Leitlinie Enterale Ernährung der DGEM und DGG

 
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nahrung "542", 9.8.04/maisch/Diskette/may gel.

                                                                                                                                                 D. Volkert
                                                                                                                                                 R. Lenzen-Groûimlinghaus
                                                                                                                                                 U. Krys
                                                                                                                                                 M. Pirlich
                                                                                                                                                 B. Herbst
                                                                                                                                                 T. Schütz
                                        Leitlinie Enterale Ernährung der DGEM und DGG                                                            W. Schröer
                                                                                                                                                 W. Weinrebe
                                        Enterale Ernährung (Trink- und Sondennahrung) in der Geriatrie                                           J. Ockenga
                                        und geriatrisch-neurologischen Rehabilitation                                                            H. Lochs

                                                                                DGEM and DGG Guidelines Enteral Nutrition
Leitlinie Enterale Ernährung ± Teil 2

                                                             Enteral Nutrition (Oral Liquid Supplements and Tube Feeding)
                                                               in Geriatric Patients and Geriatric-Neurologic Rehabilitation

                                        Zusammenfassung                                                         Abstract

                                        Bei geriatrischen Patienten stellt die bedarfsgerechte Versorgung       Nutrient and fluid intake is often compromised in elderly, multi-
                                        mit Flüssigkeit und Nährstoffen ein häufiges Problem dar. Ente-         morbid patients. Enteral nutrition by means of oral liquid sup-
                                        rale Ernährung mittels Trink- und Sondennahrung bietet die              plements and tube feeding offers the possibility to increase or
                                        Möglichkeit, bei unzureichender Lebensmittelaufnahme die                to insure nutrient intake in case of insufficient oral food intake.
                                        Nährstoffversorgung zu verbessern bzw. sicher zu stellen. Die           The present guideline is intended to give evidence-based recom-
                                        vorliegende Leitlinie gibt evidenzbasierte Empfehlungen für den         mendations for the use of oral liquid supplements and tube feed-
                                        Einsatz von Trink- und Sondennahrung bei geriatrischen Patien-          ing in geriatric patients. It was developed by an interdisciplinary
                                        ten. Sie wurde, basierend auf den seit 1985 erschienenen the-           expert group in accordance with officially accepted standards
                                        menbezogenen Fachpublikationen, in einer interdisziplinär be-           and is based on all relevant publications since 1985. The guide-
                                        setzten Expertengruppe nach den Richtlinien der Arbeitsge-              line was discussed and accepted in a consensus conference. Ente-
                                        meinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesell-             ral nutrition by means of oral liquid supplements is recommen-
                                        schaften (AWMF) und des ¾rztlichen Zentrums für Qualität in             ded for geriatric patients with malnutrition or at risk of malnu-
198                                     der Medizin (¾ZQ) erarbeitet und im Rahmen einer Konsensus-             trition, in case of multimorbidity and frailty, and following femur
                                        konferenz verabschiedet. Enterale Ernährungstherapie in Form            fractures and orthopaedic-surgical procedures. In elderly people
                                        von Trinknahrung wird bei drohender oder manifester Mangeler-           at risk of malnutrition oral liquid supplements may improve nu-
                                        nährung, bei Multimorbidität und Gebrechlichkeit, nach Schen-           tritional status, reduce length of hospital stay and lower mortal-
                                        kelhalsfrakturen und orthopädisch-chirugischen Eingriffen               ity. After femur fractures and orthopaedic-surgery oral liquid
                                        empfohlen. Sie führt bei drohender oder manifester Mangeler-            supplements may reduce unfavourable outcome. Tube feeding
                                        nährung zu Verbesserungen im Ernährungszustand, Verkürzung              is clearly indicated in patients with neurologic dysphagia and is
                                        der Krankenhausaufenthaltsdauer und zu einer Verlängerung               recommended in case of depression in order to overcome phases
                                        der Überlebenszeit sowie nach Schenkelhalsfrakturen und or-             of severe loss of motivation and refusal to eat. In contrast, tube
                                        thopädisch-chirurgischen Eingriffen zu einer Reduktion von              feeding is not indicated in final disease states, including final de-
                                        Komplikationen. Sondenernährung ist eindeutig bei neurolo-              mentia, and in order to facilitate patient care and to save time.
                                        gisch bedingten Schluckstörungen indiziert und wird bei De-             Independent of the indication, the decision for or against enteral
                                        pression zur Überbrückung der Phase der schweren Antriebs-              nutrition has to be made individually, in line with the (assumed)
                                        und Essstörung empfohlen. Nicht indiziert ist Sondenernährung           patient will and under consideration of comorbidities, severity of
                                        dagegen in finalen Krankheitsstadien einschlieûlich finalen Sta-        illness and prognosis. Altogether, it is strongly recommended not
                                        dien der Demenz sowie zur Pflegeerleichterung oder Zeiterspar-          to wait until severe malnutrition has developed, but to start en-

                                                                                  Institutsangaben
                                                                                  Institut für Ernährungswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

                                                                                  Korrespondenzadresse
                                                                                  PD Dr. Dorothee Volkert ´ Institut für Ernährungswissenschaft ´ Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
                                                                                  Bonn ´ Endenicher Allee 11 ± 13 ´ 53115 Bonn ´ E-mail: d.volkert@uni-bonn.de

                                                                                  Bibliografie
                                                                                  Aktuel Ernaehr Med 2004; 29: 198 ± 225  Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ´ New York
                                                                                  DOI 10.1055/s-2004-828309
                                                                                  ISSN 0341-0501
nahrung "542", 9.8.04/maisch/Diskette/may gel.

       nis. Unabhängig von der Indikation muss die Entscheidung für         teral nutrition therapy early, as soon as a nutritional risk be-
       oder gegen Sondenernährung immer individuell unter Berück-           comes apparent.
       sichtigung des (mutmaûlichen) Patientenwillens, vorhandener
       Komorbiditäten, des Krankheitsgrades und der Prognose getrof-        Key words
       fen werden. Insgesamt wird dringend empfohlen, Ernährungs-           Guideline ´ recommendations ´ geriatric patients ´ malnutrition ´
       therapie nicht erst bei schwerer Mangelernährung zu beginnen,        enteral nutrition ´ oral liquid supplementation ´ tube feeding
       sondern frühzeitig, sobald Hinweise auf Ernährungsrisiken vor-
       liegen.

       Schlüsselwörter
       Leitlinie ´ Empfehlungen ´ geriatrische Patienten ´ Mangelernäh-
       rung ´ enterale Ernährung ´ Trinknahrung ´ Sondennahrung

                                                                                                                                                             Leitlinie Enterale Ernährung ± Teil 2
       Vorbemerkung                                                         oder ist sie krankheitsbedingt nicht möglich, ist die enterale Er-
                                                                            nährung über eine Sonde indiziert. Dies ist in der Geriatrie der
       Zunehmendes Alter führt zu strukturellen und funktionellen           Fall bei drohender oder manifester Mangelernährung (2.1), bei
       Veränderungen in Geweben und Organen, die mit einer Abnah-           Gebrechlichkeit infolge Multimorbidität (2.2) und bei neurolo-
       me der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit und einer Zunahme        gisch bedingter Dysphagie (2.3), sie kann aber auch infolge gro-
       von Funktionsstörungen einhergehen. Ressourcen und Kompen-           ûer orthopädisch-chirurgischer Eingriffe (2.4), im Rahmen einer
       sationsmechanismen nehmen ab, die Krankheitshäufigkeit               Depression (2.5) oder einer Demenz (2.6) erforderlich sein. Aus
       nimmt zu.                                                            pragmatischen Gründen wurde diese Gliederung nach Diagno-
                                                                            sen vorgenommen, obwohl bei Alterspatienten in der Regel Mul-
       Ein geriatrischer Patient wurde von der Zentraleuropäischen Ar-      timorbidität vorliegt.
       beitsgemeinschaft gerontologischer/geriatrischer Gesellschaften
       folgendermaûen definiert: ¹Ein geriatrischer Patient ist ein bio-    Orale Ernährungstherapie über eine gezielte Essensreichung ist
       logisch älterer Patient, der durch altersbedingte Funktionsein-      aufgrund der Multimorbidität und der verlangsamten Abläufe
       schränkungen bei Erkrankungen akut gefährdet ist, der zu Multi-      beim geriatrischen Patienten häufig schwierig und damit sehr
       morbidität neigt und bei dem ein besonderer Handlungsbedarf          anspruchsvoll und zeitintensiv. Im Zeitalter abnehmender finan-
       rehabilitativ, somatopsychisch und psychosozial besteht.ª (Ers-      zieller und damit auch personeller Ressourcen kann es trotzdem
       ter Altenbericht der Bundesregierung, S. 142) [1]. Durch die Wir-    keine akzeptable Indikation darstellen, die Ernährung eines alten
       kungen und Wechselwirkungen multipler Erkrankungen und Be-           Menschen zum Zweck der Pflegeerleichterung oder zur Zeiter-                      199
       hinderungen ist die Fähigkeit zur Selbstpflege und selbstständi-     sparnis durch die enterale Applikation von Sondenkost sicherzu-
       gen Alltagsbewältigung eingeschränkt oder bedroht [2]. Die ge-       stellen.
       sundheitliche Situation geriatrischer Patienten muss multidi-
       mensional erfasst werden, d. h. Diagnostik und Interventionen        Im Rahmen des Entscheidungsprozesses zur Ernährungstherapie
       müssen die körperliche und die psychische Ebene sowie das per-       über eine Sonde sollten folgende Fragen mit Blick auf die Progno-
       sonelle und materielle Umfeld in ihren Wechselwirkungen be-          se des Patienten und die Dauer der enteralen Ernährung unab-
       rücksichtigen [2]. Nicht eine einzelne Diagnose oder Funktions-      hängig von der Indikation immer geklärt werden:
       störung ist für das therapeutische Vorgehen entscheidend, son-       ± Besteht eine Erkrankung, deren Symptomatik und Verlauf
       dern immer das Gesamtbild des Patienten, das sich sehr indivi-          durch Ernährungstherapie positiv beeinflusst werden?
       duell aus zahlreichen Facetten (Haupt- und Nebendiagnosen,           ± Besteht eine unheilbare Erkrankung, bei der durch Ernäh-
       körperlicher und geistiger Funktionszustand, psychische Verfas-         rungstherapie die Lebensqualität des Patienten erhalten oder
       sung, soziale Situation) zusammensetzt.                                 verbessert wird?
                                                                            ± Erfolgt durch enterale Ernährung eine Linderung von Leiden?
       Im Rahmen der medizinischen Betreuung älterer multimorbider          ± Rechtfertigt der zu erwartende Benefit die zu erwartenden
       Patienten stellt die bedarfsgerechte Versorgung mit Flüssigkeit         Komplikationen?
       und Nährstoffen ein häufiges Problem dar (vgl. S. 191f). Aufgrund    ± Entsprechen die Ernährungsmaûnahmen dem (mutmaûli-
       der weit reichenden Folgen einer Mangelernährung muss bereits           chen) Willen des Patienten?
       bei latenter oder drohender Mangelernährung in Zusammen-
       hang mit einer akuten Krankheitssituation frühzeitig auf die Si-     Zur Erleichterung der Entscheidung für oder gegen enterale Er-
       cherung der Energie- und Nährstoffversorgung geachtet werden.        nährung wurde die vorliegende Leitlinie erarbeitet.

       Bei Patienten mit erhaltener Schluckfunktion stellt orale Trink-
       nahrung dabei eine wichtige, nicht invasive und risikoarme Mög-      Methodik
       lichkeit der Ernährungstherapie dar. Reicht die orale Nahrungs-
       aufnahme trotz adäquater diätetischer, pflegerischer und thera-      Die Leitlinie Enterale Ernährung in der Geriatrie und der geri-
       peutischer Maûnahmen ± einschlieûlich oraler Trinknahrung ±          atrisch-neurologischen Rehabilitation wurde im Rahmen der
       zur Deckung des Nährstoff- und Flüssigkeitsbedarfs nicht aus         Leitlinie Enterale Ernährung [3] erarbeitet. Die grundsätzliche

                                                                    Volkert D et al. Leitlinie Enterale Ernährung ¼ Aktuel Ernaehr Med 2004; 29: 198 ± 225
nahrung "542", 9.8.04/maisch/Diskette/may gel.

                                         Tab. 1 Projektplan

                                         Januar bis Mai 2001                       1.    DGEM                                    Beauftragung eines Verantwortlichen für die Entwicklung der Leitlinie
                                                                                   2.    Verantwortlicher der DGEM               Einrichtung eines Organisationsbüros; Gründung eines Leitungs- und
                                                                                                                                 Koordinationsteams (unter Einbindung des Organisationsbüros)
                                                                                   3.    Koordinationsteam                       Erarbeitung eines Projektplans der Themengebiete und Vorschläge für
                                                                                                                                 die Besetzung der Arbeitsgruppe (= AG)
                                                                                   4.    Koordinationsteam                       Gründung der Arbeitsgruppe (AG) unter Einbeziehung von Experten in
                                                                                                                                 interdisziplinärer Besetzung
                                         28. Mai 2001                              5.    Koordinationsteam u. AG-Leiter          Erste AG-Leiter-Sitzung zu Methodik, Arbeitsgruppenbesetzung,
                                                                                                                                 Themenschwerpunkten, Literaturrecherche
                                         2001 bis Februar 2003                     6.    AG                                      Durchführung der Literaturrecherche und -bewertung
                                                                                   7.    AG                                      Erstellung des Erstentwurfes
                                         März 2003 bis Oktober 2003                8.    AG                                      Überarbeitung des Entwurfes
Leitlinie Enterale Ernährung ± Teil 2

                                         6. November 2003                          9.    AG                                      Vorstellung und Abstimmung der Leitlinie zur Konsenserzielung im
                                         11. Jahrestagung der DGG                                                                Symposium ¹Enterale Ernährung im Alterª der AG Ernährung der
                                                                                                                                 Deutschen Gesellschaft für Geriatrie e. V. (DGG)
                                         November 2003 bis Februar 2004           10.    AG                                      Endredaktion des Entwurfes und Erstellung einer publikationsreifen
                                                                                                                                 Endfassung
                                                                                  11.    Verantwortliche                         Information der Fachgesellschaften

                                        Vorgehensweise entspricht der bereits dort publizierten Metho-                    Dr. oec. troph. Almut Schmid, Naturwissenschaftliche Fakultät,
                                        dik.                                                                              Universität Paderborn
                                                                                                                          Dr. med. Wolfrid Schröer, Klinikum Duisburg, Wedau Kliniken,
                                        Der in Tab. 1 dargestellte Projektplan zeigt die Planungs-,                       Duisburg
                                        Organisations- und Durchführungsschritte, die zur Erstellung                      PD Dr. rer. nat. Dorothee Volkert, Institut für Ernährungswissen-
                                        der Leitlinie führten.                                                            schaft, Universität Bonn
                                                                                                                          Dr. med. Wolfram Weinrebe, Krankenhaus zum Guten Hirten,
                                        Verantwortlich für die Leitlinienentwicklung                                      Ludwigshafen
                                        Prof. Dr. med. Herbert Lochs für die Deutsche Gesellschaft für Er-                Dr. med. Hansjörg Werner, Evangelisches Elisabethenstift, Darm-
                                        nährungsmedizin (DGEM).                                                           stadt
200                                     Dr. med. Ute Krys für die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie                     Dr. med. Rainer Wirth, St.-Marien-Hospital, Borken.
                                        (DGG).
                                                                                                                          Arbeitsgruppenbildung und Unabhängigkeit
                                        Organisationsbüro Leitlinienentwicklung Enterale Ernäh-                           der Gruppenmitglieder
                                        rung                                                                              Bei der Bildung der Arbeitsgruppen wurde versucht, alle betrof-
                                        Dipl. oec. troph. Brigitte Herbst.                                                fenen Fachbereiche und Patientenorganisationen zu integrieren.
                                                                                                                          Die Arbeitsgruppe Geriatrie bestand aus ¾rzten, Ernährungswis-
                                        Mitglieder des Koordinationsteams                                                 senschaftlerinnen und einer Juristin. Alle Experten arbeiteten
                                        Prof. Dr. med. Herbert Lochs*                                                     ehrenamtlich und bezogen keine Honorare. Reisekosten wurden
                                        Prof. Dr. med. Heinrich Lübke                                                     nach den im Hochschulbereich üblichen Richtlinien erstattet.
                                        PD Dr. med. Johann Ockenga*
                                        Dr. med. Matthias Pirlich*                                                        Die Themen Interessenskonflikte und Erklärung der Unabhän-
                                        Dr. rer. nat. Tatjana Schütz*                                                     gigkeit wurden im Rahmen der Arbeitsgruppenleitertreffen und
                                        Dipl. oec. troph. Brigitte Herbst*.                                               innerhalb der Arbeitsgruppe diskutiert und in der Leitlinie Ente-
                                                                                                                          rale Ernährung dargelegt [3].
                                        * Diese Mitglieder des Koordinationsteams arbeiteten ab März
                                        2003 in der AG mit.                                                               Die Fördergesellschaft diätetische Lebensmittel mbH hat die Ar-
                                                                                                                          beit des Organisationsbüros und die Durchführung der verschie-
                                        Arbeitsgruppenmitglieder                                                          denen Arbeitssitzungen finanziell unterstützt. Themen und In-
                                        Dr. med. Mathias Bach, St. Elisabethen Krankenhaus, Frankfurt                     halte der Leitlinien wurden in keiner Weise beeinflusst. Dies
                                        Dr. med. Kristian Hahn, Hufelandhaus, Frankfurt                                   wurde vertraglich festgelegt.
                                        Dr. med. Ute Krys, Evangelisches Krankenhaus, Enger
                                        Dr. med. Andreas Leischker, St. Bonifatius Hospital, Lingen                       Entwicklung der Leitlinie: Ziele und Vorgehen
                                        PD Dr. med. Romana Lenzen-Groûimlinghaus, Ev. Krankenhaus                         Die Leitlinie soll die enterale Ernährung auf eine wissenschaft-
                                        für Geriatrie, Potsdam                                                            lich fundierte Basis stellen. Dazu wurde eine umfassende Litera-
                                        Dr. med. Christian Marburger, Geriatrische Rehabilitationsklinik                  turrecherche und -bewertung der seit 1985 in Englisch, Deutsch
                                        Christophsbad, Göppingen                                                          und Französisch erschienenen Fachpublikationen durchgeführt.
                                        Dr. jur. Sonja Rothärmel, Juristische Fakultät, Universität Gieûen                In der Arbeitsgruppe wurde unter Verwendung von Elementen

                                        Volkert D et al. Leitlinie Enterale Ernährung ¼ Aktuel Ernaehr Med 2004; 29: 198 ± 225
nahrung "542", 9.8.04/maisch/Diskette/may gel.

       des methodischen Verfahrens ¹nominaler Gruppenprozessª
       Empfehlungen erarbeitet. Die Empfehlungen wurden in einem             Tab. 2 Kriterien zur Literaturrecherche: Datenbanken, Schlüssel-
       Symposium der AG Ernährung der Deutschen Gesellschaft für                    worte
       Geriatrie e. V. anlässlich der 11. Jahrestagung der DGG vorge-
       stellt, diskutiert und verabschiedet. Zur Endbearbeitung gingen       Literaturrecherche
                                                                             Zeitraum                             ab mindestens 1.1.1985
       die Texte in die Verantwortung der Arbeitsgruppe zurück. Bei
                                                                             Sprachen                             Deutsch, Englisch, Französisch
       dieser endgültigen Ausformulierung und Kooperation der Grup-
                                                                             Filter                               Human
       penmitglieder kam die Delphi-Methode (schriftliche Befragung
                                                                             Datenbanken                          Medline, Pubmed, Cochrane
       und Beantwortung in mehreren Runden) zum Einsatz. Auûer-
                                                                             Literatur                            Originalarbeiten, Leitlinien, Empfehlungen,
       dem gab es mehrere Arbeitstreffen.                                                                         Metaanalysen, systematische Übersichts-
                                                                                                                  arbeiten, randomisierte kontrollierte Studien,
       Die Leitlinie will auf wissenschaftlicher Basis Indikationen und                                           Beobachtungsstudien
                                                                             Schlüsselwörter
       Kontraindikationen der enteralen Ernährung darlegen und damit
                                                                             (elderly OR geriatric OR aged-80-and-over OR long-term care) AND (enteral
       zur Verbesserung von Gesundheit und Lebensqualität beim älte-         nutrition OR perc* endosc* gastros* OR tube feeding OR nutritional supple-

                                                                                                                                                                    Leitlinie Enterale Ernährung ± Teil 2
       ren Menschen beitragen. Sie will die Grundlage zur einheitlichen      ment* OR oral supplement*
       Handhabung schaffen.                                                  zusätzliche Suchbegriffe
                                                                             nutritional status                   infection/complication
       Für die behandelnden ¾rzte sowie Ernährungsfachkräfte und             aspiration                           rehabilitation

       Pflegepersonal soll die wissenschaftlich abgesicherte Diagnostik      bedsores/pressure sores              wound healing
                                                                             activities of daily living           quality of life
       und Therapie dargestellt und ± über diese ± natürlich dem Pa-
                                                                             nursing home                         community
       tienten zugänglich gemacht werden. Bezogen auf unser Gesund-
                                                                             dementia                             stroke
       heitssystem wird angestrebt, dass die Leitlinie als wissenschaft-
       liche Empfehlung zur adäquaten Behandlung auch im Leistungs-
       katalog der Krankenkassen berücksichtigt wird.

       Literaturrecherche und -bewertung                                     Tab. 3 Evidenzhärtegrade zur Bewertung von Studien nach ¾ZQ
                                                                                    [4]
       Die Suche, Zusammenstellung und Bewertung der Literatur wur-
       de nach den in Tab. 2, 3 u. 4 aufgeführten Kriterien vorgenom-        Härtegrad         Evidenz aufgrund
       men.
                                                                             Ia                von Metaanalysen randomisierter, kontrollierter Studien
       Anmerkungen zur vorhandenen Literatur                                 Ib                von mind. einer randomisierten, kontrollierten Studie
       Die folgenden Ausführungen haben zum Ziel, die Besonderheiten         IIa               von mind. einer gut angelegten kontrollierten Studie ohne
                                                                                               Randomisation
       der enteralen Ernährung in der Geriatrie darzustellen, und basie-                                                                                            201
                                                                             IIb               mind. einer anderen Art von gut angelegter, quasiexperimen-
       ren deshalb primär auf Studien mit ausschlieûlich alten Patien-                         teller Studie
       ten oder Heimbewohnern. Studien mit altersgemischten Kollek-          III               gut angelegter, nicht experimenteller, deskriptiver Studien,
       tiven wurden berücksichtigt, wenn das Durchschnittsalter min-                           wie z. B. Vergleichsstudien, Korrelationsstudien und Fallkontroll-
       destens 65 Jahre betrug oder wenn getrennte Auswertungen für                            studien

       jüngere und ältere Teilnehmer vorgenommen wurden.                     IV                von Berichten der Expertenausschüsse oder Expertenmeinun-
                                                                                               gen und/oder klinische Erfahrungen anerkannter Autoritäten

       Erarbeitung einer konsensusfähigen Fassung                            ¾ZQ = ¾rztliches Zentrum für Qualität in der Medizin
       Die ausgewertete und einbezogene Literatur war die Grundlage
       für die Formulierung von Erstempfehlungen in der Arbeitsgrup-
       pe. Diese wurden während mehreren Treffen nach dem Verfah-
       ren des nominalen Gruppenprozesses diskutiert, überarbeitet           Tab. 4 Einteilung der Empfehlungsklassen nach AHCPR 1993 [4]
       und abgestimmt.                                                       Klasse      Evidenzgrade      Erläuterung ist belegt durch:

       Symposium zur Erzielung eines Konsens                                 A           Ia, Ib            schlüssige Literatur guter Qualität, die mindestens
       Am 6.11.03 stellten die Experten der Arbeitsgruppe im Symposi-                                      eine randomisierte Studie enthält
       um der AG Ernährung auf der Jahrestagung der Deutschen Ge-            B           IIa, IIb, III     gut durchgeführte, nicht randomisierte Studien
       sellschaft für Geriatrie ihre intern abgestimmten Empfehlungen        C           IV                Berichte und Meinungen von Expertenkreisen und/
                                                                                                           oder klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten.
       dem Plenum vor, das aus den anwesenden Mitgliedern der AG Er-                                       Weist auf das Fehlen direkt anwendbarer klinischer
       nährung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und Teilneh-                                       Studien guter Qualität hin
       mern der Jahrestagung bestand (54 Teilnehmer). Der Entwurf
                                                                             AHCPR = (US) Agency for Health Care Policy and Research
       wurde diskutiert, ¾nderungen aufgenommen und die überarbei-
       tete Fassung angenommen.
                                                                            sprachlich überarbeitet. Insbesondere wurde darauf geachtet,
       Weiteres Vorgehen zur Fertigstellung der Entwürfe                    einheitliche Begriffe zur enteralen Ernährung zu verwenden.
       Die Arbeitsgruppe arbeitete in den folgenden Wochen die ¾nde-        Diese waren unter Berücksichtigung rechtlicher und handelsüb-
       rungen ein. In einem abschlieûenden Treffen der Arbeitsgruppe        licher Bezeichnungen festgelegt und in der Leitlinie Enterale Er-
       am 19.2.04 wurde diese Fassung verabschiedet und formal und          nährung veröffentlicht worden [3].

                                                                    Volkert D et al. Leitlinie Enterale Ernährung ¼ Aktuel Ernaehr Med 2004; 29: 198 ± 225
nahrung "542", 9.8.04/maisch/Diskette/may gel.

                                        Aktualisierung und Verbreitung der Leitlinie                                     haben gezeigt, dass die erwünschte Nahrungsmenge über eine
                                        Nach jeweils zwei Jahren wird die DGEM eine Überprüfung der                      PEG zu 100 % [13] bzw. 93 % [14] und damit wesentlich besser
                                        einzelnen Kapitel und gegebenenfalls ¾nderungen vornehmen                        verabreicht werden kann als über eine Nasensonde (76 bzw.
                                        lassen.                                                                          55 % der verordneten Menge). In drei Studien mit ergänzender
                                                                                                                         nächtlicher Sondenernährung wurden zwischen 1000 und
                                                                                                                         1500 kcal pro Nacht zusätzlich zur täglichen Klinikkost verab-
                                        1   Ziele der enteralen Ernährungstherapie in der Geriatrie                      reicht. Hierdurch konnte die gesamte Energie- und Nährstoffver-
                                                                                                                         sorgung deutlich gesteigert werden [15 ± 17].
                                        ± Steigerung der Energie- und Nährstoffzufuhr (quantitativ,
                                          qualitativ),                                                                   1.2 Lässt sich der Ernährungszustand von Alterspatienten
                                        ± Erhaltung oder Verbesserung des Ernährungszustands,                            durch enterale Ernährung erhalten bzw. verbessern?
                                        ± Erhaltung oder Verbesserung der Funktionalität und Aktivi-
                                          tät/Rehabilitationsfähigkeit,                                                  Durch orale Supplementierung lässt sich der Ernährungszu-
                                        ± Erhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität,                                stand erhalten bzw. verbessern (Ia).
Leitlinie Enterale Ernährung ± Teil 2

                                        ± Reduktion der Morbidität und Mortalität.                                       Bei sondenernährten Patienten liefern mehrere Studien unab-
                                                                                                                         hängig von der Hauptdiagnose Hinweise auf Erhalt bzw. Ver-
                                        Die Therapieziele unterscheiden sich bei älteren Patienten nicht                 besserung von Ernährungsparametern, systematische Unter-
                                        grundsätzlich von denen jüngerer Patienten, erfahren jedoch                      suchungen liegen hier jedoch nicht vor. Der vielfach äuûerst re-
                                        eine andere Gewichtung. Während bei jüngeren Erwachsenen                         duzierte Ernährungszustand zum Zeitpunkt der Sondenanlage
                                        die Reduktion von Morbidität und Mortalität Priorität haben,                     erschwert bzw. verhindert möglicherweise häufig eine erfolg-
                                        stehen bei geriatrischen Patienten der Erhalt der Funktionalität                 reiche Ernährungstherapie (III).
                                        und der Lebensqualität im Mittelpunkt. In Anbetracht der gerin-
                                        geren Adaptations- und Regenerationsfähigkeit geriatrischer Pa-                  Kommentar
                                        tienten ist enterale Ernährung bei diesem Patientenkollektiv je-                 Von oraler Trinknahrung werden unabhängig von der Hauptdiag-
                                        doch frühzeitiger und langfristiger indiziert als bei jüngeren Er-               nose überwiegend positive Effekte auf den Ernährungszustand
                                        wachsenen.                                                                       beschrieben. Gewichtsverluste, die üblicherweise infolge akuter
                                                                                                                         Krankheiten und Krankenhausaufenthalte auftreten, können
                                        1.1 Kann man durch enterale Ernährung die Energie- und                           durch die Gabe flüssiger Trinknahrung vermieden werden, viel-
                                        Nährstoffzufuhr bei geriatrischen Patienten verbessern?                          fach wurde sogar eine Zunahme des Körpergewichts erreicht. In
                                                                                                                         der bereits zitierten Cochrane-Übersicht von Milne et al. [5] er-
                                        Durch enterale Ernährung (sowohl orale Supplemente als auch                      gab die gemeinsame Auswertung der prozentualen Gewichtsver-
                                        Sondenernährung) lässt sich bei geriatrischen Patienten die                      änderung von 22 randomisiert kontrollierten Studien mit 1723
202                                     Energie- und Nährstoffzufuhr erhöhen (Ia).                                       älteren Probanden eine mittlere Gewichtszunahme von 2,4 % [5]
                                        Bei Zufuhr über eine Sonde ist die PEG der nasogastralen Sonde                   (Ia). Weniger einheitlich sind die Veränderungen anderer an-
                                        überlegen (Ia).                                                                  thropometrischer Parameter, auch hier spiegeln sich jedoch ins-
                                                                                                                         gesamt Verbesserungen des Ernährungszustands wider [5] (Ia).
                                        Kommentar                                                                        Effekte auf die Körperzusammensetzung wurden bisher selten
                                        Der Effekt oraler Trinknahrung auf die Energie- und Nährstoffzu-                 untersucht. Verschiedentlich wird von einer Zunahme der fett-
                                        fuhr älterer Personen mit Risiko für Mangelernährung wurde                       freien Körpermasse [18,19] (Ib) [20] (IIa) bzw. Körperzellmasse
                                        kürzlich in einer Cochrane-Analyse untersucht [5]. In 20 der da-                 [21] (Ib) bei supplementierten Patienten berichtet, andere Auto-
                                        rin berücksichtigten Studien führte die Supplementierung zu ei-                  ren konnten diesbezüglich jedoch keine ¾nderung feststellen
                                        ner deutlichen Verbesserung der Energie- und Proteinaufnahme.                    [22 ± 24] (Ib) [25] (IIa).
                                        In nur 3 Studien fand sich dagegen keine ¾nderung der Gesamt-
                                        nahrungsaufnahme, da die Patienten die übrige Nahrungsmenge                      Systematische, kontrollierte Untersuchungen zur Entwicklung
                                        reduzierten (Ia). Hierzu muss angemerkt werden, dass der Erfolg                  des Ernährungszustands im Verlauf einer Sondenernährung lie-
                                        oraler Trinknahrung in der klinischen Praxis durch die oft unbe-                 gen nicht vor. Durch die Schwierigkeit, das Körpergewicht der
                                        friedigende Akzeptanz, insbesondere über längere Zeiträume, li-                  meist bettlägerigen Patienten zu bestimmen und durch hohe
                                        mitiert ist. Auch in der Literatur werden Complianceprobleme                     Ausfälle (Mortalität, Sondenentfernung ± insbesondere bei naso-
                                        beschrieben [6 ± 12]. Geschmackliche Vielfalt und Abwechslung                    gastraler Sonde) sind prospektive Auswertungen oft nicht mög-
                                        im Angebot (verschiedene Geschmacksrichtungen, Temperatu-                        lich und Verlaufsdaten nur in sehr begrenztem Umfang vorhan-
                                        ren, Konsistenzen), Aufforderung und Unterstützung durch Pfle-                   den.
                                        gepersonen sowie Verabreichung zwischen (und nicht während)
                                        den Mahlzeiten sind ganz wesentliche praktische Aspekte zur ef-                  Häufig befinden sich enteral ernährte ältere Menschen zum Zeit-
                                        fektiven Steigerung der Energie- und Nährstoffzufuhr.                            punkt der Sonden- bzw. PEG-Anlage in einem äuûerst schlechten
                                                                                                                         Ernährungszustand [26 ± 34]. Eine Verbesserung des Ernäh-
                                        Sondenernährung ermöglicht generell die Verabreichung groûer                     rungszustands bei mangelernährten alten Patienten ist zwar ge-
                                        Energie- und Nährstoffmengen bei Patienten, die nicht oder                       nerell möglich, eine Ernährungstherapie ist jedoch deutlich we-
                                        nicht ausreichend zur oralen Nahrungsaufnahme in der Lage                        niger effektiv als bei jüngeren [35]. Die im Alter ohnehin redu-
                                        sind. Randomisiert kontrollierte Studien, die nasogastrale Son-                  zierte fettfreie Körpermasse/Körperzellmasse ist durch Ge-
                                        denernährung mit enteraler Ernährung über PEG vergleichen,                       wichtsverlust und Mangelernährung noch weiter reduziert, was

                                        Volkert D et al. Leitlinie Enterale Ernährung ¼ Aktuel Ernaehr Med 2004; 29: 198 ± 225
nahrung "542", 9.8.04/maisch/Diskette/may gel.

       eine schlechte Voraussetzung für eine erfolgreiche Ernährungs-        ernährter geriatrischer Patienten und Volkert et al. [6] (Ib) in ei-
       therapie darstellt. ¾ltere Patienten mit Mangelernährung reagie-      ner Subgruppe von Studienteilnehmern mit guter Akzeptanz des
       ren auf Ernährungsmaûnahmen mit geringerer Zunahme der                Supplements über 6 Monate. Woo et al. [44] beschreiben bei Pa-
       fettfreien Körpermasse/Körperzellmasse als junge [35]. Zum            tienten mit Lungenentzündung nach 3-monatiger Intervention
       Aufbau von Körperzellmasse benötigen sie im Vergleich zu jün-         einen signifikant besseren ADL-Status als in der Kontrollgruppe.
       geren gröûere Nahrungsmengen [36]. Darüber hinaus stellt kör-         In mehreren Studien waren jedoch im Hinblick auf die Selbst-
       perliche Aktivität eine wichtige Voraussetzung zum Aufbau von         ständigkeit bei Alltagsverrichtungen keine Unterschiede zwi-
       Körperzellmasse dar [37]. Viele sondenernährte Patienten sind         schen den Gruppen nachweisbar [21, 22, 45 ± 47] (Ib) [10, 48]
       jedoch bettlägerig und immobil und zu aktiver Muskelarbeit            (IIa). Die Mobilität blieb in mehreren Studien ebenfalls unbeein-
       nicht mehr in der Lage.                                               flusst [7, 42, 45] (Ib) [10] (IIa). Auch die Handkraftstärke war in
                                                                             den meisten Studien unverändert [7,10,11,19, 23, 49 ± 51] (Ib)
       Dennoch liefern mehrere Studien bei geriatrischen Patienten mit       [20] (IIa). Lediglich eine randomisierte Studie [52] (IIa) sowie
       multiplen Krankheiten positive Hinweise im Hinblick auf den Er-       zwei nicht randomisierte [25, 53] und eine nicht kontrollierte
       nährungszustand, wie Erhalt von Körpergewicht [26, 27, 31, 38]        Studie [54] (IIb) berichten von verbesserter Handkraft bei sup-

                                                                                                                                                              Leitlinie Enterale Ernährung ± Teil 2
       (III) und Albuminwerten [27, 38] (III) bzw. Anstieg der Albumin-      plementierten Patienten. In 4 Untersuchungen wurden die Effek-
       werte [26, 31, 39] (III). In 2 Studien bei hochbetagten, überwie-     te auf die geistige Leistungsfähigkeit überprüft und ebenfalls kei-
       gend dementen Heimbewohnern werden sogar Gewichtszunah-               ne Veränderungen festgestellt [22, 42, 50] (Ib) [48] (IIa).
       men bei groûen Teilen der Untersuchten berichtet [40, 41]. Ver-
       besserungen im Ernährungszustand werden auch bei alten Pa-            Alte Patienten, bei denen sich die Frage nach enteraler Sondener-
       tienten mit neurologisch bedingten Schluckstörungen beschrie-         nährung stellt, befinden sich zu diesem Zeitpunkt sehr häufig in
       ben, wobei sich die Entwicklung bei PEG-ernährten Patienten           schlechtem Allgemeinzustand und sind meist schwer funktionell
       deutlich besser darstellt als bei nasogastraler Ernährung [13,14]     beeinträchtigt [26, 32, 38, 55 ± 57]. Auch Untersuchungen mit
       (Ib).                                                                 Heimbewohnern beschreiben eine groûe Gebrechlichkeit und
                                                                             Abhängigkeit bei PEG-versorgten Bewohnern [32, 41, 58 ± 61]
       Der Effekt nächtlicher Sondenkostgabe zusätzlich zur oralen Er-       (III).
       nährung bei älteren Patienten mit Hüft- bzw. Femurfraktur wird
       in 3 randomisiert kontrollierten Studien uneinheitlich beschrie-      Zur Entwicklung des funktionellen Status bzw. der Rehabilita-
       ben [15 ± 17]. Die gröûten Erfolge berichten Bastow et al. [15] bei   tionsfähigkeit im Verlauf einer enterale Ernährung über Sonden
       unterernährten Patienten (vgl. 2.4).                                  liegen nur wenige, nicht kontrollierte Studien bei Alterspatien-
                                                                             ten vor [26, 28, 32, 62, 63]. Callahan et al. [26] stellten in einer
       Insgesamt liefern die derzeit vorliegenden Untersuchungen so-         prospektiven Studie bei 72 PEG-ernährten Patienten mit schwe-
       mit Hinweise auf verbesserte Ernährungsparameter im Verlauf           ren körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen nur selten
       der Sondenernährung. Zumindest ein Teil der sondenernährten           eine Verbesserung des funktionellen Status fest (IADL 6 %, ADL                   203
       Alterspatienten profitiert in dieser Hinsicht von der enteralen Er-   10 %, obere Körperfunktionen 18 %, untere Körperfunktionen
       nährungstherapie, unabhängig von der Hauptdiagnose.                   29 %). Die Patienten wurden dabei vor und nach PEG-Anlage mit
                                                                             Hilfe von mehreren ADL-Skalen eingeschätzt (IIb). Kaw u. Sekas
       1.3 Können der funktionelle Status bzw. die Rehabilitati-             [32] sahen bei sondenernährten Heimbewohnern in schlechtem
       onsfähigkeit durch enterale Ernährung erhalten oder verbes-           Allgemeinzustand (52 % Demenz, 48 % völlig ADL-abhängig)
       sert werden?                                                          ebenfalls keine Verbesserung des funktionellen Status nach 18
                                                                             Monaten. Zur Einschätzung der Funktionen wurde die ¹Functio-
       Eine generelle Aussage zur Entwicklung des funktionellen Sta-         nal Independence Measure Scale (FIM)ª benutzt (III). Weaver et
       tus und der Rehabilitationsfähigkeit durch orale Supplemen-           al. [63] benutzten zur Funktionseinschätzung die ¹Quality of
       tierung oder Sondenernährung ist nicht möglich, da nur weni-          Life Scaleª adaptiert nach Spitzer. Dabei werden Orientierung,
       ge Studien mit unterschiedlicher Methodik zum Thema vorlie-           Kommunikationsfähigkeit, Grundpflegefähigkeit und Kontinenz
       gen.                                                                  erfasst. Bei einem gemischten Kollektiv PEG-ernährter Patienten
                                                                             wurde keine signifikante ¾nderung nach Langzeiternährung ge-
       Kommentar                                                             funden. Angehörige der Patienten mit niedrigstem Wert auf der
       Der Effekt oraler Trinknahrung auf die funktionellen Fähigkeiten      Funktionsskala tendierten dabei zu einem Nein auf die Frage, ob
       älterer Patienten ist derzeit nicht eindeutig abzuschätzen. Die       sie in gleicher Situation an Stelle der Patienten eine Sondenver-
       Datenlage ist uneinheitlich, zu viele unterschiedliche Parameter      sorgung wünschen würden (IIb). Nair et al. [28] konnten bei De-
       erlauben hier keine Metaauswertung [5]. Nur wenige Studien            menzkranken mithilfe der ¹Karnofsky Performance Scaleª eben-
       liefern bisher Hinweise auf signifikante Verbesserungen. So be-       falls keine Verbesserung der Funktionen nach 6 Monaten Ernäh-
       richten z. B. Gray-Donald et al. [11] (Ib) von einer geringeren       rung über PEG feststellen (IIa). Lediglich Sanders et al. [62] be-
       Sturzhäufigkeit bei supplementierten im Vergleich zu nicht sup-       schreiben in einer prospektiven Untersuchung bei 25 Schlagan-
       plementierten, gebrechlichen zu Hause lebenden Senioren und           fallpatienten (Durchschnittsalter 80 Jahre) mit enteraler Ernäh-
       Unosson et al. [42] (Ib) von einem höheren Aktivitätsniveau bei       rung über PEG-Sonde (PEG-Anlage im Mittel 14 Tage nach
       Patienten einer Langzeitpflegeeinrichtung nach 8-wöchiger ora-        Schlaganfallereignis) eine Verbesserung der Alltagsfähigkeiten.
       ler Supplementierung. Verbesserungen in den ADL (Fähigkeit zur        Der Barthel-Index betrug bei PEG-Anlage bei 84 % der Patienten
       Verrichtung grundlegender Aktivitäten des täglichen Lebens) be-       0 Punkte, im Mittel 0,5 Punkte. Nach 6 Monaten war ein Anstieg
       richten Potter et al. [43] (Ib) in einer Subgruppe schwer mangel-     auf durchschnittlich 4,8 Punkte zu verzeichnen. 6 Patienten

                                                                     Volkert D et al. Leitlinie Enterale Ernährung ¼ Aktuel Ernaehr Med 2004; 29: 198 ± 225
nahrung "542", 9.8.04/maisch/Diskette/may gel.

                                        (24 %) zeigten eine deutliche Verbesserung in den Alltagsfähig-                  Daten zur subjektiven LQ nach PEG-Anlage bei Alterspatienten
                                        keiten (Barthel-Index-Anstieg von 0,5 auf 9 Punkte). 10 Patienten                und/oder deren Angehörigen zu erheben. Von den Patienten, die
                                        zeigten keine oder nur eine minimale Besserung im Barthel-In-                    nach einem Jahr noch lebten und weiterhin über PEG ernährt
                                        dex (IIa).                                                                       wurden (n = 23), waren 85 % nicht fähig, ihren Haushalt zu füh-
                                                                                                                         ren, 67 % waren zur Grundpflege nicht in der Lage und 19 % gaben
                                        1.4 Lässt sich durch enterale Ernährung eine Verkürzung                          ein starkes Krankheitsgefühl an. Dennoch war die Mehrheit von
                                        der stationären Behandlungsdauer erreichen?                                      Patienten und Angehörigen der Meinung, dass sie die richtige
                                                                                                                         Entscheidung bei der Zustimmung zur PEG getroffen hätten.
                                        Orale Supplemente verkürzen die Krankenhausverweildauer                          Alle 10 Patienten, die nach 1 Jahr noch lebten und befragt werden
                                        bei geriatrischen Patienten mit manifester oder drohender                        konnten, gaben an, dass sie sich wieder für die PEG entscheiden
                                        Mangelernährung (Ia).                                                            würden. Bei 3 dieser 10 Patienten war eine Verschlechterung im
                                                                                                                         Karnofsky-Index eingetreten, bei 6 Patienten eine Besserung
                                        Kommentar                                                                        (IIb). Diese Ergebnisse lassen jedoch auch nach Ansicht der Auto-
                                        Durch die gemeinsame Auswertung mehrerer Studien konnte in                       ren nicht unbedingt Rückschlüsse auf eine verbesserte Lebens-
Leitlinie Enterale Ernährung ± Teil 2

                                        der Cochrane-Analyse von Milne et al. [5] im Hinblick auf die                    qualität zu. Weaver et al. [63] evaluierten die subjektive Lebens-
                                        Verweildauer im Krankenhaus ein statistisch signifikanter Bene-                  qualität durch Interviews und stellen eine Korrelation zwischen
                                        fit oraler Trinknahrung nachgewiesen werden. Die mittlere Liege-                 subjektiver und objektiver Lebensqualität fest (vgl. 1.3). Signifi-
                                        dauer war in 7 Studien mit 658 Teilnehmern in der Supplement-                    kante ¾nderungen wurden auch bei der subjektiven Lebensqua-
                                        gruppe um 3 ± 4 Tage kürzer als in der nicht supplementierten                    lität nicht beobachtet (IIb). Abitbol et al. [31] benutzten in einer
                                        Gruppe (95 %-KI ± 6,1 bis ± 0,7 Tage) (Ia). Werden Patienten mit                 prospektiven Multizenterstudie die ¹Behavior Scaleª (ECPA) und
                                        Schenkelhalsfrakturen separat betrachtet, ergeben sich in eini-                  die ¹MADRS Depression Scaleª, um die Lebensqualitätsverbesse-
                                        gen Studien sogar deutlich gröûere Effekte [64 ± 67], die aller-                 rung nach enteraler Ernährung über PEG-Sonde bei 59 institutio-
                                        dings in anderen Arbeiten nicht bestätigt werden [68] (vgl. 2.4).                nalisierten Patienten mit einem Durchschnittsalter von 85 Jah-
                                                                                                                         ren einzuschätzen. Die Patienten waren bettlägerig, im Allge-
                                        1.5 Lässt sich durch enterale Ernährung eine Verbesserung                        meinzustand sehr reduziert und wiesen in 25 % der Fälle Infek-
                                        der Lebensqualität (LQ) erreichen?                                               tionen auf. 3 Monate nach enteraler Ernährung über PEG-Sonde
                                                                                                                         konnte bei den Überlebenden kein signifikanter Effekt auf den
                                        Die Wirkung von oraler Supplementierung/Sondenernährung                          Behaviour-Score festgestellt werden, obwohl der Depressions-
                                        auf die Lebensqualität ist nicht gesichert.                                      Score sich tendenziell verbesserte. Allerdings erreichten 16 Pa-
                                                                                                                         tienten eine orale Nahrungsaufnahme und 6 Patienten konnten
                                        Kommentar                                                                        mit PEG in die häusliche Umgebung entlassen werden (IIb).
                                        Obwohl die Lebensqualität von zentraler Bedeutung zur Beurtei-
204                                     lung des Therapienutzens in der Geriatrie ist, befassen sich nur                 Insgesamt lässt sich damit auch aus den Studien bei sondener-
                                        wenige Studien mit dieser Thematik. Dabei werden sehr unter-                     nährten Patienten keine eindeutige Wirkung auf die Lebensqua-
                                        schiedliche Parameter zur Einschätzung der Lebensqualität ver-                   lität ableiten.
                                        wendet.
                                                                                                                         1.6 Lässt sich bei geriatrischen Patienten durch enterale Er-
                                        In verschiedenen Studien zur Wirksamkeit von oralen Supple-                      nährung eine Verlängerung der Lebenszeit erreichen?
                                        menten wurden hierzu beispielsweise folgende Parameter unter-
                                        sucht: allgemeines Wohlbefinden, selbst-empfundene Gesund-                       Orale Supplementierung verbessert in der Gesamtgruppe die
                                        heit, 36-Punkte-Gesundheitsstatus (SF-36), Krankenhaus-Angst-                    Lebenserwartung (Ia).
                                        und-Depressions-Skala (HADS). Teilweise werden Verbesserun-                      Bei Patienten, die aufgrund der Schwere der Grunderkrankun-
                                        gen beschrieben [7, 52, 69] (IIa), andere Studien stellen dagegen                gen eine enterale Ernährung über Sonde benötigen, ist eine Ver-
                                        keine Veränderung fest [11, 24, 49] (IIa). Die dürftige Datenlage                längerung der Lebenszeit nicht gesichert.
                                        lässt somit keine allgemeinen Schlussfolgerungen über den Ein-
                                        fluss oraler Trinknahrung auf die Lebensqualität zu.                             Kommentar
                                                                                                                         Die Frage, inwieweit eine orale Trinknahrung Einfluss auf die
                                        Wesentliche Schwierigkeiten bei der Erhebung von Daten zur Le-                   Mortalität älterer Menschen mit Mangelernährungsrisiko hat,
                                        bensqualität bestehen bei alten Patienten durch die gehäuft auf-                 wurde ebenfalls in der Cochrane-Analyse von Milne et al. [5] un-
                                        tretenden Einschränkungen von Kognition, Vigilanz und Spra-                      tersucht. Daten aus 22 randomisiert kontrollierten Studien mit
                                        che. Dies wird insbesondere bei den nachfolgend beschriebenen                    1755 Teilnehmern ergaben in einer metaanalytischen Berech-
                                        Studien zur Sondenernährung deutlich. So waren in der Untersu-                   nung ein geringeres Mortalitätsrisiko bei supplementierten Se-
                                        chung von Callahan et al. [26] 60 % der Patienten zum Zeitpunkt                  nioren im Vergleich zu nicht supplementierten (RR 0,67; 95 %-KI
                                        der PEG-Anlage nicht in der Lage, zu kommunizieren, die Mehr-                    0,52 ± 0,87) [5] (Ia). Die Probanden wurden hierbei mindestens
                                        heit der Patienten mit erhaltener Kommunikationsfähigkeit war                    eine Woche supplementiert und die Beobachtungszeit betrug
                                        kognitiv schwer eingeschränkt (IIb). In einer von Bannerman et                   mindestens 2 Wochen. Eine weitere Metaanalyse von 12 rando-
                                        al. [70] untersuchten Kohorte von 215 Patienten konnten nur                      misierten kontrollierten Studien (n = 1146) und 5 nicht randomi-
                                        bei 30 Patienten Daten zur subjektiven LQ erhoben werden (IIb).                  sierten Studien über den Effekt einer oralen Supplementation bei
                                        Verhoef et al. [71] verwendeten semistrukturierte Interviews                     geriatrischen Patienten im Krankenhaus (gemischte Diagnosen)
                                        bzw. die Karnofsky-Skala und den ¹Quality-of-Lifeª-Index, um                     kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis (RR 0,58; 95 %-KI

                                        Volkert D et al. Leitlinie Enterale Ernährung ¼ Aktuel Ernaehr Med 2004; 29: 198 ± 225
nahrung "542", 9.8.04/maisch/Diskette/may gel.

       0,4 ± 0,83) [72] (Ia). Dagegen ergab eine Metaanalyse von 5 Stu-       Kontrollgruppe) und 83 bzw. 46 % waren schwer ADL-abhängig.
       dien mit oraler Energie- und Proteinsupplementierung speziell          Die Mortalität war mit 22 bzw. 12 % nach 1 Jahr vergleichsweise
       bei Patienten mit Hüftfrakturen kein verringertes Mortalitätsri-       gering. In der Untersuchung von Bourdel-Marchasson et al. [58]
       siko [68]. Auch die Studien mit ergänzender nächtlicher Sonden-        (III) bei einem gemischten Kollektiv von Altenheimbewohnern
       ernährung bei Hüftfrakturpatienten liefern kein anderes Ergeb-         und hoher Abhängigkeit in den Alltagsaktivitäten betrug die
       nis (vgl. 2.4).                                                        Mortalität nach 30 Tagen bei Bewohnern mit PEG-Versorgung
                                                                              14 % gegenüber 10 % bei Bewohnern ohne künstliche Ernährung.
       Der Effekt enteraler Sondenernährung auf die Lebenserwartung           Auch diverse gastrointestinale und pulmonale Komplikationen
       von Alterspatienten wurde in 9 kontrollierten Studien (Tab. 5)         waren nicht signifikant unterschiedlich. Die Häufigkeit von De-
       und zahlreichen Beobachtungsstudien (Tab. 6) untersucht.               menz im Heim wird mit 55 %, von Schlaganfällen mit 19 % ange-
                                                                              geben, für das untersuchte Kollektiv werden keine spezifischen
       Aus ethischen Gründen ist keine der kontrollierten Studien ran-        Angaben gemacht.
       domisiert. Vier dieser Studien wurden in Kliniken durchgeführt
       [28, 73 ± 75], 5 bei Heimbewohnern [58 ± 61, 76]; 2 der Studien        2 weitere Studien kommen bei schluckgestörten Klinikpatienten

                                                                                                                                                               Leitlinie Enterale Ernährung ± Teil 2
       sind prospektiv angelegt [28, 73], die anderen vergleichen retro-      zu unterschiedlichen Ergebnissen. Croghan et al. [76] berichten
       spektiv eine Gruppe enteral ernährter Patienten mit einer Grup-        bei 15 sondenernährten und 7 nicht sondenernährten Patienten
       pe ohne enterale Ernährung.                                            mit Aspiration, die überwiegend aufgrund zerebrovaskulärer Er-
                                                                              eignisse videofluoroskopiert wurden, keinen Mortalitätsunter-
       In 5 Studien werden Probanden mit fortgeschrittener Demenz             schied. Cowen et al. [74] (III) rekrutierte 149 schwer kranke Kli-
       untersucht [28, 59, 60, 73, 75]. Die jüngste dieser Arbeiten be-       nikpatienten mit Schluckstörungen unterschiedlicher Ursache
       schreibt retrospektiv bei 23 schwer dementen, dysphagischen            und verglich die Mortalität von drei Subgruppen nach 1 Jahr:
       Patienten mit PEG und bei 18 Patienten, bei denen gegen eine           Von 80 Patienten, die eine PEG erhielten, waren 60 % verstorben,
       PEG entschieden wurde, eine mittlere Überlebenszeit von 59             von 18 Patienten, deren Zustand sich in der Klinik spontan gebes-
       bzw. 60 Tagen [75]. Eine Datenbankanalyse von Mitchell et al.          sert hat, 10 % und von 51 weiteren Patienten ohne PEG 78 %. In der
       aus dem Jahre 1997 [60] bei 1386 Heimbewohnern mit schwerer            letztgenannten Gruppe hatten 28 die enterale Ernährung ver-
       zerebraler Schädigung ± davon 135 enteral ernährt ± ergab eben-        weigert, 12 verstarben vor der PEG-Anlage, einer wurde verlegt
       falls keinen Überlebensvorteil durch enterale Ernährung (III). Die     und 10 wurden nasogastral ernährt.
       Mortalitätsrate nach 1 Jahr war mit ca. 15 % erstaunlich gering.
       Meier et al. [73] rekrutierten prospektiv 99 akut erkrankte Klinik-    Mit dieser Studie von Cowen et al. [74] wird die Problematik aller
       patienten mit fortgeschrittener Demenz. 17 dieser Patienten            nicht randomisierten, kontrollierten Studien offensichtlich: die
       wurden bereits bei Klinikaufnahme über PEG ernährt, 51 Patien-         mangelnde Vergleichbarkeit der Gruppen mit und ohne enterale
       ten erhielten in der Klinik eine PEG, die übrigen 31 Patienten er-     Ernährung. Tatsächlich waren in allen genannten Studien die en-
       nährten sich oral. Mit oder ohne Sonde war nach 6 Monaten etwa         teral ernährten Patienten hinsichtlich entscheidender Kriterien                  205
       die Hälfte der Patienten verstorben. Nair et al. [28] stellte bei 55   nicht vergleichbar. Die einzige Ausnahme stellt die Untersu-
       schwer dementen Klinikpatienten mit PEG prospektiv nach 6              chung von Rudberg et al. [59] dar. In den Studien von Meier et
       Monaten eine höhere Mortalität fest als bei einer Kontrollgruppe       al. [73] und Murphy u. Lipman [75] sind die Gruppen nicht näher
       ohne PEG (44 vs. 26 %). Die Gruppen waren nach Angabe der Au-          beschrieben.
       toren hinsichtlich Alter, Geschlecht und Komorbidität vergleich-
       bar, allerdings hatten die PEG-Patienten im Gegensatz zur Kont-        In nicht randomisierten Studien unterscheiden sich offensicht-
       rollgruppe häufig schwere Hypoalbuminämien (mittlere Albu-             lich Patienten, die enteral ernährt werden von Patienten, bei de-
       minkonzentration 28,6  5 vs. 33,2  4 g/L). Die einzige Studie,       nen ± aus welchen Gründen auch immer ± gegen die enterale Er-
       die eine signifikant geringere Mortalität bei Altenheimbewoh-          nährung entschieden wurde. Vermutlich ist die Entscheidung für
       nern mit schwerer kognitiver Einschränkung feststellt, ist die         bzw. gegen enterale Ernährung in gewisser Weise mit dem Zu-
       Datenbankanalyse von Rudberg et al. [59]. Nach 30 Tagen waren          stand des Patienten assoziiert. Darüber hinaus wird auch die He-
       in der Gruppe enteral ernährter Senioren mit 15 % deutlich weni-       terogenität geriatrischer Patientenkollektive deutlich. Eine Viel-
       ger Todesfälle zu verzeichnen als in der Kontrollgruppe (30 %).        zahl einflussreicher Parameter ± Diagnose, Komorbidität, Ernäh-
       Nach einem Jahr war der Unterschied weniger stark ausgeprägt,          rungs- und Allgemeinzustand, zahlreiche funktionelle Variablen
       aber immer noch signifikant (50 vs. 61 %). Die Kontrollgruppe          wie Kognition, Vigilanz, Selbsthilfefähigkeit, Mobilität, Konti-
       war hinsichtlich des Demenzgrades, der Komorbiditäten, des             nenz ± sind in unterschiedlicher Kombination und Ausprägung
       funktionellen Status und des BMI vergleichbar (III).                   vorhanden.

       Zwei weitere kontrollierte Studien mit Heimbewohnern unter-            In den Beobachtungsstudien zur Mortalität enteral ernährter
       schiedlicher Diagnosen und geringerer Anteile Demenzkranker            älterer Menschen wird zum überwiegenden Teil die Mortalität
       fanden ebenso wie die erstgenannten Studien keinen Überle-             nach 30 Tagen bzw. nach 1 Jahr beschrieben (Tab. 6). Unter-
       bensvorteil durch enterale Ernährung. In der Datenbankanalyse          schiedlich lange Beobachtungszeiträume und unterschiedliche,
       von Mitchell et al. aus dem Jahre 1998 war die Mortalität bei          in sich heterogene Kollektive erschweren Vergleiche zwischen
       551 sondenernährten Heimbewohnern mit Kau- und Schluckstö-             diesen Studien. Meist sind die Kollektive zudem nur sehr unge-
       rungen sogar gröûer als bei 4715 Bewohnern ohne Ernährungs-            nau beschrieben. Die 30-Tage-Mortalität wird in diesen Studien
       maûnahme [61] (III). Etwa die Hälfte der Probanden war schwer          überwiegend zwischen 10 und 30 % angegeben. Niedrigere Ster-
       kognitiv beeinträchtigt (66 % der Sondenernährten vs. 46 % der         beraten werden von Abuksis et al. [55] und Dwolatzky et al. [77]

                                                                      Volkert D et al. Leitlinie Enterale Ernährung ¼ Aktuel Ernaehr Med 2004; 29: 198 ± 225
nahrung "542", 9.8.04/maisch/Diskette/may gel.

                                        bei dementen Senioren berichtet, von Finucane et al. [78] und                    gedauer und Reduktion der Mortalität [5] (Ia) (vgl. 1.1, 1.2, 1.4,
                                        von Horton et al. [79] bei geriatrischen Patienten, die überwie-                 1.6). Flüssige Zusatznahrung ist deshalb in dieser Indikation ein-
                                        gend von zerebrovaskulären Ereignissen betroffen waren und                       deutig zu empfehlen (A). Effekte auf Funktionalität und Lebens-
                                        von Ciocon et al. [27] bei einem gemischten Kollektiv alter Pa-                  qualität sind dagegen aufgrund mangelhafter Datenlage nicht
                                        tienten. Eine extrem hohe 30-Tage-Mortalität von 46 bzw. 54 %                    gesichert (vgl. 1.3 und 1.5).
                                        beschreiben Schneider et al. [80] und Sanders et al. [57] bei de-
                                        menten Senioren.                                                                 Auch die Effekte von Sondenernährung bei Mangelernährung
                                                                                                                         sind aufgrund dürftiger Studienlage unklar. Häufig wird Sonden-
                                        1 Jahr nach enteralem Ernährungsbeginn liegen die Mortalitäts-                   ernährung erst bei fortgeschrittener Mangelernährung begon-
                                        raten zwischen 15 und 90 % (Tab. 6). Auch hier finden sich sowohl                nen, dieser Zustand stellt jedoch generell eine schlechte Voraus-
                                        die niedrigste als auch die höchste Mortalitätsrate bei dementen                 setzung für erfolgreiche Ernährungstherapie dar (vgl. 1.2). Den-
                                        Kollektiven [57, 60] (vgl. 2.6).                                                 noch liefern mehrere Studien Hinweise auf Verbesserung bzw.
                                                                                                                         Erhalt von Ernährungsparametern durch Sondenernährung bei
                                        Insgesamt lässt sich die Frage nach einer Verlängerung der Le-                   mangelernährten alten Patienten [26, 27, 31] (III). Auswirkungen
Leitlinie Enterale Ernährung ± Teil 2

                                        benszeit durch eine enterale Sondenkost somit nicht zufrieden                    auf Funktionalität und Lebensqualität konnten jedoch nicht gesi-
                                        stellend beantworten. Auch Mitchell et al. [81] kommen in einer                  chert werden (vgl. 1.3 und 1.5). Es wird dringend empfohlen, Er-
                                        Metaanalyse von 7 kontrollierten Studien zur Mortalität mit                      nährungstherapie nicht erst bei schwerer Mangelernährung zu
                                        bzw. ohne PEG zu dem Schluss, dass der Einfluss enteraler Ernäh-                 beginnen, sondern frühzeitig, sobald Hinweise auf Ernährungsri-
                                        rung auf die Lebenserwartung sich aus dem vorliegenden Daten-                    siken vorliegen, und solange körperliche Aktivität noch möglich
                                        material nicht ableiten lässt. Aussagekräftige Studien sind drin-                ist und enterale Ernährung zum Erhalt der Muskelmasse beitra-
                                        gend erforderlich.                                                               gen kann (C).

                                                                                                                         2.2 Ist eine enterale Ernährung bei multimorbiden ge-
                                        2   Enterale Ernährung bei speziellen Krankheitszuständen                        brechlichen ¾lteren indiziert?

                                        2.1 Ist bei Patienten mit Mangelernährung eine enterale Er-                      Bei multimorbiden, gebrechlichen ¾lteren wird orale Supple-
                                        nährung indiziert?                                                               mentierung zur Verbesserung des Ernährungszustandes emp-
                                                                                                                         fohlen (A).
                                        Drohende und manifeste Mangelernährung stellen wesentliche                       Multimorbide, gebrechliche ¾ltere profitieren von enteraler Er-
                                        und eigenständige Indikationen zur enteralen Ernährung in                        nährung über Sonde, solange der Allgemeinzustand stabil ist
                                        der Geriatrie dar. Orale Supplementierung wird zur Steigerung                    (nicht im Endzustand). Sondenernährung wird daher bei einem
                                        der Energie- und Nährstoffaufnahme, Erhalt bzw. Verbesse-                        Ernährungsrisiko frühzeitig empfohlen (B) .
206                                     rung des Ernährungszustands, Verkürzung der Liegedauer
                                        und Verringerung der Mortalität empfohlen (A).                                   Kommentar
                                        Enterale Ernährung wird bei Hinweisen auf Ernährungsrisiken                      Gebrechliche ältere Menschen (¹frail elderlyª) sind durch die
                                        (z. B. unzureichende Nahrungsaufnahme, unbeabsichtigter Ge-                      Präsenz von medizinischer, physikalischer und psychologischer
                                        wichtsverlust > 5 % in 3 Monaten bzw. > 10 % in 6 Monaten,                       Komorbidität in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt (körper-
                                        BMI-Werte unter 20 kg/m2 sowie Albuminwerte unter 35 g/L)                        lich und/oder geistig), infolgedessen bei alltäglichen Handlungen
                                        frühzeitig empfohlen (B).                                                        hilfe- und/oder pflegebedürftig und anfällig für Komplikationen.
                                                                                                                         Die bedarfsgerechte Versorgung mit Flüssigkeit und Nährstoffen
                                        Kommentar                                                                        stellt gerade bei diesen ¾lteren häufig ein Problem dar. Multi-
                                        Mangelernährung ist mit einer schlechten Prognose für den wei-                   morbide gebrechliche Senioren weisen daher einerseits ein be-
                                        teren Krankheitsverlauf verbunden (vgl. S. 193 f.). Da Verluste                  sonderes Risiko für Mangelernährung bzw. eine manifeste Man-
                                        von fettfreier Körpermasse bzw. Körperzellmasse im Alter nur                     gelernährung auf und sind andererseits bei manifester Malnutri-
                                        schwer wieder ausgeglichen werden können, muss bereits bei                       tion besonders gefährdet.
                                        drohender Mangelernährung für den Erhalt des Ernährungszu-
                                        stands durch Sicherung bedarfsgerechter Energie- und Nähr-                       Erfahrungsgemäû hängt die Fähigkeit zur oralen Nahrungsauf-
                                        stoffaufnahme gesorgt werden. Wesentliche Hinweise auf Man-                      nahme auch vom Grad der Gebrechlichkeit ab. Das Nachlassen
                                        gelernährung liefern dabei BMI-Werte unter 20 kg/m2, ein auf-                    der Fähigkeit zur oralen Nahrungsaufnahme kann dabei Hinweis
                                        fälliger unbeabsichtigter Gewichtsverlust > 5 % in 3 Monaten                     für das Fortschreiten oder die Schwere der Erkrankung bzw. der
                                        bzw. >10 % in 6 Monaten sowie Albuminwerte unter 35 g/L. Ap-                     Gebrechlichkeit sein (IV).
                                        petitverlust, Reduktion der üblichen Nahrungsmenge und/oder
                                        stressbedingt erhöhter Bedarf weisen auf ein Risiko für Mangel-                  Orale Trinknahrung bewirkt bei gemischten Kollektiven multi-
                                        ernährung hin (vgl. S. 191).                                                     morbider Senioren mit unterschiedlichen akuten und/oder chro-
                                                                                                                         nischen Krankheiten ± sowohl zu Hause als auch in Heimen und
                                        In einer Cochrane-Analyse von 31 Studien mit insgesamt 2464                      Kliniken ± überwiegend eine signifikante Steigerung der Ener-
                                        randomisierten älteren Personen mit Risiko bzw. mit manifester                   gie- und Nährstoffzufuhr sowie eine Stabilisierung bzw. Verbes-
                                        Mangelernährung sind die positiven Effekte oraler Trinknahrung                   serung des Ernährungszustands. Effekte auf Körperfunktionen
                                        belegt: Steigerung der Energie- und Nährstoffaufnahme, Erhalt                    und Lebensqualität sind aufgrund mangelhafter Datenlage nicht
                                        bzw. Verbesserung des Ernährungszustands, Verkürzung der Lie-                    gesichert (Tab. 7). Effekte auf die Dauer des Klinikaufenthalts

                                        Volkert D et al. Leitlinie Enterale Ernährung ¼ Aktuel Ernaehr Med 2004; 29: 198 ± 225
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