Gottesdienst am 21.September 2014 in der Stiftskirche Stuttgart Predigt über 1. Thessalonicher 5,14-24 von Prälat Ulrich Mack

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Gottesdienst am 21.September 2014
in der Stiftskirche Stuttgart
Predigt über 1. Thessalonicher 5,14-24
von Prälat Ulrich Mack
Lesung: Johannes 17,10-17

Predigttext 1. Thessalonicher 5,14-24
14Wir      ermahnen euch aber, liebe Geschwister:
Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen,
tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann.
15
     Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte,
sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
      16
           Seid allezeit fröhlich,
      17
           betet ohne Unterlass,
      18
           seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an
euch.
      19
       Den Geist dämpft nicht.
      20
           Prophetische Rede verachtet nicht.
      21
           Prüft aber alles und das Gute behaltet.
      22
           Meidet das Böse in jeder Gestalt.
      23
           Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre
euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn
Jesus Christus.
      24
           Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun.

Liebe Gemeinde,
wie geht’s Ihnen jetzt mit der langen Liste? 14 Befehle hat Paulus da geschrieben.
Weist zurecht – seid geduldig – meidet das Böse… und so weiter. 14 Mahnungen,
wie wir miteinander umgehen sollen. Wir hören sie vermutlich mit ganz unterschied-
lichen Ohren.
Die Perfektionisten unter uns denken vielleicht: "Jawohl, so soll die Welt aussehen."
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Die Idealisten meinen: "Hohe Ziele braucht der Mensch."
Die Rationalisten fragen: "Ist das nicht ein bisschen viel auf einmal, lieber Paulus?",
und die Pessimisten sagen längst: "Das schaffen wir doch eh nicht. Die
Hochsprunglatte hängt zu hoch". Was denken Sie?

14 Mahnungen und Regeln - einige leuchten unmittelbar ein. Tragt die Schwachen -
wer will das nicht? Prüft alles, und das Gute behaltet - da stimmen wir gern zu.
Meidet das Böse - klar doch!

Bei anderen wird es uns schon schwieriger: Jagt allezeit dem Guten nach - schaffen
wir das? Und wie ist es mit allezeit fröhlich sein - am Geburtstag ist das einfach oder
wenn der Urlaub anfängt. Aber allezeit? - auch bei Regenwetter und wenn der Stress
wieder anzieht?

Und: seid dankbar in allen Dingen!? Klar, danken können wir schon - für ein
neugeborenes Kind, für ein gutes Essen, für einen schönen Sonntag. Aber in allen
Dingen - also auch danken in Krankheit, im Leid? Ist das nicht ein bisschen viel
verlangt? Verkrampft sich da nicht was?

Was will Paulus mit seinen 14 Mahnungen? Will er uns zu eifernden Perfektionisten
machen? Oder zu resignierenden Pessimisten?

Nein, er will uns zu Christen machen. Zu Menschen, die mit Christus verbunden sind.

Das Geheimnis der 14 Mahnungen liegt im vorletzten Satz. Am Anfang hatte Paulus
begonnen: Wir (bzw. Ich) aber .... Jetzt zeigt er auf Gott: Er aber .... Er, der Gott des
Friedens, der trotz allem treue Gott - er wird etwas tun. Was denn? Uns beobachten?
Beurteilen? Richten? Nein, Paulus schreibt: Er, der Gott des Friedens heilige euch,
und er betont: durch und durch, durch den ganzen Menschen mit Geist, Seele,
Körper.

Was heißt das: Gott heilige euch?
Gehen wir für einen Moment in die Zeit des Paulus; denken wir an diejenigen, an die
er den Brief zuerst schrieb, an die jungen Christen in der Stadt Thessalonich (heute:

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Thessaloniki). Die waren erst vor kurzem zum Glauben an Christus gekommen – und
nun waren sie unsicher: Wie sollen wir denn nun leben? Was gehört zum Christsein
dazu? In ihrer hellenistischen Lebenswelt schwirrten die unterschiedlichsten
Vorstellungen umeinander, eine bunte Vielfalt an Lebensentwürfen, an Philosophien
und Mythen - und auch an Religionen: Hunderte von Gottheiten wurden verehrt,
griechische und römische, ägyptische und persische. In den größeren Orten stand
fast an jeder Ecke ein Heiligtum. Und was war nun praktizierte Religion? Man ging
hin zum Heiligtum, verrichtete seine Opfer und kehrte wieder in seinen Alltag zurück.

Und da zeigt nun Paulus einen ganz anderen Weg. Er sagt nicht: Geht zum Heiligtum
und macht dort was, sondern er sagt: Das Heilige soll zu euch kommen. Genauer: Es
soll in euch hinein kommen.

Paulus hat das nicht erfunden. Er hat es aus seiner Bibel. Er wusste wie alle Juden:
Heilig ist Gott. Zuerst einmal er allein. Heiligkeit ist seine Sphäre, sie gehört zu ihm.
Heiligkeit ist der Glanz seiner Gegenwart, der Bereich seiner göttlichen Macht und
Kraft. Heilig ist, was zu Gott gehört.

Aber nun das Aufregende: Gott will das Heilige nicht für sich behalten. Er will, dass
etwas von seinem Heiligsein auf uns überfließt. Schon in den uralten Texten der
Mosebücher ließ Gott sein Volk wissen: Ich bin heilig – und ihr sollt heilig sein. Immer
wieder leuchtet dieser Satz auf. Die Zehn Gebote hat Gott ja nicht einfach auf die
Erde geschleudert und befohlen: Das haltet jetzt mal gefälligst ein. Sondern diese
Gebote und all die anderen Weisungen des alten Bundes stehen unter der Über-
schrift: Ich bin heilig – und jetzt soll das auf euch überfließen: ihr sollt heilig sein.
Eben das erbittet Jesus im Gebet (in Johannes 17), aus dem wir in der Lesung
gehört haben: Vater, heilige sie …

Genau das macht Paulus nun den jungen Christen in Thessalonich deutlich, dort, wo
viele zu einem Heiligtum hinkommen – da sagt er: Viel wichtiger ist jetzt, dass das
Heilige zu euch kommt. Genauer: Dass der Heilige, dass Gott selbst zu euch
kommen darf, dass er in euch wirkt – und wenn Gott in euch wirkt, dann gibt er von
seiner Heiligkeit etwas in euch hinein.

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Heilig ist, was zu Gott gehört. Und das soll jetzt geschehen: Ihr sollt und ihr könnt zu
Gott gehören. Das ist gemeint mit dem Satz: Gott heilige euch durch und durch.
Ihr seid jetzt das Heiligtum, ihr mit eurem Körper und mit eurer Seele, ihr mit euren
Tagen und Jahren, ihr mit euren Freuden und mit euren Sorgen – ihr sollt mit all dem
Gott gehören. In all das, was euer Leben ausmacht, soll Heiligkeit hinein. Es soll
gefüllt werden durch seinen Heiligen Geist. Durch und durch soll das geschehen: die
Lebensmitte will Gott prägen und die Verästelungen unseres Lebens auch. Wie ein
gesunder Baum mit seinen Wurzeln Saft und Kraft aufnimmt, sich so "durch und
durch" - durch Stamm und Äste - füllen lässt und schließlich Früchte tragen kann, so
sollen und können wir es als Christen: verwurzelt sein im Vertrauen auf Gottes
Treue, Halt haben in Jesus Christus und von ihm sich füllen und prägen lassen -
auch in die alltäglichen Zweige und Verästelungen hinein, in unsere Erfolge und in
unsere Enttäuschungen. Auch Stress und Krankheiten können unter dem Glanz
seiner Gegenwart geheiligt werden. Auch unsere Sexualität und unser Geldbeutel
und alles, was mit ihnen zusammen hängt – sie sollen nicht eine gott-freie Zone sein,
sondern ein Bereich seiner Heiligkeit. Auch sie sollen Gott gehören.

Und so - von Gott und seiner heiligenden Kraft her gesehen - verlieren die 14
Ermahnungen ihren fordernden und vielleicht überfordernden Druck. Nicht ein
perfektionistisches „Ihr müsst …“ steht dabei im Vordergrund, sondern: Gott will
etwas in euch tun.
Und zwar in all dem, was Paulus nun in den Mahnungen schreibt.

Sehen wir ein paar der 14 Weisungen in diesem Bibelabschnitt nochmal daraufhin
an: Weil Gott uns trägt, können und sollen wir die Schwachen tragen. Wir haben von
unserer alten Natur her eine oft unerlöste Haltung zu den Schwachen. In unserem
Land sprach man noch vor gar nicht langer Zeit vom "lebensunwerten Leben", und
manchmal lockt dieses Denkmuster wieder - zum Beispiel wenn Kinder mit
Behinderungen schon gar nicht mehr auf die Welt kommen dürfen, und wenn sie
kommen, ist der Arzt schuld. Was sind die Schwachen wert? Auch die Alten,
Gebrechlichen, die dauerhaft Pflegebedürftigen? Die Bibel sagt: Vor Gott sind sie
unendlich geliebt als seine Geschöpfe, und selbst in einem gebrechlichen Körper
kann ein heiliger Mensch leben. Tragt die Schwachen, weil Gott sie trägt.

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Oder: seid geduldig: Erstmal ist Gott mit uns geduldig. Neulich sagte jemand: „Gott
ging mir in meinem Leben jahrzehntelang hinterher, bis ich mich seiner Liebe öffnete
und ein neuer Mensch wurde.“ Wie Gott mit uns geduldig ist, mutet er uns zu, unter-
einander geduldig zu sein.

Und auch das nächste: Wenn der Gott des Friedens uns mit seiner Vergebung füllt,
darf die unbarmherzige Logik der Vergeltung nicht weiterregieren; Heiligung hat die
Kraft, die Kette des Bösen zu unterbrechen. Einem Gott des Friedens vertrauen wir.
Ihm, der Frieden will und nicht Krieg, erst recht keinen „heiligen Krieg“.

Die Kraft, so will Paulus zeigen, - die Kraft ist da, Böses nicht mit Bösem vergelten zu
müssen. Sie ist da, ihr müsst sie nicht machen. Darum ist es jetzt wichtig, wenn wir
Böses erleben, nicht den Ärger einfach hinunterzuschlucken und sich selber zu
bemitleiden - das gibt nur Magengeschwüre. Sondern den Ärger und die Aggres-
sionen ganz aktiv vor den Gott zu stellen, der der Gott des Friedens ist. All das, was
uns eben nicht allezeit fröhlich sein lässt, zu nehmen und an das Kreuz Jesu zu
legen und dann die Faust aufzumachen und loszulassen - wirklich sich zu lösen: So
wird jemand ein erlöster Mensch. Das Negative im Leben loslassen und es Jesus
überlassen können – das ist ein Stück Heiligkeit im Alltag. Wer sie erlebt, kann
gelassen werden.

Solch heilige Gelassenheit tut gut. Wir brauchen sie in unserer satten und doch oft so
gierigen, hektischen Welt. Es ist eine gute innere Übung zu beten: „Ich lasse mich
dir, Herr, überlasse dir, was dir nicht gefällt - nun fülle du mich mit dem, was du
schenkst.“ Kurz: „Heilige mich!“

Und das können wir auch durch die anderen Mahnungen durchbuchstabieren: Weil
der heilige Gott treu ist, ist jede unserer Stunden und Minuten in seiner Hand; darum
haben wir Grund, allezeit fröhlich zu sein. Und schließlich auch dankbar in allen
Dingen.
Vorhin haben wir gefragt, ob das denn möglich sei, ohne dass sich die Seele
verkrampft. Nun weiß auch die Bibel. Es gibt Momente voller Leid, Verzweiflung oder
Trauer, in denen will ich schreien, klagen, weinen - und auch das hat in der Bibel
seinen Raum, zum Beispiel in den Klagepsalmen. Aber eben dann, wenn ich zu Gott

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klage, geschieht schon was in mir. Ich kann dann vielleicht nicht gleich für das
Unglück danken, das ich erlebe, aber ich verbinde auch diese Lebenssituation mit
Jesus und weiß: Mein Herr ist jetzt bei mir, und selbst wenn ich nicht mehr über die
Wellen meines Lebens hinausschaue - ich weiß, dass mein Herr auf den Wellen
gehen kann und dass er auch über meinem Leid steht - und genau dafür kann ich
danken.

Das gibt dem Leben dann den weiten Horizont einer Glaubensgelassenheit. Eben
diesen weiten Horizont einer heiligen Glaubensgelassenheit will Paulus hier öffnen,
will ihn den Christen in Thessalonich erklären und damit zeigen: Lasst euch nicht in
der Vielfalt der Meinungen und der Lebensentwürfe irre und unsicher machen. Wir
können leben in der Verbindung mit Gott. Nein, wir müssen unser Leben nicht selbst
heilig machen. Wir können das gar nicht. Aber der heilige Gott, kann es. Ob wir nun
eher Perfektionisten sind, Pessimisten oder Rationalisten – entscheidend ist, dass
wir Christen sind und immer mehr werden – Menschen, die sich durch Christus
prägen und heiligen lassen. Wissen Sie noch, wie der Bibelabschnitt endet?
„Er wird’s auch tun.“
Amen

Fürbittgebet:
Heiliger Gott,
heilige uns durch und durch, bis in die Alltäglichkeiten unseres Lebens hinein. Du
siehst unsere Gedanken, kennst unsere Erfahrungen, weißt unsere Fragen. Du bist
treu. Bewahre uns an Leib und Seele. Leite uns, unsere Mitmenschen zu tragen und
zu trösten. Lehre uns Geduld und Vergebung. Fülle uns mit Freude und Dank.
Das bitten wir dich für uns und unsere Mitmenschen, besonders für Kranke und
Einsame, für Verzweifelte und alle, die mit Sorgen beladen sind: Sei ihnen nahe.
Um den Frieden in unserer kleinen und in der großen Welt bitten wir dich: Gib den
politisch Verantwortlichen Weisheit und Mut dazu. Für unsere Schwestern und
Brüder, die wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt werden, bitten wir: Steh ihnen
bei. Danke, dass wir so bitten und unsere Tage und Jahre vertrauensvoll in deine
Hand legen können.
Amen Vaterunser …

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