Wissenschaftliche Erläuterungen zur Stellungnahme Transfusionsassoziierte Immunmodulation (TRIM) des Arbeitskreises Blut vom 13. Februar 2020
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Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Bundesgesundheitsbl 2020 · 63:1025–1053 Wissenschaftliche Erläuterungen zur TRIM-Stellungnahme https://doi.org/10.1007/s00103-020-03183-y © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil Wissenschaftliche Erläuterungen von Springer Nature 2020 zur Stellungnahme Transfusionsassoziierte Immunmodulation (TRIM) des Arbeitskreises Blut vom 13. Februar 2020 Bei der 88. Sitzung des Arbeitskreises Blut am 13. Februar 2020 wurde folgende Ergänzung zu Stellungnahme (S 22) verabschiedet 1. Einführung beispielsweise proinflammatorische Ef- Die Diskussion um mögliche klinisch fekte durch freigesetzte Zytokine von al- relevante, negative Auswirkungen von Erythrozytenkonzentrate (EK) haben ihre logenen Monozyten und T-Zellen und Transfusionen auf das Immunsystem wur- Indikation in der Behandlung akuter und immunsuppressive Effekte durch Zytoki- de auch in der Laienpresse aufgegriffen chronischer Anämien und Blutungen. ne von Neutrophilen nach Kontakt mit (Die rote Gefahr, Stern 12.02.2017; Do- Diese Therapie ist seit Jahrzehnten im kli- allogenen EK-Überständen [5–7]. Auch kumentation „Böses Blut – Transfusions- nischen Alltag etabliert. die Induktion von regulatorischen T-Zel- risiken, Kehrtwende in der Intensivmedi- Die Sicherheit der Anwendung von len mit potentiellem Einfluss auf Tumor- zin“, ARD 24.11.2014; „Wenn das Blut uns EK ist aufgrund von Daten aus Beobach- wachstum und Infektabwehr wurde nach krank macht“, odysso – Wissen im SWR, tungsstudien (z. B. [1, 2]) zum Gegenstand Kontakt mit allogenen EK-Überständen SWR Fernsehen 08.06.2017) und verunsi- der wissenschaftlichen Diskussion gewor- beobachtet [8]. Einige Effekte werden ab- cherte sowohl Patientinnen und Patienten den. Hierbei standen zuletzt nicht das Ri- hängig von der Lagerung und dem Zeit- als auch Ärztinnen und Ärzte. siko der Übertragung von infektiösen Er- punkt der Leukozytendepletion (vor oder In dieser Stellungnahme bewertet der krankungen (z. B. HIV, Hepatitis u. a.), nach Lagerung) verstärkt, andere scheinen Arbeitskreis Blut die vorhandenen Da- sondern klinische Komplikationen wie lagerungsunabhängig zu sein (z. B. Induk- ten zu immunmodulatorischen Effekten das vermehrte Auftreten von Infektionen tion regulatorischer T-Zellen) [7]. Auch von leukozytendepletierten EK hinsicht- bzw. die Begünstigung einer Krebsent- die Adhäsion von transfundierten Ery- lich der Assoziation mit Infektionen und stehung oder das Wiederauftreten einer throzyten an das Gefäßendothel und eine Krebserkrankungen. Aufgrund der Kom- Krebserkrankung im Vordergrund. In dadurch angestoßene Endothelzell-Akti- plexität der Fragestellung und Bewertung Beobachtungsstudien waren diese Kom- vierung mit Auswirkungen auf das Ge- wird eine methodische Erläuterung vor- plikationen mit der Transfusion von EK rinnungssystem werden zum Verständnis angestellt. assoziiert. Als mögliche Ursache wird un- von TRIM-Effekten herangezogen [9, 10]. ter anderem eine durch Bluttransfusionen Weitgehend unklar ist bisher der Einfluss 2. Bewertung der Fragestellung vermittelte Veränderung der Immunreak- einer vorbestehenden krankheitsbeding- – methodischer Prolog tion, eine sog. transfusionsassoziierte Im- ten Immundysregulation bei Personen, munmodulation (transfusion-related im- die EK erhalten, sowie die Relevanz der 2.1 Studientypen munomodulation, TRIM), diskutiert [3, Transfusion von Früh- und Reifgeborenen 4]. Die genauen Mechanismen, wie eine mit Erythrozyten eines Erwachsenen für Randomisierte kontrollierte Studien TRIM eine Infektion oder eine Krebser- die mögliche zusätzliche Beeinflussung (RCT) gelten aus erkenntnistheoretischer krankung begünstigen könnte, sind bis des Immunsystems durch EK-Transfusi- Sicht als Goldstandard der klinischen dato nicht bekannt. Diskutiert werden onen [11]. Forschung. Ihnen wird der höchste Evi- Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020 1025
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen denzgrad bei der Erstellung von Thera- multiplen Testen steigt. Andererseits ist bestimmte Therapie auch Einfluss auf pieempfehlungen zugeschrieben [12]. Die die Power der Studien in der Regel für das Behandlungsergebnis hat. Beispiels- zufällige Zuordnung von Patienten zu ei- die Betrachtung des primären Endpunk- weise erhalten Patienten mit schwereren ner Interventionsgruppe führt dabei mit tes in der gesamten Studienpopulation Krankheitsverläufen und somit schlechte- hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Struk- ausgelegt, so dass die Power für den sta- ren Prognosen zumeist intensivere Thera- turgleichheit der Patientengruppen und tistischen Nachweis von Unterschieden pien als Patienten mit leichten Erkrankun- ermöglicht einen direkten Vergleich von bei sekundären Endpunkten bzw. in Sub- gen. Die intensiven Therapiemaßnahmen Therapieeffekten – sofern im Studienver- gruppen eventuell nicht ausreicht [17, 18]. sind deshalb häufig statistisch mit einem lauf keine weiteren Verzerrungen auftre- Ohne Berücksichtigung dieser Limitatio- schlechteren Outcome assoziiert und ten [13]. nen (z. B. durch statistische Tests auf In- scheinen weniger gut für die Behandlung Um die Randomisierung aus einer teraktionen bei Subgruppenanalysen [18, geeignet zu sein als die Vergleichstherapi- möglichst homogenen Basispopulation 19]) sind die Ergebnisse solcher Analysen en [22]. zu gewährleisten, gelten für die Patienten nicht verwertbar oder sogar falsch, wie Durch Vermeidung systematischer meist sehr spezifische Einschluss- bzw. die Autoren der ISIS-2-Studie am Beispiel Verzerrungen bei der Studiendurch- Ausschlusskriterien bezüglich demografi- von Patientengruppen mit verschiedenen führung und die Berücksichtigung von scher Merkmale, Krankheitsschwere, Ko- Sternzeichen zeigen konnten [20]. Confoundern bei der Analyse der Studi- morbiditäten etc.. Die Erkenntnisse aus Bei der Interpretation von Studien- endaten können jedoch auch Beobach- RCTs sind durch eine hohe interne Vali- ergebnissen sollte beachtet werden, dass tungsstudien ähnlich valide Ergebnisse dität gekennzeichnet, lassen sich jedoch in publizierten randomisierten Studien liefern wie RCTs. Beobachtungsstudien wegen der selektionierten Patientenkol- einige Outcome-Parameter oftmals un- bilden meist das klinische, nicht-experi- lektive mit speziellen Eigenschaften und vollständig oder nicht berichtet werden. mentelle Therapieprozedere besser ab und den zum Teil künstlichen Studienbedin- Nebenwirkungsereignisse sind davon of- schließen häufig eine hinsichtlich demo- gungen nur bedingt auf andere Patienten- fenbar häufiger betroffen als Parameter grafischer und klinischer Charakteristika gruppen übertragen. für die Wirksamkeit einer Intervention diverse Patientenpopulation ein. Die Re- Allerdings sind auch RCTs nicht frei [21]. präsentativität solcher Studienpopulatio- von möglichen Verzerrungen. Beispiels- Ergebnisse aus (nicht-randomisierten) nen ist oft höher als die der Patienten in weise kann eine unverblindete Zuordnung Beobachtungsstudien, z. B. Kohortenstu- RCTs. Außerdem können Beobachtungs- der Patienten zu einer der Therapiegrup- dien oder Fall-Kontroll-Studien, werden studien für bestimmte Fragestellungen, pen die (unverblindete) Erhebung des in der Regel mit einem geringeren Evi- für die RCTs nicht geeignet oder nicht Outcome mitunter erheblich beeinflussen denzgrad bewertet, da sie anfälliger sind durchführbar sind, valide Ergebnisse lie- und Studienergebnisse (Effektschätzer) für systematische Fehler (Bias) und den fern. Dies ist beispielsweise der Fall bei der verzerren [14, 15]. Kritisch hinterfragt Einfluss von Störgrößen, die sowohl mit Untersuchung seltener Nebenwirkungen werden sollte auch eine Datenanalyse per der Exposition als auch mit dem Outcome oder Spätfolgen von Medikamenten bzw. protocol, bei der nur jene Patienten ein- assoziiert sind (Confounder). Sind mög- Therapien. geschlossen werden, die tatsächlich auch liche Confounder im Vorhinein nicht be- Generell zeigt sich bei identischen die zugeloste Therapie erhalten haben, was kannt oder werden sie aus anderen Grün- Studienfragen eine weitgehende Kongru- zu einer Aufhebung der durch die Rando- den nicht valide und vollständig erfasst, enz zwischen den Ergebnissen von RCTs misierung ermöglichten Gleichverteilung können die Studienergebnisse erheblich und gut konzipierten Beobachtungsstudi- von Risikofaktoren in den Therapiearmen verzerrt sein. Eine statistische Korrelation en [23]. Mitunter weichen die Ergebnisse führen kann [16]. (zwischen Exposition und Outcome) wür- aber deutlich voneinander ab, wobei so- Neben den primären Endpunkten, de in diesem Fall einen kausalen Zusam- wohl RCTs als auch nicht-randomisierte auf die eine Intervention abzielt und un- menhang lediglich vortäuschen. Grund- Studien größere Therapieeffekte beobach- tersucht wird, wird in RCTs regelmäßig sätzlich muss bei der Interpretation und teten [24]. Die Beurteilung von Therapie- auch die Auswirkung der Intervention Bewertung von retrospektiven Analysen maßnahmen soll deshalb immer auf der auf weitere klinisch oder Public Health- oder prospektiven, nicht randomisierten Bewertung mehrerer unabhängiger Studi- relevante (sekundäre) Endpunkte analy- Beobachtungsstudien beachtet werden, en beruhen [25]. siert. Häufig publiziert werden auch post dass keine Kausalität, sondern allenfalls Zu diesem Zweck werden zunehmend hoc-Subgruppenanalysen zur Überprü- eine statistische Assoziation zwischen Ex- Metaanalysen bzw. systematische Re- fung der Auswirkung von Interventio- position (z. B. EK-Transfusion) und Out- views erstellt, die die Ergebnisse aus ver- nen in Patientengruppen mit bestimmten come (z. B. Pneumonierate) beschrieben schiedenen Studien zur gleichen Frage- (Baseline-)Eigenschaften. Sowohl bei der werden kann. stellung zusammenfassend beschreiben Analyse von multiplen sekundären End- Ein insbesondere in der klinischen (systematischer Review) bzw. gepoolt punkten als auch bei Subgruppenanaly- Forschung zu beachtendes Phänomen auswerten (Metaanalysen). Metaanalysen sen besteht die Gefahr, dass die Wahr- ist das sogenannte „confounding by indi- wird ein hoher Evidenzgrad zugeschrie- scheinlichkeit für falsche Rückschlüsse cation“ (oder „indication bias“). Dies tritt ben – wenngleich die Methodik [26, 27] durch Akkumulation von α-Fehlern beim auf, wenn die klinische Indikation für eine und die Validität der gepoolten Ergebnis- 1026 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020
se [28, 29] auch kritisch diskutiert wer- 2.2 Besonderheiten von Studien zu die Outcomes von EK-Transfusio- den. Um wichtige – für die methodische unerwünschten Nebenwirkungen nen bei niedrigem Grenzwert der Qualität entscheidende – Aspekte bei sys- von Bluttransfusionen Hämoglobinkonzentration (restrik- tematischen Reviews und Metaanalysen tive Transfusionsstrategie) mit den zu berücksichtigen, wurden in den letz- Anders als bei klassischen pharmakolo- Outcomes von Transfusionen bei ten 25 Jahren methodische Standards eta- gischen Studien untersuchen Studien zu höheren Hämoglobinkonzentratio- bliert und weiterentwickelt [30, 31]. Sys- Bluttransfusionen die Auswirkungen/Ef- nen (liberale Transfusionsstrategie) tematisch zu prüfende Punkte sind vor fekte naturgemäß heterogener Blutpro- verglichen [46]. Obwohl solche Stu- allem das Ausmaß von Fehlern (Bias) bei dukte. Auch wenn die Herstellung von dien nicht primär auf das Auftreten der Identifikation geeigneter Primärstudi- Blutkomponenten streng reguliert ist und von TRIM abzielen, werden sie viel- en (publication bias, search bias, selection industriellen pharmazeutischen Stan- fach dazu herangezogen. Die erho- bias), die Verfügbarkeit von Patientenda- dards sehr nahe kommt, zeichnen sich benen Outcomes werden dabei mit ten, die Bewertung der Ergebnisheteroge- diese Blutprodukte durch individuelle der Tatsache in Beziehung gesetzt, nität sowie die Datenanalyse (Meta-Re- Eigenschaften aus, die einerseits durch dass bei liberaler Transfusionsstra- gression) [32, 33]. Spendercharakteristika bestimmt werden, tegie im Allgemeinen EK häufiger Die zunehmende Publikation solcher andererseits aber auch maßgeblich von transfundiert werden bzw. mehr Arbeiten, die nicht immer den oben ge- Produktions- und Lagerungsprozessen EK-Volumen eingesetzt wird als bei nannten Qualitätsstandards entsprechen abhängen [40]. Unerwünschte Transfusi- restriktiver Transfusionsgrenze. Al- [34], erfordert eine entsprechende Sorg- onsreaktionen, die aus dem Vorhanden- lerdings lassen sich auf diesem Wege falt bei der Interpretation von Ergebnis- sein bestimmter Produkteigenschaften trotz Randomisierung die beobach- sen aus Metaanalysen. Die oben genann- resultieren, werden – solange diese Eigen- teten Effekte nicht direkt auf eine ten Kriterien sollten deshalb nicht nur schaften im Dunkeln liegen bzw. in den Exposition gegenüber Blutproduk- beim Erstellen von Metaanalysen son- Studien nicht separat untersucht werden ten zurückführen, da 1. in der Re- dern auch beim Lesen geprüft werden. – generell dem Transfusionsereignis zu- gel keine Vergleichspopulation ohne Zu beachten ist insbesondere, dass Meta- geordnet. Die überwiegende Anzahl von EK-Transfusionen vorliegt und 2. die analysen mitunter nicht repräsentativ für Studien zu Transfusionsnebenwirkungen, Patienten in den Therapiegruppen die Gesamtheit der existierenden Studien die eine durch die EK-Transfusion aus- nach unterschiedlichen Protokol- sind. So ist die Publikation von klinischen gelöste TRIM nahelegen, berücksichtigt len (liberal vs. restriktiv) transfun- Studien mit signifikanten Therapieunter- spezifische Produkteigenschaften (bis- diert wurden. Es kann dabei nicht schieden um einiges wahrscheinlicher als her) nicht. ausgeschlossen werden, dass sich von Studien, die keine Unterschiede zwi- Des Weiteren ist zu beachten, dass eine Transfusionseffekte und Auswirkun- schen den Interventionen fanden [35]. präoperativ vorliegende Anämie eine Ur- gen von Anämien mit unterschiedli- Häufig basieren Metaanalysen auch aus- sache für die Indikation perioperativer chem Schweregrad überlagern. Ran- schließlich auf Studien mit unzureichen- EK-Transfusionen [41, 42] und gleichzei- domisierte Studien mit identischem der Power, wie eine Analyse von ca. 2000 tig mit (postoperativer) Morbidität und Transfusionsgrenzwert in den Inter- Cochrane Reviews zeigt [36]. Die Ergeb- Mortalität assoziiert ist und somit als un- ventionsarmen und verschiedenen nisse von Metaanalysen sollten deshalb abhängiger Risikofaktor gilt. Sowohl in Transfusionszielen (z. B. unterschied- unter Berücksichtigung einer Heteroge- bevölkerungsbasierten Langzeitkohorten liche Hb-Werte) wären für die direk- nitätsanalyse der Einzelstudien interpre- als auch in klinischen Settings mit nicht- te Untersuchung TRIM-spezifischer tiert werden [37]. transfundierten Patientenkohorten wurde Effekte besonders geeignet. Metaanalysen spielen bei der Kausa- gezeigt, dass eine prävalente Anämie die 2. Bei randomisierten Studien zu ver- litätsbewertung von Zusammenhängen Mortalitäts- und Morbiditätsprognose si- schiedenen Transfusionsstrategien eine wichtige Rolle, reichen aber nicht aus, gnifikant verschlechtert [41, 43–45]. Die- hat das Klinikpersonal in der Regel um Kausalität zu belegen. Sie können auf ser Zusammenhang ist bei der Bewertung Kenntnis von der zugelosten Thera- Basis statistischer Verfahren die Prüfung von Studien (Design, Datenanalyse, Er- pie (fehlende Verblindung). Auch die der Konsistenz von Studien unterstützen gebnisse) zur Auswirkung von EK-Trans- Erhebung der verschiedenen Studi- und Schätzungen für die Stärke von Zu- fusionen zu berücksichtigen. enoutcomes erfolgt häufig unverblin- sammenhängen und das Ausmaß einer det [46]. Dies sollte bei der Bewertung Dosis-Wirkungsbeziehung liefern [38]. 2.2.1 Randomisierte klinische von Studienergebnissen berücksich- Darüber hinaus sollte in die Bewertung Studien tigt werden, insbesondere wenn die eines möglichen kausalen Zusammen- 1. Die meisten randomisierten Studi- Möglichkeit/Gefahr besteht, dass die hanges die Prüfung weiterer Kriterien, en in der Transfusionsmedizin zie- Patienten im Nachgang der Transfusi- z. B. der sogenannten Bradford-Hill-Kri- len auf die Bewertung der Sicherheit onen unterschiedlich behandelt wer- terien (biologische Plausibilität, Spezifität bzw. auf die Prüfung der Nichtun- den (performance bias). Die Erhebung der Assoziation, Reproduzierbarkeit u. a.), terlegenheit verschiedener Trans- einiger Endpunkte wie beispielsweise einfließen [39]. fusionsstrategien ab. Dazu werden die Gesamtmortalität wird allerdings Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020 1027
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen kaum von einer fehlenden Verblin- hebenden Outcomes nicht mit der folgt die Variablenselektion allerdings dung beeinflusst. Indikation für die Transfusion as- ausschließlich auf Basis statistischer 3. Ein Großteil der Studien schließt nur soziiert sind. Dies kann nur in (we- Assoziationen von Kovariablen und eine relativ kleine Zahl von Patien- nigen) bestimmten Kohorten aus- Outcome. Nicht selten werden da- ten ein. Hier ist empfehlenswert, vor geschlossen werden, in denen eine durch Mediator-Variablen (interme- allem Studien mit einer intention to Transfusionsindikation nicht auf diates) oder non-Confounder in die treat-Analyse für die Bewertung her- einer bereits bestehenden Anämie Modelladjustierung eingeschlossen, anzuziehen. Bei Studien mit niedriger beruht bzw. davon beeinflusst wird. was zu fehlerhaften Effektschätzern Fallzahl ist die Gefahr einer Verzer- Für die Bewertung von möglichen führt (overadjustment bias, unnecessa- rung durch Ausschluss von Patienten negativen Effekten einer Transfusion ry adjustment) [54]. wegen Nichteinhaltung des Therapie- im Sinne einer TRIM sollten in erster plans mitunter sehr groß. Linie Studien herangezogen werden, 2.2.3 Metaanalysen 4. Aufgrund der Vielzahl an mögli- für die ein indication bias unwahr- Bei Metaanalysen ist die Prüfung auf ei- chen patienten- und behandlungs- scheinlich ist. nen möglichen Publikationsbias empfeh- relevanten Folgen von Operationen, 3. Von entscheidender Bedeutung sind lenswert. Ferner sollte überprüft werden, die durch Transfusionen beeinflusst die Erhebung möglicher Confoun- ob die Berechnung eines Gesamtschätzers werden können, wurden in den RCTs der und deren Berücksichtigung bei auf Studien mit vergleichbaren Interventi- mit verschiedenen Transfusionsstra- der Analyse der Studiendaten. Dies onen beruht. Beispielsweise erscheint eine tegien häufig >10 sekundäre End- kann entweder über die Adjustie- gemeinsame Analyse von Studien mit der punkte definiert. Die sich aus mul- rung multivariabler Modelle mit den Fragestellung TRIM mit leukozytendeple- tiplen Signifikanztests ergebenden Confoundervariablen realisiert wer- tierten und leukozytenhaltigen EK wenig Limitationen sollten bei der Interpre- den oder über die Zuordnung eines sinnvoll. Auch große Unterschiede bei den tation der Ergebnisse berücksichtigt sogenannten propensity score zu allen Transfusionstriggern zwischen den jewei- werden – ebenso wie die Tatsache, Patienten [50, 51]. Ohne diese statis- ligen RCTs sollten bei der Interpretation dass die Studiengröße/Power für eine tischen Verfahren ist eine möglichst berücksichtigt werden. Es ist notwendig, valide Betrachtung sekundärer End- verzerrungsfreie Berechnung von die Einzelstudien gezielt zu analysieren. punkte und für andere post hoc-Ana- Effektschätzern in Populationen mit Dies ist bei den Studien zu Transfusions- lysen mitunter nicht ausreicht (vgl. ungleichen Risikoprofilen nicht mög- nebenwirkungen besonders angeraten, [47, 48]). lich. wenn die RCTs nur sehr kleine Fallzah- Ein zentrales Problem bei den Be- len aufweisen. 2.2.2 Beobachtungsstudien obachtungsstudien zu Transfusions- Für die hier vorgelegte Stellungnahme 1. Im Gegensatz zu den randomisier- auswirkungen ist die bisher nahezu zur TRIM wurden ausschließlich Studi- ten klinischen Studien lässt sich unberücksichtigte Behandlungsqua- en bewertet, die leukozytendepletierte in Beobachtungstudien ein Ver- lität (z. B. Qualifikation und Erfah- EK untersuchten, da die Leukozytende- gleich von Outcomes bei Patienten rung der Chirurgen) als Confounder, pletion seit 2001 in Deutschland vorge- ohne Transfusion und Patienten mit der sowohl das Risiko für eine Trans- schrieben ist und den Standard der kli- Transfusion(en) realisieren. In der fusion als auch für sich anschlie- nischen Behandlung darstellt. Die Suche Vergangenheit wurden vor allem re- ßende Behandlungskomplikationen nach Studien erfolgte zum einen über trospektive Kohortenstudien zur Un- beeinflusst [52]. Die Mehrzahl der medizinische Datenbanken unter Einga- tersuchung möglicher TRIM-assozi- Beobachtungsstudien ist aus diesem be der relevanten Schlagworte, zum an- ierter Auswirkungen durchgeführt. Grund kaum geeignet, valide Effekt- deren über die in den systematischen Re- Kohortenstudien haben ein geeig- schätzer für mögliche transfusionsas- views eingeschlossenen Studien und den netes Design, um das Auftreten so- soziierte Nebenwirkungen zu liefern. Bibliotheken der Autoren dieser Stellung- genannter „unintended effects“ (Ne- 4. Den statistischen Modellen zur Be- nahme. benwirkungen) zu untersuchen [49]. rechnung möglicher Effekte von Untersuchungen zur Gesamtmorta- Transfusionen sollten kausale Modelle lität und -morbidität nach Bluttrans- zugrunde liegen, die die strukturel- fusion können bei Kohortenstudien len kausalen Beziehungen zwischen allerdings kritisch sein, da bei die- den Patienten- und Behandlungs- sen Outcomes ein „indication bias“ variablen sowie der Exposition und („confoundig by indication“, s. unten) dem Outcome berücksichtigen [53]. meist nicht ausgeschlossen werden Mit Hilfe solcher Modelle lassen sich kann. a priori Faktoren (Variablen) identi- 2. Confounding by indication in einer fizieren, die in dem häufig multifak- Beobachtungsstudie kann nur ver- toriellen Wirkungsgefüge tatsächlich mieden werden, wenn die zu er- Confounder darstellen. Häufig er- 1028 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020
3. Der Einfluss der Transfusion dass zumindest ein Dosisunterschied in ten Transfusionen nicht beurteilt werden von Erythrozytenkonzentraten der Transfusion hinsichtlich einer TRIM kann. auf Infektionen und das berücksichtigt werden kann. Mit Blick auf Infektionen, die im Ver- klinische Behandlungsergebnis Die vorliegenden RCTs wurden mit lauf der Studie auftraten (Pneumonien und in unterschiedlichen unterschiedlichen Patientengruppen Wundinfektionen), wurden in den Studien Patientengruppen (z. B. Patienten mit septischem Schock, (. Tab. 1) zwischen den Studiengruppen Herzerkrankungen, Schädel-Hirn-Trau- keine signifikanten Unterschiede gefun- 3.1 Erwachsene Patientinnen und ma, etc.) durchgeführt, bei denen von ei- den. Dies betrifft auch andere Endpunkte Patienten ner unterschiedlich starken Aktivierung wie den akuten Myokardinfarkt und die des Immunsystems ausgegangen wird. Schlaganfallrate. In diesem Teil der Stellungnahme wurden Da der Einfluss des Immunstatus auf die Für die 30-Tage-Mortalität fanden alle die Studien hinsichtlich der Auswirkun- mögliche Entwicklung einer TRIM bisher drei Studien in der intention to treat-Ana- gen von Transfusionen bei unterschiedli- nicht geklärt und außerdem aus medizi- lyse keinen Unterschied zwischen den chen Patientengruppen betrachtet. Dabei nischer Sicht relevant für das Outcome Transfusionsstrategien. Lediglich in der ist zu beachten, dass die Studien mit dem nach einer EK-Transfusion ist, wurden per protocol-Analyse der TRIFE-Studie Ziel durchgeführt wurden, die Sicherheit die Studien für die Bewertung nach un- [61] war die 30-Tage-Mortalität bei libe- verschiedener Transfusionsstrategien hin- terschiedlichen Patientengruppen und ral transfundierten Patienten signifikant sichtlich klinisch relevanter Endpunkte Krankheitsentitäten systematisiert. Dies niedriger. zu bewerten oder als Machbarkeitsstudi- erlaubt, bei mehreren vorliegenden Studi- Zwei weitere RCTs [63, 64] haben bei en konzipiert waren und nicht der Unter- en zu einer Patientengruppe bzw. Krank- orthopädischen Patientinnen und Patien- suchung einer möglichen TRIM dienten. heitsentität, die Ergebnisse miteinander ten Effekte von unterschiedlichen Trans- Deshalb fokussiert die Analyse insbeson- zu vergleichen bzw. gemeinsam zu be- fusionsgrenzwerten untersucht. In diesen dere auf Infektionen und postinfektiö- werten. Studien unterschied sich allerdings weder se Komplikationen, die als Surrogatpara- Im Folgenden werden die Ergebnisse die Anzahl transfundierter Personen noch meter für eine TRIM dienen könnten. Da für 10 Patientenkollektive dargestellt. die Menge an EK signifikant in den bei- auch andere klinische Endpunkte (insbe- den Gruppen, so dass eine Auswertung sondere Mortalität) durch Organinfektio- 3.1.1 Patienten nach der Studienergebnisse hinsichtlich einer nen oder (post)infektiöse Komplikationen orthopädischen Operationen TRIM nicht möglich ist. verursacht sein können, wurden auch die- (Hüft- oder Kniegelenksersatz, se Endpunkte in die Betrachtung einbe- Hüftfrakturen) 3.1.2. Onkologische Patienten zogen. Insgesamt wurden 2500 Patienten in drei Zu den möglichen Effekten unterschied- In erster Linie wurden RCTs heran- Studien untersucht (. Tab. 1). licher Transfusionsgrenzwerte bei onko- gezogen, um die oben beschriebenen, Zu den möglichen Effekten unter- logischen Patientengruppen wurden fünf durch das Studiendesign möglicherwei- schiedlicher Transfusionstrigger bei Studien mit insgesamt 653 Patienten be- se bedingten Verzerrungen zu begrenzen. Patientengruppen, die sich orthopä- trachtet (. Tab. 2). Studien, in denen eine Patientengruppe disch-unfallchirurgischen Operationen In keiner der Studien waren postope- nicht transfundiert (Placebo) und mit ei- unterzogen, wurden sieben Publikatio- rative Infektionen als primärer Endpunkt ner Transfusionsgruppe verglichen wird, nen von drei Studien betrachtet. Primä- definiert. Lediglich eine Studie [67] erfass- sind aus medizinethischen Gründen nur res Studienziel war in allen Studien die te das Auftreten von Infektionen als se- schwer durchführbar. Nur zwei solche Wiederherstellung der Mobilität. Als se- kundäres Outcome. In dieser Studie fand Studien mit dieser Fragestellung konn- kundäre Endpunkte oder im Rahmen sich kein Unterschied zwischen liberaler ten identifiziert werden [55, 56]. Daher von post hoc-Analysen wurden auch Un- und restriktiver Transfusionsgruppe hin- wurden für die Bewertung in erster Linie terschiede im Auftreten von Infektionen sichtlich der Gesamtinzidenz von Infek- Studien herangezogen, die zwei unter- bzw. die Gesamtmortalität, Liegedauer tionen. In 6 Unterkategorien infektiöser schiedliche Hb-Konzentration als Trans- oder andere Parametern bewertet. Zu be- Komplikationen wurden keine Inzidenz- fusionsgrenzwerte („liberale“ vs. „restrik- achten ist, dass die Randomisierung für unterschiede beobachtet. Lediglich abdo- tive“ Transfusionsstrategie) untersuchten. einen bestimmten Transfusionstrigger in minelle Infektionen traten in der restrikti- Dieser Ansatz ist auch insofern plausibel, allen betrachteten Studien erst postopera- ven Gruppe signifikant häufiger auf. als dass die Methodik die Entscheidungs- tiv erfolgte, so dass die Auswirkung einer Neben zwei Machbarkeitsstudien [65, situation des klinischen Alltags widerspie- prä- oder intraoperativen Transfusion un- 68] und einer Studie [66], die nach Ein- gelt („Bei welchem Hb-Wert transfundie- berücksichtigt bleibt. Dies ist insbesonde- schluss von 6 Patienten wegen nicht-in- re ich die Patientin bzw. den Patienten?“). re mit Blick auf Parameter, die mit einem fektiöser Komplikationen in der libe- In fast allen Studien mit diesem Design deutlichen zeitlichen Abstand gemessen ral transfundierten Gruppe abgebrochen wurden Patientinnen und Patienten im wurden, von Relevanz, da der Einfluss der wurde, untersuchte eine Studie ein Com- liberalen Transfusionsarm erwartungs- nicht der Randomisierung unterliegen- posit-Outcome aus 30-Tage-Mortalität gemäß signifikant mehr transfundiert, so den prä- oder intraoperativ verabreich- und/oder schweren klinischen Kompli- Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020 1029
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Tab. 1 Studiencharakteristika und Ergebnisse von RCT zu Auswirkungen von EK-Transfusionen bei Patienten nach orthopädischen Operationen Studie(n) Carson 2011 [57] (+Carson 2015) [58] Patientenkollektiv Hüftfraktur n = 2016 Studienziel Test der Hypothese, dass Hb ≥ 10 g/dl funktionelle Wiederherstellung verbessert und Mortalität/Morbidität reduziert Primäroutcome: Tod oder Unfähigkeit zum selbständigen Gehen nach 60 Tagen Sekundäroutcome: Composite aus Tod, Myokardinfarkt und instabiler Angina pectoris Tertiäroutcome: 30-Tage-Morbidität inkl. Pneumonie, Wundinfektion Transfusionstrigger 8 Hb vs. 10 g/dl postoperativ Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Infektionen: Pneumonie, Wundinfektion Tod, Mobilität, Entlassungszeitpunkt, Körperlicher Aktivitäts- oder Fatigue-Score (Carson 2011) 3-Jahres-Mortalität, Todesursachen (kardiovaskuläre Erkrankungen, Malignome, Schlaganfall, Demenz, Lungenerkrankung, andere oder unbekannte Gründe), Mortalität in der Subgruppe von Patienten mit Krebsanamnese (Carson 2015) Kommentar Signifikant häufigere Gründe für Transfusion in der restriktiven Gruppe: schneller Blutverlust, Herzinsuffizienz, Tachykardie oder Hypotension Randomisierung für liberale oder restriktive Transfusionsstrategie erst postoperativ. Prä- bzw. intraoperativ kein signifikanter Unterschied in der Transfusionshäufigkeit in beiden Gruppen Studie(n) Parker 2013 [59] Patientenkollektiv Hüftfraktur, ≥60 Jahre und postoperativer Hb 8–9,5 g/dl n = 200 Studienziel Non-inferior study für Transfusion bei Anämiesymptomatik Primäroutcome: Mobilität Intervention Transfusion vs. Transfusion nur bei Anämiesymptomatik postoperativ Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Infektionen: Pneumonie, Clostridien-Diarrhö, Wundinfektion, Septikämie mit septischem Schock Alle anderen Parameter bzw. Komplikationen (z. B. Mobilitätsscore, Liegezeit) Kommentar Power für Mortalitätsanalyse nicht ausreichend Studie(n) TRIFE (Gregersen 2015 [48, 60, 61], Blandfort 2017 [62]) Patientenkollektiv Hüftfraktur bei geriatrischen Patienten n = 284 Studienziel Physische Rehabilitation und Gesamtmortalität Transfusionstrigger 9,7 Hb vs. 11,3 g/dl Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Infektionen: Pneumonie, Harnwegsinfektionen, andere Infektionen Signifikante Unterschiede: In liberal transfundierter Gruppe: Geringere Rate an Delir an Tag 10 30-Tage-Mortalität in per-protokoll-Analyse geringer (kein Mortalitätsunterschied bei intention-to-treat-Analyse) Bessere Rehabilitation nach 1 Jahr (modifizierter Barthel-Index) Kommentar Keine Angaben zu Transfusionen vor postoperativer Randomisierung Problem des multiplen Testens durch Auswertung zahlreicher (post-hoc-) Analysen Analyse der Infektionsinzidenzen ohne ausreichende Power Einschränkung der Interpretierbarkeit der 1-Jahres-Ergebnisse durch hohe Sterblichkeit in der Patientenkohorte kationen als primären Endpunkt [67], [69] nur die 90-Tage-Mortalität. Die Stu- sachte Reaktion verstanden werden könn- eine weitere Studie [69] die 28-Tage Mor- die von DeZern et al. [68], die Leukämie- te, einen Unterschied zwischen den Studi- talität in beiden Gruppen. In diesen bei- patienten untersuchte, wies bei keinem engruppen auf. den Studien war die Sterblichkeit in der Endpunkt, auch nicht bei Episoden neu- Bei den Studien mit onkochirurgischen liberal transfundierten Gruppe signifikant tropenischen Fiebers, das eventuell noch Patienten erfasste nur eine Studie postope- niedriger – allerdings bei Bergamin et al. am ehesten als eine immunologisch verur- rative Infektionen, die keinen Hinweis auf 1030 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020
Tab. 2 Studiencharakteristika (Fortsetzung) und Ergebnisse von RCT zu Auswirkungen von EK-Transfusionen bei onkologischen Patienten Studie(n) Webert 2008 [65] Patientenkollektiv Akute Leukämie und Induktionschemotherapie oder Stammzelltransplantation n = 60 Studienziel Machbarkeitsstudie für multizentrisches RCT Überprüfung der Rekrutierungsstrategie und der Eignung des Transfusionskriteriums als Exposition, Dokumentation von Blutungen Infektionen in Studie nicht untersucht Transfusionstrigger 8 Hb vs. 12 g/dl Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Mediane Zeit bis zur ersten Blutung bzw. bis zur ersten klinisch signifikanten Blutung Häufigkeit klinisch signifikanter Blutungen Kommentar Kein Unterschied im Anteil der Personen mit EK-Transfusion Signifikante Unterschiede nur bei EK-Menge und Transfusionen/Patiententag Studie(n) Robitaille 2013 [66] Patientenkollektiv Kinder mit allogener Stammzelltransplantation n =6 Studienziel Untersuchung der Auswirkungen eines höheren Hb-Triggers auf Normalisierung der Granulozyten-Zahl Intervention 7 Hb vs. 12 g/dl Ergebnisse Vermehrt veno-okklusive Erkrankung bei liberal transfundierten Kindern (0 vs. 3 Patienten, p = 0,05) Kommentar Studie wegen der Entwicklung einer veno-okklusiven Erkrankung bei allen 3 Patienten der liberalen Gruppe abgebrochen. Alle 6 Patienten wurden transfundiert. Neben der größeren EK-Menge in der liberalen Gruppe unterschieden sich die Gruppen auch in anderen Risikofaktoren für eine veno-okklusive Erkrankung Studie(n) De Almeida 2015 [67] Patientenkollektiv Gastrointestinale Onkochirurgie n = 198 Studienziel Superior study für restriktive Strategie für Mortalität und schwere klinische Komplikationen (30 Tage) Transfusionstrigger 7 Hb vs. 9 g/dl postoperativ Ergebnisse Signifikante Unterschiede: abdominelle Infektionen seltener bei liberaler Transfusion, kombinierter Endpunkt aus 30-Tage-Morbidität und -Mortalität, 30-Tage-Mortalität und kardiovaskuläre Komplikationen gerin- ger bei liberaler Transfusion Keine signifikanten Unterschiede: Neue Infektionen, Lungen- oder Nierenversagen, septischer Schock, Beatmungsdauer, Vasopressorenbedarf, Wiederaufnahmera- te Intensivstation, Liegedauer Kommentar Kein Unterschied bei prä-/intraoperativen Transfusionen Studie(n) DeZern 2016 [68] Patientenkollektiv Akute Leukämie n = 89 Studienziel Feasibility-Studie zur Vorbereitung einer multizentrischen Studie. Prüfung Effektivität der Rekrutierung, physiologische Toleranz gegenüber niedrigem Trigger, Gruppenwechsel, Sicherheit Infektionen in Studie nicht untersucht Intervention 7 Hb vs. 8 g/dl Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Mortalität, Länge der Krankenhaus-Liegezeit, Fatigue-Scores, Blutungsereignisse, Episoden neutropenischen Fiebers und Anspre- chen auf die Chemotherapie Kommentar Keine Angaben zum Anteil transfundierter Patienten Signifikanter Unterschied bei der medianen EK-Anzahl 8 vs. 10 Studie(n) Bergamin 2017 [69] Patientenkollektiv Onkologische Patienten mit septischem Schock n = 300 Studienziel Superiority trial: Restriktive Strategie verringert 28-Tage Mortalität Infektionen in Studie nicht untersucht Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020 1031
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Tab. 2 (Fortsetzung) Studie(n) Webert 2008 Bergamin [65] 2017 [69] Transfusionstrigger 7 Hb vs. 9 g/dl Ergebnisse Signifikanter Unterschied: 90 Tage-Mortalität bei liberaler Strategie geringer Keine signifikanten Unterschiede: 28-Tage-Mortalität, Beatmungsdauer, Nierenersatzverfahren, Bedarf an inotropen Medikamenten, Myokardinfarktrate, Schlagan- fallrate, Extremitätenischämie, Darmischämie, Intensivstation-Wiederaufnahmerate, Krankenhaus-Liegezeit Kommentar Im Median 1 Transfusion mehr im liberalen Transfusionsarm verabreicht (p = 0,001) Tab. 3 Studiencharakteristika und Ergebnisse von RCT zu Auswirkungen von EK-Transfusionen bei neurologischen Intensivpatienten Studie(n) Naidech 2010 [71] Patientenkollektiv Subarachnoidalblutung n = 44 Studienziel Machbarkeit und Sicherheit von höherem Hb Hypothesen: Hb ≥ 11,5 g/dl erhöht nicht die Anzahl der Fiebertage >38 °C bzw. verringert nicht die Anzahl beatmungsfreier Tage (Sicherheit) Höherer Hb-Zielwert führt zu höherem Hb im Studienzeitraum (Machbarkeit) Intervention Ziel-Hb: 10 vs. 11,5 g/dl Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Fiebertage, respiratorische Insuffizienz, Schlaganfallrate, NIH-Stroke Scale Score an Tag 14, körperliche Unabhängigkeit nach der modifizierten Rankin-Skala an Tag 14 und an Tag 28; beatmungsfreie Tage; Lungenödem, symptomatische Vasospasmen Kommentar Pilotstudie Kein signifikanter Unterschied im Anteil der transfundierten Patienten, Signifikanter Unterschied nur bei medianer EK-Menge (2 vs. 3; p < 0,05) Studie(n) Robertson 2014 [72] Patientenkollektiv Schädel-Hirn-Trauma n = 200 Studienziel 1. Bewertung Einfluss Erythropoietin auf neurologisches Outcome 2. Vorteile eines Hb von 10 g/dl überwiegen Transfusionsrisiken Primäroutcome: Glasgow Outcome Score Primäres Sicherheitsoutcome: Mortalität, ARDS, Infektionen Transfusionstrigger 7 Hb vs. 10 g/dl Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Infektiöse Komplikationen: Pneumonie, Harnwegsinfekte, Ventrikulitis und Bakteriämien Glasgow Outcome Score nach 6 Monaten, Grad der körperlichen Einschränkung, Lungenversagen (ARDS) Signifikante Unterschiede: Thromboembolische Komplikationen (Lungenembolie und/oder Beinvenenthrombose) häufiger in der liberal transfundierten Gruppe Kommentar 2 × 2-faktorielles Design (Transfusionstrigger 7 vs. 10 g/dL und Erythropoietin vs. Placebo) eine erhöhte Infektionsinzidenz bei liberaler mie-Symptomskalen. Eine Auswertung diesen Studien nicht unterschiedlich. In ei- Transfusionsstrategie gab. Für die Mortali- hinsichtlich möglicher TRIM ist nicht ner Studie [72] fand sich in einer post hoc- tät/schwere Komplikationen zeigte sich in sinnvoll. Analyse, dass die Rate thromboembolischer dieser Patientengruppe bei liberaler Trans- Komplikationen (Lungenembolie, tiefe fusionsstrategie insgesamt eine geringere 3.1.3 Neurologische Beinvenenthrombose) im liberalen Trans- Mortalität. Intensivpatienten fusionsarm erhöht war. Dies steht jedoch Eine weitere Studie [70] hat in einem Zu den möglichen Effekten unter- aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit ei- RCT Effekte von unterschiedlichen Trans- schiedlicher Transfusionstrigger bei neu- ner TRIM in Zusammenhang. fusionsgrenzwerten bei onkologischen rologischen Intensivpatienten wurden Ein weiteres RCT bei neurointensiv- Patienten untersucht. In dieser Mach- zwei Studien mit insgesamt 244 Patienten medizinischen Patienten [73] untersuch- barkeitsstudie wurde die Lebensqualität betrachtet (. Tab. 3). te vergleichend die Messung der Sau- der Patienten untersucht, z. T. mit selbst Die infektiösen Komplikationen bei erstoffsättigung bzw. einen Hb-Trigger auszufüllenden Fragebögen und Anä- neurologischen Intensivpatienten waren in (8,6 g/dl) zur Transfusion. Primäres Stu- 1032 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020
Tab. 4 Studiencharakteristika und Ergebnisse eines RCT zu Auswirkungen von EK-Transfusionen bei Patienten mit oberen gastrointestinalen Blutungen Studie(n) Villanueva 2013 [74] Patientenkollektiv Obere gastrointestinale Blutung n = 921 Studienziel Superior Studie für restriktive Strategie Primäroutcome: 45-Tage-Mortalität (alle Ursachen) Sekundäroutcomes: Blutungsrate, Komplikationsrate (assoziiert mit aktiver Therapie und/oder Krankenhaus-Aufenthaltsverlän- gerung) Transfusionstrigger 7 Hb vs. 9 g/dl Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Infektionen einschließlich nosokomialer Infektionen Schlaganfall, Akutes Koronarsyndrom, Nierenversagen, Signifikante Gruppenunterschiede: 45-Tage-Mortalität, Komplikationen, Reblutungsrate Transfusionsreaktionen, transfusion-associated cardiac overload (TACO), kardiale Komplikationen und Krankenhaus-Liegezeit schlechter bei liberalem Transfusionsregime Kommentar Besonders stark erhöhte Mortalität liberal transfundierter Patienten bei Leberzirrhose Child Pugh A oder B. Anstieg des hepato-venösen Druckgradienten innerhalb der ersten 2–3 Tage nur bei liberal transfundierten Patienten. Tendenziell höhere Volumengabe bei liberal transfundierten Patienten dienziel war die Erfassung der Transfusi- fundierten Patienten und eine höhere In- tät) im liberalen Transfusionsarm signifi- onen, die im Hb-Trigger-Arm signifikant zidenz von Volumenüberladung (TACO). kant niedriger. höher lag. Für die ebenfalls untersuchten Eine weitere große prospektive ran- Auch Metaanalysen randomisierter klinischen Outcomes, wie Dauer der In- domisierte Studie mit 936 Patienten [75] Studien mit herzchirurgischen Patienten tensivbehandlung oder Mortalität, reich- untersuchte im Rahmen einer Machbar- [80, 81], bei denen in älteren Studien zum te die Power der Studie nicht aus. Daher keitsstudie auch die 28-Tage Mortalität Teil noch nicht-leukozytendepletierte EK wird sie nicht in die Gesamtbewertung sowie weitere klinische Auswirkungen transfundiert wurden, zeigen keine Un- hinsichtlich TRIM einbezogen. einschließlich Infektionen. Da die Unter- terschiede bei Morbidität oder Mortalität. suchung weder einen signifikanten Un- Ein weiteres RCT [82] untersuchte 3.1.4 Patienten mit oberer terschied beim Anteil transfundierter Pa- den Gerinnungsstatus in Anhängigkeit gastrointestinaler Blutung tienten (46 % vs. 33 %, p = 0,23) noch beim vom Transfusionstrigger und adressierte Zu den möglichen Effekten unterschied- durchschnittlichen Transfusionsbedarf als weitere Komplikationen in erster Linie licher Transfusionstrigger bei Intensiv- (1,9 EKs vs. 1,2 EKs, p = 0,12) in der libe- Blutungen und keine möglichen TRIM- patientinnen und -patienten mit einer ralen und restriktiven Gruppe aufwies, ist Effekte der Transfusion. oberen gastrointestinalen Blutung wurde sie für die Bewertung der Ergebnisse hin- eine Studie mit insgesamt 921 Patienten sichtlich TRIM ungeeignet. 3.1.6 Patienten mit akutem oder betrachtet (. Tab. 4). stabilem Koronarsyndrom In dieser Studie zeigte sich kein signifi- 3.1.5 Patienten der Hochrisiko- und Zu den möglichen Effekten unterschied- kanter Unterschied in der Häufigkeit von In- elektiven Herzchirurgie licher Transfusionstrigger bei Patienten fektionen zwischen den Studiengruppen. Je- Insgesamt wurden 7947 Patienten in vier mit akutem oder stabilem Koronarsyn- doch war die 45-Tage-Mortalität der liberal Studien untersucht, in der Pilotstudie von drom wurden in zwei Pilotstudien insge- transfundierten Gruppe signifikant höher. Shehata et al. [76] speziell elektive Patien- samt 155 Patienten betrachtet (. Tab. 6). Gleiches gilt für weitere untersuchte ten (n = 50) mit einem Hoch-Risikoprofil Die Rate von infektiösen Komplikatio- Endpunkte (z. B. Reblutungsrate, Kran- für perioperative Komorbidität oder Mor- nen wie Pneumonien und Bakteriämien kenhausliegezeit, thromboembolische talität (. Tab. 5). war in der Studie von Carson et al. [84] und ischämische Komplikationen). Die Rate infektiöser Komplikationen nicht signifikant verschieden. In der Studie Bei der Interpretation dieser Studien- wies in allen Studien, die diesen Endpunkt von Cooper et al. [83] wurde die Infekti- daten sollte beachtet werden, dass die li- untersuchten, ebenso wie alle anderen klini- onshäufigkeit nicht erfasst. berale Transfusionsgruppe zusätzlich zu schen Endpunkte keinen Unterschied zwi- In der Studie von Cooper et al. [83] dem höheren Transfusionsvolumen an schen den Studienarmen auf. zeigte sich ein signifikanter Unterschied EK auch tendenziell mehr sonstige Volu- Die Mortalität war in allen Studien bezüglich des primären klinischen Si- mentherapie erhalten hatte, welches das bezogen auf den primären Studienzeit- cherheitsendpunktes (kombiniert Kran- Risiko einer Nachblutung und der Mor- raum nicht unterschiedlich. In der Studie kenhaus-Mortalität, erneuter Myo- talität beeinflusst haben könnte. Hierfür von Murphy et al. [77] war als sekundär- kardinfarkt, neue oder verschlechterte spricht auch ein Anstieg des hepato-venö- er Endpunkt die 90-Tage-Mortalität (bei Herzinsuffizienz), der hauptsächlich auf sen Druckgradienten nur bei liberal trans- nicht unterschiedlicher 30-Tage-Mortali- einen höheren Anteil an neuer oder ver- Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020 1033
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Tab. 5 Studiencharakteristika und Ergebnisse von RCT zu Auswirkungen von EK-Transfusionen bei Patienten der Hochrisiko- und elektiven Herzchirurgie Studie(n) Shehata 2012 [76] Patientenkollektiv Hoch-Risiko herzchirurgische Patienten n = 50 Studienziel Feasibility-Studie Primär: Adhärenz zu Transfusionstriggern Sekundär: Mortalität (alle Ursachen), Aufenthaltsdauer Transfusionstrigger Intraoperativ: 7 Hb vs. 9,5 g/dL Postoperativ: 7,5 Hb vs. 10 g/dL Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Infektionen: Pneumonie, Sepsis Katecholaminbedarf >24 h, postoperativer Myokardinfarkt, Nierenfunktion, Schlaganfall, Lungenembolie/Beinvenenthrombose, Multiorganversagen, Reintubationsrate, Intubation >48 h, Krankenhaus-Liegezeit >11 Tage, Intensivstation-Liegezeit >4 Tage, durchschnittliche Krankenhaus-Liegezeit Kommentar – Studie(n) Murphy 2015 [77] Patientenkollektiv Herzchirurgie n = 2003 Studienziel Primäroutcome: Composite aus postoperativen Infektionen und Ischämien Sekundäroutcomes: 90-Tage-Mortalität, einzelne Organkomplikationen, Liegezeit und Kosteneffektivität Transfusionstrigger 7,5 Hb vs. 9 g/dl Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Kombinierter Endpunkt (schwere Infektion oder ischämisches Ereignis), infektiöses Ereignis, Sepsis, Wundinfektion, Ischämisches Ereignis, Schlaganfall, Myokardinfarkt, Mesenterialinfarkt, akute Nierenschädigung, Liegezeit, klinisch signifikante pulmonale Komplikationen Signifikanter Unterschied: 90 Tage-Mortalität niedriger bei liberaler Transfusionsstrategie Kommentar – Studie(n) Mazer 2017 [78] Patientenkollektiv Herzchirurgie n = 5092 Studienziel Non inferiority-Studie für restriktive Transfusion Primäroutcome: Composite aus Tod, Herzversagen und Nierenversagen Sekundäroutcomes: Infektionen und diverse Faktoren wie Liegezeit, Delir Transfusionstrigger 7,5 Hb vs. 9,5 g/dl intraoperativ und auf Intensivstation; 7,5 Hb vs. 8,5 g/dl auf Normalstation Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Infektionsrate (sekundärer Endpunkt) kombinierter Endpunkt (Primäroutcome) sowie alle sekundären Endpunkte: Intensivstation-Behandlungsdauer, Hospitalisierungs- zeit, Beatmungsdauer, Herzzeitvolumen, Darmischämie, akute Nierenschädigung, Krampfanfälle, Delirium und Enzephalopathien Kommentar Auch in Subgruppenanalyse wurden keine Unterschiede beobachtet (ältere Patienten, Diabetes, Operationsart, chronische Atem- wegserkrankung, Nierenerkrankung, Geschlecht, linksventrikuläre Funktion) Studie(n) Koch 2017 [79] Patientenkollektiv Herzchirurgie n = 722 Studienziel Non-Inferior Studie für restriktive Strategie Morbidität, Mortalität, EK-Gebrauch Transfusionstrigger Hämatokrit 24 % vs. 28 % Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Infektionen Kombinierter Endpunkt aus Mortalität und Morbidität, neurologische Komplikationen, pulmonale Komplikationen, Nierenversa- gen, Beatmungspflicht über mehr als 24 h, Intensiv- oder Krankenhausbehandlungsdauer Kommentar Nach persönlicher Mitteilung des Autors waren alle EK leukozytendepletiert. Die Studie wurde wegen fehlender Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen (a priori definierte Futility Grenze) vorzeitig abgebrochen 1034 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020
Tab. 6 Studiencharakteristika und Ergebnisse von RCT zu Auswirkungen von EK-Transfusionen bei Patienten mit akutem oder stabilem Koronarsyndrom Studie(n) Cooper 2011 [83] Patientenkollektiv Akuter Myokardinfarkt n = 45 Studienziel Primäroutcomes: Anzahl EK, Hämatokrit, Tod, Re-Infarkt, Herzinsuffizienz (als Composite) Infektionen nicht untersucht Transfusionstrigger 8 Hb vs. 10 g/d Ergebnisse Signifikante Unterschiede: Primärer Sicherheitsendpunkt (kombiniert Krankenhaus-Mortalität, erneuter Myokardinfarkt, neue oder verschlechterte Herzin- suffizienz) schlechter bei liberal transfundierten Patienten Kein Signifikanter Unterschied: 30-Tage-Mortalität Kommentar Pilotstudie, keine Angaben zur Volumentherapie Liberal transfundierte Patienten waren im Mittel älter und wiesen mehr Vorerkrankungen bzw. schwerere Krankheitsstadien auf Studie(n) Carson 2013 [84] Patientenkollektiv Akutes Koronarsyndrom oder stabile Angina pectoris und Hb < 10 g/dl n = 110 Studienziel Primäroutcome: Composite aus Tod, Reinfarkt und ungeplanter Angioplastie Sekundäroutcomes: Pneumonie, Bakteriämie und andere nicht-infektiöse klinische Komplikationen Transfusionstrigger 8 Hb vs. 10 g/dl Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Infektionen: Pneumonie und Bakteriämie Kombinierte Endpunkt (Tod, Myokardinfarkt und instabile Angina pectoris), Myokardinfarkt, ungeplante koronare Revaskularisa- tion, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Stentthrombose, Lungenembolie oder Beinvenenthrombose Signifikanter Unterschied: 30-Tage Mortalität niedriger bei liberal Transfundierten Kommentar Multizentrische Pilotstudie; Patientenalter in der restriktiven Gruppe höher (im Median 7 Jahre). Leukozytendepletion von 92 bzw. 95 % der transfundierten EK schlechterter Herzinsuffizienz in der li- Vergleich Transfusion versus abwarten- 3.1.9 Patienten mit septischem beralen Gruppe zurückzuführen war. de Strategie bzw. versus i. v. Eisen einge- Schock Ob sich der Unterschied möglicherweise schlossen (. Tab. 7). Dieses Krankheitsbild wurde in einer Stu- durch das höhere Alter und die häufige- In der Studie von Prick et al. [56] zeigten die untersucht (. Tab. 9). ren Vorerkrankungen bei den Patientin- sich keine Unterschiede im Auftreten von Der Einfluss eines Transfusionsregimes nen und Patienten der liberalen Gruppe Infektionen bzw. infektiösen Komplikatio- auf das Auftreten von infektiösen Kom- erklären lassen, haben die Autoren nicht nen. Infektiöse Komplikationen wurden in plikationen bei Patienten mit septischem untersucht. Die 30-Tage-Mortalität unter- der Studie von Holm et al. [55] nicht als Schock kann anhand dieser Studie nicht be- schied sich in den beiden Gruppen nicht. Endpunkt untersucht. urteilt werden, da infektiöse Komplikatio- In der Studie von Carson et al. [84] tra- nen nicht als Studienendpunkte untersucht ten in der liberalen Gruppe weniger Er- 3.1.8 Patienten mit wurden. Weder die 90-Tage-Mortalität als eignisse des primären Outcomes (Kom- respiratorischer Insuffizienz und primärer Studienendpunkt noch die weite- binierter Endpunkt 30-Tage-Mortalität/ Beatmungspflichtigkeit ren klinischen Endpunkte zeigten einen Un- Myokardinfarkt/Revaskularisation) auf – Eine Studie untersuchte 100 Patienten terschied zwischen den Gruppen. bei der 30-Tage-Mortalität war der Unter- mit prolongierter Beatmungspflichtigkeit schied signifikant. Ein möglicher Einfluss (. Tab. 8). 3.1.10 Patienten mit schweren des höheren Durchschnittalters in der re- Das Auftreten von infektiösen Komplika- Verbrennungen striktiven Behandlungsgruppe kann nicht tionen wurde in dieser Studie nicht unter- In einer multizentrischen Studie wurden ausgeschlossen werden. sucht. Die Zahl antibiotikafreier Tage war 345 Patienten mit Verbrennung von min- wie die weiteren klinischen Endpunkte (In- destens 20 % der Körperoberfläche unter- 3.1.7 Patientinnen mit postpartaler tensivstation- und Krankenhausliegezeit, sucht (. Tab. 10). Anämie beatmungsfreie Tage innerhalb von 60 Ta- Obwohl liberal transfundierte Patien- 534 Patientinnen mit einer postparta- gen Beobachtungszeitraum etc.) nicht unter- ten etwa die doppelte Anzahl Erythrozy- len Anämie wurden in zwei Studien zum schiedlich zwischen den Transfusionsarmen. tenkonzentrate erhielten, zeigten sich keine Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020 1035
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Tab. 7 Studiencharakteristika und Ergebnisse von RCT zu Auswirkungen von EK-Transfusionen bei Patientinnen mit postpartaler Anämie Studie(n) Prick 2014 [56] Patientenkollektiv Postpartale Anämie 4,8–7,9 g/dL n = 521 Studienziel Non-inferiority trial Primäres Outcome: Physical fatigue Intervention Transfusion vs. Abwarten und keine Transfusion Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Spezifische Infektionshäufigkeiten (Wundinfektion, Endometritis, Harnwegsinfektion, lokale Infektion) Signifikanter Unterschied: Körperlicher Fatigue Score an Tag 3 und 7 nach der Geburt niedriger bei liberaler Transfusion Kommentar Klinische Bedeutung der Unterschiede im Fatigue-Score ist gering Studie(n) Holm 2017 [55] Patientenkollektiv Postpartale Anämie Blutverlust >1000 mL, Hb 5,6–8,1 g/dL n = 13 Studienziel Machbarkeitsstudie Primäres Outcome: Physical Fatigue Score Sekundäroutcomes: Erschöpfung, Depression, Laborparameter Intervention Eisen i.v. vs. Transfusion Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: primäres Outcome Ein Fall von Fieber in der transfundierten Gruppe Kommentar – Tab. 8 Studiencharakteristika und Ergebnisse von RCT zu Auswirkungen von EK-Transfusionen bei Patienten mit respiratorischer Insuffizienz und Beatmungspflichtigkeit Studie(n) Walsh 2013 [85] Patientenkollektiv Patienten ≥55 Jahre und ≥4 Tage Beatmung n = 100 Studienziel Machbarkeitsstudie Primäres Outcome: Unterschied in Hb-Konzentration Sekundäre Outcomes: Mortalität, beatmungsfreie Zeit, antibiotikafreie Zeit, Health related Quality of Life (HRQoL), körperliche Funktion Infektionen nicht untersucht Transfusionstrigger 7 Hb vs. 9 g/dl Ergebnisse Keine signifikanten Unterschiede: Mortalität, Intensivstation- und Krankenhaus-Liegezeit, Beatmungs- und Antibiotika-freie Tage innerhalb von 60 Tagen, River- mead-Mobilitätsindex, SF-12 physischer Funktions- und mentaler Komponentenscore sowie Rate an akuten Koronarsyndromen und thromboembolischen Komplikationen Kommentar Pilotstudie 69 % der Patienten hatten bereits EK während des Aufenthalts erhalten signifikanten Unterschiede bei den infekti- keine konsistenten und signifikant erhöh- infektiösen Komplikationen, die als Sur- ösen Komplikationen (Bakteriämie, Pneu- te Raten an Infektionen oder (post)infek- rogatparameter einer TRIM gewertet wer- monie- und Wundinfektionsrate) oder bei tiösen Komplikationen bei liberal trans- den könnten, über- oder unterlegen war. Mortalität oder Morbidität im Vergleich zu fundierten Patienten als mögliche direkte Auch eine umfassende Metaanalyse der restriktiv transfundierten Patienten. Folge einer TRIM, sofern diese Endpunk- Cochrane-Library, die jedoch auch Studi- te untersucht wurden. en mit nicht-leukozytendepletierten EK 3.1.11 Zusammenfassung Aus den Studien gibt es nach gegen- einschloss, fand bei Analyse von 31 ran- Die Ergebnisse von 22 prospektiven RCTs wärtiger Datenlage keinen Hinweis da- domisierten Studien mit insgesamt 12.587 mit 12.974 Patientinnen und Patienten in rauf, dass eine liberale oder restriktive Patienten keine Unterschiede im Outcome 10 unterschiedlichen Behandlungsgrup- Transfusionsbehandlung im Hinblick auf von liberal und restriktiv transfundierten pen/Indikationen bei Erwachsenen zeigen das Auftreten von Infektionen oder (post) Patienten, insbesondere keine Unterschie- 1036 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 8 · 2020
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