise. Übersetzt aus dem Französischen: 1. Die somalische GFT ermächtigt die französische Marine, in somalische Hoheitsgewässer einzu- reisen. 10 Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 04.12.2014, https://hu- doc.echr.coe.int/fre?i=001-148290, 22.09.2020 11 Vgl. Scheen, Thomas, FAZ vom 11.04.2008, https://www.faz.net/1.546692, 22.09.2020 12 Vgl. Der Spiegel vom 07.04.2008, https://www.spiegel.de/panorama/justiz/piraten-vor-soma- lia-franzoesisches-einsatzkommando-erreicht-dschibuti-a-545805.html, 23.09.2020 13 siehe Fußnote 10 10
2. Die somalische GFT ermächtigt die französischen Streitkräfte, im Rahmen der Krise alle erfor- derlichen Maßnahmen - einschließlich des angemessenen Einsatzes von Gewalt - zu ergreifen. (Anm.: „GFT“ steht hier für „gouvernement fédéral de transition“ = „Übergangsregierung“) Gegen Zahlung eines Lösegelds in Höhe von 2.150.000 US-Dollar wurde die Besatzung schließlich am 11. April freigelassen. Die sechs Piraten, die gefasst werden konnten, wur- den zwischen dem 15. und dem 16. April nach Frankreich gebracht und erst vier Jahre später, am 14. Juni 2012, wurde vom Schwurgericht in Paris das Urteil gesprochen. Zwei der Seeräuber wurden freigesprochen und erhielten Entschädigungen. Die anderen vier wurden jeweils zu Haftstrafen im Ausmaß von 4 bis 10 Jahren verurteilt.10 3.2. Der Angriff auf die Maersk Alabama (2009) Am Mittwoch, den 8. April des Jahres 2009, wurde die Maersk Alabama 350 Seemeilen von der somalischen Küste entfernt von einer Gruppe Piraten attackiert.14 Das Schiff war zur Tatzeit unter US-amerikanischer Flagge unterwegs und wurde von Kapitän Richard Phillips aus Massachusetts befehligt. Der 155 Meter lange Frachter kam aus Salala, einer der größten Hafenstädte im Oman, hatte Dschibuti bereits angelaufen und war nun auf dem Weg nach Mombasa in Kenia. Die mehr als 5.000 Tonnen schwere Ladung bestand aus Hilfslieferungen für Länder in Ostafrika des Welternährungsprogramms (WFP).15 Um 3:45 Uhr in der Früh erblickten die Seemänner drei kleine Skiffs, die auf direktem Kurs auf den Frachter zusteuerten. Nach kurzer Zeit drehten diese jedoch wieder ab, die Mannschaft empfing folgenden Funkspruch:16 "Stop ship. Stop ship. This is Somali pirate." 14 Vgl. Der Stern vom 09.04.2009, https://www.stern.de/panorama/angriff-auf--maersk-alabama- -vier-piraten-gegen-us-kriegsschiff-3561972.html, 29.09.2020 und Nauticus vom 11.12.2009, https://web.archive.org/web/20131203010259/http://www.nauticus.org/about-us/piracy-today-mo- dern-terror-high-seas-open-nauticus, 29.09.2020 15 Vgl. FOCUS vom 16.11.2013, https://www.focus.de/panorama/vermischtes/piraten-maersk- alabama-piraten-nehmen-kapitaen-von-us-frachter-als-geisel_aid_388709.html, 29.9.2020 16 Murphy, Shane: "I'm Your Worst F**king Nightmare". https://www.gq.com/story/shane-mur- phy-maersk-alabama-somali-pirates, 03.10.2020 11
Um 6:30 Uhr waren die Piraten zurück. 3,5 Seemeilen entfernt nahm die Crew auf der Brücke ein Schiff auf dem Radar wahr. Die Besatzung wusste genau: Jetzt sind sie auf sich alleine gestellt. Das nächste US-Schiff befand sich mehr als 400 Seemeilen entfernt, der Frachter war den schnellen und wendigen Booten der Piraten hilflos unterlegen. Um 7:13 Uhr ertönte auf der Maersk Alabama das Alarmsignal. 14 der 20 Crewmitglieder wurden in den gesicherten Raum in der Maschinenhalle geschickt. Sechs Männer, da- runter Kapitän Phillips und der erste Offizier Murphy verblieben auf der Brücke. Die ers- ten Schüsse der Piraten fielen. Zurückschießen war nicht möglich, da die Firma aus fi- nanziellen Gründen keine Waffen an Bord erlaubt. Um circa 8 Uhr in der Früh enterten die Seeräuber die Brücke. 20 Minuten nachdem die ersten Piraten das Containerschiff bestiegen, gingen auf dem Schiff die Lichter aus. Die Crew im Maschinenraum hatte die Motoren abgestellt, die elektrische Versorgung gekappt und das Ruder fixiert.17 Um 9 Uhr eine erste gute Nachricht: Die Mannschaft im gesicherten Raum hatte einen der Piraten geschnappt. Sie haben ihn in einem dunklen Tunnel gefesselt, geknebelt und in den Maschinenraum gebracht. Um 1 Uhr mittags gelang es dem ersten Offizier Mur- phy, einen Mayday-Funkspruch abzusetzen. Dieser wurde jedoch nicht nur von mögli- chen anderen Schiffen gehört, sondern auch von einem der Piraten auf der Brücke. „Wer ist da?“, fragte er in gebrochenem Englisch. Offizier Shane Murphy, vom Adrenalin durchströmt, antwortete:15 "I'm your worst fucking nightmare, pal. I'm in charge of this ship now, and if you want to see your friend again, you talk to me now." Um 4 Uhr fielen die Seeräuber auf einen gefälschten Funkspruch eines angeblichen US- Kriegsschiffes herein. Sie erklärten sich bereit, den Frachter mit 30.000 US-Dollar, dem Beiboot und ihrem gefangen genommenen Freund zu verlassen. Erneut hatte die Crew der Alabama kein Glück. Der Motor des Beibootes funktionierte nicht mehr. Nun forder- ten die Piraten das Rettungsboot, welches im Gegensatz zum Beiboot geschlossen ist. Das machte es natürlich deutlich schwerer, das Boot aufzuhalten. Um 7 Uhr abends, ungefähr elf Stunden, nachdem die Piraten die Brücke der Maersk Alabama eroberten, befanden sie sich im Rettungsboot im Wasser, bereit zur Abfahrt. 17 Vgl. Murphy, 2009 12
Mit ihnen im Boot: Zwei Crewmitglieder des Frachters, außerdem Kapitän Richard Phil- lips. Er wurde als Geisel genommen, um den Piraten, der von der Mannschaft überwäl- tigt wurde, auszugleichen. Der Plan sah wie folgt aus: Die beiden Seeleute des Contai- nerschiffes klettern über die Leiter auf die Alabama zurück. Somit verbleibt nur noch Kapitän Phillips mit den Piraten. Als nächstes wird der gefangen genommene Pirat, ein junger Somalier namens Abduwali Muse nach unten geschickt, und Kapitän Phillips kommt rauf. Er wollte jedoch noch kurz auf dem Rettungsboot verbleiben, um den Pira- ten die Steuerung zu erklären. Obwohl ihm seine Mannschaft davon abrät, befahl er, Muse nach unten zu schicken. Plötzlich schloss sich die Luke des Rettungsbootes und es legte ab. Mit Kapitän Phillips an Bord. Es begann eine circa fünf Tage lange Schreckens- fahrt durch das arabische Meer.20 In der Nacht auf den 9. April 2009 um 01:00 Uhr erreichte der US-amerikanische Zerstö- rer USS Bainbridge den Frachter, der zu dem Zeitpunkt noch das Rettungsboot verfolgte. Auf Befehl der US Navy und der Reederei setzten sie jedoch, nach Angaben des ersten Offiziers widerwillig, ihre Fahrt nach Mombasa fort. Am Freitag, den 10. April wagte Ka- pitän Phillips einen Fluchtversuch. Er sprang vom Rettungsboot und versuchte, die Bain- bridge zu erreichen, wurde jedoch von seinen Bewachern aufgegriffen.18 Am selben Tag traf die Fregatte USS Halyburton gemeinsam mit dem Angriffsschiff USS Boxer zur Un- terstützung der Bainbridge ein.19 Im Laufe des 12. Aprils näherte sich das Rettungsboot gefährlich der somalischen Küste. Die US Navy wollte auf jeden Fall verhindern, dass der Kapitän an Land verschleppt wurde. In der unzugänglichen Berglandschaft Somalias hätte sich seine Rettung erheb- lich erschwert.20 Zum Glück für die Marine war die See sehr unruhig. Die Piraten waren damit einverstanden, in Schlepptau genommen und in ruhigere Gewässer gezogen zu werden. Außerdem kam Abduwali Muse, der verletzt war, für ärztliche Versorgung an Bord der Bainbridge. 18 Vgl. Die Süddeutsche vom 10.04.2009, https://web.ar- chive.org/web/20090413150731/http://www.sueddeutsche.de/panorama/180/464777/text/, 03.10.2020 19 Vgl. n-tv.de vom 10.04.2009, https://web.archive.org/web/20091210200213/http://www.n- tv.de/politik/Halyburton-trifft-ein-article66771.html, 03.10.2020 20 Vgl. Die Welt vom 12.04.2009, https://www.welt.de/vermischtes/article3543808/Piraten-mit- US-Kapitaen-naehern-sich-der-Kueste.html, 03.10.2020 13
Als der Kommandant der Bainbridge merkte, dass die Piraten kurz davor waren, Phillips zu töten, gab er den Feuerbefehl. Drei Kampfschwimmer mit Scharfschützengewehren lagen bereits am Heck der Bainbridge bereit und gaben aus circa 30 Metern Entfernung gleichzeitig drei tödliche Schüsse auf die Seeräuber ab.21 Kapitän Richard Phillips wurde unmittelbar danach befreit. 3.3. Der Überfall auf die Taipan (2010) Am 5. April des Jahres 2010 wurde das Mehrzweckfrachtschiff Taipan, welches zum Zeit- punkt unter deutscher Flagge unterwegs war, von zehn Piraten aus Somalia attackiert.22 Das vier Jahre alte Schiff war zur Zeit des Überfalls auf dem Weg von Dschibuti nach Mombasa, der zweitgrößten Stadt Kenias und wichtigsten Hafenstadt Ostafrikas, und hatte Container geladen. Die Piraten enterten das Schiff circa 500 Seemeilen, also ungefähr 900 Kilometer, von der Küste entfernt.23 Die 14 Mitglieder der Crew, darunter zwei Seeleute aus Deutsch- land, konnten sich unter der Führung von Kapitän Dierk Eggers aus Holland24 rechtzeitig in den geschützten Sicherheitsraum begeben.2 Kapitän Eggers wurde zusätzlich von ei- nem besonderen Schicksalsschlag getroffen: Der ursprüngliche Kapitän, ein Pole, legte sein Amt wenige Tage vor dem Zwischenfall ab, weil seine Familie Angst vor der Route hatte, die durch ihr hohes Aufkommen an Seeräubern und Piraten bekannt war.25 Die Besatzung der Taipan hatte Glück im Unglück: Die niederländische Fregatte Hr. Ms. Tromp empfing den Notruf des Containerschiffs und nahm die Verfolgung auf.26 Diese patrouillierte zum Zeitpunkt 40 Seemeilen entfernt und suchte ein verschwundenes Fi- scherboot. Ebendieser Kutter wurde als Operationsbasis für die Piraten benutzt, als sie die Taipan überfielen. 27 21 Vgl. Gelinsky, Katja, FAZ vom 13.04.2009, https://www.faz.net/1.790577, 03.10.2020 22 Vgl. Müller, Kai, Tagesspiegel vom 22.11.2010, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/pano- rama/vor-gericht-piratenprozess-ende-einer-kaperfahrt/3156824.html, 15.9.2020 23 Vgl. Der Spiegel vom 05.04.2010, https://www.spiegel.de/panorama/spektakulaere-aktion-vor- somalia-niederlaender-befreien-deutsches-containerschiff-a-687323.html, 20.9.2020 24 Vgl. Ritter, Johannes, FAZ vom 22.10.2020, https://www.faz.net/1.1078741, 15.9.2020 25 Vgl. DVZ vom 03.01.2011, https://www.dvz.de/rubriken/see/detail/news/kapitaenswechsel- auf-der-taipan-kurz-vor-ueberfall.html, 15.9.2020 26 Vgl. Müller, 2010 27 Vgl. Der Spiegel, 2010 14
Die Tromp versuchte zunächst, über Funk mit den Piraten zu verhandeln. Als diese nicht darauf reagieren, beschloss die niederländische Marine, das Schiff gewaltsam zu er- obern. Die Piraten hatten keine Chance gegen die ausgebildeten Soldaten der Fregatte. Nach einem kurzen Schusswechsel, bei dem ein niederländischer Soldat leichte Verlet- zungen davonträgt, ist die Taipan befreit.5 Kapitän Dierk Eggers und seine Mannschaft verweilten im Sicherheitsraum, bis er die Soldaten hört, die sich auf niederländisch un- terhalten. Die Brücke war zwar beschädigt, allerdings war das Schiff durch die Hilfe von Ingenieuren der Tromp noch am selben Abend wieder fahrtüchtig und konnte seine Reise fortsetzen.28 28 Vgl. Ritter, 2010 15
4. Hintergründe und Ursachen 4.1. Politische Situation in Somalia Am 1. Juli 1960 wurde Somalia durch Vereinigung der beiden Kolonialgebiete Britisch- Somalia, welches bereits fünf Tage zuvor, am 26. Juni, souverän wurde, und Italienisch- Somalia unabhängig. Der erste demokratisch gewählte Präsident des neuen Staates wurde Aden Abdullah Osman Daar. Er führte, wenn auch nicht ganz freiwillig, da es im Land große nationalistische Strömungen gab, das Streben nach Gebieten in benachbar- ten Staaten, die von Somali bewohnt wurden, fort. 1967 wurde Osman von seinem Par- teikollegen Abdirashid Ali Shermarke abgelöst. Auch unter ihm hielten die innenpoliti- schen Spannungen an. Das Parlament war geprägt von Nepotismus und Korruption.29 Ungefähr neun Jahre nachdem Somalia unabhängig wurde, am 15. Oktober 1969, wurde Shermarke von einem seiner Leibwächter ermordet. Mohammed Haji Ibrahim Egal, der Premierminister von Somalia, versuchte in der nächsten Woche vergeblich, einen neuen Präsidenten zu finden. Siad Barre, ein ranghoher Offizier, übernahm die Macht.30 Barre stärkte die Beziehungen Somalias mit der Sowjetunion, förderte die Bildung und stan- dardisierte die somalische Sprache und schwächte den Einfluss der Clans. Maßnahmen wie diese waren zunächst populär, allerdings wurden unter seiner Herrschaft auch Be- schuldigungen, Menschenrechte zu verletzen, laut.31 Im Laufe der Jahre schwand sein Einfluss auf das Land zunehmend, bis er schließlich am 26. Januar 1991 abgesetzt wurde. Am darauffolgenden Tag war klar: Siad Barres Herrschaft war vorüber.32 Die zurzeit mächtigsten Befehlshaber, Ali Mahdi und Mohammed Aidid, fingen kurz da- rauf brutale Kämpfe um die Oberhand in Somalia an. 1992 kam es auf Drängen der UN zu einem Waffenstillstand, der jedoch nicht in allen Landesteilen beachtet wurde. Nach einigen Auseinandersetzungen wandte sich die USA spezifisch gegen Mohammed Aidid. Dieser Konflikt resultierte 1993 in 19 verstorbenen Soldaten und mehr als 500 29 Vgl. Nelson, Harold D.: Somalia, a Country Study. - Washington D.C.: Headquarters, Department of the Army, 1982, S. 44f. 30 Vgl. Nelson, 1982, S. 45f. 31 Vgl. Encyclopedia Britannica vom 01.01.2020, https://www.britannica.com/biography/Mo- hamed-Siad-Barre, 07.11.2020 32 Vgl. Rühl, Bettina, Deutschlandfunk vom 21.01.2016, https://www.deutschlandfunk.de/soma- lia-vor-25-jahren-der-sturz-von-diktator-siad-barre.871.de.html?dram:article_id=343469, 08.11.2020 16
somalischen Zivilisten in der sogenannten Schlacht von Mogadischu. Dieses Ereignis zwang die UN dazu, sich aus Somalia zurückzuziehen. 1995 verließen die letzten UN- Soldaten das Land.33 Im Jahr 2000 wurde in Dschibuti der Versuch unternommen, eine Übergangsregierung zu bilden. Allerdings wurde diese Regierung nicht von allen Beteiligten anerkannt. So wurden zum Treffen in Dschibuti wesentliche Machthaber nicht eingeladen. Außerdem stand die Übergangsregierung im Ruf, korrupt zu sein, somit konnte sie ihren Einfluss- bereich nie auf den ganzen Staat erweitern. In Kenia wurden 2002 neue Verhandlungen aufgenommen und 2004 wurde schließlich eine neue Regierung gebildet. Außerdem wurde ein Parlament eingesetzt, in dessen Zusammensetzung alle relevanten Clans und Kriegsherren einbezogen wurden.34 2006 marschierte das christlich regierte Äthiopien unter Unterstützung der USA in So- malia ein, als das Land in Folge der Ereignisse am 11. September 2001 als Zufluchtsort für Terroristen und Islamisten galt. Außerdem hatte die Union Islamischer Gerichte, die in den von ihnen kontrollierten Gebieten die Scharia durchsetzten, weite Teile des Lan- des eingenommen. Äthiopien konnte die Union aus der Hauptstadt verdrängen, war aber bis zum Abzug der Truppen im Jahr 2009 weiterhin von islamistischen Angriffen bedroht.35 Am 1. August 2012 stimmte das Parlament mit 96 % Zustimmung für eine neue Verfas- sung. Diese sollte das islamische Recht als Grundlage haben, Frauen und Männer jedoch gleichstellen. Somalia wurde in eine Bundesrepublik umgewandelt und hatte damit seit 1969 (= seit 43 Jahren) erstmals wieder eine demokratisch gewählte, einigermaßen stabile Regierung.36 Auch heute noch werden einige Regionen in Somalia von der Milizgruppe al-Shabaab beherrscht, die aus dem radikalen Flügel der Union Islamischer Gerichte hervorging.37 Ebenfalls ungeklärt ist der Status von Somaliland. Somalia betrachtet die Region als 33 Vgl. Spilker, Dirk / Harneit-Sievers, Axel: Somalia: Alte Konflikte und neue Chancen zur Staatsbil- dung. - Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung, 2008, S. 21f 34 Vgl. Dirk / Harneit-Sievers, 2008, S. 24f 35 Vgl. epo.de vom 21.07.2006, https://www.epo.de/index.php?option=com_content&view=ar- ticle&id=1779:somalia-intervention-durch-aethiopien-und-eritrea-laesst-lage-eskalie- ren&catid=27&Itemid=69, 10.11.2020 36 Vgl. FAZ vom 01.08.2012, https://www.faz.net/1.1840029, 10.11.2020 37 Vgl. Bertelsmann Stiftung: Somalia: BTI 2020 Country Report. - Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, 2020. 17
abhängigen Teilstaat, Somaliland versucht weiterhin, internationale Anerkennung als unabhängiger Staat zu erhalten. 4.2. Wirtschaftliche Lage in Somalia Auch heute noch gilt Somalia als „Failed State“, also „gescheiterter Staat“. Unter ande- rem hat das Land gravierende wirtschaftliche Probleme. 2019 hatte Somalia ein Brutto- inlandsprodukt von 7,7 Milliarden Dollar erwirtschaftet.38 Bei einer Bevölkerung von un- gefähr 12,3 Millionen Einwohnern ergibt das ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von circa 620 US-Dollar. Zum Vergleich: In Österreich beträgt das BIP pro Kopf über 50.000 US-Dollar, der EU-Durchschnitt liegt bei rund 35.000 US-Dollar.39 Die offizielle Währung von Somalia ist der Somalia-Schilling. Die Währung gilt als äußerst instabil, der Wechselkurs von Euro zu Somalia-Schilling liegt derzeit (Stand 28. August 2020) bei 1:682. Obwohl in den 1980er Jahren auch Scheine zu 5, 10, 20, 50 und 100 Somalia-Schilling gedruckt und ausgegeben wurden, sind diese heute praktisch wertlos. Der einzige Schein, der sich noch im Umlauf befindet, ist der 1000-Schilling-Schein. Der Falschgeldanteil an diesen wird vom internationalen Währungsfonds auf fast 98 Prozent geschätzt. Aufgrund dieser Schwierigkeiten wird in Somalia fast nur mit ausländischen Währungen bezahlt, darunter US-Dollar, Euro und Dirham, die Währung der Vereinigten Arabischen Emirate. Außerdem ist mobiles Bezahlen in Somalia sehr populär. Der größte Telekommunikationsanbieter des Landes, Hormuud, spricht von über 2,5 Millionen Nut- zern des firmeneigenen Bezahlsystems. Laut der Weltbank haben über 37 Prozent der Menschen in Somalia ein Konto für mobiles Zahlen, damit zählt das Land in dem Bereich zu den aktivsten der Welt.40 Der bedeutendste Sektor der Wirtschaft in Somalia ist nach wie vor die Landwirtschaft, 2020 sind ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung darin tätig. 2018 war sie für über 60 Prozent der Wirtschaftskraft des Staates verantwortlich, mehr als zwei Drittel der 38 Vgl. Trading Economics von 2020, https://tradingeconomics.com/somalia/gdp, 28.11.2020 39 Vgl. The World Bank, https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.PCAP.CD?locations=AT und https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.PCAP.CD?locations=EU, 25.01.2021 40 Vgl. Dahir, Abdi Latif, Quartz Africa vom 22.02.2017, https://qz.com/africa/915763/somalia-is- a-leader-in-mobile-money-but-still-wants-to-print-its-first-cash-notes-in-25-years/, 30.11.2020 18
gesamtem Landfläche des Staates werden für Ackerbau, Viehzucht und Plantagenanbau benutzt. Ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig in Somalia ist der Fischfang. Vor allem an der Nordostküste des Landes sind viele Einwohner auf die Fischerei angewiesen, doch auch hierbei gibt es Probleme. Ausländische Unternehmen, vor allem aus China, aber auch aus anderen asiatischen Staaten wie Russland und Ländern außerhalb von Asien wie zum Beispiel Spanien, fischen illegal Somalias Gewässer leer. Regelungen oder Gesetze, die gegen die Überfischung etwas bewirken könnten, gibt es aufgrund der äußerst in- stabilen Regierung nicht. Daraus resultiert ein Teufelskreis. Die einheimischen Fischer verlieren ihre Lebensgrundlage an riesige Trawler aus dem Ausland. Viele von ihnen wer- den deshalb dazu verleitet, ihren Lebensunterhalt durch Piraterie zu verdienen. Die Sta- bilität des Landes leidet wiederum stark unter der Piraterie, gegen die man fast nichts unternehmen kann.41 Besonders in den Regionen Puntland und Somaliland ist das Land reich an Bodenschät- zen. Dennoch ist dieser Sektor sehr unterentwickelt und trägt nur geringfügig zur Wirt- schaft des Staates bei. Uran ist die Ressource, die in Somalia hauptsächlich abgebaut wird, allerdings gibt es unberührte Reserven an Kupfer, Gold, Quarz und vielen anderen Bodenschätzen. Außerdem interessant sind die Ölvorkommen, die es in Somalia mit ho- her Wahrscheinlichkeit gibt. Auch Erdgas soll es, größtenteils in Puntland, geben.42 Somalia leidet außerdem noch unter einem sehr speziellen Problem: Insbesondere in den großen Städten blüht der Waffenhandel. In Mogadischu, der Hauptstadt des Lan- des, geht es angeblich so weit, dass man neben Handgranaten, Pistolen und Gewehren sogar Flugabwehrgeschütze bekommt, wenn man nur genug Geld auf den Tisch legt. Obwohl der Waffenhandel in Somalia offiziell verboten ist – 1992 wurde vom UN-Sicher- heitsrat sogar ein Waffenembargo gegen das Land verhängt – machen gut ausgerüstete Clan-Milizen ein Vermögen mit illegalen Schusswaffen. Effektive Kontrollen, um das zu unterbinden, gibt es nicht.43 41 Vgl. Staude, Linda, Deutschlandfunk vom 02.01.2016, https://www.deutschlandfunk.de/soma- lia-wie-illegaler-fischfang-die-piraterie-befeuert.799.de.html?dram:article_id=341337, 29.11.2020 42 Vgl. Trimmer III, Loyd M.: The Mineral Industry of Somalia. - Washington, D.C.: U.S. Department of the Interior, 2018, Vgl. Soutter, Will, AZoMining vom 12.09.2012, https://www.azomining.com/Ar- ticle.aspx?ArticleID=151, 30.11.2020 43 Vgl. Mubarak, Mohamed, Welt-Sichten vom 10.03.2014, https://www.welt-sichten.org/arti- kel/21228/somalias-armee-ruestet-den-feind-auf, 26.11.2020 19
4.3. Sonstige Gründe Neben den in den letzten zwei Unterkapiteln genannten Gründen, die stark dazu beitra- gen, dass die Region am Horn von Afrika und insbesondere das Land Somalia als Hotspot der Piraterie bekannt ist, gibt es noch einige weitere Ursachen. Ein wichtiger Faktor ist natürlich die Lage von Somalia. Das Land liegt am Golf von Aden, an den ansonsten auch noch die Länder Jemen und Dschibuti angrenzen. Der Golf von Aden hat insofern eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung, als er Europa mit dem indi- schen Ozean verbindet. Diese Route führt nämlich durch das Rote Meer, welches wie- derum über den Suezkanal mit dem Mittelmeer verbunden ist. Der 136 Kilometer lange Suezkanal gehört neben Panama-Kanal und Bosporus zu den wichtigsten Verbindungen in der Schifffahrt. 2012 wurde er von ungefähr 17.000 Schiffen befahren, die Güter im Gewicht von über 700 Millionen Tonnen transportierten. Diese Schiffe müssen alle auch durch den Golf von Aden fah- ren.44 Die einzige Ausweichmöglichkeit für die zahllosen Schiffe, von denen die Mehrheit Öltanker sind und Rohöl von den arabischen Ländern nach Europa transportieren wäre es, Afrika zu umrun- den. Das stellt aber einen immensen Um- weg (siehe Abb. 1) dar, der sich in Treib- stoffkosten, Fahrtzeit und Personalkos- ten widerspiegeln würde. Ein Beispiel: Ein Schiff, welches von Rotterdam in den Abb. 1: Karte von Afrika und insbesondere dem Niederlanden nach Ras Tanura, Saudi- Suezkanal Arabiens größtem Ölhafen fährt, muss für diese Strecke 8766 Kilometer überwinden. Fährt das gleiche Schiff aber um Afrika herum, vergrößert sich die Fahrtstrecke auf 20.685 Kilometer.45 44 Vgl. tagesschau.de vom 16.08.2013, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/suez-ka- nal100.html, 02.12.2020 45 Vgl. Schuhmann, Clemens, nachrichten.at vom 04.02.2011, https://www.nachrichten.at/poli- tik/aussenpolitik/Suezkanal-Lebensader-fuer-den-Welthandel;art391,548484, 02.12.2020 20
Ein weiterer Grund, der möglicherweise bei einigen Vorfällen eine Mitschuld am Ge- schehenen trägt, ist die Sparsamkeit der Reedereien. Piratenübergriffe sind logischer- weise wahrscheinlicher, je näher das Schiff an der Küste fährt. Besonders in Somalia ist die Versu- chung groß, da es eine Menge Zeit sparen kann, den Abstand zum Festland gering zu halten (siehe Abb. 2). Wenn ein Frach- ter das Horn von Afrika nicht mit genügend Ab- Abb. 2: Lage von Somalia und geographische Beschaffenheit des stand umschifft, ist das Horns Risiko, Opfer einer Piratenattacke zu werden, natürlich sehr viel höher. Das sieht man auch am Beispiel Maerks Alabama, die in dieser Arbeit schon Erwähnung gefunden hat. Nach dem Vorfall wurde die Reederei des Schiffes von einigen Crewmitgliedern verklagt, unter anderem weil Kapitän Richard Phillips trotz mehrerer Warnungen, mehr Abstand vom somalischen Festland zu halten, am vorgelegten Kurs festhielt.46 46 Vgl. Callahan, Maureen, New York Post vom 13.10.2013, https://nypost.com/2013/10/13/crew- members-deny-captain-phillips-heroism/, 02.12.2020 21
5. Lösungsansätze und Gegenmaßnahmen 5.1. Operation Atalanta Im Jahr 2008 wurde auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) sowie die Eu- ropäische Union auf das immer größer werdende Problem der Piraterie im Bereich des Hornes von Afrika aufmerksam. Insbesondere für das Welternährungsprogramm, wel- ches besonders in Somalia sehr aktiv war, stellten die Angriffe ein großes Risiko dar. Als Reaktion von der EU wurde im Dezember 2008 die sogenannte EUNAVFOR Somalia - Operation Atalanta ins Leben gerufen. Sie war ursprünglich für eine Dauer von einem Jahr ausgelegt und erhielt für diese Zeitspanne ein Budget von rund 8,3 Millionen Euro. Aufgrund des großen Erfolges erteilte die EU der Operation 2009 ein Mandat für ein weiteres Jahr. Im zweiten Jahr der Operation Atalanta waren mehr als 20 Schiffe und Flugzeuge im Rahmen der Mission aktiv, 14 Staaten (davon 10 Mitglied der Europäischen Union, Stand April 2010) waren permanent am Projekt beteiligt: Spanien, Deutschland, die Nieder- lande, Frankreich, Italien, Griechenland, Schweden, Belgien, Portugal, Luxemburg, Kro- atien, Montenegro, Ukraine und Norwegen.47 Obwohl Operation Atalanta ursprünglich nur für ein Jahr ausgelegt war, wurde sie seit- dem immer wieder verlängert, das letzte Mal am Mittwoch, den 27.5.2020 vom deut- schen Bundestag. Deutschland unterstützt die Mission mit einer personellen Wehrkraft von 400 Soldaten und einem Seeaufklärer des Typs P-3C Orion.48 Im Rahmen der EU-Verordnung EU Council Joint Action 851 sind die Aufgaben der Ope- ration Atalanta: • Der Schutz von Schiffen, hauptsächlich von Frachtern des World Food Program- mes (WPF). Allerdings gilt die Aufmerksamkeit der Mission auch der African Union Mission in Somalia (AMISOM), die versucht, den Bürgerkrieg in Somalia zu stoppen, außerdem allen anderen Schiffen mit wertvoller oder wichtiger Fracht. 47 Vgl. House of Lords: Combating Somali piracy: the EU's Naval Operation Atalanta. - London: House of Lords, 2010, S. 7f. 48 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, BMVG vom 28.05.2020, https://www.bmvg.de/de/aktuelles/bundestag-verlaengert-atalanta-260502, 15.12.2020 22
• Der passive Schutz vor bewaffneten Überfällen und Piratenattacken im Golf von Aden, wenn nötig auch das aktive Eingreifen in Kampfhandlungen. • Die Überwachung, Kontrolle und Regulierung der Fischerei in den Hoheitsgewäs- sern des Staates Somalia. Diesen Zusatz gibt es hauptsächlich wegen des Prob- lems der ausländischen Überfischung und der damit verbundenen Entziehung der Lebensgrundlage vieler Einwohner. • Die Zusammenarbeit mit anderen Missionen der Europäischen Union, aber auch anderen Bündnissen. Zusammen soll die Präsenz im Risikogebiet Horn von Afrika gestärkt werden. Seit dem Start der Operation Atalanta im Dezember 2008 hat die Mission große Erfolge verzeichnet, die Zahlen der Übergriffe im Operationsgebiet gingen rapide zurück. Im Ja- nuar 2011 wurde der bisherige Höchststand an Attacken durch somalische Piraten ver- zeichnet, 32 Schiffe und über 700 Geiseln waren in Gewalt der Seeräuber. Etwas weniger als 6 Jahre später, im Oktober des Jahres 2016, konnte man diese beiden Indikatoren erstmalig mit 0 beziffern. An der Mission EU NAVFOR - Operation Atalanta sind permanent rund 600 Soldaten be- teiligt, außerdem 1-3 Kriegsschiffe und ein oder zwei Aufklärungsflugzeuge. Die genaue Zusammensetzung der Mission und der beteiligten Nationen ist nicht genau festzustel- len, da sie sich oft ändert. Derzeit (Stand: Dezember 2020) arbeitet Operation Atalanta mit einer spanischen Fregatte der Santa Maria-Klasse, der ESPS REINA SOFIA, die zusätz- lich noch einen Helikopter Seahawk SH-60 transportiert. Außerdem im aktiven Dienst ist ein ebenfalls spanisches Aufklärungsflugzeug des Typs Lockheed P-3M Orion.49 Das Kommando der Mission übernimmt stets ein Offizier mit dem Rang Generalmajor oder Konteradmiral. Ursprünglich war das Hauptquartier von Operation Atalanta in der Nähe von London stationiert, durch den EU-Austritt von Großbritannien wurde es je- doch nach Spanien, in die Küstenstadt Rota verlegt. Seitdem ist Spanien auch das Land, welches den Kommandanten der Mission stellt. Seit dem 1. Oktober 2019 übernimmt diesen Posten der Generalmajor Antonio Planells Palau.50 49 Vgl. EU Naval Forces von 2020, https://eunavfor.eu/mission/, 17.12.2020 50 Vgl. Bruns, Sebastian, RiskIntelligence vom November 2011, https://www.sldinfo.com/wp-con- tent/themes/sldinfo/samples/Strategic_Insights_36.pdf, 19.12.2020 23
5.2. Private Sicherheitskräfte Zusätzlich zu den offiziellen militärischen Maßnahmen wie Operation Atalanta entschie- den sich viele Schiffseigner auch dazu, private Sicherheitsfirmen zu beauftragen, die die Frachter bewachen sollten, meistens auch bewaffnet. Etwa seit dem Jahr 2012 machen solche Agenturen ein sehr gutes Geschäft, auch sind sie sehr erfolgreich. In den letzten Jahren gab es einen merklichen Rückgang an Übergriffen im Golf von Aden. Leider ist nicht genau festzustellen, zu welchen Teilen dieser Erfolg privaten Sicherheitskräften zuzuschreiben ist, da der Start der EU-Mission Operation Atalanta circa mit dem Beginn der Ära privater Milizen zusammenfällt. Wieviel Arbeit Operation Atalanta und wieviel Arbeit private Sicherheitskräfte geleistet haben, ist daher fraglich.51 Die Rechtslage von solchen Firmen hängt ausschließlich vom Staat ab, unter dessen Flagge ein Schiff unterwegs ist. In Deutschland beispielsweise wird das unter § 34a der Gewerbeordnung geregelt, die das gewerbliche Bewachen von Leben oder Besitz er- laubt. Allerdings gibt es hierbei Einschränkungen. Vollautomatische Waffen zum Beispiel fallen in Deutschland unter das Kriegswaffenkontrollgesetz, Sicherheitskräfte auf deut- schen Schiffen dürfen daher maximal halbautomatische Schusswaffen mit sich führen. Das hat dazu geführt, dass viele Reeder der deutschen Flagge den Rücken zukehren und besonders für Fahrten durch Risikogebiete eine andere Flagge hissen, beispielsweise die des Staates Liberia. Dieser erlaubt nämlich, im Gegensatz zu Deutschland, auch vollau- tomatische Waffen. Auch ist es bereits vorgekommen, dass ein Schiff nur für Abschnitte die deutsche Flagge abnimmt, in denen private Sicherheitsfirmen von Nöten sind.52 Außerdem sind in manchen Ländern auch private Sicherheitskräfte zum Schutz vor Pira- tenübergriffen staatlich geregelt. 2011 gab das Innenministerium der Bundesrepublik Deutschland dazu eine Erklärung ab, in der der Einsatz von kommerziell geführten Si- cherheitsfirmen ausdrücklich befürwortet wird, allerdings nur von jenen Firmen, die 51 Vgl. Friederichs, Hauke, Die Zeit vom 14.02.2013, https://www.zeit.de/wirtschaft/2013-02/pira- ten-somalia/seite-2, 25.12.2020 52 Vgl. Salomon, Tim René, Legal Tribune Online vom 22.08.2011, https://www.lto.de/recht/hin- tergruende/h/sicherheitsdienste-gegen-somalische-piraten-wettruesten-als-fragwuerdige-strategie/, 25.12.2020 24
eine staatliche Zulassung vorweisen können. Ein solches Zertifikat wird von der Bundes- polizei ausgestellt, nachdem das fragliche Unternehmen geprüft wurde.53 Ein Punkt, der immer noch nicht vollständig geklärt ist, bleibt die Frage nach der Straf- barkeit bei privaten Sicherheitskräften. Was passiert zum Beispiel, wenn ein bewaffne- ter Wächter eines Containerschiffes unter deutscher Flagge einen Piraten erschießt? Der erste fragliche Punkt war hierbei die Staatszugehörigkeit des Schiffes, da dieses kein deutsches Territorium darstellt. Nach § 4 StGB wurde allerdings schnell klar, dass ein unter deutscher Flagge fahrendes Schiff nach dem Flaggenrechtsgesetz als deutsches Staatsgebiet angesehen werden darf. Der wesentliche Punkt, auf den es bei diesem Thema ankommt, ist der Tatbestand der Notwehr. Dieser erlaubt den Einsatz von Ge- walt, um Gefahr von Leben oder Eigentum abzuwenden, auch zu Gunsten dritter Par- teien. Hierbei gibt es allerdings immer noch häufig genannte Kritikpunkte, die den Ein- satz von bewaffneten Sicherheitskräften erschweren. Ein Beispiel ist der Umgang mit Irrtümern des Sicherheitsorgans. Was passiert, wenn ein Mitglied einer privaten Sicher- heitsfirma irrtümlich annimmt, ein Angriff finde statt, und daraufhin das Feuer eröffnet. Laut deutschem Recht ist der Täter nur strafbar, wenn er persönlich die Schuld am Irr- tum trägt, nicht aber dann, wenn seine Kollegen auch daran beteiligt waren.54 5.3. Sonstige Maßnahmen Unternehmungen, die Piraterie in der Region zu stoppen, gab es auch vom Staat Somalia selbst. Die Übergangsregierung, die Somalia bis 2012 regierte, hatte keine Marine und verfügte damit nicht über Seestreitkräfte, sämtliches Personal der Armee bestand aus Landstreitkräften. 2009 wurde in Somaliland, dem de facto unabhängigen Teilstaat im Norden Somalias, eine Marine gebildet. Diese erhielt massive Unterstützung durch das Vereinigte Königreich, welche sich in bewaffneten Schnellbooten, gepanzerten 53 Vgl. Carstens, Peter, FAZ vom 25.08.2011, https://www.faz.net/1.1125198, 01.01.2021 54 Vgl. König, Doris / Salomon, Tim René: Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten – Feuer mit Feuer bekämpfen? In: RW Rechtswissenschaft Nr. 3/2011, S. 325f. 25
Transportwagen und extensivem Training für die Soldaten zeigte. Mit dieser Hilfe konnte die Marine von Somaliland mehrere Hundert Piraten festsetzen und vor Gericht stel- len.55 Auch gab es vereinzelt Vorfälle, bei denen die Übergangsregierung von Somalia anderen Staaten die offizielle Erlaubnis gewährte, Militäroperationen in somalischen Hoheitsge- wässern vorzunehmen. Ein Beispiel hierfür ist die in dieser Arbeit bereits erwähnte Ent- führung des Luxuskreuzfahrtschiffes Le Ponant (Seite 10f.). Als Reaktion auf die Ereignisse am 11. September 2001 starteten die Vereinigten Staaten die sogenannte Operation Enduring Freedom, um den Terrorismus zu bekämpfen. Eine Teilmission dieser Operation ist die Combined Task Force 150 (CTF 150), die laut eigenen Angaben kriminelle und terroristische Vereinigungen sowie deren Pläne stört. CTF 150 überwacht eine Fläche von über zwei Millionen Quadratmeilen sowie wichtige Haupt- schiffsrouten wie den Suezkanal. Das Kommando über die Mission wechselt alle 4 Mo- nate, seit dem 5. August 2020 stellt das Königreich Saudi-Arabien zum zweiten Mal den Befehlshaber.56 Die Combined Task Force 150 war ursprünglich nicht ausschließlich für den Einsatz ge- gen Piraten vorgesehen, durch das häufige Auftreten von Piratenübergriffen in ihrem Einsatzgebiet wurde das Verhindern dieser allerdings schnell zu ihrer Hauptaufgabe. Um es der CTF 150 wieder möglich zu machen, sich ihrer Hauptaufgabe, kriminelle und ter- roristische Vereinigungen zu beobachten und behindern, zu widmen, trat am 8. Januar 2009 die Combined Task Force 151 (CTF 151) ihren Dienst an. Diese durchkreuzt die Ge- wässer am Horn von Afrika mit der spezifischen Aufgabe, Piraten davon abzuhalten, Schiffe zu attackieren. Die Combined Task Force 151 arbeitet außerdem mit anderen Missionen wie der europäischen Operation Atalanta eng zusammen. Wie bei der CTF 150 wechselt der Befehlshaber der Mission öfters, alle drei bis sechs Monate wird er ausgetauscht. Seit dem 9. Dezember 2020 stammt der Kommandant zum 9. Mal aus Pakistan.57 55 Vgl. Hussein, Abdi, SomaliaReport vom 13.08.2011, https://somaliareport.com/in- dex.php/post/1299/Somalilands_Military_Is_A_Shadow_of_the_Past_, 03.01.2021 56 Vgl. Combined Maritime Forces von 2020, https://combinedmaritimeforces.com/ctf-150-mari- time-security/, 03.01.2021 57 Vgl. Combined Maritime Forces von 2020, https://combinedmaritimeforces.com/ctf-151-coun- ter-piracy/, 03.01.2021 26
Auch die NATO (North Atlantic Treaty Organization) führte Missionen zur Abwehr von Piraten am Horn von Afrika durch. Um die Zeit bis zum Start der EU-Mission Operation Atalanta abzudecken, war von Oktober bis Dezember 2008 Operation Allied Provider aktiv. Ihr Hauptauftrag war der Schutz von Frachtschiffen des WPF (World Food Pro- gramme), die die ärmsten Gebiete Somalias mit Lebensmitteln versorgten. Operation Allied Provider eskortierte acht Schiffe, was in der sicheren Lieferung von 30.000 Tonnen an Lebensmitteln resultierte. Beteiligt an der Mission waren Helikopter, ein Zerstörer und drei Fregatten sowie mehr als 1000 Mannschaftsmitglieder.58 Zwischen März und August des Jahres 2009 führte die NATO dann die Nachfolgermission von Operation Allied Provider, Operation Allied Protector. Diese war im Gegensatz zu ihrem Vorgänger nicht mehr primär zum Schutz von Schiffen des WPF gestartet worden, sondern generell zur Bekämpfung von Seeräubern am Horn von Afrika. Operation Allied Protector wurde aufeinanderfolgend von zwei Einheiten der NATO durchgeführt, Standing NATO Maritime Group 1 und 2. Von März bis Juni 2009 hatte die SNMG 1 unter dem portugiesischen Konteradmiral Jose Pereira da Cunha das Kommando über die Mis- sion, am 29. Juni übernahm die SNGM 2 und der britische Commodore Steve Chick.59 Zu einem ersten Einsatz kam es am 28. März, als eine Fregatte der SNMG 1 eine Piratenat- tacke auf eine maledivische Yacht erfolgreich abwehren konnte.60 Im August 2009 startete die dritte NATO-Mission und der Nachfolger der Operation Al- lied Protector, Operation Ocean Shield. Wie ihre bei- den Vorgänger ist das Hauptziel der Mission, Schiffe in ihrem Einsatzge- biet (siehe Abb. 3) vor Pira- tenüberfällen zu beschüt- zen, allerdings versucht Abb. 3: Einsatzgebiet von Operation Ocean Shield Operation Ocean Shield 58 Vgl. ReliefWeb vom 12.12.2008, https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-successful-com- pletion-nato-mission-operation-allied-provider, 04.01.2021 59 Vgl. North Atlantic Treaty Organization, https://shape.nato.int/page13974522.aspx, 04.01.2021 60 Vgl. Staff Public Affairs Officer, Pressebericht vom 29.03.2009, https://web.ar- chive.org/web/20131228172516/http://www.manw.nato.int/pdf/oap/snmg1_2009_04.pdf, 04.01.2021 27
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