GOOD NEWS FROM AFRICA - OEAD

 
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Sozial Extra https://​doi.org/​10.1007/​s12054-​020-​00262-x
© The Author(s) 2020
Einblick

                  Good News from Africa
                   Soziale Arbeit in Afrikas Region der Großen Seen
                   Soziale Arbeit in Afrikas Region der Großen Seen hat mit großen sozialen Problemen zu kämpfen und ist auch
                   als Profession mit beträchtlichen strukturellen Herausforderungen konfrontiert. Während in der Ausbildung
                   importierte Theorien und Konzepte aus Europa und Nordamerika dominieren, haben in der Praxis zumeist
                   internationale Fördergeber das Sagen. Ein internationales Projekt hatte die Professionalisierung Sozialer
                   Arbeit in einigen dieser Länder zum Ziel.

I
    n den westlichen Medien und europäischen Köp-                                      Die großen sozialen Probleme in Subsahara-Afrika sind
    fen wird Afrika zumeist einseitig als „K-Kontinent“                               – bei aller Vorsicht, was Verallgemeinerungen betrifft –
    dargestellt und wahrgenommen: Kontinent der Krie-                                 absolute Armut, soziale Ungleichheit, hohe Arbeitslo-
ge, Katastrophen, Krisen, Krankheiten und Korruption.                                 sigkeit (vor allem bei der jungen Generation), fehlende
Tatsächlich handelt es sich um einen bunten Kontinent                                 soziale Sicherheit, Fluchtbewegungen, Menschenrechts-
mit 54 Staaten und einer beträchtlichen geographischen,                               verletzungen sowie politische Gewalt, die sich in eini-
klimatischen, kulturellen, sozialen, politischen und öko-                             gen Ländern in Form bewaffneter Konflikte manifes-
nomischen Vielfalt. Die Lebenswelten der Menschen se-                                 tiert. Hinzu kommen gravierende Auswirkungen des
hen entsprechend sehr unterschiedlich aus. Während der                                Klimawandels, beispielsweise durch anhaltende Dürre-
Großteil der Bevölkerung nach wie vor auf dem Land                                    perioden, die besonders in Ostafrika zu Nahrungsmit-
lebt, verzeichnen einige afrikanische Staaten gleichzei-                              telkrisen geführt haben (Society for International Deve-
tig die höchsten Urbanisierungsraten der Welt (Hove                                   lopment 2016, S. 21).
et al. 2013). In den Großstädten gibt es immer mehr                                    Soziale Arbeit stellt sich als heterogenes und komple-
Slums, die von Armut und Gewalt geprägt sind. Un-                                     xes Feld dar, mit länderspezifischen Unterschieden, aber
terdessen kristallisiert sich, bedingt durch ein steigen-                             auch einigen Gemeinsamkeiten (Spitzer 2018): In den
des Wirtschaftswachstum, langsam eine schmale Mittel-                                 meisten Ländern ist Soziale Arbeit im Zuge der kolo-
schicht mit einem gehobeneren Lebensstandard heraus.                                  nialen Sozialplanung und in weiterer Folge nach der
Der Alltag der Bevölkerung wird sukzessive von Mo-                                    Unabhängigkeitsbewegung in den 1960er-Jahren durch
dernisierungserscheinungen durchdrungen. Vor allem                                    die sogenannte Entwicklungshilfe als fremdbestimmte
das Mobiltelefon und das Internet haben die Lebensge-                                 Profession entstanden (Midgley 1981). Diese von James
wohnheiten der Menschen maßgeblich verändert.                                         Midgley (ebd.) als „professioneller Imperialismus“ ti-
                                                                                      tulierte Überformung mit westlich orientierten Theori-
                                                                                      en, Konzepten und Methoden in Ausbildung und Praxis
                                                                                      dauert tendenziell bis heute an.
                      Helmut Spitzer
                      Feldkirchen, Österreich                                          Große Seen, große Herausforderungen
                      *1966; FH-Prof. Mag. Dr., Professor für Soziale Arbeit an der
                      Fachhochschule Kärnten. Langjährige Forschungserfahrung in       Folgende Länder werden zur Region der Großen Seen
                      Ostafrika.                                                      (dazu gehören vor allem der Viktoriasee und der Tan-
                      h.spitzer@fh-kaernten.at
                                                                                      ganjikasee) gezählt: Burundi, die Demokratische Re-
                                                                                      publik Kongo, Kenia, Ruanda, Tansania und Uganda.
 Zusammenfassung In der afrikanischen Region der                                      Mit Ausnahme von Tansania haben diese Länder eine
 Großen Seen kämpft Soziale Arbeit in Abgrenzung zu importier-                        gewaltvolle Geschichte hinter sich, die von ethnischen
 ten Theorien und Konzepten um ein eigenständiges, indigenes                          Konflikten, Bürgerkrieg und Völkermord geprägt ist.
 Profil. Dazu lief über mehrere Jahre ein Projekt zur Erforschung                     Besonders der Genozid in Ruanda, bei dem 1994 bis zu
 und Stärkung der Profession. Zentrale Komponenten dieses
 Projekts waren Forschung, Lehrplanentwicklung, Berufspolitik                         einer Million Menschen ermordet wurden, hatte weit-
 und Lobbyarbeit.                                                                     reichende Folgen und führte zur Destabilisierung der ge-
                                                                                      samten Region und zum Zerfall des vormaligen Staates
 Schlüsselwörter Afrika, Indigenisierung, Internationale
 Soziale Arbeit, Professionalisierung, Soziale Entwicklung                            Zaire, der nun Demokratische Republik Kongo heißt
                                                                                      (vgl. Spitzer und Twikirize 2014). Ruanda ist weltweit
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das einzige Land, in dem professionelle Soziale Arbeit      artikulierten Bedarfslagen konzipiert. Dazu trafen sich
als Reaktion auf einen Völkermord und die völlige Zer-      die Projektpartner_innen zu einer einwöchigen Klausur
störung eines Landes ins Leben gerufen worden ist.          in Nairobi, Kenia. In Phase II (2011 bis 2014) konzen-
  Angesichts dieser Problemlagen hat Soziale Arbeit         trierte sich das Projekt auf Grundlagenforschung, die
enorme Herausforderungen zu meistern und als Pro-           Überarbeitung der Curricula und berufspolitische As-
fession selbst mit einer Reihe von Strukturproblemen zu     pekte. Die Partnerorganisationen waren die Universi-
kämpfen. Zunächst gibt es viel zu wenig Ausbildungs-        ty of Nairobi in Kenia, die University of Rwanda, das
stätten: In den Ländern der Ostafrikanischen Gemein-        Institute of Social Work in Tansania und die Makerere
schaft (Burundi, Kenia, Ruanda, Tansania und Uganda)        University in Uganda. In Phase III (2016 bis 2019) ka-
mit einer Bevölkerung von 170 Mio. gibt es insgesamt        men die Hope Africa University in Burundi sowie der
nur 44 tertiäre Bildungseinrichtungen für Soziale Ar-       neu gegründete Berufsverband für Soziale Arbeit in der
beit (Spitzer 2019, S. 571). Zum Vergleich: Allein in       Demokratischen Republik Kongo an Bord. Dabei lag
Deutschland gibt es mehr als 150 facheinschlägige Stu-      der Schwerpunkt auf der Erforschung indigener und in-
diengänge. Die meisten Curricula an den afrikanischen       novativer Praxisansätze sowie auf dem sozialpolitischen
Hochschulen sind stark westlich orientiert, zudem gibt      und menschenrechtlichen Engagement Sozialer Arbeit.
es einen großen Mangel an fachlich qualifiziertem Lehr-     Das Projekt wurde durch das Programm APPEAR (Aus-
personal. Forschung zu Sozialer Arbeit war bis vor we-      trian Partnership Programme in Higher Education and
nigen Jahren so gut wie inexistent. Und für die Praxis      Research for Devel­opment) der Österreichischen Ent-
kann man die Arbeitsrealität wohl in einem Satz zu-         wicklungszusammenarbeit finanziert. Durch eine Reihe
sammenfassen: Zu wenige Sozialarbeiter_innen müssen         von Publikationen, neue Curricula, mehrere Fachkon-
sich um zu viele Probleme und Klient_innen kümmern,         ferenzen sowie einen intensiven Dialog mit politischen
bekommen obendrein zu wenig bezahlt und erhalten            Entscheidungsträgern konnten einige nachhaltige Ak-
kaum gesellschaftliche Anerkennung. Bei einer in vier       zente zur Stärkung Sozialer Arbeit in den betroffenen
ostafrikanischen Ländern durchgeführten Studie kam          Ländern gesetzt werden.
heraus, dass mehr als die Hälfte der befragten Sozial-
arbeiter_innen (51 %) im Non-Profit-Sektor arbeitet          Von Grundlagenforschung zu angewandter
(Twikirize et al. 2014), und dieser wird fast ausschließ-    Praxisforschung
lich von internationalen Fördergebern und Spendengel-         In Phase II wurde eine umfassende Studie zum Status
dern finanziert. Mit anderen Worten: Die Praxis der So-     quo Sozialer Arbeit in Ausbildung, Praxis und Berufs-
zialen Arbeit ist von großer ausländischer Abhängigkeit     politik sowie zum Beitrag der Profession zur Armuts-
geprägt. Wenn kein Geld mehr fließt, kommen auch die        bekämpfung und sozialen Entwicklung durchgeführt.
Projektaktivitäten zum Stillstand.                          Auf Basis einer aus quantitativen und qualitativen For-
                                                            schungsmethoden zusammengesetzten Befragung von
 Trotz allem gute Neuigkeiten                               2000 Personen (Sozialarbeiter_innen, Lehrende, Stu-
 Was also sind die im Titel dieses Beitrags angekündig-     dierende, Arbeitgeber, politisch Verantwortliche und
ten „Good News“? Ich beziehe mich dabei auf ein Pro-        Klient_innen) liegen nun erstmals empirische Daten
jekt internationaler Sozialer Arbeit, das als Antwort auf   zu Sozialer Arbeit in diesen Ländern vor (Spitzer et al.
die skizzierten Strukturprobleme in diesen Ländern von      2014). In Phase III wurden im Zuge angewandter Pra-
2010 bis 2019 in mehreren Phasen durchgeführt wur-          xisforschung indigene, d. h. kulturspezifisch relevan-
de. Es handelt sich dabei um eine Kooperation zwischen      te und innovative Ansätze der Lebensbewältigung und
mehreren ostafrikanischen Hochschulen und der Fach-         Problemlösung beforscht. Die Ergebnisse aus 155 qua-
hochschule Kärnten in Österreich, das die Erforschung,      litativen Interviews und 55 Fokusgruppendiskussionen
Stärkung und Professionalisierung Sozialer Arbeit zum       zeigen vor allem eines deutlich: Die indigene Praxis der
Ziel hatte (Spitzer 2019). Die zentralen Komponenten        Sozialen Arbeit ist stark kollektiv ausgerichtet und fo-
des Projekts PROSOWO (Promotion of Professional So-         kussiert ihre Interventionen in erster Linie auf die Com-
cial Work) waren Forschung, Lehrplanentwicklung, Be-        munity und weniger auf das Individuum (Twikirize und
rufspolitik (Stärkung der Berufsverbände für Soziale Ar-    Spitzer 2019).
beit) und Lobbyarbeit (sozialpolitische Einflussnahme         Dazu zwei Beispiele: In der Region Kilimanjaro in Tan-
und Menschenrechtsarbeit).                                  sania arbeiten Sozialarbeiter_innen in einigen Commu-
 In Phase I (2010) wurden in einem partizipativen Pro-      nities mit dem sogenannten Msaragambo-System. Die-
zess die Ziele, Aktivitäten und Meilensteine des Pro-       ser Begriff aus der Volksgruppe der Chagga bezieht sich
jekts auf Basis der von den afrikanischen Kolleg_innen      auf lokal organisierte, von Dorfältesten geführte Selbst-
(vgl. Spitzer 2006, S. 80 ff.). Soziale Arbeit muss sich
                                                                      hier fachlich und ethisch positionieren, aber gleichzeitig
                                                                      muss sie sich mit kulturspezifischen Normen und Tra-
                                                                      ditionen in kritisch-reflexiver Weise auseinandersetzen
                                                                      und sich auf einen dialogischen Prozess einlassen, der
                                                                      mühsam und manchmal zermürbend ist.

                                                                       Afrikanische Curricula für afrikanische
                                                                       ­Lebenswelten
                                                                        Die empirischen Erkenntnisse aus beiden Forschungs-
                                                                      phasen wurden in einer Reihe von Fachbüchern publi-
                                                                      ziert und durch ein strategisches Disseminationsverfah-
                                                                      ren allen Ausbildungsstätten für Soziale Arbeit in den
Abb. 1 „Sozialarbeiter_innen marschieren für soziale Gerechtigkeit“   teilnehmenden Ländern zugänglich gemacht. Das war
© Decent Africa                                                       ein bedeutsamer Schritt, zumal in den ostafrikanischen
                                                                      Hochschulbibliotheken überwiegend Fachliteratur aus
hilfegruppen, die bei der Feldarbeit, bei finanziellen                dem außerafrikanischen Ausland vorherrscht (vgl. Twi-
Engpässen und der Bearbeitung von sozialen Konflik-                   kirize et al. 2014, S. 208). Somit steht Lehrenden und
ten Unterstützung bieten. Obwohl sich die Praxis durch                Studierenden ein authentisches Lern- und Diskussions-
Land-Stadt-Migration und moderne Einflüsse stark ge-                  material zur Verfügung.
wandelt hat, kommt sie nach wie vor zum Einsatz, bei-                   Bei den beteiligten Hochschulen wurden auf Basis der
spielsweise bei der Unterstützung von Witwen, Waisen-                 Forschungsergebnisse die bestehenden Curricula für
kindern und alten Menschen (Mabeyo et al. 2019).                      Bachelor-Studiengänge überarbeitet. Diese im Fachdis-
 Ein weiteres Beispiel kommt aus Uganda: Dort wurde                   kurs als Indigenisierung oder auch Dekolonialisierung
im Westen des Landes eine Organisationsform namens                    bezeichnete Entrümpelung und Neugestaltung der Lehr-
Bataka identifiziert, die als Hilfsmaßnahme bei Beerdi-               pläne ist ein entscheidender Schritt in der sozialberuf-
gungen zum Tragen kommt. Durch die hohen Infekti-                     lichen Qualifizierung: Die Studierenden müssen bereits
onsraten mit AIDS sind Familien und Gemeinschaften                    auf der Ausbildungsebene mit kultur- und kontextspe-
mit häufigen Todesfällen konfrontiert. Diese bringen                  zifischen Wissensinhalten in Berührung kommen, um
neben der emotionalen Belastung auch ökonomische                      auf die jeweiligen Realitäten ihrer späteren Berufspraxis
Schwierigkeiten mit sich. Die Bataka-Gruppen unter-                   adäquat vorbereitet zu sein (Mwansa 2010). Die Part-
stützen Hinterbliebene im Trauerprozess, aber auch                    nerhochschulen in Tansania und Uganda entwickelten
durch Geldleistungen, da Beerdigungen oft mit hohen                   darüber hinaus neue Lehrpläne für ein Master-Studium
Kosten verbunden sind. Sie sind somit wichtige Resili-                in Sozialer Arbeit, wobei ebenfalls empirisch basierte,
enzfaktoren im Gemeinwesen (Twesigye et al. 2019).                    indigene Wissenselemente eingeflossen sind.
 Solche kulturspezifischen Bewältigungsformen stellen
für die Praxis der Sozialen Arbeit wertvolle Anknüp-                   Social Development als transformative Soziale
fungspunkte dar, besonders vor dem Hintergrund ei-                     Arbeit
ner fast völligen Abwesenheit staatlicher Sozialleistun-                Die theoretische Fundierung für viele Methoden und
gen. Auf die Bedeutung indigenen Wissens wird auch                    Konzepte, die für afrikanische Kontexte geeignet sind,
in der internationalen Definition Sozialer Arbeit hin-                findet sich im sogenannten Social Development-Ansatz
gewiesen (International Federation of Social Workers                  Sozialer Arbeit (Chitereka 2009). Dieser spielte auch bei
2015, S. 19). Doch die Berufung auf kulturelle Werte                  dem Projekt PROSOWO eine zentrale Rolle. Dabei geht
und traditionelle Praktiken sollte nicht unkritisch er-               es im Kern um eine Akzentuierung Sozialer Arbeit, die
folgen. Auch die Aufrechterhaltung patriarchaler Ge-                  in ihrem Interventionsspektrum vorwiegend auf meso-
sellschafts- und Familienstrukturen und die damit ein-                und makrostrukturelle Ebenen abzielt, um dadurch Ar-
hergehende Unterdrückung und Benachteiligung von                      mut und soziale Benachteiligung zu bekämpfen und den
Mädchen und Frauen wird kulturell legitimiert. Ein                    Lebensstandard der Menschen anzuheben. Basierend
drastisches Beispiel dafür ist die weibliche Genitalver-              auf Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, der Menschen-
stümmelung, die bei einigen ethnischen Gruppen in Ost-                rechte, Inklusion, Partizipation und Freiheit soll durch
afrika als sozial sanktionierter Initiationsritus im Über-            einen initiierten sozialen Wandel das Wohlergehen der
gang vom Kind zur erwachsenen Frau praktiziert wird                   Gesamtbevölkerung in Verbindung mit einem dynami-
Sozial Extra
Einblick
schen Entwicklungsprozess gefördert werden (Midgley
2010). Dadurch bekommt Soziale Arbeit einen deutlich
politischen und transformativen Charakter. In Kombi-
nation mit genuin afrikanischen Wissenssystemen wird
im Social Development-Ansatz die Möglichkeit eines
Paradigmenwechsels gesehen (Chitereka 2009), bei dem
die Hypotheken von Kolonialismus und Entwicklungs-
hilfe endlich abgestreift werden können.

 Politisches Lobbying und sozialer Aktivismus
 Eine wesentliche Komponente des Projekts PROSOWO
war die Einflussnahme auf politische Entscheidungsin-
stanzen, allen voran die zuständigen Ministerien. Zu
diesem Zweck wurden mehrere länderübergreifende           Abb. 2 „Tansanische Sozialarbeiter_innen machen auf sich aufmerk-
Vernetzungstreffen sowie zahlreiche nationale Mee-        sam“ © Decent Africa
tings und Workshops durchgeführt. In Kenia, Tansania
und Uganda konnten durch diese Aktivitäten und in         Der Alltag der Menschen ist von einer omnipräsenten
Kooperation mit dem jeweiligen nationalen Berufsver-      Kultur der Gewalt geprägt. Ein kongolesischer Sozial-
band erste Schritte in Richtung eines Gesetzesentwurfs    arbeiter hat dies bei einer Konferenz im Zuge einer Dis-
zur Regulierung und Lizenzierung Sozialer Arbeit er-      kussion über Menschenrechte und Ethik einmal so auf
reicht werden.                                            den Punkt gebracht: „Bei uns gibt es keine Ethik.“ Mit
 Auch Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung       dieser Aussage verdichtete er das moralische Vakuum
für die Belange Sozialer Arbeit und ihrer Zielgruppen     in einem Kontext, in dem beinahe täglich Menschen
standen auf der Agenda des Projekts. In diesem Zusam-     getötet und Frauen vergewaltigt werden. Diese andau-
menhang wurde im Zuge mehrerer internationaler Kon-       ernde Kultur der Gewalt ist tief mit der traumatischen
ferenzen, die im Zeitraum von 2014 bis 2018 allesamt      Kolonialgeschichte des Landes verstrickt (vgl. Van Rey-
am World Social Work Day (dritter Dienstag im März)       brouck 2013).
stattfanden, auf sozialen Aktivismus gesetzt. Höhe-        Angesichts chronischer Armut ist ein Großteil der Be-
punkt dieser Events, die in Kampala (Uganda), Bujum-      völkerung einem ständigen Überlebenskampf ausge-
bura (Burundi), Arusha (Tansania) und Kigali (Ruan-       setzt. Dabei gilt der Ost-Kongo als eine der ressourcen-
da) stattfanden, war jeweils ein öffentlichkeitswirksam   reichsten Regionen der Welt mit großen Vorräten an
inszenierter Marsch für Soziale Arbeit, soziale Gerech-   Bodenschätzen wie Öl, Gold, Diamanten und Coltan.
tigkeit und den Schutz der Menschenrechte (s. Abb. 1      Letzteres ist ein Erz, das für die Herstellung von Han-
und 2).                                                   dys benötigt wird und entsprechende Begehrlichkeiten
 Das kann in einem afrikanischen Kontext durchaus         bei internationalen Konzernen hervorruft, die die Regi-
politische Brisanz haben bzw. sogar gefährlich sein. Im   on in großem Stil ausbeuten.
März 2014 marschierten im Rahmen einer internatio-         Professionelle Soziale Arbeit steckt im Ost-Kongo erst
nalen Fachkonferenz an die 500 Sozialarbeiter_innen       in den Kinderschuhen. Die meisten Sozialarbeiter_in-
auf den Straßen der ugandischen Hauptstadt Kampala        nen haben ihre Qualifikation in einem der Nachbar-
und demonstrierten dabei u. a. für die Rechte sexueller   länder erworben. Seit 2013 gibt es an der Université
Minderheiten. Das war zu einem Zeitpunkt, als in die-     Evangélique en Afrique in der Stadt Bukavu erstmals
sem Land gerade ein Gesetzesentwurf zur Einführung        einen Studiengang für Soziale Arbeit. 2018 gelang es ei-
der Todesstrafe für homosexuelle Menschen verhandelt      ner Gruppe von hoch motivierten Sozialarbeiter_innen,
wurde. Nach der Konferenz wurde der ugandische Be-        trotz immenser bürokratischer, logistischer und finanzi-
rufsverband monatelang von Regierungsvertretern schi-     eller Hürden, einen Berufsverband für Soziale Arbeit zu
kaniert und bekam ein vorübergehendes Betätigungs-        gründen. Dieser dient als Plattform für Öffentlichkeits-
verbot ausgesprochen.                                     und Lobbyarbeit, für die schwierige und manchmal
                                                          auch gefährliche Kommunikation mit Politik, Exekutive
 Das Prinzip Hoffnung am Beispiel von Ost-Kongo           und Militär, sowie für vereinzelte Projektaktivitäten, die
 Der Osten der Demokratischen Republik Kongo ist          besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen zugute-
seit Jahrzehnten Schauplatz kriegerischer Auseinander-    kommen sollen. Dazu zählt z. B. Gefängnissozialarbeit.
setzungen und grausamer Menschenrechtsverletzungen.       Die Gefängnisse sind völlig überfüllt, die Insassen leiden
vielfach an Krankheiten und Unterernährung, und im-                                Midgley, J. (2010). The theory and practice of developmental social work.
                                                                                 In J. Midgley & A. Conley (Hrsg.), Social work and social development.
mer wieder kommt es zu Gewaltausbrüchen und sexu-                                Theories and skills for developmental social work (S. 3–28). Oxford: Ox-
                                                                                 ford University Press.
ellen Übergriffen. Bei regelmäßigen Besuchen wird den
                                                                                  Mwansa, L.-K. J. (2010). Challenges facing social work education in Afri-
eingesperrten Menschen psychosoziale Beratung ange-                              ca. International Social Work, 53(1), 129–136.
boten, und wenn genügend Geld vorhanden ist, versucht                             Society for International Development (2016). State of East Africa report.
das Sozialarbeitsteam, Nahrungsmittel, Medikamente                               Consolidating misery? The political economy of inequalities in East Africa.
                                                                                 Nairobi: SID.
und Hygieneartikel zur Verfügung zu stellen.
                                                                                  Spitzer, H. (2006). Kinder der Straße. Kindheit, Kinderrechte und Kinder-
 Der Einsatz der Sozialarbeiter_innen in der Krisenre-                           arbeit in Tansania. Frankfurt a.M.: Brandes & Apsel.
gion des Ost-Kongo ist nur ein Beispiel dafür, dass es                             Spitzer, H. (2019). Social work in East Africa. A Mzungu perspective. In-
möglich ist, trotz extrem schwieriger Rahmenbedingun-                            ternational Social Work, 62(2), 567–580.
gen konkrete Verbesserungen in der Lebenssituation der                             Spitzer, H., & Twikirize, J. M. (2014). Armed conflict and political vio-
                                                                                 lence in Africa’s Great Lakes Region. Challenges for social work education
Menschen herbeizuführen. Ich selbst hatte in den letzten                         and practice. In H. Spitzer, J. M. Twikirize & G. G. Wairire (Hrsg.), Profes-
20 Jahren viele Gelegenheiten, mit Kolleg_innen in ei-                           sional social work in East Africa. Towards social development, poverty re-
                                                                                 duction and gender equality (S. 351–369). Kampala: Fountain.
nigen afrikanischen Ländern zusammenzuarbeiten, und                               Spitzer, H. (2018). Soziale Arbeit und soziale Entwicklung in Afrika. In
ich bin immer wieder beeindruckt von ihrem Engage-                               H.-U. Otto, et al. (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit. Grundlagen der Sozial-
                                                                                 arbeit und Sozialpädagogik (S. 1448–1457). München: Reinhardt.
ment, Optimismus und Humor. Während in Europa ten-
                                                                                  Spitzer, H., Twikirize, J. M., & Wairire, G. G. (Hrsg.). (2014). Professional
denziell auf hohem Niveau gejammert wird, dominiert                              social work in East Africa. Towards social development, poverty reduction
auf unserem südlichen Nachbarkontinent die Hoffnung                              and gender equality. Kampala: Fountain.
auf eine bessere Zukunft.                            s                            Twesigye, J., Twikirize, J. M., Luwangula, R., & Kitimbo, S. (2019). Buil-
                                                                                 ding resilience through indigenous mechanisms: The case of Bataka groups

                           ∑                                                     in Western Uganda. In J. M. Twikirize & H. Spitzer (Hrsg.), Social work
                                                                                 practice in Africa. Indigenous and innovative approaches (S. 145–160).
                                                                                 Kampala: Fountain.
                                                                                   Twikirize, J. M., Spitzer, H., Wairire, G. G., Mabeyo, Z. M., & Rutikan-
Funding. Open access funding provided by Carinthia University of                 ga, C. (2014). Professional social work in East Africa: Empirical evidence.
Applied Sciences (CUAS).                                                         In H. Spitzer, J. M. Twikirize & G. G. Wairire (Hrsg.), Professional social
                                                                                 work in East Africa. Towards social development, poverty reduction and
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Na-                 gender equality (S. 189–216). Kampala: Fountain.
mensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die                    Twikirize, J. M., & Spitzer, H. (Hrsg.) (2019). Social work practice in Af-
Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wieder-                  rica. Indigenous and innovative approaches. Kampala: Fountain.
gabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die                    Van Reybrouck, D. (2013). Kongo. Eine Geschichte. Bonn: Bundeszentra-
ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen,                    le für politische Bildung.
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Literatur
 Chitereka, C. (2009). Social work practice in a developing context: The
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 Hove, M., Ngwerume, E. T., & Muchemwa, C. (2013). The urban crisis in
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 International Federation of Social Workers (IFSW) (2015). IFSW’s policies
2015. Bern: IFSW.
  Mabeyo, Z. M., Mvungi, A., & Manyama, W. (2019). Community organi-
sing in Tanzania: Learning from the Msaragambo model in Kilimanjaro re-
gion. In J. M. Twikirize & H. Spitzer (Hrsg.), Social work practice in Africa.
Indigenous and innovative approaches (S. 111–124). Kampala: Fountain.
 Midgley, J. (1981). Professional imperialism: Social work in the Third
World. London: Heinemann.
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