MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK
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MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK IM INTERVIEW Reform oder Reförmchen? Foto: Privat Foto: Privat CAROLIN SIECH / ISABEL MOLWITZ Im März diesen Jahres wurde der Masterplan Medizinstudium 2020 nach langem Ringen von Bund und Ländern verabschiedet. Der Plan ist eine Reform des Studienganges Medizin in Deutschland. Er enthält 41 Maßnahmen, die einer kompetenzorientierten, praxisbezogenen und patientennahen Ausbildung Rech- nung tragen sollen. So sollen etwa kommunikative und wissenschaftliche Kompetenzen der angehenden Mediziner*innen ebenso gestärkt werden wie die Allgemeinmedizin. Jetzt ist es an den Fakultäten und den Bundesländern, diese Punkte sinnvoll umzusetzen. Studierende wissen jetzt – zumindest grob – was sie ab 2020 erwartet. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hält den Plan für einen Erfolg auf der ganzen Linie: Der Masterplan sei ein großer Schritt hin zu mehr Pra- xisnähe in der Ärzteausbildung, sagte er bei einer Pressekonferenz in Berlin. ärztin fragte bei Studierenden der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd) nach, ob sie den Masterplan tatsächlich für ein Meisterstück halten und was der Plan künftigen Studierenden tatsächlich bringt. schließlich über die Abiturnote – eine sogenannte Abiturbestenquote – nicht zielführend, genauso wenig wie eine Wartezeit, die länger als das eigentliche Medizinstudium dauert. Wir begrüßen, dass mit dem Masterplan neben der Abiturnote zwei weitere Kriterien bei der Studienplatzvergabe in der Medizin be- rücksichtigt werden sollen. Wir möchten noch weitergehen. Deshalb schlagen wir ein Modell vor, das neben der Abiturnote drei weitere Aspekte in der Zulassung berücksichtigt: Fachspezifische Studier- fähigkeitstests, Freiwilliges Engagement v.l.n.r. Sara Klingebiel, Jana Aulenkamp, Dr. med. Regine Rapp-Engels, Dr. med. Christiane Groß, oder Berufliche Erfahrung sowie „Situa- M.A., Isabel Molwitz, Dr. med. Barbara Schmeiser, Carolin Siech beim 120. Ärztetag in Freiburg tional Judgement Tests“ (SJT). Bei dem ärztin: Zu den Inhalten des Masterplans Siech/Molwitz: Für uns ist die Zulas- Verfahren „Situational Judgement Test“ gehört die Reformierung der Studien- sung eines der zentralen Themen der geht es darum, das Verhalten der Men- zulassung durch geeignetere Auswahl Reform. Gemeinsam mit dem Medizi- schen in erfolgskritischen beruflichen verfahren. Die dringend erforderliche nischen Fakultäten Tag (MFT) hat die Situationen zu erfassen. Erhöhung der Studienplatzkapazitäten bvmd ein Konzeptpapier für ein neues wurde vertagt und auch zur bundeswei- Zulassungsverfahren entwickelt. Ziel ist, Mit rund fünf Bewerberinnen und ten Etablierung von Lehrstühlen für All- die Zulassung in Zukunft fair und auf Bewerbern pro Studienplatz ist ein Stu- gemeinmedizin wurden keine verbind- die für das Studium wichtigen Kompe- dium der Medizin so beliebt wie noch lichen Vorgaben gemacht. Liegen hier tenzen orientiert zu strukturieren. So nie. Gleichzeitig steigt auch die Zahl die Schwachstellen des Masterplans? ist die Vergabe der Studienplätze aus- an Mediziner*innen in Deutschland. 6 ärztin 2 August 2017 64. Jahrgang
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK Bei der Diskussion um eine pauschale Checklisten sind deshalb notwendig, um praxisnaher, interprofessioneller und Erhöhung der Studienplätze muss eine ein strukturiertes Überprüfen des Gelern- kommunikativer Lehre benötigen höhere sichere Finanzierung der medizinischen ten zu ermöglichen. Ebenso brauchen personelle Ressourcen. Räume müssen Fakultäten grundlegend berücksichtigt wir ein strukturiertes Feedback an die bereitgestellt werden, Dozierende qua- werden, damit nicht die Qualität der Lehre Absolvent*innen, um Verständnis für die lifiziert werden. Den Fakultäten wurden der medizinischen Ausbildung leidet. Beurteilungskriterien zu generieren. Für bisher noch keine zusätzlichen Mittel zur die Studierenden ist Feedback notwen- Verfügung gestellt. Die Ergebnisse der dig, damit sie einschätzen können, ob die sich mit einigen Maßnahmen beschäf- Prüfung fair verlief und wo Räume zur tigenden Expertenkommission bleiben Verbesserung und Weiterentwicklung abzuwarten. Auch hier würden wir uns der eigenen Kompetenzen bestehen. mehr Transparenz und eine aktive Betei- ligung der Studierenden bei der Umset- Der Nationale Kompetenzbasierte Lern- zung der Reform wünschen. zielkatalog Medizin (NKLM) gibt die Kompetenzen und Fertigkeiten wieder, Wir begrüßen, dass die Notwendigkeit Prüfungsbogen mit Multiple-Choice-Aufgaben die eine Absolventin oder ein Absolvent erkannt wurde, den im PJ Vollzeit ar- benötigt, um erfolgreich in den Beruf beitenden Studierenden grundlegende Während es noch vor einigen Jahren die einzusteigen. Kommunikation, ethisches Bedürfnisse wie Unterkunft und Ver- Ausnahme darstellte, sind Lehrstühle für Handeln, Wissenschaftlichkeit, Lehrkom pflegung zur Verfügung zu stellen. Die Allgemeinmedizin, wie von der bvmd seit petenzen sind Beispiele für ärztliche Finanzierung zusätzlicher Fahrtwege zu Jahren gefordert, nun an den meisten Schlüsselfertigkeiten, die neben Fakten- ländlichen Praxen und Krankenhäusern Fakultäten vorhanden. In Anbetracht der wissen zu einer hohen Qualität der me- ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um Versorgungssituation gehen wir davon dizinischen Versorgung in Deutschland Tätigkeiten auf dem Land kennenlernen aus, dass der Rahmen geschaffen wird beitragen. Aus diesem Grund bedarf es zu können. In diese Richtung gibt es und noch weitere Lehrstühle der Allge- einer Berücksichtigung in Studium und noch viel Raum für innovative Konzepte. meinmedizin etabliert werden. auch einer Neuausrichtung der Prüfun- Projekte der bvmd wie „Land in Sicht“ gen und Staatsexamina. zeigen, dass Praktika im ländlichen Be- ärztin: Die Prüfungen sollen praktischer reich bei gesicherter Organisation und werden. Dazu soll das Institut für me- ärztin: Die Allgemeinmedizin soll ge- Finanzierung die Bereitschaft der Studie- dizinische und pharmazeutische Prü- stärkt werden. Dazu gibt es Vorschläge, renden, auf dem Land tätig zu werden, fungsfragen (IMPP) den Nationalen einen entsprechenden Pflichtzeitraum erhöhen. Abschreckend hingegen wirken Kompetenzbasierten Lernzielkatalog im Praktischen Jahr (PJ) zu schaffen zwangsverpflichtende Maßnahmen wie heranziehen und für praktische Prü- und eine verpflichtende Prüfung in Allge- eine Landarztquote. fungen standardisierte Checklisten er- meinmedizin einzuführen. Zudem sollen arbeiten. Kann dieses Vorgehen die Praxistage, Famulaturen und Praxista- ärztin: Auch die Lehre soll insgesamt Prüfungen im Studium praktischer be- ge in landärztlichen Praxen eingeführt weniger theoretisch und mehr kom- ziehungsweise praxisorientierter ma- werden. Die Studierenden sollen bei den petenz- und praxisorientiert werden. chen? Kosten für Unterkunft und Verpflegung Redundanzen sollen wegfallen, der unterstützt werden. Ist die Finanzierung Lehrstoff reduziert und komprimiert Prüfungen werden neu ausge- dieses Vorhabens gesichert? werden. Zudem soll die Lehre fächer- richtet übergreifender ausgestaltet werden. Finanzierung des Masterplans Was bedeuten diese neuen Ansätze für Siech/Molwitz: Tatsächlich ist einer der steht in den Sternen die Medizinstudierenden? wichtigsten Aspekte bei praktischen Prüfungen die Vergleichbarkeit und Ob- Siech/Molwitz: Aktuell liegen uns noch Siech/Molwitz: Schon seit Jahren fordert jektivität der Ergebnisse. Das bedeutet, keine Informationen über gesicherte die bvmd eine stärkere Ausrichtung des dass bei anderen Prüfer*innen derselbe Finanzierung vor. Im Gegenteil: der ge- Medizinstudiums auf ein Kerncurricu- Studierende vergleichbare Resultate er- samte Masterplan steht unter Haushalts- lum. Fachärztliches Detailwissen gehört zielen sollte. Hier besteht noch erheb- vorbehalt. Viele der begrüßenswerten in die ärztliche Fort- und Weiterbildung licher Nachholbedarf. Standardisierte Maßnahmen wie die Implementierung und nicht in das Studium. Stattdessen ärztin 2 August 2017 7
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK sollte sich die medizinische Ausbildung stärker an den Grund- eine echte Neigungsorientierung im Studium definitiv zu kurz fähigkeiten orientieren, die einen erfolgreichen Einstieg in das kommt. Somit bildet das Wahlfach im praktischen Jahr die ärztliche Berufsleben sowie eine flächendeckende Versorgung große und letzte Chance, einen Einblick in den Berufsalltag ermöglichen. Auf der anderen Seite wird so Raum geschaffen, diverser Fachgebiete sowie in die ambulante und stationäre der zur hochqualitativen Neigungsorientierung der Studieren- Medizin zu erlangen. Hier die Wahlmöglichkeiten zu reglemen- den genutzt werden kann. tieren, ist ein falscher Schritt. ärztin: Der Masterplan enthält auch die umstrittene Land- arztquote, die vorsieht, einen Teil der begehrten Medizin- studienplätze unter der Bedingung zu vergeben, dass die Bewerber*innen sich verpflichten, später mindestens zehn Jahre auf dem Land zu praktizieren. Wie stehen Sie zu dieser Bevorzugung von Bewerber*innen? Sie haben vor der Gefahr der Ärztinnen und Ärzte 2. Klasse gewarnt. Was meinen Sie damit? Siech/Molwitz: Obwohl es laut den Autor*innen des Master plans Medizinstudium 2020 in der Landarztquote um die Stärkung der Allgemeinmedizin gehen soll, hat sich selbst die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familien medizin (DEGAM) gegen eine Landarztquote ausgesprochen. Auf dem Bild sind u.a. zu sehen: Niklas Schulz, Jana Aulenkamp, Es ist davon auszugehen, dass über Vorabquoten wie der Annbalou Hasenburg, Katharina Mörschel, Prof. Dr. med. Gabriele Landarztquoten Bewerber*innen zugelassen werden, die an- Kaczmarczyk, Carolin Siech, Colin Kull, Isabel Molwitz dernfalls keinen Medizinstudienplatz erhalten würden. Pro- ärztin: An den Universitäten gehört die Allgemeinmedizin bleme in der Versorgungslandschaft dürfen nicht mit einer mittlerweile zum Pflichtprogramm. Dazu zählen zum Bei- Reformierung des Zulassungsverfahrens vermischt werden. spiel auch der Ausbau der Anzahl der Lehrstühle und der For- Aus unserer Sicht ist eine faire Vergabe von Studienplätzen schung oder das Blockpraktikum in der Allgemeinmedizin. Ist in der Medizin, wie die bvmd sie fordert und wie sie nun mit das Fach aus Ihrer Sicht dort, wo es hingehört? Wie könnten dem Masterplan kommen soll, das richtige Signal, damit die die Studierenden ihr eigenes Profil selbst bestimmen und geeignetsten Bewerber*innen für das Medizinstudium und schon im Praktischen Jahr die Weichen für die Weiterbildung den späteren Arztberuf ausgewählt werden. stellen? Landarztquote erzielt nicht den gewünschten Effekt Siech/Molwitz: Bundesweit ist das Medizinstudium sehr un- terschiedlich strukturiert und aufgebaut. Somit gibt es auch in Die Landarztquote schädigt die Attraktivität und den Ruf des der Lehre im Fach Allgemeinmedizin große Unterschiede: Wäh- Fachs Allgemeinmedizin. Zudem befürchten wir, dass die rend einige Studierende durch den Einblick in die hausärztliche Landarztquote nicht den gewünschten Effekt erzielen wird. Versorgung von hochmotivierten Kolleginnen und Kollegen be- Für wohlhabende Studierende besteht die Möglichkeit, sich ins geistert wurden, berichten andere über fehlende Einbindung in Studium einzukaufen. „Echte“ von „vorgetäuschter“ Motivation den Praxisalltag. Durch die zahlreichen verpflichtenden Maß- als Zulassungskriterium zu unterscheiden, ist sehr schwierig, nahmen wird das Fach Allgemeinmedizin von den ein oder an- wenn nicht unmöglich. Es wird aufrichtig Motivierte geben, die deren Studierenden als sehr dominant im Studium angesehen es sich während ihres Studiums anders überlegen. und mit Zwangsmaßnahmen assoziiert. Das ist sehr schade. So sind etwas über zehn Prozent der Bewerber*innen sowie Die Neigung kommt definitiv zu kurz der Studierenden kontinuierlich daran interessiert, Allgemein- mediziner*innen zu werden. Die Quote wird gefordert, ohne dass Die Profilbildung kommt im Medizinstudium an vielen Stellen dadurch absolut mehr Landärzt*innen gewonnen werden. Zu- zu kurz. Zwar gibt es mit den vorklinischen und klinischen dem ändern sich die Präferenzen für die Facharztrichtungen Wahlfächern Angebote, über das allgemeine Curriculum hin während des Studiums erheblich. Kaum eine der Bewerber*in- auszublicken, doch gleichzeitig mangelt es an vielen Fakultä- nen möchte am Ende des Studiums noch das machen, was sie ten an Raum, die einzelnen medizinischen Fächer mit ihren zu Beginn interessierte. Verzweifelte Studierende, die meinen, Stärken und Schwächen in der Praxis kennenzulernen, sodass es sei ihnen egal, welche Facharztrichtung sie später ausüben 8 ärztin 2 August 2017 64. Jahrgang
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK und wo sie leben, werden mit hoher Motivation in die Vorlesungen und theo- An zahlreichen Fakultäten ist der Erwerb Wahrscheinlichkeit während des Studi- retischen Seminare zurückkehren. von wissenschaftlich-methodischem ums ebenfalls neue Gedanken fassen. Arbeiten oft nur Teil von fakultativen Dabei ist wichtig, dass klinische Praktika Promotionskollegien und Graduierten- nicht ihrem Selbstzweck, sondern einem schulen. Die Wissenschaftlichkeit sollte strukturierten und evidenzbasierten somit allen Studierenden im Studium zu- Konzept unterliegen. Daneben müssen gänglich gemacht werden und kein Ex- alle Bemühungen regelmäßig evaluiert klusivangebot für besonders Motivierte und weiterentwickelt werden. und Engagierte sein. ärztin: Alle angehenden Ärztinnen und ärztin: Ärztin oder Arzt zu werden, be- Ärzte sollten zum selbstständigen, wis- deutet nicht nur, sich theoretisch mit senschaftlich-methodischen Arbeiten Symptomen und Therapien auseinan- Arztkoffer einer Land- oder Allgemeinärztin ausgebildet werden. Was bedeutet dies derzusetzen, sondern auch kommuni- für die künftig Studierenden im Einzel- kative, wissenschaftliche und soziale Gemein ist beiden Gruppen, dass auch nen? Kompetenzen zu fördern, die sich dann sie Wege suchen und finden werden, auch in praxisorientierten Staatsexa- sich aus der Quote zu befreien, sei es Siech/Molwitz: In einigen Fakultäten ist mina wiederfinden. Wie aber lässt sich beispielsweise durch Härtefallanträge der Ansatz, wissenschaftliches Arbeiten zum Beispiel soziale Kompetenz im oder über Kredite. Dies ist nicht im Sinne im Studium zu lehren und praxisorien- Studium für das Examen lernen? der Sicherheit der Patient*innen und der tiert anhand kleinerer wissenschaftlicher Steuerzahlenden. Und was geschieht Arbeiten direkt einzusetzen, bereits etab- Notwendige Kompetenzen am mit den wenigen wirklich für die Tätigkeit liert. So gibt es im Modellstudiengang an Krankenbett erwerben auf dem Land motivierten Studierenden, der Charité bereits seit Jahren zwei Mo- die, falls das Zulassungsverfahren sie dule, die sich ausschließlich mit wissen- Siech/Molwitz: Die Studierenden müs- tatsächlich als echt motiviert selektiert, schaftlich-methodischem Arbeiten be- sen sich auf den Berufsalltag an dem Ort sich während des Studiums nicht um- schäftigen. Gelehrt wird unter anderem, vorbereiten, an dem sie später tätig sein entscheiden und erfolgreich das Medi- Plagiate zu vermeiden, zu recherchieren, werden. Das heißt, es sollte ihnen ermög- zinstudium absolvieren? Für diese Kan- mit Studien und Quellen umzugehen und licht werden, die notwendigen Kompe- didaten braucht es Stipendien. wissenschaftliche Arbeiten auch unter tenzen und Fertigkeiten am Krankenbett inhaltlichen und formalen Aspekten kor- oder in der ambulanten Praxis gemein- ärztin: Bereits früh im Studium soll kli- rekt zu erstellen. sam mit erfahrenen Mediziner*innen zu nisches Wissen vermittelt und ein in- erlangen. Nur im direkten Umgang mit tensiver Patientenkontakt hergestellt Aus persönlicher Erfahrung können wir Patientinnen und Patienten kann das werden. Ist dieses Konzept zur Vorbe- sagen, dass Studierende die Bedeutung strukturierte Denken und die Fähigkeit reitung auf das Arbeitsleben ausrei- der wissenschaftlichen Lehre meist in des Transfers basierend auf dem er- chend? dem Moment erkennen, in dem sie ge- lernten theoretischen Wissen erlangt zwungen sind, die erlernten Kompeten- werden. Zudem besteht nur so die Mög- Theorie und Praxis eng verzahnen zen konkret anzuwenden. Dies deckt lichkeit, bestehende wissenschaftliche sich mit den Forderungen der bvmd, Studien und Praktiken kritisch zu reflek- Siech/Molwitz: Die Verzahnung von vor nach den Prüfungen entsprechend dem tieren. Darüber hinaus bieten praktische klinischen und klinischen sowie theo Prinzip des „Assessment drives lear- Übungen mit Simulationspatient*innen retischen und praktischen Lehrinhalten ning“ – oder was Prüfungen mit Lernen und Modellen sowie Simulationen von über den gesamten Studienverlauf er- zu tun haben – gelehrte Inhalte auch realen Klinikabläufen eine Ergänzung. möglicht, Schnittpunkte verschiedener zutreffend abprüfen zu müssen, damit Fächer effektiver festzustellen und den Lernerfolge eintreten. Man weiß, was ärztin: Im Krankenhaus arbeiten nicht Synergismus der Lernspirale besser zu zu erwarten ist, scheitert nicht direkt an nur Ärztinnen und Ärzte, sondern auch nutzen. Die Erfahrungen aus den Modell- formellen Aspekten wissenschaftlichen zahlreiche weitere Berufsgruppen des studiengängen zeigen, dass ein frühzeiti- Schreibens und ist darin geschult, mit Gesundheitswesens. Welche Maßnah- ger klinischer Bezug dazu beiträgt, dass den großen und sich ständig erneuern- men sieht der Masterplan vor, um eine Studierende im Umgang mit Patient*in- den Datenmengen in der Medizin umzu- gezielte Zusammenarbeit zu fördern? nen vertrauter werden und mit hoher gehen. ärztin 2 August 2017 9
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK Siech/Molwitz: Interprofessionalität in der Ausbildung von riert werden, die dazu beitragen, theoretisch Gelerntes Gesundheitsberufen ist der bvmd ein wichtiges Anliegen. Der zu repetieren, zu vertiefen und vor allem auch anzu- enge Austausch der bvmd mit ihren Schwesterverbänden, wenden. Und wieso eine kontinuierliche Implemen- beispielsweise der Zahnmedizin, Veterinärmedizin und Phar- tierung? Studien und Lerntheorien beweisen immer mazie, hat gezeigt, dass es sehr viele Schnittstellen gibt. Ge- wieder, dass nicht „Bulimielernen“, bei dem Wissen nur genseitiges Verständnis, einheitliche Terminologie und der kurzfristig „hineingestopft“ wird, sondern vor allem lon- Perspektivenwechsel sind für eine effektivere Zusammenar- gitudinales Lernen der Schlüssel zum Erfolg ist. beit aller Gesundheitsberufe notwendig. Dabei müssen erste gemeinsame Knotenpunkte bereits im Studium und der Aus- ärztin: Zahlreiche Aspekte wie die Zusammenarbeit bildung liegen. Die siebte Maßnahme des Masterplans Medi- mit anderen Medizinberufen oder eine Reform der zinstudium 2020 formuliert zu unserer Freude klar, „(...) dass Promotion wurden im Masterplan noch nicht beleuch- die Hochschulen aufbauend auf den gemachten Erfahrungen tet. Was fehlt Ihrer Ansicht nach, um den Masterplan gemeinsame Lehrveranstaltungen mit Auszubildenden bzw. Medizin 2020 wirklich rund zu machen, was müsste Studierenden anderer Gesundheitsfachberufe verstärkt in nachgebessert werden? ihre Curricula aufnehmen.“ Gemeinsame Lehrveranstaltungen können dazu beitragen, dass die Studierenden die Kompe Mangelhaft ist die fehlende Aufwandsent- tenzen anderer Fachberufe besser einschätzen und Vorurteile schädigung im Praktischen Jahr abbauen können. Dabei muss bedacht werden, dass die Lehr- formate spezifisch auf interprofessionelle Interaktion ausge- Siech/Molwitz: Was uns im Masterplan wirklich fehlt, richtet sind – bloß nebeneinander im Hörsaal zu sitzen genügt ist die Aufwandsentschädigung im PJ. Es kann nicht diesem Anspruch nicht. sein, dass von Medizinstudierenden laut Approba tionsordnung für Ärzte 2002 erwartet wird, werktags ganztags auf Station tätig zu sein, nebenbei für das Dritte Staatsexamen zu lernen. Laut Studierenden- survey des Bundesministeriums für Bildung und For- schung finanzieren 50 Prozent der Medizinstudieren- den ihr Studium und Lebensunterhalt über Nebenjobs. Da ergeben sich schnell 60 Stunden pro Woche. Die Studierenden arbeiten im PJ relativ eigenständig am Patienten. Übermüdete und erschöpfte Studierende sind ein Risiko für die Sicherheit von Patientinnen und Patienten. Sie können sich nicht angemessen auf das Dritte Staatsexamen vorbereiten, worunter ihre Ausbil- dung leidet. Geht der Masterplan 2020 strategisch auf? Es ist nicht zu akzeptieren, dass Studierenden im Praktischen Jahr keine adäquate Entschädigung ärztin: Vorklinische und klinische Studieninhalte sollen bes- gezahlt werden kann und andererseits den Studie- ser verknüpft werden. Die bvmd spricht sich daher für inte renden weder Zeit für Nebentätigkeiten noch Stu- grierte Curricula mit bereits früh und kontinuierlich vermittel- dientage oder Lernzeiten eingeräumt werden. Es tem klinischem Wissen und Patientenkontakt aus. Warum? bedarf ausreichend Zeit sowie Räumlichkeiten im PJ, um die erworbenen praktischen Erfahrungen Siech/Molwitz: Je früher Studierende die Gelegenheit haben, adäquat theoretisch vor- und nachzubereiten, um den sich basierend auf dem theoretischen Faktenwissen mit ih- optimalen Lernerfolg zum Wohle der Patientinnen und rem späteren Berufsalltag auseinanderzusetzen, desto besser Patienten zu erzielen. ist es ihnen möglich, die notwendigen ärztlichen Kenntnisse und Fähigkeiten gezielt zu erlangen. Früher Patientenkontakt Wir sind Studierende. Das PJ ist Teil des Studiums. ermöglicht einen zeitnahen Einblick in die Anforderungen an Primäres Interesse darf nicht die günstige Arbeitskraft junge Kolleginnen und Kollegen, gleichzeitig können Assoziati- der Studierenden sein. Primäres Interesse muss die onen zwischen Krankheitsbild, Diagnostik und Therapie gene- Lehre sein. In praktischer wie theoretischer Form. Um 10 ärztin 2 August 2017 64. Jahrgang
MASTERPLAN MEDIZINSTUDIUM 2020 IM CHECK die zum Lernen nötigen Freiräume und Konzentration aufzu- Unser Fazit: Der Masterplan – ein Meisterstück? Ja, aber bringen, brauchen wir die PJ-Entschädigung mindestens nach insgesamt betrachten wir den Masterplan Medizinstudium Bafög-Höchstsatz. 2020 – abgesehen von neuen Verpflichtungen wie der Landarztquote, fehlender Berücksichtigung einer PJ-Auf- ärztin: Der Masterplan Medizinstudium soll 2020 in Kraft wandsentschädigung oder dem verpflichtenden ambulant- treten. Welche Jahrgänge betrifft der Plan also und sind von vertragsärztlichen Quartal – als eine positive Chance, da er der neuen PJ-Regelung Studierende betroffen, die ab 2020 definitiv zu einer Weiterentwicklung des Medizinstudiums das Studium beginnen, oder alle Studierenden, die 2015 bis beitragen wird. Daumen hoch! 2019 angefangen haben und denen somit das PJ zu diesem Zeitpunkt noch bevorsteht? Isabel Molwitz ist Vizepräsidentin für Externes der Bundes Siech/Molwitz: Bei der Umsetzung des Masterplans Medi- vertretung der Medizinstudierenden Deutschlands (bvmd). Sie zinstudium 2020 spielen sehr viele Faktoren eine Rolle. Hier studiert im 13. Semester in Berlin und absolviert aktuell das sei beispielsweise die Expertenkommission unter Leitung von erste Tertial ihres Praktischen Jahres in Hamburg. Frau Prof. Harms zu nennen, die im nächsten Jahr sechs der Carolin Siech ist Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit der Maßnahmen auf ihre kapazitativen und finanziellen Auswir- bvmd. Sie studiert im 8. Semester in Frankfurt und befindet kungen prüft. Außerdem ist für viele Maßnahmen zudem eine sich aktuell in einem veranstaltungsfreien Semester im Rah- Änderung der ärztlichen Approbationsordnung notwendig. Aus men ihres Promotionsprojektes. diesen Gründen ist sehr schwer abschätzbar, welche Kohorte E-Mail: pr@bvmd.de an Studiereden erstmalig betroffen sein wird. Von einer Über- gangsregelung ist auszugehen. Das Gespräch führte Gundel Köbke. ärztin: Bund und Länder konnten sich beim Masterplan nicht Anzeige über eine klare und langfristige Finanzierungsvereinbarung einigen. Befürchten Sie als Studierende, dass die Reform an der Finanzierung scheitern wird, unter anderem, weil Kosten nicht einfach auf die Unikliniken abgewälzt werden können? Siech/Molwitz: Es ist in der Tat zu befürchten, dass der Re- formwille nach der kommenden Bundestagswahl erlahmen könnte. Viele große und wichtige Projekte wie der NKLM ste- hen vor Umstrukturierungen. Es bleibt abzuwarten, ob sich alle Beteiligten einigen werden. Gewisse symbolpolitische Aspekte der Reform, die effektiv keine Verbesserung bringen werden, wie zum Beispiel die Landarztquoten, werden zu unserem großen Bedauern bereits in einigen Ländern implementiert. Echte Reformen mit Qualität sind nicht einfach über den Dau- men zu brechen. Hier braucht es vereinte Bemühungen und selbstverständlich ausreichende Finanzierung. Ob dauerhaft der Wunsch besteht, diese Mittel aufzubringen, ist die Frage. Wir Studierende hoffen, dass die Verantwortlichen in Bund und Ländern die Chance nutzen, mit dem Masterplan Medizinstu- dium 2020 zu einer effektiven und zukunftsweisenden Weiter- entwicklung der Medizinischen Ausbildung – angefangen von der Zulassung über die Praxisorientierung im Studium bis hin zum Praktischen Jahr – beizutragen. ärztin 2 August 2017 11
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