Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre - Hochschullehre im digitalen Zeitalter
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Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre Oktober 2020 Ausgabe 11 Hochschullehre im digitalen Zeitalter 1
Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01PL17039 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor. IMPRESSUM Herausgeberin Die Rektorin der Universität Greifswald Redaktion BMBF-Projekt interStudies_2 (Qualitätspakt Lehre) Domstraße 58a in 17489 Greifswald Erscheinungsweise jährlich Erscheinungstermin Oktober 2020 Editorial & reviewer board Prof. Dr. Konstanze Marx (Universität Greifswald) Dr. Jana Kiesendahl (Universität Greifswald) Swantje Borukhovich-Weis (Universität Duisburg) Pauline Glawe (Universität Greifswald) Jörg Hafer (Universität Potsdam) Dr. Grzegorz Lisek (Universität Greifswald) Dr. Martha Kuhnhenn (Universität Greifswald) Dr. Michael Schöner (Universität Greifswald) Ulrike Gochermann (Universität Greifswald) Kristina Lisek (Universität Greifswald) Layout & Gestaltung GRAF fisch Cover Anja Richter Druck Kiebu Druck, Greifswald ISBN 978-3-86006-480-1 www.uni-greifswald.de/gbzh
INHALT VORWORT ............................................................................................................................................................................... 7 GUTE PRAXIS Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre Dr. Jana Kiesendahl .............................................................................................................................................................. 9 Digitale Quellenarbeit – Das Projekt „Pommern und die Welt“ Hielke van Nieuwenhuize .................................................................................................................................................. 21 Implementierung und Evaluation von Simulationspatientenunterricht kombiniert mit Lehrvideo im Querschnittsbereich Prävention und Gesundheitsförderung Christina Raus ....................................................................................................................................................................... 31 ÜBER DEN RYCK GESCHAUT Digitale Gestaltungsmöglichkeiten der Deutschdidaktik: Ein Praxisbericht des Projektseminars „Social Media im Deutschunterricht“ Sarah Stumpf ........................................................................................................................................................................ 39 ELLI 2 – Mixed Reality-unterstütztes Stimmtraining für Lehrende Kathrin Hohlbaum, Dr. Esther Borowski und Prof. Dr. Ingrid Isenhardt ............................................................... 53 Analytische Kurzfilme schneiden als Form digital gestützter Lehre und Forschung Nora-Elisabeth Peters & Prof. Dr. Christopher Wallbaum ....................................................................................... 61 Personalisierbare Aufgaben und anonymer Peer Review in den Grundlagen der Elektrotechnik Mathias Magdowski ........................................................................................................................................................... 75 SERVICESEITEN .................................................................................................................................................................. 87 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS .......................................................................................................................................... 90 GREIFSWALDER BEITRÄGE ZUR HOCHSCHULLEHRE ............................................................................................. 91 55
VORWORT GREIFSWALDER BEITRÄGE ZUR HOCHSCHULLEHRE Als wir 2019 die Jahrestagung des Projekts interStudies_2 unter dem Titel „UPtoDATE: Hochschullehre im digitalen Zeitalter“ veranstalteten, konnten wir nicht im Geringsten ahnen, welche Wellen das Thema digitale Lehre ein Jahr später schlagen würde. Die Thematik als solche ist bereits seit einigen Jahren im Hochschulkontext präsent. Während sich man- che eher punktuell an die Werkzeuge und Formen der digitalen Lehre herantasteten, verankerten andere sie frühzeitig fest in ihre Entwicklungsstrategie. Im Jahr 2020 haben sich die Hochschulen aufgrund der COVID19-Pandemie so intensiv wie nie zuvor mit der Digitalisierung auseinandersetzen müssen – inner- halb kürzester Zeit wurde jede Menge geleistet. Und das Thema wird uns alle noch weiterhin beschäf- tigen: Die rasante Entwicklung der Technik, Heterogenität der Lernenden und Profilanforderungen des künftigen Berufslebens werden digitale Hochschullehre – ob als Äquivalent der Präsenzformate oder ihre Ergänzung – kontinuierlich prägen. In dieser Ausgabe der „Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre“ freuen wir uns, eine Auswahl vor allem praxisorientierter Beispiele präsentieren zu können. Dr. Jana Kiesendahl zeigt am Beispiel des Greifswalder eTutor*innen-Programms, wie dieses in die Digitalisierungsstrategie der Hochschullehre integriert werden kann. Im Mittelpunkt steht das Ziel, didaktische Kompetenzen bei Lehrenden und Stu- dierenden bedarfsorientiert und gezielt zu erweitern. Durch die Wissensvermittlung und Bereitstellung der Infrastruktur können digitale Lehrangebote nachhaltig in die Entwicklungsstrategie von Hochschulen implementiert werden. Hielke van Nieuwenhuize präsentiert die ersten Ergebnisse des Projekts „Pommern und die Welt“. Das gleichnamige Hauptseminar am Historischen Institut der Universität Greifswald wurde konzipiert, um die Kompetenzen der Studierenden bei der Quellenarbeit zu fördern. Dabei geht es insbesondere um Digita- lisierung der noch analogen Quellen und deren mediengestützte, kritische Betrachtung. Zur Unterstützung der Praxisphasen im Medizinstudium werden häufiger Simulationen eingesetzt. Chris- tina Raus konzipierte und evaluierte einen solchen Simulationspatientenunterricht mit interaktiven Kom- ponenten an der Universitätsmedizin Greifswald. Im Fokus der Lehrveranstaltung stand die Beratungs- kompetenz der angehenden Mediziner*innen im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention. Das Projekt „[D-3] Deutsch Didaktik Digital“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entwi- ckelt, erprobt und evaluiert verschiedene Lehr-Lern-Szenarien. Sarah Stumpf nimmt hierfür als Beispiel das Projektseminar „Social Media im Deutschunterricht“, in dem sowohl die Auseinandersetzung mit digitalen Kompetenzen als auch deren Theorie-Praxis-Transfer im Schulalltag gefördert wird.
Kathrin Hohlbaum und die beiden Koautorinnen stellen ein digital unterstütztes Stimmtraining für Lehren- de an der RWTH Aachen vor. In Anlehnung an den erfahrungsbasierten Lernzyklus ermöglicht das MR- Voice Lab eine realitätsnahe visuelle und akustische Simulation einer Seminar- oder Hörsaalumgebung, um Lehrende auf den Einsatz ihrer Stimme zu sensibilisieren und diesen zu optimieren. Dass Videos in der Lehre nicht nur für Rezeptionszwecke, sondern auch zur Reflexion in der Hochschul- lehre eingesetzt werden können, zeigen Prof. Christopher Wallbaum und Nora-Elisabeth Peters anhand analytischer Kurzfilme. Diese Methode stammt von der Hochschule für Musik und Theater Leipzig und kann über den Musikunterricht hinaus auch in der Lehrer*innenbildung und Forschung Anwendung finden. Mathias Magdowski hat an der Universität Magdeburg ein Konzept personalisierter Aufgaben mit an- schließendem Peer-Review-Verfahren durch Kommiliton*innen konzipiert und erprobt. Das Ziel der Me- thode ist ein zeitnahes, individuelles Feedback an Lernende zu frisch erworbenem Wissen. Dabei müssen sich vor allem Studierende anhand von Musterlösungen gegenseitig bewerten. Die Übermittlung von personalisierten Aufgaben, Lösungen und vom Feedback laufen in dieser Lehrveranstaltung völlig auto- matisiert online ab. Wir hoffen, dass diese Ausgabe Ihnen wieder Impulse für Ihre Lehre gibt und Sie zur Erprobung neuer Formate motiviert. Nach elf Ausgaben, die im Rahmen des Greifswalder QPL-Projektes interStudies in den Jahren 2013–2020 entstanden sind, möchten wir uns an dieser Stelle bei allen herzlich bedanken, die als Autor*innen, Reviewer*innen und Leser*innen mitgewirkt haben. Greifswald, im September 2020 Kristina Lisek und Prof. Dr. Steffen Fleßa im Namen des Redaktionsteams 77
DAS E-TUTOR*INNEN-PROGRAMM ALS STRATEGISCHER BAUSTEIN FÜR DIGITALE HOCHSCHULLEHRE Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre DR. JANA KIESENDAHL (UNIVERSITÄT GREIFSWALD) ABSTRACT Die Digitalisierung in den Hochschulen verändert die Strukturen der Lehr- und Lernorganisation grundle- gend. Neue didaktische Möglichkeiten der Wissensvermittlung gehen einher mit innovativen technischen Werkzeugen (vgl. Hochschulforum Digitalisierung 2015, 9). Lehrende scheuen oftmals aber noch den Einsatz digitaler Tools, zum einen, weil sie sich den technischen Herausforderungen nicht gewachsen sehen, zum anderen, weil sie den zeitlichen Aufwand nicht leisten können, den die Konzeption von digitalen Lehr- Lernformaten zweifelsohne mit sich bringt. Programme zur Ausbildung von eTutor*innen unterstützen hier die Lehrenden maßgeblich, indem ihnen gut ausgebildete studentische Hilfskräfte an die Seite gestellt werden, die einen Großteil der technischen und organisatorischen Aufgaben übernehmen. Dieser Beitrag beschreibt detailliert Struktur und Ablauf des eTutor*innen-Programms der Universität Greifswald, angefan- gen von der Rekrutierung und Finanzierung von eTutor*innen bis hin zu konkreten Schulungsbestandteilen und didaktischen Formaten. Zudem wird der Einsatz solcher Programme als strategischer Baustein inner- halb von Hochschulentwicklungskonzepten in den Blick genommen. EINLEITUNG Die Digitalisierung im Bildungssektor ist eine der die mediendidaktische Ausbildung bei den Lehrperso- großen Herausforderungen unserer Zeit. Viele Hoch- nen oft nicht vorhanden ist oder Ängste bzgl. der tech- schulen nutzen digitale Lehr-Lern-Formate für eine nischen Bedienung von Hard- und Software bestehen. verstärkte Ergänzung und Erweiterung klassischer Es werden Weiterbildungsangebote in digitaler Lehre Präsenzlehre und zunehmend werden digitale Me- benötigt, da sich Lehrkonzepte der Präsenzlehre nicht dien bei der Planung und Administration von Lernan- 1:1 auf Online-Lehre übertragen lassen. „Die digitale GUTE PRAXIS geboten ganz selbstverständlich integriert. Dennoch Kompetenz der Lehrenden stellt in allen Bildungssek- ist auch Zurückhaltung und Skepsis hinsichtlich des toren die größte Herausforderung für die umfassende Mehrwerts von digitaler Lehre spürbar. Wiederholt Digitalisierung des Lernens dar.“ (Sammet/Wolf 2019, wird festgestellt oder gar beklagt, dass der Zeitauf- 16) Dieser Herausforderung kann mit einem eTutor*in- wand deutlich höher als für Präsenzformate ist, weil nen-Programm begegnet werden, wie es von einigen 99
Universitäten1 im Land bereits praktiziert wird. Struk- sche Aus- und Weiterbildung zu implementieren und turell und inhaltlich sind diese Programme durchaus sie damit als strategische Maßnahme von Digitalisie- verschieden angelegt, aber die Ausbildung von Perso- rungskonzepten an Hochschulen stark zu machen. nen für den Support in digitaler Lehre haben sie als Zweck gemeinsam. 2 DAS E-TUTOR*INNEN-PROGRAMM Das in diesem Artikel beschriebene eTutor*innen- DER UNIVERSITÄT GREIFSWALD Programm ist Teil der Digitalisierungsstrategie der Universität Greifswald, wonach Lehrende und Stu- 2.1 AUSWAHL DER E-TUTOR*INNEN dierende mit didaktischen Kompetenzen in der digita- UND PROGRAMMSTRUKTUR len Wissensvermittlung ausgestattet werden sollen. Das eTutor*innen-Programm ist eine Initiative eTutor*innen sind studentische Hilfskräfte, die mit des Bereichs „Digitalisierung in der Hochschul- einer mediendidaktischen Schulung dazu befähigt lehre“ und der „Hochschuldidaktik“ der Universität werden, Lehrende in der Konzeption, Beratung und Greifswald. Für ein Semester stehen die Hilfs- Pflege digitaler Lehr-Lernformate zu unterstützen. Die kräfte jeweils einer Lehrperson mit 15h/Monat zur Lehrperson erhält durch die enge Zusammenarbeit Verfügung. Idealerweise studieren die eTutor*in- mit dem*der eTutor*in Unterstützung bei der Umset- nen im gleichen Fach, in dem die Lehrperson tätig zung der digitalen Lehrformate und bekommt zugleich ist, um die digitalen Lernangebote auch fachlich einen guten Einblick in die Bedarfe der Studierenden. begleiten zu können. „E-Tutoren nehmen in virtuellen Lernumgebungen einen großen Stellenwert für den Lernerfolg ein, da Zu den Aufgaben der eTutor*innen gehören neben sie das Lerngeschehen koordinieren, organisieren und dem technischen Support für Lehrende und Stu- für die inhaltliche, soziale und technische Unterstüt- dierende und der Beratung bei der Auswahl und zung der Lernenden verantwortlich sind“ (Gretsch/ Gestaltung von digitalen Lehr-Lernformaten vor Hense/Mandl 2010, 143). Damit sind eTutor*innen allem die Erstellung digitaler Inhalte, wobei die eine Schnittstelle zwischen Lehrenden und Studieren- didaktische Konzeption in der Verantwortung der den, weil sie für die jeweilige Lehrveranstaltung einen Lehrperson bleibt. eTutor*innen können hier al- technischen und ggf. didaktischen Support für Lehren- lenfalls Anregungen aus den mediendidaktischen de UND Studierende bieten. Schulungsinhalten geben. Sie sollten mit den Merkmalen und Funktionalitäten der digitalen Dieser Beitrag verfolgt zwei Ziele: In einem ersten Tools vertraut sein und die technische Infrastruktur Teil wird das Programm eingehend beschrieben, um des Lernmanagementsystems souverän beherr- einen Einblick in die strukturelle und inhaltliche Ver- schen. Zudem unterstützen sie die Lernprozesse ankerung zu gewähren und bestenfalls Anregungen auf motivationaler und sozialer Ebene, indem sie für die Implementierung ähnlicher Programme an an- durch geeignete Aufgabenstellungen und adäqua- deren Hochschulen zu liefern. Der zweite Teil dient te Kommunikation die Lernbereitschaft aufrecht- der Plausibilisierung und Ermunterung gleichermaßen, erhalten (vgl. Gretsch/Hense/Mandl 2010, 144). eTutor*innen-Programme fest in die hochschuldidakti- Auch die Koordination von Gruppenarbeiten gehört
Motive für ein Ehrenamt – Ein Service-Learning-Projekt der Greifswalder Kommunikationswissen- zum Aufgabenfeld von eTutor*innen, indem sie z. B. Bereich digitale Lehre besonderes Gewicht beige- die Einteilung in Gruppen vornehmen, Lernmateria- messen. Zudem wird eine gerechte Verteilung der schaft mit dem Deutschen Roten Kreuz Kreisverband Ostvorpommern Greifswald e.V. Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre lien bereitstellen oder Lern- und Gruppenprozesse Plätze in den verschiedenen Fakultäten angestrebt. strukturieren (vgl. ebd., 145). Im ersten Durchlauf (Februar–Juli 2020) haben wir zwölf eTutor*innen ausgebildet. Im zweiten Durch- Die Rekrutierung der eTutor*innen erfolgt über lauf (September 2020–Februar 2021) können wir eine Ausschreibung drei Monate vor dem Start der 16 eTutor*innen schulen und betreuen. Schulungsphase. Lehrende aller Fakultäten können Für die Finanzierung des eTutor*innen-Programms sich mit ihrem Lehrkonzept bewerben und eine*n müssen Gelder für die Bezahlung der eTutor*innen, 1 2 3 Schulungsphase Praxisphase Reflexionsphase (5 Wochen, Blended- (15 Wochen, (Abschluss des Learning-Format) Vorlesungszeit) Programms mit Zertifikat) Abbildung 1: Struktureller Aufbau des Programms (eigene Abbildung) eTutor*in vorschlagen. Die Sichtung der Anträge Softwarelizenzen für den Videoschnitt sowie für nimmt eine Auswahlkommission – bestehend aus externe Referent*innen bereitgestellt werden. Die Akteur*innen der Hochschuldidaktik, der digitalen Kursleitung unterliegt der Verantwortung des Be- Hochschullehre sowie der Studierendenschaft – reichs „Digitalisierung in der Hochschullehre“, so GUTE PRAXIS vor und bewertet diese hinsichtlich verschiedener dass hier keine zusätzlichen Personalkosten not- Kriterien. Bei den Kriterien wird dem Innovations- wendig sind. Die eTutor*innen werden nach dem grad des Lehrkonzepts, dem Zuschnitt auf das gültigen Stundensatz für studentische Hilfskräfte Schulungsprogramm, der Nachhaltigkeit sowie bezahlt. An der Universität Greifswald konnten dem Erfahrungshintergrund der Lehrperson im für das eTutor*innen-Programm Gelder aus dem 11 11
Hochschulpakt eingeworben werden. Darüber hi- 2.2.1 DIDAKTISCHE KONZEPTION naus können – je nach Platzkapazität – Institute Das Schulungsprogramm findet im Blended-Lear- selbst finanzierte studentische Hilfskräfte in das ning-Format statt, d. h. Präsenzsituationen und On- Programm entsenden. Alternativ ist denkbar, dass line-Lernumgebungen werden didaktisch produktiv die Rektorate/Präsidien der Hochschulen Gelder miteinander verbunden und bauen aufeinander bereitstellen oder Mittel, die der Verbesserung auf.3 Gestartet wird mit einer Präsenzveranstal- von Studium und Lehre dienen (z. B. Wohnsitzprä- tung von vier Stunden, die zugleich den Auftakt für mie2), einwerben. Modul I „Digitales Lehren und Lernen in der Hoch- schule“ bildet. Der Präsenztag dient darüber hinaus Die Programmstruktur setzt sich aus drei verschie- dazu, dass sich die eTutor*innen untereinander denen Arbeitsphasen zusammen, die jedoch nicht kennenlernen, da die Arbeit in Gruppen während streng chronologisch aufeinander folgen, sondern der Online-Lernphasen ein zentraler didaktischer mitunter zeitgleich ablaufen. Zunächst wird in Baustein des Programms ist. Die Verbindlichkeit einer Schulungsphase die theoretische Ausbildung und Beteiligung innerhalb von Online-Gruppen- der eTutor*innen durchgeführt. Daran schließt sich arbeiten ist erfahrungsgemäß höher, wenn sich die Praxisphase an, in der sie eine konkrete Lehr- die Teilnehmer*innen bereits kennen und nicht in person während der Vorlesungszeit unterstützen. einer anonymen Gruppe aktiv werden müssen. Parallel zu beiden Phasen und als Abschluss des Dies wiederum erhöht den Lernerfolg (vgl. Weßels Programms erfolgt die Reflexionsphase, in der so- 2020, 6). Zudem wird der in der Online-Lehre als wohl die Schulungsinhalte als auch die Erfahrun- nachteilig empfundenen fehlenden persönlichen gen der praktischen Arbeit fortwährend von den Nähe entgegengewirkt und die Grundlage für eine eTutor*innen evaluiert werden. „vertrauensvolle Wohlfühlatmosphäre mit sozialer Geborgenheit“ (ebd., 4) gelegt. An die Präsenzver- Zum Ende des Semesters werden die Lehrenden anstaltungen schließen sich jeweils eine Online- ebenfalls in den Evaluationsprozess einbezogen, phase mit Übungen und einer Teamdiskussion an.4 um die Wirksamkeit der Maßnahme einzuschät- Die Onlinephasen werden über das Learning Ma- zen und davon ausgehend Modifizierungen für nagement System Moodle gestaltet. Dort werden den nächsten Durchgang ableiten zu können. Mit sowohl Inhalte für das Selbststudium bereitgestellt erfolgreichem Abschluss des Programms erhalten (Lernquiz, zusätzliche Literatur etc.) als auch Lern- die eTutor*innen ein Zertifikat, das detailliert die aufgaben, die im Team zu bearbeiten sind. Für die erworbenen Kompetenzen ausweist. Durchführung der Online-Seminare nutzen wir das virtuelle Klassenzimmer BigBlueButton, das bei uns 2.2 SCHULUNGSPHASE in Moodle implementiert ist und vielfältige Interak- In diesem Abschnitt wird das Schulungsprogramm tionstools wie Chat, Whiteboard, Breakout-Rooms und damit die erste Phase des eTutor*innen-Pro- zur Verfügung stellt. gramms detailliert vorgestellt. Neben der didak- tischen Konzeption werden die einzelnen Schu- lungsinhalte eingehend beschrieben.
Motive für ein Ehrenamt – Ein Service-Learning-Projekt der Greifswalder Kommunikationswissen- Die Online-Lernphasen des Schulungsprogramms Fachrichtungen kommen, wird der Transfer auf ver- sind als problemorientierte Lernumgebung kon- schiedene Kontexte ermöglicht. Die eTutor*innen schaft mit dem Deutschen Roten Kreuz Kreisverband Ostvorpommern Greifswald e.V. Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre zipiert und vereinen sowohl selbstgesteuerte als lernen so verschiedene (fachkulturspezifische) Be- auch kooperative Lernphasen. Im Zentrum stehen trachtungsweisen kennen (ebd., 167). Ihnen steht dabei die Wiederholung der Lerninhalte aus den ein Gruppenforum zur Verfügung, in dem sie ihre Er- Präsenzphasen und deren Anwendung auf authen- gebnisse diskutieren und Erfahrungen austauschen. tische Fallbeispiele aus der hochschulischen Lehr- Die Moderation der Forenarbeit wird modulweise Digitales Lehren Einführung Online- Lehrvideos Grundlagen und Lernen in Moodle Seminare selbst des Urheber- an der Hochschule Dos & Dont‘s erstellen rechts MODUL I MODUL II MODUL III MODUL IV MODUL V Abbildung 2: Module des Schulungsprogramms (eigene Abbildung) praxis. Die Fallbeispiele sind zumeist kooperativ in rotierend von einem Gruppenmitglied übernom- virtuellen Kleingruppen über asynchrone Kommuni- men. Die Studierenden handeln selbstständig aus, kationsforen zu lösen,5 denn „[k]ooperatives Lernen wer in welchem Modul die Moderation und damit und Problemlösen in Lerngruppen ist für die Bear- verbundene Aufgaben, wie z. B. an die Abgabe PRAXIS beitung komplexer Probleme und für die Vertiefung der Ergebnisse erinnern oder Diskussionsimpulse GUTEPRAXIS von Wissen zentral“ (Gretsch/Hense/Mandl 2010, geben, übernimmt. Die Arbeitsergebnisse werden 147). In jeder Kleingruppe arbeiten drei bis vier anschließend in einem gruppenübergreifenden Er- Studierende aus verschiedenen Fächern gemein- gebnisforum bereitgestellt und von der Kursleitung GUTE sam während der gesamten Schulungsphase zu- evaluiert, indem ein ausführliches Feedback zur sammen. Da die Teilnehmenden aus verschiedenen inhaltlichen Lösung gegeben wird. Das Forum im 13 13
Lernmanagementsystem soll als Lernraum für kol- sinnvolle Verknüpfung beider Lehrformen disku- laboratives Arbeiten etabliert werden. Daher wird tiert. Gängige digitale Lehr-Lerninstrumente wer- immer mindestens eine Aufgabe im Forum gelöst. den hinsichtlich ihrer didaktischen Einsatzszenari- Da die Moderation nicht von der Kursleitung über- en thematisiert, ausprobiert und reflektiert. Zudem nommen, sondern gruppenintern organisiert wird, werden im Rahmen dieses Moduls auch konkrete steuern die Teilnehmenden die Aufgabenbearbei- Aufgaben und Einsatzbereiche von eTutor*innen tung selbstständig und entlasten damit die Kurslei- besprochen, um die studentischen Hilfskräfte mit tung. Idealerweise wird dieses Kurskonzept für die ihrer neuen Rolle und den damit verbundenen Auf- konkreten Lehrveranstaltungen der eTutor*innen gaben vertraut zu machen. übernommen. Jedes Modul schließt mit einer Eva- luation ab, die getrennt für die Präsenz- und Online- In der Online-Lernphase wird im programmbeglei- phase konzipiert wird. tenden Moodle-Kurs ein Onlineskript mit ergän- zenden Lehrinhalten bereitgestellt. Zudem entwi- Die Betreuung der Teilnehmenden wird in vielfäl- ckeln die eTutor*innen für zwei der vorgestellten tiger Weise gewährleistet. Zum einen erhalten sie Tools ein Einsatzszenario für die Lehrveranstaltung nach jeder Aufgabenbearbeitung ein ausführliches ihrer Lehrkraft, bei der sie angestellt sind, und re- Feedback über ihre eingereichten Ergebnisse. Zum flektieren deren Einsatz gegenüber analogen Me- anderen steht im Moodle-Kurs eine Fragenbörse thoden. Die einzelnen Konzepte und Tools werden zur Verfügung, in der auftretende Fragen gestellt im Gruppenforum vorgestellt und im Peer-to-peer- und sowohl von der Kursleitung als auch von den Verfahren diskutiert. Peers beantwortet werden können. Fragen, die per E-Mail die Kursleitung erreichen, werden regelmä- Modul II: „Einführung in Moodle“ ßig in die Fragenbörse übertragen. Dieses Modul führt in das Lernmanagementsys- tem Moodle in seiner technischen Bedienung und 2.2.2 SCHULUNGSINHALTE dem didaktisch sinnvollen Einsatz ein. Es wird ein Das Schulungsprogramm umfasst insgesamt fünf breites Spektrum an Aktivitäten, die selbstgesteu- Module, die inhaltlich weitgehend abgeschlossen ertes, eigenständiges und kollaboratives Arbeiten sind und – ausgenommen der Module I und II – ermöglichen, vorgestellt und aktiv ausprobiert. auch in anderer Reihenfolge angeboten werden Dazu gibt es für die eTutor*innen einen eigenen können. Im Folgenden werden die Module inhalt- Moodle-Kurs („Spielwiese“), in dem alle Teilneh- lich skizziert und reflektiert. menden Dozentenrechte haben, um die Aktivitäten während des gesamten Schulungszeitraums selbst Modul I: „Digitales Lehren und anzulegen und zu testen. In der Online-Lernpha- Lernen in der Hochschule“ se legt jedes Gruppenmitglied mindestens zwei Die Studierenden lernen die besonderen Modali- Moodle-Aktivitäten auf der „Spielwiese“ an und täten von Online-Lehre kennen. Dabei werden die formuliert didaktische Überlegungen zum Einsatz Vor- und Nachteile von Hochschullehre in Präsenz- des Tools im Gruppenforum. Die angelegten Akti- situationen und als E-Learning-Angebot und die vitäten werden jeweils von den anderen Gruppen-
mitgliedern getestet und im Gruppenforum evalu- eTutor*innen lernen verschiedene Formate und iert. Die Aufgabe dient dem aktiven Anwenden der Einsatzszenarien von Lehrvideos kennen, zudem Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre im Workshop gezeigten Tools und dem Identifizie- erfahren sie wichtige Kriterien für gute Lehrvideos ren von Problemen/Schwierigkeiten. und Möglichkeiten der didaktischen Gestaltung. Die Teilnehmenden können den Ablauf der Konzep- Modul III: „Online-Seminare – Dos & Don’ts“ tion und Produktion von Lehrvideos nachvollziehen Als synchrones Format der Online-Lehre lernen und kennen die notwendigen Arbeitsschritte. Sie die eTutor*innen die Konzeption und Durchführung werden darin geschult, wie sie – als einfachste von Online-Seminaren mittels eines Videokonfe- Form der Lehrvideoerstellung – ein Video mit Pow- renzsystems/virtuellen Klassenzimmers kennen.6 erpoint produzieren und anspruchsvollere Videos Neben Vorteilen, Herausforderungen, didaktischen mit der Software Camtasia erstellen. Einsatzmöglichkeiten und Interaktionsformen für die Studierendenaktivierung stehen die Rolle der Im Anschluss an den Präsenzworkshop haben die Lehrperson und die Aufgaben von eTutor*innen im eTutor*innen in ihrer Online-Lernphase ca. vier Vordergrund. Das virtuelle Klassenzimmer wird in Wochen Zeit, um ein eigenes Lehrvideo zu produ- seiner technischen Bedienung vorgestellt und zu- zieren. Die Länge, das Thema und das Format des nächst aus Teilnehmendenperspektive ausprobiert. Lehrvideos können sie frei wählen. Zu dem Video Im zweiten Modulteil wechseln die eTutor*innen ist ein didaktischer Steckbrief zu entwerfen, der in die Rolle der Lehrperson und konzipieren selbst das Thema, die Zielgruppe, die Lernziele sowie den eine kurze Sequenz eines Online-Seminars, in Einsatzkontext umreißt. Zu den Lehrvideos gibt die dem sie ein bis zwei interaktive Komponenten Workshopleitung ein individuelles Feedback, das mit einbauen. Im Gruppenforum wird gemeinsam per Mail kommuniziert wird. Das Modul schließt reflektiert, welche Überlegungen und ggf. Her- mit einem Online-Seminar für alle Teilnehmenden ausforderungen mit der Erarbeitung des Konzepts ab, in dem Best-Practice-Beispiele der Lehrvideos einhergingen. Den Abschluss des Moduls bildet vorgestellt und Verbesserungspotentiale aufge- ein Online-Seminar, in dem die eTutor*innen ihre zeigt werden. Sequenzen selbstständig durchführen und von der Kursleitung sowie den anderen Teilnehmenden Modul V: „Grundlagen des Urheberrechts“ Feedback erhalten. Bei der Erstellung von digitalen Lernmodulen be- stehen weitläufig große Unsicherheiten hinsicht- Modul IV: „Lehrvideos erstellen“ lich des Urheberrechts, weshalb dieses Modul Die Erstellung von Lehrvideos gewinnt insbesonde- einen wesentlichen Baustein des Schulungspro- re in Blended Learning Lehrszenarien zunehmend gramms ausmacht. Die eTutor*innen erwerben GUTE PRAXIS an Relevanz, weil sie eine asynchrone Wissens- praxisorientiertes Grundwissen zu Urheberrecht vermittlung und selbstgesteuertes Lernen ermög- und Nutzungs- und Verwertungsrechten, insbe- lichen. Neben technischen Voraussetzungen und sondere für die Verwendung und Erstellung von Umsetzungen geht es in diesem Modul um didak- digitalen Lernmedien und -materialien in Bildungs- tische Überlegungen zur Drehbuchgestaltung. Die einrichtungen. Sie lernen urheber- und persönlich- 15 15
keitsrechtliche Aspekte hinsichtlich Fotos, Videos person. Die Kursleitung hat hier die Rolle, bei Fragen und Personenabbildungen, v. a. das Recht am eige- und Problemen nötige Hilfestellungen zu leisten. nen Bild/Wort, kennen. Die Online-Lernphase ist in diesem Modul dem fachlichen Input vorgelagert 2.4 REFLEXIONSPHASE und besteht in der Aufgabe, konkrete Fragen im Wie zu Beginn des Artikels bereits angeklungen gruppenübergreifenden Forum zu stellen. Diese ist, verläuft die Reflexionsphase quer zur Schu- Fragen werden im Workshop aufgegriffen und lungs- und Praxisphase und ist als fortlaufender vom Referenten beantwortet. Prinzipiell ist hier Prozess zu begreifen. Sie soll Aufschluss über die aber auch möglich, die Fallbeispiele in einer nach- Qualität und Wirkung des Programms liefern, in- gelagerten Online-Lernphase im Gruppenforum dem mit quantitativen und qualitativen Methoden zu diskutieren und ein abschließendes Feedback erfasst wird, wie z. B. die inhaltliche Gestaltung, durch den Referenten einzuholen. Nützlichkeit, Klarheit der Instruktionen, Akzeptanz der Gruppenarbeiten etc. wahrgenommen wird. 2.3 PRAXISPHASE Die eTutor*innen werden dazu angehalten, sowohl Die Praxisphase beginnt mit der Vorlesungszeit und den fachlichen Input zu reflektieren und zu evaluie- folgt unmittelbar auf den Schulungszyklus, kann aber ren als auch Erkenntnisse aus der Praxisphase zu – je nach individueller Absprache mit der Lehrperson formulieren und mit den anderen eTutor*innen zu – auch schon eher beginnen. In Abhängigkeit vom teilen. Als Reflexionsinstrumente dienen Online- eingereichten Lehrkonzept erstellen die eTutor*in- Umfragen als auch die Gruppenforen, in denen ein nen digitale Lehr-Lernformate und stehen bspw. als diskursiver Austausch erfolgen kann. Mit Abschluss Support und Moderator*in in synchronen Online-Se- der Praxisphase wird in zwei Live-Online-Semina- minaren zur Verfügung. Während in der Schulungs- ren (alternativ als Präsenzsitzung) mit jeweils 6-7 phase die Kursleitung des eTutor*innen-Programms Teilnehmenden das eTutor*innen-Programm aus- primäre Ansprechpartnerin ist, wechselt die Ver- gewertet und Modifizierungsvorschläge diskutiert. antwortlichkeit während der Praxisphase zur Lehr- Zudem evaluieren abschließend auch die geförder- ten Lehrpersonen das Programm und geben Rück- meldungen zum Mehrwert von eTutor*innen in der Ausstattung Lerninhalte Durchführung von digitaler Lehre. INFRASTRUKTUR DIDAKTISCHE REFORM Nachdem in diesem ersten Teil des Beitrags das Dienstleistungen Lernmethoden Programm im Detail erläutert wurde, folgt nun die Personal Produktion Einbettung in den größeren Kontext, nämlich inwie- fern eTutor*innen-Programme Teil von Digitalisie- ENTWICKLUNG MEDIEN rungsstrategien an Hochschulen sein können und Organisation Distribution vielleicht auch sollten. Abbildung 3: Strategiebereiche mediendidaktischer Innovation (Kerres 2018, 503)
3 DAS STRATEGISCHE POTENTIAL und bedingen sich wechselseitig. So setzt bspw. VON E-TUTOR*INNEN-PROGRAMMEN eine didaktische Reform auch Veränderungen in Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre Der digitale Wandel prägt unsere Zeit wie kaum ein der Personal- und Infrastruktur voraus. „Im Rah- anderes Thema: Schlagworte wie „digitale Revo- men einer strategischen Ausrichtung ist es wichtig, lution“, „digitales Zeitalter“, „Lernen 4.0“ stehen mehrere Ebenen durch Maßnahmen anzusprechen.“ sinnbildlich für das Ausmaß der Veränderung. Nicht (Kerres 2018, 504) Die Besonderheit des eTutor*in- zuletzt die Schließung der Hochschulen während nen-Programms als Strategiemaßnahme besteht in der Corona-Pandemie im Sommersemester 2020 der großen Reichweite, dass alle vier Bereiche mit zwang die Bildungsinstitutionen zu einer raschen nur einer Maßnahme abgedeckt werden. Umstellung auf digitale Lehrformate. Ein eTutor*innen-Programm dient maßgeblich der Personalentwicklung und ist eine Weiterbildungs- Wollen Hochschulen digitale Lehre langfristig und maßnahme der Universität für ihr Lehrpersonal und professionell fördern und verstetigen, sind eTu- die Studierenden. Zudem sind eTutor*innen zusätzli- tor*innen-Programme ein probater Baustein in- ches Personal, um die erhöhten Bedarfe abzufedern. nerhalb von Digitalisierungsstrategien. Die in der Eins der hauptsächlichen Hemmnisse von Lehrenden, Abbildung 3 dargestellten Innovationsfelder für digitale Lehrformate zu konzipieren, sind nämlich Hochschulstrategien mit Schwerpunkt Lehre sind neben fehlendem technischen Know-How vor allem nach Kerres (vgl. 2018, 503) aufeinander bezogen der Mangel an Zeit. Digitale Lehrformate zu planen Lehrende eTutor*innen Es war eine so gute Entscheidung, am eTutor*in- Das Programm Programm teilzunehmen. Selbst- war wirklich gut. Wichtige denkende, ideenreiche und hilfs- Inhalte, gute Strukturierung, bereite Menschen an meiner die Betreuung war persönlich, Seite zu wissen, macht mein die Dozierenden sympatisch, Leben gerade viel die Durchführung flexibel, auf einfacher. Unvorhergesehenes habt ihr super reagiert. Ich finde die Ergebnisse aus dem GUTE PRAXIS Seminar waren wirklich toll, kreative Mir hat das eTutor*innen-Programm sehr Podcasts, Videos etc. viel Freude bereitet und ich habe viel Neues Vielen Dank für das tolle Programm! und vor allem Nützliches dazu gelernt. Abbildung 4: Auswahl der Rückmeldungen von Lehrenden und eTutor*innen (eigene Darstellung) 17 17
und herzustellen, ist zunächst recht zeitintensiv. Das eTutor*innen-Programm ist eine Maßnahme in Ein*e eTutor*in ist da eine hervorragende Möglich- der Personal- und Organisationsentwicklung, die keit, um Lehrende in ihrer digitalen Lehrpraxis zu dieses Ziel zu erreichen vermag. Die Rückmeldun- unterstützen. Die im Ausbildungsprogramm erwor- gen der eTutor*innen und Lehrpersonen innerhalb benen Lerninhalte und Lehrmethoden werden in die der Reflexionsphase zeigen den persönlichen und Lehrkonzepte integriert und können so langfristig zu institutionellen Mehrwert des Programms deutlich. einer didaktischen Reform führen. Zudem werden Die Lehrenden fühlen sich spürbar entlastet, sind Software-Lizenzen für die Erstellung von Lehrvideos dankbar für die kurzen Wege im technischen Sup- bereitgestellt und damit auch für eine Verbesserung port und profitieren vom Wissenszuwachs ihres*ih- der technischen Infrastruktur gesorgt. rer eTutor*in durch den fortwährenden Austausch zwischen Lehrperson und eTutor*in.7 Mitunter ha- Da eine der Hauptaufgaben der eTutor*innen die ben die eTutor*innen nach dem Train-the-Trainer- Produktion und Distribution von E-Learning-Materia- Prinzip für ganze Fachbereiche kurze Schulungen lien ist (und die Hilfskraft idealerweise auch schon durchgeführt oder didaktische Handreichungen er- in die mediendidaktische Konzeption mit einbezogen stellt, so dass ihr Wissen nicht nur einer einzigen wird), wird auch dieser vierte strategische Bereich Lehrperson zugutekam, sondern ganze Institute da- durch das Programm abgedeckt. von profitieren konnten. Die Studierenden erleben umgekehrt viel Wertschätzung von den Lehrenden und einen enormen Wissenszuwachs im digitalen 4 FAZIT Lehren und Lernen, was insbesondere für die Lehr- Will die Hochschule/Universität E-Learning lang- amtsstudierenden in ihrer späteren Berufspraxis fristig und erfolgreich nutzen und eine innovative von Vorteil ist. Daher gilt es, Weiterbildungsmodel- Lehr-Lernkultur etablieren, muss sie nicht nur die le dieser Art an den Beginn von Digitalisierungsbe- technische Infrastruktur bereitstellen, sondern die strebungen im Bildungssektor zu setzen und damit Lehrenden gezielt darin unterstützen, sich in digi- die wichtigsten Akteursgruppen von Hochschulen taler Didaktik und dem Funktionsspektrum digitaler und Universitäten nachhaltig zu unterstützen, näm- Tools weiterzubilden, denn die Lehrpersonen sind lich die Lehrenden und die Studierenden. der Erfolgsfaktor für die Einführung und Etablie- rung digitaler Lehrformate (vgl. Kerres 2018, 499).
LITERATUR Das eTutor*innen-Programm als strategischer Baustein für digitale Hochschullehre Gretsch, S., Hense, J., Mandl, H. (2010): Evaluation eines Schulungsprogramms zur Ausbildung von E-Tutoren. In: H. O. Mayer/W. C. Kriz (Hrsg.): Evaluation von eLernprozessen. Theorie und Praxis. München, S. 143–169. Hochschulforum Digitalisierung (2015). Diskussionspapier- 20 Thesen zur Digitalisierung der Hochschulbildung. Arbeitspapier Nr. 14. Kerres, M. (2018): Mediendidaktik. Konzeption und Entwicklung digitaler Lernangebote. Berlin/Boston. Niedermeier, S., Schätz, R., Mandl, H. (2015): Ausbildung von E-Tutoren zur Betreuung von Studierenden – ein Beitrag aus der Praxis zur Lehre mit digitalen Medien. In: Nistor, N., Schirlitz, S. (Hrsg.): Digitale Medien und Interdisziplinarität. S. 239–249. Sammet, J., Wolf, J. (2019): Vom Trainer zum agilen Lernbegleiter. So funktioniert Lehren und Lernen in digitalen Zeiten. Weßels, D. (2020): Lessons Learned: Mit 12 Fragen zu mehr Online-Glück in der Hochschullehre. In: https://hochschulforumdigitalisierung. de/de/blog/lessons-learned-online-hochschullehre ANMERKUNGEN 1 Exemplarisch seien genannt die Bauhaus-Universität Weimar, die Universität Bayreuth oder die Universität Paderborn. 2 In Mecklenburg-Vorpommern erhalten die Hochschulen des Landes einen Zuschuss für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, „wenn – bezogen auf das 1. Studienfach jeweils über 50% der Neuimmatrikulierten mit Hauptwohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern ge- meldet sind“ (https://www.uni-greifswald.de/storages/uni-greifswald/1_Universitaet/1.2_Organisation/1.2.6_Verwaltung/Dezernat_2/ Referat_2.4_Controlling_und_Statistik/Wohnsitzpraemie/UEberarbeiteter_Durchfuehrungserlass_zur_Wohnsitzpraemie_2019.pdf ). 3 Die didaktische Konzeption lehnt sich an das erfolgreich evaluierte Kurskonzept der Virtuellen Hochschule Bayern (VHB) an (vgl. Nieder- meier/Schätz/Mandl 2015, 242ff.), wurde aber an die speziellen Bedarfe der Universität Greifswald angepasst. Zudem werden nicht wie an der VHB Lehrende/Kursleiter*innen geschult, sondern Studierende, was automatisch eine Modifizierung des Schulungsprogramms mit sich bringt. 4 Die Schulungsphase innerhalb des ersten Durchgangs des eTutor*innen-Programms fand von Februar–April 2020 statt. Aufgrund der coronabedingten Einstellung des Präsenzbetriebs an unserer Hochschule musste das Modul V „Urheberrecht“ als Online-Seminar durch- geführt werden. Für den zweiten Durchgang des Programms (September–Oktober 2020) werden auch Modul II „Moodle und didaktische Einsatzszenarien“ und Modul III „Online-Seminare – Dos & Don’ts“ im Onlineformat durchgeführt, so dass nur zwei von fünf Modulen Präsenzanteile haben werden. Dies ist zum einen der unklaren Situation bzgl. pandemiebedingter Maßnahmen geschuldet und zum anderen haben die eTutor*innen in der Abschlussevaluation geäußert, dass die Schulung stärker online durchgeführt werden soll, um mehr Routine in den Systemen zu entwickeln, mit denen sie später auch arbeiten sollen. 5 Eine Ausnahme bilden die Module III und IV, in denen die Studierenden in der Lernphase selbstständig ein Lehrvideo erstellen bzw. ein GUTE PRAXIS Online-Seminar konzipieren und durchführen sollen. 6 Im ersten Durchgang arbeiteten wir mit Adobe Connect. Mittlerweile ist unsere Hochschule auf BigBlueButton umgestiegen, so dass im zweiten Durchgang mit diesem System gearbeitet wird. 7 Die Rückmeldungen stammen aus der Abschlussevaluation des ersten Programmdurchlaufs und können bei Bedarf bei der Autorin an- gefragt werden. 19 19
Foto: Universität Greifswald, Julia Schmetzer
DIGITALE QUELLENARBEIT – DAS PROJEKT „POMMERN UND DIE WELT“ HIELKE VAN NIEUWENHUIZE (UNIVERSITÄT GREIFSWALD, HISTORISCHES INSTITUT) ABSTRACT In diesem Aufsatz wird das im Sommersemester 2019 organisierte Hauptseminar „Pommern und die Welt“ vorge- stellt. Diese Lehrveranstaltung sollte Geschichtsstudierenden mit digitalen Mitteln die Fähigkeiten, Originalquel- Digitale Quellenarbeit – Das Projekt „Pommern und die Welt“ len zu transkribieren sowie diese quellenkritisch und historisch zu interpretieren, anlernen. Das Seminar führte schließlich zur Verwendung des digitalen Programms Transkribus, das nicht nur in Greifswald, sondern in jedem Historischen Institut, eine effiziente Betreuung von Quellenarbeiten ermöglichen könnte. Nach einer Darstellung der positiven und negativen Seiten der Digitalisierung größerer Quellenbestände für die Lehre, werden die Lehr- veranstaltung sowie ihre Ziele, Stärken und Schwächen kommentiert. Der Artikel wird mit einer Beschreibung der durchgeführten Verbesserungen im Nachfolgeprojekt und einem Ausblick abgeschlossen. EINLEITUNG ist jetzt nicht nur möglich, viel größere Zeiträume Seit einigen Jahren steht meinen Studierenden für zu erforschen, sondern auch bei einer Suche ver- die Erforschung der frühmodernen wirtschaftlichen schiedene Daten oder Kategorien miteinander zu Geschichte des Ostseeraums eine Datenbank, die kombinieren, sodass Zusammenhänge deutlich wer- Sound Toll Registers online, zur Verfügung. In den den, die mit dem bloßen Auge wahrscheinlich nie Registern des Öresundzolls (1499–1857) wurden die wahrgenommen werden würden. Es ist nicht ver- Schiffe und ihre Ladungen, die durch den Öresund wunderlich, dass mehrere Studierende anhand der und in die Ostsee hinein oder hinaus segelten, fest- Datenbank ihre Abschlussarbeit geschrieben haben. gehalten. Für die von 2009 bis 2017 geschaffene Obwohl es nicht empirisch zu beweisen ist, fällt aber Datenbank sind aus jedem einzelnen Eintrag der immer mehr auf, dass die Benutzung dieses Daten- Originalquelle bestimmte Informationen (Datum, bestandes nicht immer gut funktioniert. Mehrmals Name und Wohnort des Schiffsführers, Abfahrtha- führte die von meinen Studierenden durchgeführte fen, Zielhafen, Umfang und Art der Ladung sowie Erforschung der Sound Toll Registers online dazu, der bezahlte Zollbetrag) zusammengetragen. Die dass sowohl die Originalquelle als auch die Daten- Datenbank ist aber eine Interpretation der ursprüng- bank nicht quellenkritisch oder historisch eingeord- GUTE PRAXIS lichen Quelle, da zusätzliche Informationen, die die net wurden. Die Abschlussarbeiten bestanden aus dänischen Zollbeamten ihren Einträgen hinzufügten, detaillierten Analysen der gefundenen Daten, nur nicht in die Datenbank aufgenommen worden sind fehlte meist die Kernarbeit eines Historikers, näm- (Veluwenkamp, 2011, S. 1–2). Für Studierende bie- lich die historische Erklärung der eigenen Befunde. tet dieser digitale Datenbestand große Vorteile. Es Der schwedische Pädagoge Thomas Nygren wies in 21 21
einem Aufsatz aus dem Jahr 2014 interessante Zu- minars behoben wurden und ein Modell entwickelt sammenhänge zwischen der Arbeit von Geschichts- wurde, das auch für die Lehre an anderen Hoch- studierenden mit digitalen Quellenbeständen und schulen nützlich sein kann. ihrem versagenden historischen Gespür auf. Als Experiment ließ er seine Studierende sowohl eine VORTEILE UND NACHTEILE DER Hausarbeit anhand analoger als auch anhand digita- DIGITALISIERUNG VON ORIGINALQUELLEN ler Quellen schreiben. Das Ergebnis war, dass seine Jedes Jahr werden Millionen von Quellen digitali- Studierenden, wenn sie z. B. eine digitale Daten- siert. Bei den digitalen Quellen handelt es sich oft bank für ihre Analysen benutzten, weniger geneigt um Reproduktionen von Originalquellen in Form waren, ihre Quelle quellenkritisch zu hinterfragen einer PDF-Datei. Es kann auch vorkommen, dass oder zusätzliche Literatur heranzuziehen, um die ein bestimmtes Programm gebraucht wird, um gefundenen Daten in ihrem historischen Kontext die digitalen Reproduktionen auf der Internetseite betrachten zu können (Nygren, 2014, S. 100–101). eines Archivs zu lesen. Solche digitalen Dateien Nygrens Analyse der Arbeitsweise seiner Studie- können eine ganz unterschiedliche Qualität haben. renden muss für jede Lehrkraft an einem Histori- In schwedischen Archiven wurden bei den ersten schen Institut eine Warnung sein: „quantity and digitalisierten Beständen nicht die Originaldoku- evidence rather than close reading and historical mente, sondern die Mikrofilme gescannt, sodass empathy seem to compose a data-driven effect in die Dateien auch heute noch schwierig zu lesen students‘ historical knowledge construction when sind. Bei neueren Digitalisierungsprojekten sind die they use digital archives“ (Nygren, 2014, S. 102). Standards deutlich höher. Neben der digitalen Re- Bereits Andrew Prescott befürchtete, dass Daten in produktion einzelner Quellen werden Datenbanken digitalen Quellenbeständen von ihrem historischen angefertigt, die es ermöglichen, eine vollständige Kontext befreit werden könnten, um eine autonome Sammlung von zum Beispiel Zeitungen nach be- Existenz zu führen (Prescott, 2013). stimmten Kriterien zu durchsuchen. Da die Meta- daten, die den Quellen beigefügt wurden, um solche In diesem Aufsatz werde ich zuerst darstellen, wie schnellen Recherchen zu ermöglichen, nicht immer die Digitalisierung historischer Handschriften für gleich vollständig oder zuverlässig sind, kann es bei die Lehre und die Quellenarbeit der Studierenden der Durchsuchbarkeit von Datenbeständen große sowohl positive als auch negative Konsequenzen Unterschiede geben (Hammar, 2015, S. 101–102). hatte. Auf diese Darstellung folgt eine Introduktion Für Historiker*innen hat die Digitalisierung größerer des Seminars „Pommern und die Welt“, in dem mit Quellenbestände natürlich viele Vorteile. Es werden digitalen Mitteln versucht wurde, den negativen Ef- viel Zeit und finanzielle Ressourcen gespart, da es fekten der Digitalisierung analoger Bestände entge- nicht länger nötig ist, zu Archiven zu reisen und vor genzuwirken. Nach einer Stärken-Schwächen-Ana- Ort manuell Originalquellen zu durchsuchen. Auch lyse dieser Lehrveranstaltung werde ich erläutern, ist es dank der Digitalisierung von Quellen heutzuta- wie im zweiten Versuch, dem momentan laufenden ge für Historiker*innen möglich, um in für sie auf den Nachfolgeseminar „Niederdeutsche Städtetage im ersten Blick irrelevanten Archivbeständen wichtige 17. Jahrhundert“, die Schwächen des ersteren Se- Informationen zu ihrem Forschungsthema zu finden.
Wären diese Bestände nicht digitalisiert, hätten sie kritisch einordnen und durchsuchen zu können. es nie in Erwägung gezogen, diese vor Ort zu durch- Studierende müssen zum Beispiel lernen, wie sie suchen (Kelly, 2013, S. 56–57). Auch die Möglich- die Suchbegriffe identifizieren können, die für ihre keit der Dateibetrachter, Details zu vergrößern und Recherchen notwendig sind. T. Mills Kelly verdeut- zu markieren, Bestände herunterzuladen oder sogar licht die Bedeutung dieser Fähigkeit anhand eines zu reproduzieren, und den Dateien eigene Kommen- Beispiels amerikanischer Studierenden, die sich mit tare und Anmerkungen hinzuzufügen, erleichtert frühmodernen politischen Debatten in den spani- die eigene Quellenarbeit erheblich (Fickers 2014, S. schen überseeischen Gebieten und China auseinan- 25–26; Hammar 2015, S. 102). dersetzen. Bevor es überhaupt möglich ist, eine di- Digitale Quellenarbeit – Das Projekt „Pommern und die Welt“ gitale Sammlung von spanischen oder chinesischen Die größten Vorteile bieten aber die Datenbanken Dokumenten erfolgreich zu durchsuchen, müssen und insbesondere das Textmining. Dabei handelt diese Studierende nicht nur die Parameter der politi- es sich nicht nur um eine einfache Suche nach be- schen Debatten in den spanischen und chinesischen stimmten Personen, Ereignissen oder Begriffen. Für Imperien verstehen, sondern auch lernen, wie diese das Auge unsichtbare Muster und Strukturen kön- Parameter in den Quellen versprachlicht wurden nen aus einer Sammlung von unbegrenzten digita- (Kelly, 2013, S. 74). lisierten Texten entnommen werden. So kann man mit einer einfachen Suchanfrage unter anderem Genauso wichtig wie eine digitale Quellenkritik herausfinden, wann und in welchen Zusammen- bleiben auch die historischen Hilfswissenschaften hängen ein bestimmtes Thema besprochen wurde (zum Beispiel Paläografie, Numismatik, Heraldik oder welche Meinungen, Wertorientierungen und und Siegelkunde). Dieses Fach, das Studierenden Einstellungen mit diesem Thema verknüpft waren zur Kompetenz verhilft, historische Handschriften (König, 2016). Das Kombinieren von Namen, Ereig- lesen und kritisch einordnen zu können, wird immer nissen und Begriffen mit Informationen zu Meinun- unregelmäßiger an vielen deutschen Universitäten gen und Einstellungen kann zum Beispiel helfen, die angeboten. Es gibt deshalb die paradoxe Situation, Struktur, Intensität und Empfindungen historischer dass immer mehr Quellen digital vorhanden sind, Debatten zu rekonstruieren. Genauso vielverspre- aber immer weniger Studierende diese lesen (tran- chend ist die Verbindung quantitativer Befunde aus skribieren) können. Auch die jährlich angebotenen historischen Texten mit statistischen Daten der So- und sehr gefragten Sommerschulen, in denen die zial- und Wirtschaftsgeschichte (Van Eijnatten, Pie- dafür benötigten Fähigkeiten gelehrt werden, kön- ters und Berheul, 2013, S. 73–74). nen dieses Problem nicht lösen (Schlotheuber und Bösch, 2015). Die Verfügbarkeit von so vielen digitalen Quellen GUTE PRAXIS und Datenbanken stellt die Lehre vor neue Heraus- Obwohl immer mehr Quellen digital für die Studie- forderungen. Vor allem wird es immer wichtiger, rende verfügbar sind, handelt es sich aber um einen den Studierende beizubringen, wie sie den Über- Bruchteil der weltweit in Archiven bewahrten Be- fluss an Quellen meistern können. Sie brauchen die stände. Es ist deshalb relevant, sich die Beschränkt- richtigen Werkzeuge, um digitale Datenbestände heit dieser digital zugänglichen Bestände zu reali- 23 23
sieren, da Studierende (und Forscher*innen) sich Die größte Gefahr bleibt jedoch, dass Studieren- meist nur noch auf Quellen fokussieren, die digital de anhand digitaler Datenbanken große Analysen vorhanden sind (Zaagsma, 2013, S. 19–23). Quellen, durchführen, wobei sie die „statistische Relevanz die nicht digitalisiert wurden, gelten sogar immer der Ergebnisse solcher Analysen“ mit „historischer mehr als „versteckte Materialien“. Dies bedeutet Relevanz“ gleichsetzen (Fickers, 2014, S. 337). Die nicht nur, dass digitalen Quellen ein höherer Stel- historische Signifikanz einer Analyse kann nur an- lenwert als analogen Quellen zugewiesen wird. Es hand einer Forschungsfrage und einer auf Quellen- kann letztendlich dazu führen, dass für eine Hausar- kritik basierten Beweisführung bestimmt werden. beit lediglich die digital vorhandenen Quellen heran- Dies bedeutet, dass Studierende ihre statistischen gezogen werden, was nur zu einer Schwächung der Befunde historisch einordnen und erklären müssen. eigenen historischen Analyse führen kann. Zaags- In einem berühmten Artikel in der New York Times ma ist sogar der Meinung, dass es eine Zeit geben aus dem Jahr 2012 warnte Stanley Fish bereits wird, in der Lehrende ihren Studierenden über die vor Forschenden aus dem Bereich der Digital Hu- Existenz nicht-digitaler Quellen in Archiven aufklä- manities, die ohne argumentierte Forschungsfrage ren müssen (Zaagsma, 2015). Analysen durchführen: „proceed randomly or on a whim, and see what turns up“ (Fish, 2012). Genau Noch ein Grund für die Bedeutung der Archivauf- wie Fickers deutet auch Fish darauf hin, dass die enthalte ist die unter Studierenden steigende Signifikanz eines Ergebnisses nicht mit der Fre- Unbekanntheit mit dem „Geruch“ der ursprüng- quenz der Befunde in einer Datenbank bewiesen lichen Dokumente. Nicht nur der Text einer Quel- werden kann. Die historische Relevanz dieser Be- le, sondern auch die Materialität des Dokuments funde muss aus dem historischen Kontext heraus beinhaltet Informationen für Historiker*innen. Es begründet werden. Das Lesen von digitalen Daten- handelt sich hier zum Beispiel um die Struktur und beständen durch einen Computer muss deshalb chemische Zusammensetzung der Tinte, Wasser- immer mit dem genauen Lesen eines Textes durch zeichen, Einbindungsmethoden, Abnutzungsspuren Historiker*in selbst kombiniert werden, um „dekon- oder das Gewicht der Quelle. Falls Studierende zu- textualisierte Analysen“ zuvorzukommen (Zaagsma, künftiger Generationen überhaupt nicht mehr in die 2013, S. 24–25). Archive gehen und keine Erfahrungen mit Original- handschriften hinzugewinnen, bleiben ihnen solche MIT DIGITALEN QUELLEN HISTORISCHE wichtigen Kenntnisse vorenthalten. Genauso droht KOMPETENZEN ERLERNEN die Gefahr, dass Kenntnisse über die Entstehung, Das oben dargestellte Dilemma, dass einerseits Ordnung und Überlieferung archivalischer Quellen den Studierenden große Quellensammlungen digi- verschwinden. Ein*e Student*in, die/der nur digita- tal zur Verfügung stehen, aber ihnen andererseits le Ressourcen verwendet, wird kein Gespür für den die lokalen und regionalen Archive und ihre ana- Kontext der Überlieferung eines Dokuments ent- logen Beständen fast komplett unbekannt sind, wickeln, da die Struktur und der Inhalt des ganzen führte 2019 zum Seminar „Pommern und die Welt“. Archivbestandes, wozu seine Quellen gehören, für Das Seminar sollte die Studierenden mit nicht-di- jene verborgen bleiben (Jeurgens, 2013, S. 40–41). gitalisierten Beständen („versteckte Materialien“)
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