Grundwasser: Online-Bio monitoring und ökotoxikologische Bewertung - LimCo ...
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FACHBERICHT Grundwasser: Online-Biomonitoring und ökotoxikologische Bewertung Dr. Almut Gerhardt Einleitung heterogene Verbreitung auf ([1, 2]). Als Lückensystembe- Das Grundwasser macht ca. 97 % des gesamten weltwei- wohner sind sie eher wenig beweglich und wenig aktiv. ten Vorrates unseres fließenden Süßwassers aus. Der Grundwasserlebensgemeinschaften hängen stark von der Oberflächenwasseranteil ist demnach nur 3 %. Etwa 75 % Hydrodynamik, der Geologie und den lokalen Kohlen- der Menschen in der Europäischen Union beziehen ihr stoffquellen ab. Trinkwasser aus Grundwasserreserven. Aber Grundwasser Das Bioakkumulations-Biomonitoring von Metallen in hat auch eine Bedeutung als eigenes Ökosystem mit ei- Grundwasseramphipoden zeigte nur eine Korrelation mit gener Schutzwürdigkeit und zahlreichen wichtigen Umweltkonzentrationen für stygophile aber nicht für stygo- Ökosystemleistungen, z. B. Puffer und Vorrat in Feuchtge- bionte Arten [3], im Kontrast zu früheren Studien [4]. Gene- bieten und Böden oder Basisabfluß in Fließgewässern. Da rell hatten stygobionte Amphipoden höhere Metallkonzen- Grundwasser sehr langsam fließt wirken sich Umweltbe- trationen als stygophile, bedingt durch deren längeren Le- lastungen über eine lange Zeit negativ auf die Lebensge- benszyklus und deren engeren Kontakt zu Sedimenten. meinschaften im Grundwasser aus und wirken trotz Sa- Bisher konnte a aber die These, dass Grundwasserarten nierung noch lange nach. Deshalb ist hier die vermeidende empfindlicher gegenüber Schadstoffen als Oberflächen- Vorsorge wesentlich effizienter und effektiver als die wasserverwandte Arten seien weder verifiziert noch wider- nachsorgende Sanierung. legt werden [2]. Die Suche nach einzelnen stygobionten Die auf der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie Indikatorarten für das Statusbiomonitoring von Grundwas- (2000/60/EG) aufbauende Grundwasserrichtlinie serökosystemen war bisher nicht erfolgreich, da Grund- (2006/118/EG) setzt einheitliche Standards für die Quanti- wasserinvertebraten niedrige Abundanz, heterogene Ver- tät und chemische Qualität des Grundwassers und bein- breitung und starke Abhängigkeit von zeitlichen und loka- haltet ein Verschlechterungsverbot sowie ein Verbesse- len hydrodynamischen abiotischen Bedingungen zeigen [2]. rungsgebot. Dabei werden neben Nitrat auch einige Bio- Wenn genügend organisches Material und Sauerstoff vor- zide und Pestizide berücksichtigt. In der Europäischen handen ist, können auch Oberflächenwasserarten in Teile Richtlinie zu Umweltqualitätsnormen (2008/105/EG) wur- des Grundwassersystems einwandern [2]. den für einige Schadstoffe basierend auf Literaturdaten zur Toxizität an Standardorganismen wie Daphnia magna Umweltsqualitätsnormen für Einzelsubstanzen festge- Methoden legt. Jedoch fehlt immer noch eine Bewertung von Stoff- Bei der biologisch-ökotoxikologischen Bewertung von gemischen sowie der zahlreichen Transformationspro- Grundwasserökosystemen können ökotoxikologische Un- dukte organischer Schadstoffe, sowie eine realistische tersuchungen als offline Ökotoxizitätstests im Labor oder Bewertung mit Grundwasserzeigerarten. als echtzeitbasiertes online Biomonitoring herangezogen Grundwasserlebewesen zeigen besondere Anpassungen werden. Hierbei werden ausgewählte Vertreter der Grund- an den speziellen Lebensraum und sollten deshalb auch wasserfauna (z. B. Höhlenflohkrebse der Gattung Niphargus, für eine ökotoxikologische Bewertung von chemischen Brunnenasseln der Gattung Proasellus, oder Hüpferlinge Belastungen in Grundwasserbiotopen herangezogen (Copepoda)) entweder gezielt einer Grundwasserprobe werden. Sie sind sehr langlebig, haben einen verlangsam- (entweder im Labor oder in einer Grundwassermessstelle ten Stoffwechsel, d. h. sie können längere Zeiten hungern im Freiland) ausgesetzt, in der Schadstoffbelastungen und sie haben eine geringe Fortpflanzungsrate. Im nähr- oder Nährstoffbelastungen vermutet werden. stoffarmen und lichtlosen Lebensraum besitzen sie oft Online-Biomonitoring dient der vollautomatischen kon- weder Pigmente noch Augen. Sie treten eher in geringer tinuierlichen biologischen Echtzeit-Überwachung der Abundanz auf und weisen auch kleinräumig eine sehr Auswirkungen von Schadstoffgemischen, mit ausge- 40 gwf-Wasser | Abwasser 09 | 2020
FACHBERICHT a Im Labor, Wasserwerk Fotos und Grafik: LimCo International GmbH PC mit Software Messgerät Messkammerblock mit 8 Mikrokammern (Copepoden) b Im Feld, in situ mit Solarpanel und Speicherbatterien Messkammern, einzeln in verschiedenen Größen für (Makrocrustacaen) Bild 1: Der Online-Grundwasserbiomonitor im Labor, Wasserwerk und Feld zur Bewertung und Überwachung der Grundwasserqualität hinsichtlich potentiell toxischer Auswirkungen von Schadstoffen und Chemikaliengemischen. wählten, empfindlichen und für das zu überwachende Durch online Biomonitoring können sowohl akute Ein- Ökosystem repräsentativen Testarten. Es handelt sich zelpulse als auch Summationseffekte wiederholter also um einen kontinuierlich laufenden ökotoxikologi- Schadstoffpulse, sowie Langzeiteffekte von Chemikalien schen Test, einen Toximeter. und deren Gemischen aufgezeigt werden: es handelt Das Prinzip des online Biomonitoring folgt dem des „stell- sich also um eine Effektbasierte biologische Bewer- vertretenden Vorkosters“: wird die Testart durch einen in das tungsmethode von Schadstoffgemischen mit Zeiger- System eindringenden Schadstoff oder Stoffgemisch beein- tieren aus dem Ökosystem Grundwasser in Echtzeit. trächtigt, so sind auch andere Tierarten der Lebensgemein- Der im Rahmen des BMBF-Projektes GroundCare (2015– schaft potentiell gefährdet. Online Biomonitoring liefert 2019) entwickelte Grundwasserbiomonitor (Bild 1) kann kontinuierlich Informationen über den Zustand der Testtiere sowohl für ca. 1 mm große Testorganismen, z. B. Copepo- in Echtzeit, wodurch Störungen sofort erkannt und Maßnah- den als auch für Makrocrustaceen (> 0,5 cm) im Labor und men ohne Verzögerung eingeleitet werden können. im Feld eingesetzt werden. Er basiert auf einer technischen www.gwf-wasser.de 41
FACHBERICHT Tabelle 1: Anleitung zur Durchführung von ökotoxikologischen Tests mit Grundwasser-Makrocrustaceen Parameter Akute Tests Chronische Tests Bemerkungen Tierarten Niphargus/Niphargopsis spp. Niphargus/Niphargopsis spp. Proasellus spp. Proasellus spp. Herkunft Freiland oder Zucht/Hälterung Freiland oder Zucht /Hälterung Alle Tests mit möglichst derselben Feldpopula tion zum Fangzeitpunkt, 1 Woche Akklimatisie- rung vor den Tests Transport Regelbares Kühlaggregat Regelbares Kühlaggregat (10 °C) Konstante Temperatur von Fang bis zum Labor (10 °C) oder Temp. vom oder Temp. vom Fundort Fundort Akklimatisierung 1 Woche vor dem Test 1 Woche vor dem Test Schrittweise, falls die Testbedingungen stark von den Fundortbedingungen abweichen Wasser Herkunftswasser Herkunfstswasser, Standardwas- Falls nicht genügend Herkunftswasser vorhan- ser, Trinkwasser (ohne Chlor), den ist, kann dieses mit anderen Wässern be- Flaschenwasser (Mineralarm), kannter chemischer Zusammensetzung ver- Oberflächenwasser mit Trinkwas- dünnt werden. serqualität Wasser vor den Tests filtrieren. Wasserwechsel wöchentlich Temperatur 10 °C 10 °C immer < 15 °C Gefäße 250 ml-Bechergläser (Grup- Mindestens 250 ml Bechergläser In Bechergläsern für offline Tests, pen). (Gruppenexposition), Petrischa- im Grundwasserbiomonitor für online Tests. 50 ml Einzelexposition len (Einzelhaltung) Messkammer des Grundwas- serbiomonitors Fütterung keine Feindetritussuspension vom Her- Wenig Fütterung, um den nährstoffarmen Zu- kunftsort, stand im Grundwasser zu imitieren vorgeweichte Eschenblätter Substrat Gebrannter und steriler Gebrannter und steriler Quartz- Gegen Stress bei Gruppenexposition, Quartzkies kies Mimik eines Lückensystemes Endpunkte, Mortalität nach 24-96 h, oder Testdauer: 4–6 Wochen Dauer kontinuierlich; Mortalität Time-to-death/effect (Mortali- Verhalten, tät, Verhalten) individuell im Fraß, Grundwasserbiomonitor Reproduktion, (wöchentlich) Tierdichte 5/200 ml (250 ml-Becherglas) 5/200 ml (250 ml Becherglas) Ohne Belüftung, Abdeckung mit Parafilm Replikate 3–5 3–5 Je nach vorhandener Anzahl Tiere Konzentrationen 3–7 3–5 Je nach Anzahl vorhandener Tiere Weiterentwicklung des bereits bestehenden Multispecies strömt werden, und in welche jeweils ein Testorganismus Freshwater Biomonitor®, welcher erfolgreich in Forschung einzeln untergebracht ist. Dabei kann das Grundwasser und Praxis eingesetzt wird, z. B. für ökotoxikologische Tests aus einer zu untersuchenden Messstelle entweder zu- und zur Überwachung von Flußwasser, Abwasser und nächst an die Oberfläche gepumpt und dann in den Bio- Rohwasser für die Trinkwassergewinnung [5–8]. monitor eingebracht werden, oder der Grundwasserbio- monitor wird direkt in der zu untersuchenden Grundwasser- Messstelle installiert. Der Grundwasserbiomonitor In den Messkammern wird ein schwaches hochfrequen- Beim Grundwasserbiomonitor handelt es sich um ein in tes (für Tiere unschädliches) Wechselstrom-Feld erzeugt, situ Online-Testsystem mit acht Messkammern, welche in welchem alle Bewegungen der Tiere anhand von langsam vom zu untersuchenden Grundwasser durch- Spannungsänderungen erfasst werden können. Tritt ein 42 gwf-Wasser | Abwasser 09 | 2020
FACHBERICHT Schadstoff in das System ein, führt das je nach seiner 1) Mikrocrustaceen (Copepoden) können sehr empfind- toxischen Wirkung und Schadstoffkonzentration, zu un- lich ggü. Schadstoffen sein und eignen sich zur Bewer- terschiedlich stark ausgeprägten Veränderungen der At- tung und Überwachung der Grundwasserqualität dort, mungs- und Bewegungsaktivität der Tiere, bis hin zu Ihrer wo sie eine dominante Komponente im GW-Ökosystem vollständigen Inaktivität oder Tod. Das Atmungsverhal- darstellen [9]. ten wird über die Ventilation mit den Kiemen gemessen. 2) Makrocrustaceen (Niphargus spp., Proasellus spp.) eig- All diese Veränderungen werden im Biomonitor detek- nen sich besonders dort, wo eine Langzeitüberwachung tiert und je nach Stärke der Effekte, wird eine Warnmel- des Grundwassers sinnvoll ist, z. B. während der Applikation dung oder ein Alarm ausgelöst. von Pestiziden, organischen/synthetischen Düngern in- Daraufhin können zeitnah die entsprechend erforderli- nerhalb der Vegetationsperiode, um sowohl wiederholte chen Maßnahmen (z. B. chemische Wasseruntersu- Stoffpulse als auch chronische Langzeiteffekte von z. B. chungen) eingeleitet werden. Die Messkammern sind Pestiziden und Tierarzneimitteln über mehrere Wochen ja nach Tiergröße verschieden konzipiert: Der mikro bis Monate zu erfassen. fluidische Messkammerblock mit acht Mikro-Messzel- Die Testarten können aus Feldpopulationen gesammelt len (Mikroimpedanz Sensor System, MSS) ist für Meio- werden oder aus einer Laborzucht entnommen werden. fauna oder frühe Larvenstadien (ca. 1 mm) geeignet Die Entscheidung erfolgt je nach Fragestellung und Verfüg- und wurde im GroundCare Projekt mit dem fakultativ barkeit. Es gibt verschiedene Kriterien für die Auswahl der stygophilen Copepoden Eucyclops serrulatus getestet Testarten: Fehlen/Vorhandensein von potentiellen Testarten und validiert. Makrocrustaceen (> 5 mm) werden in an der zu überprüfenden Messstelle; Ziel der Untersuchung einzelnen Durchflußmesskammern (5 cm lang, 2 cm und Typ des online Biomonitoring in Abhängigkeit von der innerer Durchmesser) ähnlich wie Gammariden im Art der Belastung. Multispecies Freshwater Biomonitor (MFB) exponiert. 1. Vorhandensein/Fehlen eigener Fauna an der Messstelle Auswahl der Testarten 1.1) Messstelle mit Fauna: Hier erfolgt zunächst eine Der Einsatz von Grundwasserarten für die ökotoxikologi- Probenahme mit Artbestimmung, danach die Auswahl sche Bewertung und Überwachung der Grundwasser- einer lokal repräsentativen Testart, je nach Dominanz ökosystemintegrität hat gegenüber dem stellvertreten- und Sensitivität. den Einsatz von Oberflächen-Arten generell zahlreiche 1.2) Messstelle ohne eigene Fauna: Hier wird zunächst nach Vorteile: einer hydrolog./geolog. ähnlichen Messstelle in 50 km Um- ■ Grundwasser-Arten sind repräsentativ für die Lebens- kreis gesucht, dabei auf bereits vorhandene Monitoring gemeinschaften im Grundwasser und erlauben da- daten zurückgegriffen. Falls eine vergleichbare Messstelle durch eine adäquate Beurteilung von Störungen auf mit Fauna vorahnden ist wird wie unter 1.1. verfahren. Falls das Ökosystem. dies nicht gegeben ist muss nach alternativen Tierarten für ■ Grundwasser-Arten können gegenüber verschiede- das online Grundwasserbiomonitoring gesucht werden. So- nen Belastungen empfindlicher sein als Oberflächen- fern es kommerziell erwerbliche Grundwasserkrebse aus arten. Zuchten gibt, z. B. Niphargus spp. oder Copepoden sollte auf ■ Grundwasserarten sind einfacher in einem Langzeit- diese stygobionten Arten zurückgegriffen werden. Falls dies biomonitoring zu handhaben (längere Lebensdauer jedoch nicht möglich ist sollte auf stygophile, danach fakul- und keine künstliche Fütterung nötig). tativ stygophile und schließlich notfalls auf Oberflächen- ■ Grundwasser müsste bei der Verwendung von Ober- wasserverwandte Arten zurückgegriffen werden. Hier bietet flächenarten vorbehandelt werden (z. B. erwärmt, fil sich Gammarus fossarum an, da dieser auch in Quellberei- triert, mit Sauerstoff angereichert), wodurch Artefakte chen vorkommt, sich bereits im Langzeitbiomonitoring in erzeugt werden, da es z. B. durch Ausfällungen zu ei- Labor und Feld bewährt hat und oft ähnlich sensitiv wie ner chemischen Veränderung der Wasserbeschaffen- Niphargus spp. ist [8, 10]. heit, der Bioverfügbarkeit und der toxischen Auswir- kungen kommen kann. 2.Ziel der Untersuchung ■ Für die Langzeitüberwachung von wiederholten Pul- Auch das Ziel der Untersuchung bestimmt die Wahl der sen oder chronischen Expositionen sind langlebige Testart. und empfindliche Testarten essentiell. 2.1) operatives Biomonitoring: Bei einem lokalen operati- ven online Biomonitoring zur Verlaufskontrolle an einer Der Grundwasserbiomonitor wurde im Rahmen von bekannten Messstelle, z. B. um erfolgte Maßnahmen ge- GroundCare entwickelt und mit folgenden Arten sowohl gen erhöhten Stoffeintrag zu beurteilen und zu überwa- im Labor als auch im Feldversuch erfolgreich verwendet: chen (Erfolgskontrolle, Verhinderung einer Verschlechte- www.gwf-wasser.de 43
FACHBERICHT rung) sollte ein Langzeitbiomonitoring mit stygobionter ■ Wenn bei der faunistischen Bewertung eine geringe langlebiger Grundwasserfauna, d. h. Makrocrustaceen Besiedlungsdichte mit Grundwasserfauna oder eine durchgeführt werden. Besiedlung mit Oberflächen-Arten aufgetreten ist, in 2.2) Investigatives Biomonitoring: Bei einem investigativen Kombination mit dem Verdacht einer eventuellen online Biomonitoring an einer Messstelle wo eine be- anthropogenen Störung (z. B. bei erhöhten DOC-Kon- stimmte Belastung vermutet wird kann im Ereignisfall eine zentrationen und Temperaturen, bei niedrigen Sauer- kurzzeitige Exposition von stygobionten oder stygophilen stoff-Konzentrationen oder beim Verdacht auf Spuren- Arten (Meio- oder Makrofauna) von einigen Tagen zur Ab- schadstoffe). In einem solchen Fall kann der Grundwas- klärung ausreichen. Bei Kurzzeitexpositionen und dies be- serbiomonitor zur Aufklärung beitragen: überleben die sonders an Stellen wo Meiofauna dominant ist kann auf lokalen, oder regional typischen stygobionten Testar- kurzlebige Copepoden zurückgegriffen werden. ten im zu untersuchenden Grundwasser nicht oder nur für kurze Zeit, so kann davon ausgegangen werden, 3. Art der Belastung dass die am Standort festgestellte faunistische Besied- Auch die Art der chemischen Belastung an der Messstelle lung anthropogen beeinträchtigt ist. Bleiben dagegen ist entscheidend für die Wahl der Testart(en). die sorgfältig ausgewählten Testorganismen auch in ei- 3.1) Erfassung akuter Pulsbelastungen: Zur Erfassung der nem Langzeitbiomonitoring am Leben, so erscheinen Auswirkungen von kurzen Belastungsstößen, z. B. eine die Besiedlungsdichte und die Artenzusammenset- Gülle- oder Pestizidapplikation oder ein Starkregenereig- zung an dieser Stelle natürlicherweise gering. Diese nis sollten die auf die vermuteten Stoffe/Stoffgemische Prüfung sollte bereits nach einer ersten, spätestens empfindlichsten Grundwasserarten in Kurzzeitexpositio- aber nach wiederholter abnormer faunistischer GW-Be- nen verwendet werden. Hier eignen sich Niphargus spp., probung an der entsprechenden GW-Messstelle statt- Proasellus spp. und Copepoden. finden, indem der online Grundwassserbiomonitor 3.2) Langzeitüberwachung chronischer Effekte von Spu- dort für mehrere Wochen mit zwei verschiedenen regi- renstoffen: Hier eignen sich sehr langlebige stygobionte onal typischen und sensitiven Testarten installiert wird. Makrocrustaceen, z. B. Niphargus spp. Eine ergänzende chemische Detailanalytik kann bei 3.3) Effekte von Oberflächenwassereinfluß können am Alarmen im Grundwasserbiomonitor Hinweise auf die besten mit einer Artenkombination von nahe Verwandten Zusammensetzung des Stoffgemisches geben. Makrocrustaceen untersucht werden, d. h. stygobionte ■ Wenn die untersuchten Messstellen innerhalb eines Niphargen und Gammariden. Wasserschutzgebiets liegen, da hier ein bzgl. der Da- seinsvorsorge erhöhter Schutzbedarf verlangt wird. Hierbei kann der Grundwasserbiomonitor eine sofor- Anwendungsbeispiele tige Erkennung von Störungen anzeigen und die Ein- Ein ökotoxikologisches Grundwasser-Biomonitoring bie- leitung von weiteren Maßnahmen in Gang setzen, tet z. B. in den folgenden Situationen einen entscheiden- z. B. ereignisgesteuerte Wasserprobenahme, Stopp den Mehrwert: der Grundwasserzufuhr ins Wasserwerk, etc. ■ Wenn aufgrund der Landnutzungsform an der Ober- fläche eine Beeinträchtigung des Grundwassers mit Im Projekt GroundCare wurde der Grundwasserbiomoni- Schadstoffen/Nährstoffen oder -Gemischen (z. B. Pes- tor mit Amphipoden aus dem Grundwasser (Niphargopsis tiziden, Antibiotika, Nitrat) angenommen werden casparyi) und Oberflächenwasser (Gammarus fossarum) kann bzw. wahrscheinlich ist, ohne dass genau be- zur ökotoxikologischen Testung von Schadstoffen wie kannt ist, um welche Stoffe es sich hierbei handelt Kupfer, Bisphenol A und Nitrat [8, 10, 11] verwendet sowie und wann die Kontamination auftreten wird. Hier für die Überwachung der Rohwasserqualität in Wasser- kann eine kontinuierliche Echtzeitüberwachung mit werken [8] und Grundwasser im Feld unter Einfluss künst- dem Grundwasserbiomonitor anzeigen, ob und wann licher Düngung und Beregnung [13]. Deshalb wird hier eine die Fauna belastende Verunreinigung eintritt und auf die entsprechenden Publikationen verwiesen, ohne welche Folgen dies auf die Testarten und potentiell die Ergebnisse zu wiederholen. auch auf die Lebensgemeinschaft hat (Stellvertreter- Wird im Rahmen der oben beschriebenen Fälle bei der An- prinzip). Darauf basierend, können z. B. durch einen wendung des Grundwasserbiomonitors in situ mit einer oder Alarm des Grundwasserbiomonitors ereignisgesteu- mehrerer Testarten innerhalb von einer Woche eine solche erte Wasserproben für nachfolgende chemische Un- akute Beeinträchtigung festgestellt, kommt es zur Einstu- tersuchungen eingeleitet werden, um die Art der fung „akut toxisch“. Im Folgenden werden hier ergänzend Schadstoffe zu bestimmen, die zum Zeitpunkt des weitergehende Labortests und chemische Untersuchungen beobachteten toxischen Effektes herrschten um da mit dem Wasser der GW-Messstelle angeraten, um einerseits raus entsprechende Schutzmaßnahmen abzuleiten. die Stoffe zu detektieren und andererseits die Toxizität und 44 gwf-Wasser | Abwasser 09 | 2020
FACHBERICHT deren Wirkmechanismen für Mensch und Tier zu ermitteln. und Proasellus spp. wurden mit im Feld gesammelten Tieren Wird im Rahmen der oben beschriebenen Fälle bei der An- und dem dort entnommenen Wasser (akute Tests) bzw. mit wendung des Grundwasserbiomonitors in situ mit einer gefiltertem Oberflächenwasser von Trinkwasserqualität (z. B. oder mehrerer Testarten innerhalb von vier bis sechs Wo- Bodenseewasser) bei 10 °C im Dauerdunkel in Thermostat- chen, z. B. bei wiederholter Applikation von Düngern oder schränken durchgeführt. Die akuten Tests (24–96 Std.) kön- Pestiziden eine chronische Beeinträchtigung festgestellt, nen an die EPA Testguideline für Gammarus spp. (OPPTS kommt es zur Einstufung „chronisch toxisch“. Im Folgenden 850.120, US-EPA, 1996) angelehnt werden oder kontinuierlich werden hier ergänzend weitergehende Labortests und im Grundwasserbiomonitor bei individueller Exposition als chemische Untersuchungen mit dem Wasser der GW-Mess- dynamischer Toxtest durchgeführt werden. Während im stelle angeraten, um einerseits die Stoffe zu detektieren ersten Fall das Überleben nach festgesetzten Zeiten, z. B. 24 und andererseits die Toxizität und deren Wirkmechanismen oder 96 Std. visuell ermittelt wird, kann das Überleben und für Mensch und Tier zu ermitteln. Das Vorschalten des on- das Verhalten der einzelnen Tiere im Grundwasserbiomoni- line Grundwasserbiomonitorings erlaubt ein kosteneffizien- tor in Echtzeit kontinuierlich und quantitativ aufgezeichnet tes schrittweises Vorgehen, sodass teure chemische De- werden. Dies erlaubt zusätzlich zur „fixed-endpoint“ Analyse tailanalytik gezielt (ereignisgesteuert)und sparsam einge- auch die detailliertere Methode der „Time-to-Effect“ Analyse setzt werden kann und arbeitsintensive ökotoxikologische für jedes Individuum. Zählt man z. B. visuell die toten Tiere Tests reduziert werden können (nach dem 3R Prinzip: Tier- nach 24 Std. (fixed endpoint = 24 Std.) weiß man nicht wie versuche vermeiden, verringern, verbessern) und chemi- viele Tiere davon schon bereits nach 12, 18 oder 20 Std. ge- sche Analytik direkt an den ereignisabhängigen Wasserpro- storben sind. Letzteres erlaubt aber die kontinuierliche Mes- ben, das heißt mit der vermutlich höchsten Stoffkonzentra- sung der Einzeltiere über die 24 Std. im Grundwasserbiomo- tion durchgeführt werden können. nitor. So kann sich herausstellen, dass die Tiere eigentlich fast alle schon nach viel kürzer Zeit als die festgesetzten 24 Std. gestorben sind, d. h. der Stoff viel toxischer ist als angenom- Ökotoxikologische Tests im Labor men wurde [13]. Sollte es an den Grundwassermessstellen zu Auffälligkei- Die akuten Tests werden ohne Fütterung und ohne Belüf- ten kommen (z. B. rasches Sterben im Grundwasserbio- tung in 250 ml Bechergläsern mit sterilem gebrannten monitor, Faunendefiziten, chemische Abnormitäten) Quarzkies als Substrat ausgeführt. Das Substrat dient den sollten ergänzend Labortests zur Ökotoxikologie, vor- Tieren als Versteck und Schutz vor potenziellem Kannibalis- zugsweise an stygobionten Grundwasserkrebstieren, mus und Vermeidung von Stress, da die Tiere Lückensys z. B. Niphargus spp., Proasellus spp., Copepoden durch- teme gewohnt sind. Es wurden z. B. Tests mit 20 Tieren pro geführt werden. Konzentration in 3–4 Gruppen (Replikate) a fünf Tiere pro Becherglas, mit 100 ml Testlösung erfolgreich durchgeführt. Zucht der Versuchstiere Die chronischen Tests werden ebenfalls im Thermostat- Bei einer Hälterung für ökotoxikologische Versuchszwe- schrank (10 °C) im Dauerdunkel durchgeführt, aber die grö- cke, empfehlen sich Arten, welche in ihrer Verbreitung ßeren hier benötigten Wassermengen bedingt durch wö- repräsentativ sind. Die Gattung Niphargus ist mit über chentliche Wechsel der Testlösung erfordern entweder ei- 300 Arten die artenreichste Gattung von Süßwasserfloh- nen einfachen, nahegelegenen Zugang zum Grundwasser krebsen und in Europa eine der wichtigsten Gruppen der der Herkunftsstelle der Tiere oder die Verwendung anderen Grundwasserfauna [12]. Die Hälterung des Grundwasser Wassers, z. B. filtriertes (100 µm) Oberflächenwasser von amphipoden von z. B. Niphargopsis casparyi hat sich be- Trinkwasserqualität oder Flaschenwasser mit geringem Mi- währt, da sie sich problemlos über mehrere Monate bis neral-/Salzgehalt und ohne Kohlensäure. Die wöchentliche Jahre einfach durchführen lässt. Zugabe von Feindetritus-suspensionen vom Herkunftsort und konditionierte Eschenblätter (N. Rütz pers. Mitteilung) Akute und chronische Testdesigns dienen als Nahrungsquelle. Der Feindetritus vom Herkunfts- Die Durchführung der Toxizitätstests mit stygobionten ort erhält das gewohnte mikrobielle Milieu. Die Laufzeit der Grundwasserkrebsen kann sich generell an den vorhanden chronischen Tests sollte mindestens 4–6 Wochen betragen, OECD Testrichtlinien zu vergleichbaren Arten aus dem um dem längeren Lebenszyklus und dem langsameren Oberflächengewässerbereich orientieren, sollte aber an die Stoffwechsel und Wachstum der Tiere Rechnung zu tragen. Bedingungen im Grundwasser angepasst werden. Um erste In chronischen Tests sollten neben dem Überleben und dem Daten zur Ökotoxizität von ausgewählten Indikatorschad- Verhalten (visuell oder im Grundwasserbiomonitor) auch das stoffen zu erhalten wurden im Projekt GroundCare erstmals Fraßverhalten und ggf. Reproduktionsrelevante Parameter akute und chronische Toxizitätstests unter möglichst reali- (Paarbildung, Zahl der Eigelege, etc.) berücksichtigt werden. tätsnahen Grundwasserbedingungen durchgeführt. Erste akute und chronische Toxizitätstests zeigten, dass Akute Tests mit Vertretern der Gattungen Niphargopsis spp. Niphargopsis casparyi sensitiver auf Schadstoffe reagieren www.gwf-wasser.de 45
FACHBERICHT of Environmental Monitoring JEM, Vol. 9, 979–985. kann als der Oberflächenverwandte Amphipode Gammarus [7] Bühler et al. 2014 (fehlt) fossarum [8, 10, 14]. [8] Grimm, C. & Gerhardt, A. (2018): Sensitivity towards copper: comparison of stygal and surface water species’ biomonito- ring performance in water quality surveillance. Intern. J. Sci. Danksagung Res. Environm. Sci. Toxicology 3 (1), 15 pp., March 2018, open Die Studie wurde im Rahmen des Projektes GroundCare (2015-2019; access. Nr. 033W037H) durchgeführt und vom BMBF im Rahmen von ReWaM [9] Di Lorenzo, T.; Di Marzio, W.D.; Sáenz, M.; Baratti, M.E.; Dedonno, (Regionales Wasserressourcen-Management für den nachhaltigen A.A.; Iannucci, A.; Cannicci, S.; Messana, G.; Galassi, D.M.P. (2014): Gewässerschutz in Deutschland) co-finanziert. Folgenden Personen Sensitivity of hypogean and epigean freshwater copepods to wird für ihre Kommentierung des Manuskriptes gedankt: N. Rütz, agricultural pollutants. Environmental Science and Pollution M. Avramov, H.J. Hahn, C. Griebler, H. Mohrscheid. Research, 21, 4643–4655. [10] Gerhardt, A. (2020): Sensitivity towards Nitrate: Comparison of groundwater versus surface water crustaceans. Journal of Soil Literatur and Water Science 4 (1), open access. [1] Thulin, B. & Hahn, H. J. (2008): Ecology and living conditions of [11] Gerhardt, A. (2018): Suitability of Eucyclops serrulatus (Fischer groundwater fauna, Technical Report (TR-08-06) of the Svensk 1851) (Crustacea: Copepoda) for online biomonitoring of water Kärnbränslehantering (SKB), Stockholm. quality in the new Microimpedance Sensor System©. Current [2] Mösslacher, F. & Notenboom, J. (1999): Groundwater Biomonito- Topics in Toxicology, 14, 29–39, open access. ring. In: Gerhardt, A. (ed): Biomonitoring of polluted water. En- [12] Gerhardt, A.; Janssens de Bisthoven, L.; Mo, Z.; Wang, C.; Yang, M.; vironmental Research Forum, 9, 119–140. TTP, Zürich. Wang, Z. (2002): Short-term responses of Oryzias latipes (Pisces: [3] Plenet, S. (1995): Freshwater amphipods as biomonitors of me- Adrianidchthyidae) and Macrobrachium nipponense (Crusta- tal pollution in surface and interstitial aquatic systems. Fresh- cea: Palaemonidae) to municipal and pharmaceutical waste- water Biology 33, 127–137. water in Beijing, China: survival, behaviour and biochemical [4] Plenet, S.; Marmonier, P.; Gibert, J., Stanford, J.A.; Bodeergat, A.M.; biomarkers. Chemosphere 47, 35–47. Schmidt, C.M. (1992): Groundwater Hazard Evaluation: A [13] Gerhardt, A.; Badouin, N.; Weiler, M. (2020): In situ online biomo- perspective for the use of interstitial and benthic invertebrates nitoring of groundwater quality with freshwater amphipods. as sentinels of aquifer metallic contamination. 319-319. In: Stan- Current Topics in Toxicology, March 2020, open access. ford JA & JJ Simons (eds): Proc. 1st intern. Conference Ground- [14] Väinöla R.; Witt J.D.S.; Grabowski, M.; Bradbury, J.H.; Jazdzewski, K.; water Ecology, American Water RESOURCE Association; Sket, B. (2008): Global diversity of amphipods in freshwater. Bethesda, MD, USA. Hydrobiologia 595 (1), 241–255. [5] Gerhardt, A.; Clostermann, M.; Fridlund, B.; Svensson E. (1994): Mo- nitoring of behavioral patterns of aquatic organisms with an impedance conversion technique. Environment International Autorin: 20 (2), 209–219. Dr. Almut Gerhardt [6] Gerhardt, A.; Kienle, C.; Allan, I.J.; Greenwood, R.; Guigues, N.; Fouiliac, LimCo International GmbH A.M.; Mills, G.A.; Gonzales, C. (2007): Biomonitoring with Gam- marus pulex at the Meuse (NL), Aller (GER) and Rhine (F) rivers almutg@web.de, www.limco-int.com with the online Multispecies Freshwater Biomonitor®. Journal 46 gwf-Wasser | Abwasser 09 | 2020
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