MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK

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MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK
MASTERPLAN
MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK

                          ärztin 2 August 2017   5
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK

                                                                               IM INTERVIEW

                                                                               Reform oder Reförmchen?
                              Foto: Privat

                                                                Foto: Privat

                                             CAROLIN SIECH / ISABEL MOLWITZ

      Im März diesen Jahres wurde der Masterplan Medizinstudium 2020 nach langem Ringen von Bund und
      Ländern verabschiedet. Der Plan ist eine Reform des Studienganges Medizin in Deutschland. Er enthält 41
      Maßnahmen, die einer kompetenzorientierten, praxisbezogenen und patientennahen Ausbildung Rech-
      nung tragen sollen. So sollen etwa kommunikative und wissenschaftliche Kompetenzen der angehenden
      Mediziner*innen ebenso gestärkt werden wie die Allgemeinmedizin.

      Jetzt ist es an den Fakultäten und den Bundesländern, diese Punkte sinnvoll umzusetzen. Studierende
      wissen jetzt – zumindest grob – was sie ab 2020 erwartet. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe
      hält den Plan für einen Erfolg auf der ganzen Linie: Der Masterplan sei ein großer Schritt hin zu mehr Pra-
      xisnähe in der Ärzteausbildung, sagte er bei einer Pressekonferenz in Berlin. ärztin fragte bei Studierenden
      der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd) nach, ob sie den Masterplan
      tatsächlich für ein Meisterstück halten und was der Plan künftigen Studierenden tatsächlich bringt.

                                                                                                         schließlich über die Abiturnote – eine
                                                                                                         sogenannte Abiturbestenquote – nicht
                                                                                                         zielführend, genauso wenig wie eine
                                                                                                         Wartezeit, die länger als das eigentliche
                                                                                                         Medizinstudium dauert. Wir begrüßen,
                                                                                                         dass mit dem Masterplan neben der
                                                                                                         Abiturnote zwei weitere Kriterien bei der
                                                                                                         Studienplatzvergabe in der Medizin be-
                                                                                                         rücksichtigt werden sollen. Wir möchten
                                                                                                         noch weitergehen. Deshalb schlagen wir
                                                                                                         ein Modell vor, das neben der Abiturnote
                                                                                                         drei weitere Aspekte in der Zulassung
                                                                                                         berücksichtigt: Fachspezifische Studier-
                                                                                                         fähigkeitstests, Freiwilliges Engagement
      v.l.n.r. Sara Klingebiel, Jana Aulenkamp, Dr. med. Regine Rapp-Engels, Dr. med. Christiane Groß,   oder Berufliche Erfahrung sowie „Situa-
      M.A., Isabel Molwitz, Dr. med. Barbara Schmeiser, Carolin Siech beim 120. Ärztetag in Freiburg
                                                                                                         tional Judgement Tests“ (SJT). Bei dem
      ärztin: Zu den Inhalten des Masterplans                Siech/Molwitz: Für uns ist die Zulas-       Verfahren „Situational Judgement Test“
      gehört die Reformierung der Studien-                   sung eines der zentralen Themen der         geht es darum, das Verhalten der Men-
      zulassung durch geeignetere Auswahl­                   Reform. Gemeinsam mit dem Medizi-           schen in erfolgskritischen beruflichen
      verfahren. Die dringend erforderliche                  nischen Fakultäten Tag (MFT) hat die        Situationen zu erfassen.
      Erhöhung der Studienplatzkapazitäten                   bvmd ein Konzeptpapier für ein neues
      wurde vertagt und auch zur bundeswei-                  Zulassungsverfahren entwickelt. Ziel ist,   Mit rund fünf Bewerberinnen und
      ten Etablierung von Lehrstühlen für All-               die Zulassung in Zukunft fair und auf       Bewer­bern pro Studienplatz ist ein Stu-
      gemeinmedizin wurden keine verbind-                    die für das Studium wichtigen Kompe-        dium der Medizin so beliebt wie noch
      lichen Vorgaben gemacht. Liegen hier                   tenzen orientiert zu strukturieren. So      nie. Gleichzeitig steigt auch die Zahl
      die Schwachstellen des Masterplans?                    ist die Vergabe der Studienplätze aus-      an Mediziner*innen in Deutschland.

 6    ärztin 2 August 2017                                                                                                            64. Jahrgang
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK
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Bei der Diskussion um eine pauschale         Checklisten sind deshalb notwendig, um      praxisnaher, interprofessioneller und
Erhöhung der Studienplätze muss eine         ein strukturiertes Überprüfen des Gelern-   kommunikativer Lehre benötigen höhere
siche­re Finanzierung der medizinischen      ten zu ermöglichen. Ebenso brauchen         personelle Ressourcen. Räume müssen
Fakultäten grundlegend berücksichtigt        wir ein strukturiertes Feedback an die      bereitgestellt werden, Dozierende qua-
werden, damit nicht die Qualität der Lehre   Absolvent*innen, um Verständnis für die     lifiziert werden. Den Fakultäten wurden
der medizinischen Ausbildung leidet.         Beurteilungskrite­rien zu generieren. Für   bisher noch keine zusätzlichen Mittel zur
                                             die Studierenden ist Feed­back notwen-      Verfügung gestellt. Die Ergebnisse der
                                             dig, damit sie einschätzen können, ob die   sich mit einigen Maßnahmen beschäf-
                                             Prüfung fair verlief und wo Räume zur       tigenden Expertenkommission bleiben
                                             Verbesserung und Weiterentwicklung          abzuwarten. Auch hier würden wir uns
                                             der eigenen Kompetenzen bestehen.           mehr Transparenz und eine aktive Betei-
                                                                                         ligung der Studierenden bei der Umset-
                                             Der Nationale Kompetenzbasierte Lern-       zung der Reform wünschen.
                                             zielkatalog Medizin (NKLM) gibt die
                                             Kompetenzen und Fertigkeiten wieder,        Wir begrüßen, dass die Notwendigkeit
Prüfungsbogen mit Multiple-Choice-Aufgaben   die eine Absolventin oder ein Absolvent     erkannt wurde, den im PJ Vollzeit ar-
                                             benötigt, um erfolgreich in den Beruf       beitenden Studierenden grundlegende
Während es noch vor einigen Jahren die       einzusteigen. Kommunikation, ethisches      Bedürfnisse wie Unterkunft und Ver-
Ausnahme darstellte, sind Lehrstühle für     Handeln, Wissenschaftlichkeit, Lehrkom­     pflegung zur Verfügung zu stellen. Die
Allgemeinmedizin, wie von der bvmd seit      petenzen sind Beispiele für ärztliche       Finanzierung zusätzlicher Fahrtwege zu
Jahren gefordert, nun an den meisten         Schlüsselfertigkeiten, die neben Fakten-    ländlichen Praxen und Krankenhäusern
Fakultäten vorhanden. In Anbetracht der      wissen zu einer hohen Qualität der me-      ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um
Versorgungssituation gehen wir davon         dizinischen Versorgung in Deutschland       Tätigkeiten auf dem Land kennenlernen
aus, dass der Rahmen geschaffen wird         beitragen. Aus diesem Grund bedarf es       zu können. In diese Richtung gibt es
und noch weitere Lehrstühle der Allge-       einer Berücksichtigung in Stu­dium und      noch viel Raum für innovative Konzepte.
meinmedizin etabliert werden.                auch einer Neuausrichtung der Prüfun-       Projekte der bvmd wie „Land in Sicht“
                                             gen und Staatsexamina.                      zeigen, dass Praktika im ländlichen Be-
ärztin: Die Prüfungen sollen praktischer                                                 reich bei gesicherter Organisation und
werden. Dazu soll das Institut für me-       ärztin: Die Allgemeinmedizin soll ge-       Finanzierung die Bereitschaft der Studie-
dizinische und pharmazeutische Prü-          stärkt werden. Dazu gibt es Vorschläge,     renden, auf dem Land tätig zu werden,
fungsfragen (IMPP) den Nationalen            einen entsprechenden Pflichtzeitraum        erhöhen. Abschreckend hingegen wirken
Kompetenzbasierten Lernzielkatalog           im Praktischen Jahr (PJ) zu schaffen        zwangsverpflichtende Maßnahmen wie
heranziehen und für praktische Prü-          und eine verpflichtende Prüfung in Allge-   eine Landarztquote.
fungen standardisierte Checklisten er-       meinmedizin einzuführen. Zudem sollen
arbeiten. Kann dieses Vorgehen die           Praxistage, Famulaturen und Praxista-       ärztin: Auch die Lehre soll insgesamt
Prüfungen im Studium praktischer be-         ge in landärztlichen Praxen eingeführt      weniger theoretisch und mehr kom-
ziehungsweise praxisorientierter ma-         werden. Die Studierenden sollen bei den     petenz- und praxisorientiert werden.
chen?                                        Kosten für Unterkunft und Ver­pflegung      Redundanzen sollen wegfallen, der
                                             unterstützt werden. Ist die Finanzierung    Lehrstoff reduziert und komprimiert
Prüfungen werden neu ausge-                  dieses Vorhabens gesichert?                 werden. Zudem soll die Lehre fächer-
richtet                                                                                  übergreifender ausgestaltet werden.
                                             Finanzierung des Masterplans                Was bedeuten diese neuen Ansätze für
Siech/Molwitz: Tatsächlich ist einer der     steht in den Sternen                        die Medizinstudierenden?
wichtigsten Aspekte bei praktischen
Prüfungen die Vergleichbarkeit und Ob-       Siech/Molwitz: Aktuell liegen uns noch      Siech/Molwitz: Schon seit Jahren fordert
jektivität der Ergebnisse. Das bedeutet,     keine Informationen über gesicherte         die bvmd eine stärkere Ausrichtung des
dass bei anderen Prüfer*innen derselbe       Finanzierung vor. Im Gegenteil: der ge-     Medizinstudiums auf ein Kerncurricu-
Studierende vergleichbare Resultate er-      samte Masterplan steht unter Haushalts-     lum. Fachärztliches Detailwissen gehört
zielen sollte. Hier besteht noch erheb-      vorbehalt. Viele der begrüßenswerten        in die ärztliche Fort- und Weiter­bildung
licher Nachholbedarf. Standardisierte        Maßnahmen wie die Implementierung           und nicht in das Studium. Stattdessen

                                                                                                               ärztin 2 August 2017    7
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MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK

      sollte sich die medizinische Ausbildung stärker an den Grund-      eine echte Neigungsorientierung im Studium definitiv zu kurz
      fähigkeiten orientieren, die einen erfolgreichen Einstieg in das   kommt. Somit bildet das Wahlfach im praktischen Jahr die
      ärztliche Berufsleben sowie eine flächen­deckende Versorgung       große und letzte Chance, einen Einblick in den Berufsalltag
      ermöglichen. Auf der anderen Seite wird so Raum geschaffen,        diverser Fachgebiete sowie in die ambulante und stationäre
      der zur hochqualita­tiven Neigungsorientierung der Studieren-      Medizin zu erlangen. Hier die Wahlmöglichkeiten zu reglemen-
      den genutzt werden kann.                                           tieren, ist ein falscher Schritt.

                                                                         ärztin: Der Masterplan enthält auch die umstrittene Land-
                                                                         arztquote, die vorsieht, einen Teil der begehrten Medizin-
                                                                         studienplätze unter der Bedingung zu vergeben, dass die
                                                                         Bewerber*innen sich verpflichten, später mindestens zehn
                                                                         Jahre auf dem Land zu praktizieren. Wie stehen Sie zu dieser
                                                                         Bevorzugung von Bewerber*innen? Sie haben vor der Gefahr
                                                                         der Ärztinnen und Ärzte 2. Klasse gewarnt. Was meinen Sie
                                                                         damit?

                                                                         Siech/Molwitz: Obwohl es laut den Autor*innen des Master­
                                                                         plans Medizinstudium 2020 in der Landarztquote um die
                                                                         Stärkung der Allgemeinmedizin gehen soll, hat sich selbst die
                                                                         Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familien­
                                                                         medizin (DEGAM) gegen eine Landarztquote ausge­sprochen.
      Auf dem Bild sind u.a. zu sehen: Niklas Schulz, Jana Aulenkamp,    Es ist davon auszugehen, dass über Vorabquoten wie der
      Annbalou Hasenburg, Katharina Mörschel, Prof. Dr. med. Gabriele    Landarztquoten Bewerber*innen zugelassen werden, die an-
      Kaczmarczyk, Carolin Siech, Colin Kull, Isabel Molwitz
                                                                         dernfalls keinen Medizinstudienplatz erhalten würden. Pro-
      ärztin: An den Universitäten gehört die Allgemeinmedizin           bleme in der Versorgungslandschaft dürfen nicht mit einer
      mittlerweile zum Pflichtprogramm. Dazu zählen zum Bei-             Reformierung des Zulassungsverfahrens vermischt werden.
      spiel auch der Ausbau der Anzahl der Lehrstühle und der For-       Aus unserer Sicht ist eine faire Vergabe von Studienplätzen
      schung oder das Blockpraktikum in der Allgemeinmedizin. Ist        in der Medizin, wie die bvmd sie fordert und wie sie nun mit
      das Fach aus Ihrer Sicht dort, wo es hingehört? Wie könnten        dem Masterplan kommen soll, das richtige Signal, damit die
      die Studierenden ihr eigenes Profil selbst bestimmen und           geeignetsten Bewerber*innen für das Medizinstudium und
      schon im Praktischen Jahr die Weichen für die Weiterbildung        den späteren Arztberuf ausgewählt werden.
      stellen?
                                                                         Landarztquote erzielt nicht den gewünschten Effekt
      Siech/Molwitz: Bundesweit ist das Me­dizinstudium sehr un-
      terschiedlich strukturiert und aufgebaut. Somit gibt es auch in    Die Landarztquote schädigt die Attraktivität und den Ruf des
      der Lehre im Fach Allgemeinmedizin große Unterschiede: Wäh-        Fachs Allgemeinmedizin. Zudem befürchten wir, dass die
      rend einige Studierende durch den Einblick in die hausärztliche    Landarztquote nicht den gewünschten Effekt erzielen wird.
      Versorgung von hochmotivierten Kolleginnen und Kollegen be-        Für wohlhabende Studierende besteht die Möglichkeit, sich ins
      geistert wurden, berichten andere über fehlende Einbindung in      Studium einzukaufen. „Echte“ von „vorgetäuschter“ Motivation
      den Praxisalltag. Durch die zahlreichen verpflichtenden Maß-       als Zulassungskriterium zu unterscheiden, ist sehr schwierig,
      nahmen wird das Fach Allgemeinmedizin von den ein oder an-         wenn nicht unmöglich. Es wird aufrichtig Motivierte geben, die
      deren Studierenden als sehr dominant im Studium angesehen          es sich während ihres Studiums anders überlegen.
      und mit Zwangsmaßnahmen assoziiert. Das ist sehr schade.
                                                                         So sind etwas über zehn Prozent der Bewerber*innen sowie
      Die Neigung kommt definitiv zu kurz                                der Studierenden kontinuierlich daran interessiert, Allgemein-
                                                                         mediziner*innen zu werden. Die Quote wird gefordert, ohne dass
      Die Profilbildung kommt im Medizinstudium an vielen Stellen        dadurch absolut mehr Landärzt*innen gewonnen werden. Zu-
      zu kurz. Zwar gibt es mit den vorklinischen und klinischen         dem ändern sich die Präferenzen für die Facharztrichtungen
      Wahlfächern Angebote, über das allgemeine Curriculum hin­          während des Studiums erheblich. Kaum eine der Bewerber*in-
      auszublicken, doch gleichzeitig mangelt es an vielen Fakultä-      nen möchte am Ende des Studiums noch das machen, was sie
      ten an Raum, die einzelnen medizinischen Fächer mit ihren          zu Beginn interessierte. Verzweifelte Studierende, die meinen,
      Stärken und Schwächen in der Praxis kennenzulernen, sodass         es sei ihnen egal, welche Facharztrichtung sie später ausüben

 8    ärztin 2 August 2017                                                                                                 64. Jahrgang
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK

und wo sie leben, werden mit hoher            Motivation in die Vorlesungen und theo-      An zahlreichen Fakultäten ist der Erwerb
Wahrscheinlichkeit während des Studi-         retischen Seminare zurückkehren.             von     wissenschaftlich-methodischem
ums ebenfalls neue Gedanken fassen.                                                        Arbeiten oft nur Teil von fakultativen
                                              Dabei ist wichtig, dass klinische Praktika   Promotionskollegien und Graduierten-
                                              nicht ihrem Selbstzweck, sondern einem       schulen. Die Wissenschaftlichkeit sollte
                                              strukturierten und evidenzbasierten          somit allen Studierenden im Studium zu-
                                              Konzept unterliegen. Daneben müssen          gänglich gemacht werden und kein Ex-
                                              alle Bemühungen regelmäßig evaluiert         klusivangebot für besonders Motivierte
                                              und weiterentwickelt werden.                 und Engagierte sein.

                                              ärztin: Alle angehenden Ärztinnen und        ärztin: Ärztin oder Arzt zu werden, be-
                                              Ärzte sollten zum selbstständigen, wis-      deutet nicht nur, sich theoretisch mit
                                              senschaftlich-methodischen Arbeiten          Symptomen und Therapien auseinan-
Arztkoffer einer Land- oder Allgemeinärztin   ausgebildet werden. Was bedeutet dies        derzusetzen, sondern auch kommuni-
                                              für die künftig Studierenden im Einzel-      kative, wissenschaftliche und soziale
Gemein ist beiden Gruppen, dass auch          nen?                                         Kompetenzen zu fördern, die sich dann
sie Wege suchen und finden werden,                                                         auch in praxisorientierten Staatsexa-
sich aus der Quote zu befreien, sei es        Siech/Molwitz: In einigen Fakultäten ist     mina wiederfinden. Wie aber lässt sich
beispielsweise durch Härtefallanträge         der Ansatz, wissenschaftliches Arbeiten      zum Beispiel soziale Kompetenz im
oder über Kredite. Dies ist nicht im Sinne    im Studium zu lehren und praxisorien-        Studium für das Examen lernen?
der Sicherheit der Patient*innen und der      tiert anhand kleinerer wissenschaftlicher
Steuerzahlenden. Und was geschieht            Arbeiten direkt einzusetzen, bereits etab-   Notwendige Kompetenzen am
mit den wenigen wirklich für die Tätigkeit    liert. So gibt es im Modellstudiengang an    Krankenbett erwerben
auf dem Land motivierten Studierenden,        der Charité bereits seit Jahren zwei Mo-
die, falls das Zulassungsverfahren sie        dule, die sich ausschließlich mit wissen-    Siech/Molwitz: Die Studierenden müs-
tatsächlich als echt motiviert selektiert,    schaftlich-methodischem Arbeiten be-         sen sich auf den Berufsalltag an dem Ort
sich während des Studiums nicht um-           schäftigen. Gelehrt wird unter anderem,      vorbereiten, an dem sie später tätig sein
entscheiden und erfolgreich das Medi-         Plagiate zu vermeiden, zu recherchieren,     werden. Das heißt, es sollte ihnen ermög-
zinstudium absolvieren? Für diese Kan-        mit Studien und Quellen umzugehen und        licht werden, die notwendigen Kompe-
didaten braucht es Stipendien.                wissenschaftliche Arbeiten auch unter        tenzen und Fertigkeiten am Krankenbett
                                              inhaltlichen und formalen Aspekten kor-      oder in der ambulanten Praxis gemein-
ärztin: Bereits früh im Studium soll kli-     rekt zu erstellen.                           sam mit erfahrenen Mediziner*innen zu
nisches Wissen vermittelt und ein in-                                                      erlangen. Nur im direkten Umgang mit
tensiver Patientenkontakt hergestellt         Aus persönlicher Erfahrung können wir        Patientinnen und Patienten kann das
werden. Ist dieses Konzept zur Vorbe-         sagen, dass Studierende die Bedeutung        strukturierte Denken und die Fähigkeit
reitung auf das Arbeitsleben ausrei-          der wissenschaftlichen Lehre meist in        des Transfers basierend auf dem er-
chend?                                        dem Moment erkennen, in dem sie ge-          lernten theoretischen Wissen erlangt
                                              zwungen sind, die erlernten Kompeten-        werden. Zudem besteht nur so die Mög-
Theorie und Praxis eng ver­zahnen             zen konkret anzuwenden. Dies deckt           lichkeit, bestehende wissenschaftliche
                                              sich mit den Forderungen der bvmd,           Studien und Praktiken kritisch zu reflek-
Siech/Molwitz: Die Verzahnung von vor­        nach den Prüfungen entsprechend dem          tieren. Darüber hinaus bieten praktische
klinischen und klinischen sowie theo­         Prinzip des „Assessment drives lear-         Übungen mit Simulationspatient*innen
retischen und praktischen Lehrinhalten        ning“ – oder was Prüfungen mit Lernen        und Modellen sowie Simulationen von
über den gesamten Studienverlauf er-          zu tun haben – gelehrte Inhalte auch         realen Klinikabläufen eine Ergänzung.
möglicht, Schnittpunkte verschiedener         zutreffend abprüfen zu müssen, damit
Fächer effektiver festzustellen und den       Lernerfolge eintreten. Man weiß, was         ärztin: Im Krankenhaus arbeiten nicht
Synergismus der Lernspirale besser zu         zu erwarten ist, scheitert nicht direkt an   nur Ärztinnen und Ärzte, sondern auch
nutzen. Die Erfahrungen aus den Modell-       formellen Aspekten wissenschaftlichen        zahlreiche weitere Berufsgruppen des
studiengängen zeigen, dass ein frühzeiti-     Schreibens und ist darin geschult, mit       Gesundheitswesens. Welche Maßnah-
ger klinischer Bezug dazu beiträgt, dass      den großen und sich ständig erneuern-        men sieht der Masterplan vor, um eine
Studierende im Umgang mit Patient*in-         den Datenmengen in der Medizin umzu-         gezielte Zusammenarbeit zu fördern?
nen vertrauter werden und mit hoher           gehen.

                                                                                                                ärztin 2 August 2017   9
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      Siech/Molwitz: Interprofessionalität in der Ausbildung von         riert werden, die dazu beitragen, theoretisch Gelerntes
      Gesundheitsberufen ist der bvmd ein wichtiges Anliegen. Der        zu repetieren, zu vertiefen und vor allem auch anzu-
      enge Austausch der bvmd mit ihren Schwesterverbänden,              wenden. Und wieso eine kontinuierliche Implemen-
      beispielsweise der Zahnmedizin, Veterinärmedizin und Phar-         tierung? Studien und Lerntheorien beweisen immer
      mazie, hat gezeigt, dass es sehr viele Schnittstellen gibt. Ge-    wieder, dass nicht „Buli­mielernen“, bei dem Wissen nur
      genseitiges Verständnis, einheitliche Terminologie und der         kurzfristig „hineingestopft“ wird, sondern vor allem lon-
      Perspektivenwechsel sind für eine effektivere Zusammenar-          gitudinales Lernen der Schlüssel zum Erfolg ist.
      beit aller Gesundheitsberufe notwendig. Dabei müssen erste
      gemeinsame Knotenpunkte bereits im Studium und der Aus-            ärztin: Zahlreiche Aspekte wie die Zusammenarbeit
      bildung liegen. Die siebte Maßnahme des Masterplans Medi-          mit anderen Medizinberufen oder eine Reform der
      zinstudium 2020 formuliert zu unserer Freude klar, „(...) dass     Promotion wurden im Masterplan noch nicht beleuch-
      die Hochschulen aufbauend auf den gemachten Erfahrungen            tet. Was fehlt Ihrer Ansicht nach, um den Master­plan
      gemeinsame Lehrveranstaltungen mit Auszubildenden bzw.             Medizin 2020 wirklich rund zu machen, was müsste
      Studierenden anderer Gesundheitsfachberufe verstärkt in            nachgebessert werden?
      ihre Curricula aufnehmen.“ Gemeinsame Lehrveranstaltungen
      können dazu beitragen, dass die Studierenden die Kompe­            Mangelhaft ist die fehlende Aufwandsent-
      tenzen anderer Fachberufe besser einschätzen und Vorurteile        schädigung im Praktischen Jahr
      abbauen können. Dabei muss bedacht werden, dass die Lehr-
      formate spezifisch auf interprofessionelle Interaktion ausge-      Siech/Molwitz: Was uns im Masterplan wirklich fehlt,
      richtet sind – bloß nebeneinander im Hörsaal zu sitzen genügt      ist die Aufwandsentschädigung im PJ. Es kann nicht
      diesem Anspruch nicht.                                             sein, dass von Medizinstudierenden laut Approba­
                                                                         tionsordnung für Ärzte 2002 erwartet wird, werktags
                                                                         ganztags auf Station tätig zu sein, nebenbei für das
                                                                         Dritte Staatsexamen zu lernen. Laut Studierenden-
                                                                         survey des Bundesministeriums für Bildung und For-
                                                                         schung finanzieren 50 Prozent der Medizinstudieren-
                                                                         den ihr Studium und Lebensunterhalt über Nebenjobs.
                                                                         Da ergeben sich schnell 60 Stunden pro Woche. Die
                                                                         Studierenden arbeiten im PJ relativ eigenständig am
                                                                         Patienten. Übermüdete und erschöpfte Studierende
                                                                         sind ein Risiko für die Sicherheit von Patientinnen und
                                                                         Patienten. Sie können sich nicht angemessen auf das
                                                                         Dritte Staatsexamen vorbereiten, worunter ihre Ausbil-
                                                                         dung leidet.

      Geht der Masterplan 2020 strategisch auf?                          Es ist nicht zu akzeptieren, dass Studierenden im
                                                                         Praktischen Jahr keine adäquate Entschädigung
      ärztin: Vorklinische und klinische Studieninhalte sollen bes-      gezahlt werden kann und andererseits den Studie-
      ser verknüpft werden. Die bvmd spricht sich daher für inte­        renden weder Zeit für Nebentätigkeiten noch Stu-
      grierte Curricula mit bereits früh und kontinuierlich vermittel-   dientage oder Lernzeiten eingeräumt werden. Es
      tem klinischem Wissen und Patientenkontakt aus. Warum?             bedarf ausreichend Zeit sowie Räumlichkeiten im
                                                                         PJ, um die erworbenen praktischen Erfahrungen
      Siech/Molwitz: Je früher Studierende die Gelegenheit haben,        adäquat theoretisch vor- und nachzubereiten, um den
      sich basierend auf dem theoretischen Faktenwissen mit ih-          optimalen Lernerfolg zum Wohle der Patientinnen und
      rem späteren Berufsalltag auseinanderzusetzen, desto besser        Patienten zu erzielen.
      ist es ihnen möglich, die notwendigen ärztlichen Kenntnisse
      und Fähigkeiten gezielt zu erlangen. Früher Patientenkontakt       Wir sind Studierende. Das PJ ist Teil des Studiums.
      ermöglicht einen zeitnahen Einblick in die Anforderungen an        Primäres Interesse darf nicht die günstige Arbeitskraft
      junge Kolleginnen und Kollegen, gleichzeitig können Assoziati-     der Studierenden sein. Primäres Interesse muss die
      onen zwischen Krankheitsbild, Diagnostik und Therapie gene-        Lehre sein. In praktischer wie theoretischer Form. Um

 10   ärztin 2 August 2017                                                                                                    64. Jahrgang
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die zum Lernen nötigen Freiräume und Konzentration aufzu-         Unser Fazit: Der Masterplan – ein Meisterstück? Ja, aber
bringen, brauchen wir die PJ-Entschädigung mindestens nach        insgesamt betrachten wir den Masterplan Medizinstu­dium
Bafög-Höchstsatz.                                                 2020 – abgesehen von neuen Verpflichtungen wie der
                                                                  Landarztquote, fehlender Berücksichtigung einer PJ-Auf-
ärztin: Der Masterplan Medizinstudium soll 2020 in Kraft          wandsentschädigung oder dem verpflichtenden ambulant-
treten. Welche Jahrgänge betrifft der Plan also und sind von      vertragsärztlichen Quartal – als eine positive Chance, da er
der neuen PJ-Regelung Studierende betroffen, die ab 2020          definitiv zu einer Weiterentwicklung des Medizinstudiums
das Studium beginnen, oder alle Studierenden, die 2015 bis        beitragen wird. Daumen hoch!
2019 angefangen haben und denen somit das PJ zu diesem
Zeitpunkt noch bevorsteht?
                                                                  Isabel Molwitz ist Vizepräsidentin für Externes der Bundes­
Siech/Molwitz: Bei der Umsetzung des Masterplans Medi-            vertretung der Medizinstudierenden Deutschlands (bvmd). Sie
zinstudium 2020 spielen sehr viele Faktoren eine Rolle. Hier      studiert im 13. Semester in Berlin und absolviert aktuell das
sei beispielsweise die Expertenkommission unter Leitung von       erste Tertial ihres Praktischen Jahres in Hamburg.
Frau Prof. Harms zu nennen, die im nächsten Jahr sechs der        Carolin Siech ist Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit der
Maßnahmen auf ihre kapazitativen und finanziellen Auswir-         bvmd. Sie studiert im 8. Semester in Frankfurt und befindet
kungen prüft. Außerdem ist für viele Maßnahmen zudem eine         sich aktuell in einem veranstaltungsfreien Semester im Rah-
Änderung der ärztlichen Approbationsordnung notwendig. Aus        men ihres Promotionsprojektes.
diesen Gründen ist sehr schwer abschätzbar, welche Kohorte        E-Mail: pr@bvmd.de
an Studiereden erstmalig betroffen sein wird. Von einer Über-
gangsregelung ist auszugehen.                                    Das Gespräch führte Gundel Köbke.

ärztin: Bund und Länder konnten sich beim Masterplan nicht       Anzeige
über eine klare und langfristige Finanzierungsvereinbarung
einigen. Befürchten Sie als Studierende, dass die Reform an
der Finanzierung scheitern wird, unter anderem, weil Kosten
nicht einfach auf die Unikliniken abgewälzt werden können?

Siech/Molwitz: Es ist in der Tat zu befürchten, dass der Re-
formwille nach der kommenden Bundestagswahl erlahmen
könnte. Viele große und wichtige Projekte wie der NKLM ste-
hen vor Umstrukturierungen. Es bleibt abzuwarten, ob sich alle
Beteiligten einigen werden. Gewisse symbolpolitische Aspekte
der Reform, die effektiv keine Verbesserung bringen werden,
wie zum Beispiel die Landarztquoten, werden zu unserem
großen Bedauern bereits in einigen Ländern implementiert.
Echte Reformen mit Qualität sind nicht einfach über den Dau-
men zu brechen. Hier braucht es vereinte Bemühungen und
selbstverständlich ausreichende Finanzierung. Ob dauerhaft
der Wunsch besteht, diese Mittel aufzubringen, ist die Frage.
Wir Studierende hoffen, dass die Verantwortlichen in Bund und
Ländern die Chance nutzen, mit dem Masterplan Medizinstu-
dium 2020 zu einer effektiven und zukunftsweisenden Weiter-
entwicklung der Medizinischen Ausbildung – angefangen von
der Zulassung über die Praxisorien­tierung im Studium bis hin
zum Praktischen Jahr – beizutragen. ƒ

                                                                                                              ärztin 2 August 2017   11
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