Glukokortikoide in der Neurointensivmedizin - welche Indikationen sind gesichert ? - Krause und ...
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Glukokortikoide in der Homepage: Neurointensivmedizin - welche www.kup.at/ Indikationen sind gesichert ? JNeurolNeurochirPsychiatr Briegel J, Möhnle P, Uhl E Online-Datenbank mit Autoren- Journal für Neurologie und Stichwortsuche Neurochirurgie und Psychiatrie 2008; 9 (2), 7-12 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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Glukokortikoide in der Neurointensivmedizin Glukokortikoide in der Neurointensivmedizin – welche Indikationen sind gesichert? P. Möhnle1, E. Uhl2, 3, J. Briegel1 Kurzfassung: Der Einsatz von Glukokortikoiden ist lang unzureichend untersucht. Die adjuvante Gabe under the terms of evidence-based medicine, the im klinischen Alltag in der Intensivmedizin weit ver- von Glukokortikoiden bei raumfordernden intrazere- treatment of bacterial meningitis is the only proven breitet, so auch bei der Behandlung von Patienten bralen Abszessen wird zwar aufgrund der antiöde- indication for the use of glucocorticoids in neuroin- mit neurologischen bzw. neurochirurgischen Krank- matösen Wirkung empfohlen, jedoch fehlen auch tensive care. Concerning the therapy of brain tumors heitsbildern. Glukokortikoide wirken sowohl über hier klinische Studien. Nach der derzeitigen Studien- with glucocorticoids, there are 40 years of positive genomische als auch nicht-genomische Mechanis- lage sollte in jedem Fall bei Schädel-Hirn-Trauma clinical experience and positive results from radio- men antiinflammatorisch und immunsuppressiv, eine aufgrund gravierender Nebenwirkungen auf eine logic studies, nevertheless, there has been a lack of daraus resultierende neuroprotektive Wirkung wird hochdosierte Gabe von Glukokortikoiden verzichtet corresponding controlled trials up to now. The wide- bei verschiedenen Krankheitsbildern postuliert. Im werden. Beachtenswert ist, dass eine Reihe von spread use of high-dose methylprednisolone for spi- Sinne der evidenzbasierten Medizin ist der Einsatz Hochdosis-Glukokortikoid-Studien in der Neurointen- nal trauma is based solely on the results of subgroup von Glukokortikoiden in der Neurointensivmedizin sivmedizin vorzeitig abgebrochen wurden aufgrund analyses, prospective controlled trials are lacking. In streng genommen allerdings nur bei bakterieller Me- des gehäuften Auftretens von Komplikationen wie the neurovascular emergencies stroke and subarach- ningitis gerechtfertigt. Für die Gabe von Glukokor- z. B. schwerer sekundärer Infektionen oder Diabetes noid hemorrhage beneficial effects of glucocortico- tikoiden bei Hirntumoren sprechen jedoch 40 Jahre mellitus unter hochdosierter Glukokortikoidgabe. ids seem possible based on experimental data. Still, klinische Erfahrung und die Ergebnisse bildgebender there is insufficient data to support a general use. In Untersuchungen, kontrollierte klinische Studien für brain abscess, the use of glucocorticoids is recom- diese Indikation fehlen allerdings bis heute. Das Abstract: Glucocorticoids in Neurointensive mended to reduce perifocal edema, however, no con- vielerorts durchgeführte Protokoll zur Hochdosis- Care – Critical Appraisal of the Current Evi- trolled trials have been performed. According to the Methylprednisolon-Therapie beim spinalen Trauma dence. The use of glucocorticoids in intensive care available study results, glucocorticoids should be ist lediglich durch retrospektive Subgruppenanaly- medicine is common, especially in neurological and/ avoided in traumatic brain injury in any case. Impor- sen abgesichert, nicht jedoch durch prospektive, or neurosurgical patients. The effects of immunosup- tantly, in neurointensive care there is a remarkably kontrollierte Studien. Bei neurovaskulären Notfällen pressive and antiinflammatoric effects of glucocorti- high rate of preliminarily terminated research trials wie Schlaganfall und Subarachnoidalblutung ist ein coids are based on both genomic and non-genomic due to the complications of high-dose glucocorticoid Benefit durch Glukokortikoide gerade aufgrund mechanisms. A neuroprotective effect has been dis- therapy, mainly infectious morbidity and diabetes. neuerer experimenteller Studien denkbar, aber bis- cussed for a variety of disease patterns. However, J Neurol Neurochir Psychiatr 2008; 9 (2): 7–12. Einleitung das Steering Committee der CRASH- (Corticosteroid Rando- misation After Significant Head Injury-) Studie nach Rekru- In der Intensivtherapie werden Glukokortikoide bei vielfälti- tierung von 10.008 erwachsenen Patienten mit SHT die Stu- gen Indikationen zur Neuroprotektion eingesetzt. Dabei kom- die. Eine Analyse des „Safety Boards“ hatte ergeben, dass men unterschiedliche Präparate und Dosierungen zur Anwen- hochdosierte Steroide bei Patienten mit SHT und einem dung. Nur für einen Teil dieser Indikationen existiert ausrei- Punktewert von 14 oder weniger auf der Glasgow Coma Scale chendes Datenmaterial in Form von experimentellen und kli- (GCS) nicht nur wirkungslos waren, sondern vielmehr die nischen Studien. Nicht selten basieren Therapieentscheidun- Sterberate signifikant erhöhten. Im Vergleich zur Kontroll- gen bezüglich Glukokortikoiden auf klinischer Empirie oder gruppe war das Risiko, innerhalb von zwei Wochen zu ver- auf Hypothesen. Zudem bestehen für bestimmte Indikationen sterben, in der Steroidgruppe höher (1052 [21,1 %] vs. 893 in der Neurointensivmedizin seit Jahrzehnten Kontroversen [17,9 %] Todesfälle; relatives Risiko 1,18 [95 %-CI 1,09– über Sinn oder Unsinn einer Steroidtherapie. 1,27]; p = 0,0001). Dabei war die Zunahme der Sterbe- rate unabhängig von der Schwere der Verletzung (p = 0,22) Jüngstes Beispiel hierfür ist die Hochdosis-Glukokortikoid- oder dem Zeitintervall zwischen Verletzung und Behandlung therapie beim Schädel-Hirn-Trauma (SHT). Nachdem in den (p = 0,05) [2]. 1990er Jahren zunehmend auf Steroide bei SHT verzichtet wurde, kam im Jahre 1997 eine Metaanalyse zu dem Schluss, Die Ergebnisse der CRASH-Studie machen deutlich, dass der dass aus den bis dato publizierten Studien durch Glukokor- Einsatz von Glukokortikoiden in der Notfall- und Intensiv- tikoide eine Reduktion der absoluten Sterblichkeit um 1–2 % medizin neben einem potentiellen Nutzen auch eine Gefähr- möglich erscheint. Die Autoren empfahlen daher eine multi- dung für den Patienten bedeuten kann – er ist ein zweischnei- zentrische Studie mit hoher Patientenzahl und einfachem De- diges Schwert. Sicherlich sind die Überlegungen richtig, dass sign durchzuführen [1]. Man berechnete, dass bei Rekrutie- jede Schädigung im zentralen Nervensystem (ZNS), sei sie rung von 20.000 Patienten mit SHT ein Nutzen von Glukokor- nun traumatischer, ischämischer oder infektiöser Genese, zu tikoiden nachgewiesen werden könne. Im Mai 2004 stoppte einer lokalen inflammatorischen Antwort führt. Richtig ist auch, dass diese Neuroinflammation mit anderen Mechanis- men der akuten Neurodegeneration eng verbunden ist, wie mit Aus der 1Klinik für Anästhesiologie, der 2Neurochirurgischen Klinik, Klinikum der toxischen Phänomenen, oxidativem Stress und Apoptose. Universität München und der 3Neurochirurgischen Abteilung, LKH Klagenfurt Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Josef Briegel, Klinik für Anästhesiologie, Glukokortikoide sollten aufgrund ihrer antiinflammatori- Klinikum der Universität München, D-81366 München, Marchioninistraße 15; schen Wirkungen prinzipiell geeignet sein, in diese Neuro- E-mail: josef.briegel@med.uni-muenchen.de inflammation attenuierend bzw. modulierend einzugreifen. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (2) 7 For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Glukokortikoide in der Neurointensivmedizin Außerdem besitzen Glukokortikoide in höheren Dosen einen Tabelle 1: Relative genomische und nicht-genomische Potenzen rasch stabilisierenden Effekt auf Zellmembranen und verhin- für verschiedene Glukokortikoide im Verhältnis zu Prednisolon dern einen sekundären Gewebeschaden durch Membranlipid- (nach [6]) peroxidation. Genomischer Nicht-genomischer Effekt Effekt In dieser Übersicht soll anhand physiologischer Grundlagen Prednisolon 1 1 sowie experimenteller und klinischer Studienergebnisse dar- Methylprednisolon 1,25 2,5 gestellt werden, bei welchen Indikationen in der Neurointen- Dexamethason 6,25 2,9 sivmedzin der Einsatz von Glukokortikoiden gegenwärtig Betamethason 6,25 0,56 sinnvoll erscheint und durch entsprechende Studien abgesi- chert ist. ge ist eine sofortige und anhaltende Aktivierung von immun- kompetenten Zellen, die durch später einsetzende genomische Effekte unterstützt werden. Zudem wird ein sekundärer Ge- Genomische und nicht-genomische webeschaden durch Membranlipidperoxidation abgemildert Effekte von Glukokortikoiden [4, 5]. Obwohl Glukokortikoide seit mehr als 50 Jahren im klini- Synthetische Glukokortikoide unterscheiden sich erheblich schen Einsatz sind, wurden erst in den letzten zehn Jahren hinsichtlich ihrer genomischen und nicht-genomischen Effek- wichtige Mechanismen zu deren Wirkungsweise aufgedeckt. te. Relative Potenzen nicht-genomischer Effekte bezogen auf Glukokortikoide besitzen genomische und nicht-genomische Prednisolon wurden vor einigen Jahren hinsichtlich ihrer Wir- Effekte. Genomische Effekte sind für die klassischen Hor- kung auf immunkompetente Zellen ermittelt [6]. Vor allem monwirkungen des Kortisols verantwortlich. Kortisol wie Dexamethason und Methylprednisolon zeichnen sich durch auch seine synthetischen Abkömmlinge (Prednison, Predni- relativ ausgeprägte nicht-genomische Effekte aus (Tab. 1). solon, Methylprednisolon, Dexamethason u. a. m.) kontrollie- Diese Präparate werden häufig in der Neurointensivmedizin ren Genorte, die Peptide und Proteine der unspezifischen Im- eingesetzt. munität („innate immunity“) kodieren. Die lipophilen Gluko- kortikoide passieren die Zellwand und binden nach Abspal- Eine Reihe von Indikationen zur Gabe von Glukokortikoiden tung von Hitzeschock-Protein an zytosolische Glukokorti- in der Neurointensivmedizin zielt primär auf nicht-genomi- koid-Rezeptoren. Danach transloziert der aktivierte Gluko- sche Effekte ab und nur in geringerem Maße auf genomische kortikoid-Rezeptorkomplex in den Nukleus, bindet an be- Wirkungen. Präzise Dosis-Wirkungsbeziehungen einzelner stimmte Promotorgene und kann dort entweder die Transkrip- Glukokortikoide sind nicht vollkommen geklärt. Jedoch sind tionsrate von mRNA erhöhen („glucocorticoid-responsive genomische Effekte schon mit relativ niedrigen Dosen elements“) oder abbremsen („negative glucocorticoid-respon- (< 60 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag) zu erreichen, wäh- sive elements“). So wird die De-Novo-Synthese bestimmter rend nicht-genomische Effekte erst mit höheren Dosen antiinflammatorischer Peptide (z. B. Interleukin-10 [IL-10]) (> 250 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag) zu erzielen sind. und Proteine (z. B. Lipocortin) erhöht oder die De-Novo- Zu berücksichtigen ist insbesondere beim kritisch Kranken, Synthese von proximalen, proinflammtorischen Zytokinen dass jede hochdosierte Glukokortikoidgabe zu einer Down- (Tumornekrosefaktor [TNF], Interleukin-1 [IL-1], Interleu- Regulation von zytosolischen Glukokortikoid-Rezeptoren kin-6 [IL-6]) abgebremst. Durch direkte Interaktion von Glu- führt. Deshalb sind nach abruptem Absetzen von hochdosier- kokortikoid-Rezeptorkomplex mit Transkriptionsfaktoren ten Glukokortikoiden aufgrund eines relativen Mangels an wird dieser Effekt noch verstärkt. Die antiinflammatorischen endogenem Kortisol sekundäre System-inflammatorische Wirkungen von Glukokortikoiden sind vorwiegend auf geno- Syndrome möglich. Auch eine länger anhaltende, unspezifi- mische Effekte zurückzuführen. Sie treten nach frühestens sche Immunsuppression mit Komplikationen wie schweren 30 Minuten, meist aber erst nach 6 bis 8 Stunden ein, und sind sekundären Infektionen im Therapieverlauf sind in der Litera- bereits im hoch-physiologischen Konzentrationsbereich von tur immer wieder nach hochdosierter Glukokortikoidtherapie Kortisol zu beobachten [3, 4]. berichtet worden. Glukokortikoide können aber auch innerhalb von Sekunden Die unspezifische Immunität des ZNS bis Minuten über nicht-genomische Mechanismen wirken. Diese beruhen auf direkten Wechselwirkungen des Steroids Lange Zeit nahm man an, dass das Gehirn nicht in der Lage mit der Zellmembran und sind erst zu beobachten, wenn alle ist, eine Immunantwort zu entwickeln. Jedoch zeigt das Ge- zytosolischen Glukokortikoid-Rezeptoren besetzt sind, also hirn ein wohl organisiertes, unspezifisches Immunsystem, das in einem hohen pharmakologischen Dosisbereich (> 250 mg sowohl auf lokale als auch auf systemische Reize mit Inflam- Prednisolon). Durch Bindung an Membran-ständige Rezepto- mation reagiert. Dieses in der Evolution bereits zu einem frü- ren und in höheren Dosen durch Einbau des Steroids in die hen Zeitpunkt angelegte unspezifische Immunsystem zeigt Zellmembran ändert sich die physikochemische Eigenschaft eine relativ uniforme Antwort auf bakterielle Infektionen, der Zellmembran im Sinne einer Stabilisierung mit geringerer Ischämien oder traumatische Läsionen. In den zirkumventri- Permeabilität für Natrium und Kalzium. Dies führt zu einem kulären Bereichen, im Plexus choroideus und in den Lepto- Abfall von freiem Kalzium im Zytosol und zu einer Abnahme meningen sind konstitutiv CD14 and Toll-like-Rezeptor 4 des ATP-Verbrauches, wohingegen an den Membranen der (TLR4) exprimiert. Wird beispielsweise in diesen Bereichen Mitochondrien die Protonenpermeabilität zunimmt. Die Fol- mit Endotoxin stimuliert, lässt sich experimentell eine rasche 8 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (2)
Glukokortikoide in der Neurointensivmedizin Transkription von Genen nachweisen, die proinflammatori- eine adrenokortikale Dysfunktion aufweisen. So wurde jüngst sche Peptide kodieren. für Patienten mit SHT eine adrenokortikale Dysfunktion mit relativem Kortisolmangel beschrieben und eine Substitutions- Mikroglia-Zellen stellen einen Teil des residenten Immun- therapie mit Hydrokortison diskutiert [12]. systems des Gehirns dar und sind zur Phagozytose fähig [7]. Sie werden im Rahmen von Trauma, Ischämie, Infektion und Klinisch von Bedeutung ist die bereits diskutierte „Down- neurodegenerativen Erkrankungen aktiviert und können zu Regulation“ zellulärer Glukokortikoid-Rezeptoren. Diese progressivem neuronalem Schaden führen. Jedoch zeigen kann durch eine schwere systemische Inflammation oder, wie neue Befunde, dass diese Zellen und deren sezernierte Zyto- oben beschrieben, durch exogene Glukokortikoide induziert kine auch protektive Wirkungen auf neuronale Strukturen werden. Sowohl die Anzahl als auch die Affinität der zyto- ausüben können, vorausgesetzt deren Aktivierung ist zeitlich plasmatischen Glukokortikoid-Rezeptoren nimmt ab. Ursache kontrolliert und limitiert [8]. Jeder Schritt in der Kaskade der ist eine hohe lokale Konzentration proinflammatorischer inflammatorischen Antwort wird durch genomische Effekte Zytokine, die über Bildung von Transkriptionsfaktoren wie der Glukokortikoide kontrolliert. Glukokortikoide können „activator protein 1“ und „nuclear factor kappa β“ zu einer abhängig von der Konzentration in der immunkompetenten Komplexbildung mit aktivierten Glukokortikoid-Rezeptor- Zelle sowohl die Expression inflammatorischer Peptide, Che- komplexen führt. Hierdurch können die genomischen Effekte mokine und Proteine hemmen oder zulassen (permissive endogener Glukokortikoide, wie die des Kortisols, nicht mehr Effekte) [9]. Neuere Untersuchungen belegen, dass hohe Kon- oder nur unzureichend vermittelt werden [13]. zentrationen von Glukokortikoiden oder aber der absolute Mangel an Glukokortikoiden neurodegenerativ wirken, wäh- Glukokortikoide bei Schädel-Hirn-Trauma rend physiologische Konzentrationen ausgesprochen neuro- protektive Effekte aufweisen [9]. Dieses „fine tuning“ erfolgt Mit dem Abbruch der CRASH-Studie aufgrund einer erhöh- über die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Neben- ten Sterblichkeit in der Steroidgruppe ist die Gabe von hoch nierenrinden-Achse (HHNA) durch TNF, IL-1 und IL-6. All dosiertem Methylprednisolon obsolet [2]. Dies geht konform diese Befunde legen die Hypothese nahe, dass Kortisol die mit den Empfehlungen der Brain Trauma Foundation von immunologische Antwort des Organismus auf inflammatori- 2000 [14] sowie mit der aktualisierten Version der Empfeh- sche Stimuli regulieren und modulieren kann. Voraussetzung lungen von 2007, denen eine erneute Analyse der bislang für diesen protektiven Effekt des Kortisols ist jedoch eine ad- zu diesem Thema existierenden Untersuchungen zugrunde äquate adrenokortikale Adaptation an die Stresssituation, das gelegt wurde [15]. Ältere tierexperimentelle Untersuchungen heißt eine ungestörte Funktion der HHNA. belegen zwar, dass hochdosierte Steroide die Entwicklung eines Hirnödems nach SHT, die Bildung freier Sauerstoff- radikale und die Lipidperoxidation abmildern. Offensichtlich Relativer Kortisolmangel bei kritisch werden diese Effekte mit gravierenden Nebenwirkungen er- kranken Patienten/Intensivpatienten kauft, die zu einer erhöhten Sterblichkeit in der Steroidgruppe führen [2]. Möglicherweise erhöht eine Steroid-induzierte Der Anstieg von Kortisol bei kritisch kranken Patienten bzw. Hyperglykämie das Ausmaß neuronaler Läsionen nach SHT Intensivpatienten ist ein wichtiger protektiver Regulations- und löscht damit den potentiellen Nutzen aus. Ein anderer mechanismus des Organismus. Viele Akuterkrankungen oder Aspekt ist, dass kurzfristige Steroidgaben länger bestehende Therapiemaßnahmen führen zu einem relativen Kortisolman- Störungen im Bereich der Hypophysen-Nebennierenrinden- gel [10]. Ein inzwischen viel diskutiertes Beispiel hierfür ist Achse (HNNA) nicht beheben können. Wie Dimopoulou et al. der septische Schock [11]. Auch in der Neurointensivmedizin zeigen konnten, blieben bei einer Subgruppe von Patienten werden zunehmend Gruppen von Patienten beschrieben, die mit SHT anhaltend Störungen der HNNA bestehen. Dies ging mit Vasopressorpflichtigkeit und erhöhten Konzentrationen von IL-6 einher [12]. Der resultierende relative Kortisol- mangel kann das Ausmaß der Neuroinflammation verstärken. Diese Daten geben Hinweise darauf, dass eine bestimmte Subgruppe von Patienten mit SHT von einer Kortisol-Sub- stitutionstherapie mit Hydrokortison profitieren könnte [12]. Glukokortikoide beim spinalen Trauma Sechs randomisierte Studien wurden zum Einsatz von hoch- dosierten Glukokortikoiden beim spinalen Trauma durchge- führt. Eine der ersten Studien (NASCIS I) wurde vorzeitig aus Sicherheitsgründen gestoppt [16]. Die Ergebnisse der folgen- den NASCIS II- und NASCIS III-Studien werden heute her- angezogen, um die Gabe von hochdosierten Glukokortikoiden beim spinalen Trauma zu rechtfertigen [17, 18]. Dabei konnte lediglich in retrospektiven Subgruppenanalysen ein potentiel- Abbildung 1: Genomische und nicht-genomische Glukokortikoidwirkungen in Ab- ler Benefit für Glukokortikoide gefunden werden. So schei- hängigkeit von der Konzentration nen nur Patienten mit spinalem Trauma zu profitieren, die in J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (2) 9
Glukokortikoide in der Neurointensivmedizin einem Zeitfenster von drei bis acht Stunden nach spinalem kleinen Studien mit unklarer Patientenallokation und potenti- Trauma behandelt werden [19]. Follow-up-Studien dieser ellem Publikationsbias basieren. Aufgrund fehlender Unter- Subgruppen bestätigen einen konsistenten Behandlungseffekt suchungen kann keine Empfehlung für den Einsatz von Dexa- mit besserem neurologischem Status [20]. Diese Untersu- methason bei HIV-positiven Patienten mit tuberkulöser Me- chungen werden heute vielerorts herangezogen, um ein Hoch- ningitis gegeben werden [30]. dosis-Methylprednisolon-Protokoll zur Behandlung von Pati- enten mit spinalem Trauma umzusetzen, obwohl in keiner Von der Gabe von Glukokortikoiden bei zerebraler Malaria NASCIS-Studie der primäre Endpunkt erreicht wurde und wird abgeraten, es existiert hierzu eine randomisierte Doppel- kontrollierte Studien anderer Gruppen die NASCIS-Ergebnis- blindstudie zur Gabe von Dexamethason bei 100 komatösen se nicht bestätigen konnten [21]. In einer aktuellen retrospek- Patienten. Ein Unterschied in der Mortalität zwischen der tiven Analyse an einer relativ geringen Patientenzahl (n = 82) Gruppe der mit Dexamethason sowie der mit Placebo behan- ergaben sich gemäß MRT-Befunden eine etwas geringere An- delten Patienten zeigte sich nicht, jedoch wiesen die über- zahl sowie eine geringere Ausdehnung intramedullärer Häma- lebenden Patienten in der Dexamethasongruppe eine signifi- tome nach Methylprednisolon-Therapie im Vergleich zu Pati- kant längere Komadauer sowie eine signifikant höhere Rate an enten ohne Methylprednisolon-Gabe, jedoch war dieser Un- Pneumonien und gastrointestinalen Blutungen auf [31]. terschied statistisch nicht signifikant, ebenso unterschied sich das Ausmaß des Rückenmarködems nicht [22]. Zur adjuvanten Gabe von Glukokortikoiden bei intrazerebra- lem Abszess existiert wenig Evidenz in der Literatur, klini- Glukokortikoide bei Infektionen des ZNS sche Studien fehlen. In tierexperimentellen Modellen zum intrazerebralen Abszess wurde gezeigt, dass die Gabe von In einem Tiermodell einer Pneumokokken-induzierten Me- Glukokortikoiden die Ausbildung der Abszessmembran, ver- ningitis reduzierten hochdosierte Glukokortikoidgaben in mutlich durch verzögerte Kollagenanlagerung aufgrund redu- Kombination mit Ampicillin das inflammatorisch bedingte zierter fibroblastischer Aktivität, beeinträchtigt bzw. verzö- Hirnödem vollständig. Im Vergleich zu Methylprednisolon gert [32–34]. Beschrieben wurde auch eine Reduktion der verhinderte Dexamethason zusätzlich einen Anstieg des Hirn- Antibiotikakonzentration im Abszessgewebe bei adjuvanter druckes und der Laktatkonzentration im Liquor cerebrospina- Gabe von Glukokortikoiden in unterschiedlicher Ausprägung lis [23]. In zwei großen klinischen Studien behandelten Lebel und in Abhängigkeit vom verwendeten Antibiotikum [35]. et al. 200 Kinder mit bakterieller Meningitis entweder mit Es wird spekuliert, dass durch die Glukokortikoid-induzierte Cefuroxim oder Ceftriaxon und konnten nachweisen, dass die Suppression der Immunabwehr die Penetration von anti- zusätzliche Gabe von Dexamethason (0,15 mg pro kg Körper- mikrobiellen Substanzen in Hirnabszessgewebe reduziert gewicht [KG] alle 6 Stunden für 4 Tage) einen Hörschaden wird [34]. In der Praxis steht jedoch die antiödematöse Wir- abmindert bzw. verhindert [24]. In einer weiteren Studie aus kung der Glukokortikoide bei raumfordernden intrazerebralen Costa Rica, in der Dexamethason in gleicher Dosierung vor Abszessen im Vordergrund. So wird die adjuvante Gabe von der ersten Gabe von Cefotaxim appliziert wurde, konnte die- Glukokortikoiden in der Therapie von Hirnabszessen zur ses Ergebnis eindrucksvoll reproduziert werden [25]. Eine Behandlung eines ausgeprägten perifokalen Ödems, bei mul- Metaanalyse von 11 randomisierten Studien bestätigte diese tiplen Abszessen mit deutlichem perifokalem Ödem, welche Ergebnisse und empfahl die Therapie mit Dexamethason bei nur teilweise operativ zu sanieren sind, sowie bei Abszessen Meningitis durch Pneumokokken und H. influenza Typ B, in Hirnregionen mit besonderer Schwellungsneigung empfoh- wobei eine Therapiedauer von zwei Tagen als ausreichend er- len [36, 37]. achtet wurde [26]. Auch in einer randomisierten Studie bei 301 Erwachsenen konnte Dexamethason (10 mg alle 6 Stun- Glukokortikoide bei Hirntumoren den für 4 Tage), appliziert vor der ersten Gabe des Antibioti- kums, sowohl neurologische Defizite (p = 0,03) als auch die Hirntumore sind von einem Ödem umgeben, das auf Störun- Sterblichkeit (p = 0,04) reduzieren [27]. Eine Metaanalyse, gen der Blut-Hirn-Schranke im peritumorösen Gebiet zurück- die fünf kontrollierte Studien mit 623 Patienten einschloss, zuführen ist. Glukokortikoide vermögen über eine Abnahme bestätigte diese Ergebnisse und empfiehlt Dexamethason als der Permeabilität den extrazellulären Flüssigkeitsanteil zu adjunktive Therapie bei bakterieller Meningitis [28]. In einer reduzieren. Dieser Effekt wurde in zahlreichen Studien mit- kürzlich veröffentlichten Metaanalyse der Cochrane Library tels Bildgebung bestätigt, wie jüngst in einer Untersuchung mit einer Gesamtzahl von 2750 Patienten konnte der positive gezeigt wurde, die die Methode der „Diffusion tensor magne- Effekt der adjuvanten Behandlung mit Kortikosteroiden bei tic resonance imaging“ (DT-MRI) einsetzte, um die Wasser- bakterieller Meningitis erneut bestätigt werden, es zeigte sich Diffusions-Parameter in peritumorösen und normalen Hirn- auch hier eine Reduktion der Mortalität sowie der Inzidenz anteilen zu messen und zu vergleichen. 48 bis 72 Stunden von Hörverlust und schwerwiegender neurologischer Folge- nach Behandlung mit Dexamethason (16 mg pro Tag) war in schäden [29]. den drei Gruppen von Patienten mit hochgradigen Gliomen, Meningeomen bzw. Metastasen eine konsistente und signifi- Weniger eindeutig ist die Datenlage bei tuberkulöser Menin- kante Abnahme des extrazellulären Wassergehaltes im peri- gitis. In einer Metaanalyse, die sechs Studien mit 595 Patien- tumorösen Gebiet festzustellen. Dies traf sowohl auf intra- als ten einschloss, konnte zwar eine Reduktion neurologischer auch auf extraaxiale Tumore zu [38]. Defizite und der Sterblichkeit infolge einer tuberkulösen Meningitis nachgewiesen werden. Die Autoren weisen jedoch Bereits in den 1950er Jahren wurden die eindrucksvollen kli- ausdrücklich darauf hin, dass diese Schlussfolgerungen auf nischen Effekte von Glukokortikoiden auf Hirntumore be- 10 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (2)
Glukokortikoide in der Neurointensivmedizin schrieben [39]. Die klinische Wirkung war so überzeugend Bereits in den 1980er Jahren legten experimentelle Untersu- und wurde so häufig bestätigt, dass niemals der Versuch unter- chungen nahe, dass bei Subarachnoidalblutung (SAB) durch nommen wurde, die Wirkung von Glukokortikoiden in einer Hochdosis-Methylprednisolon die Entwicklung des zerebra- kontrollierten Studie zu überprüfen. Insofern fehlt für diese len Vasospasmus verhindert und der zerebrale Blutfluss wieder- Indikation der Nachweis im Sinne der evidenzbasierten Medi- hergestellt werden kann [46]. Eine neuere Untersuchung zeigt, zin. Aufgrund des ausgeprägten membranstabilisierenden dass Methylprednisolon eine Aktivitätssteigerung der Protein- Effektes (nicht-genomische Wirkung) und der langen Wirk- kinase C verhindert [47]. Dieser nicht-genomische Effekt wird dauer bei fehlender mineralokortikoider Wirkung hat sich über membranständige Glukokortikoid-Rezeptoren vermittelt. Dexamethason für diese Indikation durchgesetzt. Wirkungen Die klinische Wertigkeit dieser Befunde bleibt bislang unge- der Glukokortikoide bei der Therapie von Hirntumoren auch klärt. Lediglich eine Pilotstudie von 1987 berichtet über eine auf den Blutfluss im gesunden, kontralateralen Gewebe wur- Reduktion sekundärer zerebraler Ischämien und über eine redu- den kürzlich beschrieben [40]. zierte Sterblichkeit durch Hochdosis-Methylprednisolon [48]. Weitere klinische Studien wurden hierzu nicht publiziert. Glukokortikoide bei Schlaganfall Unklar bleibt auch, inwieweit Störungen der Hypothalamus- Neuere tierexperimentelle Befunde belegen, dass das Ausmaß Hypophysen-Nebennierenachse nach SAB therapiebedürftig eines zerebralen Infarktes durch Hochdosis-Methylpredni- sind. Möglicherweise entwickelt jeder dritte Patient nach solon um 20–32 % reduziert werden kann [41, 42]. Slivka einer SAB eine Hypophysenvorderlappeninsuffizienz mit und Murphey schließen aus ihren Arbeiten, dass der neuro- Mangel an ACTH [49]. protektive Effekt von Glukokortikoiden nur bei temporärem Gefäßverschluss zum Tragen kommt, also nur wenn eine Glukokortikoide bei demyelinisierenden Reperfusion durch Thrombolyse oder interventionelle Tech- Erkrankungen niken erzielt werden kann. Glukokortikoide verhindern offen- sichtlich einen Reperfusionsschaden [35]. Limbourg et al. Schwer verlaufende Schübe einer demyelinisierenden Erkran- hingegen fanden, dass Hochdosis-Dexamethason die Infarkt- kung können eine Behandlung auf der Intensivstation erfor- größe auch bei anhaltendem Gefäßverschluss reduzieren derlich machen. In der Behandlung der Multiplen Sklerose hat kann. Neben einer Abnahme des Ödems ist ein Anstieg die Therapie mit Glukokortikoiden bei akuten Schüben einen des regionalen zerebralen Blutflusses (CBF) um 40–50 % etablierten und unbestritten hohen Stellenwert [50, 51]. Auch hierfür ursächlich. Da sich die Infarktgröße umgekehrt bei der akuten demyelinisierenden Enzephalomyelitis (ADEM) proportional zum zerebralen Blutfluss verhält, vermittelte sowie der Hurst-Enzephalitis ist die hochdosierte Gabe von Dexamethason in diesem Modell eine anhaltende Neuro- Glukokortikoiden aufgrund klinischer Erfahrung trotz Man- protektion. Vermittelt wird der erhöhte CBF durch eine gels an randomisierten klinischen Studien Therapiestandard rasche, nicht-genomische Aktivitätssteigerung der endo- [52]. thelialen NO-Synthetase mit konsekutiver Vasodilatation [42]. Zusammenfassung Klinische Studien zu Glukokortikoiden bei Schlaganfall zei- Trotz einer großen Anzahl von experimentellen Studien zur gen widersprüchliche Ergebnisse. Eine Cochrane-Metaana- neuroprotektiven Wirkung der Glukokortikoide fehlen in vie- lyse fand unter 22 klinischen Studien erhebliche methodische len Bereichen prospektive klinische Studien zum Nachweis Mängel. Unterschiedliche Dosierungen von Glukokortikoi- der Wirksamkeit. Der einzige Einsatzbereich, in dem die Indi- den, Variationen in den Zeitintervallen zwischen Schlaganfall kation im Sinne der evidenzbasierten Medizin nachgewiesen und Behandlungsbeginn („time is brain“) und eine mangelnde ist, ist die Therapie der bakteriellen Meningitis. Die Gabe von Vergleichbarkeit des neurologischen Outcomes ließen die Glukokortikoiden bei der Therapie von Hirntumoren basiert Reviewer schlussfolgern, dass Glukokortikoide zur begleiten- jedoch auf langjähriger positiver Erfahrung und kann sicher- den Therapie des Schlaganfalles derzeit nicht empfohlen wer- lich auch trotz des Mangels an Studien nicht in Frage gestellt den können [43]. werden. Der Einsatz von Glukokortikoiden beim Schädel- Hirn-Trauma ist eindeutig nicht indiziert, beim spinalen Trau- ma ist die Indikation aufgrund der Studienlage zweifelhaft; Glukokortikoide bei intrakraniellen Blu- bei neurovaskulären Notfällen ist ein positiver Effekt gemäß tungen Studienlage denkbar, jedoch bislang nicht ausreichend belegt. Vor allem die Hochdosis-Glukokortikoidtherapie ist mit Risi- In einer gut geplanten randomisierten Doppelblindstudie wur- ken wie Hyperglykämie und erhöhter Infektionsneigung asso- de bei 93 Patienten mit supratentoriellen Hirnblutungen der ziiert, dies spiegelt sich in vielen Untersuchungen wider und Effekt von Dexamethason auf die Sterblichkeit nach 21 Tagen sollte auch im klinischen Alltag bedacht werden. untersucht. Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen, weil kein Unterschied in der Sterblichkeit gefunden wurde (Dexa- Relevanz für die Praxis methason vs. Placebo, 21 von 46 vs. 21 von 47; χ2 = 0,01; p = 0,93), wohl aber eine erhöhte Komplikationsrate im Sinne Trotz teilweise eingeschränkter Datenlage ist der Einsatz vermehrter Infektionen und Diabetes mellitus in der Dexa- von Glukokortikoiden in der Neurointensivmedizin weit methasongruppe [44]. Der fehlende Behandlungseffekt wird verbreitet. Die Gabe von Glukokortikoiden hat einen Stel- in einer neueren Studie bestätigt [45]. lenwert bei der Behandlung von Hirntumoren, bakterieller J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2008; 9 (2) 11
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